Wissenschaftliches Schreiben für MINT-Studierende - Matthias Heinitz - E-Book

Wissenschaftliches Schreiben für MINT-Studierende E-Book

Matthias Heinitz

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Beschreibung

Wissenschaftliches Schreiben wird dann als realisierbare Aufgabe empfunden, wenn die Regeln bekannt sind und die Gestaltungsspielräume genutzt werden können. Aber sind die Regeln so klar? Woran erkenne ich, ob eine Argumentationskette logisch aufgebaut ist? Wie zitiere ich richtig? Und wie kommt man zu einer angemessenen Struktur und Gliederung, sodass daraus ein roter Faden entsteht? Schnell wird klar: Es genügt nicht, die Regeln, die die Wissenschaft vorgibt, zu kennen und Checklisten zu benutzen. Vielmehr braucht es ein zusammenhängendes Verständnis für die wissenschaftliche Schreibaufgabe. Diese besteht nicht nur aus Schreiben, sondern auch aus Planen und Organisieren, Strukturieren, Denken und Formulieren. Im Schreibprozess gilt es, eine sehr große Menge von Informationen zu bewältigen und gleichzeitig den zahlreichen Anforderungen, die die Wissenschaft an die schriftliche Arbeit richtet, gerecht zu werden. Im engagierten Austausch mit Studierenden über viele Jahre sind in Schreibseminaren, Schreibübungen und Feedbackrunden viele Ideen, Empfehlungen und - mittlerweile erprobte - Prüfkriterien entstanden, die in dieser Form nicht in verfügbaren Fachbüchern über das wissenschaftliche Schreiben zu finden sind. Dieses Buch ist aus der Praxis für die Praxis: Es bietet mehr als 50 praktische Tipps, Textbeispiele und Textanalysen.

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Vorwort

Schon wieder ein Buch über das wissenschaftliche Schreiben?! Da gibt es doch bestimmt schon unzählige Fachbücher und noch viel mehr Leitfäden von Hochschulen und Universitäten – sind die alle untauglich? Oder unterliegt die Aufgabe wissenschaftlichen Schreibens einem rasanten Wandel, der es erzwingt, die Fachbücher regelmäßig auf den neuesten Stand der Erkenntnis zu bringen? – Dies sind zweifellos naheliegende und berechtigte Fragen, denen sich die Autoren eines Fach- und Lehrbuchs über das wissenschaftliche Schreiben stellen müssen. – Meine Antwort lautet:

Seit 1993 betreue ich Studierende bei ihren Abschlussarbeiten: Zunächst waren dies Diplom-, nach der Jahrtausendwende schließlich Bachelor- und Masterarbeiten. Das „Zusammenschreiben“ einer wissenschaftlichen Arbeit, also die Dokumentation der eigenen Arbeit, stellt – unabhängig vom individuellen Talent – stets eine Herausforderung dar. Ein wesentlicher Grund ist, dass die Schreibaufgabe nicht nur aus Schreiben besteht, sondern auch aus Planen und Organisieren, Strukturieren, Denken und Formulieren. Im Schreibprozess gilt es, eine sehr große Menge von Informationen zu bewältigen und gleichzeitig den zahlreichen Anforderungen, die die Wissenschaft an die schriftliche Arbeit richtet, gerecht zu werden.

Einem glücklichen Zufall verdanke ich, dass ich seit dem Jahr 2011 Praxisseminare zum wissenschaftlichen Arbeiten und Schreiben durchführe. Anders als die Rolle eines Betreuers studentischer Arbeiten versetzt mich die Perspektive des Seminarleiters und Lehrenden in die Lage, den Schreibprozess fokussiert zu behandeln, ohne gleichzeitig die fachliche und fristgerechte Lösung einer Abschlussarbeit im Blick haben zu müssen. Dabei habe ich viel gelernt: viel mehr, als ich je vermutet hätte. Im engagierten Austausch mit mittlerweile mehr als 250 Studierenden in zahlreichen Schreibübungen und Feedbackrunden sind viele Ideen, Empfehlungen für Vorgehensweisen und – mittlerweile erprobte – Prüfkriterien entstanden, die nicht in verfügbaren Fachbüchern über das wissenschaftliche Schreiben zu finden sind. Diesen neuen Gedanken und Anregungen möchte ich mit diesem Lehr- und Fachbuch einen angemessenen Raum geben.

