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Als es in seiner Ehe mit Marcella zu kriseln beginnt, gerät die bisher heile Welt von Sven De Luca ins Wanken. Er sehnt sich nach Nähe und Leichtigkeit - sie ist jedoch nur für ihre Patienten da. Dann taucht Svens Ex-Freundin Laura auf und verwickelt ihn ungefragt in ihre Probleme. Er verschweigt Marcella die gemeinsame Vergangenheit - und dass Laura von der Polizei gesucht wird. Dafür ist Dana, die Nanny seiner Kinder, eingeweiht. Doch Dana spielt ihr eigenes, gefährliches Spiel. Noch ehe Sven begreift, in was er hineingeraten ist, werden Marcella und die Kinder entführt …
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Seitenzahl: 773
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Isabella Anders
Wie du es willst!
Bodensee-Romanze
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © VRD / stock.adobe.com
ISBN 978-3-8392-7858-1
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Sven, der schweigsam neben Anton am Holztisch saß, war am Boden zerstört. Er ließ seinen verstörten Blick im Ferienhaus seiner Schwiegermutter umherschweifen. Alles war verwüstet. Es war seine Schuld. Er hätte sich niemals auf die Verbrecher einlassen dürfen. Emilia De Luca, die Eigentümerin des Tessiner Feriendomizils, würde einen Herzinfarkt bekommen, bekäme sie in diesem erbärmlichen Zustand ihre denkmalgeschützte Villa zu Gesicht. Es sah aus, als ob ein Orkan durch die Zimmer gefegt wäre. Doch die Gefahr war nicht vorbei – dieser Sturmwind war erst der Anfang. Das Interieur wurde, nachdem man seine Familie entführt hatte, systematisch auseinandergenommen. Alles lag umgestürzt und durchwühlt auf dem Boden. Die Polster der Sofas waren aufgeschnitten, Schranktüren mutwillig aus der Verankerung gerissen, und sämtliche Schrankinhalte lagen teilweise zerbrochen auf dem mediterranen Steinfußboden. Selbst vor den antiken Terrakottatöpfen auf der Terrasse und dem Seegrundstück wurde nicht haltgemacht. Die sorgsam gepflegten Pflanzen lagen mit ihren nackten Wurzelballen in den Scherben. Der Überfall hatte dem märchenhaften Anwesen seine Unschuld genommen und Beklommenheit zurückgelassen. Die Lage am Ufer des Luganer Sees hatte es den Sizilianern leicht gemacht. Darauf hatte Anton ihn und Dana nach seiner Ankunft am Vortag hingewiesen. Der idyllische, jedoch ungeschützte Holzsteg war geradezu einladend. Das von Bäumen und Büschen verdeckt liegende Grundstück konnte von der Seeseite aus mit einem Boot angesteuert und ungehindert betreten werden. Unsichtbar für die Augen der Nachbarn. Waren die Entführer erst auf das Grundstück gelangt, nutzte die hohe Sandsteinmauer zur Landseite nichts. Denn von innen war das schmiedeeiserne Tor zur Straßenseite im Norden leicht zu öffnen, ebenso die historischen Fenster der Villa. Das Schmuckstück lag an der Via Riviera, versteckt hinter alten, hochgewachsenen Bäumen. So gut versteckt, wie er bisher seine Sorgen vor seiner Frau Marcella verborgen gehalten hatte. Zu Recht, wie er sich selbst zu beruhigen versuchte. Er hatte Marcella nicht unnötig belasten wollen. Sie hatte genug Probleme und keine Ahnung, in welchen Sumpf er geraten war. Oder hatten ihr die Entführer inzwischen die Wahrheit verraten? Er wollte sich ihre berechtigten Vorwürfe nicht ausmalen. Ohnehin war Marcella im Moment angespannt und neigte zu überzogenen Reaktionen. Svens Stirn war heiß, während sich seine Gedanken im Kreis drehten.
Sven De Luca, der vor sieben Jahren den Nachnamen seiner Frau angenommen hatte, um einen endgültigen Schlussstrich unter seine spezielle Vergangenheit zu ziehen, war bisher glücklich gewesen. Zu glücklich? Er wollte nicht abergläubisch sein. Viel fehlte jedoch nicht mehr. Seit diesem verwunschenen siebten Jahr lief alles schief. Die Entführung seiner Liebsten krönte das Desaster. Er saß mit eingezogenem Genick auf seinem Stuhl und überlegte fieberhaft, wie es weitergehen sollte. Emilia, Marcella und die Kinder waren verschleppt worden. Noch bevor er gestern mit Dana in der italienischen Schweiz angekommen war. Er wollte sich mit seiner Frau aussprechen und fand die Villa verlassen. Neben der Verwüstung hatten die Männer ein Erpresserschreiben hinterlassen. Seit dem Überfall hatte er mit Dana das Notwendigste aufgeräumt, damit sein väterlicher Freund und Detektiv Anton, den er sofort informiert hatte, Spuren finden konnte. Spuren, die zu seiner Familie führen würden. Wer dahintersteckte? La famiglia, die ursprünglich hinter Laura, seiner Ex-Freundin, her war. Nur weshalb war seine Familie in den Fokus der Sizilianer geraten? Wollte man ihn erpressen? Bei ihm war nichts zu holen.
Svens Stirnfalten wurden tiefer, sein Herz pochte heftig. Warum musste seine Ex-Freundin Laura vor sieben Tagen bei ihm auftauchen? Ausgerechnet ihn um Hilfe anbetteln? Laura hatte ihn verlassen. Sich nicht mehr gemeldet. Jahrelang. Anscheinend, so hatte sie es zumindest behauptet, konnte sie nur ihm vertrauen. Wie kam Laura auf diese abstruse Idee? Seine Familie war ihm wichtiger, das hätte sie sich denken können. Notfalls müsste er Laura opfern, ihren Aufenthaltsort an den Clan verraten. Aber wem würde das nutzen? Dana, seine Hausangestellte und scheinbar seit einer Woche die beste Freundin von Laura, hatte ihm abgeraten und das vermutlich zu Recht. Damit wären die Sizilianer niemals zufrieden. Sie wollten sich nicht nur an Laura rächen, sondern das angeblich von ihr unterschlagene Geld und sämtliche Drogen zurück. Aber Laura hatte felsenfest behauptet, nichts gestohlen zu haben. Konnte er ihr glauben? Er hätte sich niemals für die Probleme anderer Frauen interessieren sollen.
Apropos andere Frauen, grübelte er. Wo war Dana? Sie war seit ihrem überraschenden Abgang am frühen Morgen nicht mehr erreichbar. Sie wollte sich aus der Schusslinie bringen, obwohl er sie in Lugano gebraucht hätte. Dringender als je zuvor. Er machte sich Sorgen um sie und fühlte sich gleichzeitig verraten und verlassen von ihr. Diese eigenwillige Dana. Was war los mit ihr? Seit einer Woche zeigte sie sich von einer völlig anderen Seite. Bisher hatte sie sich unauffällig verhalten. Angepasst. Dana machte keinerlei Schwierigkeiten. So wie man es von einer normalen Angestellten erwartete. Oder zumindest erhoffte. Sie war die gewissenhafteste und liebevollste Nanny, die er sich für seine Kinder hätte vorstellen können. Danas engagierte und zuverlässige Art mochte er. Sie kümmerte sich um alles und alle. Auch um seine Frau. In letzter Zeit, wofür er sie schätzte, besonders um ihn. Zumindest bis zu diesem Morgen. Bevor sie ihn und Anton ohne Vorwarnung im Stich ließ und mit dem Taxi zum höhergelegenen Bahnhof der Stadt fuhr. Er wollte sie zumindest so unauffällig wie möglich mit der Standseilbahn von der Piazza Cioccaro bis zum Bahnhof Lugano hinaufbegleiten. Man hätte auf dem übersichtlichen Weg durch den Park Verfolger entdecken und anschließend in der verwinkelten Altstadt abschütteln können. Anton hatte Dana ebenfalls zugeraten. Aber sie ließ nicht mit sich reden und weigerte sich partout.
Seit sich Laura und Dana vor einer Woche zufällig begegnet waren, hatte Dana sich auffallend verändert, reflektierte er die letzten Tage. Die beiden hatten sich noch nie gesehen und waren nach der ersten Begegnung beste Freundinnen. Was war der Grund für Danas Interesse an Laura? Weshalb drehte Dana plötzlich auf? Oder war sie immer so, und er hatte es nicht bemerkt? Sie war seit ein paar Tagen bestimmend, fordernd, unberechenbar und irgendwie, er versuchte, das richtige Wort zu finden, magisch, magnetisch. Ja. Er fühlte sich von ihr auf einmal angezogen, von dieser Frau, die selbstbewusst alle Fäden in die Hand nahm und ihn mitriss. Das nächste Problem, schoss es ihm siedendheiß durch den Kopf, er fühlte einen schmerzhaften Stich in seinem Herzen. Warum hatte er sich auf Danas bescheuerte Idee eingelassen? Weshalb die Heimlichkeiten? Er war glücklich verheiratet. Marcella und er hatten lediglich eine kleine Krise. Wenn überhaupt. Seine Frau arbeitete zu viel. Er ebenso. Dennoch fühlte er sich vernachlässigt, denn er liebte seine Frau über alles. Liebte sie ihn noch? Seine wirren Gedanken kamen nicht zur Ruhe. Wie konnte er sich für Danas Pläne interessieren und ihr blindlings folgen. Hatte er nicht genug eigene Probleme? Er würde von Dana ab sofort Abstand halten. Von Svens Stirn rann der kalte Schweiß. Hilfe suchend wanderte sein Blick zu Anton.
