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"The Wolf between us" Von einsamen Wolfswandlern, hundevernarrten Punks und heißen Vollmondnächten Print 400 Seiten - Gay Fantasy Romance / LGBT Shapeshifter Ein Mops namens Huggy - den zu adoptieren, war Zacs eigentliches Ziel. Schnuffig, pflegeleicht, klein und voller süßer Fältchen. Doch leider stellte sich im Tierheim heraus, dass der gewünschte Vierbeiner bereits vergeben war. Frustriert will Zac daraufhin wieder nach Hause fahren und seine Suche nach dem perfekten Hund von vorne beginnen, als er plötzlich Shadow bemerkt: Einen riesigen, wunderschönen Malamute-Wolfsmischling, dessen geheimnisvolle, stahlblaue Augen ihn sofort in den Bann ziehen. Während er sich bereits Hals über Kopf verliebt, kann sein Partner Owen mit dieser Monsterversion des geplanten Schoßhündchens herzlich wenig anfangen. Genauer gesagt hat er regelrecht Angst vor ihm. Vor allem, als sich herausstellt, dass Shadow ungewöhnlich schlau ist. Viel schlauer, als ein Hund sein sollte! Doch erst ein Zufall lässt Zac erkennen, dass sich hinter der Fassade dieses außergewöhnlichen Wolfes noch etwas ganz anderes verbirgt, das seine kühnsten Vorstellungen übertrifft. Und auch seine feuchtesten Träume ebenfalls ... "The Wolf between us" ist ein animalischer, heißer und zugleich locker-witziger Roman über das Schicksal eines schwulen Gestaltwandlers, der seinen Seelenverwandten unter besonders skurrilen Umständen begegnet. Eine Geschichte über Liebe, verhängnisvolle Zufälle, der Eleganz des sich selber Leckens und einem Hauch von flauschiger Magie.
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THE WOLF BETWEEN US
Gay Fantasy Romance / Shapeshifter
Von einsamen Wolfswandlern, hundevernarrten Punks und heißen Vollmondnächten
Ein Mops namens Huggy - den zu adoptieren, war Zacs eigentliches Ziel. Schnuffig, pflegeleicht, klein und voller süßer Fältchen. Doch leider stellte sich im Tierheim heraus, dass der gewünschte Vierbeiner bereits vergeben war. Frustriert will Zac daraufhin wieder nach Hause fahren und seine Suche nach dem perfekten Hund von vorne beginnen, als er plötzlich Shadow bemerkt: Einen riesigen, wunderschönen Malamute-Wolfsmischling, dessen geheimnisvolle, stahlblaue Augen ihn sofort in den Bann ziehen. Während er sich bereits Hals über Kopf verliebt, kann sein Partner Owen mit dieser Monsterversion des geplanten Schoßhündchens herzlich wenig anfangen. Genauer gesagt hat er regelrecht Angst vor ihm. Vor allem, als sich herausstellt, dass Shadow ungewöhnlich schlau ist. Viel schlauer, als ein Hund sein sollte! Doch erst ein Zufall lässt Zac erkennen, dass sich hinter der Fassade dieses außergewöhnlichen Wolfes noch etwas ganz anderes verbirgt, das seine kühnsten Vorstellungen übertrifft. Und auch seine feuchtesten Träume ebenfalls ...
»The Wolf between us« ist ein animalischer, heißer und zugleich locker-witziger Roman über das Schicksal eines schwulen Gestaltwandlers, der seinen Seelenverwandten unter besonders skurrilen Umständen begegnet. Eine Geschichte über Liebe, verhängnisvolle Zufälle, der Eleganz des sich selber Leckens und einem Hauch von flauschiger Magie.
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Hunter
Sie sind dicht hinter mir.
Die Sirenen verhallen in der Nacht, doch noch immer höre ich ihre hektischen Rufe und das Bellen der Hunde, die mich wittern. Also renne ich, so schnell ich kann, ignoriere den Schmerz in meiner Brust und versuche, nicht langsamer zu werden.
Kühler Wind weht mir den Duft nasser Gräser ins Gesicht, Tropfen landen auf meiner Haut und als ich den Wald erreiche, versinken meine geschundenen Füße im feuchten Moos. Der Regen verwischt meine Spuren, doch je nasser der Boden wird, desto schwerer fällt es mir, voranzukommen. Trotzdem hetze ich weiter, bis ich beinahe vor Erschöpfung zusammenbreche.
Meine Lungen rasseln wie ein Orchester, das aus verschiedengroßen Ketten besteht, aber jedes flackernde Licht und jeder Scheinwerfer, der durch die Bäume flammt, versetzt mir einen neuen Panikschub.
›Ich darf nicht stehen bleiben! Ich muss weiter ... immer weiter, bis ich in Sicherheit bin.‹
Eine gefühlte Ewigkeit haste ich durch die Dunkelheit, ohne auch nur einmal zu rasten, selbst als die Stimmen langsam verstummen.
Meine Muskeln brennen wie glühende Stahlstränge in meinem Fleisch. Irgendwann stütze ich mich nur noch von einem Stamm zum nächsten, doch dann sehe ich endlich die Lichter einer kleinen Stadt durch die Bäume flackern.
›Ja ... dort ... kann ich mich sicher ... irgendwo verstecken ... und heilen.‹
Erst als der Morgen dämmert und die Strahlen der aufgehenden Sonne den Horizont in ein rot-violettes Farbenmeer tauchen, erreiche ich den Waldrand.
Abgehetzt atmend sehe ich mich um, entdecke eine Bushaltestelle und wanke darauf zu, doch ein kurzer Blick auf den Plan verrät mir, dass hier nur selten etwas fährt. Davon abgesehen weiß ich nicht einmal, welchen Wochentag wir haben, geschweige denn, wie spät es ist. Darüber hinaus würde mich der Fahrer sowieso nicht einsteigen lassen, selbst wenn er just in diesem Moment hier vorbeifahren würde. Ich bin nackt, voller Dreck, und noch dazu von oben bis unten zerschlissen. Vermutlich würde er also einfach an mir vorbeibrettern.
Ratlos lehne ich mich an die Laterne an, doch da zieht der Schmerz, den ich bisher erfolgreich ignorieren konnte, so grausam durch meinen Körper, dass ich mich nach vorne krümmen und die Zähne zusammenbeißen muss, um nicht aufzuheulen.
Blut läuft aus meiner Schulter, tropft zu Boden und verschwindet im Fluss des immer stärker werdenden Regens.
Je langsamer ich mich bewege, desto deutlicher spüre ich sie. Die Kugel, die tief in mir steckt.
Während ich mich mit der linken Hand auf dem Knie abstützte, schaue ich mir die Wunde genauer an und realisiere, dass sie nicht von selbst heilen wird. Auch wenn meine Knochen ganz geblieben sind, brauche ich dringend einen Arzt, der die Patrone entfernt und mein Fleisch versorgt, damit es sich nicht entzündet. Doch wer hilft einem Kerl wie mir, der aus dem Nichts auftaucht? Ohne jedwede Nachweise über seine Identität oder Geld?
Der Schmerz übermannt das Adrenalin in meinem Körper und lähmt mich immer mehr. Eine erdrückende Müdigkeit überkommt mich, aber in diesem Augenblick höre ich erneut die Bluthunde der Suchtrupps kläffen, zucke zusammen und schleppe mich weiter.
Ich will mich ausruhen, schlafen und meine Kräfte sammeln, doch ich kann nicht riskieren, mich irgendwo hinzulegen, wo sie mich wittern.
›Nein ... ich muss weiter ... irgendwohin ... mich verstecken!‹
Plötzlich bemerke ich, dass das Bellen nicht hinter, sondern vor mir ist, und zucke erschrocken zusammen.
»Fuck! Wie konnten sie ... -« Ich breche ab, als ich ein Schild mit einem Symbol entdecke, das eine stilisierte Katze und einen Hund zeigt, doch es braucht einen Moment, bis ich begreife, an welchen Ort mich das Schicksal getrieben hat.
