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Geht es um Angst, dreht sich meist alles um die Frage, wie man sie am schnellsten loswird. Constanze Dennig geht in ihrem neuen Buch einen anderen Weg: Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie erklärt, dass Angst auch durchaus gute Seiten hat – wenn man sie versteht und zu nützen weiß. Anhand konkreter Beispiele wird erklärt, wie Angst im Gehirn entsteht, wo der Unterschied zwischen "normaler" und pathologischer Angst liegt, welche Systeme unserer modernen Gesellschaft sie ausnützen und befeuern – und wie man sich dem entgegenstellt. Denn das vermeintlich negative Gefühl ist in Wahrheit auch ein mächtiger Motor für Weiterentwicklung, Veränderung und Selbstakzeptanz. Aus dem Inhalt: - Das Geschäft mit der Angst und wie wir mit Angst manipuliert werden - Angst als Motor der menschlichen Entwicklung - Angstlust- Furcht in Glück umwandeln - Unser Alltag aus intelligenten Angstvermeidungsstrategien - Für den positiven Umgang mit der Angst: 16 "Trickwerkzeuge"Constanze Dennig hat als Autorin stets von Ihrem Fachwissen als Psychiaterin profitiert – das profunde Verständnis über die Psyche des Menschen macht die Darstellung ihrer Protagonisten besonders realistisch. Für ihr neues Sachbuch hat sie zum Erstlesen deshalb Künstler gebeten, die für die Erschaffung oder Darstellung ihrer Figuren ebenfalls tief in deren Gefühlswelt eintauchen, die Angst oft eindrücklich künstlerisch darstellen. Niemand geringere als Daniel Kehlmann, Thomas Raab und Christoph Waltz - alle herausragende Meister Ihres Faches – haben ihr Feedback zum Buch gegeben: Es gibt viele Gründe, Angst zu haben, aber es gibt auch zuverlässige Techniken, um die eigene Angst zu verstehen, zu nutzen und manchmal sogar zu überwinden. Mit Angst umzugehen, das kann man lernen. Zum Beispiel in diesem profunden, klugen und kenntnisreichen Buch: Constanze Dennig ist eine Expertin, die ihr Wissen so zu vermitteln weiß, dass dieses tatsächlich zu helfen vermag. Daniel Kehlmann Mit schnörkelloser Eleganz und entlarvender Logik schafft dieses Buch, woran Regalwände voll Ratgebern scheitern. Es will nicht trösten, als wären wir Kinder, sondern hebelt auf Augenhöhe so manchen Irrglauben aus und lässt den Feind zum Freund werden. Absolut beeindruckend. Und wegweisend. Thomas Raab Constanze Dennig hat ein nicht nur sehr lehr-, sondern auch ausgesprochen hilfreiches Buch geschrieben. Es zeigt klar und deutlich, dass man sich vor Angst nicht zu fürchten braucht. Und vor allem, warum das so ist. Christoph Waltz
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Seitenzahl: 180
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Inhalt:
Geht es um Angst, dreht sich meist alles um die Frage, wie man sie am schnellsten loswird. Constanze Dennig geht in ihrem neuen Buch einen anderen Weg: Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie erklärt, dass Angst auch durchaus gute Seiten hat – wenn man sie versteht und zu nützen weiß.
Denn das vermeintlich negative Gefühl ist in Wahrheit auch ein mächtiger Motor für Weiterentwicklung, Veränderung und Selbstakzeptanz.
Es gibt viele Gründe, Angst zu haben, aber es gibt auch zuverlässige Techniken, um die eigene Angst zu verstehen, zu nutzen und manchmal sogar zu überwinden. Mit Angst umzugehen, das kann man lernen. Zum Beispiel in diesem profunden, klugen und kenntnisreichen Buch: Constanze Dennig ist eine Expertin, die ihr Wissen so zu vermitteln weiß, dass dieses tatsächlich zu helfen vermag.
