How to date Mr. Cley - Vaelis Vaughan - E-Book

How to date Mr. Cley E-Book

Vaelis Vaughan

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Beschreibung

Als Sam aus dem Gefängnis entlassen wird, hat er nichts mehr - keinen Freund, keine Wohnung, kein Geld. Doch er will zurück in seine Heimat Chicago, also setzt er sich kurzerhand ohne Ticket in einen Zug. Normalerweise schafft er es immer irgendwie, sich durchzumogeln, aber offenbar hat ihn das Glück endgültig verlassen, denn er findet kein gutes Versteck und landet postwendend in einer Fahrkartenkontrolle. Im allerletzten Moment rettet ihn Mr. Cley, ein attraktiver und charismatischer Geschäftsmann, vor dem Rauswurf, doch obwohl es zwischen den beiden heftig knistert, macht Mr. Cley klar, dass er nicht weiter interessiert ist. Der Fremde läuft ihm jedoch immer wieder über den Weg, und irgendwann ist Sam davon überzeugt, dass sie das Schicksal zusammenbringen will. Allerdings scheint Mr. Cley ein dunkles Geheimnis zu haben, das niemand wissen soll ... oder ist es eher eine dunkle Passion? Sam beschließt, es herauszufinden ...

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Vaelis Vaughan

How to date Mr. Cley

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2024

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte: © Tverdokhlib – stock.adobe.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-692-0

ISBN 978-3-96089-693-7 (ebook)

Inhalt:

Als Sam aus dem Gefängnis entlassen wird, hat er nichts mehr – keinen Freund, keine Wohnung, kein Geld. Doch er will zurück in seine Heimat Chicago, also setzt er sich kurzerhand ohne Ticket in einen Zug. Normalerweise schafft er es immer irgendwie, sich durchzumogeln, aber offenbar hat ihn das Glück endgültig verlassen, denn er findet kein gutes Versteck und landet postwendend in einer Fahrkartenkontrolle.

Im allerletzten Moment rettet ihn Mr. Cley, ein attraktiver und charismatischer Geschäftsmann, vor dem Rauswurf, doch obwohl es zwischen den beiden heftig knistert, macht Mr. Cley klar, dass er nicht weiter interessiert ist.

Der Fremde läuft ihm jedoch immer wieder über den Weg, und irgendwann ist Sam davon überzeugt, dass sie das Schicksal zusammenbringen will. Allerdings scheint Mr. Cley ein dunkles Geheimnis zu haben, das niemand wissen soll … oder ist es eher eine dunkle Passion? Sam beschließt, es herauszufinden …

Vorwort

Es gibt Leute, die behaupten, es wäre vollkommen normal, wenn sich zwei Wildfremde mehr als nur einmal im Leben über den Weg laufen. Das Sprichwort – Die Welt ist ein Dorf – kommt ja auch nicht von ungefähr. Andere nennen solche Begegnungen pure Zufälle.

Aber was, wenn sich zwei Menschen nicht nur ein- oder zweimal über den Weg laufen, sondern immer wieder? Und das, obwohl die Chance dafür, besonders in einer so großen Stadt wie Chicago eigentlich gen null geht? Vielleicht steht ja eine göttliche Fügung dahinter, damit wir endlich zu demjenigen finden, der für uns vorherbestimmt ist?

Fakt ist, dass ich niemals an Schicksal oder ähnlichen Mist geglaubt habe. Genau genommen habe ich an gar nichts geglaubt! Keinen einzigen Tag meines Lebens!

Aber das änderte sich, als ich Mister Cley traf.

Bei unserer ersten Begegnung und auch bei der zweiten wusste ich nicht mal, wie er hieß. Aber ich spürte vom ersten Blickkontakt an eine Verbindung zwischen uns, die so absurd war, dass ich sie auf meinen Rausch schob.

Ja. Ich stand oft unter irgendeinem Rausch. Physisch oder psychisch. So auch an dem Tag, an welchem ich Mister Cley zum allerersten Mal begegnete.

Kapitel 1

______________

Amtrak

Als der Zug in den beinahe menschenleeren Bahnhof von Galesburg einfährt, verstecke ich mich hinter dem regengeschützten, gemauerten Wartebereich, der gleichzeitig die Dachkonstruktion stützt. Noch einmal nehme ich meine Kippe zwischen die Lippen, verziehe das Gesicht und schnippe sie anschließend auf den Boden. Sie schmeckt furchtbar, was entweder daran liegt, dass ich die letzten sechs Monate nicht rauchen konnte oder, dass sie dieselbe Zeit in meiner Jackentasche vor sich hin oxidierte. Egal, es war eh die Letzte.

