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Magalie Goldmann ist eine Frau, die mit fast 50 Jahren durch die Fügung verschiedener Umstände feststellt, dass sich in ihrem Leben grundlegend etwas ändern muss. So begibt sie sich auf eine Reise durch emotionale Erinnerungen aus ihrer eigenen Vergangenheit und die, der Menschen, deren Dasein ihr Leben grundlegend geprägt haben. Mutig stellt sie sich den bewegenden Herausforderungen der Gegenwart, immer auf der Suche nach dem richtigen Weg. Denn dieser soll sie zu der, ihr unvorstellbaren Geborgenheit dieser ganz besonderen skandinavischen Lebensart führen. Tauchen Sie mit dieser wunderbaren Frau in ein Wechselbad der Gefühle ein, was möglicherweise dazu führen wird, dass sich auch in Ihnen noch einmal der Mut zur Veränderung regt.
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Seitenzahl: 373
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Die Autorin Monique S. lebt seit vielen Jahren, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, in einem kleinen Dörfchen, auf der Insel Rügen. Schon als Teenager schrieb sie Geschichten, Gedichte oder emotionale Festreden. Nachdem ihre drei, inzwischen erwachsene Söhne begannen, den Weg in ihr eigenes Leben zu beschreiten, eröffnete sie ein kleines Kosmetikstudio.
Beeindruckt von den vielen Geschichten ihrer Kundschaft fasste sie mit ihrem ersten Buch "Ferien im Ich" den Entschluss, ihre eigene zu reflektieren.
Ihr zweites Werk beschreibt nun den bewegten Weg einer Frau in den besten Jahren, der Veränderungen mit sich bringt, die sie sich nicht hätte vorstellen können.
Es ist schwer, das Glück in uns zu finden, und es ist ganz unmöglich, es anderswo zu finden.(Nicolas Camfort)
Teil I
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Teil II
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Teil III
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
In Stille verweilend setzte ich mich nach getaner Arbeit auf die alte Bank, deren bereits abblätternde Farbe wahrscheinlich hunderte von Geschichten erzählen könnte. Ich blickte in die Weite, dem rauschenden Fließen des, im Tal liegenden Baches folgend und hing einfach nur meinen Gedanken nach. Der bauchige Keramikbecher mit dem kleinen Sprung am Rand wärmte meine schmerzenden Hände und sein süß duftender Inhalt stieg mir in die Nase. Genüsslich nahm ich einen Schluck der soeben auf dem alten Holzofen erwärmten Schokomilch, welche mir fast heilend die Kehle herunterfloss.
Von Vorfreude geschüttelt erwischte ich mich bei einem breiten Grinsen, denn heute würdest du kommen.
Kaum kann ich es erwarten, dass du versuchst unbemerkt durch die knarrende Pforte das Grundstück zu betreten, weil du mich überraschen möchtest. Ich werde natürlich so tun, als hätte ich es nicht bemerkt und weiter dem Stapeln der gestern gehackten Holzscheite nachgehen. Leise lässt du auf dem Weg zu mir deine
Tasche fallen, schleichst mit leisen Schritten auf mich zu und schließt mich sanft von hinten in deine Arme. Erleichtert lasse ich mich einfach in diese fallen und wage es kaum zu atmen. Behutsam drehst du mich zu dir um, so dass ich dir tief in die Augen sehen muss, die sagen: "Jetzt kann Dir nichts mehr geschehen!".
Deine rechte Hand wandert zärtlich über meinen Rücken, bis sie meinen Nacken umfasst und du mich fordernd an dich ziehst. Der darauffolgende Kuss scheint kein Ende finden zu wollen. All das Warten auf diesen Moment legt sich in genau diesem Moment. Deine Lippen übersäen mein Gesicht mit tausenden von fliegenden Küssen. Meine Wangen, umschlossen von deinen Händen glühen vor Begierde.
Bevor ich darüber nachdenken kann, was im nächsten Moment geschehen könnte, schiebst du mich sanft aber mit Nachdruck in Richtung der Bank, auf der ich kurz zuvor noch, von Dir träumend saß. Unverrückbar stehst du vor mir, öffnest wortlos deine Hose. Diese rutscht folglich an deinen Beinen herunter und fällt mit dem vertrauten Klingen der Gürtelschnalle zu Boden. Wie so oft, trägst du keine Unterhose und stehst nun in all deiner Pracht vor mir. Verschmitzt lächelnd schaue ich zu dir hinauf. Ich weiß natürlich genau, was dieser Blick in dir auslöst und genieße deinen Gesichtsausdruck voller Gier in vollen Zügen. Ganz langsam lasse ich meine Finger die Außenseiten deiner Oberschenkel heraufwandern, umfasse deine straffen Pobacken und massiere sie mit meinen Händen. Noch einmal schaue ich lüstern zu dir hinauf, fast, als wolle ich ein Zeichen deiner Genehmigung einholen, bevor ich erst zart, dann immer intensiver meine Zunge auf Wanderschaft gehen lasse. Du riechst so gut und du schmeckst noch viel besser, als ich es in meiner Erinnerung hatte. Ein tiefes Stöhnen erreicht meine Ohren. Zitternde Lenden wölben sich meinem Gesicht entgegen. Du greifst meinen Hinterkopf, um mir deinen gewünschten Takt zu diktieren. Die immer noch warme Septembersonne scheint mir wohlwollend in den Nacken, wobei ich das Gefühl habe, zwischen meinen Beinen entspringe eine Flutwelle. Meine, vor Erregung aufgestellten Brustwarzen reiben lustbringend bei jeder Bewegung meines Kopfes am leicht rauen Stoff des Leinenkleides, was dafür sorgt, dass sie immer empfindsamer werden. Wie durch eine Blase nehme ich nun deine Geräusche wahr. Jede Faser meines Körpers ist aufs höchste gereizt. Ich gebe mich dem Taumel der Liebe hin und denke zum ersten Mal seit langer Zeit an gar nichts. Da ziehst du mich mit einem kraftvollen Ruck zu dir nach oben. Küsst mich mit einer Leidenschaft, dass ich glaube, fast zu ersticken. Du schiebst den Träger meines Kleides über die Schulter, was zur Folge hat, dass das Oberteil herunterrutscht und meine nackte Brust entblößt. Gierig leckst du meinen Hals, lässt die Zunge in den Spalt zwischen meinen Brüsten gleiten, als wäre es ein Rinnsal, aus dem man trinken könnte. Eine Hand umfasst die Wölbung, die sich dir entgegenstreckt, bis deine geübten Lippen die Spitzen umschließen, um sie liebevoll zu verwöhnen. Mir entfährt ein Raunen, welches auf tiefstem Herzen zu kommen scheint. Diesen Moment nutzend greift deine andere Hand unter meinen Rock, direkt ins Zentrum meiner Lust. Wie von selbst schiebst du mein Höschen ganz langsam nach unten. So langsam, dass du jeden Moment genießt, in dem ich mich nach dir verzehre. Nun kniest du vor mir. Gibst mir den Saum meines Kleides, wie selbstverständlich in die Hände, drückst mit deinen Knien meine Füße auseinander, so dass dein Gesicht ungehindert an den pulsierenden Vulkan in meiner Mitte gelangen kann. Ein undefinierbares Zungenspiel lässt mir fast die Sinne schwinden. Ein ungezügelter Schrei entrinnt meiner Kehle, während ich den Kopf in den Nacken lege und mit einer Hand Halt an der Lehne der Bank suche. Noch einen Moment länger und meine Beine versagen, denke ich noch, bevor mich die gnadenlose Explosion, einer nicht endenden Flut, der so lang zurückgehaltenen Lust überrollt. Mein immer noch zuckender Leib schmiegt sich an dein Gesicht, während die Finger meiner rechten Hand immer noch deinen Kopf umfassen. Ewig sollte dieser Moment anhalten. Dieser kleine Tod, der uns so lange verwehrt war....
