Wir brauchen Frauen, die sich trauen - Manuela Rousseau - E-Book
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Wir brauchen Frauen, die sich trauen E-Book

Manuela Rousseau

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Beschreibung

Erfolgreich, unabhängig, selbstbestimmt – Wie Du Dir eine große Vorstellung von Deinem Leben machst
Manuela Rousseau ist eine der wenigen Frauen im Aufsichtsrat eines weltweit agierenden DAX-Konzerns. Und das schon seit 20 Jahren. Eine Bilderbuchkarriere, möchte man meinen. Dabei ist ihr Werdegang voller Brüche und durchaus nicht frei von Selbstzweifeln. Im Alter von 14 Jahren musste sie von der Schule abgehen, weil damals die Überzeugung vorherrschte, dass Mädchen kein Abitur bräuchten – und doch bestimmt sie heute den Erfolg eines Weltunternehmens mit, ist Professorin und eine der »100 Top-Business-Frauen« in Deutschland.

Mit ihrem ebenso ehrlichen wie inspirierenden Erfahrungsbericht ermutigt Manuela Rousseau Frauen, sich von inneren und äußeren Fesseln zu befreien, überholte oder überzogene Erwartungen hinter sich zu lassen und ihren Berufsweg selbst zu gestalten – bis in die höchsten Ebenen. Ihr ungewöhnlicher Lebensweg zeigt, warum weiblicher Erfolg nicht immer linear verläuft und was Frauen tun können, um ihre individuellen Stärken und ihre gestalterische Kraft auch in der Arbeitswelt einzubringen.

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Seitenzahl: 281

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Zum Buch

„Frauen dürfen sich eine große Vorstellung von ihrem Leben erlauben“

Als eine der wenigen Frauen mit langjähriger Erfahrung in deutschen Aufsichtsräten ist Manuela Rousseau mitverantwortlich für die Erfolge der Beiersdorf AG, eines weltweit agierenden DAX-Konzerns. Eine Bilderbuchkarriere, möchte man meinen. Dabei ist ihr Werdegang voller Brüche, Höhen und Tiefen und durchaus nicht frei von Selbstzweifeln. Im Alter von vierzehn Jahren musste sie von der Schule abgehen, weil damals die Überzeugung vorherrschte, dass Mädchen kein Abitur bräuchten – und doch ist sie heute Aufsichtsrätin, Professorin und in vielen Organisationen und Ehrenämtern engagiert. 

Mit ihrem ebenso ehrlichen wie inspirierenden Erfahrungsbericht will Manuela Rousseau Frauen ermutigen, sich von inneren und äußeren Fesseln zu befreien, überholte oder überzogene Erwartungen hinter sich zu lassen und ihren Berufsweg selbst zu gestalten – bis in die höchsten Ebenen. Ihr ungewöhnlicher Lebensweg zeigt, warum weiblicher Erfolg nicht immer linear verläuft und was Frauen tun können, um auch in der Arbeitswelt ihre individuellen Stärken und ihre gestalterische Kraft einzubringen.

Zur Autorin

Prof. Manuela Rousseau ist seit Juni 1999 Mitglied im Aufsichtsrat der Beiersdorf AG und seit April 2009 im Aufsichtsrat der maxingvest ag. Sie engagiert sich ehrenamtlich bei Frauen in die Aufsichtsräte e. V. (FidAR) und im Verband Führungskräfte Chemie (VAA). Während ihrer Tätigkeit als Konzernsprecherin der Beiersdorf AG begann sie 1992 an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater im Studiengang Kultur- und Medienmanagement zu lehren. Ihr Fachgebiet, das sie mit Publikationen begleitet, ist „Fundraising Management“. Für ihr ehrenamtliches Engagement wurde sie 1999 mit der Bundesverdienstmedaille ausgezeichnet. Die Vogue Business wählte sie 2002 zu den 100 Top-Business-Frauen in Deutschland. 2008 erfolgte die Aufnahme in die »Hall of Fame« des Fachverbands Sponsoring. In der Kategorie »Frauen in Führung« erreichte sie das Finale des EMOTION Award 2018.

MANUELA ROUSSEAU

WIR BRAUCHEN

FRAUEN

DIE SICH TRAUEN

Mein ungewöhnlicher Weg bis in den Aufsichtsrat eines DAX-Konzerns

Unter Mitarbeit von Stephanie Ehrenschwendner

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.de abrufbar.

© 2019 Ariston Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Redaktion: Regina Carstensen

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik Design, München

unter Verwendung eines Fotos von Christina Körte, Hamburg

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-23625-0V001

Inhalt

Vorwort

1 Mut, authentisch zu sein

Die Angst vor dem Ja

Sich eine große Vorstellung von sich selbst erlauben

2 Mut, risikobereit zu sein

Das Risiko der Unvollkommenheit

Auf ein Ende folgt immer auch ein Anfang

3 Mut, sichtbar zu sein

Aus dem eigenen Schatten heraustreten

Beziehungsmanagement durch Netzwerken

4 Mut, sinnhaft zu sein

Freiwilliges Engagement – Eigenverantwortung leben

Über sich hinauswachsen

5 Mut, souverän zu sein

Die eigene Welt größer denken

Raus aus der Komfortzone

6 Mut, verantwortlich zu sein

Schluss mit tradierten Stereotypen

Weibliche Führungsstärken leben

7 Mut, solidarisch zu sein

Den Nachwuchs größer machen

Das WIR stärken

Literatur und Links

Dank

Vorwort

Die Idee, meine beruflichen Erfahrungen, Erfolge und Niederlagen mit anderen Frauen zu teilen, entstand im Lauf vieler Jahre. Vor allem bei meinen Studentinnen und meinen Mentees spürte ich immer wieder, dass junge Frauen Orientierung bei weiblichen Vorbildern suchten. Sie wollten von erfahrenen Frauen hören, wie sie ihren eigenen Weg zwischen Karriere und Familie fanden, wie sie sich im Beruf durchgesetzt haben und wie jede für sich selbst Fehler vermeiden konnte.

