Willi – Einmal Kaukasus und zurück - Marcel Mallon - E-Book

Willi – Einmal Kaukasus und zurück E-Book

Marcel Mallon

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Beschreibung

Lesen Sie diese romanhafte Biografie über einen deutschen Soldaten, die zugleich ein flammendes Plädoyer gegen den Krieg und für die Völkerverständigung ist.

Klappentext: Immer wieder zieht es Großvater Willi in jene Länder Osteuropas, die er als DDR-Bürger besuchen darf. Als er mit seinem Enkel nach Sotschi reist, ist Willi kein Preis zu hoch, um einen Hubschrauberrundflug über den Elbrus zu ergattern. Kurz darauf schweben der Großvater und sein Enkel hoch über dem Kaukasus und blicken auf seltsame Linien im Gebirge.

„Das waren unsere Stellungen“, flüstert Willi und schweigt danach, bis sie wieder das Hotel erreicht haben – ein Zustand, den der Enkel nie zuvor bei ihm erlebt hat. Erst Jahrzehnte später begreift er – der Autor dieses Buchs – was seinen Großvater damals umtrieb. Und so setzt er sich an die Tastatur und beginnt damit, die Lebensgeschichte von Willi nach dessen Erzählungen niederzuschreiben.

Viele von Willis Kameraden liegen in der Erde, auf der heute wieder gekämpft wird. Der Terminus „Krieg“ hat uns eingeholt und wird leichtfertig verwendet. Was das für die Kriegsteilnehmer vor Ort bedeutet, kann nur die Generation der „Alten“ beurteilen. Doch die stirbt aus. Deshalb also dieses Buch. Es soll nicht belehren oder mahnen, sondern zeigen, was Krieg bedeutet.

Diese romanhafte Biografie erzählt von Willis Lebensweg, der als MG-Schütze der 5. Luftwaffenfeld-Division an der Ostfront kämpft, schwer verwundet wird und in Rumänien in Kriegsgefangenschaft gerät. Im Zentrum der berührenden Geschichte steht der Blick des Enkels auf den Lebensweg seines Großvaters. Der Roman nimmt Sie mit auf eine Reise in die Seele eines Weltkriegs-Veteranen, der sich nichts sehnlicher wünscht als Frieden. Erleben Sie, wie sich Willis Seelenleben Zeile für Zeile entfaltet und wie der Enkel zu verstehen beginnt, was sein Großvater durchlebt haben muss …

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Marcel Mallon

 

WilliEinmal Kaukasus und zurück

Ein generationsübergreifendes Plädoyer gegen den Krieg

 

 

EK-2 Militär

Ihre Zufriedenheit ist unser Ziel!

 

Liebe Leser, liebe Leserinnen,

 

zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein kleines Familienunternehmen aus Duisburg und freuen uns riesig über jeden einzelnen Verkauf!

 

Mit unserem Label EK-2 Militär möchten wir militärische und militärgeschichtliche Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.

 

Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Daher liegt uns Ihre Meinung ganz besonders am Herzen!

 

Wir freuen uns über Ihr Feedback zu unserem Buch. Haben Sie Anmerkungen? Kritik? Bitte lassen Sie es uns wissen. Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns, damit wir in Zukunft noch bessere Bücher für Sie machen können.

 

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Nun wünschen wir Ihnen ein angenehmes Leseerlebnis!

 

Moni & Jill von EK-2 Publishing

 

Willi – der Protagonist des Romans

 

Vorwort

 

„Wir kehrten ‚heim‘ mit Erfahrungen, die keiner hier brauchte. Es fiel uns schwer, dort wieder anzuknüpfen, wo unser Leben vor vielen Jahren unterbrochen worden war.“1

 

Warum schreibe ich ein Buch über meinen Großvater? Man sagt besonders der Enkelgeneration nach, Licht in die Vergangenheit bringen zu wollen. Aber will man das wirklich? Für mich ist es eher so, dass die Themen Krieg und Kriegserlebnisse ein Teil meines Berufes als Geschichtslehrer sind. Täglich versuche ich anhand konkreter Beispiele Heranwachsende für das Leid und die Gräuel des Krieges zu sensibilisieren. Früher mit Textquellen Beteiligter, heute zum Teil mit Musikvideos anerkannter Metalbands wie Sabaton oder Mötorhead. Doch kommt das an?

Selbst der völlig sinnlose Krieg in der Ukraine nach 77 Jahren scheinbaren Friedens in Europa erreicht nur eine kleine Zahl an Interessierten. Protest ja, aber Auseinandersetzung eher nein. Dies zeigt uns eine Generation, für die der Krieg weit weg ist. Dabei könnte es gerade für diese heutige Generation in ihrer schnelllebigen und digitalisierten Welt sehr wichtig sein, etwas von den Erfahrungen und Erlebnissen der Kriegsteilnehmer mitzunehmen. Besonders in den letzten Lebensjahren sprach mein Großvater sehr oft und direkt über den Krieg. Er beschönigte nichts, fand aber immer die richtigen Worte und zollte dem Gegner von damals Respekt. Das verstand ich erst viel später. Für mich waren unsere gemeinsamen Reisen in den Osten in einer Zeit, als es die von oben verordnete Freundschaft mit den Völkern der Sowjetunion gab, eher aufregende Ferienerlebnisse. Wer konnte schon von sich behaupten, im Schwarzen Meer gebadet zu haben, wo doch scheinbar die ganze ehemalige DDR in der Ostsee plantschte? Aber die ungewollten Treffen mit Einheimischen hinterließen bei mir einen sehr großen Eindruck. Ich hatte meinen Großvater bis dahin nie Russisch sprechen hören – und das auch noch mit einem Wortschatz, den ich nie erreicht hatte. Und immer war dabei der gegenseitige Respekt erkennbar. Man gab sich die Hand, begrüßte sich in der landestypischen Muttersprache und schaute sich in die Augen. Ich verstand damals als Jugendlicher nicht, warum dieser alte Mann immer wieder in die gleiche Region reisen wollte. Erst viel später, als ich aus beruflichen Gründen mich mit kriegerischen Themen auseinandersetzte, wurde mir bewusst, dass es sich möglicherweise um den Versuch gehandelt hatte, sich irgendwie zu entschuldigen. Sicherlich war es auch der Versuch die Orte wiederzusehen, an denen er verweilt hatte. Dabei kamen unweigerlich Erinnerungen hoch.