Wissenschaftliches Schreiben wird dann als lösbare Aufgabe empfunden, wenn die Regeln bekannt und die Gestaltungsspielräume genutzt werden können. Aber sind die Regeln so klar? Woran erkennt man, ob eine Argumentationskette logisch aufgebaut ist? Und wie kommt man zu einer angemessenen Struktur und Gliederung, so dass daraus – wie von selbst – der erwünschte rote Faden entsteht? Schnell wird klar: Es genügt nicht, die Regeln, die die Wissenschaft vorgibt, nur aufzuschreiben oder in Form von Checklisten bereitzustellen. Vielmehr braucht es ein zusammenhängendes Verständnis für die wissenschaftliche Schreibaufgabe.

Welche Ziele verfolgt nun dieses Fachbuch? – Es soll Ihnen ein Ratgeber sein, der das Wissen und die Regeln wissenschaftlichen Schreibens in verständlicher und gleichzeitig prägnanter Form vermitteln. Es ist wichtig, nicht nur einzelne Checkpunkte und Kriterien zu benennen, sondern Zusammenhänge als solche herauszuarbeiten. Darüber hinaus werden zahlreiche praktisch umsetzbare Tipps und (Text-)Beispiele präsentiert. Und falls die Zeit zur vollständigen Lektüre fehlt, können Sie einzelne Themenbereiche nachschlagen und erarbeiten.

Warum wird der Fokus auf MINT-Studierende gelegt? – Das Produkt des Schreibprozesses, der wissenschaftliche Text, zeichnet sich in den mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Fächern durch seine dokumentierende Aufgabe und Bedeutung aus: Schreiben hält die wissenschaftlichen Erkenntnisse fest, so dass sie nachvollziehbar sind und publiziert werden können. Im Gegensatz dazu ist der wissenschaftliche Text in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen oftmals das Forschungswerkzeug oder auch das Forschungsobjekt. Das Schreiben nimmt hier eine andere Stellung ein: Die Forschungstätigkeit vollzieht sich am Text, der in mehreren Fassungen überarbeitet und verfeinert wird. Beispielsweise kann in den frühen Textfassungen die Forschungsfrage selbst noch offen oder unscharf definiert sein. Die wachsende gedankliche Durchdringung führt zur Weiterentwicklung und Präzisierung des geschriebenen Textes. – Gleichwohl gelten die grundsätzlichen wissenschaftlichen Regeln für sämtliche Wissenschaftsbereiche.

Die in diesem Buch präsentierten Methoden sind nicht nur für studentische Arbeiten geeignet, sondern können uneingeschränkt auch auf andere Forschungsprojekte wie Dissertationen angewendet werden.

Und was ist mit Künstlicher Intelligenz (KI)? – Generative Künstliche Intelligenz ist schon seit geraumer Zeit ein relevantes Werkzeug im Kontext wissenschaftlichen Schreibens – aber nach meiner persönlichen Auffassung noch kein geeignetes Werkzeug für das Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten1. Unbestritten: KI hilft bei Formulierungsfragen und hält sich an Rechtschreib- und Grammatikregeln. Wenn es aber um wissenschaftlich korrekte Formulierungen oder auch nur um eine präzise formulierte wissenschaftliche Aufgabenstellung geht, verfehlt KI heute – im Sommer 2024 – wesentliche Anforderungen, die an wissenschaftliche Arbeiten gerichtet werden. Mutmaßlich ist es eine Frage der Zeit, bis sich die Fähigkeiten von KI ändern und ein anderes Niveau erklimmen werden. In diesem Fall würden sich gewiss weitere Fragen in anderen Dimensionen stellen, aber klar ist: Die Fachbücher über das wissenschaftliche Schreiben müssten überarbeitet werden. – Oder würden sie dann überhaupt noch benötigt werden?

Nobody is perfect. – Ich bin leider keine Ausnahme. Falls Sie Fehler in diesem Buch entdecken oder Fragen, Kritik oder Anmerkungen an mich richten wollen, so schicken Sie doch bitte eine Mail an die folgende Adresse:

[email protected]

Jede Mail wird beantwortet – versprochen. Herzlichen Dank!

