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Hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre drei Worte spontan aus dem Ärmel ihres roten Blazers geschüttelt? Oder wurden sie ihr vor der Pressekonferenz mit den Hauptstadtmedien in den Mund gelegt? Welchem Zweck diente ihr Mantra? Dem "Wir schaffen das" folgten dramatische Veränderungen sowohl in Deutschland wie im übrigen Europa. So waren sie nicht vorgesehen. Spurensuche und Faktencheck.
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Seitenzahl: 64
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Essay
„Wir schaffen das“
Die Kanzlerin & das Mantra
der Wirtschaft
Diana A. von Ganselwein
IGK-Verlag
7100 Neusiedl am See, Österreich
Copyright © 2016
ISBN: 9783958495647
Fotos: © Armin Linnartz, Engel-Fotolia.com
Der vorliegende Text beruht auf der Überzeugung, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel am 31. August 2015 ihre drei Worte nicht spontan aus dem Ärmel ihres roten Blazers geschüttelt hat. Sie standen ja auch im 115. Satz ihres Manuskripts zur Rede vor der Hauptstadtpresse.
Zugegeben, ohne die Silvesternacht bliebe das für immer von marginaler Bedeutung.
Es wird ferner davon ausgegangen, dass die deutsche Wirtschaft die Regierungschefin zu dieser Aussage gedrängt hat. Ein „Kopf hoch! Wir sind ein starkes Land“ an ratlose und verunsicherte Demokraten ebenso wie an radikalisierte Bürger in einem schwierigen Augenblick für ein in Europa isoliertes Deutschland.
Diese Analyse gipfelt nicht in der Vermutung, dass weder die Repräsentanten der Verbände und Institutionen noch sie selbst nicht wirklich überzeugt sein konnten von dem, was sie sagte.
Ernsthafte wissenschaftliche Autoren bezeichnen jedoch als Jobvoraussetzung eines Politikers oder einer Politikerin die Fähigkeit zur Lüge und erläutern zwingend, dass die Politik lügen muss und dass sie es für uns tut. Die erste Pflicht ist es, gewählt zu werden und die Macht zu haben, ohne die niemand all die guten Dinge tun kann, die er oder sie verspricht.
Politiker werden noch geschont, Manager in Bezug auf Vertrauen und Glaubwürdigkeit schon lange nicht mehr. Investoren analysieren mit Softwareprogrammen von Firmen wie Rittenhouse Rankings und LIWC kritisch die Wortwahl in Quartalsberichten und Fernsehinterviews.
Auch Angela Merkel konnte vor dem Weltbankforum über Investitionen, Energie, Ernährung, Bevölkerungswachstum, Menschenrechte und Bildung locker Nachhaltigkeit als deutsche Erfindung beanspruchen. Wow! In der Tat verfasste im 17. Jahrhundert ein sächsischer Adeliger vermutlich erste „naturmäßige Anweisungen zur Wilden Baum-Zucht“. Im deutschen Bundestag erntete sie jedoch heftigste Kritik für Etikettenschwindel: „Gerade Deutschland mit seiner zweifelhaften exportorientierten Wirtschaftspolitik, mit Lohndumping und Sozialabbau sollte nicht als Vorbild für Europa und die Weltgemeinschaft dienen. Stellen wir uns vor, jedes Land würde wie Deutschland mehr exportieren, als es verbraucht. Wer soll den Export-Überschuss dann kaufen?“ (Quelle: Ralph Lenkert, DIE LINKE, 28. Juni 2013).
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ prägte nach den Vorfällen in der Silvesternacht den Begriff vom „merkelschen Deutsch“ und zitierte als Beispiel: „Dabei muss eben immer wieder überprüft werden, ob wir, was Ausreisenotwendigkeiten oder Ausweisungen aus Deutschland anbelangt, schon alles getan haben, was notwendig ist, um hier klare Zeichen an diejenigen zu setzen, die nicht gewillt sind, unsere Rechtsordnung einzuhalten.“
Fehlte nur noch: „Dabei sind wir auf einem guten Weg.“
Die Erörterung zweier angesagter Katastrophen im Kanzleramt fand an einem der Spätabende nach dem 21. und vor dem 31. August 2015 statt. Im Kabinettsaal tagte nicht die Bundesregierung. Eine einsame Angela Merkel war umringt von den mächtigsten Lobbyisten der deutschen Wirtschaft. Deren Geschäft ist noch härter als das Buhlen um die schwankende Gunst von Wählerinnen und Wählern. In ihren Unternehmen wird täglich eine Wertschöpfung von knapp acht Milliarden Euro generiert. Das verleiht den Repräsentanten unbeschreibliche Macht. Nur 26 Prozent der Erwerbstätigen haben ihre existentielle Basis im Export. Das Schicksal von sehr viel mehr Menschen wird vom privaten Konsum bestimmt. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf dreißig der vierzig Millionen Beschäftigten und ihre Familien. Die Stimmung innerhalb der deutschen Gesellschaft, ihr Zustand und ihre Zusammensetzung entscheiden über Aufstieg oder Untergang.
In der ewigen Krise der demografischen Entwicklung zeigte sich kurz vor der Konferenz ein überraschender Lichtstrahl. Umso perspektivloser präsentierte sich gleichzeitig der politische Umgang mit den als Flüchtlingsfrage bezeichneten Ereignissen. Das Wort Frage signalisiert, dass die Regierung eine Antwort hat. Doch der allgemeine Eindruck war ein völlig anderer.
Den Beschönigungen setzte die Wirtschaft an jenem Abend ein Ende. Klartext mit roter Karte.
