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Vorurteile haben wir alle! Mit dieser Erkenntnis und Botschaft geht Marius Jung auf all diejenigen zu, die niemals vorhatten, rassistisch zu sein und gerne wissen möchten, wie sich unbedarfter Rassismus vermeiden lässt. Der erfolgreiche Kabarettist und Bestsellerautor aus Köln kennt die Frage, woher er "eigentlich" komme zur Genüge und hat in seinem Leben immer wieder ausgrenzende Kommentare gehört. Aber nicht jede Art von Rassismus beruht auf Bösartigkeit, findet der 56-jährige, er sieht auch Gedankenlosigkeit, Unsicherheit, Unwissenheit und mangelnde Selbstreflexion als Ursachen. Mit seinem Buch will er auf diesen ahnungslosen, unbewussten Rassismus aufmerksam machen, der in Deutschland immer noch allgegenwärtig ist. Marius Jung geht davon aus, dass arglose Diskriminierung am besten durch Gespräche und Aufklärung zu beheben ist, und setzt dabei auf Konstruktives statt Destruktives, auf Humor statt Verbissenheit, auf Argumente statt Empörung.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Für meine Lieblingsmenschen Karlotta und Joana
Vorwort
Was ist Rassismus?
„Ich schwieg und lächelte es weg“: Meine Rassismusgeschichte
Hautfarbe – das unverschuldete Handicap
Bewusstsein kommt von Wissen
„Sie sind hier die Putzfrau?“ Intuitive Abwertung
„Das war mir gar nicht klar!“ Struktureller Rassismus
Autogramm oder Ausweis?
Rassismus? Bei uns?! Wir sind doch Kultur!
Zu dunkel? Zu hell? Die düstere Welt des Colorism
Kulturelle Aneignung
Wenn das einzige Werkzeug, das man kennt, ein Hammer ist …
Warum handeln Menschen rassistisch?
Willkommen in Pauschalien! Der Sippenhaftmechanismus
Feindbilder
Gut gemeint …
„Man wird doch wohl noch …“: Die vielbeinige Abwehr von Team Weiß
Die große Wut
Das fatale Schwarz-Weiß-Denken
Erwachet!
Können Weiße eigentlich Opfer von Rassismus sein?
Alles nicht so einfach
Mein Gang durch das House of Gender
Sprechen wir über Hautfarbe – damit wir davon schweigen können! Von Paradoxien, Konkurrenzen und anderen Kompliziertheiten
Wie sagt man denn nun richtig?
H-Wort, Z-Wort, M-Wort, E-Wort, I-Wort … und die Kartoffel-Almans
Von der Nascherei über den Straßennamen bis zum Kreuzbuben – wird jetzt alles auf den Kopf gestellt?
Meine Straße?
Früher richtig, heute falsch
Vom Klassiker zum Rassiker? Die Kulturrevolution
Der Fortschritt ist eine Schnecke
Und jetzt?
Was tun? Und was nicht?
Und was können Weiße tun? Und vor allem lassen?
Ins Gespräch kommen
Was ich mir für meine Tochter wünsche
Quellenangaben und Weiterführendes
Ja, die Sprache in diesem Buch ist gegendert. Aber sie verzichtet auf schwer lesbare Wortzusammensetzungen wie „Sklav*innenhalter*innengesellschaft“ und „Schüler*innenschaft“. Dafür bitte ich um Verständnis.
Achtung: Personen, die sich gerne aufregen möchten, könnten durch dieses Buch enttäuscht werden. Denn dieses Buch legt es ausdrücklich nicht darauf an, einzelne Menschen oder ganze Gruppen fertigzumachen. Es kritisiert Meinungen, will aber deren Urheber*innen nicht als Personen „erledigen“. Dieses Buch benutzt möglichst selten die Modalverben „müssen“ und „(nicht) dürfen“, dafür häufiger „sollen“ und „können“.
Dieses Buch stellt Argumente und persönliche Ansichten zur Diskussion und setzt sie der Kritik aus – anstatt möglichst laut zu schreien und sich jede Widerrede zu verbitten.