Daniel Kehlmann
Mit schnörkelloser Eleganz und entlarvender Logik schafft dieses Buch, woran Regalwände voll Ratgebern scheitern. Es will nicht trösten, als wären wir Kinder, sondern hebelt auf Augenhöhe so manchen Irrglauben aus und lässt den Feind zum Freund werden. Absolut beeindruckend. Und wegweisend.
Thomas Raab
Constanze Dennig hat ein nicht nur sehr lehr-, sondern auch ausgesprochen hilfreiches Buch geschrieben. Es zeigt klar und deutlich, dass man sich vor Angst nicht zu fürchten braucht. Und vor allem, warum das so ist.
Christoph Waltz
Constanze Dennig
Vom Nutzen der Furcht
Vorwort
Kapitel 1 – Wie entsteht Angst?
Kapitel 2 – Das Geschäft mit der Angst
Kapitel 3 – Fiktive und reale Ursachen von Angst
Kapitel 4 – Angst und die Fantasie
Kapitel 5 – Angst und Glück
Kapitel 6 – Interne und externe Kontrolle
Kapitel 7 – Transformation von Angst in einfallsreiche Kraft
Ich danke meiner Freundin Friederike Lenart für ihre wichtigenAnregungen bei der Entstehung dieses Buches!
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Was haben die großen Künstler und Genies unserer Geschichte mit den schlimmsten Despoten gemeinsam? – Die Angst als einen der Motoren ihrer Entscheidungen. Denn Angst kann gleichermaßen konstruktiv verarbeitet wie auch zerstörend ausagiert werden. Dabei ist der Umgang mit ihr immer kreativ, denn auch ein negatives, sogar grausames Ergebnis bedarf zunächst eines Auslösers, dann einer Idee und schließlich deren Ausführung. So gefährlich und fatal Angst aber für uns selbst und andere werden kann, so hilfreich und beflügelnd kann sie auch sein. Sie hat entscheidend zu epochalen (Kunst-)Werken, wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fortschritt beigetragen.
In meiner Tätigkeit als Psychiaterin bin ich immer wieder auf unterschiedlichste Arten mit den Ängsten meiner Patienten konfrontiert. In diesem Buch möchte ich deshalb den verschiedenen Folgen des Umgangs mit diesem Gefühl nachgehen. Denn man denkt bei Angst zunächst immer an eine Störung, im schlimmsten Fall an eine zu behandelnde. Es ist ein Begriff, der reflektorisch an Leiden denken lässt. Wer kommt schon auf die Idee, dass der Angst auch etwas Bejahendes, Vorteilhaftes abzugewinnen ist? Keiner möchte schließlich Angst haben. Auch für mich war es eine neue Erfahrung, mich mit der Angst als Motor der menschlichen Entwicklung auseinanderzusetzen. Erst als ich mich gedanklich von meinem beruflichen Korsett lösen konnte – nämlich zu versuchen, Angst wegzutherapieren –, entdeckte ich die großartigen Folgen von Angst. Denn die Angst kann alles entstehen lassen: die Verzweiflung, aber eben auch das Glück.
Der Auslöser für einen anderen Blick auf diese Thematik war bei mir die Coronapandemie. Durch die kollektive Unsicherheit und damit die Angst vor den Folgen dieses Virus entwickelten sich in Windeseile Lösungsstrategien, die sich infolge auch auf andere Bereiche des Lebens auswirkten. Wer hätte noch vor drei Jahren gedacht, dass man Besprechungen auch ganz gut mittels Videokonferenz durchführen kann, dass Großeltern mit den Enkelkindern per Handy kommunizieren können, dass innerhalb eines Jahres eine Impfung auf den Markt kommen kann, dass die Schule auch online funktioniert, dass medizinfremde Menschen sich selbst testen lernen, dass wir auch mit Maske ein Sozialleben führen können, dass unsere Wirtschaft im Angesicht einer massiven Krise nicht komplett zusammenbricht und dass wir ganz schön flexibel sein können? Im Gegensatz zu den die Apokalypse Heraufbeschwörenden erlaube ich mir, der Angst Vorteile zuzugestehen. Ja, so haben wir durch die Angst vor dem Virus unbeabsichtigt, weil gezwungenermaßen viel dazugelernt, auch Dinge, die uns langfristig weiterbringen werden.
