Like a Cat: Von frechen kleinen Katern und großen bösen Tigern! - Vaelis Vaughan - E-Book

Like a Cat: Von frechen kleinen Katern und großen bösen Tigern! E-Book

Vaelis Vaughan

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Beschreibung

Like a Cat Gay Romance / Gay Fantasy / Shapeshifter Print 360 Seiten Wie fühlt es sich an, völlig frei zu sein? Sich in ein dynamisches Tier verwandeln zu können, dem kaum Grenzen gesetzt sind und das überall hingehen kann, wohin es will? Matt kennt dieses Gefühl. Als Katzenwandler hüpft er seit Jahren auf leichtfüßigen Samtpfoten über die Dächer seiner Kleinstadt, erkundet die entlegensten Winkel und entflieht so seinem eher eintönigen menschlichen Dasein. Doch sein Leben nimmt eine unerwartete Wendung, als er einem faszinierenden und mächtigen Tigerwandler begegnet, dessen Duft eine Sehnsucht in ihm weckt, die ungeahnte Gefühle in ihm auslöst. Mit viel Beharrlichkeit, Witz und Charme gelingt es ihm, das Vertrauen des misstrauischen Gestaltwandlers zu gewinnen, doch als er endlich den Mann hinter dem Raubtier findet, trägt dieser Handschellen. Matt erkennt, dass die Umstände weitaus schwieriger sind, als er anfangs dachte, und seine Hoffnung auf eine glückliche Zukunft mit seinem vermeintlichen Seelenverwandten scheint unmöglich. Eigentlich gibt es nur eine Möglichkeit, aber dafür muss Matt alles aufs Spiel setzen. "Like a Cat" ist ein fesselnder, aber auch witziger Roman über die Begegnung zweier Gestaltwandler, wie du sie bestimmt noch nie erlebt hast.

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Like a Cat - Klappentext
Hinweis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Epilog
Nachwort
Danksagungen
Über Vaelis
Impressum
Fußnoten

Like a Cat - Klappentext

Gay Romance / LGBT / Shapeshifter Lovestory

 

Über den Dächern von Charlestown erstreckt sich für Matt eine Welt voller Mysterien und Rätsel. Er, ein Gestaltwandler der ganz besonderen Art, hüpft so gut wie jede Nacht als schwarze Katze durch die kleine Stadt und genießt die unendliche Freiheit, die seine tierische Form mit sich bringt - vor allem, weil sie im völligen Kontrast zu seinem monotonen, menschlichen Dasein steht. Sein Leben nimmt allerdings eine unerwartete Wendung, als er auf einen faszinierenden Neuankömmling stößt: einen mächtigen Tigerwandler. Dessen Duft entfacht eine Sehnsucht in Matt, die weit über die Grenzen der Normalität hinausgeht. Durch seinen Charme und eine geschickte Annäherungstaktik gelingt es ihm, das Vertrauen des misstrauischen Wandlers zu gewinnen, doch als er endlich auf den Mann hinter dem Raubtier trifft, trägt dieser Handschellen.

Matt begreift, dass die Umstände deutlich schwieriger sind, als sie zu Anfang schienen, und zwischen all den hohen Mauern und Gitterstäben schwindet seine Hoffnung. Eine glückliche Zukunft mit seinem vermeintlichen Seelenverwandten erscheint nur möglich, wenn er sich zu einem äußerst gewagten Unterfangen entschließt, welches nicht nur ihn, sondern auch seine ganze magische Welt ins Wanken bringt.

 

 

 

Hinweis

______________

 

Die Protagonisten dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt. Zudem spielt die Handlung in einer fiktiven Stadt der USA. Zur einfacheren Lesbarkeit und Vermeidung von massenweise Fußnoten werden jedoch die deutschen Begriffe der entsprechenden Pendants verwendet. Zum Beispiel Schlosser statt Metalworker, CharlestownKlinik statt Charlestown Medical Center oder Berufsschule statt vocational high School oder technical high School.

Darüber hinaus gibt es hier eine Triggerwarnung, denn die Story enthält ua. sexuelle Übergriffe, detailliert ausgeschriebene, schwule Sexszenen und Alpträume, in denen Verstorbene vorkommen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Pantherchen.

Kapitel 1

______________

Frei

 

 

 

Meine Muskeln spannen sich an. Langsam neige ich mich nach vorne, atme ruhig und tief ein, dann sprinte ich los und stoße mich mit aller Kraft von der Kante des Flachdaches ab.

Das ist es. Dieses unglaubliche Gefühl der absoluten Freiheit, dieser kurze Moment zwischen dem Absprung und der Landung, in dem ich, losgelöst von allem, was ist, zu fliegen scheine.

Die Sterne des nachtschwarzen Himmels ziehen an mir vorbei, der kühle Wind weht mir durchs Fell, bis ich sanft abfedernd auf der anderen Seite lande.

›Wow ... das war richtig weit!‹

Schnell schätze ich die Entfernung bis zu meinem Landeplatz und komme auf mindestens fünf Meter, was einen stolzen Erregungsschauer durch meinen agilen Körper jagt.

›Hah! Ich bin gut! Soooo gut!‹

Selbstbewusst tänzelnd hüpfe ich auf einen Giebel und schaue mich um, ehe ich auf das nächste Dach zusteuere. Mein Herz rast vor Aufregung und doch bin ich die ganze Zeit hochkonzentriert.

Die kühle Luft riecht noch immer nach Regen und auch der Boden ist nach wie vor nass, trotzdem habe ich guten Halt.

›Ah, ja! Da auf den First!‹

Ich hebe den Hintern, fühle die feuchten Ziegel unter meinen Pfoten und wetze los, springe ab und lande, punktgenau, wie immer.

Ja, zugegeben: Ich bin keine gewöhnliche Katze. Wenn ich eine wäre, könnte ich höchstens zwei Meter weit springen, aber ich bin ein Wandler. Ein Katzenwandler, um genau zu sein, und damit jedem Durchschnittsmenschen und jeder Stinokatze weit überlegen! Zumindest gehe ich davon aus.

Ich atme tief ein und genieße die klare, kühle Nachtluft, die hier oben, über den Dächern, um einiges besser riecht, als unten auf den Straßen. Besonders in der Nähe Hafens und des Parks und nachdem es so lange geregnet hat.

Little Charlestown kenne ich inzwischen wie meine Westentasche, und auch wenn ich liebend gern mal durch die nächstgrößere Stadt streunen würde, lässt mein begrenztes Zeitfenster leider keine längeren Ausflüge zu. Also probiere ich einfach immer neue Parcours in meiner Umgebung aus, die mich auf Trab halten, denn auch davon kann ich nie genug bekommen.