Als regelmäßig von Rassismus Betroffener reagiere ich vielleicht besonders empfindlich auf gruppenbezogene Vorurteile. Jedenfalls nehme ich sie häufig wahr. Hier drei Beispiele:
Ein Kollege von mir nahm einmal an einer Talkshow teil. Einer der Gäste war ein Schwarzafrikaner, der einen Kaftan trug. Mein Bekannter ging davon aus, dass der Mann frisch aus Afrika eingeflogen sei und wahrscheinlich wenig oder gar kein Deutsch spreche, und begrüßte ihn mit der englischen Floskel: „How do you do?“ Die Antwort des Mannes: „Jo mei, mia gehts fei guat, wie man bei uns in Bayern sogt.“ Treffer, versenkt! Mein Bekannter war sehr betreten.
Ein guter Freund erzählte mir einmal sehr ehrlich, was in ihm vorgeht, wenn er Obdachlose sieht. Er geht automatisch davon aus, dass sie erstens alkoholisiert sind und zweitens stinken, und er ekelt sich. Er ist dankbar, dass er sein Leben im Griff hat und niemals so abrutschen wird. Im Klartext: Er legt eine möglichst große Distanz zwischen sich und „die da“ und bastelt sich Konstruktionen, die Obdachlosen zumindest eine Mitschuld an ihrer Lebenssituation geben. Und zwar allen. Er sieht sie nur als Gruppe.
Drittes Beispiel: Ein befreundeter Musiker, der so wie ich dunkle Haut hat, wurde von einem Veranstalter zu einem Auftritt nach Rügen eingeladen. Er zögerte lange. Rügen? Wo die AfD fast 50 % der Stimmen geholt hat? Vor seinem inneren Auge erschienen an Bushaltestellen herumlungernde Neonazis, die bei erster Gelegenheit auf ihn losgehen würden. Oder Wutbürger*innen, die mit Forken und Stöcken am Bahnhof warteten. Und selbst wenn er heil am Veranstaltungsort ankäme: Würden die Konzertbesucher*innen einen schwarzen Musiker überhaupt akzeptieren? Die Leute dort haben doch nie Kontakt zu Menschen mit anderer Hautfarbe. Am Ende fuhr er doch hin – und erzählte nach der Rückkehr geradezu beschämt, wie herzlich er behandelt worden sei und wie nett alle gewesen seien, denen er begegnet war. Er sei mit offenen Armen empfangen worden. Er schwärmte geradezu von Rügen und den Menschen dort. Natürlich relativiert diese positive Erfahrung nicht den brutalen und im Ernstfall tödlichen Rassismus, den es in vielen Regionen Deutschlands gibt. Aber das pauschale Vorurteil des Kollegen – alle Rügener*innen sind Rassist*innen – wurde aufs Angenehmste enttäuscht. Und er war bereit, sein Bild zu revidieren und auch differenzierter über Ostdeutsche zu denken und zu sprechen.
Die drei erzählten Beispiele haben eines gemeinsam, und das ist ihr Protagonist. Er heißt in allen drei Fällen Marius Jung. Denn natürlich bin ich nicht frei davon, Pauschalurteile zu fällen, nur weil ich wegen meiner Hautfarbe regelmäßig deren Opfer werde. Wer das glaubt, ist möglicherweise in die Falle der positiven Diskriminierung getappt. Schließlich ist auch die Vorstellung, ein Schwarzer könne keine Vorurteile hegen und erst recht kein Rassist sein, ein Pauschalurteil aufgrund der Hautfarbe, das nicht das Individuum sieht, sondern die Gruppe. Natürlich bedroht dieser „Gutmenschen-Rassismus“ niemanden mit dem Tod, aber auch er beruht auf einem Vorurteil. Es ist eben alles nicht so einfach.
Mein Buch entsteht in einer wilden Zeit. Die Diskussion über Rassismus hat die Gesellschaft – endlich! – erfasst. Der Mord an George Floyd durch einen weißen US-Polizisten im Mai 2020 hat etwas aufgebrochen. Wie vor einigen Jahren bei der #MeToo-Debatte über Sexismus und sexuelle Belästigung wagen viele erstmals, öffentlich über den Rassismus zu sprechen, den sie täglich erleben. Dadurch wird auch vielen Betroffenen erst das Ausmaß des Problems jäh bewusst – und sie reagieren mit verständlicher Wut darauf, dass sie so lange allein mit den Schmerzen, Kränkungen und Verletzungen waren. Gräben reißen auf. Mit nachvollziehbarer Ungeduld, mit kämpferischer Wut, manchmal auch mit Verbissenheit fordern manche sofortige Veränderungen oder formulieren bittere Vorwürfe. Und manche schreiben allen Weißen pauschal bestimmte Eigenschaften zu.