Bei der Lektüre dieses Buches wünsche ich Ihnen viele neue Erkenntnisse und für Ihr wissenschaftliches Schreibprojekt viel Erfolg und Freude!

Neubiberg im August 2024

Matthias Heinitz

1 Der unsichere Umgang der Hochschulen mit KI im Hinblick auf die prüfungsrechtliche Bewertung studentischer Arbeiten soll hier nicht vertieft werden.

INHALTSVERZEICHNIS

Abkürzungsverzeichnis

Prolog

Der Moment der Wahrheit

Kapitell 1: Wissenschaftliches Schreiben

Eine Dreiecksbeziehung: Denken, Schreiben, Wissen schaffen

Die Dokumentation wissenschaftlicher Ergebnisse und Erkenntnisse

Anforderungen an wissenschaftliche Texte

Wissenschaft als Prinzip – Prinzipien der Wissenschaft

Ehrlichkeit

Objektivität

Verständlichkeit

Quellen – Begriff und wissenschaftliche Bedeutung

Der Umgang mit Quellen: Zitat, Zitieren und Zitierpflicht

Zitierfähigkeit von Quellen

Zitierwürdigkeit von Quellen

Internetquellen

Urheberrecht

Zitatformen

Wie man Quellen zitiert

Zusammenfassung

Kapitel 2: Schreiben planen und strukturieren

Die schriftliche Ausarbeitung braucht eine Vorbereitung

Schreibprozess

Planung der Schreibarbeit

Ein Projekt, kein Abenteuer: Zeitplanung und Zeiteinteilung

Schreiborganisation

Kick-off-Veranstaltung: Exposé

Das Rückgrat wissenschaftlichen Schreibens: Struktur, Gliederung und roter Faden

Begriffsklärungen

Begriff: Roter Faden

Was bei einer Gliederung zu beachten ist

Zusammenfassung

Kapitel 3: Die Einleitung – ein Auftakt nach Maß

Erste Informationsquelle und Einladung zum Lesen

Den Einstieg finden – Motivation schaffen und das Thema eingrenzen

Die wissenschaftliche Frage- oder Aufgabenstellung definieren

Den Stand der Technik beschreiben

Zusammenfassung

Kapitel 4: Der Hauptteil – das wissenschaftliche Wirken

Der Aufbau des Hauptteils

Begriffe definieren

Ergebnisse darstellen und beschreiben

Ergebnisse bewerten

Formale Aspekte der Strukturierung: Kapitelüberschriften

Zusammenfassung

Kapitel 5: Die Zusammenfassung – Dividende für die Wissenschaft

Die Kunst des Weglassens: Beschränkung auf die wesentlichen Punkte

Der wissenschaftliche Wert der Arbeit: Ergebnisse bewerten

Ausschau nach neuen Ufern: Der wissenschaftliche Ausblick

Eine Zusammenfassung erstellen – Schritt für Schritt

Zusammenfassung

Kapitel 6: Wissenschaftlicher Schreibstil

Formulieren, beschreiben, bewerten

Logische Argumentation

Zusammenfassung

Zusatzmaterial

Textanalysen

Lektionen aus fiktiven Fallbeispielen

Eine Gliederung erstellen

Eine Anleitung in fünf Schritten

Exposé schreiben

Ein Kurzbeispiel

Hinweise zum Harvard-Zitierstil

Zum guten Schluss – 10 Gedanken zum wissenschaftlichen Schreiben

Glossar

Literaturverzeichnis

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

APA

American Psychological Association

: Bezeichnung für Zitierweise

DFG

Deutsche Forschungsgemeinschaft e.V.

DIN

Deutsches Institut für Normung

DOI

Digital Object Identifier

ISBN

Internationale Standardbuchnummer

(engl.:

International Standard Book Number

)

IEEE

Institute of Electrical and Electronics Engineers,

weltweiter Berufsverband für Ingenieure und Techniker in den Fachgebieten Elektrotechnik und Informationstechnik

IMRaD

Im englischsprachigen Raum gebräuchliches Akronym für

Introduction, Methods, Results, and Discussion.

Es

s

teht für die Struktur und den Aufbau von Artikeln in wissenschaftlichen Zeitschriften oder Papieren (engl.:

papers

) für wissenschaftliche Fachkonferenzen.

