3,99 €
"Vikings, Love & Madness" Band 3 - Des Schicksals Schneide (Letzter Band der Trilogie) Gay Romance / Fiktional Urban Historical Story Print 240 Seiten inkl. 3 Illustrationen Der über Jahre anhaltende Gebrauch von Nachtschattengewächsen hat auch bei Vejen Spuren hinterlassen. Selbst außerhalb der von ihm herbeigeführten Rauschzustände driftet er nun in die Zwischenwelt ab, ohne es kontrollieren zu können. Was er in diesen Visionen sieht, ist erschreckend: Riesige Wölfe, die sich zu zerfetzen drohen, mutierende Schlangen, brennende Wälder - die Zukunft von Ålgård sieht alles andere als rosig aus. Trotzdem glimmt da ein Hoffnungsschimmer am Horizont, denn es ist offensichtlich, dass sich Skjern und Vejen nicht nur körperlich anziehend finden, sondern wirklich ernsthafte Gefühle füreinander entwickelt haben. Doch das fragile Lügenkonstrukt des jungen Schamanen droht ihre Liebe zu zerstören. Als der Jarl dann auch noch eine Prophezeiung von ihm verlangt, für die Vejen mit Arvid intim werden muss, eskaliert die Situation, doch letztendlich kommt alles ganz anders als erwartet.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Vikings, Love and Madness
Band 3 - Des Schicksals Schneide
Klappentext
Gay Romance / Fiktional Urban Historical Story
Der über Jahre anhaltende Gebrauch von Nachtschattengewächsen hat auch bei Vejen Spuren hinterlassen. Selbst außerhalb der von ihm herbeigeführten Rauschzustände driftet er nun in die Zwischenwelt ab, ohne es kontrollieren zu können. Was er in diesen Visionen sieht, ist erschreckend: Riesige Wölfe, die sich zu zerfetzen drohen, mutierende Schlangen, brennende Wälder - die Zukunft von Ålgård sieht alles andere als rosig aus. Trotzdem glimmt da ein Hoffnungsschimmer am Horizont, denn es ist offensichtlich, dass sich Skjern und Vejen nicht nur körperlich anziehend finden, sondern wirklich ernsthafte Gefühle füreinander entwickelt haben. Doch das fragile Lügenkonstrukt des jungen Schamanen droht ihre Liebe zu zerstören. Als der Jarl dann auch noch eine Prophezeiung von ihm verlangt, für die Vejen mit Arvid intim werden muss, eskaliert die Situation, doch letztendlich kommt alles ganz anders als erwartet.
Hinweis
Diese Geschichte ist von wahren Ereignissen und überlieferten Sagen aus der Wikingerzeit des 10. Jahrhunderts inspiriert, erhebt jedoch keinen Anspruch darauf, historisch korrekt zu sein, vor allem in Bezug auf die Sprache der Protagonisten. In erster Linie handelt es sich also um eine fiktionale Geschichte mit romantischen, erotischen, ernsten, aber auch witzigen Szenen, die sich im schriftstellerischen Freiraum bewegen. Darüber hinaus sind detailliert ausgeschriebene homosexuelle Sexszenen und Gewaltdarstellungen gegen Erwachsene enthalten.
Kapitel 1 - Skjern - Freund oder Feind
Wie ein nasser Lappen.
»Vejen? Vejen!!!«
Ja, genau so klatscht er auf den Boden. Ohne jedwede Spannung im Körper sackt er nach dem Aufstehen einfach zusammen und landet ungebremst auf dem Fußboden. Erschrocken rutsche ich übers Bett und knie mich zu ihm.
»Scheiße, verdammt! Was ist denn los? Vejen!«
Er reagiert nicht. Ich versuche, ihn hochzuziehen, doch ganz plötzlich wird er stocksteif wie ein Brett und es scheint, als ob sich jeder Muskel seines drahtigen Körpers verkrampft. Außerdem starrt er mit weit aufgerissenen Augen ins Nichts, als würde er etwas Furchtbares sehen, fängt gleich darauf an zu zittern und atmet dabei immer hektischer.
»Nein, nein, nein!« Ich bin verzweifelt, denn ich kenne derartige Reaktionen nur von einem Mädchen aus den Breheimen, die immerzu solche Anfälle bekam, wenn Blitze am Himmel zuckten und sie diese sah. Bei einer dieser Krampfattacken biss sie sich die Zunge ab und wäre beinahe daran verblutet, weil unser Heiler ihren Mund nicht öffnen konnte, um die Blutung zu stillen.