Und wieder öffnete ich meine Augen, um festzustellen, dass es nur ein Tagtraum war. Einer von den vielen, die diesem bereits voraus gingen.
Vor vier Monaten stürzte ich mich in dieses neue, mir unbekannte Leben. Voller gemischter Gefühle aus Vorfreude und Zukunftsangst traf ich den Entschluss, noch einmal ganz von vorn zu beginnen. Es gab nicht mehr viel, was mich in meinem gewohnten Leben hielt. Dieser immer gleiche, zu nichts führende Rhythmus, die oberflächlichen Gespräche über all die Dinge, die sich doch nie ändern würden, die täglichen Anstrengungen, um sich ein einigermaßen anständiges Leben leisten zu können und ständig das Gefühl, sich im Kreis zu drehen. Kein Vorwärtskommen, keine nennenswerten Veränderungen, zu wenige frohe Momente. Eine Tristesse, der zu entkommen unmöglich schien.
So stand ich eines Morgens vor dem Badezimmerspiegel und betrachtete die Frau, die mir aus diesem ins Gesicht sah. Ihre einst so lebendigen Augen strahlten nunmehr eine Leere aus, die mir Angst machte. Die tiefe Furche zwischen ihren makellos gezupften Brauen glich einem Luftschutzgraben aus dem ersten Weltkrieg. Die Falten um ihren Mund sind in den letzten Jahren ein wenig tiefer geworden und nahmen ihrem Gesicht ein wenig seine jugendliche Frische. Gut, mit fast fünfzig durfte das wohl auch so sein. Ich ließ den Blick etwas tiefer schweifen und stellte zum Glück fest, dass meine Brüste beruhigender Weise noch ganz passabel an der dafür vorgesehenen Stelle saßen. Nicht mehr so fest, wie ich es mir wünschen würde aber doch ansehnlich. Und da waren sie, die hellen, hässlichen Streifen auf der Bauchdecke, der Schwangerschaft vor nunmehr achtundzwanzig Jahren geschuldet, mit denen ich auch nach all den Jahren keinen Frieden schließen konnte. Dann zu allem Überdruss noch diese fiesen kleinen Fettpolster an den Hüften, die einfach nicht verschwinden wollten, auch wenn ich mal für mehrere Wochen auf das gute Glas Wein und Zwischendurch-Naschereien verzichtete. Kein Wunder. Dieser Körper hatte schließlich seit Jahren weder ein Fitnessstudio von innen gesehen, noch sonst irgendeine muskelfördernde Betätigung erfahren. Keinerlei Bräune überspielte derzeit diese Mängel, was für einen Tag, Ende April natürlich nicht ungewöhnlich war. Alles in Allem gefiel mir diese Frau dort im Spiegel überhaupt nicht.
Etwas musste sich ändern. Dringend!
Nur was? Meine besten Jahre hatte ich schließlich hinter mir, so glaubte ich zumindest. Was um alles in der Welt sollte jetzt noch kommen? Keine Ahnung…
So ignorierte ich diesen morgendlichen Anblick und ging dem über Jahre einstudierten Restaurationsritual nach, was hieß: Die Dusche anstellen, in der Zeit, bis das Wasser endlich die gewünschte Temperatur erreicht hat, Zahnpasta auf der Zahnbürste drapieren, diese auf dem Waschbeckenrand für ihren späteren Einsatz bereitlegen. Nun genüsslich mit wohltuend kreisenden Bewegungen die Haare waschen, den Körper einseifen und die gesamte schaumige Angelegenheit abspülen. Noch einmal ganz kurz den Hahn nach rechts gedreht und unter leicht juchzenden Geräuschen ganz schnell mit kaltem Wasser abbrausen, um die Lebensgeister zu wecken. Mit leichter Gänsehaut nach dem kleinen Handtuch für die Haare greifend, welches sich selbstverständlich nicht an seinem dafür vorgesehenen Platz befindet, da ich mal wieder vergessen habe, es vom Haken zu nehmen und bereitzulegen. So tapse ich einmal durchs Badezimmer, greife es mir und hüpfe schnell wieder auf die Duschmatte zurück. Gekonnt schlinge ich mir das Handtuch, wie einen Turban um den Kopf und lege mir das Badehandtuch um den Busen. Befestige es mit einem Kniff, welchen ich in einem Tutorial im Internet gesehen und für sehr tauglich befunden habe und schlendere in die Küche, um das Radio einzuschalten.
In einer gehörigen Lautstärke kündigt der Wettermann für den kommenden Tag wieder einmal alle Möglichkeiten der meteorologischen Vorkommnisse an, wobei ich mich frage, was es überhaupt für einen Sinn macht, uns Zuhörer damit zu behelligen? Von sonnigen Abschnitten, einer sich immer wieder schließenden Wolkendecke, über kleine Schauer und Wind aus Nordwest kann alles dabei sein. Suchen Sie sich einfach etwas aus. Nun gut, so wollen es die Menschen wohl hören. Was weiß ich.
Wieder im Bad angekommen ertönt zum Glück ein Song, der den Morgen etwas erträglich macht und ich widme mich wieder meiner Routine. Zähne putzen, etwas von der ach so hochwertigen Augencreme aus dem Kosmetikstudio, in einem Töpfchen so winzig, dass man sich fürchtet auch nur ein Tröpfchen zu viel zu verwenden. Dann eine erbsengroße Portion (so hat es die Botschafterin der zeitlosen Schönheit genannt) im restlichen Gesicht verteilt und zum Schluss, ganz wichtig, den Hals und das langsam knittrig werdende Dekolleté mit einer dritten Glättungslotion verwöhnt. Warum wird es eigentlich knittrig? Sollte dieses Wundermittel zu einem Preis, mit dem man in Uganda wahrscheinlich ein halbes Dorf einen Monat lang ernähren könnte nicht genau das verhindern? Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und ich bin ja schließlich ein geduldiger Mensch.