KI

Künstliche Intelligenz

MLA

Modern Language Association

: Bezeichnung für Zitierweise

UrhG

Urheberrechtsgesetz

URL

Uniform Resource Locator

: identifiziert und lokalisiert Webseiten

VDE

Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik

e.V.

VDI

Verein Deutscher Ingenieure

e.V.

PROLOG

Der Moment der Wahrheit

Sie befinden sich an Ihrem Schreibtisch. Gestern war ein besonderer, ein erfolgreicher Tag: Sie haben Ihre Software fertiggestellt und verifiziert sowie die letzten Messungen mit Ihrem Versuchsaufbau oder mit dem Simulator durchgeführt. Oder Sie haben Ihr Konzept abschließend auf Herz und Nieren überprüft. Die operative Tätigkeit Ihrer Bachelorarbeit ist nach intensiver Arbeit nun endlich abgeschlossen. Nach kurzer Einarbeitungszeit verlief die Arbeit unerwartet reibungslos und hat Ihnen sogar Freude bereitet. Ihre Ergebnisse können sich sehen lassen. Und alles in der geplanten Zeit! Nun ist der Moment der Wahrheit gekommen: Es gilt, Ihre Arbeit mit Durchführung und ihren Ergebnissen aufzuschreiben und alle wichtigen Erkenntnisse zu dokumentieren. Natürlich muss das in einem wissenschaftlichen Rahmen geschehen: verständliche und präzise Formulierungen, ein logischer Aufbau, Quellenangaben und vieles mehr. Doch wie macht man das eigentlich? Was bedeutet ‚wissenschaftliches Schreiben‘?

Nach Ihrer Zeitplanung verbleiben Ihnen noch drei Wochen bis zur Abgabe: Schreiben, Diagramme anfertigen, Korrekturlesen und redigieren, drucken und binden. Sie sitzen nun schon seit drei Stunden an Ihrem Laptop: Nach der Erstellung des Deckblattes will es gar nicht mehr vorangehen. Wo fängt man an? Und wie? Der Reihe nach …

Am Anfang steht die Sprache

Die Sprache ist ein unverzichtbares Medium unserer menschlichen Verständigung. Wir nutzen die Sprache beim Sprechen, beim Lesen und Schreiben, bei Erzählungen, in Kunst, Kultur und vielen weiteren Feldern. Sprache versetzt uns in die Lage, unsere Gedanken und Sinneswahrnehmungen präzise und sachlich, aber auch kunstvoll und facettenreich auszudrücken. Der Gebrauch der jeweiligen sprachlichen Mittel wird stets durch den Kontext bestimmt, in dem die Sprache eingesetzt wird.

Wissenschaft braucht Sprache

Die Wissenschaft bildet einen solchen Kontext: Wissenschaft wäre ohne Sprache nicht denkbar. Die Wissenschaftssprache beschreibt wissenschaftliche Beobachtungen und ihre Resultate. Sie erklärt, begründet, wägt ab und fasst zusammen. Dies geschieht in einem Rahmen von Regeln, die sich die Wissenschaft als Ergebnis ihrer langen Entwicklung selbst auferlegt hat: Ehrlichkeit, Verständlichkeit, Präzision und Objektivität, aber ebenso die Struktur und Logik der Gedanken prägen die Anforderungen an wissenschaftliche Texte. In der Konsequenz ist die Sprache in der Wissenschaft sachorientiert, präzise und eindeutig. Die Wissenschaft vermeidet unterhaltsame, lebendige und emotionale Sprachelemente.

Neugier vs. Sachlichkeit

Die Wissenschaftssprache zeichnet sich durch eine eigene konsequente Terminologie aus: Sie hat in ihren Fachdisziplinen eigene Nomenklaturen geschaffen, die Menschen außerhalb dieser Fachwelten zumeist verborgen bleiben. Fachbegriffe legen Wissenschaftsobjekte fest, um sie eindeutig von anderen Objekten abzugrenzen. Um diese Eindeutigkeit zu bewahren, wird der entsprechende Fachbegriff konsequent und ohne Abwechslung verwendet. Dadurch wirken wissenschaftliche Texte auf den ersten Blick farblos und kühl. Ihr sachlicher Ausdruck ist ein Gebot der Wissenschaft, die Objektivität als wichtiges Ziel anstrebt. Gleichwohl lebt jede Form der Forschungstätigkeit von Spannung und Neugier: Schließlich gilt es, neue Wege zu beschreiten und bisher verborgenes Wissen zu ergründen. Die Spannung wissenschaftlicher Texte speist sich nicht aus ihrer verwendeten Sprache, sondern vielmehr aus den bemerkenswerten Gedankengängen, die die eingesetzte Sprache zu beschreiben hat.

