Windstille Nacht - Jürgen Wagner - E-Book

Windstille Nacht E-Book

Jürgen Wagner

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Beschreibung

Die weiblichen Aspekte wurden in der Vergangenheit nicht nur im Zen, sondern in fast allen Traditionen und Kulturen unterdrückt. Sie müssen aber integriert werden, wenn man ein volles Menschsein leben will: das Fließende gehört zum Harten, das Empfängliche zum Entschlossenen, das Gefühlvolle zum Geistigen, das Intuitive zum Körperlichen, die Umsicht zur Konzentration, die Kommunikation zum Schweigen, das Hüten zur Sorglosigkeit. So können wir das chinesisch-japanische Zen auch in den Boden unserer Kultur und Zeit einpflanzen und dem Tao entsprechen. Auch männliche Zen-Praktizierende haben ein Interesse daran, dass ZEN ganzheitlich praktiziert wird. Der Zen-Weg beginnt mit der Wendung nach innen und endet auf dem "Markt" des Alltags. Wir brauchen ein geerdetes Zen, das sich hier und heute manifestiert. Der Autor, *1957, hat über Meister Eckhart und Martin Heidegger promoviert und ist evang. Pfarrer im Ruhestand. Er hat Zen praktiziert unter Jyō'un-an (Joan Rieck), Zui-Un-An (Gundula Meyer) und Gesshin Myoko Prabhasa Dharma.

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Seitenzahl: 97

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Windstille Nacht

Die weibliche Seite des ZEN

Jürgen Wagner

Copyright: 2025 Jürgen Wagner

Druck und Verlag: epubli

GmbH, Berlin, www.epubli.de

Fragt mich nicht nach dem Sinn der Zen-Lehren –

Lauscht einfach den Pinien und Zedern

in einer windstillen Nacht.

Ryonen

Inhalt

Vorwort

I Offene Weite und Empfänglichkeit

Halt!

Der beste Ort

Bodhidharma und die Fragen des Kaisers

Tokusan und das Ende der Gelehrsamkeit

Ryonens windstille Nacht

Huineng und das beste Gedicht

Der Meister im Wald

Sonins schattenloser Baum

Zitate

II Mond der Weisheit

Chiyonos Mond im Wasser

Der Mönch und der Brunnen

Zitate

III Gefühl und Empathie

Tao-shin’s Herzensweisheit

Satsujo geht ihren Weg

Meister Gudos Langmut

IV Courage

Eshuns Unerschrockenheit

Asan klatscht mit beiden Händen

Eine alte Frau stiehlt Joshus Bambussprossen

Die Teefrau mit dem Feuerhaken

Sich nicht beirren lassen – Rinzai pflanzt Kiefern

Zitate

V Sinnlichkeit und Körperlichkeit

Miaozongs Interview

Chens Bergblumen

Das Mahl im Kloster

Der Duft des Berglorbeer

Der rauschende Bergbach

Arbeit und Essen

Yunmens Scheißstock

Zitate

VI Gelassenheit

Die unbekümmerte Alte

Hakuins Fürsorge

Der kranke Meister Ba

Shokens wundertätige Katze

Shoju und die Wölfe

VII Reden und Kommunikation

Bankeis ungeborener Geist

Die alte Frau prüft Rinzai

Joshus goldene Lippen

Dasuis Schweigen

Zitat

VIII Liebe

Ryokans reines Herz

Ryokan und sein rebellischer Neffe

Huangbos großmütterliche Liebe

Bankei und der stehlende Mönch

Bankei und der neidische Priester

Ganjis Familie

Die schmutzige Straße

Du wolltest doch nur etwas Wasser holen

IX Kunst, Freiheit, Kreativität

Ikkyu Sojun, die verrückte Wolke

Ryokan und der Einbruch

Haikus

XIm natürlichen Fluss der Dinge

Raus aus dem Hamsterrad!

Die wunderbaren Kräfte der alten Frau

Die Verwandten der alten Frau

Behandle deine Patienten mit Güte!

Die alte Frau prüft die Mönche

Schritt um Schritt

Joshu und die Frauen seines Klosters

Andere sind nicht ich! – Dogens Lehrstunde

Selbstvergessenheit – Ryokan und der Vollmond

Ikkyu Sojin und der wahre Buddha

Yunmens guter Tag

XIHumor

Wie komme ich auf die andere Seite?

