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»Wie habe ich in der DDR gelebt? Einfach ist es nicht, sich dieser Frage zu nähern. Sie birgt die Gefahr, unbequem zu werden für jeden, der ihr ernsthaft nachgeht. War ich angepasst? Habe ich widersprochen? Hätte ich anders handeln können? Mir geht es dabei um Aufklärung, nicht um Abrechnung. Ich will vor allem Mut machen zu erzählen. Weniger werten und voreilige Schlüsse ziehen als vielmehr ein offenes Gespräch führen. Denn es gibt keinen allgemein gültigen Maßstab über das ›richtige‹ Verhalten in einer Diktatur.« So beschreibt Roland Jahn das Anliegen seines Buches. In elf Kapiteln reflektiert er aus eigener Erinnerung das Leben in der DDR zwischen den Polen Anpassung und Widerspruch. wehtut, wir sollten Antworten suchen.
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Für meinen Freund Jürgen Fuchs
Unter Mitarbeit von Dagmar Hovestädt
ISBN 978-3-492-96821-8
September 2015
© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2014
Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee
Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München
Covermotiv: Harald Hauswald/OSTKREUZ
Datenkonvertierung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
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Wie war das Leben in der DDR wirklich? Die Reaktionen auf das Buch, bei Buchlesungen, in vielen Briefen und E-Mails, zeigen: Die Einladung zum Erzählen ist angenommen worden. Dies ist eine Erfahrung, die einen Autor demütig werden lässt. So viele Leben sind tatsächlich gelebt worden, so viele Geschichten brauchen Raum. Es gibt immer noch viel Dringlichkeit und Notwendigkeit, sich auszutauschen über das Vergangene, über das Leben in der DDR und den Blick von außen auf das Land.
Wenn es einen gemeinsamen Nenner der Reaktionen seit dem ersten Erscheinen von Wir Angepassten gegeben hat, dann das Gefühl der Befreiung. Befreit davon zu sein, das Leben in der DDR – und vor allem das eigene Leben – nur unter dem Blickwinkel von Tätern und Opfern zu sehen, nur in vorgefertigten Schubladen zu denken. Es gab so viel mehr dazwischen. Das habe ich immer wieder an den Abenden mit Publikum erlebt. Es hat die Menschen beflügelt, sich erinnern zu dürfen, ungefiltert und an alles. Sich ganz individuell dazu zu bekennen, wie es war, wie man es erlebt hat, wie man selbst gelebt hat. Um dann vielleicht im nächsten Schritt zu analysieren, wie das zu bewerten ist, was davon heute noch übrig ist und was es bedeutet.
Der Wunsch, sich nicht in die Kategorien Gewinner und Verlierer einordnen zu lassen, ist überdeutlich zu spüren. Das ist für mich auch eine Aussage zur Einheit der Deutschen, 25 Jahre nach dem 3. Oktober 1990. »Warum sollen wir uns als ehemalige DDR-Bürger dafür rechtfertigen müssen, in der Diktatur gelebt zu haben? Wir haben es uns ja nicht ausgesucht.« So schrieb mir jemand in Reaktion auf das Buch, geboren im Jahr 1942. Er erlebt im vereinten Deutschland eine quasi verordnete Bußfertigkeit Richtung Osten und vermisst die Selbstkritik derjenigen, die auch ihre westdeutsche Zeit reflektieren könnten und ihre Gleichgültigkeit den Menschen im Osten gegenüber.
Respekt vor der Biografie: Diese Botschaft hat beim Lesen auch etliche Menschen erreicht, die im Westen aufgewachsen sind. Rational war die Teilung Deutschlands nachvollziehbar, aber, so schrieb jemand, der in den 80er-Jahren seine Kindheit im Rheinland verbracht hat, schmerzlich war sie für ihn nie. Wirklich zu begreifen, was hinter der Mauer vor sich ging, hat ihm die Beschäftigung mit dem alltäglichen Leben dort ermöglicht. Nachzuvollziehen, wie sich das Leben jenseits von Opfern und Tätern für die meisten Menschen in der DDR dargestellt hat, hat ihm den Osten nähergebracht. Und ihn zu einer neuen Verbundenheit mit der Geschichte der Deutschen geführt, die 40 Jahre hinter der Mauer leben mussten.
Für viele war es nicht einfach, für sich den Titel Wir Angepassten zu akzeptieren. Andere wiederum haben ihn sofort auf heute bezogen. Auf die Anpassung an die jetzigen Verhältnisse, an die immer bestehende Spannung zwischen dem, was in einem steckt, und dem, was die Umstände und die Gesellschaft um einen herum verlangen. Auch heute gibt es das Recht auf Anpassung. Aber gerade deshalb möchte ich ein Bewusstsein dafür schaffen, dass man sich die Freiheit, so zu sein, wie man ist, bewahren sollte. Und wach bleiben sollte für die Frage: Wie weit darf Anpassung gehen? Welche Verantwortung trage ich für meine Entscheidungen in diesem Spannungsfeld? Solange wir die Einhaltung der Menschenrechte zur Basis unserer Gesellschaft machen und lebendig und demokratisch darüber diskutieren, wohin wir uns entwickeln, sind wir auf dem richtigen Weg.
