Where Spring Hides (Festival-Serie 3) - Ivy Leagh - E-Book

Where Spring Hides (Festival-Serie 3) E-Book

Ivy Leagh

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Beschreibung

NIEDRIGER AKTIONSPREIS NUR FÜR KURZE ZEIT! Abstand ist keine Option. Nicht von dir. Nicht auf dieser Reise.  Ich habe viel verloren. Mein Pflegepferd, meine Selbstachtung, mein Herz an einen Basketball-Profi. Es ist eine halbe Ewigkeit her, dass ich Edward in San Diego kennengelernt und ihm ein Geheimnis anvertraut habe. Ich konnte nicht wissen, dass ich ihn wiedersehen würde. Und das ausgerechnet in Deutschland, während ich für das Reiseunternehmen meiner Eltern als Guide eine Festival-Tour quer durchs Land leite – und damit mal wieder meinen Traum von einer Karriere als Musicaldarstellerin aufschiebe. Doch diesmal könnte es das fast wert sein, weil Edward mitkommt. Edward, der eigentlich mittlerweile als Sportler durchstartet und sich völlig verändert hat, mein Herz aber noch immer zum Stolpern bringt. Vor allem, da wir nicht nur den Tourbus teilen müssen ...  Basketball, Musicals und Geheimnisse – »Where Spring Hides« ist eine mitreißende Forced Proximity-Romance.  Leser*innenstimmen zu »Where Summer Stays«: »Festival-Vibes mit emotionaler Tiefe. Eine ganz klare Leseempfehlung!« »Ich habe das Buch geliebt, weil ich mich so verstanden gefühlt habe wie nie zuvor.« //»Where Spring Hides« ist der dritte Band der gefühlvollen »Festival-Serie« bei Carlsen. Alle Bände der New Adult Romance: -- Where Summer Stays -- Where Winter Falls -- Where Spring Hides -- Where Autumn Leaves - erscheint im Januar 2025//

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 454

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Ivy Leagh

Where Spring Hides (Festival Serie 3)

Sängerin zu sein, das ist Lenis größter Traum. Doch wann immer sich eine Chance ergibt, kneift sie und lässt sich stattdessen von ihren Eltern als Touriguide fürs familiengeführte Reiseunternehmen einspannen. Was normalerweise eine gemütliche Fahrt durchs Land ist, wird dieses Mal zur emotionalen Zerreißprobe. Denn für Lenis Tour hat sich ein gewisser Sportler angemeldet, der alles auf den Kopf stellt: Edward, den sie vor einer halben Ewigkeit kennengelernt hat und der gerade als Basketballer in den USA durchstartet. Edward, der sich völlig verändert hat und ihr Herz trotzdem noch immer zum Stolpern bringt. Allerdings ist er auch der Einzige, dem Leni ihr dunkelstes Geheimnis anvertraut hat, und Abstand ist auf dieser Reise keine Option …

Wohin soll es gehen?

Vita

Vorbemerkung für die Leser*innen

Playlist

Buch lesen

Triggerwarnung

© privat

Ivy Leagh, geboren 1992, braucht bloß drei Dinge: Reisen, Koffein und das Schreiben. Nachdem sie eine Weile als freie Journalistin in Berlin und London kostenlos Konzerte besuchen und Stars interviewen durfte, verbringt sie mittlerweile ihre freie Zeit neben dem Literaturstudium lieber damit, an ihren Geschichten zu feilen. Ihrer Liebe zu Großstädten gibt sie inzwischen nur noch während ihrer Reisen nach; sie lebt wieder in ihrer Heimatstadt Würzburg.

Für alle, die sich ihre eigenen Träume verbieten.You are second to none!

Vorbemerkung für die Leser*innen

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und / oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Ivy Leagh und das Carlsen-Team

Lenis »Don’t Break My Art«-Playlist

Tarzan – So ein Mann

Der König der Löwen – Hakuna Matata

Die Eiskönigin – Du bist alles

High School Musical – We’re All In This Together

Der König der Löwen – Kann es wirklich Liebe sein

Tanz der Vampire – Totale Finsternis

Mamma Mia! – Mamma Mia

Hercules – In Sekunden auf 100

Cats – Erinnerungen

La Cage aux Folles – Ich bin, was ich bin

Wicked – Tanz durch die Welt

Dirty Dancing – (I’ve Had) The Time of My Life

Aladdin – Ein Traum wird wahr

West Side Story – Somewhere

The Rocky Horror Show – Time Warp

Hamilton – Es ist ruhiger Uptown

Dear Evan Hansen – Nur uns zwei

Bonustracks: Taylor Swift – Love Story

Luke Bryan – Sunrise, Sunburn, Sunset

Die »Deutschland ist nicht nur Berlin«-Rundreise mit Lück Reisen

04.–12. April: Stürze dich in mittelalterliches Treiben, fordere einen Piraten zum Duell heraus und tanze zu deutscher Countrymusik durch die Nacht – Deutschland ist nicht nur Berlin.

NEU: Der »Deutschland ist nicht nur Berlin«-Roadtrip. Die Kunst-und-Kultur-Rundreise abseits der deutschen Hauptstadt ist einmalig. Auf Ihrer 9-tägigen Tour durch das Herz Europas erwarten Sie wildromantische Landschaften, imposante Schlösser, eine pulsierende Musicalmetropole, schroffe Küsten und endlose Weiten. Deutschland hat alles zu bieten. Steigen Sie ein!

Nutzen Sie das Angebot der bequemen, individuellen Anreise per Flugzeug und treffen Sie Ihren Guide in Frankfurt, von wo aus Sie an einem geführten Reiseprogramm teilnehmen. Das Lück-Reiseteam ist noch vor Reiseantritt rund um die Uhr für Sie da. Wir bieten eine Rundreise, auf der Sie die spannende Geschichte, vielfältige Kultur und aufregende Architektur Deutschlands im Rahmen mitreißender Kunstfestivals intensiv kennenlernen. Erleben Sie ein bunt zusammengestelltes Programm, das Sie quer durch Deutschland führt. Eine Reise, die Sie nie vergessen werden.

Die An- und Abreise von ausgewählten Flughäfen, 8 Hotelübernachtungen, Vollpension und alle Eintritte sind im Endpreis enthalten. Die Teilnehmeranzahl ist auf 5 begrenzt.

