Whisper - Bis ans Ende unserer Zeit - Vaelis Vaughan - E-Book

Whisper - Bis ans Ende unserer Zeit E-Book

Vaelis Vaughan

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Beschreibung

Whisper - Bis ans Ende unserer Zeit Gay Dark Romance Print 465 Seiten inkl. Illustrationen - Von himmelblauer Begierde, lüsternen Bürotigern und sprechendem Unkraut - Atlanta, Herbst 2050 - Sky ist ein schüchterner, unauffälliger Angestellter, der sich nur wenig um sein Äußeres kümmert und hauptsächlich von Kaffee lebt. Seine einzigen Hobbys sind seine Pflanzen, besonders Farne, und ein Megatank mit ein paar langweiligen Fischen. Sein Leben verläuft ruhig und ohne große Überraschungen, bis Jax, der neue Brand Manager, in seiner Firma auftaucht. Als Sky den attraktiven und selbstbewussten Kollegen kennenlernt, verliebt er sich sofort, und plötzlich steigt ein tief verborgenes Verlangen in ihm auf. Jax, der das völlige Gegenteil zu sein scheint, extrovertiert, kontaktfreudig und ohne jegliche Berührungsängste, sei es gegenüber Frauen oder Männern, hat hingegen kein ernsthaftes Interesse. Er bemerkt jedoch, dass er zu Skys Schwarm avanciert ist und genießt er es, ihn damit zu necken. Das er dabei mit dem Feuer spielt und sein verschlossener Kollege nicht so harmlos ist, wie er denkt, bemerkt er erst, als es zu spät ist ... »Whisper - Bis ans Ende unserer Zeit« ist ein heißer, düsterer Liebesroman, der dich mit all seinen überraschenden Wendungen und intensiven Emotionen voll in seinen Bann ziehen wird ...

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Klappentext
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Nachwort
Content Notes
Danksagungen
Über Vaelis
Leseprobe
Impressum
Fußnoten

Klappentext

Whisper - Bis ans Ende unserer Zeit

Dark Gay Romance

 

Atlanta, Herbst 2050 - Sky ist ein schüchterner, unauffälliger Angestellter, der sich nur wenig um sein Äußeres kümmert und hauptsächlich von Kaffee lebt. Seine einzigen Hobbys sind seine Pflanzen, besonders Farne, und ein Megatank mit ein paar langweiligen Fischen.

Sein Leben verläuft ruhig und ohne große Überraschungen, bis Jax, der neue Brand Manager, in seiner Firma auftaucht. Als Sky den attraktiven und selbstbewussten Kollegen kennenlernt, verliebt er sich sofort, und plötzlich steigt ein tief verborgenes Verlangen in ihm auf. Jax, der das völlige Gegenteil zu sein scheint, extrovertiert, kontaktfreudig und ohne jegliche Berührungsängste, sei es gegenüber Frauen oder Männern, hat hingegen kein ernsthaftes Interesse. Er bemerkt jedoch, dass er zu Skys Schwarm avanciert ist und genießt er es, ihn damit zu necken. Das er dabei mit dem Feuer spielt und sein verschlossener Kollege nicht so harmlos ist, wie er denkt, bemerkt er erst, als es zu spät ist ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dies hätte eine perfekte, rosige,

schwule Liebesgeschichte werden können.

...

Aber davon gibt es doch eh schon viel zu viele ...

 

 

Kapitel 1

______________

 

 

 

 

Als ich an diesem kühlen Oktobermorgen vollkommen ahnungslos zum Konferenzraum schlurfe, in welchen uns Derek, unser Marketing Director, zu einer spontanen Besprechung geordert hat, habe ich noch nicht einmal meinen ersten Kaffee getrunken.

Müde peile ich daher erstmal unseren Vollautomaten in der offenen Küche an und zapfe mir eine Tasse lauwarme Koffeinplörre, indessen ich mir den Rest meines Schoko-Nuss-Riegels reindrücke. Oben, nicht unten, versteht sich. So entgehe ich dem Gedränge vor der Tür und verhindere, während Dereks zu erwartenden Langzeitmonolog einzuschlafen, denn so früh am Morgen bin ich noch viel zu müde für seine selbstherrlichen Vorträge.

Ein Schuss Milch und zwei Stangen Rohrzucker landen ebenfalls in der braunen Brühe, sonst ist sie mir zu bitter und ich krieg sie nicht runter. Anschließend muss ich meine verfluchte Brille wieder hochschieben, denn die rutscht mir ständig von der Nase, wenn ich den Kopf neige.

In Ermangelung eines Löffels, die hier seltsamerweise spätestens um zehn nach acht Mangelware sind, rühre ich die Mixtur mit dem Finger um. Während meine dienstbeflissenen Kollegen an mir vorbeiziehen, stecke ich ihn in den Mund und ziehe ihn gedankenversunken wieder heraus, was ihnen angewiderte Blicke entlockt.

»Du uns auch, Skyler«, zischt mir Sienna zu, unsere schicke Social Media Managerin, und ich bemerke erst jetzt, dass es ausgerechnet der Mittelfinger war, den ich da gerade sehr provokativ abgelutscht habe. Doch ehe ich mich entschuldigen kann, stolziert sie mit den anderen kopfschüttelnd weiter, um sich die besten Plätze zu sichern, welche es, meiner Auffassung nach, an einem ovalen Tisch sowieso nicht gibt.

›Na klasse. Die Woche fängt ja wieder super an.‹

Sobald ich dem Pulk folge und als letzter in den lichtdurchfluteten Gang einschwenke, der zu meinem Ziel führt, höre ich eine tiefe, männliche Stimme, die immer und immer wieder »Guten Morgen ... Guten Morgen ...« herunterbetet.

Sofort muss ich mir das Grinsen verkneifen, denn die Situation erinnert mich an einen Pastor aus meiner Kindheit, der es sich zu keinem Gottesdienst hat nehmen lassen, jedes seiner Schäfchen beim Eintritt in die Kirche persönlich zu begrüßen.

Mit diesem Bild vor Augen betrete ich den großen Konferenzraum, doch im Gegensatz zu dem glatzköpfigen Lappen in seiner schwarzen Robe verschlägt mir der Fremde, der neben der Tür wartet, um auch mich zu begrüßen, komplett die Sprache.

Ich bin schockverliebt.

»Guten Morgen«, säuselt der hinreißende Halbgott mit dem Kinn einer griechischen Statue erwartungsgemäß auf mich herunter und ich muss aufpassen, dass mir nicht die Tasse aus den schlagartig schweißig werdenden Händen glibscht.

Ein unglaublich betörender Duftmix aus Amber, Kaschmirholz1, Karamell und Ingwer umnebelt mich und augenblicklich höre ich Truly Madly Deeply, den ultrakitschigen Liebessong von Savage Garden in meinem Kopf! In Zeitlupe sehe ich, wie feine Glitzerpartikel in den schimmernden Strahlen der aufgehenden Sonne durch den fransig geschnittenen, hellbraunen Surferhaarschnitt meines lächelnden Gegenübers tanzen. Wahrscheinlich ist es nur Staub, aber egal. Er glitzert, verdammt!

»G-Guten Morgen«, stottere ich und starre erst eine peinliche Weile in diese umwerfend mintgrünen Augen, ehe ich auf seine sinnlichen Lippen umschwenke, die von einem so unverschämt gleichmäßigen Fünf-Tage-Bart umgeben sind, dass ich mir mit meinem Fleckenteppich vorkomme wie ein Teenager, dem über Nacht die ersten Sackhaare gesprossen sind.

»Sind Sie der Letzte?«, hakt er nach und ich nicke wie ein grenzdebiler Nacktmull mit Brille. »Okay, dann mach ich jetzt zu. Setzen Sie sich doch.«

»J-Ja.«

Allein, dass er mich dazu auffordern muss, zeigt mir unmissverständlich, wie unangemessen lange ich ihn gerade angestarrt habe. Aber erst als ich es schaffe, meinen Blick von ihm abzuwenden und in der Runde meiner Kollegen nach einem freien Platz zu suchen, bemerke ich, wie auffällig meine Schockstarre war. Alle grinsen mich an, einige tuscheln sogar hinter vorgehaltener Hand, und schlagartig schießt mir das Blut aus dem Schoß in die Wangen.

›Fuck!‹

Das Geräusch der sich schließenden Tür bringt mich endlich in Bewegung. Peinlich berührt laufe ich zu dem am weitesten entfernten Platz, direkt neben Bruce, dem Leiter unseres E-Commerce-Teams, setze mich zügig und starre nur noch in meine Batman-Tasse, doch da stößt mich mein Kollege auch schon mit dem Ellenbogen an.

»Mach dir nix draus. Bist nicht der Einzige, der ihn angestarrt hat«, flüstert er aufmunternd und verschränkt die Arme über seiner Wampe. »Is` halt n` Schnittchen. Kann dir keiner verübeln.«

Ich versuche, mich zusammenzureißen und zu lächeln, während ich ihm zunicke und verlegen an meinen langen Zotteln herumfummle. Trotzdem glühe ich vor Scham bis zu den Ohren.