Auch aktuell, im Fall der nächsten Katastrophe, dem Ukrainekrieg, wird aus Angst vor dem Zudrehen der Gasund Erdölhähne die Etablierung der CO2-neutralen Energiegewinnung befeuert. Was wir jahrzehntelang nicht geschafft haben, nämlich den Ausstieg aus Gas und Erdöl, schafft jetzt vielleicht die Furcht vor einer kalten Wohnung in den kommenden Wintern. Diese Angst wird also hoffentlich auch einen bewussteren Umgang mit unseren Ressourcen bewirken. Bisher war vielen, trotz allen eindringlichen Hinweisen der Umweltschützer, nicht bewusst, dass unser Reichtum endlich ist, denn die Angst vor der Überhitzung unserer Erde war nicht spürbar genug.
Um die Thematik anschaulich zu gestalten, habe ich Fallbeispiele aus meiner Praxis eingefügt. Diese entsprechen keinen realen Patienten und Patientinnen, sondern dienen jeweils als eine Zusammenfassung von typischen „Angstgeschichten“. Physiologische und chemisch-wissenschaftliche Fakten und Erläuterungen sind zum besseren Verständnis möglichst kurz gehalten und in Kästen eingefügt, wer sich nicht mit sperrigen medizinischen Themen herumschlagen will, kann diese einfach überspringen.
Ich habe dieses Buch geschrieben, weil es mir ein Anliegen ist, die revolutionäre Kraft von Angst darzustellen. Ich möchte diesem so elementaren Gefühl ein wertfreies Mäntelchen umhängen und Leser und Leserinnen dazu anregen, sich mit der Sinnhaftigkeit ihrer Ängste auseinanderzusetzen und somit selbst Strategien zu entwickeln, wie man die eigene Furcht zur persönlichen und auch kollektiven Weiterentwicklung nützen kann. Der Umgang damit fordert die Kreativität und Intelligenz heraus und trägt somit zur Lösung von Problemen bei. Denn Angst ist wertfrei.
Darum: Willkommen, Angst!
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Jeder hat das Gefühl schon mal erlebt, wenn scheinbar ein Stromschlag durch den ganzen Körper bis in die Fingerspitzen fährt, obwohl keine Elektrizitätsquelle vorhanden ist, zum Beispiel bei einer Notbremsung. Unser Organismus schaltet in solchen Situationen blitzschnell in einen erhöhten Arousalzustand um, das zentrale Nervensystem ist also aufmerksamer, um unmittelbar auf die Gefahr reagieren zu können. Ausgelöst wird diese Erregung durch sensorische Impulse, die auf einen bestimmten Teil des Hirnstammes, die Formatio reticularis, einwirken. Die Hirnrinde wird erregt und dabei das Hormon Adrenalin ausgeschüttet. Über die Formatio reticularis beeinflusst der erhöhte Arousallevel den gesamten Organismus, vor allem das vegetative Nervensystem. Das führt zu fälschlich empfundenen Phänomenen wie dem des Stromschlags. So werden nicht nur sensible Empfindungen durch Angst ausgelöst, sondern auch Veränderungen im Stoffwechsel. Durch einen Reiz kommt es also zu einer Ausschüttung von Hormonen, die den erhöhten Arousalzustand auslösen.
Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass jeder Reiz, dem wir ausgesetzt sind, eine chemische Reaktion im Organismus hervorruft. Die Art der chemischen Reaktion entscheidet dann darüber, ob wir diesen Reiz als angenehm oder als beängstigend wahrnehmen. So kann unter Umständen ein und derselbe Reiz ein Glücksgefühl oder auch Panik auslösen.
Stellen wir uns eine Situation vor, die auf zwei Arten wahrgenommen und verarbeitet werden kann:
1.: Frau Aa. liegt allein im Bett. Sie weiß, dass ihr Freund bis 01:00 Uhr morgens Dienst hat. Als sie des Nachts aufwacht, hört sie, dass die Eingangstür knackt. Sofort ist sie hellwach und ein Gefühl der Freude erfüllt sie.