Immer mehr eindeutige Geräusche mischen sich in das klägliche Kläffen der Hunde: Pfoten, die an Gittertüren kratzen, scheppernde Metallnäpfe, die einer nach dem anderen in Eisenstangen eingehangen werden.
Eine skurrile Idee keimt in mir auf, aber sie ist mehr als gewagt.
›Wenn sie mir helfen, und alles gut geht, könnte ich mich so lange unter ihresgleichen verstecken, bis ich wieder auf allen vieren laufen kann. Wenn sie in meiner Rettung jedoch keinen Sinn mehr sehen, betäuben und töten sie mich, ohne dass ich es mitbekomme ...‹
Mein Blick löst sich aus den grauen Wolken und bleibt auf dem kleinen, roten Bach hängen, der von mir weg, in den Ablauf der Straße führt.
Ich habe keine Wahl. Ich muss es riskieren.
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Zachary
»Wo soll das dämliche Plüschbett hin?«
»Das ist nicht dämlich! Es hat nicht mal ein Hirn!« Forsch zupfe ich meinem Freund das fluffig-neonblaue Gebilde aus den Händen und strecke ihm dabei spielerisch die Zunge raus. Mehr als ein Augenrollen kann ich ihm damit jedoch nicht abringen. »Ach komm schon, du alter Griesgram ... freu dich doch mal ein bisschen! Dank Huggy haben wir endlich die Gelegenheit, etwas babyblauen Plüsch ins Haus zu bringen.«
»Kann mich nicht daran erinnern, dass ich das je wollte«, grummelt Owen und zieht die Augenbrauen zu einer tief beleidigten, schnurgeraden Linie. »Weder den Köter noch diesen augenkrebserregenden Wischmopp, wohlgemerkt!«
Kampfeslustig recke ich das Kinn gen Stuckdecke und werfe meine limettengrünen Haare zurück, die mindestens genauso knallig sind. »Ein bisschen Farbe schadet der Bude nicht! Außerdem brauchst du nicht behaupten, dass so wunderschöne, nützliche Dinge doof sind!« Dabei wuschle ich ihm mit dem noppigen Fusselteil einmal durchs Gesicht, ehe ich es mit einem eleganten Schwung auf unserem Bett platziere. »So! Da ist es perfekt!«
»Ooooh nein«, protestiert mein Gegenüber und will es sich schnappen, weshalb ich mich hastig in den Weg stelle. »Wenn du denkst, ich lasse diese flohverseuchte Töle in unserem Bett schlafen, hast du dich geschnitten!« Dabei fuchtelt er mit seinem Zeigefinger vor meiner Nase herum und ich tue so, als würde ich hineinbeißen, um die angespannte Stimmung zu lockern.
»Erstens, Hasilein, ist Huggy ein ganz zauberhafter, superschicker, kleiner Sportmops – und keine Töle! Zweitens -«
»Und wenn er direkt von einem Laufsteg aus Miami kommt«, unterbricht er mich, bleibt demonstrativ stehen und verschränkt die Arme. »Ich will ihn trotzdem nicht in unserem Bett haben! Wir vögeln so schon viel zu wenig!«
»Liegt ja nicht an mir ...«, murmle ich leise zur Seite, doch da knufft er mich auch noch.
»Nimm es runter oder die Sache ist erledigt! Dann kannst du den ganzen Kram gleich zurück in den Laden bringen!«
»Hrmpf!« Manchmal mag ich seine motzig-dominante Art. Heute nicht! »Ja, ja, schon gut«, flüstere ich geschlagen und schiebe mitleiderregend die Unterlippe vor. »War ja nur eine Idee ...«
»Keine gute«, grollt er und geht zur Tür, während er schon wieder auf seinem Handy herumtippt und ich das ovale Plüschbettchen neben meine Seite des Bettes auf den Boden lege, damit ich unser neues Familienmitglied auch in der Nacht streicheln kann. »Ich bereue es jetzt schon, dass ich mich dazu habe überreden lassen«, grummelt Owen leise vor sich hin. »Ich hasse Hunde! Hab ich immer, werde ich immer! Sabbernde, kläffende, laute, stinkende, unberechenbar bissige Mistviecher sind das, nichts weiter!«
»Owen, bitte ...«, seufze ich nur noch und sehe ihn traurig an. »Ich weiß, dass du ein Kindheitstrauma wegen dem grantigen, alten Pudel deiner Oma hast, aber nicht alle Hunde sind so! Wir haben so lange darüber diskutiert ... du weißt genau, wie wichtig mir das ist und hast versprochen, ihm eine Chance zu geben!«
»Ja, hab ich ...« Er schnauft, schaut von seinem Minibildschirm auf, dann seufzt er, zieht mich in seine Arme und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. So macht er es immer, wenn er was gesagt oder getan hat, das er bedauert. »Tut mir leid, okay? Ich werde von jetzt an versuchen, meine Vorurteile beiseitezuschieben.«
»Danke«, säusle ich und versinke für einen Moment in seinem vertrauten Duftmix aus Veilchen, Brombeeren und Nadelgehölzen, ehe ich aufschaue und ihm die schulterlangen, braunen Haare hinters Ohr streiche. »Freust du dich wenigstens ein kleines bisschen darauf, Huggy heute mit mir abzuholen?«
»Klar freu ich mich«, antwortet er mit sarkastischem Unterton. »Es gibt nichts, was ich an diesem wundervollen Spätsommertag lieber täte! Außer vielleicht, mir einen Kaktus in die Harnröhre zu schieben! Das wäre sicher genauso erquickend!«
Ich zwicke ihm für den Spruch in die Seiten, muss aber gleichzeitig lachen. »Du bist so doof.«
»Phh«, prustet er und grinst mich verschmitzt an. »Ich denke, ich bin wohl mit Abstand der klügste Mensch, den du kennst.«
›Stimmt nicht. Meine Mutter ist der klügste Mensch, den ich kenne, denn die hat immer Recht.‹
Die grausame Wahrheit behalte ich jedoch für mich und nicke stattdessen, garniert mit einem vagen »Vielleicht«, ehe ich vorsichtig auf die Tür zeige. »Wärst du so lieb, noch den Rest aus dem Auto zu holen, ehe wir losfahren?«
Owen runzelt seine Stirn, was er häufig tut, und dadurch auch schon deutlich mehr Fältchen hat, als er mit seinen einundvierzig Jahren haben müsste. »Wie viel hast du denn noch gekauft?«
Ich wanke mit dem Kopf hin und her, wie ein grünhaariger Wackeldackel. »Ach, nur ein paar Kleinigkeiten. Spielzeuge, Näpfe, Leckerlies, Decken ...«
»Und genug Futter, will ich hoffen! Ein Hund, dem der Magen knurrt, wird schnell zu einem bissigen Raubtier!«
»Wohl kaum«, giggle ich und versuche, mir Huggy einen Moment als bissiges Raubtier vorzustellen, aber das ist einfach unmöglich. Auf der linken Seite fehlt ihm ein Eckzahn, weshalb seine kleine Zunge an der Stelle immer über die Lefze flutscht. Daher ist es auch egal, wie sehr ich mich anstrenge, meine Gedanken bringen nur lustig-knuddelige Grummelszenen mit diesem süßen, faltigen Fellklops hervor. »Die Mitarbeiterin, mit der ich gestern telefoniert habe, sagte, ich soll das Futter erst besorgen, wenn mir der zuständige Pfleger vor Ort aufschreibt, was Huggy gut verträgt und was er mag. Außerdem hab ich im Netz gelesen, dass einem die meisten Tierheime eine Kuscheldecke und auch eine Drei-Tages-Ration Futter mitgeben, damit sich der Hund nicht auf allen Ebenen umgewöhnen muss.«
»Hrm«, schnauft mein Gegenüber und zuckt letztlich mit den Achseln. »Schön, wie auch immer, aber ich will auf dem Heimweg nicht noch an irgendwelchen Läden anhalten müssen, okay? Das machst du dann bitte morgen ohne mich.«
»Na gut«, stimme ich zähneknirschend zu, obwohl ich mich schon gefreut hätte, etwas Unterstützung beim Säcke und Dosen schleppen zu erhalten, aber aktuell bin ich einfach nur froh, dass er sich nicht gänzlich gegen die ganze Sache sträubt, trotz seiner Phobie.