Nachdem ich eine Weile von einem Dach zum anderen gehüpft bin, hopse ich auf eine Fahnenstange, balanciere an deren Spitze und springe von dort ins weit aufgerissene Maul einer großen, aufgebäumten Löwenstatue.

Allein für diesen Sprung habe ich fast zwei Jahre gebraucht.

Vorsichtig klettere ich auf den steinernen Kopf und von dort auf seine in die Luft gestreckte Vorderpfote. Von dieser springe ich mit aller Kraft über die hohe Mauer mit dem Stacheldraht und lande direkt auf einer Parkbank.

Wie lange ich gebraucht habe, um den letzten Part zu meistern, verrate ich lieber nicht. Nur so viel: Dieser dämliche Draht hat mir mehr als einmal meine fluffigen Eier rasiert!

Trotzdem war es das wert, denn hier bin ich nun an meinem absoluten Lieblingsort: dem kleinen Streichelzoo von Charlestown, in dem es immer irgendwas Interessantes zu entdecken oder abzustauben gibt!

»Hey! Wer ist da?« Ein Licht schwenkt in meine Richtung, weshalb ich mich schnell hinter einem der umliegenden Bäume verstecke. Nachtwächter Miggs, der immer läuft, als würde er seit sieben Tagen einen Schiss zurückhalten, sieht mich nicht, was zum einen daran liegt, dass er ein ziemlicher Blindfisch ist, und zum anderen, weil mich mein pechschwarzes Fell in der Nacht perfekt tarnt. »Dämliche Eichhörnchen«, grummelt er schließlich und dreht ab.

Vorsichtig luge ich hinter dem Baum hervor und kichere. »Chrchrchrchrchr.« Na ja, eher eine Mischung aus Schnurren und Grunzen, aber als Katze kann ich halt nicht wie ein Mensch lachen.

Schnell laufe ich den Hauptweg entlang, vorbei an den Alpaka-, Pferde- und Rindergehegen, bis ich zu den Schafen komme. Früher, als sie noch Lämmchen waren, habe ich immer mit ihnen gespielt, aber leider wurden ihre Freigehege umgebaut. Zwar werden sie auch heute noch von einem Maschendraht eingezäunt, über den ich ohne Probleme hüpfen konnte, aber dahinter befindet sich jetzt ein Graben mit Wasser und in dem will ich auf keinen Fall landen!

Der Umbau ist anderthalb Jahre her. Die kleinen Schafe sind längst erwachsen, haben eigenen Nachwuchs und boxen mich blökenderweise weg, wenn ich diesem zu nahe komme. Sie erkennen mich nicht mehr, haben vergessen, dass wir einst zusammen spielten, aber ich bin ihnen nicht böse. Es sind eben Tiere. Sie konzentrieren sich nicht auf das, was war, sondern auf das hier und jetzt, und das ist der Schutz ihrer Jungen, der ihnen über alles geht. Nur einer der Gründe, warum ich ihre Gesellschaft gegenüber der von Menschen bevorzuge.

Plötzlich höre ich etwas und spitze die Ohren, während ich mich mit aufgerissenen Augen umsehe.

›Da kommt ein Lastwagen!‹

Schnell erklimme ich den nächsten Baum, um besser sehen zu können, und tatsächlich! In der Ferne erspähe ich Miggs, der das Tor öffnet und ein großes Kraftfahrzeug hereinlässt.

›Was liefern die denn um diese Uhrzeit? Futter?‹

Für einen Moment schätze ich, wie spät es sein könnte, aber selbst, wenn gleich der Morgen dämmert, wären sie viel zu früh.

Ohne nachzudenken kraxle ich hastig auf einen der Äste, die über dem breiten Weg hängen, und sobald er unter mir durchfährt, springe ich batmanmäßig auf das Dach des Wagens. Leider rutsche ich jedoch nach hinten weg, weil ich mich auf dem Metall nicht festkrallen kann. Erst an der Antenne bleibe ich hängen und schaffe es so, mich auf dem Dach zu halten.

›Puh! Das war knapp! ... Wo fährt der bloß hin?‹

Der Lastwagen passiert noch eine weitere Absperrung, durch die keine Besucher dürfen, dann rollt er in eine große Halle, dessen stählerne Pforten sich wie von Geisterhand öffnen. Wir halten und ich entdecke mehrere seltsame Rolltore an allen Seiten.

Einer der Mitarbeiter steigt aus und betätigt einen Schalter an der Wand. Daraufhin flackert eine Leuchtstoffröhre nach der anderen auf, bis es ganz hell ist. Er geht die fünf Stufen einer schlichten Betontreppe hoch, drückt auf einem Panel neben einer Stahltür herum und eine verzerrte Stimme reagiert mit einem einfachen »Ja?«

»Wir sind eingetroffen«, antwortet der Mann knapp. Offenbar sind sie von Miggs bereits angekündigt worden.

»Gut. Ich öffne Gang zwei.«

Der Fahrer dreht sich, weshalb ich mich schnell, so flach es geht, auf das Dach des Wagens presse, um nicht gesehen zu werden. Ist aufgrund des maximalen Kontrastes zwischen meinem schwarzen Fell und dem weißen Lack äußerst schwierig, aber zum Glück wird seine Aufmerksamkeit auf eines der Rolltore gezogen, das sich knirschend an der anderen Seite der Halle öffnet.

›Ooooh ... wo geht es denn da hin?‹

Es enthüllt einen langen Gang, der mir ein wenig Angst macht und mich gleichzeitig in sich hineinzusaugen scheint.

›Ich muss unbedingt schauen, was es da gibt!‹

Ich weiß. Könnte gefährlich werden. Ja, ja. Aber ich bin halt ein scheißneugieriges Katerchen. Kann ich nix für.

Noch bevor ich jedoch vom Dach sprinten und in diesen verlockenden Gang lunsen kann, öffnet sich die Stahltür über der Treppe und ein Trupp Wärter mit Betäubungsgewehren marschiert heraus.

›Wha!‹

Sofort presse ich mich erneut auf den Lack, denn so einen Metallpfeil möchte ich garantiert nicht in meinem flauschigen kleinen Pöppes haben!

Auch die Typen gehen zum Glück zielgerichtet nach unten, wo die beiden Liefertypen bereits die Hecktüren öffnen wollen, doch in diesem Moment stoppt sie einer der Wärter.

»Wartet. Wir schließen erst den Eingang. Nicht das der uns noch entwischt.«

›Entwischt? Ach ... da ist ein neues Tier drin! Was es wohl für eins ist?‹

Einen Moment werde ich erneut von meiner Neugier überrollt und robbe nach hinten.