2.: Frau Aa. liegt allein im Bett. Sie weiß, dass ihr Freund die ganze Nacht Dienst hat und deshalb erst morgens nach Hause kommen wird. Als sie des Nachts aufwacht, hört sie, dass die Eingangstür knackt. Sofort ist sie hellwach, ihr Herz schlägt laut, sie wagt es nicht, die Augen zu öffnen. Sie hat Angst, Panik, sie liegt wie gelähmt im Bett.
Wie dieses Beispiel zeigt, hängt die Auslösung eines Angstzustandes von der Erwartungshaltung ab. Erwarte ich Gefahr, fühle ich mich sicher oder leugne ich gar eine potenzielle Bedrohung? Auch wie stark ein Reiz sein muss, um Angst auszulösen, hängt von der Grundstimmung des Menschen ab. Ängstliche Menschen, die sehr rasch Gefahr vermuten, haben eine geringere Angst auslösende Schwelle als unbekümmerte Persönlichkeiten. Ob ich Angst in einer bestimmten Situation empfinde, hängt also mit meiner Stimmungslage zusammen. Die Interpretation des Reizes geschieht durch die psychische Ausgangslage der Person. Nicht umsonst sind Panikattacken auch Symptome einer Depression. Ein depressiver Mensch ist auch immer ein furchtsamer Mensch.
Es ist wichtig, zu bemerken, dass sich die „normale Angst“ von der „pathologischen Angst“ nicht in der Qualität, sondern in der Dauer, der Intensität und der Angemessenheit in Relation zum auslösenden Reiz und im Ausmaß des Vermeidungsverhaltens unterscheidet. Die im Gehirn betroffenen Areale sind in beiden Fällen dieselben, ganz egal, ob die Angst von einer realen Gefahr ausgelöst wird oder sie eine überschießende Reaktion auf einen objektiv ungefährlichen Reiz ist.
Im Gehirn sitzt die Angst – vereinfacht gesagt – im Mandelkern, dem Corpus amygdaloideum. Dieser steht mittels Neurotransmittern (Hirnbotenstoffen) in ständigem Austausch mit
♢ dem Nucleus paraventricularis (der „Stressachse“) des Hypothalamus,
♢ dem lateralen Hypothalamus, wo das sympathische Nervensystem aktiviert wird,
♢ dem Nucleus parabrachialis, der das Atemzentrum beeinflusst,
♢ dem Locus coeruleus, der für erhöhten Herzschlag und Blutdruck sorgt,
♢ dem Nucleus reticularis pontis caudalis, wo somatische Reflexe verstärkt werden,
♢ dem Periaquäduktalem Grau, das das sogenannte Freezing-Verhalten, also das „Erstarren“, auslöst.
Die detaillierten chemischen Abläufe, die unser Angstverhalten auslösen, sind hochkomplex. Zu den wichtigsten zählt jedoch die Ausschüttung der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, Gammaaminobuttersäure und Glutamat. Auch die medikamentöse Therapie einer Angststörung setzt bei der Steuerung dieser Neurotransmitter an. Wenn wir uns fürchten, startet im Hypothalamus zunächst die Stressachse durch einen Reiz, der Angst hervorruft. Hier wird dann CRH (Corticotropin-Releasing-Hormon) ausgeschüttet, das wiederum die Hypophyse zur Ausschüttung von ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) stimuliert. ACTH regt dann die Nebennierenrinde zur Ausschüttung von Glukokortikoiden wie Kortisol und Kortison an. Anschließend wird über den Nervenstrang des Sympathikus das Nebennierenmark aktiviert. Dieses schüttet dann sofort Adrenalin und Noradrenalin aus. Die Mischung aus verschiedenen Hormonen, die das Gehirn bei einem Angst auslösenden Reiz produziert, verursacht dann in unseren Organen die Reaktion auf diesen Reiz. Sinn und Zweck dieses „Hochfahrens“ unseres Organismus ist vor allem die Bereitstellung von Energie, um in einer Gefahrensituation zu überleben. Dazu zählen die Beschleunigung der Herztätigkeit, die Erhöhung des Blutdrucks, die Freisetzung von Glukose und die verstärkte Durchblutung der Muskulatur. Kommt es nicht zu einer Reduzierung der die Angst auslösenden Reize, kann das durch Persistenz der Stresshormone zu gesundheitlichen Schäden führen.
