Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Wiedersehen im Dezember Maggie erfüllt sich ihren Traum von einer eigenen Tradition. Ein Abendessen im Dezember, bei dem Freunde und Familie zusammenkommen und die Vorweihnachtszeit einläuten. Jeder Gast kommt mit seiner eigenen Geschichte, mit Träumen, Wünschen und auch Schicksalsschlägen. Ein Jahr geht zu Ende, ein neues beginnt. Dass das Leben immer wieder für eine Überraschung gut ist, sehen alle im Verlauf des Jahres, bis es heißt: Wiedersehen im Dezember.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 330
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Swantje Lange lebt in Berlin und hegt eine Leidenschaft für dunklen Rum, Lesen im Strandkorb und das Beobachten von Eichhörnchen im eigenen Garten.
Manchmal wird ihr gesagt, sie hätte zu viel Fantasie.
Wie man zu viel davon haben kann, versteht sie selbst kein bisschen, und geschrieben, geschrieben hat sie eigentlich schon immer.
Für die Bannarows
Prolog
Kapitel 1
Maggie
Penny
Luca
Jonas
Nora
Serafina
Tom
Maggie
Reka
James
Reka
Maggie
Kapitel 2
David
Serafina
Nora
Reka
James
Maggie
Jonas
Luca
Penny
Tom
Nora
David
James
Kapitel 3
Maggie
Serafina
Kapitel 4
Reka
David
Maggie
Reka
Jonas
Kapitel 5
Maggie
Serafina
Clara
Reka
James
Kapitel 6
Nora
Serafina
Kapitel 7
Penny
Maggie
Reka
Kapitel 8
Jonas
Serafina
Kapitel 9
James
Luca
Kapitel 10
Maggie
Clara
Luca
Reka
Kapitel 11
David
Serafina
Nora
Maggie
Reka
Kapitel 12
Serafina
Tom
Jonas
David
Kapitel 13
Maggie
David
Clara & Jonas
Nora & Maggie
Serafina
Jonas
Penny
Luca
Kapitel 14
Reka
Jonas
Serafina
David
James
Reka
Luca
Nora
Penny
Maggie
Kapitel 15
Serafina
James
Penny
Reka
Maggie
Jonas & Clara
Kapitel 16
Maggie
James
Serafina
Reka
Jonas
Tom
David
Maggie
Nora
David
Nora & Maggie
Kapitel 17
Luca
Jonas
Milan
James
Reka
Clara
Serafina
Maggie
Penny
Nora
Maggie
Serafina
Tom
Maggie
Kapitel 18
Milan
Serafina
David
Luca
Maggie
Reka
Serafina
James
Kapitel 19
Serafina
Maggie
Penny
Maggie
Tom
Jonas
Nora & Maggie
Kapitel 20
Serafina
Nora
Reka
Maggie
Luca
Maggie & Serafina
Clara
Kapitel 21
Reka
Maggie & Serafina
Milan
Penny
Reka
James
Kapitel 22
Penny & Maggie
Nora
Reka
Tom
Serafina
Maggie
James
Kapitel 23
Milan
Penny
Jonas
Serafina
Maggie
Luca
James
Kapitel 24
Reka
Serafina
Clara
Kapitel 25
Maggie
Nora
Reka
Maggie
Penny
Jonas & Clara
Luca
Milan
Nora & Maggie
Kapitel 26
James
Maggie
Reka
Maggie
Kapitel 27
Serafina
Tom
Maggie
Luca
James
Kapitel 28
Maggie
Jonas
Nora
Kapitel 29
Milan
Penny
Serafina
Maggie
Luca
Maggie
Kapitel 30
Maggie
Jonas
Clara
Penny
Nora
James
Maggie
Reka
Penny
Luca
Clara & Jonas
Serafina
Maggie
James
Milan
Maggie
Maggie wirft das Geschirrtuch gezielt ins Spülbecken, nun ist die große Tafel sauber. Bevor sie die Einkäufe verräumen wird, ist es ihr ein dringendes Bedürfnis, die Tischdecke aufzulegen. Sie steckt geschickt ihre Finger zwischen die Stoffschichten aus Leinen und breitet das Tischtuch ordentlich aus.
Nun tritt sie in die Küche und begutachtet die vielen Köstlichkeiten. Zwei große Papiertüten wurden ihr liebevoll im Feinkostgeschäft an der Hauptstraße gepackt. Frische Pasta, Dips, eingelegte Champignons, hauchdünner Schinken, ein ganzer Laib Käse, Oliven und Butter. In ihrem Weidenkorb finden sich allerlei Gemüsesorten und Obst wieder. Gelbe und grüne Zucchini, Paprika, Aubergine, Tomaten sowie Beeren, Äpfel, Birnen und Weintrauben. Auf der Arbeitsplatte direkt am Fenster steht die Kiste Wein, welche sich Maggie schon gestern liefern lassen hat – drei Flaschen Merlot, drei Flaschen Shiraz.
Sie fängt an, alles was bis zum Abend hin gekühlt werden muss, in den großen Kühlschrank zu räumen. Dabei freut sie sich über die Saftflaschen, die dort bereits vorbereitet liegen: ein Apfelsaft von Streuobstwiesen, eine Mischung aus Quitte und Birne und ein Rhabarbersaft sind in Seidenpapier eingeschlagen im Flaschenfach zu sehen.
Ein bisschen nervös ist Maggie aber bei all der Vorfreude auch, so viele Personen bei sich zu Hause zu versammeln birgt auch einige Risiken. Sie wünscht sich einen lustigen, redseligen Abend, an dem alle zufrieden sind. Es gibt keinen echten Anlass, nur Maggies Wunsch eine Tradition ins Leben zu rufen, ihre eigene. Sie stellt sich vor, wie die Leute in zehn Jahren zum Beispiel sagen würden: „Nein, da haben wir keine Zeit, am ersten Samstag im Dezember sind wir immer bei Maggie zu Gast.“ Vielleicht albern, sich so etwas auszumalen, aber Maggie erfüllt die Vorstellung mit Glück und Zufriedenheit.