›Vielleicht ein Puma oder ein Bär ... irgendwas Mächtiges auf jeden Fall. Für ein Häschen bräuchten sie sicher keine Betäubungsgewehre ... es sei denn, es ist zwei Meter groß und hat Tollwut!‹

Als ich über einem Belüftungsschlitz im Dach des hinteren Wagenteils angekommen bin, steigt mir plötzlich ein Geruch in die Nase, der ein Feuerwerk in meinem Körper auslöst. All meine Nerven schicken heiße Schübe durch meine Haut und meine Rückenhaare stellen sich auf!

›Was ist das?‹

Es riecht nach Erde, Fell, animalisch, herb, ein bisschen moschusartig und mittendrin ist etwas Süßliches, das ich nicht definieren kann, doch all meine Sinne reagieren darauf. Innerhalb einer Sekunde läuft mir so sehr das Wasser im Mund zusammen, dass es auf meine Pfoten tropft.

›Was immer es ist, ich will es putzen! ... Jetzt!‹

Leider bemerke ich erst als einer der Männer mithilfe eines roten Schalters das Schwenktor schließt, etwas viel Wichtigeres.

›Oh nein! Wenn sie die Halle dicht machen, komm ich hier nicht mehr raus! Verflixt!‹

Mir bleibt keine Wahl. Obwohl meine Gelenke gerade ziemlich steif sind, springe ich hastig von dem Transporter herunter, ignoriere die erschrockenen Rufe der Tierpfleger und wetze, so schnell ich kann, über den Betonboden gen Ausgang.

›Nicht schießen! Nicht schießen! Nicht schießen!‹

Der Spalt vor mir wird immer schmaler! Doch ich bremse nicht, spurte stattdessen noch schneller und schlittere um Haaresbreite durch das sich schließende Tor, welches mir fast die Schwanzspitze ab knipst, ehe ich über den Zufahrtsweg purzle.

›Puh! Das war knapp!‹

Mit rasendem Herzschlag schaue ich auf die Halle zurück, aus der aufgeregtes Getöse erklingt. Offenbar schreien sich die Typen an?! Ich spüre deutlich das Adrenalin durch meine Adern rauschen und überlege im Augenblick des Übermutes sogar, ob ich nicht doch noch einmal versuchen sollte, durch ein Fenster oder Rohrschacht hineinzukommen, um mir das neue Tier anzuschauen. Ich muss herausfinden, warum all meine Instinkte so extrem auf seinen Geruch reagieren, aber als ich dazu nach oben sehe, bemerke ich einen ersten roten Schimmer am Horizont.

›Oh nein! Schon so spät? Ich muss zurück!‹

Frustriert, dieses spannende Geheimnis nicht gelüftet zu haben, drehe ich um und laufe zum nächstbesten, hölzernen Laternenmast, strecke mich und hinterlasse eine kleine unbefriedigte Kratzspur.

›Egal! Morgen ist eine neue Nacht!‹, denke ich mir und klettere auf eine Ziermauer, ehe ich erhobenen Schwanzes schwöre: ›Ich komme wieder, du duftendes Wesen, und dann ... dann leck` ich dich ab!‹

***

»Biep, biep, biep, biep, biep, bie-« Wuchtig schlage ich auf den verfluchten Wecker und lasse mich, ächzend wie ein Zombie, zurück ins Kissen fallen.

»Ich hasse Montage«, murre ich vor mich hin, aber da ich zur Berufsschule muss, quäle ich mich trotzdem in eine sitzende Position anschließend aus dem Bett. Ich strecke mich, wobei mich meine allmorgendlichen Rücken- und Kopfschmerzen begrüßen. »Aua«, murre ich und reibe mir die Schläfen. »Blöde Ausbildung ... blödes Menschenleben ...«

Ganz ehrlich? Nachdem ich entdeckt habe, dass ich die Fähigkeit besitze, mich in eine Katze zu verwandeln, war ich eigentlich der festen Überzeugung, niemals zur Schule oder arbeiten gehen zu müssen.

Tja, falsch gedacht.

Könnte ich mich für eine Gestalt entscheiden, würde ich keine Sekunde zögern, mein animalisches Ich zu wählen, doch das geht nicht. Als Katze brauche ich nur kleine Mengen, um zu überleben, und fresse auch gern mal etwas aus der Tonne, aber als Mensch dreht sich mir der Magen um, wenn ich rohen Fisch essen oder mir mein Frühstück aus dem Müll holen soll. Außerdem sind meine nächtlichen Streifzüge äußerst kräftezehrend, sodass ich als Mensch viel Energie tanken muss. Und das schließt ein warmes Bett, drei humane Mahlzeiten am Tag und leider auch ein regelmäßiges Einkommen ein, zumindest, seitdem ich erwachsen bin.

Während ich mir den Schlaf aus den Augen reibe, tasten meine nackten Füße nach den Hausschlappen, die ich gestern Abend achtlos vors Bett gefeuert hab. Auf dem Weg ins Bad versuche ich irgendwie meine Lider aufzukriegen, aber sie sind so schwer, als würden Gewichte daran baumeln.

›Sähe sicher reichlich blöd aus.‹

Glücklicherweise schaffe ich es auch blind, mich in meinem kleinen WG-Zimmer zurechtzufinden, das sein eigenes Wascheckchen mit Klo hat. Im Gemeinschaftsbad, das ich mir mit meinem Mitbewohner Luke teilen muss, kann ich auch duschen, aber das mache ich nur, wenn ich keinen Zeitdruck habe.

Gähnend stütze ich mich auf das Porzellanbecken und döse dort für einen Moment, bis ich immer mehr absacke und meine Stirn die Ablage knutscht.

»Hm? Was?« Ich straffe mich, schüttle den Kopf und öffne nun mit aller Gewalt meine Augen.

›Meh. Ich hasse Spiegel.‹

Ein völlig verpennter Typ mit pechschwarzen, kinnlangen Zotteln glotzt mich an. Seine grauen Glubscher sind mit Eyelinerschlieren besudelt, sein Hals von blauen Flecken verschandelt und auf den morgendlich geröteten Wangen leuchtet ein Rudel Sommersprossen, als seien es allesamt entzündete Pickel! Ja, so früh am Morgen sieht dieser Waschlappen alles andere als frisch aus.

›Apropos Waschlappen. Wo ist der schon wieder hin?‹

Ich finde ihn auf der Heizung hängend, zupfe ihn herunter und drehe müde schmatzend das Wasser auf, ehe ich gute zwanzig Sekunden warte, bis es warm ist. Das dauert hier immer eine Weile, denn das Gebäude ist alt und die Leitungen lang. Die Wartezeit nutze ich, um mir meine Ohrringe reinzumachen: Zwei silberne kleine Creolen und einen schwarzen Sternchenstecker rechts, sowie einen großen Sternenstecker links. Dann schippe ich mir einen Schwung Wasser ins Gesicht und bibbere sofort, denn es ist immer noch viel zu kalt.