Tief beeindruckt hatte mich seine sehr detaillierte Erzählweise. Als ich ihn irgendwann einmal fragte, ob er sich noch an die getöteten sowjetischen Soldaten erinnere, beschrieb er eine Szene im Kaukasus, bei der eine „braune Wand“ auf ihn zulief. Um nicht selbst getötet zu werden, schoss er mit dem Maschinengewehr von „links nach rechts und dann wieder von vorn“, bis die Munition alle war. An die Massen an Getöteten erinnerte er sich noch sehr gut und das beeindruckte mich. Da war kein Jubel oder Bedauern, sondern blanker Pragmatismus – entweder die oder ich! Und hier, genau an diesem Beispiel, zeigt sich die Krux des Ganzen. Da wurden Millionen junger Menschen für einen verbrecherischen Krieg missbraucht und starben. Die, welche überlebten, gerieten in Gefangenschaft und dann in eine andere Welt nach Hause. Viele konnten sich nicht anpassen, wurden Trinker oder ließen ihre innere Unruhe an der Familie aus. Offiziell galt der Krieg als verloren und da war eine Aufarbeitung eher lästig. Heute spricht man wohl vom posttraumatischen Belastungssyndrom, das ärztlich begleitet wird. Und damals? Ich glaube, dass mein Großvater seine persönliche Aufarbeitung bei seinen Reisen fand. Vielleicht führte auch die Akzeptanz vor Ort dazu, dass er immer davor warnte, wieder einen Krieg im Osten zu beginnen. Viele seiner Kameraden liegen in der Erde, auf der heute wieder gekämpft wird. Der Terminus „Krieg“ hat uns eingeholt und wird leichtfertig verwendet. Was das für die Kriegsteilnehmer vor Ort bedeutet, kann nur die Generation der „Alten“ beurteilen. Doch die stirbt aus. Deshalb also dieses Buch, das aus Erzählungen des Wehrmachtssoldaten Willi Artur Lehmann entstanden ist. Es soll nicht belehren oder mahnen, sondern zeigen, was eine ganze Generation erlebt hat und was wir offenbar vergessen oder verdrängt haben.

 

 

 

Lausitz Mitte der 90er

 

Tagesbefehl 373. Pzbtl.

1 5. Kompanie PzBtl. gestaltet letztmalig vor Umwandlung in FschJgBtl. den Tag der offenen Kaserne.

 

2 1. Kompanie PzBtl. flankiert mit Logistik.      

 

3 2. Kompanie des neuen FschJBtl. führt an diesem Wochenende Biwak durch.

 

4 Bereitstellung 1. Zug 5./Pzbtl. mit 3 KPz. Leopard 1A5 und Unterstützungseinheiten 1./PzBtl. LKW, Geländewagen Wolf und fahrbare Truppenküche auf Exerzierplatz.

 

5 Bereitstellung und Unterstellung 2./FschJgBtl. mit 2 Waffenträgern Wiesel 1. Zug 5./PzBtl.

 

6 2. und 3. Zug 5./PzBtl. übernehmen in Masse Sicherungs- und Repräsentationsaufgaben.

 

7      Ablaufplan: 0900 Einlassbeginn Besucher über Wache „Ost“ nach vorheriger Registrierung. Danach Führungen über Gelände durch Soldaten des 2. und 3. Zuges 5./PzBtl.

1000 Vorführungsbeginn Waffentechnik Exerzierplatz, verantwortlich Unteroffiziere und Mannschaften 5./PzBtl.

ab 1100 Versorgung Besucher und Mannschaften über Truppenküche.

1200 Vorführung Schusswaffen bei Panzerhallen.

1230 Vorführung „Wartburg“.

1330 Ende und Verabschiedung Besucher und nicht wachhabende Mannschaften.

 

8      Sonderbefehl. 114/1: Alle teilnehmenden Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften 1. und 5./PzBtl. erhalten als Kompensation für TdoK am Samstag den darauffolgenden Montag frei. Dienstbeginn Dienstag 0730.

gez. Müller (Oberstleutnant), Bataillonskommandeur

 

Der Obergefreite betrachtete aus dem Fenster seiner Unterkunft belustigt die sich zum Biwak im angrenzenden Wald formierenden Reihen der jungen Fallschirmjägerrekruten. Ganz reichte der Platz zum Formieren für die rund 100 Soldaten in der neuen Tarnfleckuniform nicht aus, da der Exerzierplatz für sie gesperrt war. So mussten sie mit ihrer vollständigen Ausrüstung dicht an dicht gedrängt auf den Abmarschbefehl warten, währenddessen sich gleichzeitig die zum Dienstantritt erscheinenden Soldaten der 5. Kompanie durch diese Masse hindurchzwängten – zum Teil unter Benutzung unflätiger Worte und purer Kraft.

Schon äußerlich unterschied man sich deutlich. Während die Panzertruppe einen einteiligen, tarngefleckten Overall, „Panzerkombi“ genannt, mit schwarzem Barett trug, nutzte die Fallschirmtruppe weiterhin einen Zweiteiler, bestehend aus Jacke und Hose in Tarnfleck, und dazu das purpurne Barett. Der Blick des Obergefreiten wanderte in den Himmel. Das Rot der Morgensonne schien den Wetterbericht des Vortages und das alte Brandenburger Lied mit dem Adler zu bestätigen. Ein sonniger Tag bahnte sich an. Sein Blick schweifte weiter über die geparkten Fahrzeuge auf dem Exerzierplatz und blieb am weit entfernt stehenden „Leo“, seinem eigenen, hängen. Planmäßig würde dieser Tag sein großer Tag werden. Dafür hatten er und seine Kameraden des 1. Zuges seit Tagen die sogenannten „Rüsselschweine“ auf Vordermann gebracht – eine Vollreinigung, die so manches Erinnerungsstück der letzten Monate zum Vorschein gebracht hatte. Am Vortag hatten sie dann die drei Panzer von der Halle im Schritttempo auf den Exerzierplatz überführt und die letzten Funktionstests durchführt und danach in Vorfreude auf den heutigen Tag gefeiert.

Nun funkelte der Exerzierplatz im ersten Sonnenlicht des Tages und er freute sich auf die beiden Teile seiner Familie – Mutter, Vater und Bruder sowie seine zukünftigen Schwiegereltern und natürlich seine zukünftige Frau. Besonders die beiden „Väter“ redeten seit Wochen von nichts anderem mehr als von diesem Besuch, waren sie doch der Meinung, dass diese Armee keine richtige Armee sei, und wenn sie nur gewusst hätten, dass am Wochenende alle Soldaten zu Hause gewesen seien, sie wären mit ihrer Armee innerhalb weniger Stunden zum Rhein „durchgerollt“.