»Sind wir jetzt vollzählig?«, höre ich Derek fragen und es ertönt zustimmendes Gemurmel, also legt er los, während ich langsam wage, wieder aufzuschauen. »Heute habe ich das Vergnügen, Ihnen allen unseren neuen Brand Manager vorzustellen. Bitte begrüßen Sie Mister Jaxon Hayes.« Dabei deutet er auf den großen Mann neben ihm, was vollkommen überflüssig ist, denn der steht ja so schon im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, doch auf den Wink wird wie bescheuert geklatscht, als hätte er gerade einen Oscar bekommen. Sobald wieder Ruhe einkehrt, fährt unser Abteilungsleiter fort und reicht dem Neuen die Hand. »Auch noch mal von mir, ganz offiziell, herzlich willkommen bei UrbanGoods!«

»Danke«, antwortet dieser etwas verhalten, doch Derek hört sich zum Glück gern selber reden und spricht einfach weiter: »Jaxon ist ab jetzt für die Entwicklung und Umsetzung der Markenstrategie von UrbanGoods verantwortlich. Er überwacht die Wahrnehmung der Kunden, führt Marktanalysen durch und wird sich mit verschiedenen Abteilungen abstimmen, um sicherzustellen, dass alle Berührungspunkte der Marke mit den Unternehmenszielen übereinstimmen. Er wird uns bei der Entwicklung von Kampagnen helfen, die das Engagement der Kunden und die Markenloyalität stärken.« Er atmet durch, dann klopft er dem Neuen auf die Schulter. »Möchten Sie vielleicht noch ein paar Worte über sich erzählen?«

»Gerne.« Er nickt unserem Marketing-Director zu, beleckt kurz seine strahlend weißen Zähne, mit denen er ohne Probleme für eine Zahnpastawerbung posieren könnte, und schaut in die Runde, während sich Derek etwas schwerfällig in einen Stuhl sinken lässt. »Vielen Dank, dass Sie mich hier so freundlich willkommen heißen. Ich freue mich sehr darauf, mit Ihnen allen zu arbeiten und UrbanGoods auf die nächste Stufe zu heben!« Seine Worte sind ruhig und selbstbewusst. Gleichzeitig kann man förmlich spüren, wie die Energie im Raum steigt ... und die Lust, seinen nackten Arsch zu sehen. Zumindest bei mir. »Ich habe mich auf die Stelle des Brand Managers nicht nur deshalb beworben, weil UrbanGoods die einzige Company in Atlanta ist, die sich auf nachhaltige und umweltfreundliche Konsumgüter spezialisiert hat, sondern auch, weil ich ein großes Potenzial für Wachstum und Innovation in Bezug auf die künftigen Markenstrategien der Firma sehe. Mein Ziel wird es sein, die Einzigartigkeit und den Wert unserer Marke noch stärker hervorzuheben und eine tiefere Bindung zu unseren Kunden aufzubauen.« Plötzlich sieht er mir direkt in die Augen. »Dazu werde ich sehr eng mit jedem von Ihnen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass unsere Botschaft klar und einheitlich ist und dass sie die Herzen und Köpfe unserer Zielgruppe erreicht.«

Die anderen klatschen schon wieder wie gehirnamputierte Eumel. Um nicht aufzufallen, tue ich es ihnen gleich, indessen ich mich frage, ob diese Zusammenarbeit auch beinhaltet, dass er mich nach Feierabend so richtig klischeehaft auf einem der Drucker durchrammelt. Ein Gleitgel-Sachet habe ich immer dabei, Gummis ebenfalls, also wäre ich dafür. Gerne sofort! Aber da schwenkt sein Blick bereits auf Sienna um, die abwechselnd an einer Strähne ihres modischen, rotbraunen Bobschnitts oder an ihrem Bleistift herumlutscht und ihm damit sehr eindeutige Bums-mich-Vibes sendet. Genau wie Ava, unsere dralle SEO-Spezialistin, die schon die ganze Zeit ihr frisch gemachtes Dekolletee hochdrückt, als wolle sie direkt darauf besamt werden.

Die anderen Damen sind da deutlich zurückhaltender, einige scheinen den Schönling sogar eher zu belächeln, genau wie das Verhalten der beiden Singleladys. Doch Jaxon lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen, schaut nur noch selbstbewusst in die Runde, redet über seine außergewöhnlichen Fähigkeiten, sein Fachwissen und seine Pläne für die Firma, die mich ehrlich gesagt herzlich wenig interessieren. Allerdings spürt man deutlich, wie motiviert er ist, seinen Beitrag zur Verwirklichung dieser Ziele zu leisten. Aber angesichts dessen, dass er mindestens das doppelte von meinem Gehalt bekommt, kann man das wohl auch erwarten.

Sobald er mit seinem kleinen Vortrag über sich selbst fertig ist, wird schon wieder geklatscht. Anschließend setzt er sich neben Derek, welcher ihm nun einen nach dem anderen von uns vorstellt, damit er sich einen Überblick verschaffen kann.

Ich hasse das. Auch wenn ich ehrlich froh bin, dass wir uns nicht selbst vorstellen müssen, werde ich immer nervöser, je näher Dereks Finger in meine Richtung schwingt. Gleichzeitig beobachte ich Jaxon, bemerke, wie aufmerksam er mit ineinandergefalteten Händen zuhört und nun ausnahmslos jeden charmant anlächelt. Dabei nickt er die ganze Zeit, wie ein grooviger Wackeldackel.

Angespannt nippe ich an meinem Kaffee und versuche weder mit der Fußspitze auf dem Boden herumzutippen noch ihn allzu auffällig zu mustern, doch es fällt mir enorm schwer. Ich kann seine Sexualität nicht einordnen und das, obwohl ich einen sehr gut ausgeprägten Homo-Radar habe. Es macht mich nervös, wenn ich nicht weiß, woran ich bei jemandem bin.

›Vielleicht mal die Basics checken?‹

Unauffällig lehne ich mich zur Seite und tue so, als würde ich eine Falte aus meiner Socke ziehen. Er ist von den Füßen bis in die Haarspitzen durchgestylt, aber das hat heutzutage nichts mehr zu heißen. Eher im Gegenteil. Ich selbst sehe aus wie ein laufender Lumpen und entspreche überhaupt nicht dem Klischee des stets geschniegelten Homos.

Die goldene Rolex an seinem Handgelenk zeugt eher von einer steilen Karriere als von einer Vorliebe für steile Schwänze, dafür wirkt sein bronzefarbener Teint ziemlich schwul. Nicht extrem, doch diese gleichmäßige, fast schon schimmernde Bronzebräune kann nicht natürlich sein, zumindest nicht zu dieser Jahreszeit.

›Es sei denn, er kommt gerade aus dem Urlaub. Wäre ja gar nicht mal so abwegig. Ein paar Wochen Florida vor dem neuen Job, der so schnell keine längere Pause mehr erlauben wird ... Aber genauso gut könnte er ein Solariumgänger sein. Ins Gym geht er auf jeden Fall, so wie er aussieht!‹

Sein Marken-Sakko spannt sich auffallend um seine Oberarme, generell liegen seine Klamotten eher wie eine zweite Hautschicht an seinem heißen Körper. Wenn er sich nach hinten lehnt, spannen die Schlitze zwischen den Knöpfen seines blütenweißen Hemdes so weit auseinander, dass man seine grob getrimmten Brusthaare sehen kann. Aber vor allem seine kleinen, festen Nippel, die sich durch den dünnen Stoff abzeichnen, wecken in mir das unbändige Verlangen, ihn zu -

»Der junge Mann daneben ist Skyler Dawson«, reißt mich Dereks Erwähnung meines Namens plötzlich aus meinen Gedanken, und erneut schaut mich Jaxon verschmitzt grinsend an, was ich mit einem hastigen Blick in meinen Kaffee quittiere. »Skyler sieht etwas chaotisch aus und redet nicht viel, aber er ist mit Abstand der Kreativste von uns und nebenbei ein begnadeter Illustrator.« Ich versinke immer tiefer in meinen Sitz, denn ich bin es überhaupt nicht gewöhnt, so vor anderen gelobt zu werden. »Er hat alle visuellen Materialien für die bisherigen Marketingkampagnen der UrbanGoods Company erstellt, darunter die Gestaltung von Werbeanzeigen, die Verpackungsdesigns und die In-Store-Displays. Er ist äußerst verlässlich und flexibel.«

›Weiß er eigentlich wie zweideutig das klingt?‹

»In seinen Arbeitszeiten meine ich natürlich!«

›Ja, weiß er. Vielen Dank auch.‹

Ich versuche zu ignorieren, wie sich die anderen ins Fäustchen grinsen, doch zum Glück spricht Derek einfach weiter.