Meine persönlichen Startbedingungen ließen nicht erwarten, dass mein Weg mich einmal an die Spitze eines DAX-Konzerns führen würde. Ganz im Gegenteil. Doch gerade mein ungewöhnlicher Lebensweg führte letztlich zu dem Buch, das du jetzt in den Händen hältst.

In den letzten Jahren nahm ich immer häufiger Einladungen zu Podiumsdiskussionen zum Thema »Frauen in Führungspositionen« an, gab Interviews, hielt Vorträge. Es macht mir bis heute große Freude, den Austausch mit anderen Frauen zu pflegen. Nach einem Seminar, in dem es um Selbstführung ging, sprach mich eine Journalistin an und fragte, ob ich zu meinem Seminar eine Publikation veröffentlicht hätte. Nein, ich hatte nie darüber nachgedacht und konnte es mir auch nicht vorstellen.

Dabei fängt alles, was wir tun möchten, mit einer Vorstellung von dem an, was wir wollen. Und wir Frauen dürfen uns eine große Vorstellung von unserem Leben erlauben. Mit meinem Buch möchte ich Mut machen. Mut, Ja zu sagen zu Chancen, die es ermöglichen, den Berufsweg nach eigenen Regeln zu gestalten. Mut, authentisch zu sein, um überholte Klischees zu überwinden. Mut, risikobereit zu sein und bestehende überzogene Erwartungen hinter sich zu lassen. Mut, sichtbar zu sein, um sich mit individuellen Stärken erfolgreich in die Geschäftswelt einzubringen. Mut, sinnhaft zu sein und sich ehrenamtlich zu engagieren. Aber auch Mut, souverän zu sein und sich aus der eigenen Komfortzone herauszubewegen. Mut, verantwortlich zu sein und einen eigenen Beitrag zu leisten, Stereotype abzubauen, und nicht zuletzt Mut, solidarisch zu sein, um gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Frauen können trotz Selbstzweifel und manchmal schwieriger Voraussetzungen viel mehr erreichen, als sie es für möglich halten. Machen ist mutiger als wollen.

Ich hoffe, das Buch macht Freude, gibt Anregungen, Neues zu wagen, und macht Mut, einen ganz eigenen Weg zu suchen und diesen konsequent zu gehen.

Manuela Rousseau

1

MUT, AUTHENTISCH ZU SEIN

Die Angst vor dem Ja

Es war ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag im Sommer 1993, der mein Leben veränderte. Ich saß in meinem Büro im fünften Stock an meinem Schreibtisch und arbeitete an einem PR-Konzept. Mein Blick glitt über die Dächer von Eimsbüttel, in der Ferne die Silhouette der Nikolaikirche in der Hamburger Innenstadt, als das Telefon auf meinem Schreibtisch klingelte. Am anderen Ende der Leitung ein Kollege, der mich wieder zurück in den Beiersdorf-Alltag holte. Er stellte sich kurz vor und fragte: »Vielleicht erinnern Sie sich an mich?«

Ich schwieg.

»Wir haben uns vor zwei Jahren zufällig in der Sportgemeinschaft bei Beiersdorf getroffen. Sie erkundigten sich, ob es eine Tanzsportabteilung gäbe und vielleicht auch gleich einen Tanzpartner dazu. Mir gefiel Ihre direkte Art, diese kurze Begegnung mit Ihnen blieb mir in Erinnerung.« Er hielt inne.

»Das freut mich«, entgegnete ich in der kurzen Pause.

»Darf ich gleich auf den Punkt kommen?«, fragte er und fuhr, ohne meine Antwort abzuwarten, fort: »Wenn ich mit anderen Kollegen über meine anstehende Nachfolge im Aufsichtsrat spreche, fällt immer wieder Ihr Name. Die Kreativität, mit der Sie Projekte für die Mitarbeiter anpacken und umsetzen, wird sehr geschätzt, weil es Ihnen offensichtlich gelingt, diese Ideen dann auch beim Vorstand durchzusetzen. Also, Frau Rousseau«, konkretisierte er schließlich den Grund seines Anrufs, »ich bin Mitglied im Beiersdorf-Aufsichtsrat und würde Sie gern näher kennenlernen. Bei Beiersdorf steht demnächst eine Aufsichtsratswahl an, daher möchte ich Sie fragen, ob Sie sich vorstellen können, als Arbeitnehmerin zu kandidieren?«

Auch wenn ich mir nichts anmerken ließ, zuckte ich innerlich zusammen. Hatte er mich eben tatsächlich gefragt, ob ich mich für ein Mandat im Beiersdorf-Aufsichtsrat interessiere? Einerseits fühlte ich mich geschmeichelt, dass mich jemand für eine so große Aufgabe in Erwägung zog. Meine Gedanken schlugen Purzelbäume und meine Hände wurden feucht: Meinte er wirklich mich? Was würden mein Chef, meine Kolleginnen und Kollegen sagen? Wie würde mein Mann darauf reagieren? Woher sollte ich die Zeit für eine zusätzliche Aufgabe nehmen? Kannte er mich und meinen Werdegang überhaupt? Brachte ich die notwendigen Voraussetzungen mit? War ich gut genug? Ich spürte die Last der Unsicherheit, die Angst vor der Verantwortung. Wollte ich wirklich an exponierter Stelle sichtbar werden? Das Risiko eingehen, zu scheitern? War ich bereit für eine solche Aufgabe an der Spitze eines DAX-Konzerns? Hatte ich als Frau in einem von Männern dominierten Feld überhaupt eine Chance? Oder würde ich mich kräftig blamieren? All diese Fragen gingen mir durch den Kopf, während mein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung auf eine Antwort wartete. Eigentlich wurde mir gerade eine große Herausforderung angeboten, die meine Karriere fördern konnte und mir Gelegenheit gab, mein Können und Know-how zu zeigen. Woher kam dieses Zögern?