Die Öffentlichkeit war ausgeschlossen. Bis am 31. August Kanzlerin Merkel vor den Vertretern der Hauptstadtmedien zum allerersten Mal die Worte sprach: „Wir schaffen das.“
Historiker werden das Mantra der Bundeskanzlerin nicht ohne Zusammenhang mit der am 21. August 2015 vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Entwicklung der Geburtenrate bewerten können. Ebenso ist unstreitig, dass die schockierenden Ereignisse rund um eine Erstaufnahmeeinrichtung in Heidenau nahe Dresden in der darauf folgenden Nacht bei Angela Merkel Spuren hinterlassen haben. Insgesamt war die Unterbringung von 600 Menschen in zwei Etagen eines früheren Baumarktes vorgesehen. Störer blockierten die Bundesstraße 172, stoppten die Busse und bewarfen Polizisten mit Flaschen, Steinen und brennenden Böllern. Die Polizei wehrte sich mit Reizgas.
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Dieses EBook ist eine veröffentlichte Meinung. Gleichwohl vermittelt der Text eine Fülle von Fakten.
Die Autorin bittet die im Nachfolgenden zitierten Personen um Nachsicht. Wer an den Schaltstellen der Macht um die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland ringt, verfügt in aller Regel über einen geschliffeneren Geist und über eine raffiniertere Wortwahl als hier wiedergegeben. Das war der Chronistin nicht wichtig – sie ist ja weder politischer noch wirtschaftlicher Lobbyist.
Das Ende des Willkommensmärchens ist unauslöschbar. Unleugbar. Unvergessbar.
Die Horrornacht zu Silvester 2016, die zu weit über tausend Anzeigen führte.
Im Gegensatz dazu erreichte der Startschuss in die Kultur der ausgebreiteten Arme nie die Dimension eines historischen Datums. Entscheidendes geschah in jener
Gesprächsrunde der besonderen Art.
Diese Annahme stützt sich auf die vorläufige Analyse eines Audiomitschnittes aus der entscheidenden Nacht.
Seine Authentizität ist nicht gesichert.
Zwei Stimmen konnten jedoch mit größter Wahrscheinlichkeit zwei Teilnehmern zugeteilt werden: der Frau Bundeskanzler und dem Chef des Bundeskanzleramts, Bundesminister für besondere Aufgaben.
Im Extremfall könnte es sich dennoch um die Tonaufnahme einer Gruppe von Schauspielern handeln, die auf einer Laienbühne ein Theaterstück zur fiktiven Zukunft Deutschlands in Szene setzten, nachdem sie sich zum Beispiel darüber geeinigt hatten, wer Angela Merkel verkörpern darf und wer den Präsidenten des Bundesverbandes der deutsche Industrie, BDI, Ulrich Grillo.
In Anbetracht der Tatsache, dass es weit mehr Menschen mit der Fähigkeit gibt, Stimmen anderer zu imitieren, ist selbst die Überzeugung, mit Sicherheit die Kanzlerin oder Peter Altmeier zu vernehmen, kein absolut wasserdichter Beweis.
Vieles spricht jedoch dafür, dass das nächtliche Pokern um Interessen, um Standpunkte, um Beschlüsse in der größten Wirtschaftsnation der Europäischen Union nicht dem Kopf eines Bühnenautors entsprang, sondern tatsächlich im Zentrum der Macht stattfand, Willy-Brandt-Straße 1, in 10557 Berlin.
Aus demokratischer Sicht ist das sogar äußerst wünschenswert.
Andersherum wäre eines in hohem Maße beunruhigend: Dass die dramatischen Geschehnisse der vergangenen Monate nicht irgendwie - wenn auch mit unbeabsichtigten Auswirkungen - auf einem genialen Masterplan beruhten, sondern dass die Beiträge der Kanzlerin sich einfach so aus der Sachlage der jeweiligen Tage ergaben.
Am 31. August 2015 wird Angela Merkel in ihrer Bundespressekonferenz nach der Sommerpause von der Öffentlichkeit noch wohlwollend als Krisenmanagerin, als Entschlossene wahrgenommen. „Es wirkt, als wolle sie im nächsten Moment die Ärmel ihres roten Blazers hochkrempeln“, so gibt die Rhein-Neckar-Zeitung den Tenor für die nächsten Tage vor.
Es folgte die Nacht vom 4. auf den 5. September. Die deutsche Bundeskanzlerin verabredete mit dem österreichischen Amtskollegen Werner Faymann nach einem Telefonat mit dem Ministerpräsidenten Ungarns die unkontrollierte Weiterreise Tausender Flüchtlinge aus ungarischem Staatsgebiet durch Österreich in die Bundesrepublik. Die Zahl unregistriert Eingereister konnte danach nur grob geschätzt werden, so ungefähr 9.000 allein ab 0:52 Uhr an jenem Samstag, der dem mitternächtlichen Beschluss folgte.
Die Haltung von Frau Merkel wird zu einem persönlichen Manifest für Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft hochstilisiert.
Schon bald werden an einem einzigen Tag nicht 9.000, sondern 30.000 Menschen und mehr über die Grenze nach Deutschland strömen.
Das Stichwort vom moralischen Impetus gewann die Oberhand. Und es gab Hoffnung auf den Nobelpreis als Auszeichnung für besondere Verdienste in der Friedensarbeit. Angela Merkel auf einer Stufe mit Henry Dunant, den Gründer des Internationalen Roten Kreuzes, mit Theodore Roosevelt, dem Friedensstifter zwischen Russland und Japan, mit Albert Schweitzer, dem aufopfernden Gründer des Tropenkrankenhauses in Lambarene, und mit George C. Marshall, einem Vater des Wirtschaftswachstums.