Evolutionsbiologisch betrachtet, sichert Angst das Überleben unserer Spezies. Allerdings haben sich die Lebensbedingungen über Tausende Jahre dramatisch verändert, unser Gehirn ist aber dasselbe geblieben. Sprich, wir haben uns von Jägern und Sammlern zu Sitzern und Schauern entwickelt. Dadurch bedingt, brauchen wir dieses Hochfahren unseres Organismus nicht mehr in diesem Ausmaß. Aber wohin nun mit den tobenden Stresshormonen? Im besten Fall werden sie etwa durch schwere Arbeit oder körperliche Betätigung abgebaut, im schlimmsten Fall kreisen sie in unserem Organismus und verursachen ein Weiterbestehen von Angstzuständen.
Herr Ba. ist als Programmierer beschäftigt. Berufsbedingt sitzt er den ganzen Tag vor dem Computer und muss unter Zeitdruck Lösungen finden. Das erfordert von ihm sehr schnelle Entscheidungen. Abends versucht er, seinen Stress durch Computerspiele loszuwerden, da er die innerliche Spannung weiter empfindet. Dadurch fühlt er sich abgelenkt und er leidet nicht mehr darunter, nicht einschlafen zu können, da er oft bis spätnachts spielt. Leider verspürt er aber immer öfter scheinbar unbegründete Angstzustände, vor allem, wenn er die Wohnung verlässt. Deshalb igelt er sich immer mehr in seinen vier Wänden ein. Sein Essen lässt er zustellen, und seine sozialen Kontakte verlegt er immer mehr in die sozialen Medien. Dort kommuniziert er großteils mit anderen Gamern und tauscht sich mit ihnen über die gemeinsamen Spiele aus. Als sich die Angstzustände nicht mehr durch die Einkapselung in der Wohnung vermeiden lassen und es zu einer dramatischen Panikattacke zu Hause kommt, in deren Verlauf er Atemnot und Herzschmerzen spürt, ruft Herr Ba. den Notarzt. Er wird in eine Notfallambulanz gebracht, wo die Ärzte keine Ursache für seine Symptome finden können. Man legt ihm nahe, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, und diagnostiziert eine Angststörung. Das will Herr Ba. aber nicht akzeptieren. Wieder zu Hause macht er weiter wie bisher und konsultiert lieber „Dr. Google“. Dieser „diagnostiziert“ bei ihm eine Lungenfibrose oder eine Herzmuskelentzündung. Herr Ba. ist davon überzeugt, dass er daran sterben wird. Die bald mehrmals täglich auftretenden Angstzustände bestätigen ihn in seinem Glauben.
Wir können nur vermuten, was die erste große Panikattacke bei Herrn Ba. ausgelöst hat. Möglicherweise ein Bild oder ein Geräusch, jedenfalls ein Reiz, den Herr Ba. nicht bewusst wahrgenommen hat. Im Gegensatz zu Angstzuständen, die einer bestimmten Situation zuordenbar sind (z. B. Flugangst), sind Panikattacken im Rahmen einer generalisierten Angststörung meist an keinem einzelnen Ereignis festzumachen. Sicher ist aber, dass die vagen Angstzustände, die der Panikattacke mit Todesangst vorausgegangen sind, bereits Anzeichen dafür waren, dass die Stresshormone bei Herrn Ba. schon längere Zeit erhöht waren und nicht abgebaut wurden. Oft ist dann ein unbestimmter Reiz der Auslöser für den ersten Crash.
