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"Vikings, Love & Madness" (Trilogie) Band 1 - Zwischen den Welten Gay Romance / Fiktional Urban Historical Story Print 170 Seiten inkl. 5 Illustrationen Seit einigen Jahren lebt Skjern mit seiner Familie in den Bergen von Breheimen. Als ihn sein Kindheitsfreund Arvid, der unerwartet zum Jarl aufgestiegen ist, um Hilfe bittet, kehrt er jedoch in seine alte Heimat, nach Ålgård, zurück. Schon als er aufbricht, plagen ihn seltsame Albträume, die wie aus einer anderen Welt zu sein scheinen. Er sieht einen Mann in Flammen, der ein ganzes Dorf niederbrennt und ihn danach vollkommen schamlos zu seiner eigenen Befriedigung benutzt. Eine beinahe grausame Begierde beherrscht seitdem seine Träume, und obwohl Skjern die bösen Omen beunruhigen, lässt er sich nicht davon abhalten, zu Arvid zurückzukehren, denn insgeheim hofft er, seine heimliche Liebe zu ihm könnte endlich erwidert werden. Bei seiner Ankunft in Ålgård erwartet ihn allerdings eine unschöne Überraschung und er ahnt, dass seine Reise gerade erst begonnen hat ... (Fortlaufende Geschichte in drei Bänden!)
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Vikings, Love and Madness
Band 1 – Zwischen zwei Welten
Klappentext
Gay Romance / Fiktional Urban Historical Story
Seit einigen Jahren lebt Skjern mit seiner Familie in den Bergen von Breheimen. Als ihn sein Kindheitsfreund Arvid, der unerwartet zum Jarl aufgestiegen ist, um Hilfe bittet, kehrt er jedoch in seine alte Heimat, nach Ålgård, zurück. Schon als er aufbricht, plagen ihn seltsame Albträume, die wie aus einer anderen Welt zu sein scheinen. Er sieht einen Mann in Flammen, der ein ganzes Dorf niederbrennt und ihn danach vollkommen schamlos zu seiner eigenen Befriedigung benutzt. Eine beinahe grausame Begierde beherrscht seitdem seine Träume, und obwohl Skjern die bösen Omen beunruhigen, lässt er sich nicht davon abhalten, zu Arvid zurückzukehren, denn insgeheim hofft er, seine heimliche Liebe zu ihm könnte endlich erwidert werden. Bei seiner Ankunft in Ålgård erwartet ihn allerdings eine unschöne Überraschung und er ahnt, dass seine Reise gerade erst begonnen hat ...
Hinweis
Diese Geschichte ist von wahren Ereignissen und überlieferten Sagen aus der Wikingerzeit des 10. Jahrhunderts inspiriert, erhebt jedoch keinen Anspruch darauf, historisch korrekt zu sein, vor allem in Bezug auf die Sprache der Protagonisten. In erster Linie handelt es sich also um eine fiktionale Geschichte mit romantischen, erotischen, ernsten, aber auch witzigen Szenen, die sich im schriftstellerischen Freiraum bewegen.
Darüber hinaus hier vorab eine Triggerwarnung: Das Buch beinhaltet u.a. Gewaltdarstellungen sowie detailliert ausgeschriebene homosexuelle Sexszenen!
Kapitel 1 - Alte Freunde
Letzte Nacht sah ich im Traum einen brennenden Mann. Seine Haut glühte. Seine langen, ungebändigten Haare bildeten eine Krone aus Feuer auf seinem Haupt, doch die Flammen schienen ihm nichts anhaben zu können. Hinter ihm erblickte ich ein Dorf in einer verheerenden, alles vernichtenden Feuersbrunst, und dennoch war es ganz still um mich herum.
Der Unbekannte trug nichts weiter als einen angesengten Fetzen Stoff um die Hüften seines sehnigen Körpers. Er kam auf mich zu und mit jedem Schritt, den er sich näherte, verfiel ich stärker der Raserei, jedoch war ich vollkommen bewegungsunfähig. Erst als er direkt vor mir stand und ich zu ihm aufschauen musste, bemerkte ich, dass ich auf der Erde saß, die Hände rücklings um einen Baum aneinandergekettet.