»Komm schon ... Vejen! Alles ist gut! Ich bin hier! Hörst du mich?Sprich mit mir!«
Panisch überlege ich, ob ich irgendwen zur Hilfe holen kann, aber bis auf das Unterkleid liegt er nackt und ungeschminkt vor mir, weshalb ich niemanden auf die Schnelle fragen kann, ohne seine wahre Identität zu verraten. Stattdessen wuchte ich ihn schließlich, erstarrt wie er ist, zurück aufs Bett, massiere seine kalten, zitternden Hände und rede ununterbrochen auf ihn ein, um ihn ins Hier und Jetzt zurückzuholen.
Auf einmal springt auch Mie aus seinem Nest, hüpft jedoch seelenruhig zu uns rüber und kraxelt auf Vejens Brust, wo er sich seine Pfote beleckt.
›So viel zum Thema schlaues Tier!‹
»Hey! Kannst du das nicht woanders machen?«, motze ich ihn an. »Merkst du denn nicht, dass es deinem Herrchen schlecht geht?«
»Räh!«, motzt der kleine Kobold zurück und putzt sich jetzt extra langsam, während er mich herausfordernd anstarrt. Am liebsten würde ich ihn gerade an die Wand klatschen! Stattdessen reiße ich mich natürlich zusammen und scheuche ihn nur mit dem Handrücken zur Seite.
»Geh jetzt da runter, verflucht! Lutsch dich woanders!«
»Rieh, rieh!«, meckert er wütend, doch ich ignoriere ihn, denn Vejens Körper wird immer kälter und seine Muskeln immer steifer. Auf der Stelle decke ich ihn mit allen verfügbaren Fellen zu, springe auf und mache mich daran, die Feuerstelle zu entzünden, um das ausgekühlte Haus aufzuheizen.
In meinem Eifer überhöre ich beinahe das hölzerne Scharren und stolpere dann auch noch über Mie, der auf einmal eine der Schalen vom Tisch zu mir schleppt und mich erneut mit einem wenig aussagekräftigen »Mräh!« anquäkt.
»Sag mal, hackt‘s bei dir? Ich hab jetzt keine Zeit, dich zu füttern!«
Er klatscht sich die weiße, linke Pfote an die schwarze Stirn. »Rrrrhhhh«, knurrt er dabei und krabbelt schließlich in die Schüssel hinein. »Mräh, mieh, rieh, räh!«, schimpft er dort aufgebracht und zeigt immer wieder abwechselnd auf die Wasserkanne und die Schale, ehe er so tut, als würde er sich die Achseln waschen.
»Was? Willst du jetzt auch noch baden oder - ... oh.« Endlich raffe ich, was der kleine Kerl mir sagen wollte. »Ähm ... ich soll Vejen ein Bad einlassen, damit er darin aufwärmt und sich seine Muskeln entspannen?«
»Mieh!!!« Er streckt beide Ärmchen aus und nickt. Wenigstens das ist eindeutig.
»Ja, gut, das ... ist vielleicht gar keine so schlechte Idee. Danke, Fussel.« Im Vorbeigehen tätschle ich seinen Kopf, was er grummelnd hinnimmt, ehe er aus der Schüssel steigt. Ich haste derweil zu dem großen Elchfell an der Wand und raffe es mit einem Seil zur Seite. Dahinter befindet sich unser Waschraum mit dem Badezuber, den mein Vater einst für meine Mutter und uns Kinder gebaut hat. Heimlich, versteht sich, denn sonst hätte jeder im Dorf so einen Bottich bei ihm bestellt oder ständig unseren benutzen wollen. Deshalb durften wir auch niemandem davon erzählen.
»Oh Freya, bitte lass ihn noch halbwegs dicht sein!«
Als ich mit einer der Öllampen in den fensterlosen Raum leuchte und mir den Zuber näher ansehe, bin ich jedoch erstaunt. Offenbar haben ihn Breanna und ihre kleine Wiederaufbautruppe gefunden, denn er ist sauber geschrubbt, die Ritzen mit Hanf und Harz frisch abgedichtet und das Holz wurde auch geölt.