Herr Ba. hat sich durch die vorangegangene monatelange Reizüberflutung in einen permanenten Alarmzustand hineinmanövriert. Computerarbeit ist eine Tätigkeit, die ständige Entscheidungen in einem sehr kurzen Zeitraum von Millisekunden erfordert, sodass unserem Gehirn dauernde Gefahr vorgegaukelt wird. Diese Vorgänge durch Computerspiele auch in der Freizeit weiter zu fördern, führt dazu, dass das Gehirn in einen andauernden erhöhten Arousalzustand mit den bekannten körperlichen Folgen abdriftet. Herr Ba. hätte möglicherweise seinen Zusammenbruch dadurch verhindern können, anstrengende Dauerläufe zu absolvieren, statt sich mit Computerspielen zu „entspannen“.
Wir wissen, dass Angsterkrankungen multifaktorielle Entstehungsmechanismen haben. Dazu gehört auch die genetische Prädisposition. Angst wird also auch vererbt. Rund die Hälfte der Menschen mit pathologischen Angstzuständen haben mindestens einen Elternteil, der ebenfalls darunter leidet.
Ursachen für „vererbte Angst“ können – unter anderem – verschiedene Genvarianten sein:
Genvariante der Monoaminooxidasen
Genvariante gewisser Serotoninrezeptoren
Genvariante des Serotonintransports
Genvariante des Noradrenalintransports
Genvariante der Catechol-O-Methyltransferase
Genvariante im GABA-ergen System
Genvariante der HPA-Achse
Genvariante des Wachstumsfaktors BDNF
Auch die Epigenetik spielt in der Vererbung von Angststörungen durch Veränderung der Expression der Gene – das ist die Vervielfältigung bestimmter Eiweiße in der Zelle – eine Rolle. So können sich zum Beispiel traumatische Erlebnisse, die im Leben der Mutter oder des Vaters stattgefunden haben, epigenetisch auf das Kind übertragen. Studien über die Nachkommen von Holocaust-Überlebenden belegen das. Trotz der Erforschung der Vererbungstheorien durch wissenschaftliche Studien ist es aber schwierig, zwischen dem sozialen Lerneffekt und der direkten genetischen Vererbung bei einzelnen Menschen mit Angststörungen zu unterscheiden.
Frau Ca. ist ein Einzelkind. Sie wuchs durch ihre sehr ängstliche Mutter überbehütet auf. Diese sorgte sich sehr um ihre Tochter, schirmte sie deshalb weitgehend vor der Umwelt ab und musste schließlich ihren Job aufgeben, da sie sich in einem ständigen Erschöpfungszustand befand. Sie übertrug ihr persönliches Unwohlsein auf ihre Tochter und suggerierte ihr, dass die Lehrer zu viel von ihr verlangen würden. Auch war die Mutter ständig in Sorge, dass sich das Kind „überanstrengt“. Deshalb wurde Frau Ca. zu einem „Stubenhockerkind“, das das „Draußen“ als gefährliche Umgebung wahrnahm. Schon als Kind fürchtete sie sich in öffentlichen Verkehrsmitteln vor einer möglichen Entführung oder ansteckenden Krankheiten, weshalb sie täglich von der Mutter mit dem Auto zur Schule gebracht und wieder abgeholt wurde. Sie war zwar eine gute Schülerin, hatte aber keine Freunde, da sie sich nicht traute, sich mit den Schulkameraden zu treffen oder ihnen sonst irgendwie näherzukommen.
Obwohl sie jetzt ihr Studium der Biologie erfolgreich absolviert hat, schafft sie es aus Angst zu versagen nicht, einer regelmäßigen Beschäftigung nachzugehen. Sie bleibt deshalb zu Hause bei ihrer Mutter. Da sich ihre Angstzustände immer mehr häufen und sie aus Angst vor Psychopharmaka nur natürliche und homöopathische „Medikamente“ einnimmt, verschlechtert sich ihr Zustand so weit, dass sie einen Suizidversuch unternimmt und daraufhin in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert wird.
Drei erkennbare Faktoren dürften für Frau Ca.s Angstzustände verantwortlich gewesen sein: ein genetischer, ein epigenetischer und ein anerzogener. Welche Ursache nun die dominierende war, können wir nicht feststellen. Tatsache ist aber, dass ihr Gehirnstoffwechsel – aus welchen Gründen auch immer – fehlgesteuert ist. Zusätzlich hindert ihre Angst sie daran, nach einer effektiven Behandlung zu suchen. Ein häufiges Problem: Depressive, ängstliche Patienten verweigern oft eine Therapie mit wirksamen Medikamenten, da sie die Nebenwirkungen fürchten.