Auch Übertreibungen gehören zu diesem Prozess des Aufbrechens; ich verstehe, wie sie zustande kommen. Und sie haben auch ihren Sinn, weil sie die Größe des Problems und der Frustration sichtbar machen. Denn der Rassismus liegt wie ein altes, verfilztes und schwer zu beseitigendes Wurzelwerk knapp unter dem Boden, auf dem wir gehen und stehen. Manchmal drängt eine seiner riesigen hässlichen Wurzeln ans Tageslicht: Hass. Gewalt. Tod. Darüber stolpern dann viele. Sie halten kurz inne, schütteln ungläubig und vielleicht auch empört den Kopf – und gehen danach weiter ihrer Wege. Aber der Rassismus bleibt die ganze Zeit da. Direkt unter uns. Er verletzt und schmerzt jeden Tag. Auch der, der nicht, wie die Todesqualen von George Floyd, mit der Handykamera gefilmt wird.
Zum Glück hat sich jetzt ein vielstimmiger Proteststurm erhoben. Die weißen Mehrheitsgesellschaften werden schärfer und hartnäckiger mit der ungleichen Chancen- und Machtverteilung konfrontiert. Black, Indigenous, People of Color (BIPoC), zu den Begriffserklärungen komme ich noch, werden permanent benachteiligt, und der Protest dagegen ist notwendig und berechtigt. Aber er kann nicht das Ende sein.
Denn wenn die Anklageschriften geschrieben, die Analysen erstellt, die Appelle formuliert sind, dann stellt sich eine Frage: Und jetzt? Genügt uns diese Bestandsaufnahme? Betrachten wir den Rassismus als unausrottbares Übel und begnügen uns mit wiederkehrender Empörung? Nehmen wir hin, dass unsere Gesellschaft sich weiter spaltet, wie die der USA, und in Gruppen zerfällt, die nicht mehr miteinander kommunizieren, sondern sich nur noch wütend attackieren und sich ansonsten in ihre Identitätsräume zurückziehen? Oder sollen wir unsere Hoffnung in militanten Antirassismus setzen, in den Kampf einer Minderheit gegen die unbelehrbare Mehrheit? Dieselben Fragen stellen sich im Übrigen für jede andere Form der gruppenbezogenen Diskriminierung – von Antisemitismus über Homophobie und Behindertenfeindlichkeit bis Sexismus.
Wie also geht es weiter, wenn der berechtigte Zorn auf dem Tisch liegt? Ich will, dass wir als Gesellschaft trotzdem im Gespräch miteinander bleiben. Ich will nicht, dass wir uns als feindselige Gruppen gegenüberstehen und in Schützengräben verschanzen. Denn wir sind mehr als Angehörige eines Geschlechts, Mitglied einer (oder keiner) Religion, Träger*innen einer Hautfarbe – wir sind auch Nachbar*innen, Kolleg*innen und Staatsbürger*innen. Und als solche sollten wir miteinander reden können. Wenn es besser werden soll, müssen wir das gewaltige Thema Rassismus gemeinsam angehen, bei aller Angst, Frustration und Anstrengung, die ein solcher Prozess mit sich bringt. Wir haben keine Wahl, wenn wir als Gesellschaft ein gutes Miteinander gestalten wollen. Ich bin sicher: Die Diskriminierung von Gruppen beruht nicht immer auf Bösartigkeit. Oft stecken Unwissen, Angst, Gedankenlosigkeit und fehlende Selbstreflexion dahinter. Damit der Kampf gegen Rassismus ein gesellschaftlicher Prozess bleibt und nicht zum Krieg ausartet, ist es wichtig, seine in ihren Ursachen verschiedenen Erscheinungsformen auch unterschiedlich zu behandeln. Bösartigem und gewalttätigem Rassismus muss man anders begegnen als arg- und ahnungslosem. Nicht zu vergessen den duldenden Rassismus derer, die bei Beleidigungen und Übergriffen gegen Mitmenschen schweigen und wegschauen.