Untrennbar: Wissenschaftliches Arbeiten und wissenschaftliches Schreiben

Das Schreiben wissenschaftlicher Texte und Arbeiten – Bachelor- und Masterarbeiten, Dissertations- und Habilitationsschriften, Beiträge für wissenschaftliche Zeitschriften, Bücher und Konferenzen – muss sich den Anforderungen an die Wissenschaft stellen. Die wissenschaftliche Betätigung und das wissenschaftliche Schreiben sind auf diese Weise untrennbar miteinander verbunden. Nur wenn beide Aktivitäten nahtlos zusammenwirken, kann wissenschaftliches Arbeiten zum Erfolg führen. Der Hochschulalltag in den MINT-Studiengängen zeichnet nicht selten ein kontrastreiches Bild: Während die wissenschaftliche Tätigkeit in einer studentischen Arbeit noch als Freude empfunden wird, wird das wissenschaftliche Schreiben stiefmütterlich behandelt. Dies zeigt eine weit verbreitete Zeitplanung studentischer Arbeiten, die Forschen und Schreiben strikt voneinander trennt. Gerne wird bei der Planung der Löwenanteil der Bearbeitungszeit der Forschungstätigkeit zugewiesen. In dieser Phase wird die Schreibtätigkeit als unliebsames Übel weitgehend ausgeblendet. Schreiben findet fast nicht statt. Diese Sichtweise folgt dem Motto: Forschen bereitet Vergnügen, Schreiben ist ein lästiges Übel. Wenn die Forschungsphase des Projektes abgeschlossen ist – und dazu auch noch mit erfreulichen Ergebnissen –, muss der innere Schalter umgelegt werden: Nun gilt es, in recht kurzer Zeit die notwendige, aber missliche Schreibaufgabe zu bewältigen. Die eigene wissenschaftliche Untersuchung muss erläutert und Ergebnisse müssen beschrieben und dokumentiert werden. Darüber hinaus soll sich der zu erstellende Text durch einen logisch durchdachten Aufbau auszeichnen.

Am Anfang ist das leere Blatt – und viele Fragen

Eine Situation, die nicht nur Studierende fürchten: Das leere Blatt – oder zumeist: das leere elektronische Dokument – muss befüllt werden. In diesem Moment der Wahrheit türmen sich ungeklärte Fragen auf: Wie schreibt man überhaupt eine wissenschaftliche Arbeit? Wie baut man sie auf? Was gibt es bei Formulierungen zu beachten? Wie bewertet man wissenschaftliche Ergebnisse? Wie formuliert man eine Zusammenfassung? Wie bringt man Ordnung in die eigenen Gedanken und in das Schreiben? Wie kann man den Schreibfluss beschleunigen?

Das Schreiben fällt oft schwerer als gedacht. An diesem Punkt gerät die Zeitplanung schnell ins Straucheln, die für das Schreiben vorgesehene Zeit erscheint spärlich bemessen.

Wissenschaftliches Schreiben erfordert Übung

Auf der Suche nach den Gründen für solche planerischen Fehleinschätzungen stößt man schnell auf die mangelnde Erfahrung: Wissenschaftliches Schreiben muss eingeübt werden.2 Ohne Erfahrungswerte kommt es leicht zur Unterschätzung der Schreibaufgabe. Selbst erfahrene Verfasser wissenschaftlicher Texte treffen zu optimistische Annahmen bei der Planung ihrer Schreibprojekte. In solchen Fällen muss der Termin der Fertigstellung verschoben oder auf Inhalte verzichtet werden. Beides kann schmerzlich sein.