Über solche Bemerkungen konnte der Obergefreite nicht lachen, da durch einen Wink des Schicksals seine Truppenverwendung als Wehrdienstleistender nicht heimatnah bei seiner zukünftigen Frau erfolgte, sondern in unmittelbarer Nähe seines Geburtsortes. Damit entfiel das sogenannte „Heimschlafen“ und er musste sich die Abende und Nächte in der Kaserne um die Ohren schlagen. Höhepunkt dieses „Verwendens“ war der Aufenthalt auf dem Truppenübungsplatz. Zuerst sollte es nach Kanada gehen, doch dann sollte einem russischen General mit einer Vorführung auf einem ehemaligen Übungsplatz der Roten Armee in der Heide bei Stendal gehuldigt werden. Fünf Wochen Übung an Übung, kein Urlaub, obwohl nur 50 Kilometer von seiner zukünftigen Frau entfernt, und wer fehlte am Ende? – Der General. Dafür durfte der Obergefreite an diesem Tag aber als Fahrer des Zugführers an der Waffenvorführung teilnehmen und er hatte das Privileg erhalten, mit seinem „Leo“ über den alten PKW des Leiters der Waffenelektronikabteilung zu fahren. Sein ursprünglicher Kommandant durfte dieses Spektakel nicht mehr mitverfolgen, da er zum Studium versetzt worden war. Der Neue, Unteroffizier Richter, hatte ihn am Vortag kurz mit den Worten „langsam ran, Vollgas und dann genießen“ eingewiesen.

 

*

 

Pünktlich um 09.30 Uhr erblickte er vom Tor der Kaserne aus seine Familie auf dem vorgelagerten Parkplatz. Da waren seine Mutter, sein Vater, sein Bruder und eine weitere Person, die er aus der Entfernung nicht erkennen konnte. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, sah er seine zukünftige Frau und deren Eltern unmittelbar neben sich. Nach kurzer und inniger Begrüßung gesellte sich der andere Teil der Familie dazu. Damit lüftete sich das Geheimnis um die Person: Es war sein Großvater.

Den fragenden Blick erkennend, erklärte dieser auf seine typischen Art: „Das interessiert mich.“ Und fixierte sofort die diensthabenden Torposten. „Ist das da eine Ordonanzpistole im Halfter und hat der andere eine Schmeißer-MP um?“, fragte er und ohne die Antwort abzuwarten, lief er zu ihnen, die er sofort in ein Gespräch verwickelte. Die Familie gesellte sich nach einiger Zeit zu ihm und erlöste die sichtlich überforderten Posten. Der Obergefreite führte seine nun versammelte Familie auf das Gelände der Kaserne und wies sie in den Tagesablauf und die geplanten Aktivitäten ein. Seine Teilnahme an der Vorführung „Wartburg“ behielt er aber für sich.

Die Familie beschloss zusammen zu bleiben und folgte dem Rat des Obergefreiten, der sich zum Dienst abgemeldet hatte, sich zuerst den Exerzierplatz anzusehen. Hier herrschte schon der erwartete Andrang. Der Obergefreite, nun ganz in der Rolle des erklärenden Fahrers, zog seine zukünftige Frau auf seinen Panzer, ließ sie auf dem Fahrersitz Platz nehmen und schloss die Luke – nur kurz, denn in ihren erschrockenen Augen konnte er so etwas wie Platzangst erkennen. Aufgrund des weiter zunehmenden Zuschauerstromes beschloss die Familie, sich erst zur Waffenvorführung wieder zu treffen.

Nach gut zwei Stunden war es dann so weit. Was war das für ein Anblick! Der Obergefreite hatte auf Befehl des Unteroffiziers seinen Leo angelassen und in Schrittgeschwindigkeit zum Vorführraum gefahren. Dort näherte sich die Waffenvorführung langsam ihrem Ende. Durch die Blickwinkel sah er in einer angemessenen Entfernung den PKW stehen und hörte durch den Kopfhörer nochmals die ruhige und unaufgeregte Stimme des Kommandanten: „Sie fahren schnell an, bremsen dann vorher ab und lassen den Leo mit dem ersten Gang ganz langsam auf den PKW aufschieben. Wenn sie zu schnell sind, schieben sie ihn vor sich her – und das wollen wir doch nicht, oder?“

Bald darauf ertönte der erlösende Befehl und ab ging es. Wie festgelegt, näherte sich der Panzer schnell dem zu überrollendem PKW. Anstatt abzubremsen, prallte er frontal mit der Front auf und schob das Auto etliche Meter vor sich her. Der Befehl „Panzer halt! Rückwärts und nochmal!“ folgte zwangsläufig. Beim zweiten Mal funktionierte es besser. Der Panzer drückte den PKW zusammen und die linke Kette hinterließ einen Abdruck längs durch das gesamte Auto. Durch die Blickwinkel sah der Obergefreite den Beifall der Zuschauer. Nach dem Abfeuern einer Salve Platzpatronen aus dem Bord-MG, was in der Enge der Panzerhallen sehr laut war, rollte der Obergefreite seinen Leo letztmalig zum Parkplatz zurück. Damit war der Tag für ihn beendet. Seine Familie erwartete ihn schon.

Noch im Glücksgefühl der vollbrachten Tat bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Seine Mutter teilte ihm mit, dass sein Großvater seit einiger Zeit nicht zu finden sei. Man beschloss, ihn aufgeteilt zu suchen. Mit seiner zukünftigen Frau und seinem Bruder sollte er den Weg zur Unterkunft und einen Teil des Exerzierplatzes absuchen. Auf dem Weg zu seiner Stube trafen sie den Spieß der Kompanie, einen waschechten Bayern. Dieser sprach sie sofort an: „Toller alter Mann, kennt sich aus, hat viel erlebt. Gelegentlich sollten wir uns, Herr Obergefreiter, mal unterhalten. Ach so – und falls Sie ihn suchen. Die Unteroffiziere im Zelt der Handfeuerwaffen können gar nicht genug von ihm bekommen.“

Die kleine Gruppe eilte zum Zelt vor dem Kompaniegebäude. Der Obergefreite glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Da saß sein Großvater an der MG 3-Lafette zur Fliegerabwehr mit beiden Händen am Abzug und erklärte den Vorhalt beim Beschuss von Flugzeugen. Ein Unteroffizier drehte sich um und bemerkte: „Der hat es drauf, der hat Ahnung!“

Der Obergefeite war verwirrt. Gelegentlich hatte sein Großvater über den Krieg gesprochen, zumeist über seine Gefangenschaft. Aber wie das bei jungen Menschen nun ist, hatte er nie richtig zugehört. Nur Bruchstücke waren da – Flieger, Krim, Kaukasus, Odessa, Verwundung … Was war da dran? Waren die vielen Reisen, auch mit ihm als Jugendlicher, in die ehemalige UdSSR und insbesondere in die Region des Schwarzen Meeres eine Rückbesinnung oder ein Abschluss gewesen? Was hatte Willi erlebt?

 

 

Groß Born Spätherbst 1942

 

Der Reichsminister der Luftwaffe und Oberbefehlshaber der Luftwaffe.