Allen gemeinsam ist jedoch eins: ein Mangel an Respekt. Wer sein Gegenüber nicht als Individuum wahrnimmt, sondern aufgrund seiner Hautfarbe in eine Schublade steckt oder Schlimmeres, verweigert ihm die Begegnung auf Augenhöhe, also den Respekt, den alle Menschen einander schulden. Zum Respekt gehört auch, anzuerkennen, dass es Rassismus gibt – auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Wohnungsmarkt, bei Behörden und Sicherheitsorganen und selbst in Familien, kurz: überall. Und um ins Gespräch zu kommen, sollte man anerkennen, dass erstens rassistische Strukturen existieren und zweitens niemand frei ist von Ressentiments. Um Empathie mit den Opfern des täglichen Rassismus zu empfinden, ist wichtig zu wissen, wie er sich äußert und anfühlt. Wir benötigen die Bereitschaft, solche Informationen an uns heranzulassen, anstatt sie abzublocken oder zu ignorieren.
Meine Überzeugung lautet: Dort, wo Rassismus kein offenes, ganz bewusstes Programm ist, sondern andere Gründe hat, kann man was machen. Dafür ist es wichtig, gedankenlos Schwatzende nicht gleichzusetzen mit rechtsradikalen Mörder*innen. Der Satzanfang „Ich bin kein Rassist, aber …“ ist zu Recht einer der meistgehassten unter Menschen mit einem dunkleren Teint. Aber er formuliert trotzdem ein anderes Programm als der Satz: „Klar bin ich Rassist. Und Neger gehören totgeschlagen.“* Wenn wir nicht alle in einen Topf schmeißen, auf dem „Rassismus“ steht, gibt es die Chance auf Kommunikation mit den Nichtböswilligen. Dabei hilft Humor statt Verbissenheit. Konstruktives statt Destruktives. Diskussion statt Geschrei. Argument statt Empörung. Weil wir ein respektvolles Miteinander erreichen wollen.
Natürlich erhebe ich nicht den Anspruch, für „die Schwarzen“ zu sprechen. Ich spreche für Marius Jung – und wenn mir andere im einen oder anderen Punkt zustimmen, freue ich mich. Ich bin nicht vollkommen, sondern fehlbar. Es kann also sein, dass ich in einigen Jahren manche Dinge anders formulieren würde oder sie sogar als Irrtum betrachte. Auch das gehört zu einem Diskurs.
Dieses Buch wendet sich an alle, die vielleicht verschiedene Wege wählen, aber das gleiche Ziel haben: keinen Rassismus, keinen Sexismus, keine Diskriminierung. Vor allem an jene, die der Meinung sind, dass eine Gesellschaft aus mehr besteht als aus einzelnen, voneinander separierten Gruppen. Sondern aus Gemeinschaft.
Auf die Frage „Wie sagt man denn nun richtig?“ und die N-Wort-Diskussion gehe ich im Buch ausführlich ein. An dieser Stelle zum Verständnis nur eine kurze Erläuterung: Die Abkürzung „PoC“ steht für „People of Color“, die inklusive Sammelbezeichnung „BIPoC“ für Schwarze, Indigene und nicht-weiße Menschen. Mir ist bewusst, dass „BIPoC“ ziemlich sperrig und technisch klingt und nicht gut zu meinem Anliegen passt, dieses Buch in gutem und angenehm zu lesendem Deutsch zu schreiben. Vielleicht finden wir ja mal sprachlich schönere Wörter für „Nicht-Weiße“. (Dieser die Negation betonende Ausdruck ist auf jeden Fall auch nur eine Behelfslösung.) In Ermangelung einer überzeugenden Alternative benutze ich „BIPoC“ ab und zu – und betrachte es, ähnlich wie das Gendersternchen, als eine Art sprachlichen Stolperstein: Man stutzt und hält kurz inne, weil man an etwas erinnert wird. Ohne diese Erinnerung wäre das Leben und Lesen ruhiger und bequemer. Aber Verdrängen ist keine Option.
Ich arbeite aber mit verschiedenen Ausdrücken. Wie bei jeder Sprachveränderung, die ich annehmen möchte, muss ich eine Übergangs- und Gewöhnungsphase einplanen. Angeregt durch die Übersetzung des schönen Buchs Mädchen, Frau etc. von Bernadine Evaristo verwende ich, so oft es geht, die englisch-deutsche Wendung „Menschen of Color“. Das ist auch nicht optimal, aber immer noch eleganter als „BIPoC“. Immer wieder nutze ich auch das Wort, mit dem ich mich lange Zeit selbst bezeichnet habe: schwarz. Weiße und Schwarze – das schien mir immer logisch, als grobe Unterscheidung. Die Anmerkung, ich sei ja gar nicht schwarz, sondern eher braun, konnte ich immer gut parieren. Denn eines war sicher: Wer auch immer das anmerkte, war selbst weder schwarz noch weiß. Es gibt keine Menschen, die tatsächlich weiß sind. Oder schwarz. Wir alle haben Haut, und die ist mal so, mal so getönt. Mehr ist nicht dabei. Es ist nur ein Pigment, Leute. Aber an der richtigen, respektvollen Sprache für diese Tönungen arbeiten wir noch.