Anhang

VORWORT

Es ist in den letzten Jahren einiges geschehen, um die Worte der Frauen und Geschichten der Meisterinnen in der Zen-Tradition ans Licht zu bringen und zu würdigen. Doch nicht nur Frauen repräsentieren die Yin-Seite des Zen. Nicht wenige Meister haben auf ihrem Weg ihre Anima ebenso entwickelt wie Frauen ihren Animus. Zen-Meisterinnen verwirklichten den Tigergeist, Zen-Meister den Fluss, dessen Wasser sich an alles anpasst. Wir finden in der Tradition künstlerische und wenig angepasste Lehrer wie Ryokan und Ikkyu Sojun, geschmeidige Meister wie Joshu und Tao-Shin, aber vice versa auch die „Eisenschleiferin Liu“ Hekiganroku 24) oder Eshun, die sich selbst verbrannte. Dieses Buch zeigt vor allem die Mond-Aspekte des ZEN, seine empfänglichen, intuitiven, weichen, kommunikativen, fühlenden und poetischen Seiten. Dem gegenüber steht die Sonnenseite: Strahlkraft, Aggression und Expansion, Disziplin und Entsagung, Kampf und Konsequenz, Sammlung und Konzentration, Schreien und Schlagen, Wortgefechte und innere Kämpfe. Hier ein Beispiel aus der Rinzai-Tradition:

Ein älterer Mönch namens Jo fragte Meister Rinzai: „Was ist der Wesenskern des Buddhismus?“ Da stieg Rinzai von seinem Sitz herab, packte ihn am Kragen, schlug ihn und stieß ihn weg. Jo stand da wie angewurzelt. Ein Mönch, der in seiner Nähe stand, sagte zu ihm: „Alter Mönch, warum machst du keine Verbeugung?“ Als er sich tief verneigte, erlebte Jo plötzlich eine große Erleuchtung.

Die weibliche, kommunikative und zurückhaltende Herangehensweise zeigt sich beispielhaft in dieser Geschichte von Ryonen:

Zen-Meisterin Ryonen sagte zu Kankei: „Woher kommst du heute, wenn ich fragen darf?“ Er antwortete: „Aus Roko.“Sie sagte zu ihm: „Warum nimmst du, deinen Bambushut nicht ab (wie es sich gehört)?“Kankei antwortete nicht, sondern verbeugte sich und fragte: „Was ist (der Berg) Massan (wo Ryonen ihren Tempel hatte)?“Sie antwortete: „Er zeigt seine Spitze nicht.“Er fragte: „Wer ist Massans Meister und Mann?“Sie antwortete: „Es gibt keine wirkliche Form von Männern und Frauen.“Er rief (den Zen-Ruf): „Kwatz!“ und fragte herausfordernd: „(Wenn es keine wirkliche Form gibt,) warum verwandelst du dich dann nicht und verschwindest?“

Sie sagte: „Ich bin kein Gott, ich bin kein Dämon, was könnte ich verwandeln?“ Da kniete Kankei nieder und wurde für drei Jahre der Gärtner ihres Tempels.

Dabei wird man immer wieder feststellen, dass sich nicht jede Tugend auf weiblich oder männlich so einfach verteilen lässt. Beherzt eine Sache angehen können beide Geschlechter, auch präsent sein, umsichtig handeln, gelassen werden, Gerechtigkeit walten lassen, hilfsbereit sein, bescheiden sein- und doch werden sie es je auf ihre Art tun.

Letztlich geht es darum, auf dem Zen-Weg beides zu entfalten: Entschlossenheit und Demut, Kraft und Anmut, Geist und Gefühl, Reden und Schweigen, Aggressivität und Sanftmut. Weil in der Tradition fast immer das Männliche dominiert hat, ist es an der Zeit, die andere Seite in den Blick zu nehmen und mit zu entwickeln. So könnte das Zen unserer Zeit vielleicht etwas kompletter gelebt werden. Wenn unser Zen umfassender ist, verliert es möglicherweise etwas an Höhe, aber es wird menschlicher und geerdeter. Für manche mag es sich wie Verrat anfühlen, wenn man den Patriarchen und ihrer kompromisslosen Härte nicht mehr so nachfolgt, aber jede Zeit muss ihren Zen-Weg gehen und auf die Herausforderungen der Gegenwart antworten. Um das Sich-loslösen wird man nie herumkommen, aber der Rückweg muss genauso sorgfältig gegangen werden, die Integration und Manifestation der Kräfte und Möglichkeiten von innen heraus. Ohne Erdung und Rückkehr auf den Markt ist unser Zen nur zur Hälfte verwirklicht.