Während ich sie austrete, schaue ich mich um, wo ich am besten einsteige.

Ich bin müde und sicher habe ich auch noch immer das ein oder andere Promille im Blut, denn mein Sichtfeld verzieht sich, sobald ich zu schnell den Kopf bewege. War vielleicht doch nicht die beste Idee, meine einzigen fünfzehn Dollar für einen Tetrapack Billigwein und ein Bier auszugeben, um meine Entlassung zu feiern.

Als sich der Krach der quietschenden Bremsen legt, wage ich es, um den Pfeiler zu schauen und meinen Rucksack aufzusetzen, so ein richtig großes Backpackerteil, aber in ihm befindet sich alles, was ich besitze. Ziemlich wenig also, wenn man es genau nimmt, vor allem für einen Mann Anfang zwanzig.

Die Türen öffnen sich. Zusammen mit höchstens zehn Leuten steige ich in das Monstrum aus Stahl, das mich nach Hause bringen soll, wobei ich penibel darauf achtete, dass mich der aussteigende Schaffner nicht sieht. Es ist der letzte Zug heute, halb zehn, nachts, und ich besitze kein Ticket. Genau genommen habe ich keinen einzigen Penny mehr in der Tasche.

Als ich durch die schier endlosen Gänge zwischen den Sitzplätzen laufe, und überlege, ob ich mich einfach unter eine der Stuhlreihen legen soll, höre ich bereits den schrillen Pfiff, der die Abfahrt einleitet. Leider sind die meisten der Sitze unbelegt, sodass man ziemlich gut zwischen die Reihen schauen kann, und selbst wenn ich ein Versteck finde, das im Stehen schlecht zu sehen ist, erscheint mir das Risiko, dass mich einer der wenigen Mitfahrenden verpfeift, zu hoch.

›Vielleicht wäre es klüger, sich in einer der privaten Kabinen oder auf dem Klo zu verstecken.‹

Leider dauert die Fahrt nach Chicago gute drei Stunden, also brauche ich ein halbwegs bequemes Versteck, in dem ich idealerweise liegen kann, um mich ein wenig auszuruhen. Die gesamte Fahrt über auf dem Plastikdeckel einer ruckelnden Toilette zu sitzen, ist mit Abstand die unattraktivste Variante, doch trotz des ansonsten recht leeren Zuges ist jedes der entsprechenden Zweier- oder Viererabteile der zweiten Klasse besetzt. Klar. Wenn man sich schon ein Ticket bucht, dann in einer privaten Kabine. Also bleibt nur das Klo, die schlechteste Lösung von allen.

Eilig laufe ich in die entgegengesetzte Richtung des wieder eingestiegenen Schaffners, zur First Class. Erfahrungsgemäß werden die WCs dort seltener genutzt, wahrscheinlich, weil die feinen Pinkel ihren Hintern ungern auf Gemeinschaftstoiletten platzieren. Schnellen Schrittes gehe ich also durch den Gang und begutachte auch hier im Vorbeigehen jedes einzelne Abteil aus dem Augenwinkel, bei dem die Vorhänge offen sind. Vielleicht hab ich ja doch Glück und finde eines, das leer steht, weil der gebuchte Fahrgast den Zug verpasst hat.

Dann sehe ich ihn.

Einen Mann Anfang vierzig, mit dunklen, vollen Haaren, deren Halt durch eine satte Ladung Gel verstärkt wird. Genau wie sein rasiertes Kinn sind sie akkurat kurz geschnitten, zumindest an den Seiten. Dazu trägt er einen auffallend gut sitzenden Anzug, ohne Krawatte. Er sieht aus wie einer dieser Typen, deren verwegenste Handlung daraus besteht, den obersten Knopf ihres Hemdes offenzulassen, aber irgendwie gefällt er mir.

Als hätte ich meine Gedanken an ihn übertragen, tut er genau das in diesem Augenblick. Ohne von seinem Buch aufzuschauen, öffnet er den obersten Knopf seines blütenweißen Hemdes, unter dem ich ein paar getrimmte Brusthaare erkenne, lehnt sich zurück, schlägt die Beine übereinander und nippt an seinem Glas. Dabei fällt mein Blick auf seine schwarzen Lackleder-Derbys und die standesgemäß weißen Tennissocken, die mit jeder ihrer Baumwollfasern nur ein Wort schreien: Schnösel.