Sie mochte die Weihnachtszeit lange nicht besonders, aber das will sie ändern. Sie will gegen Einkaufsstress, geheuchelte Freundlichkeit und Familienstreit ankämpfen und etwas Schönes erschaffen. Eine geborgene Gemütlichkeit mit Kerzen, Wärme, Leckereien und Liebe. Einen alljährlichen Abend, an den sich alle Gäste gerne und lange erinnern, mit Vorfreude auf das Treffen im kommenden Jahr.
Maggie ist genau in der Sekunde mit allen Vorbereitungen und dem Umziehen für den Abend fertig, als es an der Tür klingelt. David ist der erste Gast, der in Begleitung seiner Freundin Nora das kleine Haus betritt. Maggie und David haben als Kinder in derselben Straße gewohnt und sind seit jeher Freunde, mal enger, sowie im Kindergarten, dann wieder etwas lockerer, zur Grundschulzeit, wo Jungs und Mädchen ja eher selten gut miteinander auskommen. Aber die Verbindung riss nie ab, auch Jahre nachdem keiner der beiden mehr zu Hause bei den Eltern lebt, mailen sie sich regelmäßig, um sich auf dem Laufenden zu halten. David wollte schon immer in eine größere Stadt ziehen, blieb allerdings, nach etlichen Reisen in die Ferne, trotzdem in der Nähe. Er arbeitet an der Uni als Dozent für Ägyptologie und ist nun schon drei Jahre mit Nora zusammen, die Maggie mittlerweile auch fest in ihr Herz geschlossen hat.
Kaum hat Maggie die Mäntel aufgehangen, läutet es erneut und eine größere Gruppe steht vor der Tür, wie ein Weihnachtschor. Das Hallo ist groß, liebevoll und laut. Maggies kleiner Bruder Jonas ist gekommen, ihre gute Freundin Penny mit ihrem Mann Tom, ihr Nachbar James mit seinen zwei Kindern Luca und Milan, Maggies Tante Serafina und Reka, Maggies liebste Kollegin sind da.
Zumindest aus Erzählungen weiß jeder von jedem eine Kleinigkeit. Kein Wunder, da all diese Menschen wichtiger Bestandteil in Maggies Leben sind. Jeder auf eine andere, aber ganz besondere Art. Kurz überlegt Maggie für sich, ob das wirklich stimmt, aber ja, selbst die Partner ihrer Freunde oder die Kinder ihres Nachbarn James haben auch alle auf ganz eigene Art ihre Rolle in Maggies Leben. So begrüßen sich alle herzlich, egal ob sie sich vorher persönlich schon einmal gesehen haben oder auch nicht. „Maggie, dein Zuhause ist wundervoll.“, sagt Nora offen heraus und die vierzehnjährige Luca fragt: „Warst du etwa noch nie hier?“ Nora verneint die Frage und Maggie grübelt, warum Nora ihr Häuschen noch nicht kennt. Wahrscheinlich, weil sie sich immer auswärts mit David getroffen haben.
Dann betreten alle den Essbereich, der einen Blick in die offene Küche zulässt. Kurz ist die gesamte Gruppe still, weil sie staunen und sich freuen. Der ganze Raum ist ein Kerzenmeer. Maggie stellt sich an die Kopfseite des Tisches: „Hier würde ich gerne sitzen, um schnell in die Küche zu können, sonst könnt ihr gerne selbst auswählen, wo ihr sitzen wollt.“ Jonas ist der Erste, der sich selbstbewusst neben seine Schwester stellt und sagt: „Na dann komme ich mal direkt zu dir, Schwesterherz.“ Maggie lächelt ihn an und dann wuseln alle um den Tisch herum. Die Nachbarstochter Luca findet neben Jonas Platz, was Maggie mit einem innerlichen Grinsen quittiert, sie weiß, dass das junge Mädchen für ihren Bruder schwärmt. Daneben setzt sich Serafina, die Tante von Maggie und Jonas, dann Tom und Penny. Auf der anderen Seite reihen sich gleich neben Maggie erst Reka, dann Nora und David und schließlich Milan und James auf. Alle scheinen zufrieden, nur Milan versteht nicht wirklich, warum seine Schwester so weit weg von ihm und ihrem Papa sitzt. Er akzeptiert den Zustand aber, als James und Serafina ihm versichern, dass es auch ganz schön ist, sich fast gegenüber zu sitzen.
Maggie hat alle Getränke und kalten Speisen auf der großen Tafel verteilt und geht nun nur noch in die Küche, um zwei große Auflaufformen mit Ofengemüse und Pasta in Kräuter-Sahnesoße zu holen, die sie auf den Untersetzern mittig auf dem Tisch platziert.
„Ich freue mich wirklich sehr, dass ihr alle gekommen seid. Ich weiß, die Vorweihnachtszeit ist immer stressig und eine Feier jagt die nächste, aber diese hier soll euch nur verwöhnen, nur ein gemütlicher Abend mit Freunden. Nehmt euch Essen und Getränke, es steht alles bereit. Und schreit, wenn euch etwas fehlt.“, verkündet Maggie als kleine Einleitung. Während sie spricht, hat James bereits Wein ausgeschenkt, für die Kinder und Penny Saft. „Auf Maggie!“, ruft nun Serafina und hebt ihr Glas und alle tun es ihr gleich: „Auf Maggie!“, rufen sie im Chor.