Im Folgenden werden wir solche Qualitäten und Tugenden in den Kapiteln entfalten, die dem Yin-Aspekt besonders zuzuordnen sind.

I OFFENE WEITE UND EMPFÄNGLICHKEIT

Halt!

Der japanische Meister Nan-in empfing einen Professor der Philosophie zu Besuch. Nan-in schenkte seinem Besucher Tee ein, doch als die Tasse voll war, goss er immer weiter. Der Professor sah zu, wie die Tasse überfloss, bis er nicht mehr an sich halten konnte: „Halt! Die Tasse ist schon übervoll, mehr geht nicht hinein!“Nan-in sagte: „Wie diese Tasse bist auch du voll von deinen eigenen Ansichten und Spekulationen. Wie soll ich dir Zen zeigen, bevor du nicht deine Tasse geleert hast?“

Der beste Ort

Es war einmal ein Zen-Meister, der viele Teile der Welt bereist hatte. Eines Tages ging er spazieren und ein neuer Schüler schloss sich ihm an.Plötzlich begann es in Strömen zu regnen. Der Schüler brach sofort ein großes Blatt von einer nahe gelegenen Bananenstaude ab und hielt es über seinen Kopf. Er fragte seinen Meister: „Du bist an vielen Orten der Welt gewesen. Welches ist der beste Ort im Sommer? Welches ist der beste Ort während der Monsunzeit? Welches ist der beste Ort für den Winter?“Der Meister setzte seinen Weg durch den Regen fort und sagte: „Wenn du wirklich am besten Ort sein willst, musst du an den Ort gehen, an dem es weder Sommer noch Regen noch Winter gibt!“„Bist du dort gewesen?“– „Ja!“„Wirst du mir sagen, wo es ist?“– „Du findest es heraus und gehst“, sagte der Meister und ging weiter, ohne seinen Schritt zu unterbrechen.

Bodhidharma und die Fragen des Kaisers

Bodhidharma hatte Indien 480 n. Chr. verlassen, hatte den Himalaya überquert und war dann nach China gegangen. Dort soll es der Legende nach zu einer Begegnung mit dem Kaiser Wu-Di von Liang gekommen sein, der ein großer Förderer des Buddhismus in China war. Er hatte Tieropfer verboten, errichtete Hochschulen und sprach sich gegen die Todesstrafe aus. Er war belesen, schrieb selbst Kommentare zu buddhistischen Schriften und dichtete sogar. Doch nach dieser Begegnung scheint er vom Kern des Buddhismus gar nicht berührt worden zu sein.

Kaiser Wu-Di fragte bei seiner ersten Begegnung mit Bodhidharma: „Wir haben Klöster gebaut und Mönche bestätigt; was für ein Verdienst wird Uns dafür?“ Bodhidharma erwiderte: „Kein Verdienst.“ Weiterhin fragte er Bodhidharma: „Welches ist der höchste Sinn der Heiligen Wahrheit?“ Bodhidharma antwortete: „Offene Weite – nichts von heilig.“ Der Kaiser fragte weiter: „Wer ist das Uns gegenüber?“ Woraufhin Bodhidharma erwiderte: „Ich weiß es nicht.“ Der Kaiser konnte sich nicht in ihm finden.