Mein Lebenspartner dreht sich zur Tür und geht den Rest meines Großeinkaufs aus seinem Auto holen, wie gebeten. Einen Augenblick schaue ich ihm hinterher und frage mich, wann er sich diese unschicke, beigefarbene Designer-Cordhose gekauft hat, während ich mir durch meinen fransig rausgewachsenen Fassonschnitt fahre.
Früher waren wir immer zusammen einkaufen, aber seit er sich als Eventmanager selbstständig gemacht und eine eigene Agentur gegründet hat, verdient er deutlich besser als vorher und geht oft spontan shoppen.
Ich selbst bin fünfundzwanzig und arbeite als Entrümpelungsmitarbeiter in einer Entsorgungsfirma. Ganz ehrlich: Mein Verdienst ist ein Witz, aber ich liebe den Job, denn er ist abwechslungsreich und mit jedem Schlüssel, den wir erhalten, öffnen wir eine Tür in ein fremdes, wenn auch meist ziemlich muffelndes, zugemülltes Reich. Doch selbst unter Bergen von Katzenkot und Zeitungspapier haben wir schon die ein oder andere positive Überraschung gefunden.
Owen beauftragte unsere Firma vor ein paar Jahren, um die Wohnung seines verstorbenen Vaters auszuräumen, zu dem er selbst seit fast zwei Jahrzehnten keinen Kontakt mehr hatte. Dementsprechend wollte er auch mit dessen Nachlass nur das Nötigste zu tun haben.
Anfangs wusste ich nicht mal, wie er aussah. Mit unserem Büro klärte er alles telefonisch, sendete uns die erforderlichen Papiere sowie den Schlüssel per Post und bat darum, dass wir diesen direkt an den Vermieter weitergeben, wenn wir fertig sind. Dabei wohnt er nur eine halbe Stunde entfernt.
Bei einer solchen Nachlass-Entrümpelung verpflichten wir uns, Wertgegenstände und verwertbare Möbel auf den Preis anzurechnen. Doch Owens Vater war ein mittelloser Trinker, der keine Schmuckstücke oder andere nennenswerte Kostbarkeiten besaß. Als ich sein Schlafzimmer ausräumte, den wohl intimsten Raum eines jeden Menschen, der in der Regel auch die spannendsten Funde bereithält, fiel mir jedoch eine kleine Schatulle in die Hände. Eine alte, lederbezogene Holzschatulle mit Briefen ... an seinen einzigen Sohn.
Warum er sie niemals abgeschickt hatte, kann ich nur erahnen. Vielleicht wusste er nicht, wo Owen wohnt, oder er traute sich schlichtweg nicht, doch seine Zeilen zerrissen mir das Herz. Ich überflog sie lediglich, mehr gab die Zeit nicht her, aber der Mann war unverkennbar voller Reue. Über das, was er getan und was er verloren hatte, doch vor allem über die Dinge, die er niemals mehr gutmachen konnte.
Wenn ein Auftraggeber nicht erwähnt, dass er persönliche Schriften und Fotos ausgehändigt bekommen möchte, schmeißen wir alles weg. Normalerweise hätte diese unscheinbare Kiste mitsamt ihrem Inhalt eigentlich in meiner Mülltüte landen müssen, doch ich brachte es nicht übers Herz. Stattdessen entschied ich mich dazu, sie einzupacken, an meinem nächsten freien Tag zu Owen zu fahren und ihm die Möglichkeit zu geben, die Schatulle doch noch entgegenzunehmen.
Ich hoffte nichts weiter, als dass er seinem Vater vielleicht vergeben, Frieden finden und mit der Sache abschließen kann. Ehrlich gesagt, nachdem ich einige Fotos seines Erzeugers gesehen hatte, erwartete ich einen wenig attraktiven, leicht untersetzten Mittfünfziger, aber als er die Tür öffnete, wurde ich positiv überrascht.
Vor mir stand er, ein großer, schlanker Mann mit breiten Schultern, einem Fünftagebart und warmen, kastanienbraunen Augen. Seine Haare haben diesen wundervollen Mix aller Holztöne, je nachdem, welches Licht auf sie fällt, und seine brummige Stimme, die ein leicht verwirrtes »Ja bitte?« formulierte, rundete sein charmantes Gesamtbild ab.
Ich weiß noch, wie mein Kopf heiß wurde, wie peinlich stotternd ich mich vorstellte, ihm die Kiste in die Hand drückte und irgendwas davon stammelte, dass ich sie gefunden hatte und dachte, er könnte sie haben wollen. Daraufhin drehte ich mich um und rannte zurück zur Bahn.
Drei Tage später stand Owen bei uns vor dem Büro und wartete auf mich. Er dankte mir dafür, dass ich ihm die Kiste vorbeigebracht hatte, denn die Briefe seines Vaters, mit dem er sich zeitlebens nur gestritten hatte, halfen ihm tatsächlich, Frieden zu finden. Schließlich fragte er mich, ob er mich zum Dank auf einen Kaffee einladen dürfe.
Tja ... noch am selben Nachmittag küssten wir uns zum ersten Mal und keine zwei Monate darauf zog ich bei ihm ein.
Unsere dreizehn Jahre Altersunterschied waren für mich nie ein Problem. Ich mochte ältere Männer schon immer lieber, und ob nun ein, zehn oder fünfzehn Jahre älter, macht für mich keinen Unterschied. Dafür ist Owen ganz anders als all die unzuverlässigen, zugedröhnten, selbstverliebten Prollos, die ich vorher hatte. Er ist genau der Typ Daddy, der einem schwulen jungen Mann mit bewegter Vergangenheit guttut: ruhig, intelligent, fürsorglich und manchmal, in seiner eigenen, sarkastischen Art, sogar ziemlich witzig. Mich stören auch seine Fältchen nicht, ganz im Gegenteil, ich finde sie eher charismatisch, aber ihn nerven sie, jedes Mal, wenn er vor einem Spiegel steht.
Dass Owen keine Hunde mag, hat er schon sehr früh durchblicken lassen. Aber ich bin eben altmodisch. Sobald ich den Richtigen gefunden habe, wollte ich immer ein kleines Haus mit Garten in der Vorstadt, ein bis zwei Adoptivkinder und einen Hund. Das Haus mit dem Garten hatte Owen bereits, als ich zu ihm gezogen bin. Da war es für mich nur logisch, dass der Rest zügig folgt. Als ich jedoch mit dem Thema Nachwuchs anfing, sagte er mir direkt, dass er keine Kinder will. Weder eigene noch adoptierte. Als ich ihn um eine Begründung bat, meinte er nur: »Anfangs sind sie vielleicht klein und süß, aber schneller als du denkst, wollen sie Spritgeld und saufen dir dein Bier weg! Also: Nein danke!«
Ja, möglicherweise hätte ich mal mit ihm darüber reden sollen, bevor ich zu ihm gezogen bin ...
Von einem Hund war er jedenfalls genauso wenig begeistert, doch er wusste, dass er mir nicht beides verwehren kann, ohne dass ich mich trenne. Offenbar sah er ein Haustier dann als das kleinere Übel, weshalb er genervt zustimmte, als ich ihm ein ausgedrucktes Foto von Huggy unter die Nase hielt.