Ihr Reiseunternehmen Lück

EIN JAHR ZUVOR

Leni

Ich habe einige Drinks intus und Edward Meyer auf Tinder gematcht. Jetzt bin ich mit ihm verabredet.

Es könnte sein, dass mir das zum Verhängnis wird. Denn ich treffe nicht irgendeinen Edward. Es ist Edward aus San Diego.

Die Erinnerungen an ihn sind so präsent, als wären die vergangenen drei Jahre ausgelöscht. Als hätte er mich erst heute Morgen am San Diego Beach angesprochen und auf ein spontanes Date eingeladen. Ich hatte immer darauf gehofft, dass wir uns irgendwo noch einmal über den Weg laufen werden. Doch dass Edward nun ausgerechnet auf einem deutschen Rockfestival auftaucht, stand dabei nicht auf meiner Liste möglicher Wiedersehensorte, aber ich schätze, es geht schon irgendwie in Ordnung.

Ich kann mich wegen der Umgebung eh kaum auf mein Vorhaben konzentrieren. Überall stehen Zelte. Lichter in Rot- und Blautönen zucken von einem Van über den trockenen Boden. Ein professioneller DJ legt auf einem Campingtisch Musik auf. Er macht seine Sache richtig gut. Zu den Beats bewegen sich schweißüberströmte Körper im flackernden Licht und immer wieder muss ich hochgerissenen Armen ausweichen.

Eine junge Frau reicht mir beim Vorbeitanzen ein Bier, das ich in einem Zug leere. Festivals fühlen sich an wie der in Alkohol getränkte verschrobene Zwilling einer noblen High-Society-Party, zu der hundert teils wildfremde Leute eingeladen werden, die ohne einen Gedanken an morgen heftig eskalieren. Die Atmosphäre verleitet dazu, Konsequenzen einfach auszublenden und sich in den Moment fallen zu lassen. Aus diesem Grund bin ich auf dem Weg zum Festival-Supermarkt, um dort Edward zu treffen.

Ob er sich überhaupt an mich erinnert?

Ach, egal. Ich lege ein wenig Tempo zu, weil ich mich lieber an diesem Wort festhalten und nicht aus Angst und Überforderung kneifen will. Egal. Egal. Egal.

Meine Gedanken führen mich bis in die Nähe des Supermarkts. Einige Leute stehen davor, die meisten von ihnen tragen schwarze Tanktops und kurze Jeans-Shorts. Während sie sich miteinander unterhalten, suche ich die Umgebung nach Edward ab, kann ihn aber nirgendwo erkennen.

»Hey, willst du ein Bier?«

»Klar.«

Ich grinse den Typen neben mir an und schaue dabei zu, wie er seinem verblüfften Kumpel die Bierdose aus den Händen reißt und sie an mich weitergibt. Als ich seinen Blick auffange, zwinkert er mir zu und wendet sich an seinen Freund. »Entspann dich! Ich kauf uns gleich einen Sixer im Supermarkt.«

Der Supermarkt.

Aufs Stichwort zuckt mein Blick dorthin und … vor dem Eingang steht Edward. O Gott. Er ist es. Der Mann vor dem Supermarktzelt ist mein San-Diego-Edward.

Aber … ich erkenne ihn kaum wieder. Seine braun gebrannte Haut ist glatt rasiert. In San Diego hatte er einen Bart. Er trägt ein kurzärmliges Shirt, weshalb ich dabei zusehen kann, wie sich die Muskeln seiner Oberarme wölben, während er die Arme verschränkt. Macht er mittlerweile Kraftsport? Seine Schultern wirken auf jeden Fall viel breiter, definierter. Und als er den Kopf suchend nach links und rechts dreht, fällt ihm das länger gewordene dunkle Haar in die Stirn.

Das war eine richtig blöde Idee. Ich weiß nicht, ob das Hüpfen in meinem Brustkorb von der Musik provoziert wird, die in meinem Rücken auf maximale Lautstärke gedreht wurde, oder ob ich kurz davor bin, in Panik zu geraten.

Das Blut rauscht mir in den Ohren, als Edwards Blick in meine Richtung wandert. Die letzten Jahre habe ich mir in Gedanken oft ausgemalt, wie unser Wiedersehen wohl ablaufen würde. Das klare Bild von ihm, das ich dabei vor meinem inneren Auge hatte, ist mit dem Mann, der noch immer zu mir schaut, nicht zu vergleichen. Inmitten der Menschenmenge kann er mich vermutlich eh nicht sehen, aber ich weiß, dass er kein Problem damit hätte, mich wiederzuerkennen. Denn ich habe mich kaum verändert. Und das gibt mir ein richtig beschissenes Gefühl.

Ich habe nur schöne Erinnerungen an unser Date in San Diego, aber vielleicht hat Edward ganz andere. Womöglich keine guten?

Wir haben meiner Meinung nach eine großartige Zeit miteinander verbracht. Edward hat mich ständig zum Lachen gebracht. Ich weiß gar nicht mehr warum. Aber ich erinnere mich noch daran, dass er sich sein Lachen ständig verkniffen hat. Als würde nur der Gedanke daran bereits Schuldgefühle in ihm auslösen. Trotzdem war unsere gemeinsame Zeit einmalig und wunderschön. Edward hat ein befreites Gefühl in mir ausgelöst, das mir in den Wochen zuvor niemand in ganz Kalifornien entlocken konnte.

Aber jetzt überkommen mich immer mehr Zweifel.

»Ich kann das nicht.« Ich weiß erst, dass ich den Gedanken laut ausgesprochen habe, als sich der Typ mit dem Bier neben mir räuspert.

»Ist okay, sorry.« Er nimmt seine Hand von meiner Hüfte und wendet sich ab. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass er sie dorthin gelegt, dass er mit mir geredet hat. Aber ich merke gerade sehr wohl, wie mir Panik nun doch die Kehle zuschnürt.

Edward hat seinen Blick längst wieder abgewandt. Der Ausdruck auf seinem Gesicht ist verändert. Sicher überlegt er, ob ich ihn verarscht habe, während er die Hände an seinen Seiten zu Fäusten ballt. Ich spüre mein Herz wieder schneller schlagen, ehe ich mich umdrehe und … vor Edward wegrenne.