»Volenti non fit iniuria!«, sinnierte Anton Berger, der in dem Moment ebenfalls an die eigensinnige und übermotivierte Dana Veselá dachte. Er hatte eine Ahnung. Er hatte es ihr angesehen, dass sie wieder eine ihrer unbesonnenen Ideen im Kopf hatte, als sie vorgab, sich in Sicherheit bringen zu wollen. Sie hätte ihren Sven niemals ohne triftigen Grund allein gelassen. Ihren sehnsüchtigen Blicken sah er an, wie sie in Wahrheit zu Sven stand. Dana konnte Sven etwas vorspielen, ihm nicht. Sie war eine gute Schauspielerin, dies war ihm in den letzten Tagen klar geworden. Dazu handelte sie emotional. Unüberlegt, aus dem Bauch heraus. Er hätte Dana von ihrem Plan abhalten müssen. Mit seinem Verdacht würde er Sven noch nicht belasten, entschied sich Anton. Sicherlich befand Dana sich bereits in großen Schwierigkeiten, das sagte ihm sein Instinkt. Sie hätte sich sonst gemeldet. Sein Ohr juckte, wie immer, wenn er bei seinen Ermittlungen richtig kombinierte. Wobei, lag er diesmal richtig? Er fühlte das unangenehme Gefühl von Unsicherheit in sich aufkeimen. Er konnte sich auf nichts mehr verlassen, seufzte er auf. Sein Ohr hatte sich seit der Nacht entzündet. Eine Stechmücke hatte ihn erwischt, was jedoch seine geringste Sorge war. Was sollte er tun? Was war das Richtige? Er wusste es nicht mehr und schaute Sven vielsagend an, der fassungslos den Kopf schüttelte. Der Privatermittler spürte Svens stummen Vorwurf und schaute schuldbewusst zu Boden.
Sven, der Antons ausweichenden Blick registriert hatte, lief in die Küche und kühlte sich mit einem nassen Tuch die Stirn. Einen klaren Gedanken fassen sollte er, ruhiger werden. Es gelang ihm jedoch nicht. Das Atmen fiel ihm schwer, die Angst engte ihm den Brustkorb ein. Seine Gedanken waren wirr. Er hatte Angst und war zugleich maßlos enttäuscht. Über sich, Dana und über Anton. Besonders Antons unnötige Aussage ärgerte ihn. Was sollte das heißen? Dem Wollenden geschieht kein Unrecht? Dachte Anton, seine lateinischen Sprüche würden ihnen weiterhelfen? Seine indirekten Vorwürfe? Sicher nicht. Svens Blutdruck stieg fühlbar an. Er hatte mit Lauras Sache von Anfang an nichts zu tun haben wollen. Anton und Dana hatten ihn vom Gegenteil überzeugt, ihn überredet und am Ende mürbe gemacht. Er solle sich nicht anstellen und seiner ehemaligen Freundin Laura zur Seite stehen. Er hätte niemals auf Antons leichtfertigen Rat hören sollen. Svens Schläfe schmerzte bei jedem Pulsschlag. Nachdem er in das Esszimmer zurückgekehrt war, blieb sein Blick starr auf Anton gerichtet, dessen dummen Spruch er nicht gewillt war, kommentarlos hinunterzuschlucken.
»Meinst du mich?«, monierte Sven und schaute Anton gekränkt an. Svens beleidigte Stimmung wechselte unvermittelt in wütende Verzweiflung. Er stand einen kleinen Schritt von diesem Abgrund entfernt, der sein komplettes Leben zu verschlingen drohte, der ihm alles nehmen wollte, was ihm lieb und teuer war. Seine Familie war verschwunden. Wenige Tage zuvor stellte Marcella zu allem Überfluss die gemeinsame Zukunft infrage. Nur weil er ausnahmsweise keine Zeit hatte, seine Familie ein paar Tage nach Lugano zu begleiten. Zumindest hatte er seine Frau so verstanden, nachdem er sich heimlich mit Dana auf dem Weg in die Staaten gemacht und ein letztes Telefonat mit Marcella geführt hatte. Dass er mit Dana ein paar, zugegebenermaßen, schöne Tage in Brooklyn verbracht hatte, wusste sie nicht. Eine nicht aufzuschiebende Recherche. Danas Idee. Dana hatte ihn vor vollendete Tatsachen gestellt und bereits die Flugtickets reserviert. Er sah die Notwendigkeit ein. Im Nachhinein erkannte er, er hätte sich niemals dazu überreden lassen dürfen. Würde seine Frau in dieser angespannten Situation davon erfahren, könnte er seine Koffer definitiv ein letztes Mal packen, schoss es ihm durch den verstörten Kopf. Diesmal fühlten sich die Stiche in seinem Brustkorb bedrohlich an, sein Magen rebellierte. Das alles wegen Laura, der Frau, die er nie wiedersehen wollte und die nun das Chaos ausgelöst hatte. Sie tauchte im schlechtesten Moment seines Lebens auf. Er hätte mit ihr niemals nur ein einziges Wort wechseln dürfen. Doch er hatte es getan. Nun musste er sich entscheiden: für Pest oder Cholera.
»Nein, ich meine mich selbst. In so einer ausweglosen Sackgasse befand ich mich noch nie«, klagte Anton, der ratlos vor sich hinstarrte und offenbar in Selbstmitleid zerfloss, nach weiteren Minuten des Schweigens. »Was machen wir? Viel Zeit bleibt uns nicht mehr!«
»Du hättest es besser wissen müssen!«, warf Sven ihm an den Kopf, stand auf, ging zur Terrassentür und öffnete sie. Bevor er hinausging, drehte er sich jäh um und machte sich wütend Luft: »Mit deiner langjährigen Erfahrung als Ermittler. Wie konntest du mich so miserabel beraten. Seit du Doris besucht hast, bist du überhaupt nicht mehr bei der Sache. Zudem wollte ich von Anfang an nichts mit Lauras Geschichten zu tun haben. Es ist alles deine Schuld. Bring es gefälligst wieder in Ordnung!« Seine aufgebrachte Stimme wurde leiser, verzagter. »Bitte!«
Anton nickte schuldbewusst. Er hatte die Verzweiflung in Svens Augen gesehen. Künftig würde er sich nicht mehr auf solche Abenteuer einlassen. Künftig! Noch steckten sie mittendrin und hofften, mit heiler Haut davonzukommen. »Abenteuer?«, wiederholte er leise seinen letzten Gedanken. Er schloss die Augen, als ob er das Unglück ausblenden wollte. Aber er musste sich die Fakten eingestehen. Es war eine Katastrophe! Er hatte die Lage unterschätzt. Marcella, Emilia und die Kinder entführt. Laura auf der Flucht und Dana nicht mehr erreichbar. Svens Frauen waren ihrer aller Untergang, resümierte Anton bitter. Er wusste inzwischen nicht mehr, was er Laura Lumatti und Dana Veselá glauben konnte. Besonders von Dana war er enttäuscht, die mit ihren eigenmächtigen Aktionen die Lage noch aussichtsloser gemacht hatte. Sie hatte den Verbrechern vermutlich das nächste Märchen aufgetischt. Obwohl sie in alles eingeweiht war und wusste, wie gefährlich die Angelegenheit war. La famiglia glaubte inzwischen sicher kein Wort mehr von Danas dreisten Lügengeschichten. Anton befürchtete das Schlimmste und biss sich auf die Unterlippe, bis sie blutete. Piede di Porco, der sizilianische Mafiaboss und Kopf des Clans, war für seine radikalen Methoden bekannt. Nicht umsonst hieß er übersetzt die Brechstange. Nur das berühmte Quäntchen Glück konnte ihre Köpfe aus der Schlinge ziehen.
Eine Woche zuvor
»Man hat dir etwas in deinem Mülleimer deponiert. Schau sofort unter der Spüle nach. Schneller!«, forderte Sebastian Distler seine ehemalige Mitarbeiterin Laura Lumatti auf, die daraufhin hektisch in ihre Küche rannte. Laura hatte versehentlich das Telefonat am Handy entgegengenommen. Mit Sebastian wollte sie nichts mehr zu tun haben. Sie dachte, Ella, ihre Freundin, wäre es noch mal, die sie erst vor wenigen Minuten aus dem Bett geklingelt hatte. Angespannt schaute Laura im Abfalleimer unter ihrer Küchenspüle nach, wo sie etwas fand. Angst kroch in ihr hoch. Jemand war in ihrer Wohnung gewesen. Es gab jedoch keine Spuren eines Einbruchs, alles war wie immer. Sie fühlte kaltes Metall und wusste sofort, um was es sich handelte. Furchtsam und mit spitzen Fingern fischte sie den Revolver heraus. Ihr Herzschlag nahm an Fahrt auf, denn noch etwas lag in ihrem Müll: Geldscheine, in einer Banderole der Nürnberger Sparkasse und druckfrisch, so wie es aussah.
»Hast du was gefunden?«, fragte Sebastian.
»Bist du bescheuert?«, fuhr Laura ihn erregt an, während sie sich verunsichert umschaute. Hatte sie eben ein Geräusch im Schlafzimmer gehört? »Ist jemand in meiner Wohnung?«, flüsterte sie.