Dankbar über diese Umstände lasse ich die Öllampe in dem kleinen Raum zurück und hebe im Anschluss den größten Kessel auf die Feuerstelle. Dann hole ich mit zwei großen Eimern Wasser aus dem See vor unserer Haustür und befördere es, nachdem ich es erhitzt habe, in den Zuber. Zum Glück geht das schnell. So wie früher steht das ovale Fass auf einer dicken Schicht Stroh, damit das heiße Wasser nicht allzuschnell über den kalten Boden auskühlt, und so habe ich in kurzer Zeit den Bottich mit angenehm dampfendem Wasser befüllt.
Als ich die letzten Eimer ins Waschkabuff bringe, steigt mir ein intensiver, krautig-blumiger Geruch in die Nase und ich sehe erst jetzt, dass da so einiges an Grünzeug im Wasser schwimmt. Just in diesem Augenblick springt Mie auf die Kante und kippt noch einen Schluck violetten Öls hinein, was ich argwöhnisch beobachte.
»Ähm ... dir ist schon klar, dass wir hier keine Suppe kochen, oder?«
Mie grummelt, wirft mit frustriertem Gesichtsausdruck noch ein paar weitere Blätter in den Zuber und zeigt dann auf Vejen, der nach wie vor im Bett liegt. »Mräh!«
»Ja, ja, ich hol ihn doch schon!«
›Dass ich mal von einem rattigen Halbaffen herumkommandiert werde, hätte ich mir im Leben nicht träumen lassen.‹
Vorsichtig schiebe ich alle Decken von Vejens Körper, der sich nach wie vor ungesund kaltschweißig anfühlt, aber zumindest hat er inzwischen die Augen geschlossen. Ich setze ihn auf, so gut es geht, denn er ist immer noch ziemlich starr, ziehe ihm das Unterkleid vom Körper und schlucke schwer, als meine Finger dabei über seinen unebenen Rücken streichen.
Natürlich weiß ich noch aus seinen Erzählungen, dass er viele Narben hat, nur bisher habe ich sie nie gesehen. Selbst wenn er mal mit freiem Oberkörper vor mir stand, hingen ihm seine dichten Haare darüber. So ist es jetzt tatsächlich das erste Mal, dass ich die Spuren seiner Misshandlungen im Tageslicht sehe. Meine Kehle schnürt sich zu, als ich über die vielen ausgeprägten Kerben streiche und feststelle, wie sehr sich das Narbengeflecht bis heute von seiner ansonsten eher hellen Hautfarbe unterscheidet. Einige der Furchen sind so tief, dass man die Knochen seiner Rippen durchschimmern sieht.
›Komm schon, reiß dich am Riemen! Bring ihn ins Wasser‹, ermahne ich mich selbst und nehme ihn vorsichtig auf die Arme. Während ich ihn zum Waschraum trage, bemerke ich das Muttermal auf seiner Hüfte. Es sind drei kleine Flecke, die ein Dreieck bilden.
›Die kenne ich ... Aber warum? Er hat sich doch noch nie komplett vor mir ausgezogen?‹
Auch sein Bauchnabel, sein Schwanz und einige andere Details seiner Vorderseite kommen mir sehr bekannt vor.
›Warum denkst du ausgerechnet jetzt über so etwas nach? Du hast doch wohl gerade Wichtigeres zu tun, verdammt!‹
Behutsam lasse ich ihn zunächst nur mit den Füßen ins warme Wasser gleiten und warte einen Moment, wie er darauf reagiert. Er seufzt erleichtert, also gehe ich davon aus, dass er es als angenehm empfindet.
Stück für Stück lasse ich ihn weiter in die ölige Kräuterbrühe sinken und selbst Mie hilft mit, indem er ein zusammengerolltes Wolltuch auf der Kante in Position hält, auf das ich Vejens Kopf ablegen kann. Der kleine Scheißer ist wirklich nützlicher, als man glauben könnte.
Sobald Vejen gänzlich im Badezuber liegt, setze ich mich auf einen Schemel daneben und fahre ihm sachte mit einem Schwamm über den Körper. Ich kann beobachten, wie sein Zittern merklich abklingt und er langsam wieder Farbe im Gesicht bekommt, was mich außerordentlich beruhigt.
»War eine gute Idee«, brumme ich Mie anerkennend zu, was dieser mit einem Nicken abtut. »Hat er das öfter? ... Nach einer Prophezeiung?« Sofort kommen mir die Anschuldigungen in den Sinn, die er bezüglich Arvid verlauten ließ, aber ich verdränge sie für den Augenblick.