Nun, letztendlich zur Königsdisziplin, dem Makeup! Zur Dezimierung der kleinen Fältchen und nervösen Flecken trage ich sorgfältig die 8 in 1 Foundation auf, wobei sich mir nie erschlossen hat, welche acht Funktionen dieses Zeug eigentlich übernimmt. Sie deckt recht zuverlässig ab, das reicht mir. Einen, der inzwischen vier angesammelten Concealer gegriffen, um die tiefdunklen Augenschatten zu überdecken. Es musste ja schließlich nicht gleich jeder sehen, dass sich meine Sorgen und Gedanken buchstäblich in Schatten unter meinen Augen manifestiert haben. Zur Fixierung des ganzen Spachtels dient nun ein Puder, der gleichzeitig ein sonniges Finish auf die Haut zaubern soll. Geübt fahre ich mit dem Eyeliner über dem oberen Wimpernrand entlang und lasse diese Linie schwungvoll am äußeren Augenwinkel auslaufen. Nun noch die Wimpern (ach wären sie doch nur etwas dichter und länger) doppelt in Tiefschwarz getuscht, etwas Rouge auf die Wangenkontur, fertig.
Ich hatte es auch schon mal ohne, beziehungsweise mit fast ohne probiert. Aber das bin einfach nicht ich. Jedes Mal, wenn ich an einem Spiegel vorbeikam, erschrak ich über dieses fahle Gesicht ohne jeglichen Ausdruck. Auch brauche ich meine Kriegsbemalung als Maskerade und Schutzschild. Denn in einem gut geschminkten Antlitz erkennt man nur schwerlich, was dahinter vor sich geht.
Die alltägliche Prozedur der Kleidersuche bedarf keiner weiteren Ausführung. Es ist jeden Tag dieselbe Katastrophe. Auf dem Bügel sieht jedes Teil für sich gar nicht so übel aus. An mir? Zu eng, zu weit, zu kurz, zu irgendwas. Nur eben einfach nicht schön. Ich entscheide mich für eine einfache schwarze Leggings zu einem Über-Po-langen Blusenkleidchen.
Unmotiviert schlurfe ich in die Küche, um mein Frühstücksbrettchen vorzubereiten. Drapiere kleine, zuvor getoastete Schnittchen auf selbigem und bestücke diese mit Käsescheibchen, luftgetrockneter Salami, etwas Honig aus lokaler Imkerei und selbstgemachter Marmelade. Dazu lege ich eine halbe Avocado, welche mit etwas Kräutersalz bestreut wird. Soll schließlich nach irgendetwas schmecken, dieses ja ach so gesunde Obst. Ja Obst. Zumindest im botanischen Sinne. Denn so gesehen ist sie eigentlich eine Beere. Versteht man nicht, ist aber so. Der automatische Dreh zu meinem kürzlich erworbenen Kaffeevollautomaten erfreut mich jeden Morgen aufs Neue. Wie so ein kleiner unnötiger Luxus den Menschen doch so sehr erfreuen kann. Ich entscheide mich für einen großen Milchkaffee und drücke gleich noch auf die Taste für mittleren Espresso, damit mein Wachzustand auch eine Weile anhalten möge. Eigentlich bin ich immer müde. Müde von der Arbeit, müde vom Reden, müde vom Zuhören, müde vom Schlafen, müde vom Ich sein.
Ich trage meine „Komm gut in den Tag – Frühstücksration“ ins Wohnzimmer und schalte den Fernseher ein. Mache ein Foto mit „Guten Morgen Grüßen“ von meinem Gedeck, um es sogleich im WWW. mit der ganzen Welt meiner Community zu teilen. Was machen wir da eigentlich? Wir posten unser Essen, schicken uns fortlaufend Bilder, Videomitschnitte aus jeder Situation unseres Lebens, Filmchen, die sich über die katastrophale politische Lage lustig machen oder irgendwelche, ach so niedlichen Guten Morgen, Mahlzeit, Guten Abend oder Gute Nacht- Bildchen mit den allerbesten Grüßen unterzeichnet. Was haben wir 1995 mit der ganzen Zeit angefangen, die heute dafür draufgeht? Selbst an Silvester filmen wir das nächtliche Feuerwerk erst, anstatt unsere Liebsten in den Arm nehmen, um uns für deren Dasein zu bedanken und ein glückliches neues Jahr zu wünschen. Am liebsten möchte ich mich dieser „Wir haben uns ja alle so lieb- Kommunikationsebene“ entziehen, doch es gelingt mir nur bedingt. Wir Menschen scheinen fast nur noch so miteinander in Verbindung zu treten. Einfach mal ein Anruf oder Besuch sind inzwischen zur absoluten Seltenheit geworden. Haben wir gänzlich das Bedürfnis verloren, einander in die Augen zu sehen, die Mimik unseres Gegenüber lesen zu wollen, in schweren Zeiten die Hand des Anderen zu halten, während wir ihm ein Taschentuch zum Trocknen seiner Tränen reichen oder gemeinsam für ein paar Minuten vor Lachen der tristen Wirklichkeit zu entkommen? Wir haben uns eingeigelt, ja scheuen oft den direkten Kontakt mit anderen menschlichen Wesen. Wann hat das eigentlich angefangen? Und warum haben wir es geschehen lassen?
Die Moderatoren des Frühstücksfernsehens beweihräuchern sich mal wieder mit allerbester Morgenlaune. Um 08:00 Uhr!? Nicht euer Ernst. Ich würde mich nicht als Morgenmuffel bezeichnen aber so gut gelaunt muss man um diese Zeit nun wirklich nicht sein. Das ist nicht natürlich. Nicht für mich. Der frühe Vogel ist in meinem Fall ein fetter Krake, der sich genau auf meinen Kopf setzt und mir mit seinen Tentakeln beide Augen zuhält.
Ich kaue lustlos auf meinen hübsch zubereiteten Häppchen herum und lausche der Nachrichtensprecherin, die über die kürzlich geschehenen Katastrophen auf der Welt berichtet. Genau dies Informationen braucht man, um motiviert in den Tag zu starten.
Inzwischen sind meine Haare getrocknet und benötigen nur noch den kurzen Einsatz des Lockenstabes, um aus den spaghettiartigen Flusen auf meinem Kopf eine halbwegs ansehnliche Frisur zu kreieren. Eine gehörige Portion Haarspray drüber, so sollte das Werk einige Stunden halten. Noch schnell die Küche aufgeräumt, ich hasse es, abends nach Hause zu kommen und mich solchen Tätigkeiten widmen zu müssen. Jacke übergezogen und einen dazu ausgewählten Schal aus der Sammlung der letzten Jahre, welche sich inzwischen auf mindestens vierzig Stück beläuft. Einen letzten kontrollierenden Blick in den Spiegel, der mir sagt, dass die Erscheinung darin für einen normalen Arbeitstag recht akzeptabel ist, greife ich meine Handtasche und schließe hinter mir die Haustür.