Zum Glück wundert sich niemand, warum Penny keinen Wein trinkt. Sie liebt Wein, aber sie ist im zweiten Monat schwanger und bis auf ihren Mann Tom weiß niemand Bescheid. Nicht einmal Maggie. Sie will abwarten, bis die ersten drei Monate um sind. Im letzten Jahr hatte sie eine Fehlgeburt, sie könnte es nicht ertragen nochmals mit mitleidigen Blicken von aller Welt bedacht zu werden. Penny ist beruhigt, dass sich diese Woche ihre Schwangerschaftsübelkeit gelegt hat, so wird hoffentlich niemand Verdacht schöpfen. Maggie hätte sich schon wundern können, dass Penny keinen Wein trinkt, aber sie kommt ihr etwas aufgeregt vor, bei all dem Besuch, dass es ihr vielleicht gar nicht aufgefallen ist. Tom streicht ihr immer wieder über den Rücken, was Penny sehr genießt. Sie beobachtet den neunjährigen Milan und grübelt, ob sie wohl einen Jungen oder ein Mädchen bekommen wird. „Penny, hörst du mich?“, Penny wird ganz plötzlich aus ihren Gedanken gerissen, schüttelt kurz ihren Kopf und schaut dann auf zu Maggie, die sie anscheinend etwas gefragt hat. „Tut mir leid, was sagst du?“, fragt Penny entschuldigend. Tom nimmt Maggie eine Schüssel Salat ab und hält sie Penny direkt vor die Nase: „Ob du Salat möchtest, wollte Maggie wissen.“ „Sehr gerne.“, lächelt Penny erst Tom und dann Maggie an. Peinlich findet sie es, dass sie so abwesend ist, aber die anderen am Tisch scheinen es kaum mitbekommen zu haben. Das Nachbarsmädchen ist wie in einen Bann gezogen, sie weicht mit ihrem Blick keine Sekunde von Jonas ab, der eine Geschichte von seiner letzten Bahnfahrt erzählt. James, der Penny gegenübersitzt, schaut, was Milan sich alles auf seinen Teller geladen hat und versucht ihn zu überzeugen, dass er die Nudeln mit Soße erst als zweiten Gang nehmen sollte.
Luca liebt es, bei Maggie zu Hause zu sein. Seit ihre Mutter nicht mehr bei ihnen wohnt, ist Luca oft hier. Und dass ihre Mutter weg ist, ist nun schon fast vier Jahre her. Maggie hat damals oft auf sie und Milan aufgepasst. Aber nie wie eine Babysitterin. Milan und sie durften einfach immer rüber zu ihrer Nachbarin gehen, wenn ihr Papa mal zu einem Termin musste oder über Nacht nicht in der Stadt war. Maggie hat Luca schon als Zehnjährige wie eine Erwachsene behandelt, diese Tatsache wusste Luca schon immer zu schätzen. Maggie und sie haben sich die Fingernägel lackiert und geredet, wie es Mädchen eben tun, während ihr kleiner Bruder früh im Bett war oder nachmittags Zeichentrickserien auf Maggies gemütlichem Sofa ansehen durfte. Fast genauso lange kennt Luca auch Jonas. Und Jonas ist der coolste Typ auf der ganzen Welt. Er hat Luca auch nie wie ein Kind behandelt und umarmt sie immer, wenn sie sich sehen. Natürlich trifft Luca sich nie alleine mit Jonas, aber ihr Herz macht jedes Mal einen riesigen Hüpfer, wenn sie ihn sieht. Gerade als sich Luca die letzte Gabel Pasta in den Mund schiebt, hört sie Maggie fragen: „Jonas, warum hast du Clara nicht mitgebracht? Wir hätten sicher noch einen Platz für sie gefunden.“ Luca erstickt fast an ihren Nudeln, wer verdammt nochmal ist Clara, fragt sie sich und starrt auf ihren Teller, weil sie es nicht wagt, Jonas weiterhin anzusehen, während er von einer Frau spricht. „Clara besucht gerade ihre Eltern und keine Ahnung, irgendwie habe ich vergessen, sie so richtig einzuladen.“, antwortet er seiner Schwester. „Läuft es nicht gut?“, fragt Maggie daraufhin. Luca hört Jonas' Antwort nicht mehr. Sie springt auf und geht durch den Flur zur Gästetoilette. Clara scheint wirklich seine Freundin zu sein. Niemand hat Luca gesagt, dass Jonas eine feste Freundin hat. Vor vier Monaten hatte er noch keine, auf jeden Fall hat nichts darauf hingedeutet, als Luca sich bei Maggies letzter Geburtstagsfeier mit ihm unterhalten hat. Oder fand er, dass es sie gar nichts angeht?
Jonas nimmt einen extra großen Schluck aus seinem Weinglas. Auf ein Verhör seiner großen Schwester hat er jetzt wirklich keine Lust. Clara und er kennen sich schon lange, ab und an lief lose etwas zwischen den beiden, aber seit drei Monaten entwickelt sich etwas Festeres aus der Geschichte. Nur, dass Jonas nicht weiß, ob er das wirklich will. „Es läuft wie es läuft. Ich muss sie ja nicht sofort deinem Urteil und dem von Tante Serafina aussetzen. Außerdem kennt sie doch auch sonst niemanden von deinen Gästen.“, reagiert er genervter als es Maggie verdient hat und das weiß er auch. Sie sagt nichts und nimmt sich etwas vom Gemüse und drei Scheiben Schinken. Er streicht ihr über den Arm: „Tut mir leid. Einfach kein gutes Thema. Das Essen ist übrigens klasse.“ „Okay, danke.“, sagt Maggie, aber Jonas merkt, dass sie geknickt ist. „Wo ist Luca hin?“, fragt er, um das Thema zu wechseln. Maggie weiß es nicht, vermutet die Toilette.
Jonas wendet sich zu seiner Tante und beginnt eine Unterhaltung über das Buch, welches er ihr das letzte Mal mitgebracht hat. Serafina zerpflückt es in alle Einzelteile, aber ihr Fazit ist trotzdem positiv. Jonas liebt die Kritiken seiner Tante. Sie sollte so etwas beruflich machen. Aber dann hätte sie wahrscheinlich keine kleine Frühstückspension mit dem besten Streuselkuchen der Welt und das würde er auch traurig finden.
Nora ist dankbar, dass Maggie sich die Zeit nimmt, ihr das ganze Haus zu zeigen, sie scheint die Einzige zu sein, die noch nie hier war. War David mal ohne sie hier zu Besuch gewesen? Die aufflammende Eifersucht versucht Nora sofort beiseite zu schieben, denn sie vertraut David und mag Maggie. Auch wenn es manchmal ein komisches Gefühl ist, dass die zwei sich schon so lange kennen.