»Beruhige dich«, redete Sebastian auf sie ein. »Du bist allein. Noch.«
»Woher weißt du das? Bist du in meiner Wohnung gewesen?«
»Die Firma hat dir das bringen lassen. Zu deinem Schutz! Gestern oder wann auch immer. Ist egal, ich habe es im Moment erfahren und dich sofort angerufen.«
»Die Firma?« Ihre Stimme überschlug sich, ebenso wie ihre Gedanken. »Zu meinem Schutz? Was soll das? Ich arbeite nicht mehr für euch.«
»Es ist ganz anders, als du denkst«, unterbrach der Anrufer sie unwirsch. »Nimm das Geldbündel und zähle es durch.«
»Ich will wissen, was das soll«, wiederholte Laura und fühlte, wie sich kalter Schweiß auf ihrer Stirn bildete. »Was ist mit dem Revolver – ich will so etwas nicht im Haus haben!«
»Zähle erst einmal die Scheine durch«, befahl Sebastian. Laura versuchte, sich zu beruhigen, klemmte das Telefon ans Ohr und riss die Banderole auf. Sie machte zehn Stapel beim Zählen. Dann nannte sie die Summe. »Okay, dann wäre das erledigt. Das Geld gehört dir, soll ich von der Firma ausrichten. Jetzt nimm den Revolver.«
»Nein!«, schrie sie auf. Was sollte sie mit einer Waffe? Sie wollte nichts mehr mit diesen Typen zu tun haben. Keine Aufträge mehr. Hatte sie sich nicht klar genug ausgedrückt? Sie würde Sebastian seinen Kredit zurückzahlen, irgendwie und irgendwann. Weshalb aber hatte sie Geld von der Firma erhalten, und was sollte das mit der Waffe? Sie hatte Angst vor Schießeisen und hatte nicht vor, es anzufassen. Bei ihrem Glück würde sie den Abzug drücken und sich in den Fuß schießen. Viel wichtiger war jedoch: Was sollte das alles? Wer war bei ihr eingebrochen? »Wofür soll das Geld noch mal sein?«
»Als Entschuldigung für deine Unannehmlichkeiten«, scharwenzelte er wie die Katze um den heißen Brei herum, und seine sanfte Stimme hörte sich für sie bedrohlich an.
»Welche Unannehmlichkeiten?«, fragte sie argwöhnisch.
»Die, die auf dich zukommen könnten, wenn du mir nicht genau zuhörst!«, hörte Laura ihn antworten und vergaß beinahe zu atmen. Sie wollte zuhören, wenn ihre Gedanken sie nicht daran hindern würden.
»Ich verstehe überhaupt nichts!« Ihr Kopf war völlig leer. Welche Unannehmlichkeiten würden auf sie zukommen? Hatte sie nicht bereits genug davon? Ihr Gefängnisaufenthalt war der Tiefpunkt an Unannehmlichkeiten, wenn man das so überhaupt nennen konnte. Seit sie es ablehnte, weiter als Kurier zu arbeiten, schüchterte Sebastian sie ein, drohte ihr und beschimpfte sie. Alles im Auftrag der Firma – und jetzt? Eine Entschuldigung? Das passte nicht.
»Hör mir genau zu«, wiederholte Sebastian eindringlich, indem er jedes Wort einzeln betonte, und riss sie damit aus ihren Überlegungen. »Hast du mich verstanden? Es ist wichtig.«
»Ja!« Sie nickte mechanisch, auch wenn er es nicht sehen konnte.
»Du nimmst sofort den Revolver in die Hand. Wir haben nicht viel Zeit!«
»Nein!« Laura konnte sich keinen Reim auf die Ereignisse machen. Wobei, es passte irgendwie zu ihr. Zu diesem Tag. Der Morgen hatte seltsam begonnen. Da war dieser bizarre Anruf von Ella, den sie ebenfalls nicht einordnen konnte, die sie sehen wollte und dann doch nicht. Sie hatte den Anruf von Sebastian angenommen, weil sie dachte, Ella wäre es noch mal. Sie hatte nicht auf das Handy-Display geachtet. Warum musste ihr Leben dermaßen chaotisch sein? War sie zu spontan, zu sorglos? Dieses Mal wollte sie klüger sein, sie würde keine Waffe anfassen. Niemals.
»Du machst das jetzt!«, befahl Sebastian. Er sprach in diesem harten Ton mit ihr, mit dem er sie all die Jahre zuvor herumkommandiert hatte. »Du musst wissen, wie du ihn hältst, zu deiner Sicherheit! Du bist Linkshänderin, also, nimm ihn mit der linken Hand!«
»Nein!«
»Es kann nichts passieren, wenn du dich an meine Anweisungen hältst!« Seine Tonlage duldete keinen Widerspruch. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Los, sonst ist es zu spät!« Laura tat wie ferngesteuert, was Sebastian ihr befahl, und nahm furchtsam die Waffe in die Hand. Langsam fühlte sie sich bedroht. Vielleicht war jemand in ihrer Wohnung? Was wusste Sebastian, was sie nicht wusste? Oder hatte sie sich vorhin die Geräusche eingebildet?
»Siehst du auf der linken Seite den silbernen Schieber?«
»Ja.« Während sie das Telefon zwischen Ohr und Schulter einklemmte, nahm sie mit spitzen Fingern die Waffe an sich und hielt sie wie ein rohes Ei. »Und nun?«, fragte sie ängstlich.
»Den drückst du nach vorne und kippst währenddessen die Trommel nach links. Hast du es?«
»Nicht so schnell.« Laura atmete hektisch ein und aus und zielte auf das Küchenfenster, falls sie ungeschickterweise einen Schuss auslöste. »Ich weiß nicht, wie ich den Revolver anfassen muss, damit er nicht losgeht.«
»Okay«, kam es genervt aus der Leitung. »Dann nimm ihn von mir aus in die rechte Hand, dann kannst du den Schieber leichter bedienen. Einfach mit dem Daumen nach vorne schieben und gleichzeitig die Trommel nach links kippen. Greife mit der linken Hand darüber. Geht das?«
Mit einem spitzen Aufschrei signalisierte Laura den Erfolg:
»Ausgekippt.«
»Meinst du die Patronen?«
»Nein, das runde Teil.«
»Das ist die Trommel.« Seine Stimme klang entspannter, wie bei einer Meditation: »Es kann nichts passieren. Du entnimmst die Patronen. Das komplette Teil nach hinten kippen. Bekommst du das hin?«
»Ja.« Zufrieden, die erste Hürde gemeistert zu haben und die Patronen außerhalb der Trommel in Sicherheit zu sehen, antwortete Laura: »Eine Patrone fehlt. In einem Loch war keine drin. Die anderen liegen jetzt im Spülbecken.« Wieder kam die Angst zurück. »Ist die eine noch irgendwo da drin, ist die Waffe scharf?«
»Dann fehlt halt eine, das ist in Ordnung«, antwortete Sebastian knapp. »Nimm die Patronen aus dem Spülbecken und lege sie irgendwo hin, wo es trocken ist.« Laura führte alles wie besprochen aus und platzierte die Patronen einzeln auf einem Handtuch. »Jetzt die Trommel nach rechts einschwenken. In die linke Hand nehmen, wie zum Gebrauch.« Als Laura schwieg, hakte er nach: »Das ist alles ganz ungefährlich. Du musst wissen, wie man sie bedient. Hast du deinen Finger am Trigger?«
»Was ist ein Trigger?«
»Der Abzug! Du hast sie in der linken Hand? Ja? Dann ziehst du leicht mit dem linken Zeigefinger. Fühlst du den Widerstand und siehst du, wie der Hebel sich spannt?«
»Ja.«
»Deshalb ist der Widerstand so hoch«, führte er seinen Lehrgang fort. »Jetzt spann den Hebel von Hand.«
»Wie geht das?«
»Einfach nach unten drücken. Schau auf den Trigger, siehst du, was passiert?« Laura drückte den Hebel nach unten und beobachtete, wie sich der Abzug automatisch nach hinten bewegte. Bis zur Hälfte. »Jetzt kannst du ganz leicht eine Kugel abfeuern. Es genügt, den Trigger anzutippen, er ist vorgespannt. So musst du die Waffe vorbereitet haben, wenn es für dich eng wird. Mit den Patronen in der Trommel selbstverständlich. Nun erkläre ich dir, wie man das Teil scharfmacht. Zuerst die Trommel wieder ausschwenken. Den Schieber dafür kennst du bereits.«
»Das will ich nicht!« Entschieden lehnte Laura ab und legte den silbernen Revolver zu den Patronen auf dem Tuch. Sie erschrak über sich selbst, weil sie so etwas Gefährliches überhaupt in die Hand genommen hatte. »Ich brauche das nicht. Niemals! Wo bist du? Ich bringe dir sofort alles vorbei!«
»Du machst, was ich dir sage!«
»Nein und nochmals nein! Ich werde keine Aufträge mehr von dir annehmen! Die 10.000 Euro, die ich hier habe, bekommst du sofort, und das restliche Geld, das ich dir darüber hinaus schulde, bekommst du irgendwann zurück!«
»Irgendwann?« Sebastian lachte höhnisch. »Wenn du dich weiterhin dermaßen mädchenhaft anstellst, dann wirst du keine Gelegenheit mehr haben, jemals wieder Geld zu verdienen. Aber darum geht es mir heute nicht! Ich erweise dir«, seine Stimme wurde sanfter, viel zu sanft für ihn, »einen letzten Freundschaftsdienst.«
»Was meinst du damit?« Angst kroch erneut in Laura hoch. Was meinte er damit? Sie wäre froh, wenn sie ihn nie wiedersehen würde, aber was sollten diese Andeutungen? Sie klangen unheimlich – würde die Firma sie eliminieren, weil sie aussteigen wollte? »Wollen die mich …?«
»Neutralisieren?« Sebastian lachte kalt. »Weil du mich hängen lassen hast? Weil du undankbar bist? Ich kann dich beruhigen. Du hast in dem Fall Glück gehabt. Es geht ausnahmsweise nicht um mich oder deine Schulden.«
»Dann sag mir bitte, was los ist!«
»Es geht um dich!« Sebastians Stimme wurde leiser, mitfühlender. »Wir waren früher ein gutes Team. Aber du bist ausgestiegen. Daher wirst du dich ab sofort allein verteidigen, sogar flüchten müssen.«
»Was soll das alles?«, schrie Laura ins Telefon. Sie fühlte sich ernsthaft bedroht und, ihr Herz pochte wild. Weshalb sollte sie flüchten? Sie hatte nichts verbrochen. Na ja, fast nichts.