Die eigene Geschichte verstehen

Meine Startbedingungen ins Leben ließen nicht erwarten, dass mir jemals jemand die Frage stellen würde, ob ich mich für die Kandidatur in einen Aufsichtsrat interessieren könnte. Mir rauschte meine eigene Geschichte durch den Kopf. Ich stammte aus einfachen Verhältnissen: Meine Mutter war im Alter von dreizehn Jahren mit ihrer Mutter und Geschwistern 1945 auf Schiffen über die Ostsee von Pommern aus geflohen. Die Familie fand in Schleswig-Holstein ein neues Zuhause. Dort lernte meine Mutter 1952 meinen Vater kennen. Sie arbeitete als gelernte Näherin, er als Lokführer.

An einem kalten Wintertag 1955 wurde ich als erste Tochter in einem Arbeiterviertel in Neumünster geboren. Wenige Wochen nach meiner Geburt nahm meine Mutter ihren Beruf wieder auf, um die Familie finanziell zu unterstützen. Meine ersten vier Lebensjahre verbrachte ich von Montag bis Freitag in der Obhut meiner Großeltern väterlicherseits. Nur die Wochenenden verbrachte ich gemeinsam mit meinen Eltern.

Ich wuchs zwischen zwei Welten auf: Auf der einen Seite war da die Welt der stolzen Großeltern, die ihre erste Enkelin mit Zuneigung überschütteten und verwöhnten. Sie schenkten mir Liebe, zeigten Verständnis für mich. Wir spielten miteinander, lachten und tobten. Ihre Fröhlichkeit und Zärtlichkeit gaben mir ein tiefes Gefühl von Geborgenheit, ein Zuhause. Diese Zeit zählt zu meinen schönsten Erinnerungen an eine fröhliche und unbeschwerte Kindheit. Auf der anderen Seite gab es das Zusammensein mit meiner Mutter und meinem Vater am Wochenende, und das wich so sehr von dem Leben bei meinen Großeltern ab, dass ich mich bei ihnen unwohl fühlte und mich freute, wenn es wieder Montag war.

Meine Mutter stammte aus einer armen, kinderreichen Familie, Zucht und Ordnung bestimmten ihre Erziehung. In ihrer Kindheit ging es streng und hart zu, nach dem Motto: »Du machst, was ich dir sage.« 1959, mit der Geburt meines Bruders, hörte meine Mutter auf zu arbeiten, blieb zu Hause und kümmerte sich um uns Kinder. Die vielleicht glücklichste Zeit meiner Kindheit bei meinen Großeltern ging damit zu Ende. Für mich fühlte es sich nach einer Trennung an, so, als ob ich meine eigentlichen Eltern aufgeben musste und neue bekommen hätte. Von da ab besuchte ich die Großeltern so oft es möglich war; später verbrachte ich immer meine Ferien bei ihnen.

Ich erinnere mich an einen Tag im Mai 1959. Mein kleiner Bruder Kai-Uwe war drei Monate alt, schlief in seiner Wiege. Meine Mutter hatte Besuch von einer Freundin. Die beiden jungen Frauen saßen an unserem Wohnzimmertisch, Kaffeeduft erfüllte den Raum. Ich hockte auf dem Fußboden hinter dem schweren Ohrensessel, meinem Lieblingsort. Der dunkelbraune Sessel gab mir die Möglichkeit, unbeobachtet zu spielen; ich empfand dort Geborgenheit, Intimität. Stundenlang konnte ich hinter dem Sessel versteckt zubringen, meist saß ich still mit meiner Puppe Klara im Arm und kuschelte mit ihr.

An diesem Tag zog ich Klara gerade ein neues Kleid an, als ich meine Mutter sagen hörte: »Also, Kai-Uwe war bei seiner Geburt mit seinen roten Haaren, den Sommersprossen und seinem runden Gesicht eher ein hässliches Kind. Ganz im Gegensatz zu Manuela, sie war ein wunderhübsches Mädchen.« Es folgte eine Pause, dann sprach meine Mutter weiter: »Die Geburt von Manuela war für mich eine herbe Enttäuschung. Ich hatte mir so sehr einen Jungen gewünscht.«

»Du hast doch jetzt beides, einen Sohn und eine Tochter«, entgegnete die Freundin.

»Ja sicher, aber Jungs haben es besser. Ich habe meine Brüder immer darum beneidet, dass sie in unserer Familie mehr durften als wir Mädchen. Die Jungs hatten mehr Rechte und Freiheiten als meine Schwestern und ich. Wir Mädchen mussten schon sehr früh Aufgaben übernehmen, mussten bei der Wäsche helfen, putzen, einkaufen, kochen oder auf die jüngeren Geschwister aufpassen. Die Jungs hatten viel weniger Pflichten, auch durften sie uns Schwestern sagen, was wir zu tun oder zu lassen hatten. Ich wollte kein Mädchen sein.«

Die Worte meiner Mutter, die ich hinter meinem Sessel lauschend aufschnappte, sollten mich mein Leben lang begleiten. Ihre persönlichen Erfahrungen waren für sie unverrückbare Tatsachen. Und das gab sie an mich weiter. Sie erzog mich so, wie sie es in ihrer Familie erlebt hatte, ohne jede Motivation und Vorstellung, dies jemals infrage zu stellen.