Ich steige in mein Auto und fahre gedankenversunken den immer gleichen Weg aus der idyllischen Vorstadtsiedlung in die spießige Kleinstadt, nur wenige Minuten entfernt. Schon oft habe ich mir vorgenommen, den kurzen Weg mit dem Fahrrad zu absolvieren, was meiner Gesundheit sicher nicht abträglich sein würde aber den Gedanken dann doch wieder verworfen, da meine Frisur diesen sportlichen Einsatz mit Sicherheit nicht überstehen würde.
Ich biege auf den Firmenparkplatz ab und stelle mich auf einen freien Parkplatz nah am Gebäude. Der Wettermann hatte mit seiner Vorhersage recht. Die Wolkendecke hatte sich zwischenzeitlich geschlossen und es nieselte ein wenig.
Mit schweren Beinen gehe ich den langen Korridor entlang in Richtung meiner Bürotür. Wie jeden Morgen kommen mir die „frühen Vögel“, ein Häufchen gackernder Damen, die jetzt schon ihre erste Raucherpause hinter sich hatten und geschlossen den Kaffeeautomaten am Ende des Flurs aufsuchen. Ich grüße freundlich und gehe weiter, krame den Schlüssel aus meiner Tasche und betrete mein Kämmerlein. Öffne das Fenster kurz, um den Muff der vergangenen Nacht aus dem Raum zu verscheuchen, hänge meine Jacke an den Haken, greife nach der Strickjacke, die ich schon seit Tagen mal zum Waschen mit nach Hause nehmen wollte. Kuschle mich in diese ein, schließe das Fenster und setze mich an den Schreibtisch. Während der Computer hochfährt, zünde ich die Kerze in dem hübschen Tiffany-Glas an, das ich im letzten Urlaub auf dem Flohmarkt erstanden hatte und schalte die kleine Schreibtischlampe an. Hoffentlich ist es mir vergönnt, noch eine Weile in dieser Ruhe verweilen zu dürfen. Kaum diesen Wunsch zu Ende gedacht, steckt Christiane den Kopf durch die Tür und fragt mit fröhlich wacher Stimme, ob sie mir einen Kaffee mitbringen soll. Ich lehne dankend ab und erkläre ihr, dass ich mir jetzt öfter mal einen Tee zubereite, um meiner kürzlich diagnostizierten Übersäuerung entgegenzuwirken. Ein kurzes „Ok, bis später“ und sie ist wieder verschwunden. Tatsächlich habe ich mir vor ein paar Tagen eine Auswahl an wohltuenden, aufmunternden, ausgleichenden und antitoxischen Teesorten gekauft, nur ein Bruchteil dessen, was auf der Empfehlungsliste meines Heilpraktikers stand. Wenn es nach dem ginge, bräuchte man keine normale Nahrung mehr zu sich nehmen, sondern würde sich nur noch mit wilden Mixturen lateinischer Bezeichnung, Bachblüten und Globuli am Leben halten. Ach ja, den Tee nicht zu vergessen. Jedenfalls wäre ich nach der Einnahme dieser Mengen bereits satt und nach deren Wirkungsversprechen kerngesund. Auch pleite aber danach fragen diese, von sich ach so überzeugten Gesundheits- und Gleichgewichtsapostel erst gar nicht.
Die Teeblütenmischungen sollten es fürs Erste tun. Ich entscheide mich für die wohltuende Sorte, befülle den Wasserkocher und schalte ihn an. Kurz darauf steigt mir ein angenehmer Duft von Kamille und Himbeerblüten in die Nase. Also widme ich mich noch einmal den, seit Wochen zusammengefügten Berechnungstabellen, da diese heute Nachmittag dem Ausschuss vorgelegt werden sollten, um einen großen Auftrag an Land zu ziehen. Es war eine akribische Einholung verschiedenster Angebote und Genehmigungen notwendig, bis dieses gesamte Konstrukt endlich präsentationsfähig war.
Die einzige Freude, die ich bei der Durchsicht der Unterlagen jedoch empfinden kann, bezieht sich lediglich auf die Anzahl an Überstunden, die sich in der letzten Zeit dadurch angesammelt hat. Stunden, die mir meinen nächsten Urlaub ein wenig verlängern würden. Kaum kann ich es erwarten, wieder meine Füße auf fremden, weit von der Realität entfernten Boden zu setzen. So viele Male hatte ich schon den Wunsch, alles auf null zu stellen und irgendwo neu anzufangen. Aber kein Ort auf der Welt entfachte bisher die Kraft, die es brauchte, aus dieser Phantasie eine neue Wirklichkeit zu formen. Doch darüber kann ich jetzt nicht nachdenken. Ich muss mich konzentrieren. Jeder Fehler, der nun noch zu finden war, würde auf mein Versagen zurückzuführen sein. Diese Genugtuung werde ich Michael auf keinen Fall geben.
Seit ich ihm eröffnet habe, dass mir an unserer kleinen Liaison nichts mehr liegt, meidet er mich, wie der Teufel das Weihwasser. Wie konnte ich es wagen, ihn, den Macher, Denker und Vorturner dieser Firma aus meinem Leben zu werfen?!
„Krieg dich wieder ein du eingebildeter Affe.“, dachte ich im Stillen. „Dein Vater hat sein komplettes Leben geopfert, um das zu erschaffen, was dir buchstäblich in die Wiege gelegt wurde. Du hattest nichts anderes zu tun, als ein paar Semester BWL zu studieren und ihm auf die Finger zu schauen.“
Wie unendlich traurig war es, als der alte Mann das Zepter übergeben musste, weil ihn innerlich langsam der Krebs zerfrisst. Es ist schon wieder viel zu lange her, dass ich ihn besucht habe. Wer weiß, wie lange das noch möglich ist. Ich nehme mein Handy undschreibe es mir in meine Erinnerungs-App. Mit drei großen Ausrufezeichen dahinter.
Dabei hatte es vor ungefähr anderthalb Jahren mal so amüsant begonnen, dieses kleine Tete-A-Tete zwischen uns. Wir flogen, wie schon etliche Male gemeinsam auf eine Geschäftsreise. Portugal war diesmal das Ziel, im Spätsommer, welch herrliche Vorstellung. Vorausgesetzt, die Besprechungen würden nicht wieder bis in die Nacht anhalten, so dass man am Abend vor Müdigkeit schon fast mit dem Gesicht auf dem Teller landete, wie beim letzten Mal in Prag.
Die Gesandten der Firma, mit der es zu verhandeln galt, hatten wohl mein Stoßgebet erhört, so dass wir gegen 16:30 den Sitzungsaal verlassen konnten. Das in einer Stunde anberaumte gemeinsame Abendessen würde ich schon noch überstehen. Danach hatte ich endlich Zeit für mich.