»Zachary! Was hast du da für stinkendes Zeug eingekauft?«, höre ich ihn nun bereits aus dem Flur wettern und eile ihm entgegen. Ehe er die Tasche direkt in der Mülltonne versenken kann, nehme ich sie ihm ab und wuchte sie auf seinen massiven Eichenholz-Esstisch. »Meine komplette Karre mieft jetzt nach Kuhstall! Was zum Geier ist das alles?«
»Ähm ...« Die korrekte Antwort wäre: Getrocknete Huftier-Leichenteile. Da sich das jedoch ziemlich verstörend anhört, versuche ich es mit der Kommerz-Variante: »Knabberstangen! Hunde lieben sowas und es ist gut für ihre Zähne!«
»Klasse!«, ächzt er. »Ich freu mich jetzt schon darauf, wenn er mich nach dem Genuss einer solchen Kackstange anhechelt!«
»Zur Not putze ich ihm danach die Zähne«, lache ich und boxe ihm spielerisch gegen die behemdete Schulter. »Pass mal auf, ihr werdet sicher noch ein Herz und eine Seele, und dann wirst du derjenige sein, der ihn nie mehr hergeben will!«
Owen zieht schon wieder die Stirn in Falten. »Nur, wenn er ausgestopft in einem Glaskasten steht!«
Empört knuffe ich ihn. »Ey! Hör auf, so gemein zu sein.« Er verdreht nur noch die Augen, also lasse ich es seufzend dabei bewenden und nehme eine große Tupperdose aus dem Schrank, um die Müffelstücke darin zu verschließen.
Sobald ich die unterschiedlichen Tüten öffne, kommt mir eine ordentliche Dunstwolke entgegen, die mich tatsächlich an eine Mischung aus Bauernhof und meinem tanzwütigen Ex nach vier Tagen Festival erinnert.
Meine Vorfreude lasse ich mir trotzdem nicht verhageln! Weder von Owen noch von dem Mief Huggys zukünftiger Leckereien!
***
»Bist du dir damit wirklich sicher?«
Selbst zwei äußerst langatmige Autofahrtstunden später gibt Owen nicht auf und sieht mich hoffnungsvoll an.
»Noch können wir zurück! Ich drehe einfach eine Runde und rolle wieder vom Parkplatz, als wären wir niemals hier gewesen ...«
Prustend schüttle ich den Kopf, als müsse ich mir ein Lachen verkneifen. »Glaubst du ernsthaft, ich kaufe für zweitausend Kanadische Dollar im Pet-Shop ein und gurke den halben Tag mit dir durch die Gegend, um anschließend mit leeren Händen nach Hause zu fahren?«
Mein Freund kratzt sich durch den Bart und linst dabei auf unser Navi. »Zehn Minuten von hier gibts eine Tanke, an der ich dir einen Plüschhund kaufen kann! Dann fährst du nicht mit leeren Händen nach Hause und ich muss die nächsten fünfzehn Jahre kein Gekläffe ertragen.«
Stöhnend lege ich den Kopf in den Nacken, bis er an die Stütze des Autositzes andockt. »Was glaubst du, warum ich mich für Huggy entschieden hab? Möpse kläffen nicht! Und selbst wenn, ist das eher ein süßes, kleines Glucksen! Ich weiß doch, wie geräuschempfindlich du bist!«
»Trotzdem«, seufzt mein Fahrer und stützt sein Kinn auf den Handrücken. »Er wird unseren ganzen Garten zukacken, all unsere Klamotten vollhaaren, anschließend unsere Möbel zerfressen oder alles mit seinem Speichel glasieren!« Theatralisch fährt er sich mit beiden Händen durch die Haare und imitiert meine Kopfgeste. »Von mir aus bestell ich dir so einen Robo-Dog, wie ihn die Campbells haben. Den kann man wenigstens abschalten, wenn er einen mit seinen Bedürfnissen nervt, Gassi gehen will oder -«
»Aber genau darauf freue ich mich doch«, unterbreche ich ihn. »Ich bin jemand, der viel unternehmen möchte, gefangen in einem Körper, der den ganzen Feierabend nur noch vor sich hinschlumpfen will! Ich brauche Huggy! Einen kleinen, knuffigen Grund, an die frische Luft zu gehen, mich zu bewegen und wieder in Schwung zu kommen! Früher war ich immer draußen, und heute -«
»Hast du ein Dach über dem Kopf«, beendet er meinen Satz und lacht. »Ich bemitleide dich später, wenns Recht ist.«
»Das meinte ich nicht!« Schmollend schiebe ich die Unterlippe vor und verschränke die Arme. »Das hier hat rein gar nichts mit meiner Zeit auf der Straße zu tun! Das ist doch ewig her!«
»Ich weiß ...«, lenkt Owen ein und nimmt plötzlich meine Hand. »Pass auf: Ich gehe von heute an jeden Tag ... na sagen wir jeden zweiten Tag, mit dir joggen! Dafür machen wir jetzt ein schönes Wellness-Wochenende! Wir suchen uns irgendein nettes Spa-Hotel in der Gegend, gehen schick essen und fahren morgen ganz entspannt heim. Wenn du dann immer noch unbedingt ein Haustier willst, kaufen wir uns ... was weiß ich ... ein paar Fische oder von mir aus auch einen Leguan! Aber nichts, was haart und sich eigenständig durch die Wohnung bewegt!«
Offenbar glaubt er tatsächlich, er könnte mich doch noch in letzter Sekunde umstimmen, und das, obwohl er es schon versucht, seit ich mit dem Thema angefangen habe.
Nun bin ich es, der seufzt. »Owen, bitte ... mach`s mir doch nicht so schwer.« Ich zücke mein Handy, auf das ich natürlich sämtliche Fotos von Huggy runtergeladen habe, und halte ihm das putzigste davon erneut vor die Nase. »Sieh ihn dir doch nur mal an! Er ist einfach zauberhaft und ich hab mich total in ihn verliebt!«
Trotz dieser geballten Ladung an Possierlichkeit verzieht mein Lebensgefährte keine Miene und schnalzt nur mit der Zunge.
»Zac, das da ist eine glubschäugige, sabbernde, faltige Töle, in die sich nur jemand wie du, der alles niedlich findet, was eigentlich kotzhässlich ist, verlieben kann!«
»Sei doch froh!«, pruste ich. »Irgendwann bist du auch alt, faltig und sabberst! Statt dich zu verlassen, werde ich dich dann nur umso mehr lieben!«
»Sehr witzig!«, grummelt Owen und schaltet den Motor aus. »Mal ehrlich, vermutlich hat das Vieh auch noch Flöhe, mit denen er uns das ganze Haus kontaminiert!«
So langsam kann ich sein Gemecker nicht mehr hören. Ich bin ja wirklich ein von Natur aus positiver Mensch, aber irgendwann ist auch bei mir die Kotzgrenze erreicht.
Genervt verdrehe ich daher die Augen und ächze nur noch: »Das Tierheim vermittelt ausschließlich parasitenfreie Hunde, die veterinärärztlich durchgecheckt wurden. Er hat also garantiert keine Flöhe, Milben oder sonst welche Untermieter dieser Art.«
»Das glaubst aber auch nur du! Hast du eigentlich eine Ahnung, was die für ...«, wettert er weiter, doch ich höre nicht mehr zu. Noch ehe er mit seinem Vortrag fertig ist, habe ich die neue Leine samt Halsband genommen und öffne die Beifahrertür. »... und wenn er so schon – hey! Wo willst du hin? ... Zac! Ich rede mit dir!«
Ich lasse mich nicht am Aussteigen hindern, doch ich drehe mich ein letztes Mal um. »Ich will einen Hund, Owen! Einen echten Hund, kein Plüschtier und auch keinen Roboter! Ein Lebewesen, das ich umsorgen und mit dem ich gassigehen kann! Hunde geben einem so viel zurück!«
»Ja«, grollt er. »Zum Beispiel die Tulpenzwiebeln, die man zwei Wochen vorher eingepflanzt hat ...«
»Owen!« Ich hasse es, wenn ich wütend bin und plötzlich grinsen muss. »Das ist Blödsinn! Und wenn das für dich jetzt doch so ein Riesenproblem ist, ziehe ich eben wieder in eine Wohnung!«
Damit werfe ich wuchtig die Tür zu und gehe zum Eingang des Tierheims.