Fast will ich weitergehen, aber da fällt mir eine Sache auf. Er sitzt in einer dieser Kabinen, in denen man theoretisch auch schlafen kann. Über den Sitzen befindet sich ein ausklappbares Bett. Darunter ist eine Bank, die man ebenfalls zum Hinlegen nutzen kann, in der Mitte steht ein kleiner Tisch und daneben ein Sessel. Seine Kabine ist demnach für zwei Personen gedacht, doch er sieht nicht so aus, als wenn er noch jemanden erwarten würde.

›Das heißt, er kann nicht wissen, ob der zweite Platz belegt ist oder nicht. Und wenn ich mich da oben hinlege, kann ich richtig bequem schlafen und kein Schwein sieht mich!‹

Ehe ich die Konsequenzen meines Handelns zerdenke, schiebe ich bereits die Tür auf und merke mir die darauf stehenden Platznummern.

»Hi«, sage ich knapp und setze meinen schäbigen Rucksack ab, den ich selbstbewusst in die Gepäckablage neben den Markenkoffer des Pomadenhengstes bugsiere. Sofort bemerke ich, dass er unglaublich gut riecht. Eine Mischung aus blumigen und hölzernen Noten mit irgendetwas dumpf Fruchtigem. Ich habe keine Ahnung, was das genau ist, aber da ich mal in einem Blumenladen gejobbt habe, tippe ich auf einen Mix aus Bergamotte, Eichenmoos und Geranie. Auf jeden Fall krieg ich bei diesem betörenden Duft sofort einen Ständer.

Der Kerl sieht mich nur argwöhnisch an, erwartet spürbar, dass ich seinen Blick erwiderte, doch ich gähne nur vielsagend, strecke mich und klappe einfach das obere Bett herunter.

»Verzeihung, ich glaube, Sie haben sich im Abteil geirrt«, sagt er schließlich. Seine Stimme klingt arrogant, tief, erfolgsverwöhnt und leicht schwul. Letzteres gibt mir Hoffnung.

»Ich denke nicht. Ich habe eine Reservierung für vierundzwanzig A. Das ist hier.« Ich drehe mich zu ihm und sehe erstmalig direkt in seine braunen Augen. Ein seltsames Gefühl steigt in mir auf, und obwohl er mich streng mustert und alles andere als erfreut zu sein scheint, keimt in mir das Bedürfnis auf, ihn zu küssen.

Er ist kein Schönling, kein Bodybuilder und erst recht nicht der Twinkpunk-Typ, auf den ich normalerweise stehe. Man könnte sogar sagen, er ist das genaue Gegenteil davon! Und trotzdem hat er was. Etwas Verwegenes, seltsamerweise, was im völligen Kontrast zu seinem biederen Kleidungsstil steht.

»Unmöglich«, grummelt er und schlägt sein Buch zu. »Bis Chicago habe ich beide Plätze dieser Loge für mich allein gebucht, damit ich hier meine Ruhe habe.«

›Verdammt! Elender Geldsack!‹

Plötzlich hält er auch noch die Hand auf. »Zeigen Sie mir mal Ihr Ticket.«

»Einen Teufel werde ich«, prustend fahre ich mir durch die Haare. »Nachher zerreißen Sie es noch. Warum haben Sie sich kein Singleabteil reserviert, wenn Sie allein sein wollten? Zu knauserig?«

»Die waren ausgebucht«, grollt er, was ich mit einem Schulterzucken quittiere.

»Tja, Pech. Ich kann nichts dafür, wenn die hier Plätze doppelt belegen. Soll öfter vorkommen, hab ich gehört.«

Er sieht mich noch abschätziger an als vorher und schnalzt anschließend mit der Zunge. »Ich fahre seit dreizehn Jahren mit Amtrak und in dieser ganzen Zeit ist es noch nie passiert, dass ein Platz doppelt belegt wurde!«

»Irgendwann ist immer das erste Mal.« Ich will mich bereits auf mein Nachtlager schwingen, aber da steht der Typ auf und sieht aus, als wolle er mir eine reinhauen.