»Deine Freunde haben dir ein versöhnliches Abschiedsgeschenk gemacht. Wenn jemand am Boden liegt wie du, dann muss niemand nachtreten. So ist die Familie nicht. Sie möchten dir lediglich helfen.« Laura wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. In ihrem Kopf herrschte eine apathische Leere. Sebastian sprach leise weiter, sie hörte die Worte wie aus weiter Entfernung: »Hast du nichts davon gehört? Du stehst inzwischen offiziell unter Mordverdacht! In der Morgensendung im Radio wurde darüber berichtet. Wir können dir nur auf diese Weise helfen. Es dauert nicht mehr lange, und die Polizei wird dich verhaften, denn die vorliegenden Beweise sprechen gegen dich. Mehr Details kenne ich nicht. Pack schnell eine Tasche und verlasse die Stadt, solang du kannst. Verstehst du mich? Hörst du mir noch zu?«
»Nein – ja.« Verzweifelt klang Lauras Stimme. Sie taumelte und hielt sich an der Spüle fest. »Ich weiß gar nicht, wohin ich gehen soll. Ich habe nichts getan, du kennst mich. Du wirst mir helfen?« Ein wenig Hoffnung kehrte zu ihr zurück, während sie den Gedanken aussprach: »Das wird sich alles aufklären – oder nicht? Sebastian, hilf mir!«
»Ich hätte dir gerne etwas anderes gesagt, aber glaub mir, sie werden dich in Kürze verhaften, wenn du nicht sofort das Haus verlässt.« Nachdem Laura nicht antwortete, fragte er mitfühlend: »Willst du ins Gefängnis? Sagtest du nicht, du würdest dort zugrunde gehen? Hast du nicht gesagt, eher würdest du sterben, als jemals wieder zurück in die Zelle? Ich helfe dir mit meinem dringenden Rat: An deiner Stelle würde ich fliehen! Jetzt! Verschwinde sofort über den Garten, laufe rüber zum Taxistand und fahre zum Bahnhof. Nimm das Geld. Verlass die Stadt. Du hast keine Zeit. Vor deinem Haus steht gleich die Polizei.« Tatsächlich! Laura entdeckte ein Einsatzfahrzeug der Polizei, welches in diesem Moment beinahe lautlos vor ihrem Wohnblock in Nürnberg vorfuhr. Der Wagen hielt mit eingeschaltetem Blaulicht auf dem Gehweg, direkt vor der Eingangstür des Hauses. Ohne eingeschaltete Sirene fühlte sich das aufblitzende Licht noch bedrohlicher an. Beobachtete Sebastian ihr Haus? »Geh! Sofort!«, drängte Sebastian ein letztes Mal und legte auf.
Unfähig zu einem Gedanken, hielt sie sich stupide an seinen Fluchtplan und rannte kopflos zum Hintereingang, während es bereits an ihrer Haustür klingelte. Sie konnte nicht mehr denken, zum Glück hatte Sebastian ihr konkret alles angewiesen. In der einen Hand ihre Sneakers, in der anderen ihr Handy, schlich sie sich aus dem Haus. Erst im Garten zog sich sie sich schnell die Schuhe an und schloss leise die Gartentür hinter sich, die in eine Nebenstraße mündete. Sie rannte, so schnell sie konnte, zur Hauptstraße und hatte Glück; am Taxistand war ein Wagen frei.
»Seniorenresidenz Marven, mein Name ist Andrea, was kann ich für Sie tun?«
»Guten Morgen, hier ist Lumatti, ich möchte den Geschäftsführer sprechen.« Die Mitarbeiterin in der Telefonzentrale begrüßte die hektisch wirkende Anruferin höflich:
»Guten Morgen, Frau Lumatti. Herr De Luca ist heute nicht im Büro. Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«
»Nein«, lehnte Laura Lumatti entschieden ab. »Es ist privat.«
»Möchten Sie dann mit seinem privaten Anschluss verbunden werden?«
»Ja!« Nervös schaute Laura auf ihr Handy-Display. Hoffentlich fuhr der Regionalzug, in dem sie gerade saß, nicht in ein Funkloch. Das würde ihr noch fehlen. Die Akkuanzeige blinkte aufdringlich. Ein erneuter Anruf war nicht mehr möglich.
»Bei De Luca, mein Name ist Dana«, meldete sich nach dem dritten Klingelton freundlich eine junge Frau.
»Ich möchte Sven De Luca sprechen!« Laura war genervt. Wie oft sollte sie sich noch zu ihm durchfragen? Viel Zeit zum Telefonieren blieb ihr nicht. Ihr Ladegerät lag im Schlafzimmer neben dem Bett. Bei ihrer überstürzten Abreise hatte sie nichts eingepackt. Keine Papiere, keine Geldbörse – rein gar nichts. Zum Glück hatte sie ein paar Geldscheine, welche sie als Notgroschen in ihrer Handyhülle verwahrte, und konnte zumindest das Taxi bezahlen und ein Zugticket nach Stuttgart lösen. Etwas Besseres war ihr nicht eingefallen. Sie würde sich von Sven Geld leihen, anschließend weiter in sein Ferienhaus nach Andalusien fahren und für eine längere Zeit untertauchen oder was auch immer. Laura konnte im Moment nicht klar denken, sie wusste nur eines: ins Gefängnis würde sie nie wieder gehen!
»Herr De Luca ist heute nicht erreichbar. Kann ich etwas für ihn notieren?«
»Nein!« Lauras Stimme überschlug sich vor Anspannung. »Wann kommt er wieder?«
»Möchten Sie mit seiner Frau sprechen? Sie ist da.«
»Nein«, lehnte Laura das Angebot ebenfalls ab. »Seine Frau geht das nichts an. Wann kommt er? Ich muss ihn persönlich sprechen. Heute …« Bevor die Angerufene antworten konnte, knackte es in der Leitung. Die Verbindung war unterbrochen. Lauras Akku hatte endgültig den Geist aufgegeben.
Zum Glück hatte sie zuvor die Adresse von Sven gegoogelt und sich diese genau eingeprägt. Sie musste ihn heute sehen, wem sonst konnte sie sich anvertrauen? Seit heute wusste sie es nicht mehr. Seit einer Stunde stand sie unter Mordverdacht! Wenn sie Sebastian glauben konnte. Wobei, die Polizei war sicher nicht zum Spaß mit Blaulicht bei ihr vorgefahren. Irgendetwas musste an der Geschichte dran sein. Hatte sie womöglich jemanden umgebracht und erinnerte sich nicht mehr daran? Davon hatte Sebastian ihr mal erzählt, wie der Clan-Chef aus Sizilien jemanden hatte umbringen lassen, dessen Mörder sich an nichts mehr erinnerte. Damit brüstete er sich seit Jahren. Mit dieser Aktion hatte er sich damit auf einen Schlag zwei Feinde vom Hals geschafft. Der eine war tot, der andere hatte sich anschließend einen längeren Aufenthalt auf Staatskosten eingehandelt. Das war seine subtilste Aktion gewesen, prahlte er. Es hätte jedoch, erklärte Piede di Porco weiter, nicht ganz seinem Geschmack entsprochen. Seine Methoden waren eher grobschlächtig. Nicht umsonst nannte man ihn »das Brecheisen«, was die wörtliche Übersetzung seines italienischen Spitznamens war. Seine Methoden waren, was Laura gehört hatte, grausam und ziemlich direkt. Sebastian hatte ihr in letzter Zeit öfter im Namen der Firma angedroht, dass sie ihr Testament machen solle, nähme sie keine Aufträge der Familie mehr an. Aber sie konnte nicht. Noch einen weiteren Aufenthalt im Gefängnis wollte sie nicht riskieren. Die letzte Erfahrung war schlimm genug. So eine Wildblume wie sie konnte man nicht einsperren. Ihr verängstigter Gesichtsausdruck wurde für einen Moment eine Spur entspannter.
Sie erinnerte sich kurz an Andalusien, an die kurze, jedoch schöne Zeit mit Sven. »Wildblume« – so hatte Sven sie damals genannt. Der schönste Kosename, den sie jemals von einem Mann bekommen hatte. Er hatte sie vom ersten Moment an richtig eingeschätzt. Sie war nicht dafür geboren, in die Normen der Gesellschaft zu passen. Arbeiten bis zur Rente, Häuschen mit Hund und Kindern. Natürlich hatte sie früher ansatzweise Träume in diese Richtung.
Aber sie hielt es einfach nirgends lange aus. Schon gar nicht eingesperrt in einem kahlen, miefigen Gefängnis. Sie wäre fast gestorben, so sehr brauchte sie ihre Freiheit. Die psychosomatischen Auswirkungen, wie sie der Gefängnisarzt diagnostiziert hatte, waren an ihren pathologischen Blutwerten und Symptomen ablesbar. Er sagte ihr, sie sollte die Zeichen ernst nehmen und ein ehrliches Leben beginnen. Irgendein Trauma aus der Kindheit wäre der Grund für all das. Unabhängig davon würde sie auch ohne dieses Trauma in kein Gefängnis mehr gehen.