»Rrhieh ...« Mie sieht mich an, als würde er mich verstehen und kurz darüber nachdenken müssen, dann beleckt er sich die Nase und nickt schließlich erneut.
»Möglicherweise ist es eine Nachwirkung des Göttertrankes?« Oder sollte ich eher der Götterpisse sagen? Nein. Zu anmaßend. »Vielleicht kommt es auch von diesen Bilsenkrautsamen, mit denen ich ebenfalls in Berührung gekommen bin, als er meine Hände nahm? Zumindest haben die bei mir ziemlich schnell und heftig gewirkt ... Die Halluzinationen waren sehr ... intensiv.«
Plötzlich muss ich amüsiert schnaufen, denn ich sehe, wie Mie versucht, Vejens Schläfen zu massieren.
»Dafür sind deine Ärmchen zu kurz, Kleiner. Lass mich mal.«
Ich setze mich um und streiche Vejen über die Stirn, ehe ich langsam rotierend deren Seiten umkreise, was ihm ein sachtes Stöhnen entlockt.
›Ich kenne dieses Seufzen‹, schießt es mir sofort durch den Kopf, und weil ich den vollen Blick auf seinen nackten Körper habe, drängen sich mir wieder die Überlegungen von vorhin ins Hirn.
›Warum kenne ich diese Muttermale, obwohl er sie mir nie vorher gezeigt hat? ... Warum habe ich das Gefühl, ihm bereits nah gewesen zu sein? Wirklich sehr, sehr nah! ... Oder war es gar kein Hirngespinst? Letzte Nacht hatte ich ernsthaft das Gefühl, in ihm zu stecken! Aber warum sollte er sich auf meinen Schwanz setzen, während er in meine Zukunft schaut?‹
»Mie, ist es möglich, dass man als Ungelernter in einer Halluzination Dinge sieht, die man eigentlich gar nicht wissen kann?«
Ich sehe das kleine Tier an, als könnte es mir tatsächlich eine Antwort auf diese komplizierte Frage geben. Vermutlich könnte ich genauso gut Jammerbøg fragen, wie das Wetter morgen wird, trotzdem versuche ich es ein weiteres Mal.
»Ich meine, dieser Kräuterwahn lässt doch nur den Verstand verrückt spielen. Er zeigt einem ein Fantasiegemisch aus Wünschen, Träumen und Ängsten, aber nichts, das man nicht wissen kann. Oder etwa doch?«
»Nein«, ächzt Vejen plötzlich auf und ich zucke erschrocken zusammen, ehe ich mich hastig in sein Blickfeld begebe.
»Hei! Wie geht es Euch?« Ich streichele über seine Wange und er schmiegt seinen Kopf in meine Hand, ehe er sich vorsichtig aufsetzt und eben diesen auf seine angezogenen Knie stützt.
»Ich fühle mich, als wäre ich mit voller Wucht gegen eine Wand gerannt.«
»Nun ja, es war der Boden, nicht die Wand. Aber Ihr habt recht, die volle Wucht war dabei.« Ich reiche ihm einen Becher mit kaltem Wasser, den er in einem Zug leert, nachdem er sein besorgtes Haustier getätschelt hat. »Ihr seid zusammengebrochen, als Ihr versucht habt, aufzustehen. Habt Ihr so etwas öfter?«
»Manchmal«, murmelt er und wirkt noch immer gedanklich nicht ganz auf der Höhe, denn er reicht den leeren Becher in die falsche Richtung, obwohl ich direkt neben ihm sitze. »Ása nannte solche Anfälle immer impulsive Prophezeiungen. Warum das geschieht, weiß keiner von uns. Vielleicht staut sich ja ein Teil der Wirkstoffe aus den Tränken im Körper an und wird durch eine hektische Bewegung freigesetzt ... Ich weiß es nicht. Theorien gibt es viele.«[Fußnote 1]
Ich nehme ihm das Trinkgefäß ab, denn inzwischen grollt er gequält und verbirgt das Gesicht gleich hinter seinen Händen, sobald er sie frei hat. »Feuer ... Wölfe ... diese riesigen, verfluchten Wölfe ...«
»Hei ...« Ich hebe vorsichtig sein Kinn und bringe ihn dazu, mich anzusehen. »Kann ich Euch irgendwas Gutes tun, damit es Euch besser geht?«
Er überlegt kurz, sieht mich dabei mit glasigen Augen an, lehnt sich langsam vor und plötzlich - küsst er mich!