›Scheiße. Der ist ja größer als ich!‹

Zum Glück tut er es nicht. Stattdessen greift er zur Schiebetür, was nicht weniger beschissen ist. »Schön. Schauen wir mal, was das Bordpersonal dazu sagt.«

Augenblicklich dränge ich mich zwischen ihn und den Ausgang. »Hey! Sie müssen deswegen jetzt echt keinen Aufstand machen!«, bringe ich leicht panisch hervor und hebe beschwichtigend die Hände.

»Ach nein?« Er versenkt seine in den Taschen der Anzughose und hebt prüfend die linke Augenbraue. Nur die linke! Die rechte bleibt, wo sie ist.

›Wie macht der das?‹

»Nein!«, antworte ich etwas irritiert, versuche mich jedoch zu konzentrieren. »Sie werden mich gar nicht bemerken! Ich lege mich da oben hin, schlafe und schnarche auch nicht! Versprochen!«

»Hm.« Plötzlich umspielt seinen Mund ein minimales, missbilligendes Lächeln, während er sich nach vorne lehnt, sodass sich unsere Nasenspitzen beinahe berühren. »Sie haben überhaupt kein Ticket, stimmt’s?« Ich antworte nicht, schlucke nur und bewege langsam meinen Kopf von links nach rechts. »Dachte ich mir.« Er löst sich aus seiner bedrohlichen Position, setzt sich, als wenn nichts gewesen wäre, und schlägt sein Buch wieder auf. Doch gerade, als ich durchatmen will, sagt er bestimmt: »Raus!«

Verdutzt verharre ich in meiner Bewegung. »Aber –«

»Nehmen Sie Ihren keimigen Rucksack und verschwinden Sie aus meinem Abteil«, unterbricht er mich beherrscht und schaut noch einmal entnervt auf. »Ich tue Ihnen den Gefallen, dem Personal keinen Hinweis zu geben, aber mehr … oh.«

Schon als er in Richtung Tür nickt, weiß ich, dass ich gefickt bin. Keine zwei Sekunden später zieht der Kontrolleur die Schiebetür auf. »Guten Abend, die Herren. Einmal die Fahrkarten, bitte.«

Ich werfe meinem Mitfahrer einen flehentlichen Blick zu, doch er ignoriert mich und holt seelenruhig sein Schickimicki-Smartphone hervor, auf dem er eines der Tickets aufruft. Er steht auf, stellt sich so dicht neben mich, dass ich seine Körperwärme fühle, und hält es dem Schaffner hin. Während der den Code von seinem Bildschirm abscannt, schaut er die ganze Zeit überheblich auf mich herunter und deutet plötzlich einen spöttischen Luftkuss an, der meinen Puls hochtreibt.

»Danke. Und Sie?«, fragt mich der Zugbegleiter, doch in diesem Moment stelle ich mich auf die Zehenspitzen und lege meine Lippen auf die des Snobs.

Da ist es wieder. Dieses erregend warme Gefühl und gleichzeitig rast mein Herz vor Aufregung. Er schmeckt nach Minze und Whisky. Eine seltsame Kombination, doch als er seinen Mund von meinem löst, würde ich sie am liebsten gleich noch einmal kosten.

Zum ersten Mal lächelt er mich für den Bruchteil einer Sekunde an, auf eine Weise, die ich zwar immer noch als überlegend, aber nicht mehr als abschätzig bezeichnen würde.

»Er gehört zu mir«, sagt er anschließend, was mir durch Mark und Bein geht, wischt über sein Handy und der Kontrolleur scannt auch den zweiten Code ab, wünscht kleinlaut eine gute Nacht und verschwindet.

Sobald sich die Tür schließt, will ich den Fremden erneut küssen, mich mit ihm rumbeißen und am liebsten noch viel mehr, aber diesmal dreht er den Kopf weg. »Du schuldest mir zweihundertfünfzig Dollar, Kleiner«, raunt er stattdessen trocken und setzt sich wieder auf den Sessel.

Ich schlucke, wundere mich aber nicht wirklich über den hohen Preis, denn Logen sind teuer, besonders in der ersten Klasse. »Glauben Sie ernsthaft, ich wäre ohne Ticket eingestiegen, wenn ich so viel Kohle hätte? Die Sitze in der Economy-Class kosten die Hälfte, höchstens!«

»Na schön«, schnauft er, greift in seine Tasche und reicht mir einen Kaugummi. »Hier.«

›Peppermint Honey? Bäh.‹

»Nein danke«, lehne ich ab, doch da stellt er sich erneut bedrohlich vor mich.