LEAVE IT WITH ME

(ACRYLIC ON CANVAS, 2019)

Edward

Sitzreihe 24 ist die letzte, die zwischen einem vegetarischen Curry und Lasagne mit Rind wählen darf. Ich sitze in Reihe 25.

Die Flugbegleiterin mit einem senfgelben Tuch um den Hals beugt sich zu mir herunter. »Für Sie die Lasagne mit Hackfleisch?« Sie lächelt freundlich, aber bestimmt. Damit steht fest, dass ich auf dem Flug nach Frankfurt verhungern werde.

»Ich bin Vegetarier.«

Sie nickt bedauernd. »Darf ich Ihnen vielleicht als Entschädigu–«

»Ich würde seine Lasagne nehmen.« Meine Rückenlehne bekommt erst einen Tritt ab und dann schiebt sich ein Männerkopf mit einer Kappe auf den roten Haaren durch den Spalt zwischen meinem Sitz und dem der älteren Dame neben mir. Der Schirm seiner Mütze drückt gegen meinen Oberarm. »Wenn’s okay ist.«

»Von mir aus gern.« Ich zucke mit den Schultern und bedanke mich still bei mir selbst dafür, dass ein mit weißer Schokolade überzogener Hafermüsliriegel in meiner Jackentasche steckt, den ich vor Nervosität und Anspannung vor dem Abflug nicht runterbekommen habe.

»Ich müsste erst abklären lassen, ob ich Ihnen zwei Mahlzeiten aushändigen kann«, erklärt die Flugbegleiterin dem Rotschopf neben meiner linken Schulter und zwingt ihr Lächeln über die Mundwinkel hinaus. »Eigentlich dürfen wir nicht –«

»Liam?« Hinter mir räuspert sich vorsichtig eine Frauenstimme. »Lass es doch bitte einfach gut sein.«

»Wenn er sie doch nicht will. Bevor die im Müll landet.«

»Wir werfen nichts weg.«

Das würde mich wundern. Im Studium wurde uns beigebracht, dass noch immer über die Hälfte übrig gebliebenen Flugzeugessens verbrannt wird. Die Versorgung an Bord ist eine Gratwanderung. Essensreste werden nach dem Flug in riesigen Lastwägen ins Produktionsgebäude des Versorgungslieferanten gebracht, wo mittlerweile zumindest darauf geachtet wird, davon so viel wie möglich zu recyceln. Ungeöffnete Marmeladengläser und Flaschen sowie luftdicht verpackte Snacks sind wiederverwendbar. Der Rest landet im Müll. Deshalb sind einige Airlines darauf umgestiegen, das Essen kurz vor der Landung zum halben Preis anzubieten. Das nachhaltige Ressourcenmanagement kennt weitaus mehr Lösungen als einen Preisnachlass, aber die meisten davon sind für die großen Airlines unrentabel.

»Uns reichen zwei Portionen«, unterbricht Liams Begleitung meine Gedanken und versucht ihn so unauffällig wie möglich an den Schultern zurückzuziehen. Liams Antwort ist ein weiterer Tritt gegen meinen Sitz.

Ich schließe die Augen und seufze leise. Zwei Atemzüge später öffne ich sie wieder. Ich habe mich für eine neuntägige geführte Gruppenrundreise durch Deutschland angemeldet. Bei Lenis Reiseunternehmen. Die Frau, die ich vor knapp vier Jahren auf ein spontanes Date eingeladen und danach nicht mehr wiedergesehen habe.

Ich hätte meinen Hintern darauf verwettet, dass sie die Tour nicht fährt, sobald sie meinen Namen unter den Anmeldungen entdeckt. Das ist aber nicht passiert. Leni wird die Tour als einziger Guide begleiten. Und genau deshalb befürchte ich, jede Sekunde den Verstand zu verlieren. »Entschuldigung, darf ich mal kurz durch? Bevor das Essen kommt, muss ich noch mal.« Die ältere Dame neben mir gibt sich keine Mühe, ihre Stimme zu senken, und deutet nach hinten, während sie sich mit einem lautstarken Ächzen erhebt. Ich ziehe meine Beine ein und sie quetscht sich fluchend an mir vorbei. Im Gang bleibt sie stehen, ihre schwarzen Westernstiefel klackern einmal, als die Absätze aneinanderschlagen. »Wie eng sie mittlerweile die Sitze bauen, das ist ja nicht auszuhalten«, beschwert sie sich und blickt dabei auf die Reihe hinter mir. »Sag mal, du hast doch eben Liam gesagt, oder?«

»Jep.«

»Und Olivia aus Santa Barbara«, ergänzt seine Freundin.

»Maria aus Houston.«

Ich sage nichts.

»Ihr macht auch die Tour durch Deutschland, richtig?«, hakt Maria nach.

»Genau.«

Lachend beugt sie sich über meinen Sitz zu den beiden. »Hab ich mir doch gedacht, dass ich eure Namen auf der Teilnehmerliste gesehen habe. Schön, dass wir uns schon auf dem Flug kennenlernen. Ich hab was für euch.«

»Wir freuen uns auch.« Ich kann das Lächeln in Olivias Stimme deutlich hören. »Oh, wow! Danke schön, die sehen ja aus wie Taylor-Swift-Perlenbänder.«

»Taylor wer?«

»Die weltbekannte Sängerin? Es gibt eine Songzeile auf dem Album Midnights, in der Taylor dazu aufruft, Freundschaftsarmbänder zu basteln, die symbolisch dafür stehen, im Moment zu leben. Daran erinnert mich dein Geschenk. Danke!«

»›Carpe diem‹ hätten wir damals dazu gesagt.« Dem Geräusch nach zu urteilen, reicht Maria gerade auch Liam ein Armband.

»Lück 2024«, liest er vor und Maria ergänzt: »Es ist ein wenig kitschig, aber so wissen wir immer, dass wir eine Gruppe sind.«

Wir und seit ein paar Minuten leider auch alle anderen im Flieger. Zur Sicherheit rutsche ich tiefer in meinen Sitz. Niemand wird mich dazu bringen, ein Taylor-Swift-Perlenarmband zu tragen oder mich sonst irgendwie zum Affen zu machen. Ganz. Sicher. Nicht. Aber Maria erinnert sich gerade zum Glück wieder an den Grund, weshalb sie ursprünglich aufgestanden ist.