Sofort will ich meinen Kopf zurückziehen, doch sobald seine Lippen auf meinen liegen, vergesse ich alles um mich herum.
Sein Mund ist so weich, dass ich in ihm versinken möchte. Unweigerlich komme ich ihm entgegen, seufze auf und greife wie an Fäden gezogen in seinen Nacken, halte ihn fest und erwidere seinen Kuss innig.
Vejen klammert sich an mich, drängt sich mir immer wieder entgegen, bis ich ihm meine Zunge zwischen die Lippen schiebe, was er sehnsüchtig erwidert.
›Bei allen Göttern ... das fühlt sich so gut an.‹
Niemals hätte ich gedacht, dass ein Kuss allein so überwältigend sein kann.
Als ich mich schweren Herzens von ihm löse, sieht er mich aus fast schon fiebrigen Augen an und wieder bin ich mir sicher, dass ich diesen Blick kenne. Seinen Körper, seine Lippen und die Geräusche, die er macht - einfach alles von ihm! Und das Schlimmste ist: Ich verzehre mich mit Leib und Seele danach.
»Vejen«, wispere ich ihm zu und spüre erst jetzt, wie mein Herz rast. »Hatten wir -« Er nickt, noch bevor ich den Satz beendet habe, und küsst mich aufs Neue, fast entschuldigend. Doch ich schlucke nur schwer und schiebe ihn ein Stück von mir weg. Seine Aussage zur vorletzten Nacht, in der er meine betrunkenen, plumpen Annäherungen ja nur aus Angst vor den möglichen Folgen erwidert haben will, geht mir nicht aus dem Kopf. Ich würde es nicht ertragen, dass er sich mir nur hingibt, damit ich ihm wohlgesonnen bleibe. »Vejen ... hab ich Euch ... dazu gedrängt? Oder ... Euch wehgetan?«
»Nein«, haucht er und umfasst mein Gesicht mit seinen Händen. »Überhaupt nicht! Das war das beste Mal, das ich je hatte.« Erleichtert und sogar ein wenig stolz küsse ich ihn erneut, bis er mir etwas gegen die Lippen flüstert: »Ich befürchte, ich habe viel mehr Gefühle für Euch, als ich zugeben wollte.«
Ich stutze, denn er sieht mir jetzt direkt in die Augen und diese kleine Ader an seiner Schläfe ist auch still, also scheint er nicht zu lügen, was mich auf einen unangenehmen Gedanken bringt.
»Habt Ihr mir deshalb all die Dinge über Arvid erzählt? Damit ich von ihm ablasse?«
Vejen erstarrt und sieht mich geschockt an, aber gerade als er den Mund aufmacht, um zu antworten, hören wir, wie jemand in die Hütte kommt.
»Guten Morgen!«, ruft Breanna und wuchtet einen großen Korb auf den Tisch. »Ich bringe Euer Dagmal und soll der Völva beim Ankleiden helfen.«
Sie kommt bereits schnellen Schrittes zum Waschraum, weshalb ich hektisch das Leinentuch vom Beistelltisch reiße und zu Vejen ins Wasser werfe, damit er sich bedecken kann, während ich die eifrige Thrall im Durchgang abfange.
»Veja badet noch!«, sage ich schroff, was Breanna jedoch nicht abzuschrecken scheint.
»Oh! Na dann helfe ich ihr erst mal beim Haarewaschen und Frisieren!«
»Nicht nötig!« Ich stoppe sie erneut, als sie sich an mir vorbeidrängen will. »Veja mag es nicht, von Thralls umwuselt zu werden! Ich kümmere mich um sie!«
»Ihr?« Sie glotzt mich an wie ein schielender Karpfen und linst daraufhin ungläubig über meine Schulter. »Mit Verlaub, Herr, aber Jarl Arvid wartet bereits sehr ungeduldig und ich glaube nicht, dass Ihr -«
»Ja, ja, dann muss er halt noch etwas länger warten! Es geht sicher nicht schneller, wenn hier dauernd jemand reinplatzt! Raus jetzt!« Ich schiebe sie Richtung Ausgang.
»Aber ... könnt Ihr denn flechten? Gebt mir doch wenigstens das schmutzige Geschirr von ges– ... Warum liegt die Schüssel da auf dem Boden und wieso ist sie voller Haare?«
»Da hat sich die Ratte drin gewälzt.«
»Iih!«
Ich packe ihr alles an benutztem Geschirr auf das Tablett von gestern, befördere sie nach draußen und schließe die Tür hinter ihr, während ich mir schwöre, noch heute einen fetten Riegel daran anzubringen! Kann doch nicht sein, dass die Thrall des Jarls hier ständig hereinspaziert! Privatleben? Fehlanzeige!