»Entweder du isst jetzt diesen Kaugummi oder du putzt dir die Zähne! Du stinkst, als hättest du einen ganzen Kasten Billigbier gesoffen und danach einen Aschenbecher ausgeleckt!«

»Ach, ist das so?«, schnurre ich amüsiert und streiche über sein Hemd. »Dafür haben Sie den Kuss aber ziemlich genossen.« Ich greife ihm in den Schritt. Er ist hart und gut bestückt. Volltreffer. »Sogar sehr, wie es scheint.« Auch wenn er keine Miene verzieht, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. »Wie wär’s mit einem Blowjob? Sind wir dann quitt?«

Ohne seinen Blick von mir abzuwenden, packt er mein Handgelenk und drückt so fest zu, dass ich seinen Schwanz loslasse. »Ich wüsste nicht, dass ich dir erlaubt habe, mich anzufassen, Kleiner.«

»Autschaahokay, okay«, japse ich und er lässt mich los, damit ich meine drangsalierte Flosse schütteln kann, aber da packt er auch schon den Kaugummi aus und hält ihn mir vor den Mund.

»Aufmachen!«, raunt er mir zu und diesmal tue ich es, ohne zu zögern. Der nach Minze riechende Streifen gleitet über meine Lippen, ehe er ihn mir auf die Zunge legt. »Brav«, wispert er mir zu, streicht mit dem Daumen über meine stoppelige Wange und grinst ganz leicht.

Ich kann gar nicht fassen, wie sehr mich dieser Kerl antörnt. Mein Puls hat sich kein bisschen beruhigt und als sich sein rechter Oberschenkel auch noch zwischen meine Beine drängt, stöhne ich kurz auf. Sein Grinsen verstärkt sich, doch dann wendet er sich ab und setzt sich wieder.

»Geh schlafen, Kleiner. Ich weck dich, wenn wir in Chicago sind.«

›Wie jetzt? Das war’s? Ist das sein Ernst?‹

Frustriert schnaufe ich und richte den schmerzenden Bolzen in meiner Hose. »Und wozu muss ich jetzt diesen dämlichen Kaugummi kauen, wenn Sie gar nicht mehr mit mir rummachen wollen?«

»Habe ich je gesagt, dass ich das will?« Er schlägt sein Buch auf, ohne mich anzusehen. »Ich habe keine Lust, dass du mir die ganze Fahrt über mit deinem Smogatem die Luft verpestest, das ist alles. Schlimm genug, dass deine Kleidung stinkt, als hättest du neben einem Lagerfeuer geschlafen.«

»Ich kann mich ja ausziehen«, antworte ich aufreizend, aber er ignoriert mich, also hänge ich einfach meine Lederjacke an einen Wandhaken und öffne meinen Gürtel. »Sie können mir auch den Arsch lecken, wenn Sie wollen. Da steh ich total drauf.«

Mr. Big zieht leicht angewidert die Augenbrauen hoch, ja, diesmal beide, und lehnt den Kopf an die Lehne. »Bevor ich das tue, müsstest du dich erst mal rasieren und ein Bad in hochprozentigem Desinfektionsmittel nehmen.«

»Aber abgeneigt wären Sie nicht, stimmt’s?« Man soll ja immer das Positive sehen.

Wieder schnalzt der Fremde mit der Zunge und schüttelt den Kopf. »Unter all dem Keim schlummert ganz sicher ein adrettes Kerlchen, aber leider genügst du nicht im Entferntesten meinen Ansprüchen. Jetzt halt den Mund und geh schlafen oder ich werf’ dich doch noch raus.« Daraufhin widmet er sich abermals seinem Buch, in dem er vermutlich zum zehnten Mal denselben Absatz liest.

Ich gebe auf. »Schön, wie Sie wollen.« Frustriert entledige ich mich meiner Hose sowie meines Hoodies und werfe beides auf das untere Bett, welches er ja offenbar nicht nutzen möchte. Während ich die schmalen integrierten Seitenstufen auf die obere Liege steige, bemerke ich jedoch ganz genau, dass er mir für einige Sekunden auf den Arsch schaut, der sich in schwarzen, engen Boxershorts befindet, die wenig Spielraum für Fantasie lassen. Der Anblick scheint ihn nicht kalt zu lassen, denn anschließend leert er sein Glas mit einem Zug.