Meine Mutter vermittelte mir, dass das Leben kein Spaß ist, sondern ein hartes Brot, das aus Disziplin, Fleiß, Genügsamkeit und Gehorsam gebacken wird. Freude und Sorglosigkeit zählten nicht zu ihren wesentlichen Merkmalen. Sie war sehr streng und ungeduldig. Als kleines Mädchen fühlte ich mich oft dumm, machte scheinbar alles verkehrt. Egal, wie sehr ich mich bemühte, die Dinge gewissenhaft zu erledigen, ich konnte es ihr nie recht machen. Das erdrückte mich, und mein Körper signalisierte mir ganz deutlich: Das will ich nicht, das mag ich nicht, das gefällt mir nicht. Bei Oma und Opa ist es doch ganz anders. Meine Mutter ließ keinen Platz für andere Ansichten, häufig hatte ich das Gefühl, dass meine Meinung nichts zählte. Was war falsch? Was war richtig?

Als kleines Mädchen quälte mich nachts ein immer wiederkehrender Albtraum. Das gemeinsame Kinderzimmer mit meinem Bruder verwandelte sich in eine Flammenhölle. Die Feuerwehr kam durchs Fenster. Einer der Feuerwehrmänner rief: »Hier liegt ein Kind im Bett, ein Junge.« Er packte meinen Bruder und trug ihn hinaus. Ich schlief in meinem Klappbett. In meinem Traum hatte sich das Bett durch die Hitze des Feuers nach oben geklappt, so wurde ich einfach übersehen. Schweißgebadet und voller Panik wachte ich auf, weinte und schlich ins Schlafzimmer meiner Eltern. Ich wollte zu meiner Mutter ins Bett. Sie wies mich jedoch ab und schickte mich zurück. Angsterfüllt kletterte ich in das Bett meines Bruders, in der Gewissheit, ihn würden sie retten, dort würde die Feuerwehr auch mich nicht übersehen können.

Heute weiß ich, dass meine Mutter auf ihre Art genauso hilflos war wie ich. Sie setzte aus ihrer Sicht nur die Vorstellung um, die ihr von ihrer Mutter, durch ihre Erziehung mit auf den Weg gegeben wurde. Mädchen sollten fügsam, brav, demütig, hilfsbereit und dabei noch anmutig und hübsch sein. Ob sie die Absicht hegte, meinen Willen zu brechen, um über mich bestimmen zu können, bezweifle ich. Sie wollte nur alles richtig machen. Sie erzog uns Kinder nach typisch Junge und typisch Mädchen, nicht als gleichwertige Wesen mit unterschiedlichen Veranlagungen und Persönlichkeiten.

Ihre unbewusste Ungerechtigkeit und die gefühlte Macht, die sie über mich ausübte, erzeugten bei mir Ohnmachtsgefühle. Dies wiederum führte bei mir zu extremen Wutanfällen, was meine Mutter mit dem Satz: »Das Mädchen ist nicht normal« quittierte.Lange Zeit dachte ich, ich sei tatsächlich unnormal, eben anders als alle anderen Mädchen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die anderen auch diese Ängste und Aggressionen hatten, die mich zutiefst verunsicherten.

Immer wieder kam es zu Konkurrenzsituationen mit meinem Bruder, die meine Mutter mit »Sieh mal, wie gut Kai-Uwe das kann« kommentierte. Der Satz: »Du kannst das nicht«, gehörte zu meinem Alltag. Ich übernahm viele Pflichten im Haushalt, eine unbeschwerte Kindheit stellte sich in dieser Umgebung nicht ein. Bei meinen Großeltern wurde ich bedingungslos geliebt, bei meiner Mutter musste ich mir ihre Zuneigung verdienen, ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen. Die Enge provozierte mich, der schmale Bewegungsrahmen nahm mir meine Unbefangenheit und Lebensfreude. Ich musste brutal viel Anlauf nehmen, um dagegen anzukommen. Ich kämpfte so sehr, dass ich dabei das Träumen und das Kind-Sein versäumte.

Und mein Vater? Er liebte mich bedingungslos, wie ich es von seinen Eltern kannte. Er sah meine Situation, versuchte immer wieder, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Doch er war durch seinen Schichtdienst bei der Bundesbahn zu selten zu Hause, um nachhaltig Einfluss auf meine Erziehung zu nehmen. Wenn er anwesend war, spielten und lachten wir miteinander. Genau betrachtet, wuchs ich mit zwei extrem unterschiedlichen Eltern auf. Meine Sozialisierung: zwischen zwei Polen zu überleben.