»Ich verschwinde schnell auf Toilette, bevor die Lasagne kommt«, sagt sie. »Die Lasagne schlägt mir bestimmt auf den Magen.« Mit der flachen Hand reibt sie sich über den Bauch und läuft unter verständnisvollem Gemurmel des Pärchens hinter mir in Richtung der Toiletten.

Ich ziehe unauffällig den Reiseprospekt aus meinem Handgepäck. Weiter als bis zur ersten Seite habe ich es noch nicht geschafft. Aber die klingt richtig gut. Ein stimmungsvolles Mittelalterfestival wird dort beschrieben, das unweit des Schlosses Neuschwanstein stattfindet. Die prachtvolle Burg hebt sich gestochen scharf vom rosafarbenen Sonnenuntergang ab, eine Zeichnung von zwei Rittern auf Pferden ergänzt das beeindruckende Panorama. Von traditionellem »Speis und Trank« ist die Rede, während man den Klängen historischer Instrumente lauschen kann.

»Da bin ich auch schon wieder und ihr erratet nicht, wen ich bei den Toiletten getroffen habe«, verkündet Maria, als hätte sie dort Barack Obama persönlich die Hand geschüttelt. »Die Imogen. Fehlt also nur noch …«

»Edward«, ergänze ich unwillig und reiche Maria meine Hand, die sie fast zerdrückt. »Edward Meyer, Los Angeles.«

»Da sitzen wir seit Stunden fast alle nebeneinander und wissen nichts von unserem Glück.« Ehe ich michs versehe, überreicht Maria auch mir ein buntes Perlenarmband. »Das ist ja verrückt.«

Zögernd stehe ich auf, lasse das Armband dabei in meiner Jackentasche verschwinden, wo es bis zum Rückflug auch bleiben wird, und gebe ein zustimmendes »Absolut« von mir, ehe ich auch dem Pärchen in der Reihe hinter mir freundlich zunicke. Sie sind etwa in meinem Alter, Olivia wirkt zwei, drei Jahre älter als Liam, was aber an dessen Sommersprossen liegen könnte. Ein dunkler Bob umrahmt ihr herzförmiges Gesicht. Nur die Haarspitzen sind blondiert.

Erst erwidert sie mein Lächeln, doch dann verkrampft sich ihr Gesichtsausdruck. Ihr leises »Liam« klingt wie eine Warnung, als sie sich zu ihrem Freund beugt, dessen Pupillen sich vor Aufregung weiten. Olivia schlägt ihm mit den Fingerspitzen drohend auf den Schirm seiner Kappe, auf dem ich erst beim zweiten Hinsehen ein mir bekanntes Logo identifiziere. Und schon in der nächsten Sekunde wird klar, woher Olivias plötzlicher Stimmungswechsel kommt. Liam ist Fan des Collegeteams, das ich jedes Spiel als Kapitän auf den Platz führe.

»Spielst du zufällig Basketball?«, fragt er, während sich seine Freundin stöhnend zurücklehnt.

»Ja«, antworte ich. »Seit vorletztem Semester bin ich im Team der Los Angeles Squirrels.«

»Echt krass, ich hatte es so gehofft, als ich deinen Namen auf der Liste gesehen habe! Der Big Dance letzten Monat lief ja leider beschissen …« An unsere haushohe Niederlage gegen Missouri vor drei Wochen will ich jetzt ganz bestimmt nicht erinnert werden. Auf mein Schulterzucken hin ergänzt Liam mit einem breiten Grinsen: »Wird schon wieder. Dein Interview vor dem Spiel war jedenfalls ziemlich beeindruckend. Ich glaube, die meisten Amerikaner wissen gar nicht, was im Collegesport alles schiefläuft. Und die Sache mit deinen Eltern … sorry, Mann. Klingt echt hart.«

»Liam! Nicht hier …«

Olivias erneute Ermahnung verhindert nicht, dass die Erinnerung ungebremst wie ein Meteorit in meinen Verstand einschlägt. Das Interview war mein erstes überhaupt und prompt wurde ich auf meine Familie angesprochen. Obwohl ich nur vage geblieben bin, bereue ich es mittlerweile, denn jedes Wort in Bezug auf meine Familie ist eines zu viel. Es ist Jahre her, doch in diesem Moment kommt es mir vor, als wäre alles erst gestern zersplittert.

»Wir haben einen erfolgreichen Basketballprofi in der Gruppe?«, blockt Maria erfolgreich meinen gedanklichen Eigenkorb ab, während sie sich ein zweites Mal an mir vorbeiquetscht und auf ihren Sitz fallen lässt. »Nicht schlecht.«

»Collegebasketball«, verbessere ich und bevor ich die Nachfrage, was denn beim Collegesport nicht funktioniere, beantworten kann, bittet mich eine zweite Flugbegleiterin, mich wieder hinzusetzen, damit sie den Trolley neben mir positionieren kann.

Collegeathleten verdienen keinen Cent für ihre wöchentliche Leistung auf dem Platz, während die Fernsehanstalten und Colleges mit uns Millionen umsetzen. Entschädigt werden wir von der Uni in der Regel mit Stipendien, freier Kost und Logis sowie kostenlosem Zugang zu Lehrmaterial und Tutoren. Dass das nicht immer ausreicht, weiß ich wohl besser als viele andere. Meinem Ärger habe ich während des jährlich stattfindenden Collegebasketballtourniers – des Big Dance – in einem Interview Luft gemacht, ehe die Reporterin mich mit einer Frage zu meinen Eltern aus dem Konzept gebracht hat.

Ich drehe mich zurück nach vorn, klappe meinen Tisch herunter und schaue stumpf auf den Apfel, der statt eines voll beladenen Tabletts darauf abgelegt wird. Wunderbar.

»Darf ich Ihnen noch etwas anderes anbieten? Einen Joghurt vielleicht? Oder nicht doch die Lasagne?«

»Schon in Ordnung.« Ich greife nach dem Obst und beiße ein Stück ab, womit die Flugbegleiterin nicht besänftigt ist.