„Ich habe das Haus von meinem Patenonkel geerbt. Es ist klein aber fein, mehr eine Hütte“, witzelt Maggie. Im oberen Stockwerk befindet sich Maggies Schlafzimmer mit angrenzendem Badezimmer mit Eckbadewanne. Ein Gästezimmer mit Duschbad und ihr Büro, das von unten bis oben vollgestopft ist mit Büchern. Ein großer weicher Sessel steht in einer Ecke und am bodentiefen Fenster mit Blick in den kleinen Garten steht Maggies Schreibtisch mit ihrem Notebook. Das Untergeschoss besteht bis auf das Gäste-WC im Flur und eine Abstellkammer eigentlich nur aus einem großen Raum, der als Wohnzimmer beginnt, zu einem Esszimmer wird und als Küche endet. Das Haus ist wirklich nicht riesig, aber für eine Person alleine sind auch neunzig Quadratmeter viel Platz.
Nora verspürt Neid, sie würde gerne etwas ruhiger und dafür in so einem gemütlichen Haus wohnen. Aber David liebt das Stadtleben und nimmt dafür auch in Kauf, dass die Mieten unsagbar hoch sind und sie sich ein kleines Appartement mit fünfundfünfzig Quadratmetern teilen, ein Kinderzimmer nirgends in Sicht.
Aber Nora versucht auch diese Gedanken zu vertreiben, denn so gern Maggie hier wohnt, sie würde sicher alles dafür geben, ihren Patenonkel zurückzubekommen und dafür auf dieses Haus verzichten. Nora weiß von David, dass Markus die wichtigste Bezugsperson für Maggie war, schon immer. Mehr noch als ihre Eltern. Sie war ein halbes Jahr kaum ansprechbar, nachdem er bei einem Autounfall ums Leben kam.
„Es ist wirklich ein tolles Zuhause. Vielen Dank für die exklusive Tour!“, sagt Nora und lächelt Maggie an. Die merkt aber, dass etwas nicht stimmt und fragt: „Ist alles in Ordnung?“ „Ja, doch. Ich bin einfach nicht so gut drauf, irgendwie ist es gerade nicht so gut zwischen David und mir. Aber das sollte ich dir wahrscheinlich gar nicht erzählen.“, erwidert Nora. Maggie ist verständnisvoll und sagt Nora, dass sie immer mit ihr reden kann, dass sie doch auch Freunde sind. Nicht nur David und Maggie. Das bedeutet Nora viel, aber sie lehnt das Angebot vorerst ab.
Serafina sieht auf, als Maggie und Nora wieder zu den anderen stoßen. Wahrscheinlich hat Maggie ihr das Haus gezeigt. Nora wirkt traurig, aber Serafina kennt sie kaum und möchte sich eigentlich kein Urteil dazu bilden. Es geht sie ja auch gar nichts an. Stolz blickt sie Maggie an. Ihre süße, kleine Nichte, die am Ende doch nur zehn Jahre jünger ist als sie. War sie selbst in Maggies Alter so erwachsen? So klug und schön? Hat sie so viele Leute zu einer Dinnerparty eingeladen? Wahrscheinlich nicht. Sie ist gereist, war mal hier, mal dort, war schon immer die verrückte Tante, die lustige Geschichten erzählt hat. Und ja, jetzt ist sie wieder zu Hause, durch ihre Pension gebunden an einen Ort, aber trotzdem kein bisschen bodenständig oder solide.
Die Entscheidung das Bed&Breakfast zu eröffnen, hat sie in fünf Minuten und ganz allein getroffen. So wie alle Entscheidungen in ihrem Leben, immer ganz aus dem Bauch heraus. Zu ihren Bedingungen, ihre Ideen. Damit können nicht viele Menschen gut umgehen, klar, ihre Familie kennt sie so, Freunde schätzen ihre spontane Art, aber ein Mann hat es bei ihr nie lange ausgehalten. Oder hat Serafina es nie lange mit einem Mann ausgehalten?
„Maggie, ich werde mich langsam auf den Heimweg machen. Ich habe fünf belegte Zimmer und muss morgen früh raus.“, richtet sie ihr Wort an die Gastgeberin. Maggies Blick sieht unheimlich traurig aus: „Jetzt schon? Es gab doch noch gar keinen Nachtisch. Bitte bleib noch ein wenig, bitte.“ Serafina schaut erneut auf die Uhr. Kurz nach neun. Sie seufzt: „Okay, aber um zehn muss ich spätestens los.“ Maggie strahlt. Allein für dieses Lächeln lohnt es sich, morgen früh schrecklich müde zu sein, denkt sich Serafina.
„Ist mit Penny alles in Ordnung?“, wird Tom von Maggie gefragt, als er ihr hilft den Tisch abzuräumen. „Ja, alles bestens.“, erwidert er und kommt sich bescheuert vor, Pennys beste Freundin zu belügen. Er versteht, warum Penny die Schwangerschaft nicht an die große Glocke hängen will, aber ist sich auch nicht sicher, ob es gut ist, dass sie alles mit sich allein ausmacht. Natürlich ist er selbst auch für seine Frau da, aber er spürt, dass ihr eine Unterhaltung mit einer anderen Frau guttun würde. Jedoch war ihre Ansage klar: „Kein Wort, zu niemandem“. Hoffentlich vergeht der dritte Monat ohne ein Unglück, dann hat das Versteckspiel endlich ein Ende und ganz vielleicht ist es ihm dann auch erlaubt, sich auf sein Kind zu freuen.
Tom ärgert sich über seine genervten Gedanken, weil er alle Einwände von Penny nachvollziehen kann, jedoch nicht unbedingt zu hundert Prozent mit ihnen übereinstimmt.
„Sie scheint etwas neben sich zu stehen?!“, stört Maggie seine Gedanken. „Ach, lass ihr etwas Zeit, sie wird bestimmt in wenigen Wochen mit dir sprechen.“, plappert Tom nun drauf los. Mist.