Ich suchte mir eine Ersatzwelt, die sich von meiner Lebensrealität unterschied. Mein größter Schatz wurde der Ausweis für die Leihbücherei. Die langen Regale, der Geruch nach Bohnerwachs, Papier und Bücher, die konzentrierte Stille sind mir bis heute vertraut. Die Leihbücherei wurde zu meiner Insel, die Bücher zu meinen treuen Wegbegleitern, sie entführten mich in andere Welten und gaben mir die Möglichkeit, mir eine eigene Vorstellung vom Leben zu machen. Die Geschichten regten meine Fantasie an. Ich sog alles in mir auf, ahnte wohl, mein jetziges Leben könnte auch ganz anders aussehen. Eines meiner Lieblingsbücher war Pippi Langstrumpf, die sich von Erwachsenen nichts vorschreiben ließ und mehr oder weniger unbekümmert ihre eigenen Gedanken verfolgte. Wie sehr mich Bücher tatsächlich ermutigten, ahnte ich damals noch nicht. Auf eine gewisse Weise waren die Heldinnen meiner Kindheit meine ersten Rollenmodelle, Vorbilder, die mir Anregungen gaben, mir einen eigenen Weg zu suchen, egal, was andere von mir erwarteten. Geschichten von selbstbewussten Mädchen weckten meine Sehnsucht nach einem anderen Leben. Ich zelebrierte das Lesen, kaufte beim Bäcker für ein paar Pfennige, eine Rumkugel, die wurden aus den Kuchenresten in Bäckereien hergestellt und waren für mich erschwinglich, holte mir ein Glas Milch, kuschelte mich in den tiefen Ohrensessel, hinter dem ich sonst immer spielte, in eine Decke und versank in meiner ganz eigenen Traumwelt. Irgendwo da draußen, außerhalb meines kleinen Universums, wartete etwas Größeres auf mich.

Alte Denk- und Verhaltensmuster loslassen

»Hallo Frau Rousseau, sind Sie noch da?«

Die Stimme am anderen Ende der Leitung holte mich wieder in die Gegenwart zurück. Mein Gesprächspartner wartete ja noch auf eine Reaktion von mir. Was sollte ich antworten? Jede Faser meines Körpers stand unter Spannung, die innere Stimme warnte: »Du kannst das nicht! Dafür bist du nicht gut genug! Bleib mal schön auf dem Teppich! Dir fehlen notwendige Voraussetzungen! Lass das sein! Du bist wahnsinnig, ernsthaft über eine Kandidatur für den Aufsichtsrat nachzudenken!«

»Frau Rousseau?«, hakte er geduldig nach. »Wollen wir uns einmal persönlich treffen?«

Ich stand vor der Entscheidung, mich für ein Aufsichtsratsmandat in einem internationalen Markenartikelkonzern zur Verfügung zu stellen. Nach einem letzten Zögern siegte meine Neugierde, mehr über dieses Angebot zu erfahren. Ich blendete meine Vorbehalte und Selbstzweifel vorerst komplett aus, tat das einzig Richtige und sagte: »Ja. Sehr gern.«

Nein sagen steht bei mir seit Langem nicht mehr am Anfang eines Angebots, ein Nein kann ich immer noch am Ende eines Klärungsgesprächs äußern. Während Frauen oft zögerlich auf Angebote reagieren, zeigen sich Männer in ähnlichen Situationen völlig anders: Ein Zögern oder Zweifel sind ihnen meist fremd.

Lange dachte ich, mein Zögern hätte nur was mit mir zu tun. Über die Jahre habe ich jedoch erlebt, dass ich damit nicht allein bin. Immer wieder erzählten mir Frauen, dass sie das von sich ebenfalls sehr gut kennen. Sie reagieren auf berufliche Chancen eher zurückhaltend oder unentschlossen, weil sie glauben, nicht ausreichend Qualifikationen für eine neue Aufgabe mitzubringen. Die Psychologie kennt dafür den Begriff »Impostor-Syndrom« und meint damit das Gefühl, nicht genug zu sein. Diese davon betroffenen Menschen leben mit der Sorge, irgendwann würden die Leute bemerken, dass sie gar nicht so großartig und klug sind, wie es scheint.

Frauen denken häufig, sie seien eine Art von »Mogelpackung«, nicht so intelligent, nicht so kompetent, wie es von außen gesehen oder eingeschätzt wird. Und selbst wenn sie bereits erfolgreich sind, werden sie weiterhin von Unsicherheiten geplagt. Bei einer von der GfK-Marktforschung Nürnberg durchgeführten Studie gestand jede fünfte Frau (20,1 Prozent), es würden ständig Selbstzweifel an ihr nagen, und sie fürchte oft, in irgendeinem Bereich zu versagen. Von den Männern sagte dies nur jeder Siebte (14,4 Prozent). Fast drei von zehn Frauen (27,1 Prozent) grübelten zudem oft darüber nach, was andere Menschen wohl von ihnen denken. Bei den Männern tat dies nur knapp jeder Vierte (22,8 Prozent). Mehr als drei von zehn der weiblichen Befragten (32,1 Prozent) gaben offen zu, lieber gar nichts zu sagen, bevor ihre Wünsche von anderen abgelehnt würden (Männer: 26,8 Prozent). Und ein Drittel der Frauen (33,1 Prozent) räumte ein, sehr niedergeschlagen zu sein, wenn sie einmal kritisiert würden. Deutlich weniger Männer (23,7 Prozent) nahmen Kritik ähnlich persönlich.

Das Impostor-Syndrom betrifft grundsätzlich beide Geschlechter, jedoch weitaus mehr Frauen als Männer. Dieses Phänomen macht auch nicht vor sehr erfolgreichen Managerinnen oder Künstlerinnen halt. In ihrer Biografie Becoming berichtet Michelle Obama davon, wie sie die erste Zeit in der Highschool empfunden hat. »Aus meiner Perspektive«, schreibt sie über ihre Mitschüler, »wirkten sie allesamt älter und selbstbewusster, als ich es je sein würde, mit voller Kontrolle über jede Gehirnzelle, angetrieben von jeder Multiple-Choice-Frage, die sie in dem stadtweit standardisierten Test richtig beantwortet hatten. Ich fühle mich klein, wenn ich mich so umsah.« Das aus einer Arbeiterfamilie stammende Mädchen ist klug, ehrgeizig und leistungsstark, sie hat beste Noten und kämpft dennoch mit Selbstzweifeln. »Wenn meine diversen Ängste bezüglich der Highschool sortiert werden sollten, könnten die meisten unter einer allgemeinen Überschrift zusammengefasst werden: Bin ich gut genug?«