Danach wollte ich in einem neuen Sommerkleid, welches ich mir extra für diesen Abend gekauft hatte über die Strandpromenade flanieren, in einer gemütlich aussehenden Bar einen ordinär dickmachenden Cocktail schlürfen, ja auf dem Rückweg dann mit nackten Füßen durch das, in leichten Wellen an den Strand spülende Wasser spazieren. Michael würde sich wahrscheinlich wieder mit den Herren der Schöpfung an der Hotelbar die Kante geben und morgen mit einem riesigen Schädel aufwachen.
Dieses Mal kam es jedoch ganz anders. Mit besagtem Kleid, welches luftig meine Hüften umspielte und dessen Ausschnitt den Blick auf meinen, noch von der Sommersonne gebräunten Busen erahnen ließ, betrat ich das mediterran gestaltete Restaurant. Die Herren erhoben sich leicht, als ich meinen Stuhl erreichte und ich erhaschte den wohlwollenden Blick eines Herren am Nebentisch, der für einen Moment zu vergessen schien, dass ihm seine Gattin gegenübersaß. Ich schenkte ihm ein kleines Lächeln und setzte mich zu den anderen.
Das abendliche Dinner gestaltete sich sehr kurzweilig, die Gesprächspartner waren äußerst gut gelaunt und ausgelassener Stimmung. Man beschloss, direkt im Anschluss hinunter zur Beach-Bar zu gehen, um den Tag und die bereits ausgehandelten Verbindlichkeiten zu begießen. Ich überlegte kurz, ob ich mich der Meute anschließen oder doch lieber mein eigenes Ding machen sollte. Doch ich brachte es dann doch nicht übers Herz, einem älteren Herrn in der Runde, mit dem ich mich zuvor schon sehr angeregt über die unendliche Welt der internationalen Küche unterhalten hatte, den Wunsch mitzukommen abzuschlagen.
Wie im Flug verging Stunde um Stunde. Man bestellte mir einen Drink nach dem anderen bis ich bemerkte, dass mir die Worte nicht mehr ganz so flüssig über die Lippen gingen. Ein gefährliches Zeichen, auf das zu achten äußerst wichtig war. Einmal, um die Contenance zu behalten, zum anderen, um nicht am Ende den Rest der Nacht mit dem Gesicht in der Kloschüssel zu verbringen.
So schlich ich mich, mit der Ausrede, einmal für kleine Mädchen zu müssen, aus der Traube feuchtfröhlicher Menschen, trat hinaus auf die Terrasse und nahm einen tiefen Zug der frischen Meeresluft, deren salziger Duft sich mit dem aus dem warmen Sandboden heraufsteigenden Dunst zu vermischen schien. Ich erreichte den Rand der Holztäfelung am Boden, streifte meine Sandalen von den Füßen und setzte meinen Weg barfuß durch den, jetzt kühlen Sand in Richtung der Wasserkante fort. Kurz bevor der Sand feucht wurde, hatte man Sonnenliegen aufgestellt, die zu dieser Stunde natürlich niemand mehr benutzte. Ich ließ meine Schuhe fallen und legte mich auf eine davon, holte tief Luft und sah in den nächtlichen Himmel von Faro.
Das Gelächter aus der Bar war jetzt nur noch ganz leise zu hören. Einzig und allein das Rauschen der sanft anschlagenden Wellen erreichte meine Ohren. So schloss ich die Augen. Die Wirkung des Alkohols machte sich sofort bemerkbar, so dass ich sie sofort wieder öffnete, denn Karussell fahren war so gar nicht meins. Ich setzte mich auf und starrte auf die offene See. Einige Minuten musste ich so verbracht haben, da bemerkte ich, dass sich jemand mit schweren Schritten meiner Liege näherte.
Es war Michael. Na da schau mal einer an. Hatte er etwa auch einmal die Nase voll, vom nächtlichen Ausflug ins Land der Gins und Wodkas? Er setzte sich schweigend zu mir. Leichtes Unbehagen beschlich mich, da ich nicht so ganz wusste, wie ich mich nun verhalten sollte. Wollte er reden? Und wenn, worüber? Bisher hatte sich unser Verhältnis nur auf beruflicher Ebene abgespielt. Sicher, hier und da mal ein paar freundliche Worte auf dem Flur oder vor einer Besprechung. Aber mehr eigentlich auch nicht. Schließlich wusste er, dass ich seinem Vater zutiefst ergeben war, was ihm nie so wirklich recht schien. Immerhin war er nun der Chef und ich eine seiner rechten Hände, die ihm mehr Tätigkeiten abnahmen, als die Stellenbeschreibungen in unseren Arbeitsverträgen je hergegeben hätten.
Plötzlich begann er mit leicht lallender Stimme von seinem vermurksten Verhältnis zu seiner Frau zu erzählen. Ich ließ ihn reden, nickte an der einen oder anderen Stelle, schüttelte den Kopf oder machte ein erstauntes Gesicht. Wollte er, dass ich mir eine Meinung zu seiner innerfamiliären Misere bildete und diese kundtat? Sollte ich einfach nur zuhören, weil er mal jemanden brauchte, der das tat? Ich hatte keine Ahnung.
Um der Situation ihre Dramatik zu nehmen, stand ich auf, zog völlig unbedacht mein Kleid aus, zog mein Höschen herunter und warf den BH einfach obendrauf. Ich meinte, dass es eine Schande wäre, so eine lauschige Nacht unverrichteter Dinge verstreichen zu lassen und erklärte ihm, dass es manchmal einfach genüge, ins kalte Wasser zu springen, um den Kopf wieder frei zu bekommen.
Das Erstaunen über meine, so selbstverständlich wirkende Freizügigkeit spiegelte sich förmlich in seinem perplexen Gesichtsausdruck wieder. Ohne ihn weiter zu beachten, lief ich auf das Wasser zu. Mit jedem Schritt fühlte ich seinen Blick auf meinem Körper. Was tat ich da eigentlich? War ich wirklich so betrunken? Nach ein paar Metern glitt ich, in einem langen Schwimmzug endend in das wohltuend kühle Nass. Es fühlte sich einfach fantastisch an. Doch wie kam ich jetzt hocherhobenen Kopfes wieder an Land? Augen zu und durch. Im Schein des Mondlichtes konnte der Anblick meines Körpers nur halb so schlimm sein. Langsam aber mit sicheren Schritten trat ich aus dem Wasser auf ihn zu.
Er war inzwischen aufgestanden und hatte sein Hemd ausgezogen. Wollte er es mir vielleicht gleichtun und auch noch einmal in die Fluten stürzen? Das sollte er, es würde ihm sicher nicht schaden.
Doch damit hatte ich nicht gerechnet. Er breitete das Hemd aus, schlang es mir um die Schultern und zog mich, ohne etwas zu sagen an sich heran. So nah waren wir uns noch nie und es fühlte sich etwas falsch an, jedoch auf keinen Fall schlecht. Wir sahen uns einen Moment lang in die Augen, bis er flüsterte: „Du bist unglaublich!“. Es blieb keine Zeit etwas darauf zu erwidern. Er umschlang mit dem einen Arm meine Schulter und mit der anderen meine Hüfte, sah mir noch einmal fragend in die Augen, bis er mich mit einer Innigkeit auf den Mund küsste, die zu schreien schien, dass er sich nichts anderes wünschte, als dass dieser Moment eine Weile anhalten möge. Und ja, verdammt. Er küsste gut, sehr gut, fantastisch. Da kam mir sofort der Gedanke, dass ich mit Sicherheit nur eine von vielen Frauenwar, die in den letzten Jahren in den Genuss gekommen sind, einmal so geküsst zu werden.