›So viel zum Thema, ich wär nicht sein Typ!‹

Oben angekommen reiße ich eine der beiden einfolierten blauen Decken aus ihrer Hygienetüte. Auf die zweite packe ich mein uraltes Handy sowie meine Brieftasche.

›Die werde ich nachher so was von mitnehmen!‹

Ich strecke mich auf der Matratze aus und hake die Anti-Rausfallgurte in der Wand ein, damit ich nicht auf dem Schoß dieses Stiesels lande, sollte der Zug mal scharf bremsen. Gleichzeitig sehe ich, wie er erneut aufsteht und noch ehe ich ihn fragen kann, ob sein Buch derart langweilig ist, hängt er auch schon meine Klamotten auf einen Kleiderhaken. Diesen verfrachtet er in einen Kleidersack aus Plastik, wie man sie aus der Reinigung kennt, verschließt alles feinsäuberlich und hängt den Sack in einen der schmalen Schränke, in welchen er auch meine Schuhe stellt. Meinen Rucksack verstaut er auf der kabineneigenen Toilette und schließt deren Tür. Dann lüftet er und atmet tief durch, ehe er das Fenster wieder verriegelt.

›Wow. Der Qualmgeruch scheint ihn echt zu stören.‹

Ich drehe mich mit dem Gesicht zur Wand, aber mit der Megalatte, die ich dank ihm habe, samt seinem Geschmack im Mund, ist es mehr als schwierig, eine angenehme Position zu finden, in der ich zur Ruhe kommen kann. Vor allem, weil ich normalerweise Bauchschläfer bin.

›Ich werde mir einfach noch leise einen runterholen. Danach kann ich sicher schlafen.‹

Der Sessel knarzt. »Gute Nacht«, raunt er von unten hoch, eher mahnend als fürsorglich, wahrscheinlich, damit ich endlich aufhöre, mich zu drehen wie ein Brummkreisel. »Ach und noch etwas.«

»… Ja?«

»Tu mir den Gefallen, und lass die Finger von deinem Schwanz. Auch wenn’s dir schwerfällt.«

›Alter! Kann der Typ Gedanken lesen?‹

***

Sacht streicht eine Hand über meinen Arm und holt mich langsam aus dem Schlaf.

»Hey«, raunt mir eine tiefe, ruhige Stimme zu und ich spüre, wie mir jemand einen Kuss auf die Wange gibt. Sofort wippt meine pochende Latte auf und ich führe die über mich streichende Hand zwischen meine Beine. Die Stimme hinter mir schnauft angestrengt, ehe sie mir direkt ins Ohr raunt: »Du bist wirklich ein sehr triebhafter Bengel … jetzt steh auf.«

»Hrmmm …«, murre ich und spreize die Beine, während ich meinen Hintermann festhalte. »Bitte … nur zwei Minuten … mehr brauch ich nicht.«

Ein Grummeln vibriert in meinem Nacken, gefolgt von einem gleichermaßen aufgegeilten: »Du bist unmöglich!« Seine Finger gleiten jedoch über den Shorts an meinem Harten entlang, umfassen und wichsen ihn ein paarmal. Ich brauche nicht mehr viel, um abspritzen zu können, denn die wenigen Stunden Schlaf, die ich hatte, waren von so heftigen Sexträumen erfüllt, dass mir der Saft schon auf Anschlag steht. Als mir der Kerl dann auch noch in den Hals beißt, schieße ich bereits meine gesamte Ladung in die Synthetikfasern meiner Shorts, so wie ich es zuletzt als Teenager tat.

Der Fremde entlässt mich aus seinen Zähnen, gibt mir einen letzten, fast schon liebevollen Kuss auf die Schläfe und löst sich von mir.

»Wir erreichen Chicago in zwanzig Minuten. Geh duschen und zieh dir ein paar warme, frische Sachen an, insofern du welche dabeihast.«

Das Bett unter mir knarzt. Schwer atmend komme ich langsam zur Besinnung, obwohl ich noch immer furchtbar müde bin, doch so richtig erinnere ich mich erst, wo ich mich befinde, als ich höre, wie jemand eine metallische Schiebetür öffnet und wieder schließt.

Schlagartig setze ich mich auf und ramme mir die Birne an der Decke, welche mich direkt zurück ins Kissen befördert.

