Wie Jule einen Zwilling erfand und ihn nicht mehr loswurde - Luise Holthausen - E-Book

Wie Jule einen Zwilling erfand und ihn nicht mehr loswurde E-Book

Luise Holthausen

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Beschreibung

»Ich war's nicht ... das war meine Zwillingsschwester!« Beim Einzug hat Jule Sophie, das nette Mädchen aus der Nachbarschaft, angemotzt und vergrault. Aber dann sitzen beide in derselben Klasse. Oje! Als Ausrede erfindet Jule eine schlecht gelaunte Zwillingsschwester, die beim Vater lebt. Sophie, deren Lieblingsbuch »Das doppelte Lottchen« ist, weiß sofort, was zu tun ist: Sie muss Jules Familie wieder zusammenbringen. Während Sophie für ihren Plan alle Hebel in Bewegung setzt, versucht Jule zu beichten, dass sie geschwindelt hat. Eine turbulente und pfiffige Zwillingsgeschichte à la Billy Wilder und Erich Kästner, mit Humor und einem Augenzwinkern erzählt von der Preuschoff-Preisträgerin Luise Holthausen. Sie lässt kleine Leserinnen mitfiebern und zaubert ihnen ein Lächeln auf die Lippen. Elli Bruder hat die Geschichte mit vielen Bildern wunderbar illustriert.

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Seitenzahl: 76

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Luise Holthausen

Wie Jule einen Zwilling erfand und ihn nicht mehr loswurde

Mit Bildern von Elli Bruder

FISCHER E-Books

Inhalt

[Widmung]1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel

Für Christine – danke!

1. Kapitel,in dem Jule beinahe ein Klavier entsorgt

Im Kinderzimmer stehen Schubladen, Regalbretter, Kisten und eine Schreibtischlampe. Und dazwischen Jule, die sich fragt, wie aus diesem Chaos je ein bewohnbares Zimmer werden soll. Es müsste einen Zauberspruch geben, bei dem man nur denkt: »Aufräumen!«, und schon schwebt alles von selbst an die richtige Stelle. Und dann müsste es noch den Zauberspruch geben: »Freundinnen her!«, und schon stehen Esma, Kaddi und Fiona vor ihr.

Vor allem aber müsste es den Zauberspruch geben: »Jeanskleid her!«, und schon hat sich ihr Lieblingskleid aus einer der unzähligen Kisten befreit. Im Moment muss Jule nämlich das blöde Blümchenkleid tragen, das Oma ihr genäht hat. Das ist das Einzige, was sie heute Morgen noch zum Anziehen gefunden hat.

»Julchen, träumst du?«

Mama quetscht sich an zwei Kisten vorbei ins Zimmer. Auf ihrer linken Kopfhälfte stehen die Haare nach oben, auf ihrer rechten sehen sie aus wie angeklebt. Auf ihrer Stirn sammeln sich Schweißperlen, an einem Arm klebt ein gelber Notizzettel, und an ihrer Bluse hängt Holzwolle. »Ich fahr schnell zum Bäcker und hole Essen für die Umzugsleute. Passt du bitte auf, dass sie die richtigen Sachen in die richtigen Zimmer tragen?« Sie schiebt sich zurück in den Flur und verschwindet.

Jule schaut ihr nachdenklich hinterher. Was wäre denn, wenn die Umzugsleute die richtigen Sachen ins falsche Zimmer tragen? Oder die falschen Sachen ins richtige Zimmer? Wenn die Umzugsleute zum Beispiel den Fernseher in ihr Zimmer tragen würden, wäre das zwar eigentlich das falsche Zimmer, aber doch im Grunde eine richtige Sache. Denn dann könnte sie endlich Fernsehen gucken, was und so lange sie will, ohne dass sich Papa und Mama einmischen. Und wenn ihr Schreibtisch im Schlafzimmer der Eltern landen würde und Jule nicht mehr an ihre Hausaufgaben erinnert – hm, was wäre das dann?

»Hallo?«, unterbricht ein Ruf Jules Überlegungen. Er kommt irgendwo aus Richtung der offenen Haustür und wird begleitet von einem mehrstimmigen Ächzen. »Wo kommt das hin?«

Jule schlängelt sich zwischen den Kisten hindurch zur Eingangstür, zu der drei Stufen hochführen. Dort stehen drei Männer, einer vor den Stufen, einer auf den Stufen, einer auf dem Absatz. Sie haben Trageriemen um die massigen Oberkörper geschlungen und balancieren mit hochroten Köpfen das Klavier zwischen sich.