Da ist es wieder, das Impostor-Syndrom, das Frauenbiografien vom Kindergarten bis zur Top-Etage prägt. Männer können sich viel leichter vorstellen, einen neuen Posten zu bekleiden, für den sie noch nicht ausreichend qualifiziert sind, während Frauen, egal ob zwanzig oder fünfundsechzig, glauben, (noch) nicht gut genug für eine neue Position zu sein. Männer denken dann in Potenzialen, Frauen eher in Defiziten. Die Botschaften, die ich bei der Vergabe von Führungspositionen immer wieder höre, sobald eine talentierte Frau ins Spiel kommt: »Sie ist noch nicht so weit …« Bei talentierten Männern hört es sich so an: »Der hat ein echtes Potenzial …« Stereotype lauern überall.

Woher kommt das? Warum stellen Frauen ihr Licht unter den Scheffel, vor sich selbst und vor anderen? Warum denken sich Männer eher größer und Frauen eher kleiner? Warum haben Frauen Angst, ihre Leistung könnte trotz ihrer in der Regel sehr guten Fähigkeiten nicht den Anforderungen neuer Herausforderungen entsprechen?

Die Psychologen sehen die Ursache für dieses Gefühlsphänomen in einem geschwächten Selbstwertgefühl, das in der Kindheit entsteht. Ich bin dafür ein lebendes Beispiel, weil es mir auch heute noch immer wieder so geht. Trotz vieler beruflicher Erfolge und Auszeichnungen, auf die ich zurückblicken darf, holen mich meine Selbstzweifel manchmal ein. Dann fühle ich mich wie das kleine Mädchen, das glaubt, Aufgaben und Dinge nicht gut bewerkstelligen zu können, das zu oft gehört hatte: »Dein kleiner Bruder kann das besser als du.« – »Jungs sind besser als du.« Mein Lerneffekt war damals: Lass die Finger davon, Manuela. Oder: Überlasse das besser den Jungs.

Im Lauf der Jahre wurde ich in allem, was ich tat, immer unsicherer. Die Vorurteile meiner Mutter bestätigte ich mir selbst bei allen Herausforderungen: Ich brachte schlechte Noten nach Hause und hasste Sport und Wettkämpfe. Ich weigerte mich stoisch, Rollschuh- oder Schlittschuhlaufen zu lernen. Ich schrie, als meine Mutter mich zwang, mit ihr einen Berg hinabzurodeln, nach zwei Metern ließ ich mich demonstrativ vom Schlitten fallen, und sie sauste allein den Abhang runter. Gedichte und Vokabeln lernen war mir ein Graus. Meinem Bruder fiel irgendwie immer alles leichter als mir. Selbst sein Kleiderschrank war tipptopp aufgeräumt, während bei mir ein fröhliches Chaos herrschte.

Nur zwei Sachen konnte ich gut: ungewöhnliche Lösungen für Probleme finden und delegieren. Eines Nachmittags zerrte meine Mutter mich vor den Kleiderschrank meines Bruders und demonstrierte mir, wie ein aufgeräumter Schrank auszusehen habe. Dann öffnete sie Tür meines Schranks und warf alle Kleidungsstücke auf den Boden. »So, und jetzt räumst du auf.« Ich war sauer, bockig und frustriert. Irgendwann kam mir die Idee, meinen Bruder zu fragen, ob er meinen Schrank genauso schön einräumen könnte wie seinen eigenen.

»Ja, klar kann ich das«, sagte er und tat es auch.

Meine Mutter war begeistert, wie schön »ich« aufgeräumte hatte. Damit das Problem ein für alle Mal beendet wurde, bot ich meinem Bruder einen kleinen Teil von meinem Taschengeld an, wenn er ab jetzt immer meinen Kleiderschrank aufräumte. Das klappte hervorragend, bis er sich irgendwann verplapperte und meine Mutter meinen Deal schlagartig beendete.

Jede schlechte Note, jeder gefühlte oder tatsächliche Misserfolg bestätigte meine Unfähigkeit. Jedes Versagen bezog ich auf mich, niemals auf äußere Umstände. Es ist und bleibt unglaublich schwer, die Botschaft, die ich als Basis in der Kindheit hörte: »Du kannst das nicht!«, durch neue Erfahrungen und eine positive Botschaft zu ersetzen. Ich spürte die Liebe anderer Bezugspersonen, zum Beispiel meiner Großeltern, die mich lobten und ermutigten. Irgendwie begriff ich unbewusst, dass nicht ich die Ursache des Problems war. Aber diese Ahnung machte mich als Kind nicht mutiger. Erst mit zunehmendem Alter und besserem Verständnis meiner eigenen Geschichte erkannte ich, dass die Beurteilung meiner Mutter mehr mit ihren eigenen Erlebnissen und Einstellungen zu tun hatte als mit mir.