Luftwaffen-Personalamt Nr. 64700/42

Hauptquartier des Ob.d.L. 17.9.1942

 

Der Führer hat mir den Auftrag erteilt, aus Angehörigen meiner Luftwaffe einen starken Verband aufzustellen, dessen Aufgabe es sein soll, in die Erdkämpfe der Ostfront einzugreifen. Ich bin entschlossen, demzufolge eine Kerntruppe zu bilden, die die ihr vom Führer zu stellenden Aufgaben restlos zu erfüllen imstande ist – eine Truppe, die im Angriff bedenkenlos und unaufhaltsam vorwärts stürmt und in der Verteidigung keinen Fuß breit Boden preis gibt. Hierzu brauche ich Führer-Grade, vom Leutnant bis zum Obersten, vom Zug bis zum Brigadeführer. Ich rufe zur freiwilligen Meldung alle jene in Erd- und Bodendiensten der Luftwaffe eingesetzten Offiziere, die – ohne Rücksicht auf Waffenart und Dienstverhältnis – sich beherzt und hart genug fühlen, ihre Leute kühn und erfinderisch in den Unbilden eines russischen Winters gegen einen verschlagenen und verbissenen Gegner führen – ja darüber hinaus sie zu heldenhaften Taten mit sich fortreissen können. Durchdrungen von der Gewißheit, daß allein der Geist die Truppe formt, lege ich wenig Wert auf den Stand der Ausbildung – sie läßt sich erwerben; entscheidend ist vielmehr, daß sich nur ganze Kerle um die Fahnen der Feldbrigaden scharen, einsatzfreudig, wagemutig und opferbereit. Wer sich diesem Korps freiwillig verschreibt, muß es mit starkem Herzen und ohne Rückhalt tun, er kann aber auch bei vorbildlicher Haltung im Kampfe besondere Berücksichtigung hinsichtlich Beförderung und Auszeichnung erwarten. Ich weise alle vorgesetzten Dienststellen an, alle Meldungen dieser Art ungesäumt über das Luftwaffen-Personalamt mir zuzuleiten; ich behalte mir die Auswahl persönlich vor.

Göring (Reichsmarschall)2

 

Willi und Fritz hatten sich irgendwie gesucht und gefunden. Kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag wurde Willi einberufen und durchlief wie alle die Grundausbildung. Aber nicht im Feldgrau der Wehrmacht, sondern im Blau der Flieger der Luftwaffe. Schon seit seinen frühen Kindertagen begeisterte er sich für alles, das irgendwie fliegen konnte. Als Schüler trat er dem lokalen Segelfliegerclub bei und erlernte das Fliegen. Was waren das für Stunden über dem Fliegerhost gewesen, abgehoben und vogelfrei? Damit war klar, dass er irgendwann Pilot werden wollte. Während der ersten Musterung tat er dies auch kund, als er auf die Frage des verantwortlichen Leutnants nach seinem Verwendungswunsch antwortete: „… Na zur Luftwaffe, Herr Leutnant, wohin sonst!“

Somit wurde er im Oktober des Jahres 1941 zur Luftwaffe und nicht zum Heer eingezogen und durchlief die Grundausbildung in der Nähe seines Heimatortes. Nach dem Aderlass der Luftwaffe bei der verlustreichen Besetzung Kretas, wurde jedoch umdisponiert und Willi wurde im Frühwinter des Jahres 1941 nach erfolgreichem Abschluss der Grundausbildung auf den Fliegerhorst Trebbin bei Berlin versetzt. Dort sollte er eine zehn-monatige Ausbildung zum Piloten eines Lastenseglers DFS-230 durchlaufen. In Trebbin lernte er auch den gleichaltrigen Fritz aus Potsdam kennen. Dessen Vita war ähnlich. Da sein Vater Pilot im Ersten Weltkrieg gewesen war, stand für den jungen Fritz eigentlich immer fest, es ihm gleich zu tun.

Und was war das für eine Zeit in Trebbin? Anders als in der Grundausbildung war der Ton dort ein anderer. Zwar wurde mit der gleichen Inbrunst früh morgens das „Koooompanie aufsteeeeehhhnnn“ gebrüllt, aber nicht um 04.30 Uhr, sondern zur „christlichen Zeit“ um 06.30 Uhr. Dann begann ein klar auf Ausbildung geplanter Tag ohne die üblichen Schikanen der Grundausbildung wie stundenlanges Exerzieren mit oder ohne Gewehr, „links-rechts-geradeaus“, „Stellung“ oder „auf-auf, schneller-schneller“. Auch der Ton des Ausbildungspersonals war ein anderer. Erfahrene Frontsoldaten ließen den strengen Kasernenton hinter sich und beschränkten sich auf die Ausbildung.

Nach erfolgreichem Gesundheitscheck wurde vormittags zumeist Theorie gebüffelt. Funknavigation, Luftfahrzeugkunde, Meteorologie oder Waffenkunde. Am Nachmittag dann der Praxisteil. Dieser erfolgte zuerst mittels Segelflugzeugs und dann mit dem Lastensegler DFS 230 ohne Fallschirmjäger. Gegen Ende des Lehrganges sollte dann das Absetzen unter Einsatzbedingungen erfolgen. Gegen 17.00 Uhr wurde der Dienst beendet und nicht wie gewohnt bis 24.00 Uhr mit Waffen- und Revierreinigen ausgedehnt. Willi und Fritz nutzten die zum Teil freien Wochenenden zum gegenseitigen Besuch ihrer Familien oder sahen sich die Sehenswürdigkeiten des nahen Berlins an. Stolz trugen sie dabei ihre blaue Uniformjacke mit der einzigen Auszeichnung, dem goldenen Sportabzeichen, nannten sich aber nicht Gefreiter – die Beförderung war noch nicht erfolgt – sondern „Flugzeugführer“. Dies taten sie bei jeder Gelegenheit, was unweigerlich zu dem einen oder anderen Rendezvous führte. Nach erfolgreichem Abschluss des Lehrganges sollte dann die Truppenverwendung folgen oder im besonderen Falle die Ausbildung zum Piloten. Soweit der Plan.