Auch der letzte Rest seiner Kleidung zerfiel zu Asche und nun war es unübersehbar, dass ihn mein Anblick erregte. Er bewegte sich ausgesprochen grazil, hockte sich zwischen meine Beine und lächelte siegessicher. In seinen Augen spiegelte sich der rotgelbe Schein des Feuers, doch der Rest seines Gesichtes bewegte sich wie ein Spiegelbild auf einer unruhigen Wasserfläche.
Mit seiner lodernden Hand griff er mir an die Brust. Meine Tunika entzündete sich und das dichte Flachsgewebe verbrannte, bis ich vollkommen nackt war. Doch ich spürte keinen Schmerz dabei. Im Gegenteil. Bei seiner Berührung wurde ich hart. Dieser Kerl reizte mich auf eine Weise, die ich nicht mal im Traum für möglich gehalten hatte.
Mit langsamen, geschmeidigen Bewegungen kniete er sich über meinen Schoß, wie ein Luchs, der sich seiner Beute nähert. Meiner eigenen Lust hilflos ausgeliefert, keuchte ich begierig, als er sich tatsächlich auf meinen Pfahl sinken ließ.
Sobald ich in die glitschige, heiße Enge seines Körpers eindrang, stöhnte der Fremde inbrünstig und packte mich bei den Schultern. Die Baumkrone über uns flammte knisternd auf, und während er mich mit wiegenden Bewegungen beinahe um den Verstand brachte, fielen brennende Blätter auf die verbrannte Erde. Sie hüllten uns ein, wie ein glühender Vorhang zusammen mit einem Regen aus Asche.
Ich zerrte an den Ketten, brüllte nach mehr und wollte mich losreißen, um meinen Schwanz ungehemmt in diesen festen, geilen Körper zu hämmern, aber ich blieb seinem Willen vollkommen ausgeliefert. Dennoch fand mein Trieb Erlösung, als er sich vorbeugte, seine Lippen verlangend auf meine drückte und dabei seine Hüften fest auf mich presste.
In diesem Moment ging auch mein Körper in Flammen auf und verbrannte zusammen mit seinem, ehe ich erwachte.
Seit den frühen Morgenstunden reite ich nun durch die Wälder von Rollagsfjell und kann an nichts anderes mehr denken als diesen Traum.
Der Winter steht kurz bevor. Sonnenstrahlen tanzen durch die Schatten der im Wind schwankenden Bäume, die einen Teil ihrer rotgelben Blätter bereits verloren haben. Trotz der Kälte breitet sich eine angenehme Wärme in meinem Körper aus, eine Wärme, die ich schon lange nicht mehr gespürt habe. Ich atme tief ein, rieche den Duft von Moosen und Laubbäumen, denn die Landschaft verändert sich allmählich. Die kargen Nadelgehölze werden immer seltener; die Fichten und Kiefern verschwinden. An ihrer statt wachsen riesige Birken, Erlen und Eschen, die ich zuletzt als Kind sah. In der Ferne höre ich einen Elch röhren, so laut, dass selbst mein Pferd den Kopf hebt, welches bisher nur entspannt vor sich hin trottete.
Die Schönheit der Umgebung zieht an mir vorbei, lässt mich beinahe wehmütig werden, und doch bin ich völlig in meinen Gedanken versunken.
›Was hatte dieser verworrene Traum zu bedeuten? War er ein böses Omen ... vielleicht sogar eine Warnung? Oder hat nur Haders alter Käse meine Eingeweide in Aufruhr versetzt und mich deshalb so schlecht schlafen lassen?‹
Die besagte Nacht verbrachte ich in einer alten Felshöhle. Sie war nicht tief, eher ein größerer Vorsprung, dennoch schützte sie mich und mein Pferd vor den eisigen Stürmen, die dort in den Bergen noch um einiges kälter sind als hier unten im Tal. Über einem Lagerfeuer briet ich mir zwei Forellen, die ich in einem nahegelegenen Fluss fing. Dazu aß ich ein Stück Roggenbrot mit dem Käse, der vermutlich meine Albträume verursachte. Wer weiß, vielleicht schlich sich auch der Rauchgeruch des Lagerfeuers in meine Illusionen, gepaart mit der Tatsache, dass sich in meinem Gemächt ein gewisser Druck aufgebaut hat, seit ich die Nachricht von Arvid erhielt. Zumindest körperlich war ich danach wieder entspannter, auch wenn ich dafür erst mal meine Unterhose waschen musste.