Ha, sie wusste es, irgendwas ist anders mit ihrer Freundin. Sie ist bestimmt wieder schwanger. Und in Toms erschrockenen Augen kann sie deutlich erkennen, dass er es ihr nicht sagen durfte und auch sicher keine Andeutung machen sollte. Sie nickt wissend und sagt mit einem Zwinkern: „Alles klar, die Vorweihnachtszeit hat es ja auch in sich. Danach erzählt mir Penny sicher wieder ausführlich, was sie so umtreibt. Bis dahin halte ich mich mit Nachfragen zurück.“
Man sieht, wie sich Erleichterung in Toms Blick breit macht. Er atmet sogar hörbar aus, als hätte er gerade die Luft angehalten. „Danke fürs Helfen.“, setzt Maggie nach und scheucht ihn aus der Küche.
An seine Stelle tritt Reka, die nun auch Hilfe anbietet und nach Maggies Bitte alle Gäste nach Kaffee- oder Teewünschen fragt.
„Hat es dir geschmeckt?“, fragt Maggie ihre Kollegin, die schon lange mehr ist als das – eine wahre Freundin nämlich. „Aber klar doch, was du da alles aufgetischt hast, unglaublich.“, schwärmt sie und Maggie wird fast ein bisschen rot. Für den Nachtisch hat sie am Vormittag einen Schokoladenkuchen gebacken und eben eine Obstplatte mit allerlei Früchten und vielen Waldbeeren drapiert.
„Wie war dein Meeting gestern Nachmittag mit dem Big Boss?“, fragt sie Reka noch, bevor sie gemeinsam alles zu den anderen tragen. „Das muss ich dir ganz in Ruhe erzählen. Ich glaube, ich habe etwas Dummes getan.“, antwortet Reka ihr und überrascht sie mit dieser Antwort. „Etwas Dummes? Du doch nicht. Aber es klingt spannend. Wenn du es nicht eilig hast, freue ich mich, wenn du nachher noch bleibst, wenn alle abhauen.“
„Kommt darauf an, wann das der Fall ist. Ich bin morgen früh zum Schlittschuhlaufen verabredet.“, gibt Reka zurück, hofft aber, dass sie wirklich noch Zeit zum Reden unter vier Augen bekommen. Denn das, was da gestern bei dem Meeting passiert ist, beziehungsweise danach, das war auf jeden Fall etwas Dummes. Aber seltsamerweise bereut Reka es kein bisschen. Es war aufregend, verboten und es geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie hat eher Angst, was Maggie wohl dazu sagen wird.
Aber sie muss es irgendjemandem erzählen, sonst platzt sie. Und warum dann nicht am besten jemandem, der ihren Chef selbst auch persönlich kennt.
Der Kuchen schmeckt himmlisch. Obst braucht Reka dazu nicht, ihr Cappuccino reicht vollkommen als Begleiter und sie ist richtig beeindruckt von Maggie. Es wirkt, als wäre ihr der ganze Abend total leichtgefallen. Sie selbst könnte das nicht. Okay, sie hätte auch gar nicht den Platz für so viele Gäste. Maggies Haus ist so gemütlich. Aber vielleicht würde Reka am meisten der Mut fehlen, so viele verschiedene Leute einzuladen, die als einzige Gemeinsamkeit Maggie selbst haben.
Jedoch ist der Abend so gelungen, dass Reka anfängt, sich zusammenzuspinnen, wen sie einladen könnte, was sie kochen würde, wo alle Gäste vielleicht doch Platz finden könnten in ihrer Einzimmerwohnung.
„Danke, das war ein toller Abend.“, flüstert James Maggie ins Ohr, als sie sich verabschieden, er versucht Milan, der auf seinem Arm schläft, nicht zu wecken. Maggie lächelt, umarmt Luca und streicht Milan sanft übers Haar.
„Toll, dass ihr da wart. Ihr drei könnt morgen Mittag gerne zum Resteessen kommen, wenn euch meine Gesellschaft nicht langweilt.“, bietet Maggie an und James fühlt sich wohl. Geborgen durch das Wissen, Maggie als so treue Seele direkt nebenan zu wissen. „Ich schreib dir, wenn ich weiß, wie es bei uns aussieht.“, gibt er zurück und schiebt Luca zur Tür hinaus.
Sie treten auf die Straße. Als Milan plötzlich aufwacht und fragt: „Wo ist Mama?“, ist James' gutes Gefühl augenblicklich verschwunden. Milan ist neun Jahre alt, er sollte sich solche Fragen nicht stellen müssen. Er ist kein Baby mehr und kennt die Wahrheit über seine Eltern, aber oft, wenn er aus dem Schlaf hochschreckt, überkommt ihn eine Angst und diese Frage, als hätte er vergessen, dass ihn seine Mama vor etwa vier Jahren verlassen hat. Vielleicht träumt er auch schlecht. James macht sich Sorgen und überlegt, ob er Milan erneut zu der Kinderpsychologin schicken sollte, die sich direkt nach dem Weggang seiner Frau um ihn gekümmert hat. James zögert jedoch immer wieder, diese Möglichkeit vorzuschlagen, weil er Angst hat, dass Milan denken könnte, James findet, dass mit ihm etwas nicht stimmt oder jemand glauben könnte, Milan sei schuld, dass seine Mama fortgegangen ist, weil anscheinend nicht alles in Ordnung mit ihm ist. Er will Milan vor der ganzen Welt beschützen.
James reagiert immer anders auf die Frage und ist sich nie sicher, was die beste Antwort in solch einer Situation ist. Heute sagt er nur: „Luca und Papa sind hier.“ Und Milan scheint damit zufrieden genug zu sein, um sich wieder an seinen Hals zu schmiegen.
Es gab aber auch schon Momente, in denen er verzweifelt angefangen hat zu weinen und viele weitere, schmerzhafte Fragen an James gerichtet hat. „Warum liebt Mama mich nicht? Warum hat sie mich allein gelassen? Mamas müssen ihre Kinder doch liebhaben? Was habe ich getan? Warum habe ich keine Mama verdient?“ – James zerreißen diese Augenblicke das Herz, immer und immer wieder aufs Neue.