Sie hatte sich fest vorgenommen, die Schulden bei Sebastian auf ehrliche Weise abzuarbeiten. Für ein oder maximal zwei Jahre würde sie deshalb in Nürnberg bescheiden leben und an der Kasse arbeiten. Danach, das war ihr Plan, ginge sie wieder auf Reisen. Ihre Pläne waren bisher immer gescheitert, weshalb sie im Grunde keine mehr machen wollte. Meist waren Kleinigkeiten für ihre Planänderungen schuld. Aber Mord? Was war gestern passiert? Sie konnte sich an nichts Ungewöhnliches erinnern, sie war mitten in der Nacht aufgewacht, in ihrem Bett, und konnte nicht mehr einschlafen. Sagte Sebastian nicht, dass der Mord am Vorabend geschah? In Nürnberg? Sie konnte immer noch nicht klar denken. Sie hatte keine Ahnung, wie sie da hineingeraten war. Wie unwirklich sich alles anfühlte. Der morgendliche Anruf von Ella, die behauptete, bei ihr sei jemand vor dem Haus. Nachdem sie sich blitzschnell angezogen hatte und zu ihrer Freundin hinübergerannt war, öffnete Ella die Haustür nicht und gab telefonisch Entwarnung. Kaum zurück in ihrer Wohnung, rief Sebastian an und warnte sie gerade noch rechtzeitig vor der Polizei. Woher wusste er das? Mehr beunruhigte sie jedoch, was die Firma, wie sie den widerlichen Clan um Piede di Porco höflicherweise nannten, in ihrer Wohnung deponiert hatte. Die Waffe und die 10.000 Euro. Weshalb würde der Mann, der seiner Ehre willen einen Aussteiger eher umbringen ließe, ihr Geld schenken?
*
Dana, die tschechische Haushälterin der Familie De Luca, steckte irritiert das Telefon zurück in die Ladestation. Kopfschüttelnd wischte sie die letzten Krümel von der Arbeitsplatte in der Küche und brachte Marcella, die mit ihrer Mutter Emilia auf der Veranda saß, einen frischen Orangensaft. Heute war Marcella ausnahmsweise zu Hause geblieben. Nachdem ihr Mann Sven früh am Morgen nach München zu einem Termin gefahren war, hatte seine Frau Marcella die Kinder in den Kindergarten gebracht und frühstückte mit ihrer Mutter, die in der kleinen Einliegerwohnung des Hauses wohnte. Marcella sah erschöpft aus. Sie arbeitete in der ärztlichen Gemeinschaftspraxis der Marven, in der die Bewohner der Residenz versorgt wurden und die den Einwohnern des Stuttgarter Stadtteils Weilimdorf ebenfalls zur Verfügung stand. Normalerweise war sie vormittags immer im Dienst. In der letzten Zeit musste sie beinahe täglich zusätzlich für ihre Kollegen in der Spätschicht einspringen. Sie hatte kaum Zeit für Sven und die Kinder. So zumindest sah Dana das. Früher sah Marcella glücklicher aus. Ob das nur mit den vielen Überstunden zu tun hatte?
»Danke, Dana.« Alarmiert schaute Marcella ihre Angestellte an, die zur Familie gehörte, und nahm ihr das Glas ab. »Hat gerade jemand aus der Praxis für mich angerufen?«
»Nein, Marcella, keine Sorge, genieße deinen freien Tag heute«, antwortete Dana und zog dabei die Schultern nach oben. »Da hat sich jemand verwählt!« Wer ist diese Laura, überlegte sich Dana. Die Frau hatte ziemlich aufgeregt gewirkt, angsterfüllt. Zudem war sie unangenehm aufdringlich gewesen. Irgendetwas gefiel Dana an dem Anruf nicht. Weil es sich um eine Frau handelte, die etwas von Sven wollte? Vielleicht. Sie würde ihn bei nächster Gelegenheit fragen. Nicht am Telefon. Sie wollte seine Reaktion beobachten. Vielleicht eine seiner geheimnisvollen Kundinnen von früher? Spätestens morgen würde sie ihn fragen. Morgen würde Marcella arbeiten, da würde sie ungestört mit ihm sprechen und ihn verwöhnen können mit einem guten Frühstück. Sie mochte Sven, seine herzliche Art. Manchmal überlegte sie, was gewesen wäre, wenn sie ihn früher kennengelernt hätte – damals, als er noch als Escort unterwegs war. Bevor er mit Marcella eine Familie gegründet hatte. Wobei, unterbrach sie ihre Träumereien, es war gut, wie es war. Sie wünschte sich hin und wieder Zweisamkeit. Doch wenn sie an ihre letzte Beziehung dachte, dann konnte sie so, wie es war, zufrieden sein. Sie war niemandem Rechenschaft schuldig. Es gab keinen Stress, wenn sie am Abend nach Hause kam und einfach mal in Ruhe eine Serie anschauen wollte. Einfach sein dürfen, wie sie wollte. Das war das Schöne an ihrem neuen Leben. Nur hin und wieder dachte sie daran, wie es wäre, ihn für ein paar Stunden ganz für sich zu haben.
Laura saß im Zug Richtung Stuttgart. Per Zufall hatte sie vor ein paar Wochen Svens Bild in einer Zeitschrift entdeckt. Es ging um sein Unternehmen in Stuttgart. Sven De Luca. Sie hatte ihn sofort wiedererkannt. Seinen neuen Nachnamen konnte sie sich gut merken. Ein wenig wunderte sie sich, weshalb er sich einen italienischen Namen zugelegt hatte. Er stand offenbar immer noch auf Italienerinnen. Mehr über ihn herauszufinden, war heute nicht möglich. Ihr Akku war leer – war das ein Zeichen? Vermutlich wäre es das Beste, das verräterische Teil aus dem Zugfenster zu werfen. Die Polizei ortete ihr Handy sicher schon, und sie war sich unsicher, ob ein leerer Akku sie vor einer möglichen Verfolgung schützen würde. Wobei, sie fühlte sich nicht nur verfolgt, sie wurde es tatsächlich. Die Polizei war hinter ihr her. Also hatte Sebastian wieder recht gehabt. Zum zweiten Mal hatte er sie gerettet, damals in Brooklyn war er bereits ihr rettender Engel gewesen. Hatte sie einen Fehler gemacht, als sie die Zusammenarbeit mit ihm beendete? Laura öffnete das Fenster und warf ihr Handy in die Böschung. Zum Glück saß sie allein im Abteil. Der Zug hatte seine Geschwindigkeit verringert, da sie gerade durch Waiblingen fuhren, wie sie es der Anzeigentafel entnahm.
Sie musste heute mit Sven sprechen, um schnell weiterreisen zu können. Wenigstens die 10.000 Euro hätte sie mitnehmen können, ärgerte sie sich. Aber so war sie eben. Verpeilt, und wo sie auftauchte, herrschte Chaos. In letzter Zeit kam sie noch dazu permanent in Schwierigkeiten. Womit hatte sie das verdient? Am Hauptbahnhof in Stuttgart zählte sie ihr letztes Geld. 20 Euro. Weit würde sie damit nicht kommen. Ziellos lief sie durch einen nahegelegenen Park und überlegte, wo sie einen Stadtplan finden könnte. Nach einer Weile ging sie zurück, sie würde an den Fahrkartenautomaten suchen. Sie fand die Adresse von Sven. Er wohnte weit im Westen der Stadt, ein Taxi würde sie sich nicht leisten können. Aber egal, sie hatte Zeit. Sie musste sich sowieso Zeit lassen, denn Sven war vermutlich noch nicht zu Hause, wenn sie sich auf die Auskunft der Frau am Telefon verlassen konnte. Wie er heute aussah? Das Foto in der Zeitschrift war drei Jahre alt, überlegte sie, und für einen Moment entspannte sich wieder ihr Gesicht. Wie schön wäre es, die Zeit zurückzudrehen. Hätte sie damals lieber bei ihm bleiben sollen? Ob er sie wiedererkennen würde? Die Zeit im Gefängnis hatte ihre Züge eine Spur härter werden lassen. Sie war heute nicht mal geschminkt. Wobei, Sven war das nie wichtig gewesen. Wie würde er auf sie reagieren? Nachdem sie sich damals getrennt hatten, war keine Zeit für eine lange Aussprache geblieben. Sie hatte ihm einfach alles aufgeschrieben. Ob er es verstanden hatte? Egal, darüber konnte sie sich jetzt keine Gedanken machen. Schon gar nicht mit leerem Magen. Zuerst müsste sie sich was zu trinken besorgen und vielleicht eine Kleinigkeit essen. Sie hatte nichts gefrühstückt, nachdem ihre Freundin Ella sie so früh geweckt hatte und der Tag dermaßen chaotisch verlaufen war.
Laura betrat das nächstgelegene Kaufhaus und steuerte das ausgeschilderte Restaurant in der oberen Etage an. Sich ein wenig frisch zu machen, wäre nicht verkehrt, schließlich hatte sie Sven eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Während sie mit Salat und einem belegten Brötchen und einem Kirschsaft gegen ihren Hunger ankämpfte und sich anschließend in den Toilettenräumen die Haare zurechtzupfte, überlegte sie mit einem unguten Gefühl in der Magengegend, wie das Treffen mit Sven ausgehen würde. Er müsste ihr helfen. Sie würde ihm keine Wahl lassen. Sie hatte schließlich ebenfalls keine Wahl gehabt. Außerdem kannte sie Sven als kreativen, hilfsbereiten Menschen. Zumindest hatte sie früher diesen Eindruck von ihm. Aber damals wollte er etwas von ihr. In Gedanken versunken, lief sie zurück zu ihrem Tisch. Wenn er erst ihre Geschichte hörte, bekäme er Mitleid – es musste einfach funktionieren. Eine Alternative hatte sie nicht. Hier in Stuttgart kannte sie sonst niemanden. Woanders hinfahren ging nicht mehr, ein Blick auf ihre Barschaft genügte. Sie stand mit beklommenem Gefühl auf, verließ das Kaufhaus Richtung Bahnhof und studierte wenige Minuten später das Streckennetz der SSB an einem der gelben Fahrkartenautomaten.