»Skyler arbeitet hauptsächlich mit Bruce und dem E-Commerce-Team zusammen, um sicherzustellen, dass unsere visuellen Elemente konsistent und ansprechend sind. Der einzige Bereich, der grafisch nicht in seiner Hand liegt, ist die Social-Media-Sektion, die Sienna leitet.« Bei der Gelegenheit winkt diese dem Neuen knapp zu und lächelt aufreizend, denn sie war noch nicht dran. Er checkt sie mit seinen Blicken wenig unauffällig ab und erwidert ihr Lächeln so fickrig, das ich meine Felle bereits davonschwimmen sehe. »Also, wenn Sie irgendwelche gestaltungstechnischen Arbeiten haben, die für`s Brand Marketing wichtig sind, zögern Sie nicht, sich an Skyler zu wenden und ihn mit allem zu beauftragen, was Sie brauchen. Er wird Sie sicher zufriedenstellen.«

Ich weiß nicht, ob ich noch rosarot oder schon tiefrot bin, aber während ich zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag meine Brille hochschiebe, frage ich mich ernsthaft, ob Derek das absichtlich macht!

»Werde ich«, antwortet unser neuer Brand Manager jedoch voll beachtenswerter Selbstbeherrschung und nickt mir zu, als ich kurz zu ihm aufschaue, was ich, trotz all meiner steifen Glieder, erwidere.

›Jetzt bin ich mir wieder unsicher. Schöne Scheiße!‹

***

Nach dem Ende der Vorstellungsrunde werden wir zurück an unsere Schreibtische entlassen.

Mein Kaffee ist leer, aber genau wie vorhin will ich warten, bis alle anderen gegangen sind, um mich als Letzter hinauszubegeben. Doch das klappt diesmal nicht, weil sich Jaxon und Derek noch unterhalten und deshalb sitzen bleiben.

Ich muss all meinen Mut zusammennehmen, um aufzustehen und an den beiden vorbeizugehen, innerlich betend, dass sie mich einfach ziehen lassen, aber natürlich tun sie das nicht.

»Skyler, geht es Ihnen gut?«, fragt mich Derek und ich bleibe so ungelenk stehen wie eine Marionette, die abhauen will und zurückruckt, weil ihre Fäden zu Ende sind. »Sie wirken etwas mitgenommen?!«

›Nein, so sehe ich immer aus. Sie gucken mich nur sonst nie an.‹

Ich zwinge mir ein Lächeln auf, als ich aufschaue, denn es wäre unhöflich, das nicht zu tun, wie ich gelernt habe. »Nein, nein, alles in Ordnung«, presse ich hervor. »Ich hab nur gestern noch die neue Design-Reihe der QT-Drinks fertig gemacht und dadurch wenig geschlafen.«

»Ach wunderbar!«, freut er sich plötzlich und schwupps ist ihm mein gesundheitlicher Zustand wieder scheißegal. »Sehen Sie, Jaxon, genau das meinte ich vorhin!« Er stößt unserem Neuen an den Bizeps. »Auf den Mann ist Verlass! Zumindest solange er ... äh ...« Er schaut erneut zu mir hoch. »Soll ich ihn aufklären, wegen ...?«

»Nein! Ich ... das ist sicher nicht nötig«, wiegle ich sofort ab und er nickt, doch nun sieht mich mein neuer Kollege natürlich fragend an und ich lege den Rückwärtsgang ein. »Ich äh ... geh dann mal weitermachen!« Schnellstens verschwinde ich, bevor das hier in einem noch peinlicheren Fiasko endet, und laufe zurück zum Kaffeeautomaten, stelle meine Tasse hinein und reibe erst einmal meine nassen Hände an meiner alten, ausgewaschenen Cargohose ab, ehe ich den Knopf betätige. Ich bemerke, dass ich vollkommen durchgeschwitzt bin und verfluche mich innerlich, dass ich heute Morgen kein Deo benutzt habe. Aber woher sollte ich auch wissen, dass ich an einem Tag mit geradezu winterlichen zwölf Grad transpirieren werde, wie ein Eskimo in der Sauna?

›Entspann dich! Es ist scheißegal, wie du riechst oder was du gesagt hast‹, rede ich mir ein und versuche, irgendwie mit meiner Gefühlslage fertig zu werden, ohne nach draußen auf die Terrasse gehen zu müssen. ›Du hast doch gesehen, wie er Sienna abgecheckt hat! Der steht nicht auf Kerle und selbst wenn, würde ein so versnobter Schönling wie er niemals auf eine zottelige Pusteblume wie dich abfahren, also krieg dich wieder ein!‹

Vorsichtig schaue ich in Richtung Konferenzraum und überlege, ob ich anbieten sollte, ihm einen Kaffee zu machen. Nur um die Wogen zu glätten und meinen beschissenen ersten Eindruck wettzumachen, selbstverständlich. Aber da höre ich bereits, wie ihre Stühle über den Boden rutschen und drehe mich schnell wieder weg.

Derek beginnt damit, Jaxon herumzuführen, und ich kann förmlich jedes Wort mitreden, da er mit allen neuen Mitarbeitern dieselbe Route läuft und dabei auch immer die gleichen Phrasen von sich gibt.

Aus dem Konferenzraum, der neben der großen Tafelrunde für interne Besprechungen auch für Kundenpräsentationen ausgestattet ist, zeigt er den offenen Arbeitsbereich, in dem die meisten Schreibtische zu Sechserplätzen angeordnet sind, um die Zusammenarbeit unter den Kollegen zu erleichtern. Überall im Haus sorgen wandfüllende Fensterfronten für natürliche Beleuchtung, ergänzt durch hunderte LED-Leisten, die sich an der Metalldecke befinden. Wer sich damit noch nicht verstrahlt genug fühlt, kann sich unter den großen, runden Lichtschacht stellen, der sich mitten im Raum befindet, da unsere Abteilung im Dachgeschoss sitzt.

Sie gehen weiter zu den kollaborativen Zonen, ausgestattet mit Whiteboards und Beamern, die speziell für Brainstorming-Sitzungen und kleinere Team-Meetings eingerichtet sind. Anschließend betreten sie die spezialisierten Räume, darunter auch die heißbegehrten Einzelbüros, von denen er, als einer der Manager, selbstredend eines bekommt.

Danach führt ihn Derek zu den Workstations mit den Hochleistungscomputern und den großen Bildschirmen, die für Grafikdesign, Bildbearbeitung und Videoproduktion optimiert sind. Dort, ganz hinten in der Ecke, ist mein Bereich. Leicht zu erkennen an den vielen Pflanzen auf dem Tisch, die mich ein wenig vom Rest des Kollegiums abschotten. Daneben befindet sich der Raum, in welchem unsere Vorräte an Papier und anderen Dingen deponiert sind. Auch die großen Druck- und Prototyping-Geräte stehen hier, mit denen wir unsere Konzepte schnell visualisieren und testen können. Intern nennen wir den Raum das Stoßlager ... warum das so ist, muss ich wohl kaum erklären.

Der Gemeinschaftsbereich mit der offenen Küche und dem Pausenraum, in welchem ein Sofa und einige Loungesessel herumoxidieren, steht als Letztes auf Dereks Liste. Also habe ich genügend Zeit, mir den zweiten Kaffee zu zapfen, ehe ich mich wieder an meinen Platz wage, was ich erst tue, als die beiden den Bereich verlassen haben.

Wie eine Ratte, die nicht gesehen werden will, husche ich hinter ihnen in meine kleine grüne Ecke und weiß jetzt schon, dass die nächsten Tage zu einem verdammt anstrengenden Versteckspiel werden.

 

Kapitel 2

______________

 

 

 

 

Gedankenversunken strichle ich auf meinem Grafiktablet herum und verfeinere die Entwürfe von letzter Nacht, denn sie gefallen mir nicht mehr. Auf meinen Ohren sitzen fette Schallschutzkopfhörer, die mich nichts weiter vernehmen lassen als das gleichmäßige Rauschen meines Blutes, das sich mit dem gedämpften Gesprächsbrei meiner Umwelt mischt, einzig unterbrochen von meinem rhythmischen, ruhigen Herzschlag. Der dritte Schokoriegel des Tages wird nur von meinen Lippen gehalten, da meine rechte Hand den digitalen Stift führt und die linke die Tasten betätigt, um meine Arbeit drehen und zoomen zu können, während ich zeichne.

Vollkommen ahnungslos lutsche ich so vor mich hin, abgeschottet und hochkonzentriert, bis ich einen betörenden Duft bemerke, der mein Herz schneller schlagen lässt. Aus einem animalischen Impuls heraus schaue ich auf, doch da funkeln bereits die mintgrünen Augen unseres neuen Bürotigers durch meinen Schreibtischdschungel und erschrecken mich halb zu Tode!

Schlagartig verschlucke ich mich an dem Stück, das ich im Affekt abgebissen habe, reiße mir die Kopfhörer runter, schwenke zur Seite und beginne, wie ein Bekloppter zu husten, was Jaxon auch noch dazu veranlasst, um meinen Schreibtisch herumzukommen und mir auf den Rücken zu klopfen.