Und ebenso packt ihn eine Wut, eine fast unbändige. Weil es auch für ihn unbegreiflich ist, noch heute, wie seine Frau, die Mutter seiner Kinder, dies tun konnte. Sich in einen anderen verlieben? Okay. Ihren Ehemann betrügen? Okay. Sich trennen? Okay. Die Scheidung einreichen? Okay. Sich um das Sorgerecht der Kinder und um Geld streiten? Okay.
Aber einen Zettel auf ihr Kopfkissen legen, auf dem steht: „Ich mag dieses Leben nicht. Es langweilt mich. Du langweilst mich. Die Kinder langweilen mich. Such nicht nach mir.“ und dann nie wieder zu kommen – daran ist gar nichts okay!
Um kurz nach halb elf sind alle Gäste weg. Nur Reka ist geblieben. Sagt den anderen Gästen beim Verabschieden, dass sie Maggie noch hilft. Aber eigentlich will sie nur mit ihr reden. Am besten noch etwas trinken und dann reden oder gleichzeitig, oder keine Ahnung.
Maggie schaut von ihrem Handy auf: „Jonas, er entschuldigt sich, weil er mich wegen seiner Freundin so angezickt hat. Diese Beziehung muss auch keiner verstehen. Egal.“
Reka fragt nach einem stärkeren Drink als Wein und Maggie kommt mit einer eisgekühlten Flasche Wodka und zwei kleinen Schnapsgläsern aus der Küche zurück. Sie stellt alles auf den Couchtisch und setzt sich dort zu Reka, nachdem sie noch das Schälchen Salzgebäck vom Esstisch geholt hat.
„Schieß los! Jetzt bin ich wirklich neugierig.“, fordert sie Reka auf, endlich zu berichten, was vorgefallen ist.
„Okay, also ich hatte ja dieses Meeting, nach dem du vorhin gefragt hast. Und na ja, es lief eigentlich ganz gut. Er fand meine Vorschläge sinnvoll, zum Teil zu teuer, aber mit der Idee woanders Einsparungen zu machen, gibt er mir die Chance, ein erweitertes Konzept auszuarbeiten.“, beginnt ihre Erzählung positiv und eher harmlos.
„Super – herzlichen Glückwunsch, sag, wenn ich dir dabei irgendwie helfen kann!“, sagt Maggie.
„Ja, danke, also, na ja, jetzt trinken wir vielleicht erstmal jede ein Glas.“, gibt sie zurück und hält Maggie ein volles Schnapsglas hin. „Auf dein erfolgreiches Meeting.“, prostet diese ihr zu und beide kippen den kalten Shot herunter und schütteln sich kurz. Puren, starken Alkohol haben sie länger nicht getrunken. „Ich warte aber ehrlich gesagt noch auf deine Dummheit, Süße?!“, hakt Maggie jetzt nach.
Reka spürt, dass sie rot wird, aber vielleicht liegt das auch nur am Wodka, der in ihrer Kehle brennt wie Feuer. Wie soll sie es Maggie nur sagen? Die süße Maggie, die immer alles richtig macht. Aber sie will auch mit niemand anderem darüber reden. Sie ist ihre Verbündete, sie ist die, die nur nickt, wenn Reka ihre Gedanken noch gar nicht laut geäußert hat.
Aber diese Story wird auch Maggie nicht erraten können, also beginnt sie: „Er hat gefragt, ob ich jetzt Feierabend mache. Was ich bejaht habe. Es war schon nach sechs, wir hatten über zwei Stunden geredet und du weißt ja, wann ich anfange.“ Maggie nickt immer wieder und knabbert zwischendurch einen Cracker nach dem anderen. Reka setzt fort: „Dann hat er mich auf einen Drink zum Feierabend eingeladen. Drüben in der Reederei.“
Maggie kennt die Reederei, es ist das Restaurant mit Bar, das am nächsten am Verlag liegt, wo man eben ab und an einen Feierabenddrink nimmt oder auch Mittagessen geht. Es ist etwas schicker als die Kneipe um die Ecke, aber noch nicht zu abgehoben, sodass sich eigentlich jeder dort wohlfühlen kann.
Und dann weiß Maggie augenblicklich, worauf diese Geschichte hinausläuft. „Aber er ist verheiratet!“, platzt es aus ihr heraus. Reka hält sich die Hände vor die Augen und schielt dadurch ihre Freundin an und lässt dann ihren Kopf hängen. Natürlich ist gegen einen Feierabenddrink nichts einzuwenden, aber so wie Reka jetzt reagiert, weiß Maggie, dass sie mit ihrer Vermutung ins Schwarze getroffen hat.
„Ich aber nicht.“, sagt Reka leise. „Aber er ist dein Chef. Er ist unser Chef. Er hat dir diesen Job gegeben. Er kann ihn dir wieder wegnehmen. Er hat eine Frau.“, Maggie kann sich nicht halten und sieht zu spät, dass es einer Steinigung ihrer Freundin gleichkommt, wie sie ungefiltert ihre Gedanken auf sie loslässt. „Es tut mir leid. Stopp. Erzähl mir erstmal alles.“, versucht sie die Situation zu entschärfen, ist sich aber nicht sicher, ob Reka ihr je wieder irgendetwas erzählen wird.
Aber Reka schnappt sich die Wodkaflasche und füllt ihre Gläser erneut. Stößt mit Maggie an und erzählt ihr alles. Von einem langen, tollen Gespräch, von einer Hand auf ihrem Rücken, einer Fahrt in seinem Auto zu ihr, welche nur ein Heimbringen sein sollte und davon, wie er dann doch mit zu ihr nach oben gekommen ist, wie er ihre kleine Wohnung nicht mickrig oder erbärmlich fand, sondern authentisch und voller Seele, voller Reka. Und, wie sie dann miteinander schliefen und er danach lächelte und gerne geblieben wäre, aber nicht konnte, weil er eben eine Frau hat.
Maggie nimmt Reka in den Arm. Sie sagt nichts mehr. Was soll sie auch sagen. Reka weiß ja selbst nicht, was sie sagen soll. Und deshalb sitzen sie eine Weile so da. Beide im Schneidersitz sich gegenüber auf dem Sofa. Und umarmen sich. Was in dieser Position gar nicht so gut geht.