›Ich hasse Wasser.‹

Ja. Ist so. Als Kater könnte man das sicher vermuten, aber auch als Mensch kann ich dem kalten Nass nichts abgewinnen. Natürlich wasche ich mich trotzdem, denn ich will ja nicht stinken, doch meistens bleibts bei einer Katzenwäsche.

Schon während ich mich abtrockne, muss ich immer wieder an diesen seltsam elektrisierenden Duft denken.

›Heute Nacht kehre ich auf jeden Fall in den Zoo zurück, das steht fest! Ich muss herausfinden, was die da angekarrt haben!‹

Leider ist es nicht einfach, in die abgesperrten Bereiche zu kommen. Genau genommen war es das erste Mal, dass ich die Einfuhrhalle zum Lager und den medizinischen Stationen von innen gesehen habe, geschweige denn, jemals weiter vorgedrungen wäre.

›Na ja, aber bisher hatte ich auch keinen Grund dafür.‹

Mein Blick fällt auf den Wecker, der auf der Ablage steht, und ich zucke zusammen. Schnell putze ich mir die Zähne, laufe dabei durch meine vier Wände und sammle mit der freien Hand noch ein paar Hefter ein, die ich in meinen Rucksack stopfe, denn ab heute hab ich wieder Berufsschule.

Nachdem ich mein kindliches Leben hauptsächlich als Katze verdümpelt habe, nicht mehr zur Schule gegangen bin und anschließend auch noch einen Unfall hatte, wohne ich jetzt in einer betreuten WG. Im Rahmen meiner Wiedereingliederung in die menschliche Gesellschaft muss ich zudem meinen Schulabschluss nachholen und eine Ausbildung machen. Scheiße ist das und nebenbei absolut nicht, was ich eigentlich tun wollte, aber was solls.

Sobald ich damit fertig bin, mein Zeug zusammen zu sammeln, spüle ich mir den Mund aus, schnappe mein Haargel, werfe meine dichte Mähne über Kopf und ziehe die eingeschmierten Hände hindurch. Einen Moment lasse ich den ganzen Schmunzius trocknen, erst dann richte ich mich mit Schwung wieder auf und erledige den Feinschliff mit den Fingerspitzen.

»Passt.«

Wenn meine Haare zu einer seitlich hängenden Tolle frisiert sind, finde ich sie ganz okay. Dann hängen sie mir auch nicht ständig im Gesicht. Was ich überhaupt nicht leiden kann, ist, wenn ich mir einen Zopf machen muss. Als angehender Schlosser beziehungsweise Metallbauer, wie es ja seit den Achtzigern heißt, ist das in meinem Ausbildungsbetrieb natürlich Pflicht. Schon oft wurde ich dazu angehalten, sie abzurasieren oder zu kürzen, was ich noch weniger will. Dann laufe ich lieber herum, wie ein spätpubertierender Zuhälter, wenn ich das Schweißgerät schwinge, mir auch egal.

Ich muss strullen.

Während ich Wasser lasse, auf dem Klo hockend, wie sich`s gehört, bin ich ehrlich glücklich darüber, dass ich gerade hauptsächlich theoretischen Unterricht habe. Das heißt, wenig Praxis und mir stehen noch einige wundervolle, zopffreie Tage bevor!

»Matthew? Bist du fertig?« Susan, unsere WG-Betreuerin, steckt einfach den Kopf in mein Badezimmer und erschreckt mich damit halb zu Tode.

»Whah!« Schnell reiße ich das Händehandtuch vom Haken und halte es mir vor den entblößten Lörres. Sie verschränkt nur die Arme.

»Du bist ja noch nicht mal angezogen?!«

»Kannst du nicht anklopfen?«, fahre ich sie an und verfluche meine nackte Haut. Als Kater ist es mir ziemlich wurscht, wer mich beim schiffen sieht, aber als Mensch bin ich nicht so hemmungsfrei.

»Hab ich!«, verteidigt die kurvige Brünette ihr Handeln. »Offenbar warst du aber mal wieder zu sehr in deinen Tagträumen versunken, um mich zu hören. Jetzt los, beeil dich!«

»Ja, ja!« Ich winke sie aus meinem Pieselstübchen und sie verlässt es kopfschüttelnd. Sobald ich die Tür ins Schloss fallen höre, schüttle ich mich ab, steige von der Toilette herunter und laufe zurück ins Zimmer, um ein paar halbwegs saubere Kleidungsstücke vom Boden aufzusammeln.

Ich hasse Kleidung und Schuhe erst recht. Alles beengt mich, juckt, kratzt und scheuert, aber als junger Mann lande ich im Knast, wenn ich nackt durch die Gegend latsche, egal wie warm es draußen ist.

Ja, man merkt es vielleicht: Ich hasse eine Menge Dinge, die mit meinem Dasein als Mensch zu tun haben. Genau genommen verabscheue ich alles daran. Als Katze bin ich frei, kann gehen, wohin ich will, muss mich nicht rechtfertigen und niemand schreibt mir vor, was ich zu tun oder zu lassen habe.

Bin ich ein Mensch, kommt es mir vor, als wäre ich in Ketten gelegt, klebe mit bleischweren Füßen am Boden fest und bin so beweglich wie eine Bahnschranke. Ich fühle mich eingesperrt, selbst wenn ich frei umherlaufe, und jedes Gespräch über mich als Person fühlt sich wie eine Lüge an.

»Matt! Mach hinne, sonst schaffst du es wieder nicht zu frühstücken!« Susan klopft erneut an meiner Tür und raubt mir damit den letzten Nerv.

»Ja doch! Zwei Minuten!«

Hastig humple ich mit einem Bein in der Hose zurück ins Bad, ziehe mir dabei mein schwarzes Tanktop über und schließe meinen Gürtel, während ich mit der anderen Hand meinen Kajalstift aus dem Kramkörbchen unter dem Waschbecken herausfische. Sobald ich ihn habe, umrande ich meine Augen, verwische alles leicht mit dem Finger und ziehe eine kleine Spitze am äußeren Winkel, damit ich auch als Mensch ein bisschen kätzisch aussehe.

 

 

 

 

Kapitel 2

______________

Äußerst ätzende Kreaturen

 

 

 

»Na Pussy? Siehst ganz schön abgerockt aus.« Luke lacht schnorchelnd und zieht die Nase hoch. Der Typ ist immer erkältet, selbst jetzt, im Frühling.