Der Titel dieses Buchs lautet: Wer wird denn da gleich schwarzsehen. Will ich damit sagen: „Ist doch alles paletti“? Natürlich nicht. Was ich – im Unterschied zu manch anderen Autor*innen – nicht pessimistisch betrachte, ist die Zukunft. Ich glaube, dass wir die Möglichkeit haben, friedlich zusammenzuleben und die Haut-Sache zur Nebensache werden zu lassen. Dafür müssen wir alle uns aber die Vergangenheit und die Gegenwart bewusst machen. Und das heißt: die Realität von Rassismus anzunehmen.
Mit meinem Buch möchte ich möglichst unaufgeregt aufklären und eine Gesprächsbasis schaffen. Weil ich überzeugt bin, dass eine Mehrheit an einer konstruktiven Veränderung und Verbesserung unseres Zusammenlebens interessiert ist. Ich bin Optimist und sehe nicht schwarz für uns als Gesellschaft. Mein Buch will also mehr sein als eine weitere Diagnose oder Anklage. Lasst es uns doch mal mit einem Gespräch versuchen statt mit Geschrei. Ich halte es also mit dem großen Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch, der in seinem Lied vom runden Tisch für das Gespräch aller mit allen plädiert – mit einer Ausnahme:
„… alle reden und trinken, essen und denken
Nach Herzenslust und Gelüsten
Mit Ausnahme der Faschisten!“
Ich wünsche dir eine gute Zeit mit meinem Buch.
*Wie ihr merkt, bin ich der Meinung, dass man das N-Wort durchaus verwenden darf – um Rassist*innen zu zitieren und damit bloßzustellen. Dazu mehr im Buch.
Eine Szene in einem Restaurant in Tunesien. Der Kellner kommt an den Tisch, um die Getränkebestellung aufzunehmen. Die beiden Frauen führen gerade folgenden Dialog: „Petra, pass auf deine Handtasche auf. Am Nebentisch sitzt so ein … Dunkelhäutiger. Oder wie sagt man heute? Meine Tochter hat mir beigebracht, nicht mehr rassistisch zu reden.“ Dann bestellen sie sich Cocktails. Kurz danach bringt der Kellner zwei Plastikeimer mit langen Strohhalmen darin. Die Frauen sehen ihn entgeistert an. Der Kellner fragt: „Kommen Sie nicht aus Deutschland?“ Die beiden nicken. „Aber …“ Der Kellner fährt fort: „Ich habe vor ein paar Jahren auf Mallorca gearbeitet und dort gesehen, dass Deutsche aus Eimern trinken. Deshalb habe ich extra immer einige Eimer hier. Prost!“
Das mit den Eimern ist absurd, oder? Wie kann man nur so verallgemeinern!
Nehmen wir den Begriff „Rassismus“ zunächst einmal wörtlich. Dann wird deutlich, dass das Konzept auf einer pseudowissenschaftlichen Absurdität beruht: der Behauptung, dass es zwischen manchen Ethnien so große genetische Unterschiede gebe, dass man wie im Tierreich von „Rassen“ sprechen könne. Die Gene sorgten, so die Behauptung, unter anderem für Unterschiede in der Intelligenz und im Sozialverhalten. Auf der Grundlage dieser aus der Biologie entlehnten Idee werden Rangunterschiede zwischen den verschiedenen „Rassen“ behauptet. Um diese Annahme auch nur in Betracht zu ziehen, müssten sich die Gene der Angehörigen angeblicher Rassen allerdings auch unterscheiden. Aber die Erbinformation von uns Menschen ist zu mehr als 99 Prozent identisch. Und der nicht einmal ein Prozent große Rest sorgt für eine bunte Vielfalt, die sich durch alle Kontinente und Ethnien zieht, sodass biologisch gesehen keine sinnvolle Einteilung in verschiedene Rassen möglich ist. Eine blonde Frau kann mit mir als Mensch of Color genetisch mehr gemeinsam haben als ein Schwarzer. Rassismus lässt sich also biologisch nicht begründen. Aus diesem Grund gibt es auch Bestrebungen, das Wort „Rasse“ im Antidiskriminierungs-Artikel 3 des Grundgesetzes durch „aus rassistischen Gründen“ zu ersetzen. Denn mit diesem Paradox werden wir noch eine Weile leben müssen: Auch wenn es keine menschlichen Rassen gibt, gibt es rassistische Menschen.