Insofern hoffe ich, dass die Ermunterung zur offenen Erinnerung weiter Früchte trägt. Ich wünsche mir viele neue Erzähler über das Leben in der DDR und viele offene Zuhörer. Dialoge in Familien, in Ost und West, Nord und Süd. Und viele Erkenntnisse, die das gelebte Leben vorher zu einem Gewinn für unser Leben heute machen.
Roland Jahn, im August 2015
Ich glaube, dass das Erzählen über die DDR eine Chance sein kann. Es steckt noch viel Ungesagtes in dieser Vergangenheit. Offen zu erzählen kann befreiend sein. Dieses Buch will deshalb zum Erzählen einladen. Über die Bedingungen, unter denen Menschen in der DDR gelebt haben.
Wir Angepassten enthält Erinnerungen an mein Leben in der DDR, an Geschichten von Freunden und Weggefährten. Es sind Geschichten, die Menschen damals und nach dem Ende der DDR über ihr Leben dort erzählten. Es sind Episoden und Fragmente, beileibe keine systematische oder umfassende Analyse. Die Lücken mögen Anregung für das Erinnern und Erzählen anderer sein.
Die Kapitel widmen sich lose verschiedenen Formen von Anpassung und Widerspruch. Dabei überschneiden sich die Überlegungen zu den verschiedenen Formen. Es sind Beschreibungen anhand konkreter Erlebnisse, die Menschen dazu bewogen haben, sich zu gewöhnen, zu schweigen, mitzulaufen oder auch die Angst zu überwinden.
Allen diesen Erinnerungen ist gemeinsam, dass sie zeigen, dass das Leben unter den Bedingungen der Diktatur Menschen oft vor unmögliche Entscheidungen stellt. Das eigene Menschsein wird auf eine bisweilen absurde Art getestet. Ich glaube, dass im Erzählen all dieser Geschichten ein wichtiger Schritt für unser Zusammenleben heute getan werden kann.
Wichtig ist mir, dass die Bedingungen für das Erzählen stimmen. Dass wir alle offen mit den Erinnerungen in vielen Perspektiven umgehen. Niemand war nur gut oder nur schlecht. Nur widersprechend oder nur angepasst. Viele Menschen haben versucht, aufrecht unter den Bedingungen des »real existierenden Sozialismus« zu leben. Nicht immer ist es gelungen.
Wir haben noch viel zu wenig erzählt darüber, wie wir in der DDR gelebt haben. Viel zu wenig berichtet von all den vielen alltäglichen Details. Vielleicht schaffen wir es, uns zu öffnen für die Geschichten, die in uns schlummern.
Roland Jahn
Berlin, im August 2014
Wir Angepassten. Um den Titel dieses Buches haben wir eine Weile gerungen. Er sollte niemanden vor den Kopf stoßen und doch provozieren. Aber es ist klar: Das Wort Anpassung ist sperrig. Es ruft Abwehr hervor. Als ich mit meinem Freund Peter Rösch für dieses Buch über unser Leben in der DDR gesprochen habe, darüber, dass wir uns doch auch in bestimmte Abläufe eingetaktet, uns also angepasst haben, da hat er mir spontan widersprochen. »Ich habe mich nicht angepasst.« Niemand will ein Anpasser sein. Und doch haben wir es alle getan. Und tun es noch. Damals und heute.
Sich den Umständen anzupassen, das gilt in Natur und Technik als klug. Es kann eine Überlebensstrategie sein. Anpassung als Prinzip, das hat der Menschheit das Überleben gesichert. Und doch empfinden wir es meist nicht als positiv, wenn sich jemand anpasst. Die »Unangepassten«, sie finden heute – gerade im Rückblick auf die DDR – schneller Zuspruch.
Als ich neulich zum Thema »Warum ich nicht zum Mitläufer wurde« sprechen sollte, habe ich gezögert. Es wäre die Erzählweise geworden, die man gern hört, die Mut machen soll. Es wäre eine klare Rollenzuweisung gewesen: Ein politisch Verfolgter erzählt von seinem Widerspruch gegen das System und den Folgen. Aber interessanter erschien es mir, auch die Momente zu reflektieren, in denen ich mich angepasst habe. Ich habe den Vortrag einfach umbenannt in »Zwischen Anpassung und Widerspruch«. Das Leben in der , in einem Land mit Mauer und Stacheldraht, unter einer Ein-Parteien-Herrschaft und ohne den umfassenden Zugang zu Menschenrechten, es war komplizierter, als die gängigen Kategorien es den Menschen zugestehen. Die Schubladen Täter/Opfer/Mitläufer beschreiben nicht wirklich, wie Menschen in der gelebt haben. Und so habe ich in meiner Rede darüber gesprochen, wie ich mich angepasst habe an die Vorgaben des Staates und dann zwischen Anpassung und Widerspruch meinen Weg gesucht habe.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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