Maggie umarmt gerne so richtig, aber wenn man sie beide jetzt von außen betrachten würde, könnte man auch denken, dass sie miteinander ringen.
David kommt durchgeschwitzt, aber mit einer vollen Brötchentüte in die Wohnung. Er sieht, wie Nora auf ihrer kleinen Couch sitzt und in ein Notizbuch schreibt. „Ich springe schnell unter die Dusche. Machst du Kaffee?“, fragt er. Nora blickt auf und nickt nur. David legt die Brötchen auf die kurze Küchenzeile, welche sofort nach dem Eingang beginnt. Als er seine Joggingsachen ausgezogen hat und unter die Dusche getreten ist, lässt er sich das warme Wasser direkt ins Gesicht prasseln. Im Winter macht er nur kurze Joggingrunden, aber trotzdem täglich. Sonntags, so wie heute, bringt er auf dem Rückweg Brötchen mit. Dienstags holt er seine Hemden aus der Reinigung, kurz bevor seine Route vorbei ist. Maximal effizient, clever durchdacht und routiniert. So ist David einfach. Das versteht er unter „angekommen sein“, „erwachsen sein“. Es langweilt ihn nicht. Es beruhigt ihn, wenn alles an seinem Platz ist, nicht zu viel Ballast. Keine unnötigen Anschaffungen. Kleine Wohnung bedeutet weniger Platz für Unordnung, weniger Fläche, die geputzt werden muss. Mehr Geld und mehr Zeit für Reisen. Aber auch von denen bringt er nicht viel mit, nur Erinnerungen und gelegentlich ein paar Fotografien.
Er kommt zurück in ihr multifunktionales Wohn-Ess-Flur-Arbeits-Küchen-Zimmer und sieht, dass Nora bereits den runden Tisch am Fenster mit den zwei Caféhausstühlen gedeckt hat. Kaffee aus der French Press. Auf jedem Teller liegt ein Croissant, in der Schale liegen zwei Vollkornbrötchen. Ein Stück Bergkäse, Butter und Marmelade. Mehr würde auf den Tisch auch nicht passen, aber mehr braucht David auch nicht zum Frühstück.
Nora ist schweigsam. „War doch ein schöner Abend gestern, oder?“, versucht David ein Gespräch zu beginnen. Ein harmloses Thema, wie er denkt. Denn Diskussionen und Streit gab es in letzter Zeit leider viel zu häufig.
„Ja, Maggies Haus ist wirklich toll. Sie hat mir alles gezeigt. Echt spitze, wenn man genug Platz hat, um auch mal Gäste einzuladen.“, erwidert Nora. Während David ahnt, dass seine Frage doch nicht so konfliktfrei war, fallen ihm wie aufs Stichwort seine Serviette und sein Messer vom Tisch. „Siehst du, nicht mal zu zweit kann man an diesem winzigen Tisch essen!“, entfährt es Nora wütend.
Serafina rotiert geschäftig in ihrer kleinen Küche. Die Familie aus Zimmer 7 möchte Pancakes zum Frühstück, das Pärchen aus Zimmer 3 ein Gemüseomelette und neuen Kaffee muss sie auch ansetzen.
Die Pension hat zehn Zimmer, wovon in der Regel aber nicht mehr als sechs gleichzeitig ausgebucht sind. Fünf Zimmer mit insgesamt elf Gästen sind auf jeden Fall eine ordentliche Herausforderung für Serafina. Wobei das laute Plappern der Kinder wahrscheinlich ihre größte Stessquelle ist, weil sie sich davon unter mehr Zeitdruck setzen lässt, als es überhaupt nötig ist. Der Mann aus Zimmer 2, der einzige Alleinreisende, ist zufrieden mit einem starken Kaffee und sitzt im Eingangsbereich auf dem großen Sessel und liest Zeitung. Das ist gut, denn so sind genug Tische für alle anderen frei. Dass vier Personen in Zimmer 7 untergekommen sind, ist eine Ausnahme und geht auch nur, weil eins der Kinder mit im Bett der Eltern schläft und sie für das kleinste ein Klappbett dabeihaben. Auf Familien ist Serafina nicht ausgelegt. Nicht mit Absicht oder vollem Bewusstsein, aber ihre Zimmer sind nicht riesig und in der Regel checken Pärchen oder einzelne Gäste bei ihr ein. Allerdings schrieb Familie Millow so eine nette Mail, dass sie sich durch die Bilder auf der Pensionswebsite so sehr in Serafinas Unterkunft verliebt hätten, dass Serafina einfach ja sagen musste. Das Ehepaar aus Zimmer 9 sind Stammgäste, ihre Kinder leben in der Gegend und sie schlafen bei jedem Besuch bei Serafina. Sie sind Ende sechzig und herzensgute Menschen.
Etwas seltsam findet Serafina die zwei Leute aus Zimmer 8, sie gehen merkwürdig miteinander um. Eher wie Kollegen oder Bekannte, aber teilen sich ein Zimmer. Serafina findet es immer wieder spannend, Dinge über ihre Gäste herauszufinden und bei all denen, die sich eher verschlossen zeigen, ist es Serafinas liebstes Hobby, sich Geschichten über sie auszudenken. Ganze Romane könnte sie damit füllen.
„Könnten Sie mir nochmals nachschenken?“, fragt der genügsame Gast vom Sessel nach oben und Serafina holt direkt die Kanne. „Ist sonst alles in Ordnung, sicher, dass Sie nichts essen wollen?“, fragt sie nach, während der Kaffee in die Tasse läuft. „Alles bestens. Ich kann so früh noch nichts essen und ich bin zum Lunch verabredet.“, erwidert er und Serafina lächelt beim Rückweg in den Frühstücksraum. Familie Millow ist mittlerweile aufgestanden und der Tisch sieht aus wie ein Schlachtfeld, aber wie sollte es mit einem zwei- und einem sechsjährigen Kind auch anders sein? Serafina wirft einen kurzen Blick zu ihren drei Zweiertischen, doch die Gäste scheinen alle zufrieden. Sie räumt den großen Tisch ab und macht ihn sauber. Sie lässt ihn zusammengeschoben, schließlich bleibt die Familie noch drei Nächte. In der Küche schiebt sie nun ihre vorbereitete Kuchenform in den Ofen.