Augenverdrehend ignoriere ich seine blöde Anmache, setze mich an den Tisch, schmiere mir ein Brötchen und frage mich einmal wieder, warum ich ihm von meinem tierischen Dasein erzählt habe. Ehrlich! Ich habe keine Ahnung, was mich damals geritten hat, dieser schlaksigen Prollo-Blitzbirne zu vertrauen.

Sein auf den Kopf gehauchtes Basecap, um sich die fünf Zentimeter Frisur nicht zu versauen, und auch die bescheuerte hellblaue Bomberjacke, hätten mir eigentlich deutliche Warnsignale sein sollen. Vielleicht dachte ich, weil er in meine WG einzieht, dieselbe Ausbildung startet und ungefähr im gleichen Alter ist, würden wir automatisch Freunde werden, selbst wenn wir äußerlich sehr konträr sind. Dann fing er auch noch an, mit all seinen coolen Taten zu prahlen, von wegen, er habe bereits mit vierzehn zu rauchen angefangen, sei leidenschaftlicher Pyromane, hätte schon einen Bankautomaten gesprengt und mindestens zehn Autos abgefackelt. Dreimal saß er deswegen im Knast, wo er auch zu tätowieren gelernt habe. Ja, ein ganz Harter wäre er, gefährlich, wie ein wildes Tier, das sich gerade so bändigen könne, und nun stecke er in dieser Maßnahme fest, die ihn dazu zwinge, eine Ausbildung zu machen, obwohl er eigentlich ein eigenes Tattoostudio eröffnen wollte! Während er an seiner Fluppe nuckelte, beäugte er mich anschließend etwas abfällig, ehe er fragte: »Und, was machst du so?« Da fühlte ich mich in die Ecke gedrängt. Bisher hab ich ja nicht viel vorzuweisen, also antwortete ich einfach geradeheraus: »Ich bin ein Wandler und streife Nachts als Katze umher.«

Tja, nachdem er sich geschlagene zehn Minuten darüber beölt hatte, inklusive drei Schenkelklopfern und Tränen in den Augen, wollte er noch wissen, ob ich dabei einen Latex-Onesie1 mit spitzen Öhrchen und ein Glöckchenhalsband trage. Natürlich verneinte ich das wütend, doch er erzählte es fortan allen, die ihm begegneten.

Inzwischen weiß daher jeder in meinem Umfeld darüber Bescheid und die Meisten ziehen mich bis heute damit auf, genau wie er. Klar, sie glauben mir nicht, aber ich sehe auch nicht ein, mich vor ihnen auszuziehen und mich zu verwandeln, um es zu beweisen. Zumal es ihren Spott vermutlich nicht mal beenden würde, wenn ich da plötzlich als kleines niedliches Kätzchen vor ihnen sitze und sie anmaunze. Schlimmstenfalls lande ich am Ende noch in irgendeinem Versuchslabor.

»Ei?«, reißt mich Susan aus meinen Gedanken und stellt mir meine Brotbox hin, die ich selber befüllen muss.

»Ja, danke«, sage ich leise und sie nickt.

»Du solltest wirklich früher ins Bett gehen, vor allem wenn Sonntag ist.« Sie tätschelt mir den Kopf. »Du siehst total übermüdet aus.«

»Is` ja auch sicher wieder die ganze Nacht herumgetigert«, wirft Luke spöttelnd ein, bis ihm Susan einen strafenden Blick an die Birne schmettert.

»Das hätte ich wohl mitbekommen! Ich hatte heute Nachtschicht!«

Nein. Hätte und hat sie nicht. Mal abgesehen davon, dass sie immer die ganze Nacht hindurch vor der Glotze im Wohnzimmer sitzt und ich selbst als Mensch unbemerkt hinter dem Sofa vorbei und aus der Haustür verschwinden könnte, nutze ich als Katze natürlich das Fenster in meinem Zimmer. Das steht sowieso immer auf Kipp.

»Achso, denkst du daran, dass du morgen um halb eins deinen Termin bei Dr. Barry hast?«, erinnert sie mich noch und ich schaue leicht genervt auf.

»Ja, weiß ich. So wie jede Woche.«

»Gut.« Damit verschwindet sie zurück in die Küche.

Ich wickle mein fertig geschmiertes Käsebrötchen in Wachspapier ein, ehe es in der Lunchbox landet. Dazu noch ein paar Paprikaschnitze, ein Apfel und zwei abgepackte Kekse, fertig.

Das zweite Brötchen belege ich mit Schinken und lasse mir von Susan das Spiegelei draufpacken, sobald sie es fertig hat. Dann starte ich in den wenig wundervollen Tag.

***

Austin, ein weiterer Betreuer, begleitet uns und noch sechs andere Bewohner aus dem Haus zur fußläufigen Berufsschule, als wären wir eine Gruppe Kindergartenkinder. Anfangs fand ich das megapeinlich, aber inzwischen habe ich resigniert, genau wie Luke, der mit seinen Getthoblaster-Kopfhörern sowieso nichts mehr mitkriegt. Eintöniges Gewummere mit undeutlichem Sprechgesang dröhnt daraus hervor, weshalb ich möglichst viel Abstand zu ihm halte, während er wie ein Wackeldackel den Kopf hoch und runter wippen lässt und eindeutige Assi-Gangster-Handbewegungen macht.

Seufzend atme ich tief ein, rieche die vom nächtlichen Regen nassen Wiesen und schaue in den Himmel, der immer mehr aufklart.

Um diese Zeit ist der Park, durch den wir gehen, noch relativ ruhig und leer. Ein Eichhörnchen huscht auf einen Baum und ich unterdrücke den Impuls, ihm nachzujagen.

›Vielleicht ist es ja auch ein Wandler? ... Gibt es überhaupt Eichhörnchenwandler? Oder Rattenwandler? Hamsterwandler, Mückenwandler ... die hätten doch voll die Arschkarte.‹

Der Gedanke zwingt mir ein Lächeln auf, aber fragen kann ich niemanden, denn in unserem kleinen Städtchen bin ich noch keinem anderen meiner Art begegnet. Zumindest nicht, dass ich wüsste.

Alles, was ich an Fähigkeiten habe, brachte ich mir selber bei, aber natürlich lese ich auch hochanspruchsvolle Fachliteratur mit dieser Thematik!

Ja, zugegeben, es waren eher Fantasyschnulzen, trotzdem konnte ich darüber so einiges in Erfahrung bringen! Auch wenn nicht alles daraus auf mich zutrifft, was hauptsächlich daran liegt, dass ich kein Wolfswandler bin, und es in diesen Büchern fast immer nur um Wölfe und deren Rudelhierarchie als Alpha, Beta oder Omega geht, so weiß ich inzwischen zumindest, dass ich ein Gestaltwandler bin!