›Warum ist er nur so? Als wir uns kennenlernten, hatte ich drei Ratten und er mochte sie! Außerdem hab ich ihm versprochen, dass er sich um nichts kümmern muss! Ich hab mich wochenlang belesen, jeden Tag die Neuzugänge auf den Websites der Tierheime gecheckt und sobald ich Huggy gefunden hab, alles alleine besorgt und vorbereitet. Er braucht nur dabei sein und ein kleines bisschen meine Freude zu teilen! Mehr verlange ich doch nicht!‹
Die Fahrertür geht auf. »Zac«, ruft Owen und ich höre bereits den reumütigen Unterton in seiner Stimme. »Warte, ich komme mit!«
Erleichtert wische ich mir über die tränenden Augen und drehe mich um. Ein Windstoß weht mir durch die Haare und ein angenehmer Bauernhofduft dringt in meine Nase, als mich Owen in den Arm nimmt und meine Stirn küsst.
»Tut mir leid«, seufzt er dabei. »Ich hab doch einfach nur Sorge, dass die Sache nach hinten losgeht.«
»Wird sie nicht ...«, flüstere ich und nehme seine Hand, denn ich bin ehrlich froh, dass ich nicht alleine gehen muss.
»Hoffen wir`s«, murmelt er und geht mit mir Richtung Haupteingang.
Ein bisschen wertschätzendes Feedback hilft vielleicht. »Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du mit reinkommst. Trotz deiner Ängste.«
»Ich verspreche aber nicht, dass ich auch drinbleibe«, witzelt er, doch ich spüre bereits, wie seine Hand zu zittern beginnt.
»Alles gut.« Ich drücke sie aufmunternd. »Ich bin ja dabei! Und sollte es dir zu viel werden, gehst du einfach zurück zum Auto.«
»Oh nein«, lacht er auf. »Ich kenn dich. Wenn ich nicht neben dir stehen bleibe und aufpasse, kommst du mit drei Hunden wieder raus, statt mit einem!«
›Ja ... das könnte durchaus passieren.‹
Wir erreichen den Eingang. Von außen ist das Tierheim eher unscheinbar. Das Haupthaus sieht aus wie ein großer Bungalow, doch in der Ferne hört man bereits einige Hunde in ihren Zwingern bellen.
Es ist das erste Mal, dass ich einen Ort wie diesen betrete. Owen, Gentleman der er ist, hält mir die Tür auf und sofort schwappt uns ein intensiver Geruch entgegen: Eine Mischung aus feuchtem Fell, Futter und einem Hauch Desinfektionsmittel.
Der Empfang ist von innen heller als erwartet, mit vielen Spots an der Decke, die den Raum gleichmäßig beleuchten, und großen Fenstern, durch die zusätzlich Tageslicht fällt. Die Wände sind grün gestrichen und an einer riesigen Pinnwand hängen Fotos von glücklichen Haustieren bei ihren neuen Besitzern, die ich mir stundenlang anschauen könnte. Trotzdem ist es eher das Bellen und Winseln der Hunde, das meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es klingt, als ob ein ganzes Orchester von Vierbeinern in verschiedenen Tönen und Lautstärken rufen würde.
›Einer davon ist Huggy. Wahrscheinlich der Leiseste. Brubbelt vor sich hin, nichtsahnend, dass heute sein Glückstag ist!‹
Ich muss unweigerlich grinsen, als ich daran denke, und gleichzeitig schwillt immer mehr Sorge in mir auf, ob ich dem kleinen Kerl auch gerecht werde.
Sobald ich einen der Mitarbeiter hinter dem Tresen entdecke, der uns mit einem saloppen »Hi« begrüßt, schlägt mein Herz schneller. Er trägt ein grünes Shirt mit dem Logo des Hauses, einem stilisierten Hunde- und Katzenmotiv, winkt uns zu sich und ruft: »Immer ran, ich beiße nicht.«
Ich gehe beherzt auf ihn zu, all die zweifelnden Emotionen von eben verschwinden und plötzlich ist da nur noch dieses wohlige Hochgefühl der Vorfreude.
»Hi«, antworte ich etwas wackelig und bin froh, dass sich Owen dicht neben mich stellt. »Wir wollen einen Hund adoptieren!«
Es klingt immer noch so surreal, wenn ich es laut ausspreche.
»Na da haben Sie aber Glück! Wir haben derzeit zweiundneunzig davon auf Lager«, flachst der schlaksige Glatzkopf, auf dessen Brustschildchen ich nun den Namen Theodore erkennen kann. Wundern tut mich das nicht, denn in den meisten Einrichtungen dieser Art tragen Mitarbeiter Namensschilder mit ihren Vornamen, um die Kommunikation mit Besuchern und Freiwilligen zu erleichtern und ein professionelles Erscheinungsbild zu gewährleisten. Unser Gegenüber tippt bereits irgendetwas in die Tastatur seines Rechners ein, dann schaut er wieder auf. »Wollen wir die Sache vielleicht etwas einschränken? Suchen Sie eine bestimmte Rasse, Größe oder Fellfarbe?«
»Äh ja, ähm ...«, antworte ich zittrig und öffne das Foto auf meinem Smartphone. »Genau genommen hab ich mich bereits für einen entschieden. Für den kleinen Sportmops, der Huggy heißt und -«
»Der ist schon weg.«
Ich glotze mein Gegenüber an, wie eine Fruchtfliege einen Plastikapfel. »Sch-schon weg? Aber ...«
»Das muss ein Missverständnis sein«, wirft Owen unterstützend ein und legt mir unauffällig die Hand auf den Rücken, um mich zu beruhigen. »Wir haben gestern noch mit Ihrer Kollegin telefoniert und ihr gesagt, dass wir heute vorbeikommen, um -«
»Hier kann jeder während der Öffnungszeiten vorbeikommen«, unterbricht ihn Theodore jedoch sachlich. »Das ist keine verbindliche Zusage. Oder haben Sie den Hund angezahlt?«
»Äh ... nein«, stammle ich. »I-Ich wusste nicht, dass das notwendig ist?!«
»Wir wollten ihn ja auch erstmal kennenlernen und uns dann entscheiden!«, verteidigt mich mein Partner weiter. »Aber er wurde für uns reserviert, damit wir nicht umsonst -«
»Kann nicht sein, wir reservieren nicht mehr«, fällt ihm der unhöfliche Typ erneut ins Wort und schnalzt mit der Zunge.
»Ist das Ihr Ernst?« Während ich kurz davor bin zu heulen, sieht Owen aus, als würde er dem Kerl jeden Moment eine runterhauen, und das, obwohl er ja überhaupt keinen Hund haben wollte. Da kommt der Geschäftsmann in ihm durch. »Hören Sie mal: Wir sind fast zwei Stunden hergefahren, nur um uns diesen Mops anzu-«
»Ist ja nicht böse gemeint«, unterbricht ihn Theodore abermals und lehnt sich um eine Armlänge auf dem Stuhl zurück. »Verstehen Sie das bitte! Wir haben nur ein begrenztes Kontingent an freien Plätzen. Es gibt einfach zu viele Leute, die sich die Tiere auf unserer Website angucken, sich in eins davon verlieben, es telefonisch oder per Mail beanspruchen und danach erst anfangen, wirklich darüber nachzudenken, was es bedeutet, so ein Lebewesen zu adoptieren. Dann hat der Vermieter plötzlich was dagegen oder ihnen wird bewusst, welche Einschränkungen es mit sich bringt, wie teuer das ganze Zeug ist, das sie anschaffen müssen, und schon ist die Verliebtheit dahin und sie melden sich nie wieder.« Er fuchtelt mit der Hand in der Luft, als wolle er eine Fliege verscheuchen. »In der Zwischenzeit war vielleicht jemand hier, der den Hund wirklich mitgenommen hätte ... und nur wegen so einer Luftnummer-Reservierung sitzt er dann weiter in seinem Zwinger, wird schlimmstenfalls nie vermittelt und letztendlich eingeschläfert, verstehen Sie? Deshalb machen wir das nicht mehr. Wer hier vor Ort ist und eins der Tiere mitnehmen will, kriegt es – fertig. So stellen wir sicher, dass alle die gleiche Chance auf eine schnelle Adoption haben, denn das ist nun mal der Sinn unserer Einrichtung.«
»Aber ...« Ich kämpfe mit den Tränen und weiß gar nicht mehr, was ich sagen soll. Ich bin ja das genaue Gegenteil seines Beispiels, habe mich lange belesen, alles vorab besorgt und mich nun unheimlich auf Huggy gefreut. Gleichzeitig kann ich jedoch verstehen, dass die Mitarbeiter kein Risiko eingehen wollen und es nur darum geht, die Tiere schnell wieder zu vermitteln.