 

*

 

Nachdem Willi, der als mittelgroß eingeschätzt wurde und eine gerade Gestalt besaß, sich in seinem Tagtraum schon als erfolgreicher Jagdflieger an der Front sah, reihenweise die gegnerischen Flugzeuge ganz ritterlich vom Himmel holte und die am Rettungsfallschirm hängenden Piloten des Gegners mit seiner Messerschmidt bis zum sicheren Boden begleitete, holte ihn die Stimme des Stubenältesten Hans in die Realität zurück. Dieser hatte die Tür aufgerissen und brüllte so laut er konnte: „Achtung!“

Willi und die anderen in der Stube befindlichen „Flugzeugführer“ standen augenblicklich stramm; keine Sekunde später erschien der diensttunende Oberfeldwebel Meyer. Nach erfolgreicher Meldung durch Hans musterte er die angetretenen Soldaten, blickte vom einen zum anderen und donnerte mit seiner tiefen Stimme los: „Meine Herren, rühren Sie sich. Von diesem Moment an haben sie 30 Minuten Zeit, ihre gesamte Ausrüstung und sich selber auf den Exerzierplatz zu bringen. Vergessen Sie nichts – Sie kommen nicht wieder!“

Die fragenden Blicke der Angetretenen genießend, setzte er fort: „Per Eilerlass werden alle Angehörigen des auszubildenden fliegerischen Personals dieses Fliegerhorstes sofort zur Luftwaffen-Erdkampfschule nach Groß Born in Marsch gesetzt. Dazu gehören Sie! Was sie dort erwartet, kann ich Ihnen nicht sagen. Nur so viel, ihre vielversprechende Karriere als Pilot ist erstmal vorbei. – Fragen?“

Willi blickte zu Fritz und nickte diesem leicht zu.

„Herr Oberfeld! Geht es an die Ostfront oder hat der ‚Herr Meier‘ etwas anderes mit uns vor?“, fragte er, offenbar für alle.

Der Oberfeldwebel schmunzelte über die Bemerkung, wissend, dass es sich bei Herr Meier um den Spitznamen von Göring handelte, und ließ sich mit der Antwort Zeit. Doch dann holte er Luft und sagte: „Ich kann nur sagen, dass der ‚Herr Meier‘ wie schon vor einem Jahr bei Dünkirchen vor dem England-Debakel dem größten Feldherrn aller Zeiten zehn Divisionen der Luftwaffe zum Kampf gegen die Feinde des Reiches versprochen hat. Und dazu gehören ab sofort Sie!“

Willi glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können – zur Luftwaffeninfanterie? Dafür war er nicht ausgebildet worden, dafür hatte er nicht stundenlang mit Fritz und den anderen Theorie gebüffelt und den Traum vom Fliegen geträumt. Infanterie – was das bedeutete, hatte er in einigen Wochenschauen gesehen. Marschieren, kämpfen, marschieren und wieder kämpfen. Dazu die Weite in Russland, der Staub, der Regen und die Kälte. Auch in seinem Heimatort waren relativ schnell nach dem Beginn des Russlandfeldzuges die ersten Vermissten- und Todesanzeigen erschienen, hatten Nachbarn die ersten Familienangehörigen verloren. Gerüchte, der Russe kämpfe anders als der Franzose, härter und bis zum Tode, machten die Runde. Nein, dorthin wollte er nicht.

Er sah den Oberfeldwebel an und fragte in ruhigem Ton: „Sind wir dafür ausgebildet worden?“

Der Oberfeldwebel hatte diese Frage offenbar erwartet und antwortete: „Nein, aber Soldaten gehorchen und hinterfragen nicht laut!“

Diesen Ausspruch sollte Willi seinen Lebtag nicht wieder vergessen – gehorchen und die Klappe halten, egal wie der Befehl lautete. Oberfeldwebel Meyer beendete seine Ansprache und bemerkte kurz: „Achtung! Denken Sie an die Zeit! Und … ich wünsche alles Gute für die Zukunft!“

Dann drehte er sich um und verschwand. Die nun folgende Stille auf der Stube war unerträglich, bis Fritz das Wort ergriff:

„Ihr habt gehört, was der Oberfeld gesagt hat. Macht euch fertig.“

Innerhalb der vorgeschriebenen Zeit waren sie marschbereit auf dem Exerzierplatz angetreten. Nach der blumigen Abschiedsrede durch den Kommandanten des Fliegerhorstes, wurden sie und ihr Gepäck auf LKW verladen und zum nächsten Bahnhof gebracht. Hier wartete schon ein Fronturlauberzug aus Berlin auf sie, der in Richtung Danzig fuhr. Ein neues Kapitel begann für Willi, Fritz, Hans und die anderen – der Krieg.

 

*

 

Der Nachtmarsch bei strömendem Regen und das permanente „in Stellung gehen“ hatten alle Beteiligten nach drei Tagen im Biwak an den Rand der Belastbarkeit gebracht. Der Morgen graute bereits und sowohl Willi als auch Fritz waren schlichtweg fertig – müde, durchnässt, hungrig. Sie sehnten sich nach einer wärmenden Dusche und viel Schlaf. Willi blickte aus dem provisorisch angelegten Schützenloch über das MG auf dem Zweibein auf die Lichtung des Schießplatzes und versuchte den imaginären Feind zu finden. Sein „Spannemann“ Otto, ein gemütlicher Bayer, schlief neben ihm tief und fest. Einige Schützenlöcher weiter lag Fritz mit seinem zweiten MG-Schützen Horst, der wie Otto ebenfalls aus dem Süden, aber aus Franken, stammte, wie er gleich mitgeteilt hatte.

Nach ihrer Ankunft in Groß Born waren sie den länger dienenden Kameraden zugeteilt worden und hatten sich schnell mit den Angewohnheiten der „Herren Flugzeugführer“ vertraut gemacht. Die Kompanie, in der Willi und die anderen zusammengefasst wurden, gehörte zum 4. Jäger-Bataillon von vieren der neu aufgestellten 5. Luftwaffen-Felddivision. Zugeteilt wurden sie der 2. Kompanie und dort dem 1. Zug – Willi in der 2. Gruppe und Fritz in der 3. Gruppe. Sie wurden neu ausgerüstet und glichen buchstäblich den Infanteristen des Heeres. Einzig die blaue Dienstjacke mit den grünen Kragenspiegeln der Jäger wies sie als Luftwaffenangehörige aus.

Seit nunmehr drei Wochen wurden immer mehr Soldaten der Luftwaffe nach Groß Born zugeführt und infanteristisch ausgebildet. Da Willis Truppe zu den ersten der neu zu bildenden Divisionen gehörte, war ihre Ausbildung dementsprechend die intensivste. Neben dem Soldateneinmaleins lag der Fokus auf der Schießausbildung mit den Handfeuerwaffen und dem neu eingeführten MG 42.