Für Außenstehende mag das offensichtlich sein, doch ich wusste lange nicht, was mit mir los ist. Aber mal ernsthaft, was soll auch sonst der Grund für meine immer wiederkehrende Verwandlung in ein wunderschönes, pechschwarzes Raubtier sein? Ein Virus oder ein Fluch? Nö und nö! Ich bin garantiert keine Miniwerkatze und auch kein schnuffiger Spitzohrgremlin oder ein behaarter Winzgargoyle! Nein. Ganz sicher nicht! Zumal ich ja tagsüber als vollkommen normaler Mensch durch die Gegend latsche und weder versteinere, noch zu Staub zerfalle.

Trotz meines inzwischen recht umfassenden Wissens würde ich mich gern mal mit einem anderen Wandler austauschen. Aber wie soll ich den erkennen? Als Mensch wird er oder sie es mir kaum sagen und als Tier erst recht nicht. Zumindest bin ich noch keinem Tier begegnet, das mich mal eben in menschlicher Sprache vollgesülzt hat.

›In den Büchern liest es sich immer so einfach. Da erkennen sie sich im Vorbeigehen an den Augen, an der Aura oder quatschen telepathisch miteinander.‹

Seufzend schaue ich wieder zu Boden, kicke einen Stein vor meinen Füßen weg und vergrabe die Hände im Bauchfach meines Hoodies.

›Ich würde alles dafür geben, endlich einen anderen Wandler kennenzulernen. Und sei es nur kurz, um zu wissen, dass ich nicht allein bin. Ich meine ... ich bin ein Kater, ein Einzelgänger durch und durch ... aber ab und zu wäre es schon schön, einen Gleichgesinnten zu haben. Und einen Lover.‹

Wir sind da.

Luke kramt kopfwippend seine Zigaretten aus der Tasche und raucht noch eine, ehe der Unterricht losgeht. Austin bleibt neben ihm stehen, um aufzupassen, dass er nicht die Biege macht, was schon öfter vorgekommen ist. Uns winkt er indessen rein.

Noch einmal schaue ich sehnsüchtig zu der angrenzenden Parklandschaft rüber, durch die ich jetzt am liebsten in großen Sprüngen wetzen würde. Einfach alles stehen und liegen lassen, keinen Rucksack schleppen und keine Schulbank mehr drücken. Schmetterlinge jagen, auf Bäume klettern, Eichhörnchen erschrecken ... und in den Zoo laufen, um das dufte Wesen zu besuchen.

Seufzend wende ich stattdessen meinen Blick ab und schlurfe und in das riesige, dunkle Backsteingebäude.

***

Die monotone Erzählweise unseres Lehrers ist wie ein rauschender Fluss, der mich mehr und mehr einlullt. Mein Kopf rutscht immer wieder von meinem angewinkelten Handgelenk und lässt mich dabei aufschrecken.

Ich hasse Physik. Wenn wir in Werken und Technik den Einsatz von Werkstoffen, Werkzeugen und Maschinen lernen, oder in Mathe Entwürfe erarbeiten, kann ich mich ja schon noch irgendwie wachhalten. Aber in Physik müssen wir elendig lange Texte lesen, welcher Werkstoff für welchen Zweck verwendbar ist und ausrechnen, welche Dimensionierung der Rohstoffe für ein Bauteil erforderlich ist.

Trockener Scheiß also. Klar, die Verarbeitung verschiedenster Metalle bestimmt später den Berufsalltag eines Schlossers, denn je nach gewählter Fachrichtung fertigt er daraus die unterschiedlichsten Konstruktionen. Aber ich will auf jeden Fall in einen Betrieb für kunstgewerbliche und historische Artikel, die eher filigranere Gegenstände wie Kerzenleuchter, Nachbauten von Rüstungen, aber auch verzierte Gartenzäune sowie Deko-Elemente für den Haus- und Gartenbereich herstellen. Einen Hauch von Kreativität brauche ich in meinem Leben, sonst gehe ich ein.

Immer wieder schaue ich aus dem Fenster. Vögel zwitschern, Bäume beginnen bunt zu blühen, der Frühling ist in vollem Gange, aber wir Menschen sitzen ja lieber in unseren gemauerten Höhlen herum. Ein Spatz setzt sich aufs Fensterbrett und erregt meine Aufmerksamkeit. Ich spüre schon, wie meine Fingernägel zu Krallen werden und sich meine Ohren leicht schmerzlich auf den Oberkopf ziehen, doch sobald ich aufspringe, schlägt der Lehrer mit seinem Zeigestock auf den Tisch und mein Ziel flattert davon.

»Herr Walker, wollen Sie uns etwas mitteilen?«

Vor Schock zieht sich alles animalische in mich zurück. Die ganze Klasse dreht sich zu mir um und glotzt mich an.

»Ich glaub, unser Kätzchen wollte sich einen Snack holen«, feixt Luke und deutet auf den Vogel, der sich auf den gegenüberliegenden Baum gesetzt hat.

»Na dann komm her, Pussylein, ich geb dir ein Leckerli«, steigt auch noch Tristan ein, der massigste meiner Mitschüler, und zieht quietschend Luft zwischen die Lippen, während er mit einem Erdnussflip wedelt. »Miez, Miez.«

Alle lachen. Nur ich nicht.

»Ich muss kurz aufs Klo«, rechtfertige ich mein Aufspringen kurzerhand und der Lehrer stöhnt genervt.

»Da hätte es auch gereicht, wenn Sie die Hand heben.« Er wendet sich ab. »Gehen Sie, aber wehe es dauert wieder die ganze Stunde!«

»Nicht vergessen, das Katzenklo steht beim Hausmeister«, ruft mir Luke noch hinterher und erneut höre ich die Klasse lachen, vor allem als Tristan hinzufügt: »Ist die Muschi eigentlich stubenrein? Nicht das sie uns in den Flur pullert.«

Ich knalle die Tür hinter mir zu und laufe hastig die Treppen hoch. Hab ich bereits erwähnt, dass ich mein Leben hasse?

Falls nicht: Ich hasse, hasse, hasse es!

So schnell mich meine lahmen Stelzen tragen, renne ich in die oberste Etage und suche dort die Toilette auf. Kaum einer benutzt die hier oben, denn in diesem Stock befinden sich hauptsächlich Lagerräume für Anschauungsmaterialien und Lernwerkzeuge sowie Übungsbaustoffe.