Und doch nehmen viele Kulturen körperliche Unterschiede zum Anlass, Gruppen zu bilden und „andere“ zu definieren. Aber diese Kategorien sind willkürlich. Hautfarbe ist wohl eines der beliebtesten Merkmale zur Einteilung von Ethnien. Aber auch diese Einteilung ist widersinnig. Menschen aus dem südlichen Indien gelten als „Asiat*innen“, obwohl ihre Haut in der Regel dunkler ist als die der „Schwarzen“ im südlichen Afrika. Dabei dachte ich ja immer, Asiat*innen seien gelb. Diese gesamte Farbenlehre der Hauttöne taugt allenfalls zur Beschreibung eines Menschen. Eine Bewertung anhand des Hauttones hingegen ist nicht sinnstiftend, sondern diskriminierend.
Rassist*innen können nicht glauben, dass es keine relevanten genetischen Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Hautfarbe gibt. Sie empfinden eine andere Tönung des Teints als so fremd, dass sie glauben wollen, dahinter stecke eine fundamentale Ursache. Und sie meinen, man könne anhand des Attributs „Hautfarbe“ Menschen typisieren. Aber das ist Unsinn. Man könnte genauso gut angebliche Rassen bilden, die sich durch den Körperfettanteil unterscheiden. Oder durch die Haarfarbe. Oder durch das Verhältnis von Rumpf- zu Beinlänge: Die Rasse der Sitzriesen könnte dann der der Sitzzwerge intelligenzmäßig überlegen sein. Wäre alles pseudowissenschaftlich machbar. Bliebe aber Unsinn. Niemand kann den Charakter oder die Staatsangehörigkeit eines Menschen von außen auf einen Blick erkennen. Der Volksmund weiß das schon lange: „Du kannst den Leuten nur vor den Kopf gucken.“ Hautfarbe verrät nichts über das Bewusstsein. Sie lässt nicht erkennen, was wir denken, und nicht, was wir fühlen. Sie erzählt uns nichts über die Person, die vor uns steht. Und vermeintliche oder tatsächliche Herkunft ergibt deshalb auch keinen begründeten Anfangsverdacht für irgendwas. Wie in unserem Beispiel zu Beginn: Weder die Sprache der beiden Frauen noch die Hautfarbe des Kellners sagt etwas über ihren Charakter, ihr Sozialverhalten und ihre kulturellen Gewohnheiten aus. Alle dunkelhäutigen Männer sollen angeblich klauen? Und alle Deutschen trinken aus Eimern? Diese kollektive Verurteilung scheitert, weil sie auf einer unlogischen Annahme beruht: Kein Staatsvolk, keine Religionsgemeinschaft, keine Ethnie ist eine homogene Gruppe. Den deutschen Menschen gibt es genauso wenig wie die Araberin, den Juden und den Schwarzen.
Die Wiege der Menschheit liegt bekanntlich in Afrika. Ob die Aborigines in Australien, die Uigur*innen in China oder wir Rheinländer*innen hier in Deutschland – von der Abstammung her sind wir alle Afrikaner*innen. Aus einer kleinen Gruppe von Migrant*innen entstanden dann all die Ethnien, die wir heute außerhalb Afrikas kennen. Über Jahrtausende haben sich die Menschen auf den Kontinenten verteilt – und ihre genetische Zusammengehörigkeit war da schon lange besiegelt. Im Laufe der Zeit passte sich die Haut der ausgewanderten Afrikaner*innen an die jeweiligen Klimazonen an. Waren ursprünglich alle Menschen schwarz, so haben wir heute einen wundervollen Reigen aller Hauttöne. Weiße sind mithin nichts anderes als Afrikaner*innen, die ihre Farbe verloren haben. Und angebliche menschliche „Rassen“ sind nur eine soziale Konstruktion.
Einen Unterschied mit der Hautfarbe zu begründen wäre so, als würde man einen grün lackierten VW Golf für ein komplett anderes Auto erklären als ein gelb lackiertes, aber ansonsten identisch ausgestattetes Exemplar desselben Modells.