»Auaaaaa … verdammt!« Die ist zwar mit Stoff bezogen, aber nicht gut gepolstert.

Ich rolle mich stirnreibend zur Seite und schaue nach unten. Die Loge ist leer, mein Mitfahrer weg, dafür steht ein Pappbecher mit dampfendem Kaffee auf dem Tisch, samt Deckel, Stäbchen, Zucker und Milch. Daneben liegt ein eingeschweißtes Sandwich aus dem Bordcafé, eine abgepackte Einmalzahnbürste aus Bambus und ein ebenso eingetütetes Einmalduschgel auf zwei weißen Amtrak-Handtüchern. Der Kleidersack ist auch wieder draußen, genau wie meine Schuhe und mein Rucksack.

Eilig rutsche ich zum Fußende, nehme mein Zeug samt der noch eingeschweißten Decke und stopfe alles in die vorderste Tasche meines Rucksacks. Mein Körper schreit nach Kaffee, auch wenn ich den bitteren Geschmack nicht leiden kann, also kippe ich alles, was da ist, hinein und drücke den Deckel wieder fest auf den Becher, ehe ich einen großen Schluck daraus nehme. Dann schnappe ich mir das Waschzeug und die Zahnbürste, auf der sich glücklicherweise bereits eine Art Trockenzahnpasta befindet, und bemerke erst jetzt, dass beides aus einem Hotel in Kansas City stammt.

›Da muss der Typ übernachtet haben …‹, schlussfolgere ich. ›Aber das bedeutet, sein fester Wohnsitz ist in Chicago! Genau wie meiner!‹ Also zumindest war er das, bevor sie mir die Wohnung gekündigt haben.

Hastig schaue ich noch einmal in die Schränke der Loge, ob irgendetwas darin liegt, dass ich mitnehmen kann, aber bis auf ein paar abgepackte Seifenstücke, Kotztüten und Pappbecher finde ich nichts. Also dränge ich mich in die enge Dusche, stelle das Wasser an, schäume mich ein und putze mir zeitgleich die Zähne.

›Wahrscheinlich hat sich der Kerl in den Speisewagen gesetzt und pfeift sich dort noch einen Whisky ein, bevor er aussteigt.‹

Ich muss ihn erwischen, ehe das geschieht. Ich will wissen, wie er heißt, wo er wohnt und vielleicht frage ich ihn sogar, ob ich ein paar Nächte bei ihm pennen kann. Insofern er kein Doppelleben führt und nebenbei Frau und Kinder hat, was ich ihm durchaus zutrauen würde!

Zugegeben, er war ganz schön pedantisch und harsch in seiner Art, aber vermutlich ist er einfach ein Brite. Das würde auch zu seiner hochgestochenen Redeweise passen, obwohl er keinen wirklich heraushörbaren Akzent hat. Einerseits ist er ganz schön bossy, fast schon fies, andererseits hat er mir einen runtergeholt und mich geküsst. Mehrfach. Dann der Kaffee, das Sandwich, das Waschzeug … letztendlich war er ja beinahe fürsorglich. Allgemein kamen von ihm ziemlich viele gemischte Signale, die ich nur schwer einsortieren kann.

Mit der Amtrak-Seife schrubbe ich mir sogar noch die ausgefransten, hellbraunen Haare, die von einigen letzten roten Strähnen durchzogen sind, die ich mir damals immer gefärbt habe. Ich wasche sie aus und stecke das übriggebliebene Stück zurück in die Verpackung, um es mitzunehmen. Das Duschgel in der Tüte brauche ich hingegen auf und genieße es ungemein, endlich wieder ungestört duschen zu können, auch wenn ich unter Zeitdruck stehe. Es ist viel zu lange her, seit ich das zuletzt konnte.

Sobald ich fertig bin, fummle ich frische Shorts, Socken und noch ein sauberes Unterhemd aus meinem Rucksack. Jeans und Pullover hab ich leider nur einmal und die einzigen Alternativen, eine Jogginghose, ein Long- und zwei T-Shirts, sind mir zu dieser Jahreszeit zu kalt. Stattdessen ziehe ich alles übereinander, was bei den Temperaturen die beste Option ist.

Noch ehe ich meine Schuhe anhabe, hallt bereits die Ansage durch die Flure, dass wir in wenigen Augenblicken Chicago erreichen.