›Eigentlich unglaublich, dass ich mir über so ein nächtliches Hirngespinst derart viele Gedanken mache. Als wenn ich keine anderen Sorgen hätte!‹
Ich schüttle den Kopf, als könnte ich meiner Grübelei so den Garaus machen.
›Es war nur ein Traum. Nicht mehr und nicht weniger.‹
Wenn mein Pferd durchhält, bin ich heute Abend an meinem Ziel. Schon gestern ritt ich den ganzen Tag hindurch, denn der Weg aus den Bergen von Breheimen bis nach Ålgård ist lang.
Meine Familie verließ die Gegend, als ich gerade das elfte Lebensjahr vollendet hatte. Einige weitere Clanmitglieder schlossen sich uns an, denn immer wieder kam es zu Streitigkeiten mit Jarl Linus, unserem damaligen Oberhaupt, der kein sehr umgänglicher Mann war. So verlor ich auch den Kontakt zu meinem besten Freund Arvid, dem Sohn von Jarl Linus.
Sechzehn Jahre ist es nun her, dass meine Familie Ålgård verlassen hat, und doch fühlt es sich an, als sei ich noch gestern hier gewesen. Ich muss nicht einmal mehr auf die Wegzeichnung meiner Mutter sehen, denn es ist, als hätte ich tief im Inneren einen Wegweiser in meinem Herzen, der mich nach Hause führt. Nach Hause zu Arvid ... der Liebe meiner Jugend.
Abermals denke ich an den Boten zurück, der von Clan zu Clan zog, um für ihn nach Verbündeten zu suchen. Ausgerechnet ich fing ihn vor dem Dorf ab, denn ich kannte ihn nicht, und er verhielt sich auch sehr unnahbar, aber so hörte ich Arvids Nachricht als Erster. Der Bote berichtete von Jarl Linus‘ Tod im Sommer des Jahres, und dass dieser Arvid, seinen einzigen Sohn, vor seinem Ableben zum Nachfolger erklärt hatte. Das verwunderte mich erst, denn normalerweise hätten andere vor ihm darauf Anspruch gehabt, doch Linus‘ Brüder und seine alten Gefolgsleute wagten es wohl nicht, Arvid den Titel streitig zu machen. Immerhin gilt er in der Zwischenzeit als Ålgårds bester Krieger.
Nun sucht Arvid Verbündete - junge Männer und Frauen, die seinen Clan stärken und hochrangige Posten übernehmen, um die alten Untergebenen abzulösen, die seinem Vater dienten. Er verspricht jedem, der nach Ålgård kommt, ein eigenes, eingerichtetes Haus, ohne jedwede Bedingungen, was fast schon töricht ist, da er ja gar nicht wissen kann, wie viele dem Ruf folgen. Doch daran merkt man deutlich, dass er in einer Notlage steckt.
Zuletzt gab er dem Boten sogar eine gesonderte Nachricht, die nur für mich allein bestimmt war. Er sollte mir ausrichten, Arvid habe oft an mich denken müssen und nie wieder einen Freund wie mich an seiner Seite gehabt. Er ließ mitteilen, es wäre ihm eine Ehre, mich als seine rechte Hand einzusetzen, wenn ich zu ihm zurückkehre, da er dringend Getreue braucht, denen er vertrauen kann. An seiner Seite könnte ich ein neues, ruhmreiches Ålgård aufbauen, genau so, wie wir es uns als Kinder vorgestellt hatten.
Ich kann kaum in Worte fassen, was diese Nachricht in mir auslöste. Doch niemand anderes aus unserem Clan beabsichtigte seinem Aufruf zu folgen. Schlimmer noch; auch mir rieten alle davon ab, zu gehen. Sie meinten, Arvid könne niemals ein guter Jarl sein, da er schon als Kind unberechenbar war und wenig Sinn für Gerechtigkeit besaß. Er galt als streitsüchtig, unüberlegt und leicht in Rage zu bringen. Ihn als Jarl zu haben, konnte sich keiner aus meinem Clan als Verbesserung im Vergleich zu seinem Vater vorstellen, und sein Angebot mit den Häusern erschien ihnen vollkommen absurd.