Das Klavier! Das ätzende Klavier! Unendlich viele Stunden hat Jule schon damit verschwendet, auf seinen Tasten herumzuhacken. Nur weil ihre Eltern denken, sie müsse unbedingt ein Musikinstrument lernen. Dabei hatte Jule so sehr gehofft, dass dieses Klavier auf magische Weise unterwegs verlorengeht. Dass die Ladeklappe vom Möbelwagen plötzlich aufgeht und es hinten rauskippt. Oder dass irgendwelche Räuber den Möbelwagen überfallen. Alles andere hätten sie natürlich im Wagen lassen müssen, aber das Klavier hätte Jule ihnen sogar geschenkt.

»Hallo?«, wiederholt einer der Männer. »Mädel, nun sag mal Piep, dieses Trümmerteil ist nicht gerade leicht. Also, wo kommt’s hin?«

»Nirgendwohin«, antwortet Jule.

»Was soll das heißen?«, mischt sich der zweite Träger ein. »Das ist doch euer Klavier.«

Jule schüttelt den Kopf. Ihr Klavier ist das ganz bestimmt nicht.

»Wie? Was? Wir haben es doch eingeladen!«

»Aber hier soll es nicht hin«, beteuert Jule.

»Ja was, sollen wir es etwa wieder zurückschleppen? In den Möbelwagen einladen? Dreihundert Kilometer zur alten Wohnung fahren und dort vor die Tür stellen?«

Ja, das ist eine super Idee. Jule nickt eifrig. Die Männer sollen das Klavier so weit wegbringen wie möglich. Von ihr aus auch auf den Mond schießen. Oder, das wäre das Beste überhaupt, auf eine Müllhalde kippen.

»Müllhalde?«, fragt der Umzugsmann entgeistert.

Hat sie das etwa laut gesagt?

»Mir reicht’s«, murrt der Mann. »Wir bringen das Ding jetzt zurück zum Wagen.« Er geht rückwärts.

Gleichzeitig sagt der zweite: »Wir bringen das Ding jetzt ins Haus«, und geht vorwärts.

Der dritte versucht im selben Moment, das Klavier an Ort und Stelle abzusetzen.

Es sieht aus, als würden sich die insgesamt sechs Arme der Männer und die diversen Trageriemen miteinander verknoten. Das Klavier fängt an zu schwanken.

»Ist etwas nicht in Ordnung?« Mama kommt mit einer Riesentüte Brötchen den Weg entlanggerannt. Sehr unpassender Zeitpunkt! Hätte beim Bäcker nicht eine lange Schlange einkaufswütiger Menschen anstehen können? Dann wäre das Klavier bei Mamas Rückkehr nämlich längst im Möbelwagen verschwunden.

»Ihre Tochter sagt, wir sollen das Klavier zur Müllhalde bringen«, erklärt einer der Männer.

Mama winkt müde lächelnd ab. »Meine Tochter sagt viel, wenn der Tag lang ist. Bringen Sie das Klavier bitte ins Wohnzimmer.« Sie dreht sich zu Jule, und jetzt lächelt sie nicht mehr. »Warum erzählst du den armen Männern so einen Unsinn? Damit machst du ihnen die Arbeit doppelt und dreifach schwer. Du solltest ihnen lieber helfen.«

»Aber ich kann kein Klavier tragen«, erklärt Jule und streckt Mama zum Beweis ihre dünnen Ärmchen entgegen.

»Das verlangt ja auch keiner«, sagt Mama. »Aber du sollst nicht im Weg stehen und Geschichten erzählen. Also geh am besten nach draußen und komm erst wieder rein, wenn ich dich rufe.« Sie wedelt mit den Armen, als wolle sie Jule verscheuchen.