Plötzlich höre ich Mie laut quäken und vermute zuerst, dass er herummotzt, weil ich ihn Ratte genannt habe, aber dann sehe ich ihn aufgeregt auf der Kante des Badefasses herumspringen und mir wird klar, dass etwas nicht stimmt. Erst da fällt mir auf, dass ich Vejen gar nicht mehr sehe. Panisch stürze ich zurück und stelle fest, dass er unter die Wasseroberfläche gerutscht ist.
»Vejen!!!« Hektisch packe ich in den Zuber und reiße ihn hoch, was ihn zum Glück so sehr erschreckt, dass er aufwacht und heftig das Wasser auszuhusten beginnt. »Verdammt nochmal! Kann man Euch denn keinen Moment allein lassen!?« Er sagt nichts, hustet stattdessen und ich versuche, meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen, während ich ihm auf den vernarbten Rücken klopfe. »Alles in Ordnung? Gehts wieder?«
»Ja«, krächzt er und hebt die Hand, damit ich aufhöre, auf ihm rumzuhämmern.
»Gut. Fehlte mir noch, dass Ihr nach allem in meinem Badefass ersauft!«[Fußnote 2] Ich atme tief durch und überlege, ihn aus dem Wasser zu holen, obwohl er ja noch nicht allzu lange darin sitzt. Weil ich aber sehe, wie fertig er ist, beschließe ich, ihn noch ein wenig in der Kräutersuppe einweichen zu lassen. »Ihr müsst dringend essen und wieder zu Kräften kommen. Arvid erwartet Euch bereits. Würdet Ihr kurz laut bis zehn zählen und dabei bitte nicht abtauchen, sodass ich unser Dagmal herholen kann?«
»Ich versuch‘s«, gibt er erschöpft sein Einverständnis und tut mir gerade wirklich leid.
»Gut. Ich bin gleich wieder da!«
›Er ist völlig fertig! Eigentlich wäre es das Beste, wenn er heute im Bett bleiben würde. Für jemanden, der seinen Wald und sein Zuhause nie verlassen hat, muss eine solche Reise in eine völlig andere Umgebung sehr belastend sein. Dann auch noch immer wieder diese heftigen Rauschmittel ... Kein Wunder, dass die alte Ása im Laufe der Zeit verrückt wurde. Das muss aufhören!‹
Allein die Vorstellung, dass Vejen irgendwann genau so endet wie Ása, bricht mir das Herz. Das Gehirn nur noch Matsch von all diesen Wahn-Giften, einsam und verwirrt, gefangen in einer Traumwelt mitten im Nirgendwo. Wenn er denn überhaupt so alt wird und nicht vorher schon jemand sein Geheimnis lüftet, zumal er garantiert auch keine Novizin ausbilden wird, die ihm im Alter hilft.
Als ich unser Essen in den Baderaum bringe, bemerke ich, dass sich Vejen nicht mal mehr traut, mich anzusehen. Vermutlich wegen meines Vorwurfes bezüglich Arvid. In diesem Moment wird mir bewusst, wie sehr sich mir allein deswegen die Kehle zuschnürt.
›Ich will nicht, dass sich der Bengel wegen mir schlecht fühlt. Was hab ich mir nur dabei gedacht? Er offenbart mir, dass er echte Gefühle für mich hat, und ich reagiere mit Vorwürfen! Ich hätte ihm sagen sollen, dass es mir genauso geht wie ihm ... auch wenn ich noch immer hin- und hergerissen bin.‹
***
Schweigen beherrscht die Hütte.
Es dauert eine ganze Weile, bis Vejen aufgegessen und sich wieder so weit im Griff hat, dass er sich allein waschen kann. Auch ich esse mich satt und leere die letzte Flasche mit meiner grünen Heilsuppe, die ich hoffe, nie wieder trinken zu müssen.
Vejen taucht seine Haare mehrmals unter Wasser und spült sie durch, wagt es jedoch nicht, die vielen geflochtenen Strähnen zu öffnen. Inzwischen haben sich schon einige Härchen daraus gelöst und er sieht wieder etwas zotteliger aus als vorher, sicher auch, weil die einzelnen Zöpfe nicht mehr nach oben gebunden sind. Trotzdem halten wir beide es für das Beste, dass er sie so belässt und nicht aufdröselt. Daraufhin schafft er es sogar, sich zu rasieren und die Zähne zu putzen.