So bin ich also als Einziger losgezogen, um meinen alten Freund zu unterstützen. Im Gegensatz zu meinen Vertrauten glaube ich daran, dass er ein guter Jarl wird, denn ich kannte ihn wie kein anderer. Ich bin mir sicher, er braucht lediglich ein paar gute Freunde in seinem Umfeld, die ihm helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Schon am nächsten Morgen verabschiedete ich mich von meinen Eltern, meinen zwei jüngeren Brüdern und meiner Zwillingsschwester, die mich für mein Vorhaben unter Tränen als Hornochse betitelte. Ich versprach, auf der Hut zu sein und zurückzukehren, sollte das Schiff sinken. Dann brach ich auf ...
Ich nehme eine Handvoll Hafer aus der Satteltasche und gebe sie meinem Reittier. Dabei bemerke ich, dass es zittert, was äußerst selten vorkommt, denn dieser Hengst ist das kräftigste Pferd unseres Clans.
»Wir haben es bald geschafft«, ermuntere ich ihn leise und tätschle seinen Hals.
Er war es, auf dem ich Reiten lernte, und ich war es, der ihm seinen Namen gab. Ich nannte ihn Jammerbøg, weil er als Jungpferd jedes Mal einen entsetzlichen Aufstand machte, wenn ich den Stall verließ. Ginge es nach seinem Willen, müsste ich selbst mein Nachtlager mit ihm teilen, denn er ist der glücklichste Gaul auf Erden, wenn wir zusammen nächtigen, so wie zuletzt.
»Halt noch etwas durch, alter Junge«, brumme ich ihm zu und er schnaubt zurück. Heute wird er jedenfalls gut schlafen.
Ich schaue auf und richte meinen Blick über die endlosen, steinigen Wiesen auf die dichter werdenden Wäldchen.
All die Jahre fragte ich mich, wie es wohl wäre, wenn Arvid und ich uns wieder begegnen. Heute Abend ist es endlich so weit und ich kann mir im Augenblick nichts Schöneres vorstellen.
***
Als ich mein Ziel erreiche, dämmert es bereits und der Boden ist so kalt, dass das Gras unter den Hufen meines erschöpften Kaltbluts knirscht. Ich sehe meinen eigenen Atem und ziehe den mit Fell besetzten Wollumhang enger um meinen Leib, ehe ich die letzte Anhöhe überquere.
Trotz der schlechten Sicht erkenne ich Ålgårds markantes Tor schon von Weitem, als es sich majestätisch aus dem Tal erhebt. Doch irgendetwas ist anders.
Der imposante, doppelte Holzbogen hat sich kein bisschen verändert, nur das Symbol des Clans, das, etwas vereinfacht, den Vegvisir[Fußnote 1] darstellen soll, hat sichtbar gelitten. Vielleicht hätte man es doch aus Metall und nicht aus Holz fertigen sollen, aber als mein Vater damals den Vorschlag brachte, war Jarl Linus dagegen. Ein solch komplexes Zeichen zu schmieden hätte lange gedauert und viel kostbares Metall verbraucht. Außerdem wäre es höchstens kopfgroß geworden, um keine Wegelagerer anzulocken. Für Jarl Linus sollte es jedoch groß wie ein Wagenrad, einfach und schnell gefertigt sein. Deshalb entschied man sich für eine Variante aus Holz. Darüber hinaus verlangte er, dass jedem Clanmitglied im Alter von sechs Wintern das Symbol des Clans auf die rechte Schulter tätowiert wird, damit ein jeder sehe, zu wem wir gehören. Auch ich trage bis heute den Vegvisir auf meiner Haut, genau wie meine Schwester und meine Eltern. Nur meine Brüder sind davon verschont geblieben.
Je näher ich nun dem Dorf komme, desto klarer sehe ich, was hier nicht stimmt. Die Öllampe an der Kette des unteren Torbogens, die stets zur Dämmerung brennt, um den Jägern, Holzfällern und Sammlern, die tagsüber außerhalb des Dorfes unterwegs waren, den Weg nach Hause zu erleichtern, wurde nicht entzündet. Darüber hinaus ist ein Teil der Palisaden, die das ganze Dorf zu seinem Schutz umgeben, beschädigt.