Inzwischen war der „Trebbiner Trupp“ zu Gefreiten befördert worden. Damit waren sie für die frisch rekrutierten Flieger so etwas wie „Vorgesetzte“. Dies äußerte sich darin, dass Willi und Fritz praktisch das Maschinengewehr bedienten und trugen, während Otto und Horst die zusätzliche Munition in Kästen und ihr eigenes Gewehr 98 schleppten. Schon bald nach den ersten Übungen mit ihrem neuen Gerät machte ein geflügeltes Wort die Runde: „Der Luftwaffenjäger stirbt nicht im Kampf, er trägt sich Tod!“

Doch das Gewicht war in dieser Nacht nicht das Problem. Der stete pommersche Regen war praktisch überall. Zwar hatten sowohl Willi und Otto ihre Regenplane über den Stahlhelm und den Oberkörper gezogen, dennoch war die Uniform darunter genauso nass wie die Stiefel. Die Winterbekleidung war zwar schon ausgegeben worden, aber der Befehl, sie stetig zu tragen, war noch nicht ergangen. Durch den leichten Dunstschleier bemerkte Willi auf der anderen Seite der Lichtung eine leichte Bewegung – wahrscheinlich ein sich aufklappendes Ziel. Er weckte augenblicklich Otto. Da sie in permanenter Alarmbereitschaft waren, lagen die Munitionsgurte griffbereit. Otto öffnete den Deckelriegel und legte einen Gurt ein. Gespannt und nun geladen warteten sie auf weitere Befehle.

In diesem Moment erschallte der Ruf: „Alarm!“ Es folgte: „Feuern nach eigenem Ermessen auf Sichtziele!“

Wer auch immer der Rufer war, wusste, dass bei diesem Wetter Ziele praktisch nicht sichtbar waren. Dennoch schossen Willi und der etwas weiter positionierte Fritz fast zugleich. Als der erste Gurt geleert war, legte Otto den zweiten Gurt ein, vergaß dabei aber, dass er nicht den heißen Lauf des MG berühren sollte. Sein Schrei war ohrenbetäubend. Willi beendete sofort das Schießen, was den Zugführer auf den Plan rief. Doch bevor dieser eine Bemerkung machen konnte, sah er das Problem und rief so laut er konnte: „Das Schießen einstellen, das Schießen einstellen! Die Übung ist beendet!“

Er betrachtete Otto und dessen linke Hand und befahl sofort den Sani der Einheit zur Stelle. Dieser sah sich das Dilemma an, verband es notdürftig und geleitete Otto zum vorher bestimmten Verbandsplatz. Für Willi und den Rest des Zuges endete damit der „Ausflug“. Das bestimmende Gesprächsthema auf dem Weg in die Kaserne war natürlich Otto. Die Sorge um ihn wich mit zunehmender Zeit und der typische Soldatenzynismus gewann die Oberhand. Horst bemerkte: „Vielleicht hat er das ja nur getan, um nicht an die Front zu müssen!“

Andere mutmaßten sogar, dass er auf Dienstuntauglichkeit und Entlassung abzielen würde. Als der Zug nach gut zwei Stunden das Kasernentor erreichte, wurde er schon von einem einarmig dick bandagierten und gutgelaunten Otto erwartet. Dieser hatte seinen „Vorsprung“ genutzt, um sich zu waschen und zu frühstücken. Er sagte zu Willi: „Für eine kurze Zeit wirst du ohne mich auskommen müssen. Ich gehe für 14 Tage auf Heimaturlaub. Aber dann bin ich wieder da.“ Doch dazu sollte es nicht kommen.

 

*

 

Führerbefehl vom 13. September 1942 betr. Ablösung abgekämpfter Divisionen aus dem Osten

Der Führer

 

F.H.Qu., 13.Sept. 1942 OKW/WFST/Nr 551591/42 g.K. Chefs. Geheime Kommandosache 10 Ausfertigungen

Chefsache!

 

2. Ausfertigung nur durch Offizier!

Betr. Ablösung abgekämpfter Divisionen aus dem Osten

 

3. Darüber hinaus wird der Ob.d.L. die Luftwaffen-Feldeinheiten auf die Stärke von etwa 10-12 Luftwaffen-Feldbrigaden bringen, die ebenfalls als Ersatz für abzulösende Verbände oder Eingreifreserven zur Verfügung stehen. Für diesen Einsatz gelten dabei folgende Richtlinien:

 

a) Die Luftwaffen-Feldbrigaden sind geschlossen einzusetzen. Ein Zerreißen der Verbände hat zu unterbleiben.

 

b) Da die Luftwaffen-Feldbrigaden eine vorwiegend infanteristische Kampfkraft darstellen, ist ihre taktische Unterstellung unter Verbände des Heeres erforderlich, um ihre artilleristische Unterstützung, ihre Ausstattung mit Spezialtruppen und ihre Versorgung sicherzustellen.

 

gez. Adolf Hitler

 

Verteiler:

Gen.St.d.H./Op.Abt. 1. Ausf.       

Gen.St.d.H./Org.Abt. 2. Ausf.      

Ob.d.L./Lw.Fü.St. 3. Ausf.

OB West 4. Ausf.

OKW/WFst. 10. Ausf.

W.Bfh. Norwegen im Auszug fernschriftlich.3

 

„Alarm“ und immer wieder „Alarm“. Im Unterbewusstsein kämpfte Willi gegen den Drang an, die Augen zu öffnen. Doch dieses „Alarm“ kehrte immer wieder und kam sogar noch näher. Er öffnete blinzelnd die Augen und bemerkte durch die engen Spalten das voll eingeschaltete Licht der Stube. So langsam gewöhnte er sich an die Helligkeit und bemerkte die hektische Betriebsamkeit seiner Kameraden. Wieder das „Alarm“, aber diesmal vom Flur her und sich entfernend. Willi entdeckte Otto, der sich bemühte mit dem verbundenen Arm vom Doppelstockbett herunterzukommen. Er sprang auf, half Otto und fragte in die Runde: „Was ist los“?

Eine Antwort bekam er nicht, zog sich aber schnell an. Da allgemeine Alarmbereitschaft galt, befanden sich die notwendigen Dinge direkt an seinem Bett – Uniform, Knobelbecher mit Filzeinlagen, Stahlhelm, das sogenannte „Gerödel“, das am Körper befindliche Gehänge. Da die Biwaksachen noch nass waren, bekleideten sich alle Stubenmitglieder mit der seit dem Vortag per Befehl genehmigten Winterbekleidung. Dies schloss neue, kürzere Stiefel mit Filzeinlage, Unterwäsche und die neue Wendewinterjacke, außen feldgrau und innen weiß, ein. Diese fußte auf den Erfahrungen des ersten Russlandwinters und galt als gute Entscheidung des „Nachschubs“. Angezogen und in aller Hast die Knöpfe schließend, rannte die Stubenbesetzung zum Exerzierplatz. Das ganze Bataillon war im Antreten begriffen. Nach dem obligatorischen „Achtung“ bewegte sich der Bataillonskommandeur aus einer Gruppe von Offizieren, in der auch der Divisionsstab mit stellvertretendem Divisionskommandeur vertreten war, in das an einer Seite offene Viereck.

Viel Prominenz, dachte Willi und fragte sich, was jetzt wohl kommen werde.