Wie man aus der Forschung mit traumatisierten Menschen weiß, kommt es als Folge eines Traumas sehr oft zu einer Angststörung. Diese muss sich keineswegs auf den Inhalt des vorangegangenen Traumas beziehen, sondern kann auch andere Inhalte besetzen. Wissenschaftlich belegt ist aber, dass ein Trauma in der Kindheit oder Jugend sehr viel öfter eine Angststörung als Folge bedingt als im Erwachsenenalter. Deshalb ist es auch so wichtig, dass kindliche Traumata, etwa ausgelöst durch Missbrauch, sofort behandelt werden.
Herr Da. steht bereits zum dritten Mal wegen eines Raufhandels vor Gericht. Das Delikt ist immer das gleiche: Wenn er sich in einem Lokal nach Alkoholgenuss von einem anderen Gast bedroht fühlt, schlägt er zu. Die Opfer kennen Herrn Da. nicht und hatten vor dem Übergriff keinerlei verbalen Kontakt zu ihm.
Herr Da. ist selbst in einer Familie aufgewachsen, in der Gewalt zum Alltag gehörte. Der Vater schlug aus heiterem Himmel zu, vor allem, wenn er getrunken hatte. Bei genauerer Exploration erzählt Herr Da., dass der Vater, bevor er zu seinem Schlag ausholte, immer „so ein komisches Gesicht“ gemacht habe. Das hätten seine Opfer auch gemacht, da habe er gewusst, dass er sich verteidigen müsse.
Herr Da. ist ein Beispiel dafür, dass ein ganz bestimmter Reiz, der im Gehirn als Alarmsignal gespeichert ist, einen Angstzustand auslösen kann. Viele Betroffene sind sich des Auslösers gar nicht bewusst – häufig entsteht Panik, ohne zu wissen, warum.
Herr Ea. liebt es, in seiner Freizeit bergzusteigen. Er hat weder Angst vor der Höhe noch davor, abzustürzen. Im Urlaub in Cancún, Mexiko, macht er mit seiner Freundin einen Ausflug zur Pyramide in Uxmal. Als Herr Ea. sich beim Aufstieg umdreht und in die Tiefe schaut, bekommt er einen Schwindelanfall und schafft es nur unter Aufwendung all seiner mentalen Kraft und Konzentration, die Stufen hinunterzurutschen, um wieder unten anzukommen. Vorerst vermutet er nicht, dass es sich bei diesem Schwindelanfall um eine Panikattacke gehandelt haben könnte. Er schiebt das Ereignis auf seinen Kreislauf und die Hitze und macht sich nicht weiter Gedanken über das Vorkommnis.
Wieder zu Hause vereinbart er mit seinen Freunden eine kleine Wanderung auf den Traunstein, eine Tour, die er schon viele Male gemacht hat. Bergauf geht alles gut, allerdings bekommt er beim Abstieg, als er in die Tiefe blickt, den gleichen Schwindelanfall wie beim Besteigen der Pyramide. Nur mit der Hilfe eines Freundes, der ihn stützt, kann er absteigen. Eine spätere ärztliche Untersuchung bringt keine Ergebnisse. Bei einem Fahrradausflug erleidet er beim Überqueren einer Brücke erneut einen massiven Schwindelanfall, die Recherche im Internet führt Herrn Ea. schließlich zur Selbstdiagnose: Panikattacken. Er sucht daraufhin erneut einen Arzt auf, der ihn zu einer Verhaltenstherapie schickt, durch die er inzwischen wieder ohne gravierende Probleme bergsteigen gehen kann. Eine nach wie vor bestehende minimale Höhenangst bleibt, mit der kann er aber gut umgehen.