›Wie kann das sein? Arvid muss doch davon wissen!‹
Ich gebe zu, so etwas hätte es unter Jarl Linus nicht gegeben. Soweit ich mich erinnere, war er immer sehr darauf bedacht, wie das Dorf nach außen hin wirkt. Derartig nachlässig gewartete Schutzwälle machen angreifbar und zeugen von Schwäche, und die duldete er nicht.
Mit einem unguten Gefühl nähere ich mich meiner alten Heimat und reite langsam an die offen stehende Eingangspforte heran. Auf den Wegen ist keine Menschenseele zu sehen, fast schon gespenstisch still ist es, und in diesem Moment kommen mir die bösen Omen aus meinem Traum in den Sinn.
›Vielleicht sollte ich doch lieber umkeh-‹
»Hei da! Wer seid Ihr?«[Fußnote 2], ruft plötzlich einer der Dorfbewohner, der hinter den rechten Palisaden gesessen hat. Er tritt hastig in die Mitte des Tores und versperrt mir mit seinem Speer den Weg.
Sobald ich ihn sehe, verstummen meine Zweifel. Ich bringe Jammerbøg mit einem leisen »Ho« zum Stehen und lehne mich grinsend auf den Sattel. »Ihr seid ganz schön alt geworden, Einar, und blind noch dazu? Erkennt Ihr mich nicht?«
Der grauhaarige Mann runzelt die Stirn und hebt schließlich eine kleine Öllampe hoch, die er in der Linken hält. »Ihr seht aus ... wie unser alter Goldschmied Aarhus, als er noch jung war.« Er japst freudig auf. »Seid Ihr etwa ... kann das sein ... Skjern? Skjern Aarhusson?«
»Kein Geringerer«, antworte ich und steige vom Sattel. »Schön, Euch wiederzusehen, Einar.«
Ich will den Freund meines Vaters mit einem Armdruck begrüßen, doch er hält mich mit dem Griff seines Speeres auf Abstand und geht einen Schritt zurück.
»Ich freue mich, Euch zu sehen, mein Junge, aber kommt mir lieber nicht zu nahe. Ich bin alt. Meine Knochen brechen wie trockene Zweige.« Daraufhin setzt er ein schwermütiges Lächeln auf. »Bei Odin, groß seid Ihr geworden. Wie lange ist das jetzt her? Fünfzehn Winter?«
»Sechzehn«, verbessere ich ihn amüsiert und richte meinen Gürtel. »Wie geht es Oline und Eurem Sohn Petter? Ist er noch hier?«
Mein Gegenüber verzieht das Gesicht und nickt, schweigt aber, ehe er mich gedankenversunken mustert. »Eure Haare sind dunkler geworden. Früher wart Ihr blonder als Stroh, das weiß ich noch genau. Goldjunge haben wir Euch genannt.«
»Oh ja, daran kann ich mich erinnern! Und als Sohn des Goldschmiedes hat es ja sogar im zweifachen Sinn gepasst«, erwidere ich lachend und schüttle den Kopf. »Hier hat sich ja einiges ... ähm ... verändert. Bin ich der Erste, der Arvids Einladung gefolgt ist? Sagt mir doch, wo ich ihn finden ka-«
»Reitet zurück!«, unterbricht er mich plötzlich ernst und sieht sich fast schon panisch um. »Reitet zurück, solange Ihr noch könnt! Aarhus tat das Richtige, seine Familie fortzubringen! Wir hätten mit euch gehen sollen, aber wir blieben ... wegen des Hauses und der Tiere, die die lange Reise nicht überstanden hätten. Es war ein Fehler ... ein furchtbarer Fehler! Oline flehte mich an zu gehen, doch ich blieb stur und nun -«
»Einar«, fährt ihm jemand ins Wort und mein Gegenüber verstummt augenblicklich. Ein großer Kerl mit dunklem Bart kommt auf uns zu und auch ihn erkenne ich sofort. Es ist Snorre. Ein Mannsbild so hoch wie breit und grimmig noch dazu. Jarl Linus‘ größter und stärkster Krieger seinerzeit. »Du sollst nicht palavern, sondern Wache halten! Und du?! Warum bist du nicht bei der Versam-« Er verstummt, als er mich genauer betrachtet, kommt auf mich zu und bleibt mit Abstand vor mir stehen. Wir sind fast gleich groß. Fehlt nicht mehr viel. »Wer bist du denn?«, fragt er plötzlich harsch, wie immer jede Höflichkeit missachtend, und legt die Hand auf seine Waffe.