Ohne Widerspruch trottet Jule die Stufen hinunter. Sie weiß, warum Mama so komische Laune hat: wegen Papas blöder Firma. Papa ist Informatiker und schreibt Programme am Computer. Erst hat sein Oberchef gesagt, Papa bekommt eine tolle Stelle in einer anderen Stadt, wo die Firma eine große Filiale hat. Also haben Papa und Mama in dieser anderen Stadt ein Haus gesucht, Mama hat sich eine neue Stelle gesucht, und sie haben die Umzugsleute bestellt. Aber dann hat Papas Oberchef gesagt: »Tut mir leid, Sie müssen doch noch ein paar Monate bleiben. Hier gibt es ein ultrawichtiges Projekt, das müssen Sie erst fertig programmieren.«

Deswegen haben sie jetzt eine Wohnung in der alten Stadt, in der Papa unter der Woche lebt, und ein Haus in der neuen Stadt, in dem Mama und sie nun wohnen werden. Und Papa wird erst mal immer nur am Wochenende zu Besuch kommen können, höchstens. Er arbeitet nämlich dauernd, weil das Projekt eben so ultrawichtig ist. Nicht einmal zum Umzug hat er freibekommen.

Das findet Mama natürlich blöd und Jule auch. Vor allem findet sie es blöd, dass sie nicht mehr mit ihren Freundinnen spielen und quatschen kann. Denn Esma, Kaddi und Fiona wohnen ja nun dreihundert Kilometer weit weg.

Aber am Telefon kann sie zumindest mit ihnen quatschen! Ein Telefon reicht auch über dreihundert Kilometer. Jule schleicht sich ins Haus zurück und versucht, zwischen einer Million Kisten das Telefon zu finden. Bevor die Möbelmänner kamen, lag das irgendwo auf einer Fensterbank. Bloß auf welcher?

»Jule, was machst du schon wieder hier?«, schimpft Mama.

»Kann ich mal dein Handy haben?«, fragt Jule mit einem Augenaufschlag.

Mama schaut sie nur an. Also nicht. Jule macht kehrt und stampft ohne Telefon und ohne Handy wieder nach draußen.

Dort steht neben dem Möbelwagen ein Mädchen, eine Spur größer als Jule, blond, mit Ponyfrisur und ordentlich geflochtenem Zopf, und guckt neugierig.

»Hi, ich bin Sophie«, sagt sie. »Ziehst du hier ein?«

»Nee«, grummelt Jule, »ich zieh aus.«

»Ich hab gar nicht mitgekriegt, dass du hier gewohnt hast«, sagt Sophie.

»War ja auch nicht lange.« Zwei Stunden dürfte es ungefähr her sein, dass die Umzugsleute das erste Möbelstück reingetragen haben.

»Und wieso zieht ihr schon wieder aus?«

»Weil … weil …«

»Julchen, ich brauch dich mal!«, ruft Mama aus dem Fenster im ersten Stock.

Warum hat sie Jule dann eben erst aus dem Haus gescheucht? »Du nervst!«, faucht Jule. Und weil sie das ja schlecht zu Mama sagen kann, faucht sie eben Sophie an. Für die passt der Satz auch ganz gut.

Prompt macht Sophie einen Schritt rückwärts. »Du hast ja vielleicht miese Laune!«

»Oh, das ist noch gar nichts. Ich kann noch viel mieser und fieser sein. Willst du mal sehen?« Jule rauft sich die umzugsbedingt ohnehin schon wirren Haare noch wirrer, fletscht die Zähne und verdreht die Augen wie ein Zombie.

»Schon gut«, stottert Sophie und stolpert gleich ein paar Schritte rückwärts. »Ich wollte sowieso gehen.« Und weg ist sie.

Dafür taucht Mama an der Haustür auf. »Hast du nicht gehört, dass ich dich gerufen habe?« Neugierig schaut sie dem Mädchen hinterher. »Wer ist das? Wo wohnt sie? Habt ihr miteinander gesprochen? Hast du schon eine Freundin gefunden?«

»Nee«, antwortet Jule, »sie hat nur gesagt, wie witzig es ist, dass wir hier einziehen, weil sie nämlich gerade auszieht.«

»Ach so«, sagt Mama. »Schade.«

2. Kapitel,in dem Frau Wunders wunderbares Briefprojekt startet

Am Montagmorgen stehen immer noch die meisten Kisten unausgepackt in der Wohnung herum. Papa ist zwar dann doch noch am Samstag gekommen und hat Mama geholfen, die Schränke und Regale aufzubauen. Aber am Sonntagabend ist er schon wieder weggefahren, weil er ja dieses ultrawichtige Projekt programmieren muss.