Jeden Nachmittag gibt es Kaffee, Tee, Kakao und einen Kuchen für die Pensionsgäste. Serafina hat sich ihr Konzept, ihre Regeln und Traditionen, ihre Arbeitsweisen selbst überlegt und fährt bis jetzt gut damit. Kulinarisch gibt es in der Pension nur Frühstück und die Kuchenzeit für die Gäste, die Zimmer werden während des Aufenthalts nicht komplett gereinigt. Serafina wechselt Handtücher, schüttelt das Bett auf, lüftet, stellt bei längeren Reisen frische Blumen in die Zimmer und hängt jeden Abend ein Betthupferl an die Türklinke, mal sind es Pralinen, ein Lavendelsäckchen, ein Kärtchen mit einem Zitat oder eine Empfehlung für eine Veranstaltung am nächsten Tag. Sobald ein Gast abreist, wird das Zimmer professionell von einer Fachkraft gereinigt, die Serafina pro Zimmer bezahlt. So bleibt ihr genug Zeit, den kompletten Rest ihres kleinen Unternehmens allein zu meistern. Sie geht selbst einkaufen, macht ihre Buchhaltung und in unregelmäßigen Abständen veranstaltet Serafina Lesungen in ihrem Frühstückraum. Diese werden meistens von Einheimischen besucht, Pensionsgäste sind aber natürlich auch willkommen. An diesen Abenden gibt es Wein, Käse, Nüsse und Trauben und ein nettes Beisammensein. Serafina nimmt keinen Eintritt, sie stellt lediglich eine Spendenbox auf, die nach solchen Abenden immer so gefüllt ist, dass die Summe mehr als ihre Ausgaben deckt.
Das Telefon klingelt. „Finas Bed&Breakfast, hallo?“, meldet Serafina sich. „Ja, er ist Gast bei uns. Ich werde nachfragen, ob er Zeit für ein Gespräch hat.“ Serafina geht zurück in den Frühstücksraum und spricht den Mann des ungewöhnlichen Gespanns an: „Ein Herr Bischop ist für Sie am Telefon, möchten Sie ihn sprechen?“ Die Frau stöhnt augenblicklich auf: „Ist das dein Ernst?“, fragt sie ihren Begleiter und steht auf. Sie verlässt mit schnellen Schritten den Raum und Serafina steht immer noch mit dem schnurlosen Telefon in der Hand da. „Ja, gerne. Geben Sie her.“, sagt der Mann dann und streckt den Arm aus, um ihr den Hörer abzunehmen.
Ein richtiger Streit war nach Noras Ausruf nicht entstanden. Sie war sich auch nicht sicher, ob sie das gut oder schlecht finden sollte. Melancholisch und nachdenklich schlendert sie nun allein über den Flohmarkt, der jedes Wochenende hinter dem Park dicht an ihrem Apartment stattfindet.
Drei Jahre sind David und sie nun schon zusammen, ihre längste Beziehung. Seine nicht, weiß sie. Aber bei ihm war es eine Fernbeziehung, als er noch jünger war. Vielleicht zählt das sowieso nicht. Wenn sie sich so viel streiten, über grundlegende Dinge, vielleicht passen sie dann einfach nicht zusammen. Nora erwischt sich immer wieder bei dem Gedanken, dass sie nicht jünger wird, sie Angst hat, Zeit zu verschwenden, Zeit mit einer Person, die sie zwar liebt, mit der sie aber nicht zusammenbleiben kann, sollte sie nicht in den nächsten Jahren dieselben Schritte gehen wollen wie sie. Heiraten, umziehen, Kinder kriegen. David scheint so restlos zufrieden und Nora selbst fühlt sich verloren, leer und auf der Suche.
Auf dem Flohmarkt findet sie nichts, das ihre Laune verbessert und so spaziert sie gedankenverloren wieder nach Hause.
Kurz bevor sie die Wohnungstür erreicht, beschließt sie, ein ernstes Gespräch mit David über die Zukunft zu führen, doch als sie die Wohnung betritt, stellt sie fest, dass er nicht zu Hause ist.
Reka lässt sich von Tilo zum Abschied auf die Wange küssen. Mit schnellen Schritten und ihren Schlittschuhen über der Schulter läuft sie zur Bushaltestelle. Vielleicht hätte sie dieses Date absagen sollen, nach der Aktion von vor zwei Tagen. Reka war kein bisschen bei der Sache und jedes Mal, wenn sie sich Tilo doch etwas genauer angesehen hat, kam er ihr jung, unbeholfen und fast schon etwas kindisch vor. Unfair, ihn mit Matthias zu vergleichen, natürlich. Aber Rekas Kopf tut, was er tut. Sie denkt unentwegt an diesen Abend.
Ihr Handy vibriert, eine SMS von Tilo: „Ich habe den Morgen sehr genossen, vielleicht sehen wir uns nächstes Wochenende und machen einen Weihnachtsmarktbummel? Tilo“ Reka beschleicht ein schlechtes Gewissen. Tilo kann schließlich nichts für ihre wirren Gedanken und schon gar nichts für ihre Taten.
Aber was Reka weiterhin am meisten Sorgen macht, ist, dass sie es einfach nicht bereut. In ihr wächst viel eher die Hoffnung, mittlerweile der feste Glaube, dass es sich nicht um eine einmalige Angelegenheit gehandelt hat. Montag abwarten, Montag abwarten, mehr bleibt ihr nicht.
James und die Kinder klingeln bei Maggie. Wobei es vielmehr Milan ist, der ohne Pause auf den Klingelknopf drückt. James hofft, dass Maggie nicht gerade telefoniert oder unter der Dusche steht, sie sind etwas früher dran als vereinbart, aber da macht sie auch schon lächelnd die Tür auf.