»Das ist Skjern«, kommt mir Einar zuvor und stellt sich neben mich. »Aarhus‘ Sohn!«
»Aarhus‘ Sohn?« Er beäugt mich noch kritischer, lässt jedoch den Griff seiner Axt los, kommt näher und hebt angewidert eine meiner schulterlangen Strähnen an, als wär sie voll Pisse. »Dann hat er sich aber ganz schön verändert!«
Irgendwie scheinen sich die meisten hier nur an meine Haarfarbe zu erinnern.
»Dafür seid Ihr ganz der Alte, Snorre«, antworte ich und zupfe ihm meinen Schopf aus der Pranke. »Ich folgte Arvids Einladung und bin hier, um euch zu unterstützen«, erkläre ich.
»Das heißt, du hast die Breheimen und deine Familie verlassen, um hierher zurückzukehren?« Er wirkt ernsthaft verwundert.
»Ja«, bestätige ich fast schon fragend und nicke. »Warum seid Ihr so erstaunt darüber?«
»Weil Ihr bisher der Einzige seid«, erklärt Einar mit mahnendem Blick und ich stutze. So langsam werde ich das Gefühl nicht los, dass alle anderen schlauer waren, als ich es bin.
»Wie auch immer, wir danken Odin für jeden Mann und jedes Weib, die unseren Clan verstärken!« Snorre klopft mir auf die bepelzte Schulter und zeigt gen Langhaus, in dem die Familie des Jarls mit ihrem engen Gefolge lebt. »Komm, versorgen wir deinen Gaul, dann bringe ich dich zu Arvid.«
»Nein -«, wendet Einar hektisch ein und will mich festhalten, doch da stellt sich Snorre sofort dazwischen und herrscht ihn an: »Auf deinen Posten, und schließ den Eingang oder ich mach dir Beine!«
»Ich geh ja schon, ich geh ja schon«, buckelt er, die Hände hebend, und löst keuchend den Pflock, der das rechte Tor geöffnet hält.
›Ich muss mit Arvid dringend über die Arbeitsverteilung im Dorf reden. Wie alt mag Einar jetzt sein? Fünfundsechzig? Siebzig? Er sollte das hier nicht mehr machen müssen.‹
»Na los«, ruft mir Snorre zu und läuft voran. Ich folge ihm, obwohl ich mich genau erinnere, wo der Eingang zu den Stallungen ist. Als Kinder mussten wir oft den Pferdemist auf die Felder bringen, der dort als Dünger genutzt wird. Auch diesen Weg könnte ich bis heute blind finden.
»Lass dir von dem Alten keine Flausen in den Kopf setzen«, grollt Snorre einen Moment später vor sich hin. »Seit Oline nicht mehr unter uns weilt, ist er ein wahnhafter Narr, der überall nur Tod und Verderben sieht. Er hat den ihren nicht verkraftet.«
Ein Stich durchzieht meine Brust. ›Der arme Kerl. Deshalb auch das bedrückte Gesicht, als ich nach seiner Frau fragte.‹
»Ich verstehe. Aber ist es dann weise, einen wie ihn als Wachposten einzusetzen?«
Snorre beschleunigt seinen Schritt auffällig. »Wir haben nicht genug Leute. Außerdem wagt es sowieso niemand, uns anzugreifen.«
In meinen Ohren widersprechen sich diese beiden Begründungen, aber egal. Ich belasse es dabei und schweige, wobei mir etwas Seltsames auffällt. Erst kann ich gar nicht genau sagen, was es ist, aber dann fällt sie mir auf - die Stille.
›Warum ist es so ruhig um diese Zeit? Die meisten Familien müssten gerade ihr Nattmal[Fußnote 3] halten und dabei wird immer lauthals palavert ... aber hier ist es stiller als auf einem leeren Feld.