»Schön, dann eben nicht«, grummelt Owen plötzlich, der dafür offensichtlich weniger Verständnis hat. »Komm Zac, lass uns was essen gehen und danach heimfahren.« Er dreht sich bereits um, zieht mich mit sich und flüstert mir dabei zu: »Du hast ja noch den Kassenzettel für den ganzen Kram. Wenn ich morgen zur Arbeit fahre, kann ich alles zurückbringen und wir -«
»Die Homepage ist nicht aktuell«, ruft uns Theodore plötzlich hinterher und deutet auf eine Tür an der Seite, als ich hoffnungsvoll über die Schulter zurückschaue. »Allein letzte Woche haben wir zwölf neue Hunde reinbekommen! Unsere ehrenamtliche Fotografin kommt aber nur alle vierzehn Tage, um Fotos für die Website zu machen, dadurch entsteht immer ein gewisser Verzug mit der Aktualisierung. Schauen Sie sich die Neuzugänge doch einfach mal an, wenn Sie schon mal hier sind. Vielleicht ist ja einer dabei, der Ihnen gefällt?«
Für einen Moment halte ich inne, denn ich spüre deutlich, dass ich mich an einem Scheidepunkt befinde. Mein Blick schwenkt auf Owen, der, wie zu erwarten, den Kopf schüttelt und unmerklich in Richtung Ausgang deutet. Gebe ich ihm jetzt nach und fahre wieder heim, wird er mich so lange bequatschen, bis ich das Thema ruhen lasse. Zumindest für eine Weile.
Entscheide ich mich jedoch, die Schwelle dieser Metalltür zu überschreiten, und schaue in all die hoffnungsvollen, großen Augen der armen kleinen Seelen, die tagtäglich auf eine neue Familie hoffen, werde ich zu einhundert Prozent schwach und kann nicht mehr rational denken. Wenn ich da reingehe, verlasse ich dieses Gebäude nicht ohne einen neuen Begleiter, da bin ich mir sicher.
Ob der nun zu mir passt oder nicht.
Hinter meinem Bildschirm konnte ich noch halbwegs pragmatisch denken, abwägen und Strichlisten mit Vor- und Nachteilen führen. Hier wählt mein Herz, was bei einer solch folgenschweren Entscheidung nicht immer gut ist. Genau deswegen entschied ich mich ja vorab für einen Hund, auf den ich mich vollends fokussierte.
Ich weiß nicht, was ich tun soll, zögere und gebe langsam dem Zug an meinem Arm nach, der mich zielgerichtet aus der Gefahrenzone manövrieren will. Doch gerade, als ich die Hand hebe, um freundlich abzulehnen und Theodore goodbye zu sagen, bleibt mein Fokus an der nagelneuen Leine mit dem schönen hellblauen Strasshalsband hängen, das ich noch immer in den Fingern halte.
›Was wenn Huggy nie für mich bestimmt war? ... Möglicherweise ist es Schicksal, dass ich durch ihn hierherkam, um mein eigentliches Seelentier zu finden?‹
»Nein, danke«, sagt Owen jedoch plötzlich, vermutlich, weil ich ihm zu lange schweige, und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Gleich darauf zieht er deutlich stärker an mir. »Los komm, wir gehen.«
»Na ja ...« Ich winde mich geschickt aus seinem Griff. »Kann doch nicht schaden, wenn wir mal kurz hineinschauen?! Vielleicht gibt es ja noch einen anderen Hund, der zu uns passt?«
»Ein Mops ist auch dabei, seh ich gerade.« Theodore gibt alles, um uns die Sache schmackhaft zu machen, und schaut erneut auf den Bildschirm, welchen er eifrig durchscrollt. »Ein Rüde in schwarz. Der kam letzten Mittwoch.« Während ich meinen Partner bereits bettelnd anglotze, steht der Pfleger auf und nimmt einen Schlüsselbund von der Wand. »Sehen Sie sich ihn doch einfach mal an. Wenn Sie nicht auf die Rasse festgelegt sind, könnte Ihnen vielleicht auch ein Beagle gefallen? Wir haben vor einer Weile eine trächtige Hündin aufgenommen, die vier gesunde Welpen bekommen hat. Der Wurf ist offiziell erst ab Freitag abgabebereit, aber bei Ihnen würde ich eine Ausnahme machen.«
Meine Augen beginnen zu leuchten, doch Owens Stirn faltet sich schon wieder schlimmer als eine Ziehharmonika. Babys sind ja leider so gar nicht sein Ding und erst recht keine Hundebabys. Ungeachtet dessen kommt er aber gar nicht mehr dazu, sein Veto einzulegen, denn Theodore redet einfach so lange weiter, bis er die Metalltür aufgeschlossen hat, und ich folge, ohne meinem Partner nochmal ins Gesicht zu sehen. Allerdings spüre ich seine strafenden Blicke in meinem Nacken und vermeide tunlichst, mich umzudrehen, auch wenn jedes seiner Widerworte in der Gebellsinfonie, die uns empfängt, untergehen würde.
Sobald ich den langen Gang betrete, von welchem zu beiden Seiten Gittertüren abgehen, rast mein Puls und ich komme mir vor, wie in einem dieser traurigen Kinderfilme mit streunenden Hunden. Der Duft nach Fell vermischt sich mit einem unangenehm muffigen Gestank, der mich am ehesten an klamme, modrige, vollgekotzte Decken erinnert, und das, obwohl die gefliesten Zellen alle gut gereinigt aussehen.
An jeder Tür hängt ein kleiner Steckbrief. Zwar ohne Foto, aber dafür mit einigen Informationen über den Bewohner der entsprechenden Nische. Manche sind allein, andere teilen sich den Platz mit einem oder zwei Gefährten.
»Nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen«, rät mir Theodore und lächelt mich an. »Aber fassen Sie nicht durchs Gitter, wenn bissig, territorial oder noch unerzogen auf dem Zettel steht. Alle anderen können Sie streicheln. Sollten Sie Fragen haben, immer raus damit. Ich bin da vorne in der Küche und bereite derweil die Abendrationen vor. Die Welpen sind auch dort.«
»Ja, äh ... danke«, antworte ich ziemlich überfordert und laufe weiter, aus Angst, Owen, der an der Tür stehen bleibt, könnte mich von hinten schnappen und zurück ins Auto schleifen, aber er schaut schon wieder genervt auf sein Handy, also nutze ich die Gelegenheit, in die ersten beiden Zwinger zu linsen.
»Beagle sind Jagdhunde und nicht für Anfänger geeignet«, zischt mir mein Partner leise zu und deutet auf einen Bericht auf seinem Handy. »Also guck dir die Welpen am besten gar nicht erst an!«
»Ja, ja«, murre ich und nicke, aber ich weiß selbst, dass ich erst mal Erfahrung mit einem älteren Hund sammeln sollte, bevor ich die Verantwortung für ein Baby und dessen Erziehung übernehme.
Huggy war der Mops eines älteren Herrn, der leider verstarb. Er wurde als gut erzogen, ruhig und anfängertauglich beschrieben. Genau so einen Hund brauche ich. Daher muss ich den hübschen Border Collie im ersten und auch den stämmigen Staffordshire Bullterrier im zweiten Kabuff direkt überspringen, die traue ich mir beide nicht zu. Vor dem dritten Kennel stoppe ich jedoch und werfe einen Blick auf den Steckbrief.
