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Myriam, die Ich-Erzählerin hat sich für ein Jahr von ihrer Arbeit als Werbegrafikerin zurückgezogen; sie will zeichnen. Sie "zeichnet mit der Seele" und vergewissert sich dabei ihrer selbst. Ganz anders fühlt und lebt Max Leiser, Inhaber einer Werbeagentur, Myriams Auftraggeber und männlicher Antipode - für ihn ist "die Welt ein Schachbrett". Als Max verreist, berichtet Myriam in Briefen von ihrer Arbeit an den Zeichnungen zum mittelalterlichen Barden Oswald von Wolkenstein, in dem sie Max spiegelt und sich ihm nähert - so wie anderen Gestalten der Wolkensteinlegende. Anita Pichlers dreigeteilte Erzählung, erstmals 1989 erschienen, ist eine schillernde, mehrschichtige Szenenfolge aus kleinen Prosasegmenten. Hier bildet sich Gegenwart in der Vergangenheit ab, Myriam verwebt die Begebenheiten aus ihrem Alltag mit den Geschichten um Oswald von Wolkenstein und den ladinischen Legenden.
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Seitenzahl: 161
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Anita Pichler
Wie die Monate das Jahr
TransferBibliothek CXXII
Die Drucklegung erfolgte mit Unterstützung durch die Abteilung deutsche Kultur in der Südtiroler Landesregierung und die Regionalregierung der Autonomen Region Trentino-Südtirol.
Die Erstausgabe ist 1989 im Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M., erschienen.
Die Orthografie der Erzählung folgt der Erstausgabe.
Die Radierungen auf S. 5 und S. 143 stammen aus dem Mappenwerk von Markus Vallazza zu Oswald von Wolkenstein, entstanden 1972/73, und sind entnommen dem Band Markus Vallazza: Das Radierwerk 1966–1978. Bd. 1., Wien/Bozen: Folio, 2007.
Der Verlag dankt dem Künstler für die Abdruckgenehmigung.
© Folio Verlag Wien • Bozen 2014
Alle Rechte vorbehalten
Coverbild: © Xiongmao, Fotolia
Grafische Gestaltung: Dall’O & Freunde
Druckvorbereitung: Typoplus, Frangart
Printed in Europe
ISBN 978-3-85256-649-8
www.folioverlag.com
Wie die Monatedas Jahr
Erzählung
Neuausgabe
mit einem Nachwort von Christine Riccabona,
einer editorischen Notiz von Sabine Gruber
und Renate Mumelter
und zwei Radierungen von Markus Vallazza
I. Es fügte sich, als ich ein Knabe war
2. Durch Abenteuer Berg und Tal ich wollte fahren, um nicht zu verliegen
3. Wie die Monate das Jahr begleitet mich meine Liebste
„Ich zeichne für meinen anderen Blick“ Zu Anita Pichlers Wie die Monate das Jahr
Editorische Notiz
Markus Vallazza, Oswald und Antermoya
Ich bin aufgestanden. In meinem Bett liegt jemand. Er ist mir fremd, ist weiter von mir entfernt als der fernste Mensch. Er schaut mich mit weiten Augen an, als wäre ich der erste Mensch, den er sieht. Erstaunen trifft mich aus seinem Blick, Trauer und Ekel. Ich schaue mich um, hinter mir ist niemand, ist nichts, ist auch kein Spiegel. Neben mir ist niemand. Ich stehe allein vor diesem Fremden, und ich bin es, die ihm dieses Grauen einflößt. Während ich ihn betrachte und versuche, etwas von dem zu verstehen, was von mir ausgeht, spüre ich, wie das Lächeln im Gesicht zur Maske wird, spüre die Spannung an den Lippen, die Nasenflügel weiten sich, ich weiß, daß nur ich gemeint sein kann. Ich möchte die Hand ausstrecken, dieses Fremde verscheuchen; möchte einen Kontakt herstellen und spüre, wie meine Hand in der Bewegung zur Kralle wird, die ihr Zeichen aufdrückt, wo immer sie weilt. Ich versuche einen Kuß zu erinnern, das Verlangen; ich rufe den Namen des Mannes, einen kurzen Namen, einen Laut nur. Ich erschrecke vor meiner fremden Stimme.
Ich verlasse den Raum. In der Küche mache ich Kaffee und hole Brot aus dem Schrank. Während ich im Bad kaltes Wasser über Gesicht und Hände laufen lasse, höre ich die Tür zu meiner Wohnung ins Schloß fallen. Als ich aus dem Bad komme, sehe ich wieder die Visitenkarte auf dem Tisch: Max Leiser, Werbeagentur Leiser & Co.
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