Gerne wird die Verantwortung für die unzureichende Schreibkompetenz vieler Studierender den allgemeinbildenden Schulen zugewiesen. Dies mag im Hinblick auf das Erstellen von Sachtexten in gewissem Maße zutreffen, übersieht aber die Verantwortung der Hochschulen und Universitäten zur Ausbildung wissenschaftlichen Schreibens. Diese ist die Domäne wissenschaftlicher Institutionen. In den meisten Curricula jedoch ist die Ausbildung zum wissenschaftlichen Schreiben gar nicht vorgesehen. In der Folge ist die Projekt-, Seminar- oder Bachelorarbeit die erste Konfrontation vieler Studierender mit den Anforderungen wissenschaftlichen Schreibens.

Wissenschaftliche Texte erfordern eine systematische Vorbereitung und eine strukturierte Vorgehens- und Denkweise. Die oben geschilderte Trennung von Forschen und Schreiben ist eine planerische Fehlentscheidung, die die Schreibarbeit in die Zukunft verdrängt und damit die Erstellung wissenschaftlicher Texte erschwert. Darüber hinaus verschlingt dieses Vorgehen zusätzliche Zeit. Die betroffenen Studierenden erleben das Schreiben als schwierige Aufgabe. Das damit verbundene unbehagliche Gefühl setzt bereits in der Forschungsphase ein.

Die Stunde der Wahrheit

Welchen Ausgang nimmt das Schreibprojekt?

Seit drei Stunden arbeiten Sie an Ihrem Laptop. Es ist der erste Tag nach Abschluss Ihrer praktischen Tätigkeit in der Bachelorarbeit. Ihnen verbleiben noch drei Wochen, um Ihre schriftliche Ausarbeitung zu erstellen.

Zum Glück haben Sie sich während der praktischen Tätigkeit regelmäßig Notizen gemacht: Stichworte, Halbund ganze Sätze, und sogar einige Absätze sind schon formuliert. Diese Notizen haben Sie in einem Dokument in die entsprechenden Kapitel und Unterkapitel eingefügt. Das fiel leicht, weil Sie die Gliederung Ihrer Arbeit schon früh mit der betreuenden Professur abgestimmt hatten. Oder möglicherweise hatten Sie ein Exposé erstellt, in dem Ihre Aufgabenstellung und die geplante Vorgehensweise schon formuliert sind.

Ihr Zwischenfazit nach drei Stunden am Laptop fällt positiv aus: Nicht nur das Deckblatt Ihrer Bachelorarbeit ist erstellt, sondern auch der wesentliche Teil der Einleitung ist schon geschrieben. Vor etwa 30 Minuten haben Sie mit dem Hauptteil begonnen. Ihr wissenschaftliches Schreibprojekt schreitet spürbar voran.

2 Die Hochschulen bieten heutzutage viele unterstützende Plattformen an: Schreibkompetenzzentren, Schreibseminare wie „Die lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“, Schreib-Workshops, Schreibberatung u.v.m. Studierende können auf diese Weise sowohl individuell als auch gemeinsam ihre Schreiberfahrungen ausbilden und ihre Schreibkompetenz stärken.

Kapitel 1

WISSENSCHAFTLICHES SCHREIBEN

Eine Dreiecksbeziehung: Denken, Schreiben, Wissen schaffen

Denken schafft Wissen

Gedanken prägen unser Leben: Sie sind intuitive Wahrnehmungen, Bilder, Empfindungen, Bewertungen oder spontane Ideen. Sie können aber auch Bestandteile oder Ergebnis eines bewusst geführten Denkprozesses sein. Diese Denkprozesse helfen uns, die Aufgaben und Herausforderungen des alltäglichen Lebens zu bewältigen. Im Kontext von Wissenschaft werden Denkprozesse gezielt eingesetzt, um Zusammenhänge zu verstehen, neue Schritte zu planen, Probleme zu lösen und um wissenschaftliche Ergebnisse hervorzubringen.

Ein wesentliches Merkmal wissenschaftlichen Denkens ist sein Abstraktionsvermögen: Das Denken vollzieht sich auf einer Abstraktionsebene, die durch die (Gedanken-)Modelle und durch die Terminologie des jeweiligen Wissenschaftsbereiches bestimmt wird. Dieses wissenschaftliche Denken bildet die grundlegende Voraussetzung, um Wissenschaft zu betreiben.