Ich habe einen festen Ernährungs- und Trainingsplan, an den ich mich normalerweise strikt halte. Nur nichts zu essen ist noch schlimmer als eine falsche Ernährung. Aber ich würde eher meinem alten Basketballteam eine hübsche Urlaubskarte nach San Diego schicken, als freiwillig wieder zu Fleisch zu greifen. Ich halte mich an eine vegetarische Ernährung und das erkläre ich der Dame gerade zum dritten Mal.

»Geben Sie mir einfach noch einen Apfel und dazu einen Orangensaft.«

Mit einem entschuldigenden Lächeln stellt die Flugbegleiterin die übrigen Tabletts in meiner Reihe ab, reicht mir zwei Äpfel, einen Müsliriegel und gleich drei kleine Glasflaschen mit Orangensaft, ehe sie den Trolley zur nächsten Reihe weiterschiebt.

Während des Essens ist es zu still in der Flugzeugkabine. Die Gedanken surren durch mein Hirn wie eine aggressive Mücke. Seit meinem Neustart am College in Los Angeles habe ich mich verändert. Dass Leni mich auf dem Festival letztes Jahr überhaupt auf Tinder wiedererkannt hat, ist mir ein Rätsel. Wieso sie mich um ein Treffen bittet, dann aber versetzt, begreife ich erst recht nicht.

Davor hatten wir drei Jahre lang keinen Kontakt. Und in San Diego waren es nur wenige Stunden, die wir zusammen verbracht haben. Ich hätte nie gedacht, dass mich Leni länger beschäftigen wird als ein paar Tage.

Ich meine: Was um alles in der Welt hat sie damals in mir ausgelöst, das mich monatelang an das unsichere Mädchen aus Deutschland denken ließ und mir bis heute Herzklopfen beschert?

Immer mal wieder habe ich überlegt, ob ich nach ihr suchen soll, die Idee aber schnell wieder verworfen, weil sie mir in San Diego eine falsche Handynummer gegeben hat. Sie wollte nicht von mir gefunden werden. Und dann matchen wir ausgerechnet auf einem Rockfestival in Deutschland, das ich nur meinen Mannschaftskollegen zuliebe besucht habe.

Schicksal, könnte man meinen. Alles kommt, wie es kommen soll. Doch fürs Erste bekam ich auf dem Festival lediglich einen weiteren Korb. Trotzdem bin ich jetzt auf dem Weg zurück zu Leni. Und das ist die vielleicht dümmste Entscheidung meines Lebens.

»Möchtest du ganz sicher nichts von der Lasagne?«

Kurz bin ich von dem tropfenden Haufen Nudeln mit winzigen Fleischkrümeln in Tomatensauce auf Marias Gabel abgelenkt, dann schüttle ich den Kopf. »Schon in Ordnung. Ich habe noch einen weiteren Müsliriegel im Rucksack.«

»Davon wird man doch nicht satt.«

»Es ist wirklich okay.«

Maria schnalzt mit der Zunge und schiebt sich die Gabel in den Mund. »Ich frag ja nur.«

Um einem weiteren Bemutterungsversuch zu entgehen, ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und scrolle mich durch den Chatverlauf mit Simon, bis ich die Bleistiftskizze einer Mülltonne finde, die mir mein Kommilitone und Mannschaftskollege für ein gemeinsames Uniprojekt geschickt hat.

Simon ist drei Jahre jünger als ich und superzuverlässig. Im Gegensatz zu mir nimmt er sich nach dem Big Dance keine Auszeit von der Uni, sondern arbeitet weiter an unserer gemeinsamen Hausarbeit in Public Space and Landscape.

Seine enthusiastische Art erinnert mich an meine Eltern.

Dad arbeitete bis zu seinem Tod bei der städtischen Müllentsorgung und Mom verbrachte die meisten Sommer als Aushilfsrangerin in einem Nationalpark. Sicher wären beide stolz, wenn sie wüssten, dass ich im Hauptfach mittlerweile nachhaltiges Ressourcenmanagement an der UCLA studiere.

Ich hebe den Blick, wische mir unbemerkt über die Augen und stecke mein Handy zurück in den Rucksack. So allmählich ist der perfekte Moment für dramatische Filmmusik. Denn dass ich in einem Flieger nach Deutschland sitze, kommt mir mit jeder Meile, die wir uns Frankfurt nähern, absurder vor. Und wenn ich in neun Tagen auf dem Rückweg nach Los Angeles bin, wird mein Leben ziemlich sicher verändert sein.

Nur weiß ich noch nicht, ob das gut oder schlecht ist.

STEHST AM ANFANG DEINER REISE. DU WEISST NICHT, WAS VOR DIR LIEGT, ABER DU WIRST DICH BEWEISEN, AUCH WENN ES FRAGEN GIBT.

*Und davon gibt es während einer Rundreise viele, so viel steht fest.

Leni

Leni: Du bist suspendiert worden?!?! Weißt du, was das bedeutet???

Leni: Jakob? Ist das dein Ernst?! Antworte mir oder geh an dein Handy, wenn ich dich anrufe! Du kannst mich nicht einfach so ignorieren.

Ich stecke das Handy zurück in meine Jackentasche. Die erste Mitteilung an meinen jüngeren Bruder ist seit Samstag unbeantwortet. Meine letzte Nachricht ging raus, unmittelbar nachdem ich das Flughafengebäude in Frankfurt betreten hatte. Keine zehn Minuten sind seitdem vergangen und trotzdem habe ich schon dreimal daran gedacht, zurück nach Berlin zu fahren, um Jakob dort zu erwürgen.

Die Ankunftshalle ist für einen Dienstagmittag ungewöhnlich voll. Neben mir wippt eine junge Frau mit Blumen und einem Willkommensplakat auf und ab. Zweifelnd streiche ich die Kanten des Papiers in meiner Hand glatt und fahre mit dem Zeigefinger entlang des schwarzen Aufdrucks darauf.

Travel Group Lück steht auf dem schlichten Zettel. Jedes Mal komme ich mir unfassbar blöd vor, wildfremde Menschen damit vom Flughafen abzuholen. Okay, das ist gelogen. Diesmal kenne ich einen der fünf angemeldeten Teilnehmer: Edward Meyer.

Als ich erfahren habe, dass ausgerechnet er sich für die Tour angemeldet hat, dachte ich, das müsse ein besonders schlechter Witz sein.