»A Auswahl, wia d’ Mäusle en de Huddzla. Hä?«
»Reden Sie mit mir?« Irritiert schaute Laura den Mann an, der sie breit grinsend anstierte.
»Ko i Ihna viellaichd helfa?« Da Laura ihn nicht verstand, redete er etwas langsamer auf sie ein. »Fahred Sie ’s erschde Mol mit der Stroßaboh?« Der Mann deutete zum besseren Verständnis auf das Logo der Stuttgarter Straßenbahnen. »Sie send ned von hier? Schdemts?«
»Nein«, antwortete Laura, die sich konzentrieren musste, um ihn zu verstehen. »Ich meine, ja, ich fahre hier zum ersten Mal Straßenbahn. Können Sie mir vielleicht sagen, welche Linie ich nehmen muss?«
»Logisch, Mädle.« Er strahlte sie verzückt an und schielte in ihren Ausschnitt. »I ben zwar au net aus dr Stadt, aber i wois, wie i widar naus komm.« Er lachte laut über seinen eigenen Witz, den Laura nicht verstanden hatte. »Wo noh wellen Sie denn?« Er bemühte sich um sein bestes Hochdeutsch und musterte sie ungeniert.
»Zu der Seniorenresidenz Marven in Stuttgart Weilimdorf. Solitudestraße 1 - 20.«
»Sent Sie dofür net a bissle z’ jong?« Er lachte breit und wurde gleich darauf ernst, als sie ihm erneut kein Lächeln schenkte. »Des isch dohanna.« Er suchte die Straße und deutete dabei auf die nächstgelegene Haltestelle: »Baim Bergheimer Hof, do hemmärs ja scho.« Er drückte eine Zonentaste. »Sie nehmad dann dr Sechsr! Do drihba gohts los!« Laura wünschte sich, dass der Mann eine andere Straßenbahnlinie nehmen würde. Mit bangem Erwarten warf Laura, ohne nachzuzählen, ihr letztes Münzgeld ein und hoffte, es würde ausreichen. Mist, 20 Cent fehlten. Hätte sie besser zuerst geschaut, was das Fahrticket kostet, anstatt ins Kaufhausrestaurant zu gehen. Heute war nicht ihr Tag. Bedrückt schaute sie zuerst auf den Automaten, der keine Regung zeigte, dann zu dem Schwaben. »Könnten Sie mir vielleicht etwas borgen?«
»A bissle isch emmer no bessr wia gar nix!« Schon machte er den nächsten dummen Spruch, den Laura ebenso wenig verstand. Er gruschdelte, wie man das im Schwabenländle so machte, die 20 Cent aus einem alten, abgewetzten Portemonnaie. Mit einer wichtigen Miene, als ob er gerade sein Haus verschenken würde, sagte er großzügig: »Kosch mers bei Glegahait zriggäbba.« Er lachte dabei erneut über seinen genialen Scherz, auch wenn der abermals nicht bei Laura ankam.
»Danke!« Sie verabschiedete sich schnell. Nach lustigem Small Talk, dazu auf Schwäbisch, war ihr nicht zumute.
»Hald, des isch d’verkehrd Richdong!« Er lief hinter ihr her. Laura beschleunigte ihre Schritte. Die ersten Passanten schauten sich bereits nach ihr um. Was wollte er von ihr? »Blaibedse hald mol standa!«, rief er ihr laut hinterher. »Renn doch ned dafo! Mädle, i du dr doch nix!« Laura war bereits auf der Rolltreppe, als der hilfsbereite Mann sie heftig schnaufend einholte. »Des hier isch Richdong Flughafa. Sie missed uf d’a ndere Seida niebar. Hennse mi verschdanda?« Laura hatte weiterhin große Schwierigkeiten, den Mann zu verstehen, weshalb er es nochmals, wie für eine Erstklässlerin, wiederholen musste: »Hier Flughafa, driba Wailimdorf, Berghaim. Dort wos Seniorenresidenzle isch. Do welled Sie doch noh! Kapieretses?«
»Oh!« Laura lächelte verlegen. Wie peinlich. Sie sollte sich etwas überlegter verhalten. Jetzt kennen mich bald alle Videokameras hier am Bahnhof, dachte sie besorgt. Sie lief eilig die Rolltreppe nach unten, um mit der gegenüberliegenden Rolltreppe wieder nach oben zu fahren. Für den hilfsbereiten Mann hatte sie keinen Blick mehr übrig. Sie wollte nur noch weg. Untertauchen.
»A bissle domm isch jedr, abbr so domm wia manchr isch koinr«, sagte der Mann verärgert, der vermutlich ein kleines Danke von der jungen Frau erwartet hatte. »So a Oberg’scheidle«, grummelte er sichtlich enttäuscht vor sich hin und schaute auf die gegenüberliegende Seite, bis er sie auf der richtigen Seite wieder entdeckte.
Dana ahnte nicht, wer kurz nach Mittag an der Haustür von Marcella und Sven klingelte. Sie öffnete die Tür und sah eine fremde Frau, die verlegen wirkte. Auffallend war, sie hatte keine Tasche bei sich, einfach nichts. Ungewöhnlich für eine sonst so modisch gekleidete Frau, dachte Dana, und fragte höflich:
»Was kann ich für Sie tun?« Dabei musterte sie ungeniert die adrette rotblonde Frau, die, mit perfekt sitzenden Designerjeans, Sneakers und einer sommerlichen Bluse bekleidet, außer Atem vor ihr stand. Sie schien ungefähr in ihrem Alter zu sein und wirkte fahrig. Ihr ängstlicher Blick wanderte hektisch von der einen Seite zur anderen.
»Ich möchte zu Sven De Luca«, entgegnete die Frau und schaute dabei aufgeregt in den Hausflur, als ob er sich dort vor ihr verstecken könnte.
»Waren Sie das vorhin?« Die Stimme kam Dana sofort bekannt vor, und sie gab deshalb, ohne eine Antwort abzuwarten, Auskunft: »Er ist nicht zu Hause, das sagte ich Ihnen bereits am Telefon!«
»Dann warte ich hier auf ihn!« Die Frau wirkte entschlossen und bewegte sich keinen Millimeter von der Stelle. Nur ihre Augen wanderten weiter in den Flur hinein, in der Hoffnung, Sven zu entdecken.
»Wer sind Sie?«
»Laura Lumatti, hatte ich bereits am Telefon gesagt«, stellte sie sich freundlich, jedoch eigenwillig vor. »Ich werde hier auf ihn warten. Es ist wichtig.«
»Das ist vielleicht keine so gute Idee«, blockte Dana höflich ab, die sich den Namen bereits vom Telefonat eingeprägt hatte und eine genauere Erklärung haben wollte, werdiese Frau eigentlich war und was sie von Sven wollte. »Es kann heute ziemlich spät werden. Rufen Sie morgen an, nach dem Frühstück. Oder noch besser, gehen Sie rüber in die Verwaltung und lassen sich einen Termin geben.«
»Das geht auf keinen Fall. Es ist privat«, lehnte Laura furchtsam ab und schaute sich nervös um. »Bitte«, beinahe flehentlich bedrängte sie Dana, »ich muss ihn sprechen. Dringend! Ich werde verfolgt, ich brauche seine Hilfe! Zudem, ich sollte hier nicht gesehen werden. Ich …«
In diesem Moment rief Marcella: »Mama, hast du deine Hausschlüssel vergessen? Ich suche dich, du hast …«
»Nein, Marcella, es ist nicht Emilia«, rief Dana zurück. Marcella kam zur Haustür und musterte überrascht die fremde Frau und erklärte:
»Hast du sie gesehen? Ich suche meine Mutter. Sie hat ihre Blutdrucktabletten vergessen.«
»Emilia ist vermutlich bei den Rosenbeeten im Park, sie hat vorher ihre Gartenhandschuhe mitgenommen und ist in diese Richtung gelaufen. Soll ich ihr die Tabletten bringen?«
»Danke, Dana, das mache ich selbst.« Marcella betrachtete die fremde Frau, die unglücklich zu sein schien und wie angewurzelt dastand. »Möchten Sie zu mir oder zu meinem Mann?«
»Das ist meine Freundin Laura«, antwortete Dana und reagierte instinktiv. Sie würde Sven damit bestimmt einen Gefallen tun. Es war ihm sicher nicht recht, wenn eine dermaßen aufdringliche Person mit seiner Frau sprach. So gut lief es in Marcellas und Svens Ehe in den letzten Wochen nicht. »Sie besucht mich hier, ausnahmsweise.«
»Schön.« Marcella nickte der fremden Frau zu, die sich weiter nicht rührte, und sagte zu Dana: »Bitte deine Freundin doch ins Haus.«
»Kann ich heute früher frei haben?«, fragte Dana, die schnell die Lage mit Laura klären wollte. »Es ist ein Notfall!«, setzte sie hinzu und schaute bittend Marcella an.
»Geht in Ordnung.« Marcella nickte abwesend und verabschiedete sich.