„Soldaten des 4. Bataillons. Ich verlese einen Befehl des Reichsmarschalls mit heutiger Wirkung. Ab dem heutigen Datum verlegt die 5. Luftwaffen-Felddivision auf dem Wege des Bahntransportes nach Osten. Ziel ist Simferopol auf der Krim. Wir lösen zwecks Sicherungsaufgaben an der Küste des Schwarzen Meeres und im Inland die aufgefrischte 50. Infanteriedivision ab, die in den Kaukasus verlegt wird. Alles Material der Division und ihrer Speerspitze des 4. Bataillons wird mitgeführt. Die Kompanie- und Zugführer werden ihren untergebenen Einheiten die wesentlichen Informationen geben. – Wegetreten.“

Sofort begann den Platz ein Raunen und Getuschel zu füllen. Auch Willi war erstaunt. Russland, Krim, Ersatz, Küste, Inneres! Fritz eilte herbei und beide wussten nicht, was dies bedeuten sollte. Zumindest zunächst augenscheinlich keine Kampfhandlungen, sondern nur Sicherung.

Zurück auf der Stube begannen sie ihre Ausrüstung in die obligatorischen Kleidersäcke, soldatisch „Seesack“ genannt, zu verstauen. Bald schon erschien der Gruppenführer. Er verkündete: „Unsere Kompanie wird am Verladepunkt der Eisenbahn heute Nachmittag um 1600 auf die Personenwaggons 3 bis 5 verteilt. Die persönliche Ausrüstung in den Seesäcken wird in die davor oder danach angekoppelten Güterwagen abgeladen. Schreibt an die Angehörigen und gebt die Feldpostnummer zwecks Nachsendung nochmals an. Die Reise geht über Warschau und Kiew nach Simferopol. Für Verpflegung ist gesorgt. Die Stabskompanie ist zurzeit damit beschäftigt, alles Mechanisierte einschließlich der Sturmgeschütze sowie Waffen und Munition auf die Vorausabteilungen zu verteilen. In Simferopol kommen wir dann zusammen. Was da dann passiert – keine Ahnung.“

Damit war klar, dass die Masse der Division in Teilen verlegt und dies mehrere Tage andauern wird.

Nachdem er seine persönlichen Sachen verstaut hatte, schrieb Willi wie angeraten noch schnell eine kurze Postkarte an seine Eltern. Dabei wurde er von Otto gestört, der völlig aufgelöst mit seiner dick verbundenen linken Hand die Stube betrat.

„Oane Sauerrei is dös. I werd letscherd. I muss mit!“ Ins Hochdeutsche zurückkehrend teilte er mit, dass Genesungsurlaub gestrichen sei und er auf der Zugfahrt vom Sani des Zuges betreut werde. An eine Zeit im Einsatz ohne Otto hatte Willi überhaupt nicht gedacht und war deshalb irgendwie froh, Otto bei sich zu haben, obwohl er durchaus Mitleid mit ihm hatte. Er half ihm deshalb, seine persönlichen Sachen zu verstauen, und dann warteten sie alle gemeinsam auf den Abmarsch zur Bahn. Dieser erfolgte planmäßig.

Im Eisenbahnwaggon verstauten Willi und die anderen die Waffen im obigen Gepäcknetz. Die Seesäcke hatten sie im Güterwaggon dahinter abgegeben, in der Hoffnung, den eigenen auch wiederzubekommen. Kaum Platz genommen, ruckte der Zug auch schon an und setzte sich in Bewegung. Zuerst vorbei an den dichten Kiefernwäldern, dann in den urbanen Raum von Danzig und weiter in Richtung Warschau. Gelegentliche Stopps außerhalb der Bahnhöfe nutzten sie zur Notdurft und manchmal auch zur Orientierung. Nach drei Tagen kaum unterbrochener Fahrt und schon ausgerüstet mit dem typischen „Bahnwackeln“, bei dem sich der Körper wie auf dem Meer den Bewegungen des Beförderungsmittels anpasst, erreichten sie die Hauptstadt der Ukraine – Kiew. Größere Zwischenfälle, wie man sie bei den Wachaufzügen an den Haltepunkten durch Flieger oder Partisanen erwarten durfte, gab es nicht.

Nachdem sie die polnisch-ukrainische Grenze bei Brest passiert hatten, sahen sie den Krieg. Der Kampf um die Festung hatte vor gut einem Jahr starke deutsche Kräfte gebunden und war für beide Seiten sehr verlustreich gewesen. Links und rechts der Bahnlinie sahen sie regelmäßig zerstörtes Kriegsgerät beider Seiten. Zumeist sowjetisches Gerät zeigte die Heftigkeit der Kämpfe. Insbesondere die Momentaufnahme einiger zerstörter russischer Panzer hinterließ bei Willi ein unangenehmes Gefühl. Zum Teil fehlten den Wannen die Ketten oder der Panzerturm. Dieser lag dann einige Meter weiter auf dem Kopf. Welche unheimliche Wucht hatte diese tonnenschweren Konstrukte derart bewegt? Stukas? Willi hatte schon in Trebbin bei Vorführungen der Wochenschau gesehen, wie präzise diese Ziele in Frankreich bekämpft hatten. Für die Panzerbesatzung gab es da definitiv kein Überleben. Er stellte sich bildlich vor, wie grausam der Verbrennungstod sein musste, und schwor sich, niemals ein solches Ding zu betreten.

Vereinzelt sah er Menschen, die irgendwie ihrer Tätigkeit nachgingen. Gelegentlich näherten sich Kinder bei Langsamfahrt dem Zug und zeigten das Symbol für Essen. Bereitwillig gaben die Landser ab. Mitunter ernteten sie dankbare Blicke. Willi überkam aber das Gefühl, Verzweiflung und Ratlosigkeit zu sehen, wenn er in die traurigen Augen blickte.

Fritz sagte zu ihm: „Irgendwie fragen sie uns, was wir hier wollen. Und ich habe das Gefühl, ich frag‘ mich das auch!“

So langsam änderte sich auch die Landschaft. Die dichten Wälder Ostpolens und der nördlichen Ukraine wichen der typischen Steppe – endlose Grasflächen oder Felder, die jetzt im Winter wie gezuckert erschienen. Bei Otto setzte sich der Heilungsprozess fort. Nachdem man ihm den Verband abgenommen hatte, konnte er immerhin die Hand wieder öffnen und schließen. Regelmäßig trug ihm der Sani Brandsalbe auf und wies ihn auch darauf hin, dass ab sofort Waschen wieder möglich sei. Aber das war das Problem aller. Körperliche Hygiene war im kleinen WC für fast 100 Mann nur mit absoluter Planung möglich. Dazu das zu wenig vorhandene Trinkwasser und erst der abgestandene Geruch nach altem Rauch, Schweiß, Waffenöl und eben ungewaschenen Menschen.