»Olli, Labradormix, drei Jahre alt. Verspielt, anfängergeeignet und sehr umgänglich«, lese ich vor und muss sofort lächeln, als ich den gelben Schnuffel entdecke. Er springt bereits vor dem Gitter auf und ab und wedelt so heftig mit dem Schwanz, dass er fast damit abhebt.
»Nein! Viel zu überdreht«, sagt mein Partner nun deutlich hörbar, sobald er aufgeholt hat, und hält sich dabei die Ohren zu. Offenbar hat er sich nur deshalb überwunden, weil er jetzt wie eine kleine nervtötende Stimme der Vernunft ständig über meine Schulter raunzen will. Er drängt mich auch direkt weiter, zu einer kleineren Hündin, auf deren Steckbrief Polly steht, um die Durchsicht der Kandidaten zu beschleunigen.
»Die Dunkelbraune ist ein bisschen schüchtern, aber sehr liebenswert« brüllt der Mitarbeiter durch das Gejaule und klappert mit einer Schüssel, was den Fokus des lautstarken Rudels von uns auf ihn umlenkt. »Die wär auch ein guter Anfängerhund!«
Pollys lange Ohren zucken, sobald sie das metallische Klimpern hört. Sie duckt sich ein wenig, sieht uns jedoch mit großen, sanften Augen an und scheint ganz hin- und hergerissen. In den Zellen neben ihr liegen eine ältere Schäferhunddame, die sehr wachsam schaut, und eine weiße, glatthaarige Mischlingshündin mit einem Ohr, das frech nach oben steht, während das andere herunterhängt.
Ich versuche, mir alle drei Steckbriefe aufmerksam durchzulesen, doch bei dem Krach fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren. Zudem wächst der Kloß in meinem Hals, denn jeder Satz, den ich lese, nimmt mich unheimlich mit. All die kleinen Texte erzählen eine traurige Geschichte, über die Vergangenheit des Hundes, was sie geprägt hat und wen sie verloren haben, aber sie beleuchten auch ihre Vorlieben und Charaktereigenschaften, die zuweilen sogar äußerst lustig beschrieben sind. Polly zum Beispiel liegt am liebsten in der Froschpose und geht so auch manchmal Teppichsurfen.
Egal wie ausführlich dieser Einblick ist, jedes ihrer Schicksale berührt mich. Es ist, als ob ich für einen Moment in eine fremde Welt eintauche. Eine Welt voller unglücklicher Zufälle, Trauer und Hoffnung auf eine zweite Chance, aber ehe ich zu emotional werde, winkt mich Owen auch schon weiter.
»Vergiss es! Die Große braucht regelmäßig Medikamente, die Weiße ist nicht stubenrein und diese Polly ist noch nicht mal sterilisiert«, brüllt er mir ins Ohr. »Die blutet uns ständig die Bude voll und zieht sämtliche Streuner aus der Nachbarschaft an.«
Offenbar hat er doppelt so schnell gelesen wie ich und sich nur das Negative gemerkt.
Mein Freund schiebt mich vowärts, den Gang entlang. Die meisten Hunde springen aufgeregt umher und suchen Kontakt, andere scheinen bereits resigniert zu haben und liegen nur noch auf ihren Decken. Doch eines haben sie alle gemeinsam: Ihre Blicke folgen mir, einige erwartungsvoll, manche mit einer gewissen Müdigkeit, die mich unheimlich traurig macht.
Je näher wir der Küche am Ende des Flures kommen, desto deutlicher spüre ich, wie überfordert ich bin. Viele Hunde bellen so verzweifelt, als wollten sie um jeden Preis meine Aufmerksamkeit erregen, während andere ganz still bleiben und mich fast schon bedrohlich fixieren. Die Atmosphäre ist erfüllt von Erwartungen, die ich nicht erfüllen kann, zumindest nicht so, wie ich es gerne würde.
Unsicher gehe ich weiter. Die Hunde beruhigen sich langsam, hören das Klappern der Fressnäpfe und winseln nun eher, als dass sie bellen, während ich meine Gedanken zu ordnen versuche.
Ehe ich mich versehe, erreichen wir auch schon den vorletzten Käfig, aus welchem uns der von Theodore erwähnte Mops entgegen rüffelt. Er ist nicht komplett schwarz, wie ich dachte, sondern hat eine weiße Brust und auch eine weiße Schnauze. Leider besitzt er die klassische kurze Nase und ist so aufgeregt, dass er kaum Luft bekommt. Ohne seinen Steckbrief zu lesen, hocke ich mich hin, greife besorgt durchs Gitter und kraule ihn, um ihn zu beruhigen, was er sichtlich genießt. Dabei fällt mir auf, dass seine Augen grau schimmern und ihm, genau wie Huggy, vorne links ein Zahn fehlt.
»Der wäre okay«, sagt Owen plötzlich, welcher bereits den Steckbrief überfliegt. »Sein Name ist Félix. Er ist kastriert und wird hier als charmant, ruhig und umgänglich beschrieben.«
»Oh ja, das ist er«, stimmt ihm nun auch der Pfleger zu, welcher gerade die vollen Fressnäpfe in die kastenförmigen Durchreichen der Zellentüren einhängt und sie anschließend nach innen dreht. »Félix ist ein echter Charmeur. Er ist äußerst kuschelbedürftig und mit so ziemlich allem und jedem verträglich, soweit ich weiß.«
»Wunderbar, wir nehmen ihn.« Mein Freund nickt mir zu, wartet nicht einmal, dass ich ihm zustimme, und deutet bereits mit zittriger Hand auf den Ausgang, weshalb ich erst jetzt bemerke, wie sehr ihn die ganzen Hunde bereits aus der Komfortzone geholt haben. »Klärst du den Rest allein? Ich muss dringend mal durchatmen. Wir treffen uns dann auf dem Parkplatz.«
»Äh ja ... klar«, erwidere ich zögerlich, stehe auf und sehe zu, wie er zügig den Gang verlässt, während er auf seinem Handy herumtippt.
Etwas misstrauisch schaue ich mir nun doch einmal selbst den Steckbrief an und sehe sofort, warum Owen so schnell einverstanden war.
Félix ist fünfzehn, alsosteinalt für einen Mops der alten Zuchtlinie, und so heftig, wie er schnauft, habe ich Sorge, dass er nicht einmal die zwei Stunden Autofahrt überleben würde!
Seufzend drehe ich mich um und gehe einen weiteren Schritt Richtung Küche, in welcher der Mitarbeiter inzwischen von den fiependen Welpen umringt wird.
»Ähm ... Theodore?«
»Bin gleich da«, sagt dieser und schaut, mit einem der knuddeligen braunweiß-gefleckten Fellbälle auf dem Arm, aus der Tür. »Muss nur noch schnell die letzte Knutschkugel hier wiegen, ehe sie fressen dürfen.«
»Ja, klar ...« Ich warte, aber angesichts dieser geballten Niedlichkeit kann ich mir ein lautstarkes Seufzen kaum verkneifen. Zum Glück dauert es nicht lange, bis er den kleinen Drops zurück ins Gatter setzt und zu mir kommt.
»So, das war`s. Also? Soll ich Ihnen Félix schonmal für eine erste Gassirunde rausgeben oder -«
»Nein«, seufze ich und lasse den Kopf hängen. »Es bricht mir echt das Herz, aber er ist leider zu alt. Ich suche nach einem Hund, mit dem ich noch richtig laufen gehen kann und -«, plötzlich berührt mich etwas Feuchtes an der Hand und ich zucke zusammen. Sobald ich über meine Schulter schaue, bleibt mir fast das Herz stehen und sofort weiche ich erschrocken zurück.
In der letzten Zelle, die ich überhaupt nicht für voll genommen hatte, sitzt ein riesiger, grauer Wolf!
Ich bin wie erstarrt. Ein ehrfürchtiger Schauer geht durch meinen gesamten Körper, als ich in seine eisblauen Augen sehe, die mich aufmerksam anschauen. Sein Fell, das auf dem Rücken und an den Ohren dunkler und zum Bauch hin heller wird, schimmert beinahe Silber. Ich wage es kaum zu atmen, bin völlig hingerissen und gleichzeitig verängstigt – wie auch immer das möglich ist. Dieser Hund hat etwas Mystisches, beinahe so, als entspränge er einem uralten Märchenbuch und sei nicht von dieser Welt.