Entfernen wir uns von der biologischen Bedeutung des Begriffs „Rasse“. Eine brauchbare Definition des Rassismus als gesellschaftliches Phänomen darf weder zu eng noch zu weit sein. Hätte man vor einigen Jahrzehnten die (West-)Deutschen befragt, was Rassismus ist, hätten die meisten vermutlich geantwortet: „Gewalt gegen Schwarze.“ Und dabei hätten sie beispielsweise den Ku-Klux-Klan vor Augen gehabt, im fernen Amerika. Diese extrem verkürzte und eingeschränkte Definition ist einer der Gründe dafür, dass sich in der BRD die Überzeugung herausbildete, wir hätten hier kein Rassismusproblem. Weil es keine öffentlich sichtbaren Gewalttaten gegen Schwarze gab oder diese nicht als rassistisch erkannt und gedeutet wurden. Und weil es sehr wenige Schwarze in Deutschland gab. Die damals entstandene Überzeugung, es gebe bei uns keinen Rassismus, war und ist extrem hartnäckig.
Die Diskussionen seit dem tragischen Fall George Floyd haben dankenswerterweise deutlich gemacht, dass Rassismus mehr ist als das offene Beleidigen, Beschimpfen, Diskriminieren oder gar Angreifen eines Menschen mit anderer Hautfarbe. Es gibt in der Gesellschaft tiefliegende rassistische Strukturen, die den Handelnden nicht bewusst sein müssen und dennoch diskriminierend sind – etwa beim „Racial Profiling“, also diskriminierenden Polizeikontrollen, oder bei der Vergabe von Wohnungen, Jobs und Filmrollen. Auch wenn alle Beteiligten glaubhaft versichern, persönlich keine rassistischen Gedanken zu hegen, haben sich diese Gewohnheiten eingeschliffen und bestehen weiter. Oft wird das „struktureller Rassismus“ genannt. Der Begriff weist darauf hin, dass der Kampf gegen den Rassismus mehr braucht als nur das vernünftige Gespräch mit den gedankenlosen Nachbar*innen, Kolleg*innen oder Verwandten. Er ist vielmehr eine politische und gesellschaftliche Aufgabe.
Diese Erkenntnis der strukturellen und institutionellen Probleme war nötig und überfällig – sie hat viele blinde Flecken enttarnt und den Blick für systemischen Rassismus und tief verborgene und anerzogene rassistische Sichtweisen geöffnet. In der letzten Zeit allerdings schlägt das Pendel, wie so oft, in die gegenteilige Richtung aus: Bei manchen Aktivist*innen gilt mittlerweile praktisch alles, was Weiße tun oder mögen, als rassistisch, und es wird teilweise eine Art „rassistische Erbsünde“ konstruiert, die Weiße schon im Kindesalter zu „toxischen“ Geschöpfen macht. Das hat manchmal seinerseits rassistische Züge.
Ich bevorzuge einen Begriff von Rassismus, der nicht uferlos ist und der nicht zum Ergebnis führt, dass alle Weißen Rassist*innen sind. Denn eine solche Definition wäre fruchtlos und ohne jede Trennschärfe – also etwa so unsinnig wie die Behauptung, das „kavalierhafte“ Offenhalten einer Tür für eine Dame sei sexistisch und gehöre also in dieselbe Kategorie wie ein gewaltsamer sexueller Übergriff. Ich möchte weiterhin unterscheiden dürfen zwischen bewusst feindseligem Verhalten und der unbewussten Reproduktion rassistischer Stereotypen. Wie schon im Vorwort ausgeführt, steht für mich der Nazi, der mich körperlich attackiert, weil ihm meine Hautfarbe nicht passt, auf einem anderen Blatt als die ältere Dame, die seit ihrer Jugend „Negerkuss“ sagt und bis heute keine Ahnung vom rassistischen Charakter dieser Süßigkeitenbezeichnung hat. Objektiv handeln beide rassistisch, aber ihre sehr unterschiedlichen Absichten auszublenden finde ich falsch. Und doch: Überwinden müssen wir beides. Dabei hilft es übrigens, wenn man möglichst sorgfältig unterscheidet, was jemand tut und was jemand ist. Wir alle kennen den Unterschied in der Empfindung, wenn uns gesagt wird: „Das war jetzt gerade nicht so schlau von dir“, oder wenn man hört: „Du bist ein Idiot!“ Und genauso sollte man nachdenken, bevor man behauptet: „XY ist ein Rassist/eine Rassistin“ – auch wenn man eigentlich nur der Meinung ist, er oder sie habe etwas gesagt, das als rassistisch verstanden werden könnte. (Selbst das muss ja nicht immer stimmen, nur weil es jemand meint.) Dem Schriftsteller George Bernard Shaw wird ein Satz zugeschrieben, der wie ich finde eine gute Mahnung ist: „Eines der traurigsten Dinge im Leben ist, dass ein Mensch viele gute Taten tun muss, um zu beweisen, dass er tüchtig ist, aber nur einen Fehler zu begehen braucht, um zu beweisen, dass er nichts taugt.“ Das sollte man durch verallgemeinerndes Reden nicht befördern.