Auf dem Verschiebebahnhof von Kiew wurde die gesamte Kompanie auf LKW verladen und zum Duschen, Wäschewechseln, Essen und für einige Stunden Schlafen in einem richtigen Bett in eine ehemalige Kaserne der Roten Armee verbracht. Dann ging die Reise weiter. Nach einem weiteren Tag erreichte der Zug Cherson am Dnjepr, der überquert wurde. Willi hatte noch nie in seinem Leben einen solch breiten Fluss gesehen und wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass er diese Stadt nochmals wiedersehen würde. Er war auch völlig beeindruckt vom Anblick des Schwarzen Meeres, nachdem sie die Landenge des Perekop überquert hatten. Mitten in der Nacht erreichten Sie Simferopol, die Hauptstadt der Krim. Der Antransport von Teilen der 5. Luftwaffen-Felddivision war beendet und die 50. Infanteriedivision war planmäßig in den Kaukasus abtransportiert worden, ein Transport, den auch Willi und seine Kameraden noch mitmachen würden. Aber das wussten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

 

 

 

Sotschi Mitte der 80er

 

So aufgeregt hatte der Enkel seinen Großvater Willi noch nie gesehen. Eigentlich war dieser ein ruhiger und besonnener Mann. Aber seit einigen Tagen zeigte er eine völlig neue Seite. Alles fing damit an, dass der Reiseleiter von „Intourist“ während des typischen Begrüßungscocktails am ersten Morgen nach der Ankunft im Hotel mit Ausflügen warb. Fast schon obligatorisch sollten die Teeplantage in Dagomys und die lange Fahrt über abenteuerliche Straßen zum Ritsa-See im Hochkaukasus gebucht werden. Weiterhin hatten sie sich auf dem Flug von Berlin nach Sotschi-Adler darauf geeinigt, dass dieses Mal, anders als vor zwei Jahren, als sie es verpasst hatten, unbedingt mit dem Tragflächenboot „Raketa“ nach Pitzunda in Georgien gefahren werden sollte. Als sie auf das Buchen und Bezahlen warteten, hörten sie, wie ein Sachse den Reiseleiter über die Möglichkeit ausfragte, einen Rundflug in einem Mi-8-Hubschrauber zu buchen. Dieser konnte oder wollte sich dazu nicht äußern, versprach aber, bis zum nächsten Tag Informationen einzuholen.

Nachdem Willi die drei Ausflüge gebucht und bezahlt hatte, hoffte sein Enkel auf ein schnelles Ende der Veranstaltung. Er hatte sich bereits am Vortag während des Fluges mit einem gleichaltrigen Jungen namens Marco angefreundet, der zufälligerweise im gleichen Hotel untergebracht war. Nach dem Frühstück hatten sie sich verabredet, gemeinsam den hoteleigenen Strand zu besuchen. Willi hatte zugestimmt, aber darauf hingewiesen, dass nach dem Mittagessen der obligatorische Besuch des Basars anstehe. So blieb also an diesem Vormittag nicht viel Zeit. Aber irgendwie trödelte sein Großvater herum und machte keinerlei Anstalten, die Veranstaltung zu verlassen.

„Großvater, sind wir hier nicht fertig?“, fragte der Enkel und ohne die Antwort abzuwarten, setzte er fort: „Falls du hier noch länger bleiben möchtest, dann haben die Eltern von Marco angeboten, mich mit zum Strand zu nehmen. Hast du damit ein Problem?“

Willi schaute auf seinen Enkel herunter, räusperte sich kurz und sagte: „Hmm, ich habe hier noch etwas zu tun. Geh ruhig mit, sei aber zum Mittagessen wieder da.“

Ein kurzer Handgruß von Willi an die bereits am Hoteleingang wartenden Eltern von Marco als Zeichen seiner Zustimmung. Kurze Zeit später, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sein Enkel in Richtung Strand unterwegs war, bewegte er sich zum Reiseleiter, der das Hotel soeben verlassen wollte.

„Haben Sie einen Moment Zeit?“, fragte er.

Dieser bejahte und wies auf die Lounge-Gruppe. „Bitte setzen Sie sich. Was kann ich für Sie tun?“

Willi nahm wie geheißen Platz und antwortete: „Ich habe Ihr Gespräch mit dem freundlichen Sachsen zwecks Hubschrauberflug mit angehört. Mein Enkel und ich würden gern daran teilnehmen, wenn es bezahlbar ist.“

Der Reiseleiter musterte Willi etwas verwirrt. „Ich weiß überhaupt nicht, wer dieses Gerücht in die Welt gesetzt hat. Meines Erachtens ist es Touristen maximal erlaubt, an geführten Bus- oder Bootstouren teilzunehmen – der Sicherheit wegen. Aber wie ich vorhin schon bemerkt habe, werde ich mich erkundigen.“

Willi war mit dieser Antwort nicht zufrieden und fragte mit tiefer Stimme: „Wann kann man denn mit einer Antwort rechnen?“

Der Reiseleiter, sichtlich beeindruckt, blickte Willi direkt an, überlegte kurz und antwortete: „Kommen Sie heute Nachmittag gegen 16.00 Uhr in das Hotel ‚Schemtschuschina‘. Ich habe dort im Auftrag von ‚Intourist‘ eine Veranstaltung für westdeutsche Neckermann-Touristen. Da das Hotel eigentlich nur Menschen aus dem kapitalistischen Ausland vorbehalten ist, werde ich Sie an der Rezeption empfangen. Seien Sie also pünktlich.“

 

*

 

Nach dem Mittagessen und der Mittagsruhe teilte Willi seinem Enkel mit, dass der geplante Ausflug auf den Basar um einen Tag verschoben werde, da er einen wichtigen Termin wahrnehmen müsse. Er stellte ihm frei, mitzukommen oder mit Marco und dessen Eltern wieder den Strand zu besuchen. Die Entscheidung fiel, wie von Willi nicht anders geplant, zugunsten des Strandes aus. Nun konnte er sich um das Projekt „Hubschrauberrundflug“ kümmern. Pünktlich, fast schon überpünktlich, erreichte er das Hotel „Schemtschuschina“, ein direkt an der Strandpromenade gelegener Großbau der Neckermann-Gruppe mit offiziellen vier Sternen. Da die Längsfront des Hotels in das Landesinnere ragte, konnte man von jedem Balkon aus das Schwarze Meer sehen. Auf dem Dach des Restaurants befand sich der große Außenpool und direkt unterhalb der Promenade der hoteleigene Strand.

Willi durchschritt die Automatiktür und war erstaunt ob der gewaltigen Ausmaße der Eingangshalle.

---ENDE DER LESEPROBE---