»Hey, alles gut? Immer ruhig ...«

›Ruhig? Sagt der mir gerade ernsthaft, ich soll leiser verrecken?!‹

Glücklicherweise bequemt sich der Riegelbrocken wieder aus meiner Kehle, als ich mich nach vorne lehne, wobei sich auch meine dämliche Brille auf den Boden verabschiedet.

»Hier, trinken Sie was«, raunt mir mein ungebetener Besucher zu, hockt sich vor mich und reicht mir mein Wasserglas, das ich hastig leere. »Tut mir echt leid, ich wollte Sie nicht erschrecken«, entschuldigt er sich, als ich mich endlich beruhigt habe, und hebt sogar mein Nasenfahrrad vom Boden auf.

»Es wäre nett«, ächze ich heiser, »wenn Sie sich nicht mehr so an mich heranschleichen würden.«

›Wie kann ein Kerl seines Formats überhaupt schleichen?‹

»Hab ich nicht«, verteidigt er sich leise und bleibt vor mir hocken, bis ich ihn ansehe.

»Ach nein?«

»Nein.« Er lächelt schon wieder so charismatisch, dass es kaum auszuhalten ist. »Genau genommen habe ich Sie drei Mal gerufen. Sie heißen doch Skyler oder?«

›Warum krieg ich sofort einen Harten, wenn er meinen Namen sagt? Ach ja ... er ist eine Sexbombe.‹

»Ja«, wispere ich kratzig und bemerke, dass seine Finger über meine streifen, als er mir meine Sehhilfe zurückgibt.

»Ein Glück«, schnauft er und legt ein wenig den Kopf schief. »Wäre echt blöd, wenn ich mir jetzt die falsche Eselsbrücke eingeprägt hätte.«

»E-Eselsbrücke?«

»Ja. Liegt die nicht auf der Hand?« Sein Grinsen verstärkt sich so sehr, dass ich kleine Grübchen in seinen Wangen erkenne, die ihn noch hinreißender wirken lassen. »Sie sind der Kerl mit den bezaubernd himmelblauen Augen und die Kurzform von Skyler ist Sky ... Himmel.«

Ich schlucke und unterdrücke, wie ein verliebtes Schulmädchen aufzuseufzen.

›Das ist, nach seiner Meinung, mein auffälligstes Merkmal? Meine Augenfarbe? Nicht meine ausgewaschenen Schlabberklamotten, meine filzigen langen Haare, meine Hornbrille oder der Fakt, dass ich offensichtlich schwul bin, so wie ich ihn die ganze Zeit angeifere?‹

Mal ernsthaft: Wie zur Hölle soll ich mit dem Typen zusammenarbeiten, ohne ihn alle fünf Minuten anzuschmachten? Das ist unmöglich! Ich werde kündigen müssen.

»Wir können uns übrigens gerne duzen«, fügt er an. »Auch wenn ich indirekt Ihr Vorgesetzter bin, lege ich keinen Wert auf diesen formellen Mist. Und wenn ich Sie Sky nennen darf, können Sie auch gerne Jax zu mir sagen.«

Ich japse eine peinliche Sekunde nach Luft.

›Ja, kündigen. Definitiv.‹

»Okay«, presse ich hervor, setze mir meine Brille auf, nicke und sammle die Reste vom Boden, die mir aus dem Gesicht gefallen sind.

»Wunderbar. Dann wäre das geklärt.« Er erhebt sich und klopft seine graue Anzughose ab.

»Was hat es eigentlich mit all dem Grünzeug hier auf sich?«

»Ähm ...« Ich muss mich erstmal wieder sammeln. »Ist ... ist das so ungewöhnlich? Eine Menge Menschen stellen sich Pflanzen auf den Arbeitstisch. Bruce hat eine kleine Rosette ...«

Er glotzt mich an, als hätte ich Tourette. »Aha ... und das ist bekannt, weil ...?«

»Äh ... sie auf seinem Tisch steht?! Da. Das ist ein Rosettenbäumchen.« Ich deute auf den kleinen Topf mit der Sukkulente und er schaut über seine Schulter und lacht plötzlich.

»Ach so.« Er braucht einen Moment um sich zu beruhigen, während ich so langsam raffe, woran er gedacht hat, doch da schwenkt seine Hand schon in Richtung meines Dschungels. »Ja, so eine Minipalme, Orchideen oder Grünlilien kenne ich auch, aber das hier«, dabei streicht er über einen der langgestielten, dreieckigen Wedel, »sieht eher aus, als wäre es in irgendeinem Wald ausgegraben worden?!«

»Oh, nein, nein, das sind alles Ableger von Mr. Farnsworth«, verteidige ich mich. »Der überwuchert bereits mein ganzes Wohnzimmer, deshalb dachte ich -«

»Mr. Farnsworth?«, unterbricht er mich amüsiert und ich erkenne einen spöttelnden Unterton in seiner Stimme.

»Ja«, bestätige ich leise. »So hab ich ihn genannt. Weil er ein Adlerfarn ist.«

Jax prustet und zieht die Augenbrauen hoch. »Also mal abgesehen davon, dass es etwas seltsam ist, seinem Grünzeug Namen zu geben, frage ich mich schon, warum du ausgerechnet so langweiliges Unkraut züchtest?«

Ich stutze. Das war gemein.

»Manchmal ist langweilig besser als kompliziert«, flüstere ich und senke den Kopf. »Er ist vielleicht nicht besonders bunt oder auffällig, aber dafür genügsam, fast schon anspruchslos. Er tut, was er soll, produziert durch die breit gefiederten Blätter eine Menge Sauerstoff und wächst auch ohne viel Sonnenlicht.«

›Außerdem ist er mein Freund. Basta!‹

»Das heißt, du magst ihn, weil er dir ähnlich ist, stimmts?« Ertappt schaue ich auf, doch Jax grinst nur, genau wie vorhin. »Was? Du bist äußerst produktiv, laut Derek, unauffällig und anspruchslos, wie man an deinem Kleidungsstil sieht, und hältst dich vorzugsweise im Schatten auf, sonst wärst du wohl kaum so blass um die Nase.«

»Hm.« Das ist eine erstaunlich treffende, wenn auch etwas deprimierende Zusammenfassung meiner Person. »Mag sein.«

»Es ist übrigens Mittagspause«, wechselt er plötzlich das Thema. »Die anderen sind schon alle im Speisesaal.« Das erklärt zwar, wieso es so ruhig ist, aber nicht, warum er noch hier herumsteht, doch da zeigt er bereits mit dem Daumen über seine Schulter zur Tür. »Willst du nicht mitkommen und was Richtiges essen?«

›Na ja, wo ich gerade seinen Schwanz auf Mundhöhe habe ...‹

»Nein danke«, keuche ich entgegen meiner Gedanken und drehe mich wieder zu meinem Computer, während ich auf meinen Vorrat aus verschiedenen abgepackten Küchlein, Riegeln und Schokoladentafeln in der Schublade meines Schreibtisches deute, die ich immer parat habe, wenn mir die Donuts ausgehen. »Ich bin versorgt.«

»Das ist aber sehr einseitig ... und noch dazu äußerst ungesund«, stellt er ungebeten fest. »Komm doch mit. Als erwachsener Mann, der so viel arbeitet, brauchst du dringend ein paar vernünftige Nährstoffe.«

Einen Moment frage ich mich, ob er als verdeckter Ernährungsberater eingestellt wurde und gleichzeitig, ob ich ihn einfach mal beiläufig darauf hinweise, dass in Sperma eine Menge Proteine stecken. Besonders in seinem, denn so wie er aussieht, besteht die Hälfte seiner Ernährung aus irgendwelchen Muskelaufbaushakes! Aber da er mich ganz sicher nicht an seinem Schwanz nuckeln lassen wird, zucke ich nur mit den Achseln.

»Ich finde, man sollte essen, was einem schmeckt«, brummle ich. »Selbst wenn man nur ungesunde Sachen wie Donuts isst. Man muss das einfach relativ sehen.«

Jaxon verschränkt die Arme. »Relativ sehen?«

»Ja.« Ich schaue auf. »Zum Beispiel sind Donuts immer noch gesünder als Crystal Meth!«

Eine Sekunde starrt er mich an. Urplötzlich lacht er los und entblößt dabei erneut seine weißen Zähne, ehe er den Kopf schüttelt. »Oh Mann, du bist mir einer. Na schön, dann bleib hier und futter deinen Süßkram. Bis nachher.«

»Ja ... bis nachher.«

›Hah! Ich hab ihn zum Lachen gebracht ... mehrmals!‹

Während er sich umdreht und geht, setze ich mir die Kopfhörer wieder auf und schaue ihm noch kurz hinterher. Diesen Anblick kann ich nicht ignorieren. Sein breites Kreuz wiegt sich wie ein Schiff auf hoher See und auch seine Arschbacken, die nur aus Muskeln zu bestehen scheinen, schaukeln so ansehnlich in der maßgeschneiderten Anzughose hin und her, dass ich richtig spüre, wie meine Latte einen Lusttropfen nach dem nächsten hochpumpt. Morgen komm ich mit Pampers.