»Du wartest dort drüben auf der Bank auf mich! Ich brauche zehn Minuten«, zischte Dana der fremden Besucherin zu. Sie ärgerte sich über ihre Notlüge und vor allem über Lauras unpassendes Auftauchen. Diese Laura hätte ebenso einen Tag später kommen können. Ausgerechnet heute – an jedem anderen Tag wäre Marcella arbeiten gewesen. Jetzt hatte sie eine neue Freundin. Dazu so eine aufdringliche.
»Es ist mir unangenehm, Marcella!«, entschuldigte sich Dana wahrheitsgemäß, nachdem sie zurück bei Marcella war, die eilig eine Tablette mit einem Schluck Wasser einnahm. »Ich habe Laura lange nicht mehr gesehen, und sie hat mir gerade von einem Notfall erzählt. Keine Ahnung, was los ist.«
»Ich hoffe einfach, du kannst ihr helfen. Für mich ist das heute in Ordnung«, beruhigte Marcella die sichtlich angespannte Dana, während sie zum Telefon griff, um ihre Mutter anzurufen. »Habe heute keinen Dienst. Morgen bist du wieder da?«
»Selbstverständlich«, bedankte sich Dana und putzte zügig das angefangene Fenster fertig.
»Dann einen hoffentlich doch noch schönen Nachmittag«, verabschiedete Marcella sie und rief ihre Mutter an. Dana räumte schnell die Putzsachen auf, um keine Zeit zu verlieren. Sie würde jetzt Laura auf den Zahn fühlen. Herausfinden, was die fremde Frau von Sven überhaupt wollte. Vielleicht war es gar nicht verkehrt, dass diese Laura ausgerechnet ihr in die Hände gelaufen war.
Sven lauschte, mehr oder weniger interessiert, einem Vortrag über Arbeitsrecht in München, bis eine SMS von Dana ihn vollends von der Referentin ablenkte: »Sven, bitte melde dich telefonisch bei mir, bevor du nach Hause fährst und bevor du mit jemand anderem telefonierst. Unbedingt über Handy! LG Dana.« Sven verließ eilig den Seminarraum und wählte beunruhigt die Nummer von Dana.
»Dana, was ist passiert? Ist was mit den Kindern?«
»Danke, dass du sofort angerufen hast. Hoffentlich habe ich dich nicht gestört?«
»Dana, du störst nie. Aber jetzt erzähle, was los ist!«, drängelte er besorgt.
»Laura Lumatti ist bei mir, in meinem Appartement. Sie möchte …«
»Sven«, unterbrach eine weinerliche Stimme angespannt. »Ich werde verfolgt, ich brauche Geld …«
»Laura?« Er verstand nichts mehr. War das die Laura?
»Sven. Hör mir zu!« Dana hatte Laura das Handy wieder abgenommen, nachdem diese nur noch schluchzte. »Ich weiß nicht genau, um was es geht. Marcella weiß nicht, dass Laura wegen dir hier ist. Soll ich Laura Geld leihen? Oder was sollen wir machen?
»Nein«, entschied Sven, »ich weiß so viel wie du und möchte erst mit ihr reden.«
*
Zwei Stunden später warteten Dana und Laura im Restaurant Krone in Zuffenhausen auf Sven. Dana hatte vorgeschlagen, sich außerhalb der Seniorenresidenz zu treffen. Sie dachte immer praktisch, was Sven an ihr schätzte. Wie vieles andere auch. Dana war klug und zuverlässig. Mit einem Wort, sie war Gold wert. Zudem sah Dana hübsch aus, mit ihrem offenen Blick. Danas blaue Augenfarbe passte perfekt zu den blonden lockigen Haaren und ihrem bezaubernden Lächeln. Sein aufmerksamer Blick wanderte weiter. Laura schien sich nicht verändert zu haben, sie war attraktiv. So wie er sie in Erinnerung hatte. Sie trank wie früher Kirschsaft. Die langen rotblonden Haare und die grünen Augen, die ihn eindringlich musterten, waren reizvoll. Sein angespannter Blick wurde düster. Sie wirkte zerbrechlich mit ihrem hellen Teint und ihren zarten Sommersprossen, die mit jeder Sekunde durchlässiger wurden. Gleichzeitig sah man ihr die Abenteuerlust an. Ihre leidenschaftlichen Gesichtszüge erzählten ihm die alten Geschichten. Eine Frau, bei der ein Mann sich verbrennen konnte. Das war es, was ihn damals an Laura fasziniert hatte. Eine Wildblume, die man besser nicht pflücken sollte. Er hätte sie auf der Straße sofort erkannt, obwohl Lauras fluchtartiger Abschied damals am Flughafen Jahre her war.
»Wie kommst du dazu, dich als Freundin von Dana auszugeben?«, blaffte er die leichenblasse Laura anstelle einer Begrüßung an. »Wie kann man so dreist sein!« Ohne Lauras Antwort abzuwarten, begrüßte er Dana und setzte sich auf ihre Seite. Er wollte ein Statement setzen. Mit Laura würde er sich nicht mal dieselbe Sitzbank teilen. Seit dem kurzen Telefonat am Nachmittag kamen die Erinnerungen in ihm hoch. Laura hatte ihn sitzen lassen. Einfach so. Er nestelte an seinem Handy herum, stellte es auf lautlos und wartete unruhig auf eine Antwort.
»Es war nicht ihre Idee«, klärte Dana schnell auf und strich beruhigend über Svens Hand. »Laura hat sich deiner Frau nicht als meine Freundin vorgestellt. Es war meine Idee.«
»Deine Idee?« Überrascht schaute er Dana an und zog seine Hand erschrocken zurück. »Kennt ihr euch?«
»Nein. Laura hat am Morgen angerufen. Danach stand sie vor der Haustür und sagte, es sei ein Notfall und sie müsse auf dich warten. Marcella kam dazu, und, um dich vor einer unangenehmen Situation zu schützen, habe ich Laura als meine Freundin ausgegeben. Ich habe mir frei genommen, und seit einer halben Stunde warten wir hier. Ich weiß selbst nicht, um was es geht.«
»Okay! Ich bin ganz Ohr.« Sven ahnte nichts Gutes und forderte dennoch Laura zum Reden auf. »Damit Laura dir alles in Ruhe erzählen kann, lass ich euch allein.« Dana nahm ihr Getränk und stand auf, während sie sich an Sven zwischen den eng bestuhlten Tischen vorbeiquetschen wollte. »Ich setze mich da drüben …«
»Du bleibst!« Sven versperrte ihr den Weg, indem er sich zurücklehnte und sie eindringlich anschaute. »Ich habe keine Geheimnisse mit Laura.« Er nahm Dana sanft am Handgelenk und dirigierte sie wieder auf ihren Platz neben sich. Was wusste er von Laura und ihren Absichten?
»Dana hat recht«, mischte sich Laura zaghaft ein. »Es wäre besser, wenn wir das unter vier Augen besprechen könnten.«
»Können wir nicht! Dana bleibt, und du redest oder du lässt es. Zum Warmwerden stelle ich dir vorab eine Frage.« Dana setzte sich und war wie Laura über Svens barschen Ton erschrocken. Dana kannte die Vorgeschichte mit Laura, zumindest das, was er in seiner Fortsetzungsgeschichte im Guten Morgen erzählt hatte. In der Hauszeitung der Seniorenresidenz Marven beschrieb Sven, wie er sich in Laura verliebte und auf welche Weise sie ihn verließ. Ohne jede Vorwarnung. Nach drei Monaten. Sie ließ sich von ihm, der völlig ahnungslos war, zum Flughafen fahren. Laura wollte angeblich für ein paar Tage verreisen. Sven wusste nicht, dass sie nicht mehr zu ihm zurückkehren wollte. Das erfuhr er erst später. In einem Brief, oder so ähnlich, erinnerte sich Dana an Svens Vergangenheit und schaute erwartungsvoll zu Laura.
»Frage mich, was du wissen willst!«, antwortete Laura resigniert. Das Treffen mit ihm, das sah man ihr an, hatte sie sich anders vorgestellt.
»Weshalb?« Mit einem kalten Blick wartete Sven auf Lauras Antwort, die ihn überrascht anschaute.
»Weshalb was?« Irritiert schaute Laura ihn an.
»Weshalb hast du mich verlassen? Damals in Andalusien. Einfach so! Ohne mit mir zu reden?«
»Ich habe es dir erklärt!«
»Du meinst den Zettel, den du mir zum Abschied in die Hand gedrückt hast?«
»Ja«, stotterte Laura verlegen herum. »Ich weiß nicht mehr genau, was ich alles geschrieben habe, aber erklärt habe ich das. Das weiß ich genau!«
»Ich weiß, was du geschrieben hast. Jedes Wort: Eine Wildblume kannst du nie für dich allein haben, ich brauche die Sonne, den Regen und meine Freiheit – in Gedanken oft bei dir, deine Laura.1 Ich habe die Worte bis heute nicht vergessen. Du hast mein Vertrauen für lange Zeit zerstört. Ich habe dich nicht eingesperrt oder etwas in dieser Richtung. Was für einen Grund gab es? Was habe ich dir angetan?«
»So war es nicht!«, verteidigte sich Laura vehement. Tränen schossen ihr in die Augen. »Einfach so habe ich dich nicht verlassen.«
»Wie war es dann?« Sven ließ nicht locker. Er ärgerte sich über Lauras ausweichende Antwort. Die Erinnerungen an damals waren wieder präsent. Sie hatte sich kein bisschen verändert. Er schüttelte den Kopf und biss sich auf die Unterlippe.