Vorsichtig aber mit Nachdruck löste ich mich von seinen Lippen, um mir einen kleinen Denkvorsprung zu verschaffen. Was war hier eigentlich passiert? Habe ich ihn provoziert? Denkt er jetzt, ich hätte dort auf ihn gewartet, um es genau so geschehen zu lassen? Wie bescheuert bin ich eigentlich?
Mein Gedankenmarathon war ihm wohl nicht entgangen. Für so feinfühlig hatte ich ihn gar nicht gehalten. Er räusperte sich kurz, was mir zeigte, dass ihm die ganze Angelegenheit wohl auch ein wenig unangenehm zu sein schien. Wir sahen uns an und mussten beide grinsen. Mit seiner rechten Hand strich er mir behutsam über die Stirn, als wolle er eine imaginäre Haarsträhne zur Seite legen. Sein Finger glitt über die Schläfe, hinunter zum Hals. Dann umschlang er mit seinen langen Fingern mein Genick und raunte mir, fast unhörbar ins Ohr: „Bitte, lass mich jetzt nicht allein!“.
Jeder klare Gedanke in mir war damit auf Stumm gestellt. Sind dies nicht die Situationen, die uns sonst nur die Drehbücher von Hollywood vorgaukeln? Geschah das hier gerade in echt? War das ein Test? Mir scheißegal. Ich bin in Portugal, um Mitternacht, nackt, am Strand, mit einem absolut nicht unattraktiven Mann, der mich in genau diesem Moment begehrt, aus welchem Grund auch immer. Ich werde nicht darüber nachdenken, jedenfalls jetzt nicht!
Kaum sichtbar nickte ich. Gab mich dem hin, was dann geschah. Wieder küssten wir uns, jetzt leidenschaftlicher, als zuvor. Begierde machte sich in jeder Faser meines Körpers breit, so dass ich alles geschehen ließ, was seine Hände und Lippen mit mir taten. Er schien sich absolut ausgeklinkt zu haben, war nur noch im Hier und Jetzt. Wie aus dem Nichts war er plötzlich nackt. Ich spürte seine Erregung deutlich an meiner Lende. Er schob mich mit dem Hintern auf die Kante der hinter mir stehende Liege, spreizte meine Beine und kniete sich vor mich in den Sand. Mit beiden Händen meine Hüften umfassend glitt er in mich hinein. Meine Güte! Wie lange hatte das keiner mehr getan? Zu lange, stellte ich in diesem Moment fest. Immer und immer wieder zogen wir uns aneinander… ineinander. Ich warf meine Oberkörper nach hinten, wobei mir ein tiefes, nicht ganz leises Stöhnen entfuhr. Davon scheinbar angetörnt schob er seine rechte Hand zwischen meine Brüste und umfasste die linke gänzlich, was mich noch mehr erregte. Ich hielt mich an der hinteren Kante der Liege fest und konnte nur noch den bebenden Takt unserer Körper fühlen. Wir waren eins. Wir brauchten einander jetzt und sofort. Konnten uns genau das geben, was wir, jeder für sich gerade am meisten begehrten.
Keuchend und leicht schwitzend fand ich mich wieder und bemerkte, dass er, wie ein Kind, das im Schoß seiner Mutter Schutz sucht, meine Taille umgriffen hatte und sein Gesicht an meinen Bauch drückte. Es dauerte einig Minuten, bis wir uns wieder einigermaßen im Griff hatten. Bedächtig und etwas unbeholfen erhoben wir uns aus unserer Position, sammelten wortlos unsere Kleider auf, zogen uns an und gingen hinauf zum Hotel.
Auf dem Flur drückte er mir dann sanft einen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange und sagte leicht heiser: „Danke“. Ich schloss meine Zimmertür auf, drehte mich noch einmal kurz zu ihm um und antwortete lächelnd: „Dito“.
Wenige Wochen nach dieser Reise klingelte es eines Abends an meiner Tür. Eigentlich war ich mit niemandem verabredet und wollte nur die Füße hochlegen und diesen weiteren, anstrengenden Tag hinter mir lassen.
Hoffentlich war es nicht Christiane. Ab und an kam sie mal auf die Idee, unangekündigt mit einer Flasche Wein unterm Arm vorbeizuschneien, um ein wenig Mädchenplausch zu halten. Das konnte ich jetzt gar nicht gebrauchen. Ich hatte das Gefühl, alle mir zur Verfügung stehenden Wörter für diesen Tag aufgebraucht zu haben. Schlurfte widerwillig zur Tür, sah noch einmal, meinen Allgemeinzustand kontrollierend in den Flurspiegel, nahm das Bild, welches sich mir darbot mit einem Schulterzucken hin und öffnete.
Da stand Michael. Wie ein vom Regen überraschter Tropf stand er da mit deiner Flasche Rotwein in der Hand und bat mich um Einlass.
Woher kannte er meine Adresse? Ach ja, die Personalakte. Na toll. Hatte man eigentlich überhaupt keine Privatsphäre mehr? Na gut. Schließlich war ich ja kein Unmensch.
Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich ganz selbstverständlich auf das Sofa fallen und sah sich anerkennend um. „Schick hast du es hier. So gemütlich. Bei uns zu Hause ist alles so clean. Nie kann ich irgendetwas einfach herumliegen lassen. Meine Frau meint dann, das würde das Bild stören. Welches Bild eigentlich? Betonfarben in all ihren möglichen Facetten? Gepaart mit weißen Designermöbeln, auf denen es nur an genau dafür vorgesehenen Plätzen ein paar, wiederum in Graustufen abgestimmte Dekorationsartikel gibt? Ich fühle mich immer wie in einem Hochglanzmagazin für Innenarchitektur.“
Ich sah mich in meinen bescheidenen vier Wänden um und musste zugeben, dass es mir wirklich gelungen war, aus diversen, eigentlich nicht zueinander gehörenden Möbelstücken aus Haushaltsauflösungen und Sperrmüllhaufen ein kuschliges Ambiente zu gestalten. Mit viel Hingabe hatte ich manche Möbelstücke abgeschliffen, mit neuer Farbe versehen, antike Schrankknöpfe angeschraubt oder Stühle mit neuen Stoffen bezogen. Haufenweise Kerzen und Klimbim von Flohmärkten, sowie Kissen und Schmusedecken verschafften dem Raum eine urige Wohlfühl-Aura. Aber es war MEINE Scholle! Wollte ich meinen Vorgesetzten auf dieser wissen? Na mal sehen, was das hier zu bedeuten hat.