»Whrouh«, growlt er mit einem Mal leise und klingt dabei überraschend freundlich. Ja, es hört sich fast an, als wolle er Hallo sagen.
»Hey Großer ...«, erwidere ich fasziniert und gehe wieder einen Schritt näher. »Hast du mich gerade angestupst?«
›Erwarte ich darauf eine Antwort?‹
Kurz schaue ich auf den spärlich ausgefüllten Zettel neben seiner Zellentür. Da steht Shadow in der Namenszeile, doch daneben hat irgendjemand ein handschriftliches Hunter hingekritzelt, als sei das sein Nachname, was ich äußerst süß finde. Shadow Hunter, also, der Schattenjäger.
Dass er männlich ist, geschätzt um die drei Jahre alt, nicht kastriert und sehr intelligent, steht auch noch da, aber zu seinen Eigenschaften oder seiner Herkunft finde ich gar nichts.
»Streicheln Sie ihn ruhig«, schlägt Theodore vor, der nach wie vor beobachtend neben mir steht. »Seine Größe mag im ersten Moment abschrecken, aber er ist ein ganz Lieber.«
Ich nicke und muss trotzdem all meinen Mut zusammennehmen, doch dann halte ich vorsichtig meine Hand durchs Gitter und sofort legt der mächtige Wolf seinen großen Kopf hinein.
Als meine Finger durch das raue Deckhaar in der weichen Unterwolle seines Fells versinken, wird mein ganzer Körper von Wärme durchflutet.
»Hallo Shadow«, flüstere ich und spüre, wie mein Herz schneller schlägt. Sobald er seinen Namen hört, stellen sich seine Ohren auf, doch gleich danach sinken sie wieder und er schließt genießend die Augen, während ich ihn einseitig massiere. Nebenbei bemerke ich, wie sich Theodore stirnrunzelnd den Steckbrief nimmt und frage daher einfach mal nach: »Warum hat er denn zwei Namen?«
»Gute Frage«, murmelt der Pfleger und kratzt sein Kinn. »Ich hab ihn nur als Shadow im System. Den hat er von einer Kollegin aus der Schicht bekommen, die ihn aufgenommen haben. Aber gestern war unsere Hundetrainerin da, um einen Wesenstest mit ihm zu machen, dabei hat sie vielleicht herausgefunden, dass er auf Hunter reagiert?! Alles möglich. Möglicherweise ist es auch einfach nur ein Scherz der Putzkraft, wer weiß.«
»Also ... wurde er gefunden?«, hake ich weiter nach, ohne meine Zuwendungen zu unterbrechen. Wenn ihn jemand abgegeben hätte, wüssten sie ja, wie er heißt.
Theodore nickt gedankenversunken, doch dann schaut er auf. »Ja, so in der Art. Irgendjemand hat an der Haupttür sturmgeklingelt, ganz früh am Morgen. Als die Kollegen öffneten, lag er da. Angeschossen, mit einer Wäscheleine um den Hals an die Türklinke angebunden.«
»Er wurde angeschossen?« Erschrocken schwenke ich meinen Blick auf Shadow um und bemerke erst jetzt, dass sich Bandagen von seinen Rippen über die linke Schulter in das weiße Brustfell ziehen. »Oh nein ... was ist denn da passiert?«
Sowie er meinen besorgten Unterton hört, steht er wuchtig auf, fast als wolle er mir beweisen, dass es ihm gut geht. Leider sackt ihm sofort die linke Vorderpfote weg, sobald er sie belastet, und er wimmert unterdrückt auf, was mein Mitleid nur verstärkt.
»Tja, wir können da auch nur raten«, spricht Theodore weiter. »Als die Kollegen die Tür öffneten, war kein Mensch mehr in Sicht, aber das ist ziemlich typisch, denn normalerweise muss man für einen so großen Hund eine Abgabegebühr um die zweihundert Dollar bezahlen. Insbesondere, wenn er eine Operation und besondere medizinische Versorgung benötigt. Davor schrecken viele zurück, setzen ihre Tiere lieber aus oder binden sie heimlich bei uns an, so wie hier, selbst wenn sie gar nicht der Besitzer sind und damit eigentlich auch keine Kosten zu befürchten haben.« Der Tierpfleger seufzt und hockt sich neben mich. »Er hat keinen Chip, keine Tätowierung im Ohr, gar nichts. Deshalb dachten wir zuerst, er sei ein wilder Wolf, auf den irgendein Jäger geschossen hat. Die Gesetze sind hier in Quebec nicht wie in Ontario, doch selbst bei uns beginnt die Jagdsaison erst im Oktober.1« Er schwingt den Kopf hin und her. »Leider gibt es aber auch immer wieder Jäger, die sich nicht an die Schonzeiten halten. Außerdem kommt es vor, dass angeschossene Tiere entkommen können. Irgendwann, wenn sie nur noch halbtot am Boden liegen, werden sie manchmal von Privatleuten gefunden und zu uns gebracht. Jedenfalls wenn sie Glück im Unglück haben, so wie er. Zwei Zentimeter weiter links und die Kugel hätte sein Herz getroffen. So hatte er nur ein angeknackstes Schulterblatt und eine Fleischwunde. Aber jetzt ist alles raus, was da nicht reingehört hat, und die OP hat er auch gut überstanden.«
Ich versuche, meine innere Wut und die entstehende Trauer im Zaum zu halten, denn es ist mir unbegreiflich, wie man ein solch wundervolles Lebewesen aus sportlicher Freude töten kann. Doch dabei fällt mir eine Ungereimtheit auf.
»Aber wie haben Sie denn dann herausgefunden, dass er kein wilder Wolf ist?«, hake ich nach und sehe ihn verwundert an.
»Na durch sein Verhalten«, antwortet Theodore und nickt in Shadows Richtung. »Während der gesamten Aufnahmeprozedur, bei allen Untersuchungen und auch bei der OP-Vorbereitung, war er äußerst friedlich und kooperativ. Sogar bei den schmerzhaften Sachen, bei denen wir ihn nicht betäubt haben, bei den Spritzen mit den Medikamenten zum Beispiel oder beim Fäden ziehen. Daraus schließen wir, dass er vermutlich ein Arbeits- oder Hütehund aus den Hochebenen ist, dessen Besitzer verstarb.«
»Oh ...« Ich sehe bereits meine Felle davonschwimmen, denn einem Hütehund könnte ich niemals gerecht werden.
Bevor ich irgendetwas darauf erwidern kann, wirft der Mitarbeiter glücklicherweise ein hoffnungbringendes »Na ja« in den Raum und schwenkt den Kopf hin und her, als wär er betrunken. »Die Bergleute sind alt und der Nachwuchs zieht fort. Wenn da oben einer stirbt, bekommt es kaum einer mit. Katzen hauen als erste ab, dann alles, was sich aus seinem Stall oder Gatter befreien kann. Hunde bleiben in der Regel am längsten bei ihren toten Besitzern, doch irgendwann, wenn der Hunger zu groß wird, suchen auch sie sich ein neues Zuhause.« Theodore steht auf und überlegt kurz, aber dann zuckt er mit den Schultern. »Wie gesagt, wir können nur mutmaßen. Aber aufgrund der Größe, der Statur und der Fellfarbe ist es laut unserem Tierarzt sehr wahrscheinlich, dass er ein Alaskan Malamute Mix ist, gekreuzt mit einem Mackenzie-Wolf. Das ist eine Unterart, die in den nördlichen Rocky Mountains sowie in West- und Zentralkanada verbreitet ist und sehr groß werden kann. Es passiert immer wieder mal, dass sich die Hunde der Bauern mit Wölfen paaren und dann«, er zeigt mit dem Daumen Richtung Zelle, »kommt so was dabei heraus.