Mit dem Erwachsenwerden wurde mir immer klarer: Wenn ich die Sichtweise meiner Mutter unreflektiert akzeptierte, würde die Tür zu einem selbstständigen und erfüllten Sein für mich verschlossen bleiben. Das zu verhindern, erforderte von mir einen radikal kritischen Blick. Die Verzweiflung darüber, dass ich kein mütterliches Vorbild hatte, das mir zeigte, wie man als Frau selbstbestimmt lebt, schmerzte. Ich stolperte mit großer Unsicherheit in meine Zukunft. Ich suchte nach Antworten. Stück für Stück nahm ich meine Erziehung genauer unter die Lupe – und begriff im Lauf der Zeit, dass nur ich, und wirklich nur ich, etwas an dieser Situation und den Gefühlen ändern konnte. Wenn ich meinen eigenen Weg suchen und ihn konsequent gehen wollte, war es erforderlich, das Nagelbett meiner Kindheit zu verlassen. Mit den Jahren wurde es für mich zu einer festen Aufgabe, mir in herausfordernden Situationen folgende Fragen zu stellen: Was treibt mich an? Was will ich wirklich? Werde ich gerade von alten, vorgelebten Mustern geleitet? Was muss ich jetzt tun, um den Spielverderber Selbstzweifel zum Schweigen zu bringen?

Den inneren Impulsen folgen

Eigentlich müsste ich tot sein, oder eine Opportunistin – ich bin weder das eine noch das andere. Ich habe das Blatt gewendet, meinen eigenen Weg lange gesucht und gefunden. Im Vergleich zu meiner Mutter wurde ich innerlich zunehmend freier, freier, als sie es sich für sich hätte jemals vorstellen können. Ich habe sehr früh gelernt, falsche Erwartungen, die an mich gestellt wurden, nicht zu erfüllen.

Meine Mutter war die prägendste Person in meinem Leben, als Kind habe ich alles geglaubt, was sie sagte. Ich habe sehr lange gebraucht, mich aus der engen Vorstellungswelt, die mir meine Mutter überstülpen wollte, zu befreien, dennoch spürte ich tief in mir, dass das nicht alles sein konnte. Da war ein Anteil in mir, der nicht zulassen wollte, dass meine Mutter Recht behält.

Was ich damals nicht verstand, war, dass die Grenzen ihrer eigenen Erziehung mich daran hinderten, mich als Frau authentisch zu entwickeln, meine Talente, meine Stärken, mein Potenzial zu entfalten. Sie wusste es nicht besser und war aus diesem Grund nicht in der Lage, mir eine Anleitung zu geben, meine Persönlichkeit zu finden. Ich war durch das Frauenbild meiner Mutter geprägt, das mich wie ein Korsett einengte.

Damit bin ich nicht allein. Frauen denken sich oft kleiner, als sie es tatsächlich sind. Aus Gesprächen mit meinen Mentees weiß ich: Das hat nichts mit Geld zu tun, mit Erziehung auch nur bedingt. In erster Linie hat es damit zu tun, was wir uns erlauben zu sein. Solange wir uns keine große Vorstellung von unserem Leben erlauben, wird es schwer, sich klare Ziele zu setzen.

Frauen müssen nicht alle Erwartungen, die an sie gestellt werden, erfüllen. Dafür dürfen sie sich aber alle Träume und Erwartungen, die sie an sich selbst stellen, umsetzen. An diesem Punkt geht es um Mut. Mein kindlicher Trotz rettete mich davor, ein Leben nach den Anschauungen meiner Vorfahren zu führen. Ich hatte zwar keine überwältigenden Ideen und Träume, aber genug Mut, einfach loszumarschieren.

Die Scheidung meiner Eltern brachte für uns Kinder zahlreiche Wohnungsumzüge und Schulwechsel mit sich. In acht Jahren besuchte ich vier verschiedene Schulen. Zeit, um Freundschaften zu schließen, blieb wenig. Kurz vor Beginn der Sommerferien 1970 verlangte meine Mutter von mir, die Schule zu verlassen, um einen Beitrag zu unserem Lebensunterhalt zu leisten. Der Klassenlehrer empfahl mir einen Besuch beim Arbeitsamt, also meldete ich mich zu einer Beratung an. Ich war vierzehn und zog mit klopfendem Herzen alleine los. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich beruflich tun könnte oder wollte.

Der Berater schaute auf meine durchschnittlichen Zensuren in meinem Zeugnis und meinte, eine Ausbildung wäre für mich genau richtig, und wenn ich später noch einen höheren Schulabschluss anstrebe, könnte ich diesen nachholen.

»Manuela, was würde dir Spaß machen? In welchem Beruf möchtest du gerne arbeiten?«

»Ich würde gern in einem Labor arbeiten, Chemielaborantin kann ich mir vorstellen.«

»Dazu müsstest du bessere Noten haben oder einen Realschulabschuss, da kann ich dir nichts anbieten.«

»Vielleicht könnte ich in einem Reisebüro eine Ausbildung beginnen?« Ich träumte davon, wie meine Klassenkameraden in den Ferien zu verreisen.

»In Neumünster haben wir kein Reisebüro, das ausbildet, da müsstest du jeden Tag nach Kiel fahren. Das ist aufwendig, und meistens braucht man auch dafür einen Realschulabschluss. Denk doch noch mal nach. Was kommt sonst noch infrage?«

»Wie wäre es, wenn ich doch weiter zur Schule ginge?«, wagte ich einen Vorsprung.

»Komm noch einmal mit deiner Mutter zu mir, um darüber zu sprechen.«

Am Abend berichtete ich meiner Mutter von meinem Gespräch mit dem Berufsberater.

»Es tut mir leid«, entgegnete sie zu meiner großen Enttäuschung, »aber wir brauchen jeden Pfennig, ich kann dir keinen weiteren Schulbesuch bezahlen. Es wäre für uns alle eine große Hilfe, wenn du etwas zum Lebensunterhalt beitragen könntest. Eine höhere Schule steht nicht zur Debatte.«

So begann ich 1970 eine Lehre in einem Einzelhandelsbetrieb, in dem Radio- und Fernsehgeräte und Tonträger verkauft wurden.