Hier also in fünf Sätzen meine Definition des aktuellen Rassismus (die sich natürlich auf diverse Ansätze stützt):
1.Rassist*innen definieren anhand bestimmter Merkmale wie der Hautfarbe und der geografischen und/oder kulturellen Herkunft Menschengruppen oder „Rassen“.
2.Sie behaupten, dass es einen Zusammenhang gebe zwischen diesen Merkmalen (zum Beispiel der Hautfarbe) einerseits und bestimmten Eigenschaften (zum Beispiel geringere Intelligenz oder Faulheit oder Unehrlichkeit) andererseits.
3.Diese Eigenschaften haben angeblich alle Mitglieder der jeweiligen Gruppe oder „Rasse“ gemeinsam.
4.Es gibt eine wertende Hierarchie der Gruppen oder „Rassen“.
5.Die Mitglieder „höherer Rassen“ beanspruchen mit Hinweis auf diese Hierarchie, also ihre „natürliche Überlegenheit“, das Recht, die ihrer Meinung nach niedriger stehenden Gruppen oder „Rassen“ zu benachteiligen, zu unterdrücken, auszubeuten und gegebenenfalls zu vernichten.
Zusammengefasst bedeutet Rassismus: Menschen auf ihre Herkunft und/oder ihr Aussehen reduzieren, ihnen kollektive (in der Regel negativ besetzte) Merkmale zuschreiben und sie durch Sprechen, Handeln oder Unterlassen benachteiligen.
Und wie kam der Rassismus nun in die Welt? Um die heute wirksamen Ursachen von Rassismus geht es im folgenden Kapitel 2. Hier sollen vorerst nur die Theorie von der Ungleichheit der „Rassen“ sowie die Motive beleuchtet werden, die einst zu dieser Theorie führten. Obwohl das Wort „Theorie“ einen an „Wissenschaft“ erinnert, sollte man dieses Wort in diesem Zusammenhang eigentlich nur in Anführungszeichen verwenden. Denn beim Gedankengebäude „Rassismus“ handelt es sich nicht um Wissenschaft, sondern um eine interessengeleitete Ideologie – an deren Formulierung sich schändlicherweise auch viele Wissenschaftler*innen beteiligten.
Der Ursprung des Abwertens von Menschengruppen ist die Sklaverei, also das Ausüben von Macht und Gewalt. Für entwickelte Gesellschaften war es seit jeher problematisch, wenn die Herrschenden Angehörige ihres Volkes, also ihresgleichen, zu unfreien Arbeitstieren degradierten. Also musste das „ihresgleichen“ wegdefiniert werden, indem man Menschen, die Sklavenarbeit verrichten mussten, als niedere Wesen betrachtete. Irgendwann begann man, systematisch die Angehörigen fremder, durch Krieg unterworfener Völker zu versklaven – meist aus Afrika. Und da sich deren Äußeres von dem der Sklavenhalter*innen unterschied, übertrug man das abwertende Urteil über Sklav*innen nach und nach auf die unterworfenen Völker, also auf Menschen mit dunklerer Haut. Das fiel umso leichter, als die „anderen“ ohnehin in vielen Kulturen herabgesetzt wurden. Perfiderweise „bestätigt“ wurde das negative Urteil, weil der Status als Sklav*in natürlich nicht ohne Wirkung auf Wesen und Verhalten der Versklavten blieb – wie eine schreckliche sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wer zum Zwangsarbeiten und zum Eigentum von Besitzer*innen degradiert ist, verhält sich irgendwann auch ängstlich, misstrauisch und unterwürfig. Und wird verständlicherweise wütend.