Es riecht nach Bohnensuppe mit Putzmitteln und alten Socken, gemischt mit diesem beißenden Metallgeruch, der in der ganzen Berufsschule hängt, obwohl hier nicht nur Schlosser-Schüler sind. In dem gefliesten WC wird dieser jedoch vom penetranten Zitruspisseduft verdrängt, der von den Urinalsteinen aufsteigt.

Mit geübtem Griff klappe ich das Fenster an, denn ganz öffnen kann man es aus Sicherheitsgründen nicht. Dann schaue ich auf mein Handy, um die Uhrzeit zu checken.

›Nur eine kurze Pause! Zehn Minuten, höchstens‹, rede ich mir ein, obwohl ich jetzt schon weiß, dass ich dieses enge Zeitfenster nicht einhalten werde. Das tue ich nie.

Ich schließe mich in der letzten Toilettenkabine ein, setze mich auf das geschlossene Klo, ziehe Schuhe und Socken aus, um sie auf dem Spülkasten zu drapieren, dann winkle ich die Beine zum Schneidersitz an. Wenn ich als Katze aus meiner Kleidung schlüpfe und abhaue, will nicht riskieren, dass sich irgendwer über den verlassenen Klamottenhaufen auf dem Klo wundert.

Ja, das Risiko, dass hier jemand reinkommt, ist gering, zumindest bis zur Pause, aber trotzdem verberge ich meine Überbleibsel lieber, so gut es geht. Leider ist es schon einmal passiert, dass ich zurückkam und dann nackt dastand, weil irgendjemand in meiner Abwesenheit meine ganzen Sachen weggeräumt hatte.

Ich lehne mich an, mache es mir so gemütlich es geht, denn die Verwandlung erfordert eine gewisse Entspannung von Körper und Geist, weshalb ich es bisher auch nicht geschafft habe, mich in Stresssituationen zu wandeln. Ich kann es nicht erzwingen, aber es wird immer leichter und inzwischen kenne ich auch ein paar Tricks.

Im Gegensatz zu früher, wo ich noch längere Zeit meditieren oder wichsen musste, um den Übergang zu schaffen, lege ich mir jetzt beide Hände seitlich an den Hals, eine links, die andere rechts, mit dem Handballen nach vorn und den Fingern zum Nacken hin. Dann atme ich sechsmal tief aus und ein, halte die Luft an und drücke zu.

In dem Moment, in dem ich merke, dass mir schwindelig wird, reiße ich die Augen auf, fokussiere meinen Blick auf einen Punkt vor mir und spüre, wie ich darauf zu gleite. Mein Sichtfeld wird immer enger, mein Leib wird kleiner und schließlich öffne ich die Augen und bin eine Katze.

Ja, ich weiß, nicht gerade die anmutigste Art, sich zu verwandeln, und auch sicher nicht die Gesündeste, aber hey, es geht schnell und danach kribbelt mein ganzer Körper, was sich unheimlich gut anfühlt. Außerdem: Welche Verwandlung von Mensch zu Tier ist schon graziös? Ich erinnere da nur an Werwölfe, die sich gefühlt jedes Mal alle Knochen brechen müssen, bis ihnen die Schnauze aus der Visage platzt, und mittendrin sehen sie aus, wie ein riesiger hässlicher Zellklumpen mit Haaren, ein missglücktes Experiment, das aus irgendeinem Genlabor entflohen ist.

Ich putze mich einen Moment und blinzle, um meine empfindlichen Katzenaugen an die Helligkeit zu gewöhnen, dann schlüpfe ich unter der Kabinentür hindurch und tapse über die Fliesen.

Durch das Fenster scheinen die Sonnenstrahlen in den grauen Raum hinein, Staubkörnchen glitzern in der Luft und tanzen regelrecht magisch umher. Geschmeidig hopse ich auf das Fensterbrett, quetsche mich durch den Spalt und balanciere routiniert auf dem Sims entlang, bis zur Ecke, an der mir der Vorsprung etwas mehr Platz bietet. Dort setze ich mich und fühle mich für einen Augenblick wie ein kleiner Gargoyle.

Der lauwarme Frühlingswind weht mir entgegen, ich rieche den süßen Duft junger Blüten und sogar den Tau, der so langsam aus den großen Wiesen des Parks aufsteigt.

Es ist so wunderschön. Ich könnte stundenlang hier sitzen und einfach nur die Welt beobachten.

›Ob sie das Tier schon in eines der Außengehege gebracht haben? In der Transportbox wird es wohl nicht mehr sein. Hoffentlich finde ich es überhaupt wieder, wenn ich es heute Nacht besuchen gehe ... aber bei dem eindeutigen Geruch sollte das ja nicht allzu schwer sein. Außerdem kenne ich all die anderen Geschöpfe schon.‹

Noch immer ist es mir vollkommen unverständlich, warum mich der Dunst dieses Tieres so angesprochen hat. In manchen Büchern habe ich gelesen, dass Gestaltwandler erschnüffeln können, wer als Partner zu ihnen passt. Aber auch das betraf wieder nur Wölfe und ich bin ganz bestimmt kein Wolf.

Plötzlich, als ich einen attraktiven jungen Mann mit seinem Pinscher im Park spazieren sehe, kommt mir jedoch eine Idee.

›Was, wenn es gar nicht das Tier war, das ich gerochen habe? Oder zumindest nicht nur? Möglicherweise saß ein Aufpasser mit im Laderaum! Ja, genau! Und wenn der ein besonders katzenstimulierendes Parfum benutzt hat, war es das, was ich gerochen habe, in Kombination mit dem Tier!‹

Zumindest erscheint mir dieser Gedanke logischer, als wenn ich nur auf den Geruch eines fremden Tieres so reagiere.

›Wie auch immer. Ich werde es finden und an ihm schnüffeln! Dann sehe ich ja, ob -‹

Das Gebimmel unserer kleinen Kirche unterbricht meine Gedanken und ich linse um die Ecke, um den Glockenturm zu sehen.

›Mist! Schon neun Uhr!? Warum vergeht meine Zeit als Katze immer so schnell, während sich die als Mensch hinzieht, wie zäher Kaugummi?‹

Ich drehe mich um und will zurücklaufen, doch in diesem Augenblick prescht plötzlich eine riesige Krähe auf mich zu, krächzt lautstark und greift mich an. Erschrocken weiche ich zurück, fauche und schlage mit den Krallen nach ihr, während ich mit den Hinterläufen beinahe von der Fassade abrutsche.