Ich holte zwei alte Keramikbecher aus dem Schrank und schenkte uns jedem etwas von dem Wein ein. Ein gutes Tröpfchen hatte er da besorgt. Der würde heute draufgehen. Das war der Preis für seinen spontanen Überfall. Aber es trifft ja keinen Armen, dachte ich noch so, als er nach meiner Hand griff und mich zu sich zog.
Würde es jetzt einfach da weitergehen, wo es in Portugal aufgehört hatte? Bei dem Gedanken schauerte es mich ein wenig.
Er platzierte mich neben sich, gab mir meinen Becher in die Hand und erklärte mir erstmal amüsiert, dass er noch nie Wein aus so einem Gefäß getrunken hätte, es aber interessant fand. Ich meinte, der Wein würde daraus genauso schmecken, wie aus einem dünnwandigen Kristallglas. Vielleicht ja sogar noch besser… ursprünglicher. Wir mussten beide darüber lachen, prosteten uns zu und schon sprudelte es aus ihm heraus.
Mich kaum zu Wort kommen lassend, beklagte er sich ohne Punkt und Komma über alle möglichen Zustände seines Lebens. Nichts wäre so, wie er es sich einmal ausgemalt hätte. Nichts von allem habe er gewollt. Das Studium, die Firma, das Haus, die eingefädelte Ehe mit seiner Frau, die Verantwortung, die zwölf-StundenTage, die Urlaube im Sommerhaus ihrer Eltern. Und so weiter und so weiter.
Ein wenig tat er mir leid. Aber andererseits auch wieder überhaupt nicht. Hatte man, wenn man in so eine Familie geboren wird, nicht alle Möglichkeiten, seinen eigenen Weg zu gestalten? War nicht immer genug Geld da, um sich zu kaufen, was man möchte, einer Ausbildung nachzugehen, die einen wirklich interessiert, Urlaub zu machen, wo es einen gerade hinzieht und all das Zeug? Waren seine Eltern nicht bedacht darauf gewesen, ihrem einzigen Sohn alle Freiheiten zu lassen, damit er glücklich würde?
Sicher hätte ich all diese Dinge hinterfragen können aber eigentlich interessierten sie mich nicht wirklich. Ich glaube nicht, dass er sich nach meinen Plänen erkundigen würde oder wissen wollte, was in meinem Leben so alles schiefgelaufen war. Also ließ ich ihn reden und genoss den köstlichen Wein. Zwischendurch machte ich uns ein paar Häppchen aus allerlei Resten, die ich noch im Kühlschrank finden konnte. Das Brot musste ich zwar kurz in den Toaster stecken, da es nicht mehr ganz frisch war aber er musste es ja nicht essen, wenn es ihm nicht zusagte. Hier und da eine halbe Tomate und ein Gürkchen verteilt, etwas Paprikapulver auf die Käsescheiben gestreut und vom Fensterbrett einige Petersilienblättchen abgepflückt, stellte ich das bunt bestückte Brett zwischen uns auf die Couch.
Wie selbstverständlich griff er nach den Schnittchen und kaute genüsslich darauf herum, während er immer weitersprach. Zwischendurch entglitt ihm mal ein „Hmmm“ oder „Lecker diese kleinen Dinger“, was mich innerlich freute und mir sagte, dass auch reiche Leute mal nur Brot essen können.
Zum Ende seines Gejammers fragte er mich tatsächlich, ob ich mir vorstellen könnte, ab und an mal ein bisschen „Auszeit“ mit ihm zu verbringen. Ganz schön dreist der junge Mann. Hätte er nicht erstmal fragen sollen, ob ich vielleicht jemanden habe, mit dem ich dies gewöhnlich tue? Denken solche Menschen tatsächlich immer zuerst an ihren eigenen Vorteil? Wahrscheinlich war das so und wahrscheinlich konnte man auch nur mit derartigen Eigenschaften solche Karrieren starten. >Erst ich und nach mir die Sintflut! <
Verdattert und nicht so ganz verstehend, wie er das nun genau meinte, sah ich ihn fragend an, wobei ich mich auch noch leicht an meinem Wein verschluckte, was zu einem nervösen Husten führte. Für ihn schien sein Anliegen vollkommen legitim. Er meinte völlig abgeklärt: „Was wäre dir weg? Wir machen es uns ab und zu mal ein paar Stündchen schön und tun uns gut. Keine Verpflichtungen, keine Nervereien, kein Alltagsmist.“
Ich musste innerlich zugeben, dass eine derartige Verbindung gerade die stressfreiste Variante wäre, ab und zu mal Sex zu haben und da wir in der Firma ohnehin nur zu offiziellen Terminen Kontakt hatten, gäbe es auch dort keine peinlichen oder verräterischen Momente. Selbstverständlich konnte ich ihm nicht die Genugtuung geben, mein sofortiges Interesse zu bekunden. Also sagte ich etwas schnippisch: „Ich denk mal drüber nach.“
Als hätte er bereits die Trophäe im Sack, lehne er sich schwungvoll zurück, zog mich zwischen die Kissen neben sich und beugte sich selbstsicher über mich. Mit einem gewissen Unterton raunte er mir zu: „Du bist so anders, als die anderen Frauen. So unkompliziert. Zeterst nicht wegen jeder Kleinigkeit umher, strahlst eine Rigorosität aus, die schon so Manchen in der Firma zum Staunen gebracht hat. Du bist einfach so perfekt unperfekt.“
Ich konnte nicht behaupten, dass mir diese kurze Zusammenfassung meiner Person nicht doch ein wenig schmeichelte.
Meine Gedanken über seine Worte zerstreuend küsste er mich innig und fordernd. Wollte er mich jetzt etwa hier auf der Couch vernaschen? Ich wollte schreien: „Nein! Das geht nicht!!!“ Ich hatte weder geduscht, noch wusste ich, wann ich das letzte Mal einen Rasierer benutzt habe. Es gab keinerlei Aussicht auf derartig menschliche Kontakte in meinem Leben. Mimi Fiedler meinte mal in einem ihrer Bücher, eine Frau müsste immer „Fuckeble“ sein, was so viel bedeutet, dass man stets und ständig bereit zum überraschendend stattfindenden „Verkehr“ sein solle. Einen Scheiß muss ich! Zumindest dachte ich das bis zu diesem Augenblick.
Etwas umständlich wand ich mich aus seiner Umarmung, um ihm zu erklären, dass ich noch mal ganz kurz das Badezimmer aufsuchen müsste. Er schmunzelte und warf sich wieder auf das Sofa. Wie eine Wilde stolperte ich durch den Flur. Stellte die Dusche an, kramte in einer Schublade nach einem neuen Einwegrasierer und absolvierte in Windeseile den Shaving-Marathon, ungläubig auf die Menge an kleinen Härchen blickend, welche sich dabei in der Duschwanne sammelten. Und zack, der obligatorische Schnitt in die Achillessehne. Schitt…
Haarwäsche im Schnelldurchgang und auch gleich mit dem Shampoo den Rest des Körpers vom Alltagsmuff befreit. Ich wickelte Kopf und Körper in ein Handtuch und trat genauso wieder ins Wohnzimmer.