Ist es ganz sicher auch, aber einer, der schon vergangenen Sommer auf dem Rockfestival begann. Ich war mir sicher, dass meine abrupte Flucht unsere einzige Chance auf ein Wiedersehen zerstört hat, aber in wenigen Minuten könnte ich eines Besseren belehrt werden.

Laut Anzeigetafel ist der Flieger gerade gelandet. Edward ist zurück in Deutschland. Und diesmal kann ich nicht vor ihm wegrennen.

Ich verlagere mein Gewicht auf mein anderes Bein, atme tief durch und versuche zu verdrängen, dass mir seit dem Aufstehen eine nervöse Anspannung durch den Bauch rumort, die mich dazu zwingt, fast durchgehend an Edward zu denken. Er hat ohne einen weiteren Kommentar ausgerechnet bei dem Reiseunternehmen meiner Eltern eine nicht gerade günstige Reise gebucht, obwohl ich ihn auf dem Festival versetzt habe. Sein Selbstbewusstsein hätte ich gerne.

Dann würde ich jetzt nicht noch ein drittes Mal die Teilnehmerliste und Reisedokumente durchgehen und einen letzten Blick über die Schulter in Richtung Flughafenparkplatz werfen, wo Johann in unserem reichlich abgenutzten Mercedes-Minibus auf die Reisetruppe und mich wartet. Das Willkommensschild halte ich auf Brusthöhe, die Dokumente klemmen unter meiner Achsel.

Ich habe mir vorgenommen, Edward wie alle anderen Teilnehmer zu behandeln. Obwohl er etwas über mich weiß, das mir bis heute Unwohlsein beschert. Weil ich es anders nicht aushalte, hole ich zur Beruhigung wieder mein Handy aus der Hosentasche und nutze die letzte Gelegenheit, um einen kurzen Blick darauf zu werfen. Von Jakob kam immer noch nichts, aber Papa hat mir geschrieben.

Papa: Seid ihr schon in Frankfurt? Ist alles gut gelaufen? Mama fragt, ob du etwas von Jakob gehört hast. Dein Bruder reagiert auf keine Nachricht, Anrufe drückt er weg. Kannst du versuchen, zu ihm durchzudringen? Vermutlich hört er im Moment nur auf dich …

Das bezweifle ich. Ich schlucke hart, als ich das Handy wieder wegpacke. Es ist das erste Mal, dass Jakob mich ignoriert. Mein kleiner Bruder ist niemand, der Streit sucht. Trotzdem hat ihn sein Verein mit dieser Begründung bis auf Weiteres suspendiert. Damit riskiert er eine vielversprechende Karriere als Profifußballer, für die meine Familie seit Jahren alles hintanstellt.

Jakobs Talent ist der Grund, weshalb unser Vater die Zukunft des Reiseunternehmens automatisch immer in meine Hände gelegt hat. Wegen Jakob sind mir meine eigenen Träume nicht wichtig. Für ihn tue ich alles. Manchmal mehr, als gut für mich ist, und jetzt …

»Holst du auch deinen Freund ab?«

Lächelnd mustert mich die Frau neben mir, den Blumenstrauß und ihr Plakat hat sie zwischen ihre Beine geklemmt, um sich die Haare zurückzubinden. An ihrem hellen Haaransatz bilden sich feine Schweißperlen.

Es ist recht warm heute, der erste frühlingshafte Tag des Jahres – Anfang April –, weshalb ich ein kurzärmeliges Shirt zu meiner Jeans trage und die Winterjacke bei Johann im Reisebus liegt. Die gefütterten Ankle-Boots habe ich gegen sommerliche Sneaker getauscht.

Die junge Frau trägt Reiterstiefel. Sofort bildet sich ein Kloß in meinem Hals. Ich versuche ihn hinunterzuschlucken, was mir nur mühsam gelingt.

»Nein, ich warte auf eine Reisegruppe aus Amerika«, stoße ich hervor.

Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, ziehen sich ganz automatisch ihre Augenbrauen zusammen. »Hä? Wer schaut sich denn freiwillig Deutschland an?«

»Na, ganz offensichtlich ich.« Ehrlicherweise übernehme ich die meisten Touren nicht freiwillig, aber ich kann keine Fahrt ablehnen.

Unser Reiseunternehmen ist winzig. Früher hat mein Vater jeden Mitarbeiter überdurchschnittlich bezahlt und ausreichend Urlaub und Freizeit gewährt. Doch mittlerweile ist das finanziell nicht mehr drin und deshalb laufen uns die Leute weg. An allen Ecken muss gespart werden. Im Moment arbeiten nur noch drei festangestellte Busfahrer für unsere Firma. Meine Mutter kümmert sich gemeinsam mit Jakob um die Administration und mein Vater und ich arbeiten als Guides, gelegentlich unterstützt von studentischen Aushilfen oder Jakob. Mein Urgroßvater hat das Reiseunternehmen vor mehr als neunzig Jahren gegründet, Papa hat es weitergeführt, und in wenigen Jahren soll ich die Firma übernehmen, obwohl es schon länger nicht mehr rundläuft. Papa würde diese Tatsache gerne vor uns geheim halten, aber ich kenne die Zahlen.

»Viel Glück, dass sie Deutschland und deine Tour mögen«, sagt die junge Frau jetzt und greift seufzend nach Plakat und Blumen. Ich nicke, weil ich bei jeder Rundreise tatsächlich am meisten Angst davor habe, dass irgendjemand dem Reiseunternehmen im Nachhinein eine miese Onlinebewertung gibt. Eine schlechte Rezension kann bei einem Kleinunternehmen einen großen Schaden anrichten.

Da stößt die Frau mit den Reiterstiefeln plötzlich einen freudigen Ausruf aus und rennt auf einen Mann zu, der mit seinem Designeranzug und den glatt gegelten Haaren wie jemand aussieht, der eine Bankfiliale leitet. Er nimmt seine Freundin in den Arm, während ich mein Willkommensschild an den Brustkorb drücke, in dem mein Herz losgaloppiert, als wäre das hier der Moment in einem Horrorfilm, kurz bevor die Musik anschwillt und der Mörder sein Opfer in der Dunkelheit überrascht.