›Was will dieses Mistvieh von mir? Geh weg!‹

Sie attackiert mich mit ihrem Schnabel, doch als ich ausweiche, packt sie mich schmerzhaft mit ihren Klauen an den Schultern und will mich vom Sims reißen. Ich kralle mich fest, schreie vor Schmerz auf, aber sie krächzt nur noch lauter und verstärkt ihren Zug.

›Die will mich runterwerfen!‹

Der Ziegelstein ist zu glatt, ich rutsche und verliere immer mehr den Halt. Meine Füße hängen bereits in der Luft. In letzter Sekunde beiße ich der Krähe ins Bein, woraufhin sich mich endlich loslässt und krächzend davonfliegt.

Ich ziehe mich wieder hoch und lecke japsend meine Wunden. Meine Schultern sind völlig zerkratzt und bluten.

›Dämliche fiese Luftratte! Was hab ich der denn getan? Ist doch unglaublich. Egal welche Form ich annehme, immer werde ich gemobbt!

Mit schmerzverzerrtem Gesicht mache ich mich auf den Rückweg.

***

Ich konnte kaum erwarten, dass der Tag vorbeigeht.

Mein Rücken sieht aus, als hätte ich mit einen wütenden Bären gekuschelt und seitdem die Risse heilen, was bei mir glücklicherweise recht schnell geht, jucken sie ganz fürchterlich. Anfangs dachte ich sogar, ich hätte mich bei diesem blöden Vogel mit irgendwas infiziert, aber zum Glück gibt es ja kaum Krankheiten, die von Vögeln auf Katzen oder Menschen übertragbar sind. Davon abgesehen, hätte die Wunde auch einfach verunreinigt sein können, aber sobald ich zurück im Bad war, spülte ich sie mit kaltem Wasser aus dem Waschbecken aus.

Zwar hätte ich im Sekretariat des Hauses nachfragen können, ob mir jemand die Kratzer desinfizieren und abkleben kann, aber dann müsste ich erklären, woher ich sie habe und das gestaltet sich ja leider schwierig. Schlimmstenfalls dürfte ich zukünftig nur noch in Begleitung auf die Toilette!

Erfreulicherweise suppen und eitern die Wunden nicht, also sollte ich keine schlimmen Konsequenzen zu fürchten haben.

Sobald wir zurück in der WG sind, verziehe ich mich in mein Zimmer, lerne für die nächste Prüfung, verliere mich jedoch immer wieder in meinen Gedanken. Noch bevor Susan die Nachtschicht übernimmt, mache ich mir die Maccaroni mit Käse Reste von gestern warm und schnappe mir eine Flasche Wasser sowie ein handflächengroßes Tütchen Käsecracker, um mich für den Abend verabschieden zu können. Mittagessen hatte ich in der Mensa, aber besonders reichhaltig war es nicht.

Gegenüber Tristan, der uns zurück in die WG begleitete, gebe ich vor, furchtbar müde zu sein und aufgrund meiner tiefblauen Augenringe kauft er mir das auch ab.

»Klar, schlaf dich mal richtig aus. Ist ja zurzeit wieder schwierig, hm?« Ich nicke. Er nickt ebenfalls. »Vielleicht solltest du das Problem mal bei Dr. Barry ansprechen?«

»Ja«, antworte ich einsilbig und angle mir noch eine Birne aus der Obstschale.

»Hättest du was dagegen, mir deinen Laptop und dein Handy rauszugeben, bevor du ins Bett gehst?«, fragt er plötzlich und ich sehe ihn erst nur verstört an, aber dann verstehe ich, was in ihm vorgeht. Offenbar hat er Angst, ich würde die halbe Nacht Pornos gucken oder zocken.

»Klar, kein Ding.« Da beide Gerätschaften passwortgeschützt sind, hab ich damit keine Probleme und lege sie freiwillig ins abschließbare Betreuerfach im Wohnzimmer.

»Danke«, sagt Tristan mit leicht erstauntem Unterton und nickt mir zu, nachdem er auf seiner Checkliste keine weiteren Konsolen oder Ähnliches findet, die sich in meinem Zimmer befinden. Vermutlich rechnete er mit deutlich mehr Widerstand.

»Gute Nacht.« Ich vertilge meine abendliche Mahlzeit, gehe duschen, verdünnisiere mich wieder in mein Zimmer und stelle einen Stuhl unter die Klinke, damit niemand hereinkommt. Letzteres darf ich eigentlich nicht, aus Sicherheitsgründen, aber Susan platzt in der Regel abends nicht nochmal in mein Zimmer, vor allem nicht, wenn ich das ›Bitte nicht stören‹ Schild an die Klinke hänge. Oder besser gesagt, das ›Lass mich in Ruhe wichsen‹ Schild, wie wir es inoffiziell nennen.

Nachdem ich mir die Zähne geputzt habe, klappe ich mein Fenster an und setze mich nackt ins Bett. Ich decke mich bis zur Hüfte zu und wähle den schnellen Weg des Wandelns, obwohl ich es abends normalerweise immer mit Meditation und Masturbation mache, um meine Gehirnzellen zu schonen. Heute kann ich es aber nicht mehr abwarten, endlich wieder in den Zoo zu kommen.

Also mehrmals tief einatmen, konzentrieren, Hände an den Hals, Luft anhalten, hochschauen. Sofort spüre ich den Druck in meinem Kopf, starre auf meine Füße, die immer näher zu kommen scheinen und fühle meine Seele, die sich aus meinem Leib zu reißen droht. Ich verkrampfe all meine Muskeln, sammle meine Energie und gebe der Dunkelheit nach, die mich einhüllt, bis ich erneut die Augen aufschlage.

Hat geklappt. Ich sitze am Bettende, klein, schwarz und flauschig, schüttle und strecke mich, ehe ich den Kopf nach links und rechts knacken lasse.

›Das war aber diesmal ganz schön anstrengend‹, kommt mir in den Sinn, denn im Gegensatz zu heute Mittag hat mich die Verwandlung deutlich mehr Kraft gekostet. Aber gut, normalerweise mache ich das ja auch nicht mehrmals am Tag.

›Was, wenn es irgendwann gar nicht mehr geht?‹

Sofort durchfährt mich ein kalter Schauer. Nein, daran will ich nicht denken. Das wäre der Horror! Aber nach der heutigen Nacht werde ich wohl doch ein paar Tage Pause machen müssen, um meinem ausgelutschten Leib etwas Schlaf zu gönnen.

›Es sei denn, ich entdecke was grandios Aufregendes!‹

Geschickt hüpfe ich vom Bettende auf die Anrichte neben dem Fenster, schnappe mir das kleine Tütchen mit den Käsecrackern, die ich als Geschenk für das wohlduftende Geschöpf mitnehme, und klettere von dort in die Freiheit.

---ENDE DER LESEPROBE---