Ich helfe ihm aus dem Zuber, lege ihm ein weiches Tuch zum Abtrocknen über die Schultern und bringe ihm alles, was er für seinen Auftritt als Völva benötigt. Nachdem er sich angezogen hat, läuft er auch schon wieder herum und scheint etwas zu suchen. Wackelig, zugegebenermaßen, aber immerhin.
»Braucht Ihr noch was?«, frage ich schließlich und er schaut zermürbt auf.
»Ja! Mehr Licht! Ohne schminkt sich‘s schlecht!«
Ich verstehe das Problem nicht. »Setzt Euch doch ans Feuer, direkt unter das Abzugsloch. Dort scheint genug Licht von oben herein.«
»Ich brauche aber welches von vorne! Sonst hab ich viel zu viele harte Schatten im Gesicht!«
Ich zucke nur mit den Achseln. »Ob nun hart oder weich ist doch völlig egal. Ein Schatten tut ja nicht weh.«
Vejen sagt nichts mehr. Er grummel nur noch. In seinem schwarzen Wickelkleid mit dem Federkragen schlurft er durch die Hütte zur Feuerstelle, wobei er tatsächlich was von einem bockigen Vogel hat. Dann hockt er sich unter den Lichtkegel und beschmiert sein Gesicht samt Hals sowie den oberen Teil der Brust mit der öligen Heilerdesalbe, die ihm Hallveig für ein einheitliches Hautbild gegeben hat. Im Anschluss bepinselt er seine Augen mit schwarzer Farbe und ich muss mich wegdrehen, um nicht zu lachen, denn offenbar hat er noch immer einen Knick im Sehvermögen. Er hält schon die ganze Zeit den Kopf nach oben, was ihm echt schwerzufallen scheint, trotzdem rieselt ihm das schwarze Pulver bis auf die Wangen, und jedes Mal, wenn er dann wieder geradeaus schaut, flucht er leise vor sich hin.
»Ich hätte da eine Idee«, merke ich an. »Darf ich sie mal in den Raum werfen, ohne dass Ihr mich in der Luft zerreißt?«
»Spuckt es doch einfach aus und redet nicht lange um den heißen Brei herum!« Er versucht nicht wirklich, seinen Missmut über mein dunkles Hüttchen zu verstecken, aber das geht auch schlecht, wenn man aussieht wie eine Krähe.[Fußnote 3]
»Ich könnte Hallveig herholen, damit sie Euch herrichtet. Dann unterscheidet sich Euer heutiges Aussehen auch nicht allzu sehr von dem gestrigen.«
»Das geht? Wieso habt Ihr das nicht gleich gesagt?«
Da ich antworten will, schaue ich kurz über meine Schulter und kann deshalb gerade noch so dem Pinsel ausweichen, der an meiner Nase vorbeisaust und gegen die Wand klatscht.
»Hei! Hört auf, ständig Dinge nach mir zu werfen! Das ist eine furchtbare Angewohnheit! Von euch beiden!« Dabei sehe ich Mie ebenfalls mahnend an, auch wenn der so tut, als wüsste er von nichts. »Bezüglich Hallveig habt Ihr mich nie gefragt! Gebt mir einen Moment, um mich zu waschen und anzuziehen, dann gehe ich und hole sie.«
Bevor er noch irgendwas in meine Richtung feuert, das zu Bruch gehen könnte, verschwinde ich in den Waschraum, entledige mich meiner Bracae und steige in den Zuber, um das noch halbwegs lauwarme Wasser zu nutzen. Nach dem kurzen Bad löse ich den Korken aus dem Loch in der Nähe des Zuberbodens und lasse den Badesud durch die darunter angelegte Rinne in den Garten abfließen. Meine Mutter baute dort früher viele verschiedene Pflanzen und Kräuter an, die in der angesäuerten Erde besonders gut gedeihen konnten. Heute wächst da nur noch Unkraut, das durch das Seifenwasser vermutlich eingehen wird, aber was solls, der Winter steht ja eh vor der Tür.
Kapitel 2 - Vejen - Die geborene Völva
Als Skjern die Hütte verlässt, rubble ich mir noch immer das schwarze Pulver von den Wangen, das hartnäckig in meinen Poren haftet.