Ich bin immer noch damit beschäftigt, meine Gedanken zu sortieren, als mehr Menschen von der Kofferausgabe in die Halle strömen. Um mich herum wird es unruhig, Leute recken ihre Hälse und winken. Nur ich weiß nicht wohin mit mir. Mein Blick sucht automatisch nach Edward, während ich meine Puddingbeine gleichzeitig mit aller Kraft auf den Boden pressen muss, um nicht wegzurennen.

Ein weiteres Mal glätte ich das Willkommensschild, halte mich an dessen Kanten fest und starre für ein paar Sekunden auf die blau-rosa Schnürsenkel meiner Sneaker, ehe …

»Sorry … äh, Leni?«

Mein Kopf zuckt so heftig nach oben, dass die ältere Dame mit rot-weiß karierter Bluse, kurz geschnittenem ergrautem Haar, einer khakifarbenen Wanderhose und schwarzen Westernstiefeln, zu der die freundliche Stimme gehört, ein Stück zurückweicht.

»Ist das die Deutschland-Tour mit Lück?«, hakt sie in fast akzentfreiem Deutsch nach und schielt auf das Willkommensschild in meiner Hand. »Sorry, da steht es ja … ich bin die Maria. Meine Großmutter kommt aus Recklinghausen und meinem verstorbenen Mann gehörte ein Finanzunternehmen in Houston. Wir waren früher oft gemeinsam in Frankfurt.«

Ich ergreife ihre Hand und sehe einem bunten Perlenarmband dabei zu, wie es an Marias Arm nach unten rutscht. »Leni«, stelle ich mich unnötigerweise vor und streiche Marias Namen von meiner Liste. Mein entschuldigendes Lächeln sieht sie nicht, da ihr Blick gerade zu einem jungen Paar wandert, das Händchen haltend auf uns zukommt. Selbst aus der Distanz erkenne ich, dass auch sie bunte Perlenarmbänder tragen. Und ich bin fast ein wenig erleichtert, als Maria die beiden mit einem »Liam, Olivia!« begrüßt, sodass ich noch kurz Zeit habe, um mich zu sammeln.

»Hey, ihr zwei«, begrüße ich das Pärchen auf Englisch. »Setzt euch gerne, solange wir noch auf die anderen Teilnehmer warten.«

Liam nickt, stellt einen riesigen roten Koffer zur Seite und hockt sich mit einem breiten Grinsen neben seine Freundin. »Hast du dir Deutschland so vorgestellt?«, fragt er und legt einen Arm um Olivia. Sie zwinkert mir unter ihrem blondierten Pony erst zu, dann nickt sie mit einem Schmunzeln in Liams Richtung. »Noch habe ich ja nicht viel davon gesehen.«

»Ich war ein einziges Mal als Kind hier«, erklärt Liam und dreht den Schirm seiner Baseballkappe nach vorn. Auf der Mütze prangt ein Logo mit einem Eichhörnchen und einem Basketball. »Mein Opa war Soldat in Friedberg. Wenn alles stimmt, was er erzählt hat, muss das Leben in Deutschland irre schön sein.«

»Deutschland ist wunderbar.« Maria ist zurück ins Englische gewechselt. Sie wuchtet einen bunten Trekkingrucksack von ihren Schultern und setzt sich auf den freien Platz neben Liam. »Mein Mann und ich waren immer nur zum Arbeiten hier. Da sieht man bis auf Hotels und Messegelände ja kaum etwas. Joseph hat mir versprochen, dass wir irgendwann im Alter einen langen Urlaub machen, uns ganz Deutschland zusammen anschauen. Dann ist er plötzlich verstorben.« Sie seufzt leise. »Wir haben keine Kinder. Also wurde ich das Finanzunternehmen irgendwie los und nun bin ich eben alleine zurückgekommen. Ich hab ja Zeit.«

»Es ist schön, dass du hier bist, Maria«, erwidere ich mit einem Lächeln, das sich kurz darauf zu meiner Erleichterung auch auf ihrem Gesicht ausbreitet, ehe sie anfügt: »Ist schon ein paar Jahre her, alles gut. Ich freu mich auf die Rundreise und ich weiß, dass Joseph mir zuschaut.«

»Ganz bestimmt.«

Kurz ist es still, dann räuspert sich Olivia leise. »Ich war noch nie in meinem Leben außerhalb der Vereinigten Staaten.« Sie presst die Lippen zusammen und es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass ihr diese Tatsache unangenehm ist. Sie dreht sich eine der blondierten Haarspitzen um den Finger. »Ich kenne eigentlich nur Berlin, weshalb wir uns auch die ›Deutschland ist mehr als Berlin‹-Tour ausgesucht haben. Sorry, wenn ich damit alle Klischees einer Amerikanerin erfülle.«

»Keine Sorge.« Mit der flachen Hand klopft Maria auf ihre schwarzen Westernstiefel. Das Perlenarmband klimpert leise. »Den Job übernehme ich für dich.«

Die drei lachen, während ich mich umdrehe und mein Blick auf der Suche nach Edward über die Menschen hinweggleitet. Ich kann ihn nirgendwo entdecken. Vielleicht kommt er ja nicht?

»Imogen, hier!« Maria hebt eine Hand und winkt einem Mädchen mit riesigen Kopfhörern um den Hals und einer Bauchtasche zu. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet, wodurch das bunte Armband um ihr Handgelenk deutlich hervorsticht. Imogen bleibt erst ruckartig stehen und läuft dann mit einem erleichterten Gesichtsausdruck auf uns zu.

»Wir haben uns schon alle im Flieger kennengelernt und Maria hat uns Armbänder geschenkt«, erklärt Olivia lächelnd und als würden meine Gedanken von meinem Kopf in ihren transportiert werden, fügt sie an: »Jetzt fehlt eigentlich nur noch Edward.«

In meinem Brustkorb zieht es und ich gebe Imogen mit einem Nicken zu verstehen, dass sie neben den anderen Platz nehmen soll.

»Ich kann echt nicht mehr sitzen!« Mit einem tiefen Ausatmen legt Imogen ihren Rucksack auf einen freien Metallstuhl und öffnet den Reißverschluss ihrer Bauchtasche. »Noch jemand Kaffee?«

Liam, Olivia und ich nicken, Maria lehnt dankend ab und tippt schnell eine Nachricht auf ihrem Handy, als Imogen in Richtung Starbucks geht. Beim Gehen reckt sie kurz den Hals und plötzlich winkt sie.