Die Geschichte des Herrn Ea. ist typisch für erlernte Angstzustände, sehr häufig sind das unter anderem Höhenangst, Platzangst oder Flugangst. Oft steht die erste Attacke tatsächlich im Zusammenhang mit einer körperlichen Ursache, viel häufiger aber tritt sie gemeinsam mit einer längeren Stresssituation auf. Schon beim erstmaligen Auftreten speichert das Gehirn eine solche Attacke als Reaktion auf eine vermeintliche Gefahr ab, da Ereignisse, die eine starke emotionale Reaktion hervorrufen, effektiver im Gedächtnis verankert werden als solche, die uns gleichgültig sind. Unsere tiefen Hirnstrukturen gehorchen dann später keiner Logik, sondern reagieren auf ähnliche Reize wie jene bei der ersten Angstattacke so, als ob Todesgefahr bestünde. Irgendwann kann dann selbst die Vorstellung einer vergleichbaren Situation, wie zum Beispiel sich über einem Abgrund zu befinden, eine panische Reaktion auslösen.
Der Angstauslöser ist also in unserem Gehirn eingeschrieben. Die Behandlungsstrategie muss deshalb sein, diese Informationen durch positive Erfahrungen zu überschreiben. Das geschieht, indem man sich mit der Gefahr konfrontiert und die Angstattacke, vom Behandler begleitet, so oft wiederholt, bis sie nicht mehr auftritt.
Es kommt durch Vererbung zu chemischen Veränderungen einiger Gene im Körper, zum Beispiel am Monoaminooxidasestoffwechsel. Die Monoaminooxidaseenzyme bauen Hormone (Adrenalin) und Neurotransmitter (Noradrenalin, Dopamin und Serotonin) ab. Wenn diese Enzyme zu aktiv sind, kommt es zu einem Defizit an den genannten Neurotransmittern, und daraus resultiert eine niedrigere Angstschwelle. Eine mangelnde Aktivität der Monoaminooxidasen wiederum kann zu aggressivem Verhalten führen. Dies ist evolutionsbiologisch relevant, da eine schnelle Reaktion auf Gefahrensituationen die Überlebenswahrscheinlichkeit einer Spezies erhöht. Allerdings nehmen heutzutage epigenetisch mitverursachte Angststörungen auf Reize, welche als Lebensgefahr fehlgedeutet werden, zu. Unser Gehirn ist evolutionsmäßig gesehen noch auf einem Level wie vor zigtausend Jahren, es konnte sich in so kurzer Zeit nicht an die ständige Reizüberflutung des 21. Jahrhunderts anpassen. Deshalb vererben wir zunehmend Angstzustände, die mit keiner realen Lebensgefahr in Zusammenhang stehen.
Im PET, der Positronenemissionstomografie, kann man sehen, dass Menschen mit Angststörungen Veränderungen an der Dichte von Neurotransmittertransportern und auch an der Verteilung von Neurotransmittern wie Serotonin aufweisen. In der Magnetresonanzspektroskopie wurde eine veränderte Rezeptorverteilung im Gehirn nachgewiesen. Diese Untersuchungen geben Aufschluss über die organische Genese der Angstentstehung. In weiterer Zukunft werden sie uns neue Wege zur Behandlung von Angststörungen weisen und hilfreich sein, überschießende Reaktionen auf Trigger zu verhindern.
Bei Angststörungen sieht man mittels fMR, funktioneller Magnetresonanztomografie, eine Hyperaktivität des Corpus amygdaloideum (Mandelkern) und eine Hypoaktivität präfrontaler Regionen, was darauf hinweist, dass die präfrontale Region die Angstreaktion zu wenig herunterreguliert und damit die Emotionsverarbeitung bei Angst nicht richtig funktioniert. Der präfrontale Kortex ist dafür verantwortlich, dass wir etwas planen und Probleme lösen können. Im Gegensatz zu den Mandelkernen, die „kopflos“ reagieren, soll diese Hirnregion uns helfen, vernünftig zu reagieren. Wenn nun die präfrontale Region, wie im fMR zu sehen, zu „faul“ ist, übernehmen die „fleißigen“ Amygdalae das Kommando. Wir reagieren „hirnlos“ und panisch. Jede Art von Vernunft ist ausgeschaltet.