Sehnsüchtig schiebe ich mir den Rest des Schokoriegels rein und muss erstmal meinen Harten richten, als er schließlich hinter der Tür verschwindet.

›Was war das gerade?‹, frage ich mich unweigerlich. ›Warum ist der Typ so freundlich zu mir?‹

Ich meine, klar ist es für einen Neuen förderlich, nett zu sein, selbst mit einem höheren Posten. Auch als Vorgesetzter, der auf die Leistung der anderen angewiesen ist, hast du die Arschkarte, wenn dich alle hassen, aber es wäre ja vollkommen ausreichend, wenn er distanziert höflich bliebe.

›Vielleicht steht er ja doch auf mich?‹

Sofort schüttle ich den Kopf.

›Nein, tut er nicht! Das wäre völlig absurd! Abgesehen davon ist das hier kein Darkroom irgendwo in der Stadt, in dem man halbwegs anonym rumvögeln kann! Wir sind hier an unserem Arbeitsplatz! Ich werde den Kerl jeden Tag wiedersehen! Also selbst wenn er schwul wäre ... was er nicht ist ... oder doch? ... Nein! Aber selbst wenn, steht er wahrscheinlich auf süße kleine Twinks ... oder zumindest auf gestylte Typen, die genauso ... schickimickimäßig sind, wie er!‹

Ich werde noch wahnsinnig.

Ganz ehrlich. Mit offenem Hass kann ich besser umgehen. Da weiß ich wenigstens, woran ich bin.

***

Normalerweise vergehen die Stunden auf Arbeit wie im Flug. Ich bin konzentriert, ziehe mein Ding durch, und beschränke die Gespräche mit den Kollegen auf ein Minimum. Was willst du? Bis wann solls fertig sein? – Ende! Das sind in der Regel die einzigen Fragen, die ich stelle und auf die ich eine Antwort hören will. Es sei denn, ich spreche mit Bruce. Mit dem wechsle ich noch ab und zu ein paar Worte darüber hinaus, weil er ein echt netter Kerl ist. Daher weiß ich zum Beispiel auch, dass sein Sohn Taylor schwul ist. Genau wie ich wird der in der Schule gemobbt, was vermutlich der einzige Grund ist, weshalb Bruce so nett zu mir ist. Ich erinnere ihn an seinen Ableger und manchmal stellt er mir auch ihn-bezüglich ein paar private Fragen, wie er mit gewissen Situationen umgehen soll. Zum Beispiel, wenn er einen Dildo in seinem Bett findet. »Sprich es nicht an! Betritt nie wieder sein Zimmer! Lass ihn mit allem experimentieren, worauf er Bock hat! ... Und riech an Gurken, bevor du sie isst!« – Dies waren meine Ratschläge und angeblich hält er sich dran.

Jedenfalls bin ich jetzt, dank der Sache vorhin, völlig paranoid, hebe ständig den Kopf, schaue, wo sich Jax gerade aufhält und sobald ich ihn entdecke, bete ich, dass er nicht zu mir rüberkommt, damit ich nicht in die Verlegenheit komme, nochmal von Rosetten zu reden!

Seitdem er sein Büro eingeräumt hat, ist er zum Glück die meiste Zeit abgelenkt, redet mit den anderen, lacht und schäkert herum, als würde er sie seit Jahren kennen. Es ist wirklich unglaublich. Der Kerl ist erst einen Tag hier und kennt bereits alle Mitarbeiter beim Vornamen! Ich habe zwei Monate gebraucht, um mir die zu merken!

Auf die Idee mit den Eselsbrücken bin ich allerdings nicht gekommen ... hätte sicher geholfen.

›Wüsste gerne, ob die meiner Kollegen genau so charmant sind? Bruce der Bär, Ava mit den arschgeilen Brüsten oder Sienna Sabberstift?‹

Davon abgesehen benutzt er aber auch all unsere technischen Gerätschaften, als hätte er nie etwas anderes getan, und scheint immer sofort zu wissen zu wem oder wo er hinmuss, wenn er was will.

›Wie geht das? Ich musste mir mindestens zehnmal erklären lassen, wie alleine der dämliche Plotter funktioniert ... und bis heute verzweifle ich manchmal an dem Teil!‹

Ja, es gibt technikaffine Menschen, so wie ihn, und pflanzenaffine Menschen, so wie mich. Aber wahrscheinlich ist das wieder eher so ein Selbstbewusstseinsding. Eigentlich hat er keine Ahnung, aber er tut einfach so als ob und kommt damit durch.

Da ist er schon wieder.

Mit zwei dekorativen Aktenordnern läuft er von einer Seite zur anderen und wirkt dabei wie ein stolzer Gockel, der durch seinen neuen Hühnerstall marschiert. Hastig starre ich auf meinen Bildschirm und klicke mich sinnlos durch die Ordner, um geschäftig zu wirken, als er in Richtung Druckerraum geht. Unauffällig werfe ich dabei einen Blick auf die Uhr und stelle fest, dass sich die meisten meiner Kollegen demnächst verpissen werden, denn es ist bereits kurz vor vier.

Normalerweise warte ich, bis alle weg sind, um dem Gedränge an den Fahrstühlen, in der Eingangshalle und im Parkhaus zu entgehen, aber jetzt gerade ziehe ich ernsthaft in Erwägung, ein paar Minuten vor Feierabend abzuhauen, um keinesfalls -

»Sky?« Jaxon lehnt sich aus dem Türrahmen des Stoßlagers und ich schaue panisch auf, woraufhin er kurz lacht. »Guck doch nicht gleich so erschrocken, ich fress dich schon nicht.«

›Ich wünschte, du würdest ... aber fang bitte in der Mitte an ... ganz zärtlich ... mit knabbern ...‹

»Kannst du mir kurz deine Mitarbeiterkarte für ein paar Kopien leihen? Meine wurde noch nicht freigeschaltet.«

»Äh ... ja, klar.« Ich nicke zögerlich und verfluche mich gleichzeitig dafür, meine Kopfhörer abgesetzt zu haben, um nicht mehr so erschreckt zu werden. Hätte ich nicht auf meinen Namen reagiert, wäre er vielleicht zu jemand anderem gegangen. Nun muss ich aufstehen, die Chipkarte aus meinem vollgekramten Schubfach suchen und sie ihm reichen, aber er nimmt sie nicht und geht stattdessen einfach wieder ins Lager.

›Was soll das denn jetzt? Will er etwa, dass ich ihm folge? ... Wozu? Nur um die blöde Karte auf den Scanner zu klatsch-‹

Plötzlich fällt mir ein Grund ein, der mir schlagartig eine erneute Hitzewelle durch den Körper schickt.

›Gleich sind wir allein ... Er wird doch wohl nicht vorhaben ...?‹

Fast schon panisch hauche ich mir in die Hand und überprüfe so, ob ich Mundgeruch habe. Nein, alles gut. Riecht nur nach Erdnüssen und solange er keine Allergie darauf hat, ist alles fein! Anschließend stehe ich auf und kontrolliere hastig, ob noch genügend Gummis und Gleitgel in meiner Hosentasche schlummern. Alles da. Also - was auch immer er vorhat, ich bin bereit!

Und ja, falls er nicht warten will, bis sich die anderen verzupft haben, kann er mich von mir aus auch gerne vor der ganzen Belegschaft durchnehmen, auf Siennas Schreibtisch, wenns ihn hart macht, mir vollkommen egal! Hauptsache, er tut es! Danach kann ich ihm eh nicht mehr ins Gesicht sehen und gekündigt zu werden, ist besser, als selber zu kündigen, also solls mir recht sein.

Kopflos stolpere ich über meinen am Boden herumlungernden Rucksack und reiße fast einen von Mr. Farnsworth` Armen mit, weshalb mir Bruce einen besorgten Blick zuwirft. Doch ich hebe schnell die Hand und rufe kratzig: »Alles gut«, damit er nicht auf die Idee kommt, mir eins seiner Sorgengespräche aufdrücken zu müssen. Glücklicherweise zieht er sich bereits seine Jacke an, was auch bei allen anderen dazu führt, dass sie die Arbeit niederlegen.

Schnellen Schrittes verschwinde ich im Kopierraum, in welchem Jax bereits auf mich wartet.

»Warum hat das so lange gedauert?«, fragt er fast schon süffisant, schlendert an mir vorbei und schließt die Tür hinter mir ab, was meinen Puls und meinen Schwanz gleichermaßen in die Höhe schießen lässt.

›Fuck. Er meint es ernst!‹

»Ich ... ähm ... musste erst meine Karte suchen«, rede ich mich heraus und halte sie hoch, während ich zu lächeln versuche, doch als er sich umdreht und in einem langsamen, fast bedrohlichen Schritt auf mich zukommt, weiche ich automatisch nach hinten aus, bis mein Arsch an den Drucker stößt.