»Edward!«

O mein Gott. Mein Herz beginnt zu rasen. Wahrscheinlich starre ich ihn an wie einen Fremden. Er trägt kein Armband, das fällt mir als Erstes auf. Wie in Zeitlupe wandert mein Blick von dem sportlichen Typen mit einschüchternd selbstbewusstem Gang zu dem schwarzen Schalenkoffer, den er locker mit dem Fuß neben sich herschiebt. Ich kann den Gedanken nicht verhindern. Wie schon auf dem Festival ploppt er ungebremst auf: Edward sieht so verändert aus.

Krampfhaft überkreuze ich meine Beine, weil es nicht mehr ausreicht, nur die Füße auf den Boden zu pressen.

Edward wirkt älter und viel selbstbewusster, irgendwie glücklicher als in San Diego. Sosehr es mich freut, dass er mit sich im Reinen zu sein scheint, der Gedanke, dass ich hingegen noch immer am liebsten vor ihm fliehen will, lässt mich innerlich ganz klein werden. Jahrelang hatte ich das Bild eines blassen, schlaksigen Typen im Kopf, mit dunklen Schatten unter den Augen und einer unerklärlichen Hilflosigkeit im Blick. Nun steht er in der Realität vor mir und sieht aus wie … mir fällt ja noch nicht einmal etwas Passendes ein, außer: Edward hat die letzten Jahre offenbar in vollen Zügen genossen und sich weiterentwickelt, und mein Leben befindet sich noch immer im Stillstand.

»Äh, Leute«, sagt Edward und ich dränge mit aller Kraft das Brennen in meinen Augen zurück, weil seine tiefe, kontrollierte Stimme mich gewaltig einschüchtert. »Ich dachte, die haben meinen Koffer verloren.«

Wie in Trance warte ich darauf, dass er sich zu den anderen setzt. Doch er bleibt neben mir stehen. Und allmählich frage ich mich, wieso ich die Augen zwar vor einer Sache verschließen kann, vor meinen wirren Dauerschleife-Gedanken hingegen nicht.

»Dann sind wir ja endlich vollzählig«, presse ich hervor und schlucke erneut. Klang das patzig? Nach einem ungerechtfertigten Vorwurf? Ich räuspere mich und richte den Blick zur Sicherheit auf Liam, Maria und Olivia. »Herzlich willkommen in Frankfurt! Mein Name ist Leni Lück und ich bin eure Tourbegleitung, was ja bereits allen bekannt sein sollte. Ihr könnt euch bei Fragen jederzeit an mich wenden. Ich freue mich darauf, euch in den kommenden Tagen durch Deutschland zu begleiten.«

Beim Reden schaue ich kein einziges Mal zu Edward und beuge mich so weit es geht von ihm weg, weil ich befürchte, dass allein sein Geruch meinen emotionalen Notstand noch weiter verschlimmert. Ob irgendwem aufgefallen ist, dass ich nur ihn nicht mit einem freundlichen Lächeln begrüßt habe? Dass ich ihn übergehe? Ich hoffe nicht.

Ich will verhindern, dass seine Anwesenheit etwas an meiner Professionalität ändert. Ich werde nicht vor ihm und dem Geheimnis, das er über mich kennt, weglaufen. Denn Ellas Lieblingssänger Louis Tomlinson hat eben nicht recht: It’s NOT bigger than me.

Zum Glück legt Maria in genau dieser Sekunde ihre Hand auf meine Schulter. Ihre Nachfrage bremst mein Gedankenkarussell. »Wie ist das denn jetzt vom Programm her? Fahren wir gemeinsam ins Hotel?«

»Wenn Imogen zurück ist, gehen wir nach draußen zum Bus, in den ihr eure Koffer laden könnt. Dann fährt euch Johann für heute ins Hotel, damit ihr euch vom Flug erholen könnt, ehe es morgen nach Bayern geht.«

»Oktoberfest!«, grölt Liam und hält Edward seine Faust hin, eine Geste, die nur zögernd erwidert wird. »Ich weiß gar nicht, ob ich so viel Bier auf einmal trinken kann.«

»Das Oktoberfest ist im September. In der Broschüre steht, dass wir morgen Abend ein Mittelalterfestival in der Nähe von Schloss Neuschwanstein besuchen werden.« Edward wartet auf meine Bestätigung, doch mein Blick weicht ihm automatisch aus und landet auf Imogen, die auf uns zukommt.

»Genau, ja. Danke für den Kaffee.« Der Becher, den Imogen eben noch zusammen mit den anderen dreien irgendwie auf ihren Händen balanciert hat, wandert zu mir. »Wir können los.«

Ich komme mir so falsch dabei vor, in möglichst großem Abstand zu Edward und der Gruppe zum Bus zu laufen. Normalerweise nutze ich die ersten Minuten dazu, einen Draht zur Reisegruppe zu finden. Das kann ich im Moment vergessen. Immer wieder wallt Überforderung in mir auf. Vielleicht muss ich mich nur an die seltsame Situation gewöhnen?

»Hey …« An meiner Schulter spüre ich eine Hand und zucke heftig zusammen. »Sorry!« Edward lässt mich ruckartig los und weicht zurück. »Das war total unüberlegt. Sorry«, sagt er wieder. »Ich hab nicht nachgedacht, entschuldige. Aber … ist alles okay bei dir?«

Ich würde lachen, wenn es nicht so unfassbar traurig wäre. Geradezu entwaffnend im Hinblick auf meine Gedanken vor wenigen Minuten. Die Sache ist also keine Nummer zu groß für mich? Vielleicht überlege ich mir das noch mal, denn … Es ist dieselbe Frage, die ich Edward vor über vier Jahren in San Diego gestellt habe. Ist alles okay bei dir? Die ersten Worte, die wir ausgetauscht haben, bevor er mich auf ein Date eingeladen hat. Und die mich jetzt endgültig durcheinanderbringen.

Nein, will ich ihm entgegenbrüllen, nichts ist in Ordnung. Weil ich mir nun zu einhundert Prozent sicher sein kann.

Edward hat mein Geheimnis nicht vergessen.