Sich eine große Vorstellung von sich selbst erlauben

Wer auf seine inneren Impulse hört, kann sich auch eigene Ziele setzen. Wer den Sinn für sein Leben herausgefunden hat, gewinnt Orientierung, eine grobe oder hoffentlich große Vorstellung von der Richtung, die zum persönlichen Lebensweg führt. Übernimmt hingegen Angst das Denken, wird die Vorstellung voraussichtlich nie groß genug sein.

Jeder kann Dinge planen und trotzdem ausreichend Spielraum lassen für Zufälle und Richtungswechsel. Zufälle sind ein Geschenk des Lebens, sie können die grobe Richtung positiv oder negativ unterstützen. Andererseits: Wie soll der Zufall uns finden, wenn wir selbst nicht wissen, was wir wollen, wo wir hinwollen? Niemand außer uns kann uns diese Antwort geben. Auch meinen Mentees kann ich nicht sagen, was ihr persönlicher Sinn, ihre Ziele sein könnten, ich kann durch meine Fragen aber dazu beitragen, dass sie anfangen, mutiger auf ihre Bedürfnisse zu hören: Was gefällt dir in deinem jetzigen Leben? Wo stehst du im Moment? Spürst du, wenn du genau hinschaust, wo ein Störgefühl um deine Wahrnehmung bittet?

Vom Mädchen zur selbstbestimmten Frau

Seit dreißig Jahren begleite ich als Mentorin Frauen auf ihrem beruflichen Weg. Die Erfahrungen, die ich dabei gemacht habe, zeigen mir, dass sich das Selbstbewusstsein und auch die Rahmenbedingungen von Frauen in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Dennoch halten sich zahlreiche erziehungsbedingte und tradierte Muster, die Frauen daran hindern, ihr volles Potenzial zu entwickeln. Einige meiner Mentees schilderten mir ihre unterschiedlichen Erfahrungen mit falschen oder überhöhten Erwartungen ihrer Eltern, mit Druck von außen.

Ich war ein Kind, von dem nichts erwartet wurde. Ganz anders bei Nina. Sie wuchs auf einem Bauernhof auf, und der Traum ihrer Eltern war, dass sie es »einmal besser haben sollte«, sie sollte ein Studium oder eine Ausbildung in einem großen Konzern absolvieren. Ihre Eltern hatten damit sehr große Erwartungen in sie gesetzt.

Im März 2017 lernten wir uns kennen. In einem ersten Telefonat deutete sie an, dass sie sich in einer beruflichen Umbruchphase befände. Nina war gerade neunundzwanzig geworden. Nach ihrer Ausbildung in einem renommierten Touristikkonzern in Hannover folgten Auslandsaufenthalte, dann ein berufsbegleitendes Studium an der Hamburger Universität: International Management. Wir verabredeten uns zu einem persönlichen Gespräch.

Wenige Minuten nach dem Kennenlernen sprudelte es aus ihr heraus: »Ich fühle mich so fremdgesteuert! Wenn ich zurückdenke, dann bin ich seit fünfzehn Jahren privat und beruflich immer wieder unzähligen Phrasen, Regeln und Erwartungen aus meinem Umfeld ausgesetzt: Bleib unabhängig. Bilde dich weiter. Bau dir eine Karriere auf. Genieße die Zeit. Sammle Erfahrungen im Ausland. Mach etwas aus deinem Leben. Denke daran, dass für deinen künftigen Erfolg ein gutes Studium eine wesentliche Grundvoraussetzung ist … Ich bin auf der Suche, was meine wahren Ziele sind und nicht die von anderen. Ich trete auf der Stelle, bin unzufrieden. Ich möchte etwas verändern und zugleich viel bewegen!«

Ihre Prägungen waren ganz anders als meine, und doch ließ sie sich durch die Erwartungen ihres nächsten Umfelds einschränken. Ihre Familie wollte, dass sie eine Karriere im klassischen Sinn machte. Nina hingegen wollte einen tieferen Sinn in ihrer Arbeit finden. Sie suchte nicht bloß finanziellen Erfolg, sondern ihr Wunsch war es, für die Gesellschaft, fürs Gemeinwohl zu arbeiten. Sie wollte etwas bewegen, das größer war als sie. Ich kann das gut verstehen. Dennoch kam sie gar nicht auf die Idee, sich eine andere berufliche Vorstellung zu erlauben.

Wir arbeiteten ein Jahr zusammen, mit dem Ergebnis, dass Nina zunehmend weniger darauf achtete, was andere von ihr erwarteten. Sie entschied sich konsequent, ihren Bedürfnissen auf den Grund zu gehen und diese in ihrem Leben an die erste Stelle zu setzen. Sie gab sich die Erlaubnis, ihre Wünsche wach werden zu lassen. Sie bekämpfte ihre Ängste, fand immer mehr Orientierung und schließlich einen neuen Job, der ihren Anspruch nach Sinn in ihrem Leben erfüllte: Fünf Monate nach unserem ersten Gespräch wechselte sie aus dem Konzernleben auf einen verantwortungsvollen Posten in einer Non-Profit-Organisation.

Um sich eine große Vorstellung zu erlauben, muss man sich erst einmal erlauben, überhaupt eine Vorstellung zu haben, die anders ist als die Erwartungen des persönlichen Umfelds. Das gilt für Nina ebenso wie für mich und viele andere Frauen. Es spielt keine Rolle, in welche Umstände wir hineingeboren wurden, welche Faktoren unseren Weg limitiert haben mögen. Entscheidend ist, wie wir als erwachsene Frauen mit unserer eigenen Geschichte umgehen.