›Warte ... vielleicht will er mir auch eine reinhauen, weil er gemerkt hat, dass ich wegen ihm hart geworden bin?‹

Auf dem Schulhof wurde ich für weitaus belanglosere Dinge verprügelt und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr fällt mir auf, dass eine jüngere Version von ihm ohne Probleme in das Schema eines Highschool-Bullys passen würde. Glücklicherweise lächelt er jedoch und steckt die Hände tatenlos in die Hosentaschen.

»Sky ... darf ich dich was Persönliches fragen?«

›Nein.‹ Ich nicke.

»Findest du mich attraktiv?«

Ich stutze. ›Ist das nicht offensichtlich? Ich bin ihm ins Stoßlager gefolgt, lehne hier ziemlich breitbeinig am Drucker herum, bin hart wie ein Laternenmast, schwitze und atme schwer. Wie sehr soll ihm mein Körper denn noch zuschreien: Nimm mich, verfluchte Scheiße!?‹

»Wer würde das nicht?«, keuche ich jedoch nur möglichst neutral und verstehe nicht ganz, was er mit diesem Gespräch bezwecken will. Nach Komplimenten zu fischen hat er doch gar nicht nötig.

»Na ja, jemand der nicht auf Kerle steht zum Beispiel ... Also, wenn ich eichfach mal so direkt fragen darf, bist du schwul?!«

›Scheiße. Wenn einer das fragt, ohne dabei einen deutlich rattigen Unterton mitschwingen zu lassen, ist er es selber nicht. Fuck!‹

»Sorry, a-aber ... das geht dich nichts an«, stammle ich desillusioniert, drehe mich um und ziehe meine Karte über den Scanner, damit der Kopierer anspringt. Ein Restlimit von hundertachtzig wird angezeigt. »Übrigens liegt das Monatslimit pro Mitarbeiter bei fünfhundert Kopien«, versuche ich schnell vom Thema abzulenken. »Wenn du mehr drucken willst, brauchst du eine gute Begründung und musst in der Verwaltung anfragen, aber sollte das öfter vorkomm-«

»Hey«, unterbricht er mich plötzlich, greift an meine Schulter und zieht mich wieder herum, ehe er sich ziemlich dicht vor mich stellt. »Nimm mir die Frage nicht übel. Ich will nur, dass das hier«, dabei schwenkt er mit dem Zeigefinger zwischen uns hin und her, »funktioniert. Also, lass uns einfach offen und ehrlich miteinander reden, okay?«

›Reden ist gerade das Letzte, was ich will.Der Kerl hat doch echt das Einfühlungsvermögen einer Gurke!‹

Frustriert drehe ich mich wieder um, denn ich ertrage es nicht, ihn weiter anzusehen. »Keine Sorge, ich werde dir keine Probleme machen«, presse ich hervor und will mich der Situation entziehen, aber aus irgendeinem Grund bleibe ich wie angewurzelt stehen.

»Das meinte ich nicht«, seufzt er plötzlich. »Ich möchte einfach nur sichergehen, dass da nicht noch mehr ist. Derek deutete heute Morgen an, dass es etwas gibt, was ich vielleicht wissen sollte, wenn ich mit dir zusammenarbeite. Also, ging es ihm nur um deine Homosexualität oder ...?«

›Das ist es? Darum geht es hier? Hat er deswegen auch die Tür abgeschlossen? Um mich vertraulich und ungestört ausquetschen zu können?‹

»Sky?« Er legt den Kopf schief. »Komm schon, sag es mir einfach.«

»Schön«, seufze ich und versuche, meine gebückte Haltung zu straffen, während ich mir überlege, was er jetzt eigentlich von mir hören will. »Ja, ich bin schwul, single, und du bist verdammt heiß, aber ich hab mich im Griff«, meistens, »und werde dich nicht belästigen, okay? Meine sexuellen Vorlieben haben im Übrigen keinen Einfluss auf meine Arbeit, das kann dir hier jeder bestätigen. Darf ich jetzt gehen?«

Jax mustert mich und schnalzt mit der Zunge, während er kurz zur Seite schaut. »Das ist nicht die ganze Wahrheit, oder?«

›Nein, ist es nicht, aber mehr musst du nicht wissen.‹

»Doch, ist es«, lüge ich, was ihn jedoch nur zum Kopfschütteln bringt. Auf einmal nimmt er meine Hände und legt sie behutsam in seinen breiten Nacken, was mich nun völlig verwirrt.

›Was soll das denn jetzt schon wieder?‹

»Hier«, schnauft er, »siehst du? Ich habe keinerlei Berührungsängste. Ich finde dich weder abstoßend, noch hab ich Angst, mich mit irgendwas anzustecken, wenn ich dir nahekomme. Ich bin ein moderner, aufgeschlossener Mann, der einfach nur mit allen gut klarkommen will ...«

Mein Kopf glüht. Meine Latte ebenfalls, alleine schon, weil sie zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag an meinem Reißverschluss schubbert. Ich werde nachher sowas von wund sein!

»Ich sag dir jetzt einfach, wie es ist«, fährt er fort. »Bruce hat mir gegenüber Andeutungen gemacht, dass du gelegentlich mit gesundheitlichen Herausforderungen zu kämpfen hast, wie er es nannte.«

›Klasse Bruce ... wieso kannst du nicht einfach die Klappe halten, wenn du selbst keine Ahnung hast? Ich hab nicht umsonst nie mit dir über mein Privatleben geredet!‹

»Er hat mir keine Details verraten, aber er meinte, dass es wichtig ist, sensibel und respektvoll mit dir umzugehen und das deine persönliche Situation nicht gerade einfach ist. Also ...«, abermals seufzt er und sieht aus, als würde er mich jeden Moment küssen wollen, »... sag mir bitte, was los ist, damit ich mich darauf einstellen und Rücksicht nehmen kann. Hast du Depressionen? Bist du HIV-positiv?«

›Okay ... das ist jetzt echt abtörnend!‹

»Nein, bin ich nicht«, keuche ich, ziehe nun sehr vehement meine Hände zurück und schiebe ihn entschlossen beiseite, was er nicht mehr verhindert.

»Skyler«, ruft er mir erneut nach und wirkt plötzlich deutlich strenger. »Ich kann auch einfach in der Personalabteilung nachfragen und vorgeben, ich hätte Probleme mit dir! Aber das will ich nicht! Also, raus mit der Sprache und ich verliere nie wieder ein Wort darüber, versprochen!«

Frustriert stöhnend bleibe ich stehen, balle die Fäuste und versuche, durchzuatmen, so wie es mir mein Psychiater gezeigt hat. Gleichzeitig wird mir bewusst, dass dieser Typ nicht aufgeben wird, bis er herausgefunden hat, was mit mir nicht stimmt, also gebe ich schließlich nach.

»Ich habe einfach nur ein paar psychosoziale Probleme«, erkläre ich stark vereinfacht und drehe den Schlüssel um. »Hast du sicher schon mitbekommen. Außerdem kann ich andere Menschen schwer einschätzen und habe manchmal Schwierigkeiten damit, angemessen zu reagieren. Aber ich hab es inzwischen gut im Griff!«

»Okay«, antwortet er nur noch und ich lege die Hand auf die Klinke. »Danke für dein Vertrauen! Ich weiß das wirklich zu schätzen.«

»Ja ... kein Problem.«

›War ja nicht gerade freiwillig!‹

 

 

Kapitel 3

______________

 

 

 

 

Erschöpft schließe ich meinen Briefkasten auf, aus welchem mir bereits der gewohnte, kleine Luftpolsterumschlag mit neunzig Prozent Werbung aus der Apotheke entgegenfällt. Ich schmeiße ihn in das große, leere Hauptfach meines Rucksacks, dann fahre ich mit dem Fahrstuhl in die oberste Etage des Hochhauses.

Sobald ich meine Wohnungstür öffne, weht mir sofort der vertraute Geruch nach feuchten Gräsern und Erde entgegen. Ich liebe diesen Duftmix, aber gerade kann ich mich nicht daran erfreuen.

›Gott, wie konnte ich nur so blöd sein?‹, frage ich mich stattdessen immer wieder, werfe seufzend meinen Rucksack auf den Boden und die Autoschlüssel in eine vergilbte, weiße Schale auf dem Schuhschrank, ehe ich mir übers Gesicht reibe.

»Sensibel und respektvoll mit ihm umgehen ...«, wiederhole ich Jax` Worte und frage mich, was Bruce geritten hat, ihm das zu raten.

›Wahrscheinlich hält er mich für die Sorte Homo, die sofort anfangen zu flennen, sobald man sie beleidigt.‹

Dieser Gedanke bringt mich fast zum Lachen.