Tokusan und das Ende der Gelehrsamkeit

Tokusan (782-865) war ein Priester und Gelehrter, der sich auf das Diamant-Sutra spezialisiert hatte. Auf seiner Reise traf er eine alte Frau, die am Straßenrand gedämpfte Teigtaschen verkaufte. Er machte eine Pause, setzte seinen schweren Rucksack ab und bat die Frau um ein paar Knödel. Die alte Frau zeigte auf die Bündel mit Manuskripten, die an seinen Rucksack gebunden waren, und fragte: "Ehrwürdiger, was trägst du da?"Tokusan sagte: "Das sind Kommentare zu einer Schrift."Die Frau fragte: "Um welche Schriftstelle geht es dabei?"Tokusan sagte: "Das Diamant-Sutra." Die Frau sagte: "Ich habe eine Frage an Euch. Wenn Ihr antworten könnt, gebe ich Euch ein paar Knödel geschenkt. Aber wenn Ihr nicht antworten können, müsst Ihr Euch woanders etwas suchen. Ist das in Ordnung?"Tokusan sagte: "Nur zu, frag!"Die Frau sagte: "Im Diamant-Sutra steht, dass der Geist der Vergangenheit nicht erfasst werden kann, der Geist der Zukunft nicht erfasst werden kann, und der Geist der Gegenwart kann auch nicht erfasst werden. In welchem Geist bittet der Ehrwürdige also um Knödel?"Tokusan war sprachlos.Die alte Frau schlug ihm vor, (ihren?) Meister Ryutan im nahegelegenen Drachenteich-Tempel aufzusuchen und ihn um Unterweisung zu bitten. Tokusan befolgte den Rat und machte sich auf den Weg zum Drachenteich.Als er im Tempel ankam, suchte Tokusan Meister Ryutan auf und sagte bei seiner ersten Begegnung: "Ich habe von dem Drachenteich gehört, aber jetzt, wo ich angekommen bin, sehe ich keinen Teich mehr, und kein Drache ist erschienen."Der Meister antwortete: "Ah, du bist wirklich im Drachenteich angekommen."

Da es schon spät war, lud Ryutan ihn ein, im Tempel über Nacht zu bleiben. Toksusan fragte den Meister bis tief in die Nacht hinein. Dann ging er hinaus, fand sich aber in der stockfinsteren Nacht nicht zurecht. Er kehrte zurück und bat um Licht. Ryutan nahm eine Wachskerze, entzündete sie und reichte sie Tokusan. Dieser griff danach, doch kaum hatte er die Kerze in der Hand, blies Ryutan sie aus. In diesem Moment wurde in Tokusan alles offen und weit. Überwältigt warf er sich vor dem Meister auf die Knie und berührte mit der Stirn den Boden. Dann packte er seine Sutren-Kommentare, ging vor die Dharma-Halle, nahm eine Fackel und verbrannte sie alle.

Das ganze Leben von Tokusan war voll von Kämpfen, Schlägen und Herausforderungen. Das Merkmal seiner Lehre war „egal, was die Dinge im Geist sind und egal, was der Geist in den Dingen ist“. Aber in der Leere hört das Kämpfen auf und der Friede kann beginnen.Als Tokusan im Guishan-Kloster ankam, trug er sein Bündel mit sich in die Lehrhalle, wo er von Osten nach Westen und dann von Westen nach Osten ging. Er schaute sich bei allen versammelten Mönchen um und sagte: „Hier ist nichts, einfach gar nichts.“ Dann ging er hinaus. Nun lag es an den Mönchen, wohin sie sich wandten: hin zur Enttäuschung, hin zum Protest, hin zum Widerspruch, nach innen.

Ryonens windstille Nacht

Ryonen Genso (1646-1711) wollte in ein Zen-Kloster aufgenommen werden, wurde wegen ihres weiblichen Aussehens und der Wirkung auf die Mönche aber abgewiesen. Deshalb nahm sie ein Bügeleisen, erhitzte es und hielt es an ihr Gesicht. Dann schrieb sie auf die Rückseite eines kleinen Spiegels, wie ihr der Pinsel eingab:

Früher, um mich am Hof zu amüsieren,

verbrannte ich Weihrauch mit Orchideen;

Jetzt, um in das Zen-Leben einzutreten,

verbrenne ich mein eigenes Gesicht.

Die vier Jahreszeiten vergehen auf diese Weise,

Aber ich weiß nicht,

wer ich inmitten des Wandels bin.

In dieser lebendigen Welt,

wo ich den Körper aufgebe und verbrenne,

würde ich unglücklich sein

wenn ich mich als etwas anderes betrachten würde

als Brennholz.

Diese drastische Aktion war erfolgreich. Zen-Meister Hakuo war von ihrer Hingabe an das Zen-Studium so beeindruckt, dass er Ryonen erlaubte, in den Tempel einzutreten. Sie wurde seine führende Schülerin, und er verlieh ihr ein Zertifikat der Erleuchtung im Jahr 1682, dem Jahr seines Todes.