»Können wir das nicht ein andermal besprechen? Ich habe im Moment andere Sorgen!«
»Interessiert mich nicht«, platzte es aus ihm heraus. »Was lief zwischen uns falsch? Ich weiß es bis heute nicht.«
»Zu einer Trennung gehören immer zwei. Denkst du, du warst vollkommen?«
»Also war ich selbst schuld daran, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben wolltest?«
»Nein!« Laura wischte sich über die Augen und starrte ihn erschrocken an. »Jetzt verdrehe mir nicht das Wort im Mund. Es ist passiert, wir hatten eine schöne Zeit. Aber wir waren nicht füreinander geschaffen. So ist das Leben. Es ist nicht mehr wichtig.«
»Nicht wichtig?«
»Verstehe mich bitte. Ich brauche deine Hilfe, ich werde verfolgt.«
»Nicht wichtig?« Er schüttelte aufgebracht den Kopf, und sein Blick wurde kalt. »Wie kann man auf die bescheuerte Idee kommen, Jahre später denjenigen um Hilfe zu bitten, den man sitzen lassen hat? Den man als nicht wichtig bezeichnet?« Laura begann zu weinen und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
»Sie hat es nicht so gemeint«, stand Dana ihrer neuen Freundin zur Seite. »Ihr geht es nicht gut. Siehst du das nicht? Sie braucht uns.« Dabei schaute sie Sven bittend an, was mit der Zeit seine Wirkung nicht verfehlte.
»Jetzt hör mit der Heulerei auf«, brach Sven nach endlosen Minuten das Schweigen. »Erzähle von deinem Problem, und ich helfe dir. Wenn ich kann«, schränkte er sein Angebot sofort ein. In dem Moment kam die Bedienung an den Tisch, und er schickte sie fort: »Ich weiß noch nicht, ob ich bleibe, kommen Sie bitte in fünf Minuten noch mal.«
1Bleibst du für immer? Gmeiner-Verlag
»Anton, hast du Zeit für einen Spaziergang im Park?« Der Angesprochene nickte und wunderte sich über Svens sorgenvolle Miene, der sonst nur so vor Optimismus und Tatendrang strotzte. Irgendetwas drückte dem 42-jährigen Geschäftsführer der Marven GmbH aufs Gemüt. Anton kannte Sven seit gut einem Jahr. Obwohl er ein Bewohner der Seniorenresidenz war, hatte Anton gleich ein ungewöhnlich gutes Verhältnis zu Sven aufgebaut. Sie waren inzwischen Freunde geworden. Sven war ein angenehmer Zuhörer und konnte interessante Geschichten erzählen. Er war kommunikativ und hatte für sein Alter viele Erfahrungen gesammelt, vor allem in seiner Zeit als Escort. Anton mochte besonders Svens erfrischend gute Laune, mit der er alle ansteckte – nur nicht heute. Was war vorgefallen? Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, folgte er Sven aus dem Gebäude, vorbei an den von Svens Schwiegermutter Emilia angelegten Rosenbeeten, in Richtung Privatwald. Hin und wieder grüßten sie die anderen Bewohner, die im Park spazieren gingen. Ob Svens Familie etwas zugestoßen war? Anton mochte Svens Frau Marcella. Er freute sich neidlos über ihr Glück, auch wenn er selbst keine Frau mehr an seiner Seite hatte. Zwar konnte er sich nicht über mangelnde Verehrerinnen beschweren, jedoch bekam er die verheiratete Doris, die er ein Jahr zuvor in Radolfzell kennengelernt hatte, nicht aus dem Kopf.
»Was ist passiert?«, wollte Anton wissen, nachdem keine anderen Residenzgäste mehr zu sehen waren.
»Laura ist passiert«, antwortete Sven geknickt.
»Die Laura«, überlegte Anton laut, während er versuchte, sich an die alte Geschichte zu erinnern, »die dich damals in Andalusien ohne Grund hat sitzen lassen? Wie viele Jahre ist das her?«
»Genau die!«, nickte er. »Es ist ziemlich genau 13 Jahre her.« Sven steuerte eine Parkbank an und ließ sich mit einem tiefen Seufzer nieder. »Sie ist gestern hier aufgetaucht und wird erst wieder gehen, wenn ich verspreche, ihr zu helfen!«
»Dreister geht es nicht. Was sagt Marcella dazu?«
»Marcella weiß nichts davon.« Sven seufzte auf und schaute Anton an. »Ich bin in der Zwickmühle«, erklärte er offenherzig. »Dana hat sie dummerweise vor Marcella als ihre Freundin ausgegeben. Laura beschwor Dana regelrecht, mit niemandem über ihre Angelegenheit zu sprechen. Allein über die Tatsache müsste sie Stillschweigen bewahren, dass Laura bei Dana untergeschlüpft wäre. Zu viele Mitwisser wären angeblich gefährlich. Unabhängig davon …« Sven stockte mitten im Satz und schaute ratlos zu Boden. Anton beobachtete ihn schweigend. Wollte Sven deshalb mit ihm sprechen? Weil er nicht wusste, wie er sich seiner Frau gegenüber verhalten sollte? Seltsam, überlegte Anton, es gab nur eine vernünftige Antwort:
»Kläre das Missverständnis, so schnell es geht. Du kannst mit Marcella über alles reden.«
»Normalerweise«, druckste Sven herum. »Wir haben im Moment lediglich ein kleines Problem miteinander. Sie ist kaum da, arbeitet viel. Reagiert dünnhäutig auf alles.« Anton wunderte sich. Selten hatte er eine so harmonische Ehe erlebt wie die von Marcella und Sven. Zumindest schien es so. Er schaute Sven in die Augen und forderte ihn wortlos zu einer Erklärung auf. »Keine Ahnung, woran es liegt. Ist es ihre Arbeit oder was auch immer. Jedenfalls möchte ich sie nicht zusätzlich mit meiner Vergangenheit verunsichern.«
»Komm«, verlangte Anton die Wahrheit, nachdem er Svens verlegenes Grinsen im Bruchteil einer Sekunde analysiert hatte. »Es geht dir nicht um deine Vergangenheit. Weshalb vertraust du Dana mehr als deiner Frau? Hast du was mit ihr?«
»Es ist nichts Ernstes«, versuchte Sven, die Situation aufzulockern. »Was du denkst!«
»Du und deine Frauen!«, feixte Anton kopfschüttelnd. »Erzähl mal in Ruhe und der Reihe nach. Was hat Laura für ein Problem, und was ist mit Dana, deiner Haushälterin? Du machst ihr doch nicht etwa Avancen? Oder will sie etwas von dir?«
»Mit Dana ist überhaupt nichts. Sie ist fleißig, immer fröhlich und kümmert sich rührend um den Haushalt und die Kinder. Marcela ist ihr ebenso dankbar wie ich. Wir hätten ohne sie niemals so leicht die Marven GmbH aufbauen können. Zudem ist Dana zurückhaltend, sie ist eine Stille. Sie würde niemals etwas von mir wollen. Außerdem liebe ich Marcella!«
»Aber?«
»Nichts aber. Wir sind einfach im verflixten siebten Jahr.« Sven versuchte zu scherzen, was ihm nicht gelang, und zog hilflos die Schultern hoch. »Anscheinend verbringe ich zu viel Zeit mit Dana. Zumindest rügt mich deshalb hin und wieder Emilia. Könnte sein, dass Marcella deshalb etwas eifersüchtig reagiert – sollte sie es überhaupt mitbekommen. Ich weiß es wirklich nicht. Ich möchte in der Situation jedoch nicht erzählen, dass Dana sie angeschwindelt hatte. Marcella würde es falsch verstehen. Das ist alles.« Nachdem Anton die Augenbrauen nach oben gezogen hatte, erklärte Sven sich weiter: »Vielleicht ist zwischen Dana und mir so eine klitzekleine Spannung, eine Art Verbundenheit. Mag sein. Sie verwöhnt mich – mit gutem Essen, mit guten Gesprächen. Dana hört mir zu«, schob er schnell nach, offenbar, um Anton nicht auf dumme Gedanken zu bringen, der bereits die Stirn runzelte. »Sie tut mir einfach gut – mehr nicht.«
»Deiner Schwiegermutter ist bereits aufgefallen, dass du etwas für sie empfindest?« Anton schüttelte fassungslos den Kopf und wurde deutlicher: »Also ehrlich, Sven, du hast eine wunderschöne, sympathische Frau und aufgeweckte, liebe Kinder. Wieso verbringst du Zeit mit Dana?«
»Dana macht mir, nachdem die Kinder versorgt sind und ich sie in den Kindergarten gefahren habe, das Frühstück, setzt sich zu mir und will ehrlich wissen, wie es mir geht. Sie ist gerade die Einzige, die für mich da ist. Jeder würde sich bei ihr wohlfühlen.« Sven schaute Anton herausfordernd an. »Hättest du nicht auch lieber Gesellschaft? Zum Beispiel von Doris?«
»Sie ist verheiratet!«, beendete Anton schnell den Gedanken an seineDoris. Jeden Tag dachte er an sie und an die aufregende Zeit am Bodensee. »Wie du, Sven. Du bist ebenfalls verheiratet – glücklich. Vergessen?«
»Ist ja gut«, antwortete Sven sichtlich genervt, »ich habe es verstanden. Auch wenn es darum nicht geht!« Er sah aus, als wollte er lieber das Thema wechseln.
»Gut«, hakte Anton Svens Schwärmerei ab, auch wenn er sie nicht gutheißen konnte. »Was will Laura Geheimnisvolles von dir?«
»Sie fordert meine Hilfe ein! Sie hat sich einfach bei Dana eingenistet. Du weißt, Laura ist einfach in meinem Leben aufgetaucht und genauso plötzlich wieder verschwunden. Nun steht sie wieder da. Was soll Marcella denken?«