›Aber wenn er wirklich wüsste, was ich für ein Typ bin, würde er mich vermutlich nie wieder um einen Rat bezüglich seines Sohnes bitten ...‹

Ich behalte meine Schuhe an, denn der geflieste Boden meiner kleinen Zweiraumwohnung, die im fünfunddreißigsten Stock dieses mittelpreisigen Wohnhauses liegt, ist von den Scherben einiger kaputter Tontöpfe, Erde und teilweise auch von Efeu überzogen. Die Fenster hab ich schon seit mindestens einem Jahr nicht mehr geputzt, wodurch das hereinscheinende Licht immer einen komischen Grauschleier hat, doch manchmal schimmert dadurch auch das Wasser des Aquariums in den großen Scheiben, was ich echt schön finde.

Ja meine Bude ist ziemlich chaotisch, was daran liegt, dass ich Hausarbeit hasse! Genau genommen gibt es nur eine Sache, die ich wirklich gerne mache: Lüften!

»Hallo Farnsy«, seufze ich leise und streiche mit den Fingern über seine Blätter, die mir schon im Flur entgegenkommen.

»Hallo Sky«, raunt seine freundlich-süffisante Stimme in meine Ohren und beschert mir für einen kurzen Augenblick ein Lächeln.

»Weißt du, was ich mich gerade gefragt habe?«

»Na?«, hakt er nach und klimpert leise, was bedeutet, dass er sich im Hintergrund bereits mit dem Internet verbindet, um fundierte Antworten liefern zu können.

»Ich hab mich gefragt, ob meine Fenster in die Spülmaschine passen ...«

»... Google sagt nein.«

»Dachte ich mir«, kichere ich. Zu schade, dass er keinen Sarkasmus versteht.

Nein, ich bin nicht verrückt ... Das, was da zu hören ist, kommt aus meinem Home-Pod, einem kleinen runden Lautsprecher in meinem Wohnzimmer, auf dem ein sogenannter intelligenter persönlicher Assistent, kurz IPA, installiert ist. Früher bekannt als Siri oder Alexa. Vom Werk aus klingt die IPA weiblich, aber man kann das System auch auf eine männliche Stimme umstellen, was viele nicht wissen, und das Aktivierungscodewort ändern, welches gleichzeitig den Namen des Assistenten bildet. Ich habe Farnsy einprogrammiert und den Soundpopel auf den Rand des ältesten und größten Topfes von Mr. Farnsworth gestellt, damit es sich anfühlt, als könnte ich mit meiner Lieblingspflanze sprechen.

Das mag im ersten Moment ein wenig absonderlich klingen, aber viele Menschen reden mit ihrer Wohnungsbotanik, mit dem Unterschied, dass die nicht antwortet! Meine schon, und wenigstens ist die ein Lebewesen und nicht nur ein Haufen Metall.

Persönlichen Assistenten wurden besonders seit der Smart Home Revolution 2030 weiterentwickelt. Sie sollten immer menschlicher reagieren, sensibel auf Emotionen eingehen können und überall einsetzbar sein. Jetzt, acht Jahre später, sind sie für die meisten von uns kaum noch wegzudenken. Sie organisieren nicht nur all unsere Termine, Einkaufslisten, Nachrichten und sämtlichen anderen Alltagskram, erinnern uns an die Geburtstage unserer Mitmenschen oder beantworten alle möglichen, noch so dämlichen Fragen. Nein - sie sind auch mit einem ausgereiften Analysesystem sowie einem Raumscanner ausgestattet.

Darüber hinaus sind sie inzwischen mit sämtlichen technischen Geräten verknüpft, die man im Haushalt hat, sein das nun Toaster, Kühlschränke oder Sexpuppen ... um mögliche Wartungsvorschläge zu machen und gefährliche Fehlfunktionen vorauszusehen. Sie verfügen über eine Wärmebildkamera und einen Atmosphärecheck, der uns vor Gas- oder Rauchvergiftungen schützen soll, und sind mit unserer medizinischen Datenbank verbunden. Das bedeutet, sie überwachen auch die regelmäßige Einnahme von Medikamenten, melden rechtzeitig einen Verlust des Versicherungsschutzes an, wenn man zum Beispiel zu viel trinkt, und benachrichtigen die entsprechenden Ärzte, wenn die Verhaltensanalyse zu auffällig wird.

Kurzum: Die Dinger sind Fluch und Segen zugleich!

»Und, Farnsy, wie gehts dir so?«, frage ich einfach mal ins Blaue hinein, um ein Gespräch zu beginnen und mich von Jax abzulenken.

»Gut. Aktuell sind es zwölf Grad draußen!«

Funktional wie immer ...

Manchmal klappt das mit der Menschlichkeit nicht so ganz. Obwohl. Es gibt sicher auch Menschen, die so antworten würden.

Seufzend hänge ich meine Jacke an den Garderobenhaken. Es war kein Scherz, als ich sagte, dass Mr. Farnsworth bereits meine halbe Wohnung überwuchert. Und er ist bei weitem nicht die einzige Pflanze, die hier lebt. Vom Flur aus geht man durch einen Vorhang aus Efeu, vorbei an Palmen verschiedenster Art und steht bereits in dem Bereich, den ich hauptsächlich für den Alltag nutze.

Wie im Büro habe ich auch hier die wolkenkratzertypischen raumhohen Fenster, allerdings nur an einer Seite. Die Räume sind allesamt in einem loftartigen Industrie-Chic gestaltet worden, was nichts anderes bedeutet, als dass so gut wie alles, was nicht privat ist, aus Metall besteht. Dies schließt die gesamte Küche ein, die Badewanne und ein festverschraubtes Regal, das als Raumteiler dient. Davor befindet sich zudem eine Wendeltreppe, die auf ein schmales Podest darüber führt. Dort stehen ein alter Bürostuhl und ein kleiner Schreibtisch mit meinem Computer.

Als ich das erste Mal herkam, dachte ich, das Haus befände sich noch im Rohbau. Sichtbare Stahlträger, Lüftungsschächte, Schläuche, Betonwände ... nichts ließ in meinen Augen auf ein wohnliches Zuhause schließen, aber inzwischen hab ich mich ganz gut damit arrangiert.

Die Fenster werden von Hängepflanzen wie Zebrakraut und Hoya umsäumt, um die Säulen rankt sich Efeu bis zur Decke, und dazwischen stehen unzählige Töpfe aller Größen mit Farnen, Palmen und anderen Zierpflanzen.

Das Zentrum des Zimmers bildet mein eintausend Liter Aquarium, schlicht besiedelt von einigen Guppys im Farbschlag Cobra-Grün, Wasserschnecken und einem Wels, der wie immer feuchtfröhlich an der Scheibe herumlutscht.

Das Becken sorgt für eine angenehme Luftfeuchtigkeit und, mangels Fernseher, auch für Unterhaltung, wenn ich abends allein auf dem schwarzen Ledersofa sitze, das sich an der Wand gegenüber befindet. Außerdem mag ich dieses stetige Geblubber.

Der einzige Nachteil dieser Art der Einrichtung ist, dass so ziemlich alles, was nicht aus Metall, Stein oder Ton besteht, schimmelt. Aus diesem Grund habe ich in jedem Regal, in der Küche, unter der Treppe und manchmal auch einfach an der Seite gestapelt, luftdichte Plastikkisten stehen, die wenig schön, aber funktional sind. Darin befinden sich meine Bücher, Klamotten, Bettwäsche, Lebensmittel und allerlei Kleinkram.

Ein kurzer Blick auf die Uhr verrät mir, dass der Abend noch viel zu jung ist, um schlafen zu gehen, aber Arbeit hab ich keine mehr und meine Laune ist so weit im Keller, dass ich auch wenig Lust auf andere Aktivitäten verspüre. Außer darauf, mich zu betrinken vielleicht.

»Oh ja ... ein Gläschen Rum ... das wär`s jetzt ...«

Doch sofort ermahnt mich Farnsy: »Darf ich dich daran erinnern, dass Montag ist?! Du hast Doktor Hibbler versprochen, nur noch am Wochenende zu trinken ... und das hast du! Sehr exzessiv! Denk an deinen Kater gestern!«

»Ja, ja ich weiß. Ich saufe nichts. Das war nur so dahergesagt.«

»Gut.«

Seufzend lasse mich auf die Couch sinken und lege mich für einen Moment auf den Rücken, wo ich meine Brille abnehme und mir die Nasenwurzel massiere, ehe mein Blick an die Decke fällt. Eine Weile beobachte ich das Schattenspiel der vielen unterschiedlichen Blätter, welches mich sonst immer beruhigt, doch sobald meine Gedanken abdriften, hab ich schon wieder diesen verdammten Jax vor Augen.

›Nein! Verflucht nochmal, hör auf, an diesen Typen zu denken!‹, ermahne ich mich selbst und drehe mich auf die Seite, um meinen Fischen zuzuschauen. Meistens macht mich der Anblick so müde, dass ich irgendwann einschlafe, aber durch den exzessiven Kaffeemarathon heute bin ich hellwach.