»Scheiße!«

Hastig rubble ich mir die Haare mit dem zweiten Zughandtuch ab und stecke es ebenfalls in meinen Rucksack. Dann werfe ich mir meine Lederjacke über, schnappe mir den Proviant, reiße die Schiebetür auf und komme genau fünf Schritte weit, denn vor mir stauen sich bereits die feinen Stiesel mit ihren Koffern.

Die Frau vor mir bewirft mich mit missbilligenden Blicken über ihre kalte Schulter, ehe sie ihrem Mann etwas ins Ohr flüstert. Vermutlich hat sie mich stöhnen hören. Auch er begrüßt mich daraufhin mit einem tadelnden Blick.

Normalerweise würde ich den beiden jetzt einen saftigen Spruch vor die pedikürten Füße schlotzen, doch in diesem Moment bremst der Zug, hält und die Türen öffnen sich, was Bewegung in die Schlange bringt. Infolgedessen bin ich viel zu sehr damit beschäftigt, die aussteigenden Leute durch die Fenster zu beobachten und meinen Schlafplatzgönner zu suchen.

›Da ist er!‹

Als einer der Ersten läuft er über den dunklen Bahnsteig, zieht seinen mittelgroßen Hartschalenkoffer hinter sich her und hat noch eine große, lederne Aktentasche über der Schulter. Wahrscheinlich voll mit Büchern, die er ja sowieso nicht liest. Dazu trägt er einen anthrazitfarbenen Schurwollmantel im stoischen Businesslook mit aufgestelltem Kragen! Der Kerl muss einfach Brite sein!

Er verschwindet zügigen Schrittes in Richtung der riesigen Haupthalle der Chicago Train Station. Wenn er die erreicht hat, finde ich ihn nie wieder, das steht fest.

»Hey! ‛Tschuldigung!« Ich will mich durch all die Lahmärsche vor mir quetschen. »Lassen Sie mich durch, ich muss meinen Anschlusszug erreichen!«

»Dann hätten Sie früher aus der Kabine kommen sollen«, motzt mich mein Vordermann barsch an und ein Zweiter stimmt ihm mit: »Hier wird nicht gedrängelt« zu. »Immer schön der Reihe nach!«, floskelt eine ältere Frau und tippelt im Gänsemarsch vorwärts.

»Ngaaach, verdammt!«, motze ich, überlege und versuche kurzerhand sogar das Fenster zu öffnen, doch es lässt sich nur kippen. Für den Bruchteil einer Sekunde will ich dem Kerl hinterherbrüllen, aber was soll ich denn rufen? Hey Fremder, bleib stehen! Kann ich bei dir einziehen? Ich bin obdachlos, weil ich gerade erst aus dem Knast entlassen wurde! Vermutlich würde er spätestens dann die Beine in die Hand nehmen.

›Nein. Er hat schon genug für mich getan. Mehr als genug. Ich sollte ihn nicht noch weiter belästigen.‹

Als ich es endlich geschafft habe, aus dem Zug auszusteigen, trifft mich die klirrende Kälte wie ein Faustschlag ins Gesicht. Chicagos Winter sind extrem kalt geworden in den letzten Jahren, mit Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt, und auch heute Nacht ist es alles andere als angenehm. Schnell ziehe ich mir die Kapuze meines Hoodies über den nassen Kopf und verfluche mich für den bescheuerten Einfall, mir noch die Haare zu waschen.

Die Steine unter meinen Schuhen sind von einer dünnen Eisschicht bedeckt und auch die Bänke auf dem Bahnsteig sind von Frost überzogen. Hier kann ich auf keinen Fall schlafen.

Obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist, laufe ich dem Anzugträger nach, aber wie zu erwarten, kann ich ihn in der riesigen Halle nirgendwo mehr entdecken, und das, obwohl sie um diese unchristliche Uhrzeit ziemlich leer ist. Die Läden sind alle geschlossen, die Menschen aus dem Zug steigen in die vor dem Bahnhof stehenden Taxis oder laufen auf den Parkplatz, wo ihre eigenen Autos stehen. Manche gehen auch zur Bushaltestelle weiter oder werden abgeholt, denn ich sehe ein paar Männer und Frauen mit Blumensträußen in der Hand.

Ich hingegen habe keine Ahnung, wo ich jetzt hingehen soll.

›Warum bin ich überhaupt zurück nach Chicago gekommen? Nur weil ich mich in der Stadt auskenne?‹