»Wie kann man nur in einem fensterlosen Haus leben?«, grummle ich vor mich hin. »Stockfinster wie in einem Bärenarsch! Tagein, tagaus!« Aber irgendwie ist es auch klar. Schließlich sind die Frauen, die den halben Tag hier drinnen hocken müssen, um zu weben, zu kochen und die Kinder zu versorgen, in der Regel ja nicht diejenigen, die das Haus bauen. Die Männer kriegen draußen genug Sonne, die brauchen keine Fenster. Ich wiederum liebe meine Fensterchen, auch wenn es zugegebenermaßen im Winter dadurch schneller wieder kalt wird, sollte das Feuer mal ausgehen.
Seufzend lege ich den Kopf in den Nacken.
›Ich vermisse mein Baumstübchen. Sobald dieser Albtraum hier vorbei ist, geh ich zurück und baue um! Die Tür fliegt raus! Dann geht es nur noch über ein Seil, vom Vorbau aus, rauf oder runter und niemand kann mich mehr zwingen, meinen Wald zu verlassen!‹
Bei dem Gedanken an meine Zukunft erfasst mich eine gewisse Erleichterung. Das setzt allerdings voraus, dass ich es in einem Stück nach Hause zurückschaffe. Gleichzeitig fühlt sich dieses Vorhaben aber auch ziemlich trostlos an, als wäre ich ein halb verhungertes Tier, das freiwillig in einen Käfig geht, nur um etwas Fressen zu bekommen. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr erscheint mir dieser Vergleich erschreckend passend, und dennoch fällt mir keine bessere Lösung ein.
›Ich kann auf keinen Fall bei den Wölfen bleiben. Ich sollte ihnen schleunigst geben, was sie wollen, und dann verschwinden. Wenn das Ganze auch nur halb so schlimm wird wie in meiner Vision, gibt es hier bald ein Blutbad und da will ich nichts mit zu tun haben! ... Andererseits kann ich Skjern doch nicht einfach seinem Schicksal überlassen!‹
Da kommt mir auf einmal eine Idee.
›Was, wenn ich ihn von hier weglocke, raus aus der Gefahrenzone, rein in den Wald, und damit den Kampf verhindere?‹
An und für sich ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass Völven sich nicht in Prophezeiungen einmischen dürfen, weder mit Worten noch mit Taten! Aber genau genommen bin ich ja keine Völva und selbst Ása sagte immer, dass jede Wahrsagerin eine Vollidiotin wäre, ihr Wissen nicht zu ihrem Vorteil zu nutzen. Und Skjerns Überleben ist für mich von Vorteil ... denke ich.
›Aber was, wenn meine Handlung den Kampf erst auslöst? Oder wenn ich es schaffe, den fahlen Wolf vom Kampf abzuhalten, und ihn damit ungewollt seinem Kontrahenten ausliefere? Was tue ich, wenn er durch meine Ablenkung den Kampf tatsächlich verliert?‹
Ein Schauer nach dem anderen durchzieht mich, aber plötzlich höre ich Stimmen vor dem Haus, die sich nähern, und lausche. Hallveig und Skjern sind im Anmarsch.
»Was genau meint Ihr mit seltsam?«, höre ich Skjern fragen und halte schon den Atem an, weil ich natürlich vermute, dass sie über mich reden.
»Na ja, anders eben«, antwortet Hallveig und bleibt offenbar einige Schritte vom Haus entfernt stehen, denn ihr Gespräch wird nicht mehr lauter. »Er hat sich verändert, seit Ihr zurück seid, und das nicht zum Guten! Er macht mir Sorgen.«
›Er? Weiß sie etwa ...? Nein, sie sagte »seit Ihr zurück seid«. Sie muss also von jemandem sprechen, der bereits hier war.‹
»Ich glaube, die einzig wirklichen Veränderungen in ihm sind die, dass er jetzt ein erwachsener Mann mit Muskeln, Macht und Einfluss ist«, entgegnet Skjern und seufzt. »Vorher war er nur der Sohn des Jarls. Nicht mehr und nicht weniger.«
›Arvid! Natürlich! Über wen sollte er sonst reden?‹
Meine Fäuste ballen sich.
»Ehrlich gesagt bin ich mir gerade nicht mehr sicher, ob es die richtige Entscheidung war, hierher zurückzukommen.«
Noch ehe ich mich über seinen Sinneswandel freuen kann, schreitet Hallveig ein.