»Ach scheiß drauf«, fluche ich plötzlich, schwinge abrupt hoch und gehe die kleine Halbtreppe hinauf, in die Küche. »Nur ein Glas!«

»Dabei bleibts aber ganz sicher nicht ...«

»Schnauze, Farnsy! Dich hat keiner gefragt!«

Ich hole mir eine Flasche Cola und einen Black Rum von Hamilton, meinem Lieblingssuffhersteller, aus dem Getränkeschrank und mische beides jeweils zu Hälfte in einem hohen Glas, ehe ich noch ein paar Eiswürfel hineinschmeiße und mich damit zurück auf die Couch begebe.

»Haaaach ... viel besser!« Sobald der erste Schluck der kalten, süßen, prickelnden Flüssigkeit meine Kehle hinunter rinnt, kann ich mich endlich wieder entspannen.

Ja, ich bin schwach. Aber wer konnte auch ahnen, dass ein Typ wie Jaxon, der zu einhundert Prozent dem Idealbild meines Traummanns entspricht, unser Brand Manager wird?

›Wie soll ich das bloß aushalten? Dieses hinreißende Lächeln und dieser verführerische Body direkt vor meiner Nase, jeden Tag, von heute an!? Ich kann ihn ja nicht mal ignorieren! Ich muss mit ihm zusammenarbeiten, das ist mein Job!‹

Ich lege die Füße auf der Seitenlehne ab, stütze das Glas auf meinen Oberschenkel und lasse mich nach hinten sinken, bis mein Kopf von dem weichen, kalten Polster gestützt wird. Erst dann nehme ich einen weiteren Schluck.

›Ach, das wird schon ... irgendwie. Reine Gewöhnungssache.‹

»Wenn du an einem Montag Alkohol trinkst, scheint es dir mental nicht gutzugehen«, konstatiert Farnsy plötzlich. »Möchtest du, dass ich akuten Gesprächsbedarf bei Dr. Hibbler anmelde?«

»Nein«, murre ich und drehe mich auf die Seite. Manchmal verfluche ich dieses neue Gesundheitsupdate, wegen dem er mich ständig mit meinem Psychiater oder einem Proktologen verbinden will!

»Aber vielleicht hilft es dir, wenn du über deine Probleme sprichst? Gern auch mit mir! Das kann dich emotional entlasten, Druck abbauen und dir Erleichterung verschaffen. Reden bringt Klarheit und neue Perspektiven, die durch den Austausch mit anderen gewonnen werden, trägt zur Selbstreflexion bei und reduziert Stress, was das allgemeine Wohlbefinden verbessert. Zudem fördert es unsere Verbundenheit, was dazu führt, dass du dich weniger allein fühlst. Durch das Teilen von Sorgen erhält man oft hilfreiche Lösungsansätze und Ratschläge, die -«

»Ich brauche keinen Rat, Farnsy«, unterbreche ich ihn und drehe mich wieder auf den Rücken. »Das Problem wird sich von selbst lösen ... mit der Zeit.«

»Ach? Und wie genau soll das gehen?«

›Warum klingt er manchmal so sarkastisch?‹

»Na schön ...« Genervt gebe ich nach und erkläre: »Wir haben einen neuen Mitarbeiter, in den ich mich verknallt habe. Aber er will nichts von mir und steht auch nicht auf Männer.« Ich seufze und nehme einen weiteren Schluck. »Gerade ist seine Anwesenheit kaum auszuhalten für mich, doch ich finde ihn sicher nur deshalb so geil, weil er neu und sehr gutaussehend ist. Letzteres wird sich nicht so schnell ändern, aber irgendwann stellt sich heraus, dass seine Freundlichkeit nur Fassade war und sobald er den Zauber des mystischen Unbekannten verliert, wird er auch optisch weniger ansprechend sein. Ein mieser Charakter macht hässlich, und statistisch gesehen haben die meisten überdurchschnittlich attraktiven Menschen einen Scheißcharakter, also ist die Chance dafür ziemlich hoch! Dann fallen mir die ersten Fehler auf, die ich im Glanze seiner Neuheit nicht bemerkt habe, und infolgedessen wird es mir auch nicht mehr so schwerfallen, mit ihm zu arbeiten.«

»Das hast du dir aber schön zurechtgelegt.«

»Ich weiß. Danke.«

Vorsichtig drehe ich mich auf den Bauch, stütze mich auf die Ellenbogen und trinke einen weiteren großen Schluck, ehe ich das Glas auf dem Boden abstelle und mein Handy aus der Hosentasche hole, um meine Nachrichten zu checken. Leider ist das Erste, was mir entgegenspringt, eine Info aus dem Messenger, die verkündet, dass eine neue Nummer in den Gruppenchat der Marketing-Abteilung von UrbanGoods eingefügt wurde.

»Oh nein«, keuche ich und lasse den Kopf aufs Leder fallen. »Jetzt hab ich auch noch seine verdammte Nummer!«

»Tritt aus«, rät mir Farnsy sofort, der natürlich bemerkt, was mein Problem ist, da er unter anderem mit meinem Smartphone verbunden ist, auch wenn er keine direkte Kontrolle darüber hat, denn die hab ich ihm verweigert. Aus Gründen ... »Die Teilnahme an diesem Gruppenchat ist freiwillig«, erinnert er mich. »Jeder, der außerhalb deiner Arbeitszeit etwas von dir möchte, kann dich anrufen!«

»Ja, aber ... vielleicht wirkt es komisch, wenn ich die Gruppe verlasse, sobald er darin aufgenommen wurde?«

Mein Pflanzen-IPA scheint einen Moment nachdenken zu müssen. Wäre er ein Mensch, würde er jetzt vermutlich mit der Zunge schnalzen.

»Darf ich dich daran erinnern, dass du dort eh nie irgendwas hineinschreibst oder dich an Diskussionen beteiligst? Darüber hinaus hast du dich inzwischen exakt vierundsechzigmal beschwert, dass dein Handy bimmelt, weil ... wieder irgendeiner der Kollegen früh um sechs mit kotzpositiven Kalendersprüchen um sich schmeißt?!« Letzteres ist sogar ein Ausschnitt einer Sprachaufnahme von mir, was mich ganz besonders nervt. »Wenn du in der Gruppe bleibst und dieser Mitarbeiter auch nur halb so aktiv ist wie deine übrigen Kollegen, wirst du zukünftig zwischen fünf und siebenmal am Tag seinen Namen samt seinem Profilbild in deiner Anzeigenleiste für neue Nachrichten haben. Daher solltest du wirklich - ... Was machst du da?«

»Ich guck nur mal kurz ...« Ja, ich weiß, es ist kontraproduktiv, aber ich kann nicht anders. Wie von selbst segelt mein Daumen über das Display, öffnet den Chat und tippt auf Jax` Foto, um es zu vergrößern. »Fuck ...« Ich schnappe nach Luft und werde augenblicklich wieder hart. »Dieser miese Wichser!«

Ganz offensichtlich ist es kein Geschäftshandy, mit dem er da beigetreten ist, denn sonst hätte er wohl kaum so ein prollmäßiges, oberkörperfreies Body-Pic von seinem Spiegelbild in einem Fitnesscenter als Profilbild. Aber das ist noch nicht mal das Schlimmste! Seine dunkelgraue Designersporthose beginnt erst eine gute Handbreit unter dem Bauchnabel und das ist kein Zufall, denn er hat den Daumen in den Bund gehakt und zieht sie einseitig herunter, was wohl kaum offensiver sein könnte.

»Meine Bildanalyse ergibt, dass das Foto von Jaxon Hayes äußerst libidinös ist und deine geschlechtlichen Instinkte zu achtundneunzig Prozent ansprechen sollte«, konstatiert Farnsy vor sich hin. »Demgemäß wird es deine Verliebtheit nur noch verstärken. Es anzusehen war also nicht hilfreich!«

»Ich weiß«, stoße ich aus und spüre, wie in mir all der angestaute Frust hochsteigt, weshalb ich wütend ins Polster boxe. »Das ist einfach nicht fair! Dieser Kerl hat alles, was ich mir wünsche! Er ist mein absoluter Traumpartner!«

»Alles, was du dir wünscht, ist ein Mann mit einem attraktiven Körper? Dann giltst du in europäischen Kulturkreisen als ... oberflächlich.«

»Ich bin nicht oberflächlich!« Prustend setze ich mich wieder auf. »Also ... nicht mehr als alle anderen! Aber mal vollkommen abgesehen von seinem perfekten Körper sowie meiner Schwäche für Typen mit braunen Haaren und grünen Augen, besitzt er auch all die charakterlichen Eigenschaften, die mir an einem potenziellen Partner wichtig wären. Er ist selbstbewusst, dominant und trotzdem freundlich, engagiert, erfolgreich, kultiviert und hat einen ausgezeichneten Modegeschmack.«

»Und, nicht zu vergessen, er ist hetero!«

›Manchmal hasse ich dich, Farnsy.‹

»Kurz gesagt; Du willst das exakte Gegenteil von dir, korrekt?«

Ich lege den Kopf in den Nacken und schnaufe, als ich diesen Fakt realisiere.

---ENDE DER LESEPROBE---