Er lag mit geschlossenen Augen da und machte einen sehr erschöpften Eindruck auf mich. Regten sich da etwa Gefühle, die hier keinerlei Daseinsberechtigung hatten? Egal. Ich schlich leise auf ihn zu, betrachtete diesen unschuldig schlummernden Mann unter mir, schwang das linke Bein über ihn und setzte mich auf seinen Schoß. Ein kleiner Schreck ließ ihn kurz zucken, doch sogleich blickte er durch seine halbgeöffneten Augen zu mir herauf, sichtlich wohlwollend über das Bild, was sich ihm da bot. Langsam strich er mit den Fingerspitzen die nassen Tropfen von meinen Armen, öffnete das Handtuch, so dass ich in voller Blöße vor ihm saß. Zum Glück war es inzwischen draußen dunkel und nur die Kerzen erhellten flackernd anheimelnd den Raum. So konnte ich mich etwas selbstsicherer auf seine Blicke einlassen. Gier flackerte in seinen Augen. Er strich über meine Brüste, die durch das verdunstende Wasser von einer leichten Gänsehaut überzogen waren, welche wiederum dazu beitrug, dass meine Nippel zu harten kleinen Knospen wurden. Oder waren es seine Berührungen, die dafür sorgten? Er wusste genau, wo er eine Frau berühren musste, damit sie ihm gefügig wurde und genau das tat er auch an diesem Abend mit mir.
Die Redewendung „die Beine hochlegen“ erhielt plötzlich eine völlig andere Bedeutung. Und war es nicht genau das, was ich mir an diesen Abend vorgenommen hatte? Augenblicklich musste ich innerlich schmunzeln.
Schließlich wurde es für einige Wochen zu Gewohnheit, dass er Freitagabend vorbeikam, ich etwas Leckeres kochte, er Wein mitbrachte und wir letztlich auf der Couch oder im Schlafzimmer landeten, um miteinander zu schlafen.
Er empfand dieses Arrangement als absolut befriedigend, was ich für meinen Teil nicht behaupten konnte. Recht schnell langweilte mich dieses immer wiederkehrende Schema. Auch hatten wir einander nicht wirklich viel zu sagen. Er redete zwar in einem fort, fragte mich jedoch nie wirklich nach meiner Meinung oder interessierte sich für mein Leben. Ich war für ihn einfach ein Druckventil. Und je länger diese Liaison anhielt, umso lustloser wurde ich. Reichte es mir doch nicht aus, nur einen Liebhaber für gewisse Stunden zu haben? Von Woche zu Woche wurde mir klarer, dass ich doch einen Menschen an meiner Seite wollte, der mich als Ganzes sieht, begehrt, fordert…liebt. Ich fühlte mich benutzt. Benutzt von einem Menschen, der noch nicht einmal in böser Absicht handelte. Er ging einfach rigoros seinen Bedürfnissen nach. Wenn ich doch auch ein kleines bisschen mehr in der Lage wäre, mit mir selbst so umzugehen.
Immer behielt ich in den letzten Jahren im Auge, dass es auch ja allen Menschen um mich herum gut ging. Verzicht auf ganzer Linie. Für meinen Sohn, dessen Vater, meine Kollegen, Freunde, einfach für alle. Man hörte von mir selten ein > Nein <. Stets überlegte ich mir, wie es organisiert werden könnte, dass jeder zufrieden ist. Außer mir selbst. Das jedoch fiel mir erst nach vielen Jahren auf. Erst dann, als sich alle Menschen in meinem Umfeld daran gewöhnt hatten, ja davon ausgingen, dass ich schon alles richten würde. Für mich war dieses Handeln inzwischen so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich meinen eigenen Wertverlust lange Zeit gar nicht bemerkte.
Nachdem Tristan sich vor sieben Jahren auf seinen eigenen Weg gemacht hatte, wurde mir nach und nach bewusst, dass ich nun nichts anderes mehr zu tun hatte, als mich um mich selbst zu sorgen und zu bemühen. Eine sehr eigenartige Vorstellung.
Ich brauchte ein paar Wochen, um mein Leben neu zu sortieren. In der Wohnung war es nun viel stiller, als in den einundzwanzig Jahren zuvor. Hatte ich mir das nicht immer wieder gewünscht? Was hatten wir für lautstarke Auseinandersetzungen, als er der Meinung war, man könne Musik nur fühlen, wenn sie über neunzig Dezibel erreichte. Und das zwischen 22:00 und 01:00 nachts, wo berufstätige Menschen gewöhnlich schlafen. Der Rhythmus eines Teenagers hat ein paar Jahre lang nicht annähernd den eines normalen Menschen. Zum Glück ist dies aber nur eine Phase, die es auszuhalten gilt.
Nachdem ich seinen Auszug zu Marie innerlich akzeptiert hatte, schließlich war der Junge einundzwanzig und sollte wissen, was er tat, wünschte ich den beiden alles Glück dieser Welt und dass ihre große Liebe so lang wie möglich anhalten möge.
Nicht, wie damals bei seinem Vater und mir. Wir liebten, nachdem wir uns wenige Jahre nach einem > heißen Sommer < wiedertrafen und aufeinander einließen, lediglich die Vorstellung voneinander. Die Vorstellung davon, wie unsere Jugend verlaufen wäre, wenn wir schon damals ein Paar geworden wären, mit all den Phantasien von einer perfekten Familie, die wir uns damals ausdachten aber nie umsetzten. Es war eben nur ein verliebter Sommer. Wir hatten Träume, die das Ende der Ferien in Windeseile wieder wegpustete. Andreas wechselte das Unternehmen und ging nach Hamburg und ich hatte den Vertrag für ein Praktikum in Westphalen unterschrieben.
Es vergingen vier Jahre, bis wir uns zufällig bei den Weihnachtseinkäufen > zu Hause < wiedertrafen. Mein Herz machte damals einen Riesenhüpfer, als ich ihn aus etwa zehn Meter Entfernung erblickte.
Sollte ich einfach auf ihn zugehen und heiter „Frohe Weihnachten“ wünschen? Zweifelnd bog ich in den nächsten Gang und hoffte irgendwie, er würde in Richtung Kasse gehen und einfach wieder verschwinden. Komplikationen konnte ich schon immer auf hundert Meter Entfernung riechen und hier waren es gerade einmal zehn.
Eilig arbeitete ich meinen Einkaufszettel ab, sah mich nicht mehr um und wollte einfach nur noch diesen Menschenmengen entkommen, die genervt durch die Gänge marschierten, um für zwei Tage ihre Einkaufswagen vollzustopfen, als stünde uns die Apokalypse bevor.