Abb. 1 visualisiert die Beziehung von Denken, Schreiben und Wissenschaft:

Abb. 1 Eine nützliche und notwendige Dreiecksbeziehung

Schreiben macht Gedanken sichtbar und ordnet sie

Vordergründig betrachtet übersetzt der Schreibprozess die Ergebnisse eines Denkprozesses in geschriebene Texte. Alle relevanten Gedanken werden in angemessene Worte und Sätze überführt. Das Schreiben ist also der sichtbare Ausdruck eines Denkprozesses. Das Schreiben zwingt uns aber auch, über das wissenschaftliche Tun nachzudenken, unsere Gedanken zu fokussieren und sie in eine logische Reihenfolge zu bringen: Schreiben ordnet die Gedanken – wissenschaftliche Texte sind durchdacht.

Gerade dieser Aspekt macht das Schreiben zu einer anspruchsvollen Aufgabe: Es fällt gar nicht so leicht, ungeordnete Gedanken zu sortieren und in eine verständliche, logisch stimmige Abfolge zu bringen. Es ist ein iterativer Prozess, der mühsam sein kann und Zeit beansprucht.

Eine gegenseitige Wechselwirkung für die Wissenschaft: Denken und Schreiben

Das Zusammentreffen von Denk- und Schreibprozess stellt in seiner Wirkungsrichtung keine Einbahnstraße dar: Der Schreibprozess erzwingt nicht nur ein konzentriertes Nachdenken über den zu erstellenden Text, seine Inhalte und seinen Aufbau, es ist nicht nur die mühsame Suche nach geeigneten Formulierungen, sondern das damit einhergehende ‚Schreiben-Denken‘ überprüft – beinahe wie von selbst – den Aufbau der Gedankengänge hinsichtlich ihrer Konsistenz und Logik. Das Schreiben deckt gedankliche Lücken und Widersprüche auf, die es zu beseitigen gilt. Es zwingt uns zur Präzisierung unserer Gedanken und Gedankengänge.

Doch Schreiben ist noch mehr: Die um ein Gebiet kreisenden Gedanken lösen neue Ideen aus, die wiederum in die eigene wissenschaftliche Tätigkeit einfließen. Dies ist der große Nutzen des wissenschaftlichen Schreibens: Im Schreibprozess erfahren die wissenschaftlichen Überlegungen nicht nur eine kritische Prüfung, sondern erhalten darüber hinaus neue Impulse für weitere wissenschaftliche Aktivitäten. Schreiben ist integraler Bestandteil der Forschungsaktivität. Schreiben ist Forschungshandeln. Schreiben ist ein geistiger Schaffensprozess und Erkenntnisgewinn. Daraus folgern wir:

Regel: Schreibprozess

Der Schreibprozess einer wissenschaftlichen Arbeit sollte so früh als möglich in Angriff genommen werden.

Die Dokumentation wissenschaftlicher Ergebnisse und Erkenntnisse

Ein Erker – kein Neubau

Jede wissenschaftliche Betätigung zielt letztlich auf die Erweiterung des bestehenden Menschheitswissens ab. Diese Vergrößerung des Wissensschatzes muss erfreulicherweise nicht bei Null beginnen, sondern gründet sich auf ein vorhandenes, meist breites wissenschaftliches Fundament. Bildlich gesprochen: Eine wissenschaftliche Arbeit, die zu einem neuen Erkenntnisgewinn führt, ist wie ein Erker, der an ein bestehendes Haus angebaut wird. Ohne die Kenntnis der Ergebnisse früheren wissenschaftlichen Wirkens wäre der Erker nicht denkbar. Damit der bestehende wissenschaftliche Erkenntnisstand – in unserem Bild: das bereits existierende Haus – bekannt und nutzbar ist, muss er schriftlich dokumentiert und öffentlich zugänglich sein. Andernfalls würden Ausbau und Weiterentwicklung des Hauses ruhen.

Vertrag auf Gegenseitigkeit

Es ist daher Aufgabe und Verpflichtung wissenschaftlichen Arbeitens, 1. das neu erworbene Wissen angemessen zu dokumentieren, 2. zu veröffentlichen und 3. das dabei genutzte Wissen – den sog. Stand der Technik (engl.: