Witwen und beste Freundinnen - Band 2 - Delia Camino - E-Book

Witwen und beste Freundinnen - Band 2 E-Book

Delia Camino

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Beschreibung

Das Mitfühlen, Mitlachen, Mitfiebern und Mitträumen geht weiter. In Band zwei beschreibt Lia mit viel trockenem Humor und Selbstironie ihren Crash-Kurs im modernen Online-Dating und lässt den Leser daran teilhaben, wie sie von einer haarsträubenden Geschichte in die nächste stolpert, dabei einige sehr nette, aber auch einige ziemlich schräge Typen kennenlernt, sich schließlich sogar neu verliebt und auch dabei so einige Überraschungen erlebt. Bei abendlichen Telefonaten mit der besten Freundin werden sämtliche Dating-Erfahrungen ausgiebig analysiert, wobei sich die Frauen nicht nur gegenseitig über so manchen Liebeskummer hinweghelfen, sondern auch zu einigen wertvollen Erkenntnissen über das Leben im Allgemeinen kommen und schließlich endgültig wieder zu sich selbst zurückfinden. Ein Wohlfühlroman über beste Freundinnen, die Verwirklichung von Träumen und den Mut, sich neu zu verlieben.

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Inhaltsverzeichnis

VON FREUNDEN MIT RECHTEN ODER: BEN, TEIL I

VON VIEL ZU JUNGEN KERLEN, MOSES UND SCHWANGEREN NEUNZIGJÄHRIGEN ODER: BEN, TEIL II

VON IMMER NOCH ZU JUNGEN KERLEN, GOTTESBOTSCHAFTEN UND SONSTIGEN MERKWÜRDIGKEITEN ODER: BEN, TEIL III

EPILOG

Quellen

Schuhe

VON FREUNDEN MIT RECHTEN ODER: BEN, TEIL I

Seit jenem Abend im Restaurant schreibt mir Ben, der Amerikaner, immer wieder mal über Tinder, und ich antworte ihm. Wir machen ein bisschen Small Talk, ich erwähne kurz, dass mein letzter Tinder-Bekannter ein Betrugsversuch war, woraufhin Ben kategorisch erklärt, er würde immer auf einen Videoanruf bestehen. Ja, die Botschaft ist angekommen, aber so recht will ich noch nicht, vor allem, weil ich befürchte, dass mir bei einem Videoanruf die Gesprächsthemen ausgehen, schließlich kenne ich ihn noch nicht besonders gut. Daher wechsle ich lieber erst einmal das Thema.

Am Wochenende treffen Fiona und ich uns wieder im Trocadero. Es ist Sonntag und Jam Session. Gerade gibt eine extrem talentierte junge Frau einen Janis-Joplin-Song zum Besten: Take another little piece of my heart. Ich bin hin und weg. Sie klingt wie die waschechte Janis, während sie andere Male Crazy von Gnarls Barkley oder sogar Highway to Hell von den guten alten AC DC schmettert. Ich werde neidisch. Meine gesamte Kindheit hindurch hieß es, ich würde nicht zum Singen taugen. Meine Mutter hat mich immer ausgelacht: „Du brummst konstant einen halben Ton zu tief“. In der Schule haben sie meine Schüchternheit beim Vorsingen vor der gesamten Klasse als „hat kein Talent“ abgewunken, und im Kirchenchor wurde ich zu meinem größten Entsetzen vom Chorleiter mit den Worten „hier brummt doch jemand“ in die Ecke der Jungs verbannt. Ich würde so wahnsinnig gerne singen können! Und ganz plötzlich bin ich all den Quatsch leid, den man mir eingetrichtert hat.

„Hey, Fiona …“, platze ich auch gleich heraus. „Weißt du was? Ich habe die Nase voll davon, dass ich mir mein ganzes Leben lang anhören musste, ich könnte nicht singen. Ich werde Gesangsunterricht nehmen!“ Fiona schaut ein bisschen erstaunt von ihrem Handy auf – während ich meine neuen Pläne geschmiedet habe, hat sie in Tinder gechattet.

„Klar, warum nicht. Ich singe auch gerne.“, gibt sie ungerührt zurück.

„Nein, ehrlich, ich will wissen, ob ich wirklich nicht tauge.“ Jetzt merkt sie, wie wichtig mir das Ganze ist und widmet mir ihre volle Aufmerksamkeit.

„Singen macht Spaß, wenn du es wirklich ausprobieren willst, dann nur zu.“

Meine Entscheidung steht fest. Ich werde am Montag nach einem Gesangslehrer suchen.

Fiona widmet sich wieder Tinder und zeigt mir ein Gespräch, das sie gerade führt: „Schau mal, der klingt viel zu gut, oder? Das ist bestimmt auch ein Betrüger.“

Ich werfe einen Blick auf den langen Text, den sie bekommen hat und runzle die Stirn. „Ja, absolut. Das ist wieder eine vorgefertigte Nachricht, die haben sich nicht mal die Mühe gemacht, die Adjektive von männlich in weiblich abzuändern. Also echt jetzt.“

Und schon gehe auch ich in Tinder und schaue mal, ob ich irgendwelche neuen Matches habe, denn ganz entgegen meiner ursprünglichen Ankündigung bin ich doch in Tinder geblieben. Schließlich chatte ich ja mit Ben über diese Plattform.

„Oh, Mann, schau dir den hier an.“, sage ich und halte Fiona mein Handy hin. Ich habe tatsächlich ein paar neue Matches und in der Nachricht von diesem Typen hier werde ich gleich in den ersten Sätzen um meine Telefonnummer gebeten, um zu WhatsApp überzuwechseln, statt zuerst einmal auf Tinder zu chatten. Typisch.

„Und der hier …“, sagt Fiona und hält mir jetzt wiederum ihr Handy unter die Nase. Der angebliche Gesprächspartner macht sich nicht einmal die Mühe, sie zu grüßen, sondern fragt stattdessen sofort, welchen Beruf sie hat.

„Hm, was schreibe ich da jetzt?“ Wir sind uns einig, dass es sich bei allen drei Fällen um Betrüger handelt.

„Ich schreibe, ich bin bei der Polizei!“, schlägt Fiona vor. „Undercover.“

„Nee, nicht in unserem Alter.“, wehre ich ab und schlage dann vor: „Hey, wir können aber behaupten, wir wären in der Verwaltung der Guardia Civil tätig, das ist glaubhaft.“

„Ok.“, lacht sie und tippt mit funkelndem Blick die entsprechende Antwort ein. Ich mache bei meinem Match das gleiche. Zunächst passiert gar nichts, doch wenige Minuten später müssen wir beide feststellen, dass die Profile unserer angeblichen Matches verschwunden sind.

„Ha!“, mache ich nur. Fiona schüttelt den Kopf und gibt ein „Vamos, vamos“ von sich. Jetzt hält uns nichts mehr, wir blättern durch Tinder und picken all diejenigen heraus, die zu hübsch sind, um wahr zu sein.

„Betrüger?“

„Ja, bestimmt. Und der hier?“

„Na klar, der auch.“ Wir vergeben jedem, der ein Betrüger zu sein scheint, ein Like und warten darauf, dass ein Match daraus wird. Bei jedem Match geben wir als Beruf ‚in der Verwaltung der Guardia Civil‘ an und lachen uns schief und scheckig, sobald die Profile verschwinden.

Bei einem Profil sind sie sogar ganz besonders gewitzt, denn sie fragen mich: „Ach, wie interessant. Welches Spezialgebiet denn?“

„Internetkriminalität, Internetbetrug, Scams und so.“, gebe ich sofort zurück.

„Toll, und fasst ihr viele?“ Hahaha, die sind wirklich auf Zack. Wollen mich wohl prüfen, eh?

„Oh, aber na klar. Innerhalb Europas ist es ganz einfach sie zu verfolgen, da kriegen wir sie alle. Außerhalb Europas ist es ein bisschen schwieriger, aber auch da sind wir mittlerweile sehr erfolgreich.“

Schwupps, schon ist auch dieses Profil verschwunden. Ich lache mich schlapp.

Dann stolpere ich über das Profil eines Leonard, bei dem ich mir fast sicher bin, dass es ein Fake ist, aber nur fast. Er kommt mir viel zu gutaussehend vor, um echt zu sein. Ich vergebe ihm daher ein Like und erwarte im Grunde wieder die übliche vorgefertigte Nachricht. Tatsächlich bekomme ich auch relativ schnell eine Antwort. Aus irgendeinem Grund zeigt mir Tinder an, dass Leonard in Algeciras ist.

An diesem Abend zuhause chatte ich zum ersten Mal mit diesem angeblichen Leonard, und es stellt sich heraus, dass er in den Staaten lebt, gerade einmal schlappe 7700 Kilometer entfernt von mir. Auf einem seiner Fotos steht er vor einem sehr hohen Nissan Pick-up.

„Vielleicht kommst du ja irgendwann mal in die Staaten, dann können wir uns treffen.“

„Klar.“, gebe ich vage zurück. „Man weiß schließlich nie.“

Leonard arbeitet als Chefingenieur auf einem Containerschiff und ist nur im Moment in Algeciras, was die geringe Kilometerangabe erklärt. Heute Nacht werden sie Algeciras mit Kurs auf Ägypten verlassen. Kurz zucken die Begriffe ‚Meer‘ und ‚hohes Auto‘ durch mein Gehirn. Ich schnaube. War ja klar, dass der einzige, auf den diese Begriffe passen, aufgerundet nur mal so eben 8000 Kilometer entfernt ist. Schade, er sieht nett aus und scheint vor allem interessant zu sein – immer vorausgesetzt natürlich, dass er auch tatsächlich echt ist, was ich noch stark bezweifele. Ich wünsche ihm viel Glück bei der Partnersuche, und er nennt mir seine Facebook-Seite. Ich stelle fest, dass auf seiner Facebook-Seite viele richtig witzige, aber auch einige politisch sehr kritische Dinge stehen, was mir nun ausgesprochen gut gefällt. Deshalb wechsle ich wieder zurück Tinder und erkläre ihm: „Ich würde gerne deiner Facebook-Seite folgen, denn mir gefallen deine Inhalte.“

Kurz darauf kommt: „Ich habe gerade deine Freundschaftsanfrage angenommen, wir sind jetzt Facebook-Kumpel.“

So ganz sicher bin ich mir bei ihm aber immer noch nicht. Seine Seite sieht zwar echt aus, mit Freunden und Fotos, doch man kann auch Facebook-Profile fälschen. Daher chatte ich zwar noch eine Weile mit ihm, lege meinen Argwohn aber nicht ab.

Am nächsten Tag, Montag, erinnere ich mich, dass ich gestern den Entschluss gefasst habe, Gesangsunterricht zu nehmen und so googele ich ‚Chiclana‘ und ‚Gesangsunterricht‘. Und siehe da, es gibt eine Musikschule direkt unten in der Stadt, gar nicht weit vom Pilates-Studio entfernt! Ich rufe sofort an und tatsächlich, ich könnte montagsabends direkt nach dem Pilates zum Musikunterricht gehen. In der folgenden Woche soll es losgehen, und ich kann es kaum erwarten.

Ben hat mir weiterhin über Tinder geschrieben, aber es ist klar, dass er zu WhatsApp wechseln möchte. Da er bisher einigermaßen normal zu sein scheint, habe ich ihm heute, nach einem Chat über Tinder, schließlich meine Handynummer gegeben und bekomme auch direkt eine WhatsApp-Nachricht von ihm: „Hola guapa.“, schreibt er und schickt ein paar Emojis mit Küsschen, was mich ein bisschen irritiert. Seit wann sind die Männer eigentlich so schnell mit Küsschen bei der Hand? Bei einem Spanier wäre das normal, hier begrüßt man sich ja auch mit Küsschen rechts und links. Aber ein Amerikaner? Ich weiß nicht. Vermutlich habe ich die neuesten Entwicklungen nicht mitbekommen. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass diese Emojis das alles einfacher machen. Sie sind nett, haben aber gleichzeitig etwas Unverbindliches.

Ich schreibe ebenfalls auf Spanisch zurück „Hola!“ und dann auf Englisch: „Es funktioniert!“

„Ja.“ und zwei grinsende Emojis.

Ben hat doch tatsächlich geglaubt, ich wäre Britin und ist bass erstaunt, dass ich Deutsche bin. Nun schreibt er: „Es tut mir sehr leid. Ich war vier Jahre lang in Deutschland, spreche aber kein einziges Wort Deutsch.“

„Deutsch ist schwierig,“, gebe ich zu, „sogar für viele Deutsche.“

„Ok, dann fühle ich mich jetzt nicht so schlecht. Hahaha.“

„Hahaha.“, gebe ich zurück. Da es viertel vor elf abends ist und mir nach unserem Gespräch in Tinder vorhin jetzt erst mal kein weiteres Konversationsthema einfällt, verabschiede ich mich mit der Begründung, dass ich noch den Unterricht für meine Schüler am nächsten Tag vorbereiten muss.

„Ok, es war schön, dich hier zu treffen. Gute Nacht!“

„Gute Nacht!“ schreibe ich zurück und gehe offline. Doch dann meldet sich mein Handy wieder. Dieses Mal eine kurze Nachricht von Leonard.

„Hallo! Wie geht es dir?“

„Hi, mir geht es prima. Und dir?“

„Nicht besonders, wir nähern uns Ägypten, und ich hasse es dort zu sein.“ Wow, das klingt interessant. Und so chatten Leonard und ich ein bisschen über unsere jeweiligen Erfahrungen in Ägypten, bis ich mich verabschiede und für heute endgültig offline gehe. Na ja, mehr oder weniger, denn kurz darauf klingelt Fiona an.

Am nächsten Tag textet mir Ben wieder. „Hallo Lia, wie geht es dir, beautiful? Ich wollte nur kurz ‚Hallo‘ sagen. Hab einen tollen Tag.“

„Hi Ben, Danke. Ich hoffe, du hast auch einen tollen Tag.“

„Ok. Lia. Du kannst mich anrufen oder mir schreiben, wann immer du willst.“

„Prima, danke.“

„Ich bin gerade vom Markt zurückgekommen. Ich habe eine Tüte Chips und Bananen gekauft. HAHAHA. Ich weiß, das passt nicht zusammen, doch ich musste jetzt einfach eine Banane essen. Aber wenn du für mich kochen kannst, dann werde ich dich für immer lieben.“

Ich pruste los und schreibe dann: „Tut mir leid, ich bin eine lausige Köchin. Ich hatte eigentlich gehofft, dass du kochen kannst. Ich habe heute Äpfel, Pflaumen und Salat gekauft.“

Und schon kommt eine Antwort zurück: „Äpfel, Pflaumen. Ich mag Salat. Ich esse manchmal Salat.“

„Im Sommer ernähre ich mich praktisch von Obst und Salat.“, gebe ich zurück.

„Ok, wir können das schaffen.“, schreibt er und schickt lachende Emojis. Dann flirtet er mich an: „Verflixt, das ist es. Das ist der Grund, weshalb du so gut aussiehst.“

„Wow, danke.“, gebe ich zurück.

„Ich versuche auch, dahin zu kommen. Trainieren, in Form kommen und abspecken.“

„Ach, das ist einfach.“, antworte ich. „Frisches Obst und Joghurt am Morgen, Salat mit Huhn am Mittag, viel Sport und kein Abendessen.“

„Kein Abendessen??“, ich kann das Entsetzen fast spüren.

„Und um wie viel Uhr gehst du schlafen?“

„So gegen 24.00/1.00 Uhr.“

„Und du isst nichts zu Abend?“, yup, eindeutig Entsetzen.

„Am Wochenende gehe ich sogar noch später ins Bett, wenn wir zum Tanzen ausgegangen sind.“

„Ihr habt keinen Mann und geht aus Tanzen?“

Also das ist ja jetzt wohl mal eine einzigartig blöde Frage. Und so schreibe ich auch kämpferisch zurück: „Meine Freundinnen sind ebenfalls Witwen, und wir tanzen nun mal gerne. Wir brauchen auf keinen Mann zu warten, um zu tanzen.“

„Hast du im Moment einen Mann?“ Ungläubig starre ich auf mein Handy. Wenn ich einen Mann hätte, wäre ich ja wohl nicht in Tinder, oder?

Aber er schreibt noch weiter: „Ich tanze auch gerne.“

„Großartig.“, texte ich zurück und frage dann neugierig: „Wie groß bist du eigentlich? Ich bin 1,77 m.“

„1,82 m.“ Oh großartig, mit dem könnte ich tanzen.

In den nächsten Tagen chatte ich immer mal wieder mit Ben, der mehrmals nachfragt, wann wir uns endlich per Video-Chat sehen werden. Dummerweise fürchte ich, dass ich im Video-Chat stumm wie ein Fisch dasitzen werde. Und was ist, wenn ich ihn nicht verstehe und die ganze Zeit ‚Hä?‘ mache? Deshalb vertröste ich ihn ein bisschen. Allerdings sind wir für nächsten Samstag zu einer Pizza im La Gondola und dann zu Live-Musik im Trocadero verabredet. Deshalb ist vor dem Samstag auf jeden Fall der verflixte Video-Chat angesagt. Ich werde mich also langsam dazu aufraffen müssen.

Heute liegt ein ereignisreicher Nachmittag vor mir, denn nach dem Unterricht mit meinem Schüler habe ich Pilates und danach meine erste Gesangsstunde! Ich freue mich darauf wie ein Kind auf den Weihnachtsmann. Um zwanzig vor acht sitze ich in der Musikschule auf einem Bänkchen, quatsche ein bisschen mit Susana, die für das Büro zuständig ist, und warte auf meine Gesangslehrerin. Pünktlich um acht erscheint eine hochgewachsene, dunkelhaarige Frau, irgendwo Ende dreißig, die ein kleines Mädchen verabschiedet und sich mir dann als Elena vorstellt. Ich folge ihr in den Unterrichtsraum, der relativ groß ist. An zwei Wänden ziehen sich Spiegel entlang zusammen mit einer Stange für Ballettunterricht. In einem Teil des Raums befinden sich merkwürdige Markierungen auf dem Boden. Gegenüber von der Tür steht ein Klavier. Dazu gibt es ein paar niedrige Plastiktische und Stühle, die eher in einen Kindergarten zu gehören scheinen.

Elena stellt sich neben das Klavier und schaut mich freundlich an. „Ok, du möchtest also Gesangsunterricht haben. Hast du Vorkenntnisse?“

„Kein bisschen.“, schüttele ich den Kopf und platze mit meiner Geschichte heraus. Mutter, Schule, Kirchenchor und so weiter und so fort.

Elena schaut mich verständnisvoll an: „In meiner Familie sind Musiker, und ich habe mir meine ganze Jugend über anhören müssen, ich würde den Ton nicht treffen.“

Ich schaue sie verdutzt an, „Wirklich?“

„Ja.“, nickt sie.

„Dann kommt noch dazu, dass ich sehr groß bin. Ich stamme aus Chile, bin zur Hälfte Italienerin, und für Chile nun einmal sehr groß. Da musste ich mir auch viel anhören.“

Auf einmal ist es, als würde ich sie seit Jahren kennen.

„Ich auch.“, stimme ich zu. „Bei mir war es wegen der Größe genau dasselbe.“

Wir verstehen uns auf Anhieb, schwatzen noch ein bisschen und dann fragt sie, ob ich lieber Praxis oder Theorie möchte.

„Am besten beides. Die Theorie mithilfe der Praxis sozusagen.“, schlage ich vor, denn ich verspüre wenig Lust, jetzt Notenlesen und sonstige Theorie zu lernen, ohne eine einzige Strophe zu singen. Überhaupt, am liebsten würde ich sofort loslegen. Aber zunächst sind ein paar Lockerungs- und Atemübungen angesagt.

Schließlich setzt sich Elena ans Klavier und schlägt einen Ton an. Dann singt sie ihn. „AAAA.“

Jetzt soll ich den Ton wiederholen. „Aaa.“, krächze ich ein bisschen.

Sie wiederholt den Ton, sagt dann: „Ohne Angst, ok?“ und wiederholt ihn noch einmal.

Jetzt bin ich wieder dran: „Aaaa.“

„Schon besser.“, nickt sie, schlägt den Ton erneut an und singt ihn mir wieder vor.

Ihr ‚schon besser‘ hat mir ein bisschen Mut gegeben, und so singe ich nun etwas kräftiger: „AAA!“

„Ja, prima.“, freut sie sich und schlägt einen anderen Ton an. Wieder singt sie ihn vor, und ich singe ihn nach. So geht es eine ganze Weile. Sie erklärt mir, dass ich die Basis der Zunge nach unten drücken und das Gaumenzäpfchen anheben muss. Dann versuchen wir es mit weiteren AAAs und ein paar OOOS. Mal höher, mal tiefer.

Nach einer Weile nimmt Elena die Hände vom Klavier: „Ich weiß wirklich nicht, warum sie dir all diesen Blödsinn gesagt haben. Du hast jeden Ton getroffen, den ich dir vorgespielt habe. Du bist unsicher und hast Angst, aber du hast ein gutes Gehör und wirklich jeden Ton getroffen. Deine Stimme geht mindestens über zwei Oktaven, vielleicht sogar zweieinhalb. Im Moment würde ich sagen, du bist Mezzosopran, wir müssen die höheren Töne noch genauer ausloten.“

Ich kann nicht anders, mir kommen die Tränen, und ich heule los.

„Was ist?“, fragt Elena erschrocken.

„Nichts, gar nichts. Ich freue mich nur so unheimlich.“, schniefe ich. Sie lacht herzlich und sichtbar erleichtert auf. „Freudentränen? Das ist das Schönste, was mir in meinem Beruf passieren kann!“

Ich krame nach einem Taschentuch und schnäuze mich heftig, während Elena sagt: „Es ist eine Schande, was man uns in unserer Jugend und Kindheit oftmals eintrichtert. Das richtet so großen Schaden an. Stell dir nur mal vor, du hättest davon geträumt, beruflich etwas mit Musik zu machen und hättest diesen Wunsch immer unterdrückt, wegen all der Dinge, die sie dir gesagt haben.“

Wieder schüttelt sie den Kopf. Dann schaut sie auf die Uhr und sagt bedauernd: „Der Unterricht ist für heute zu Ende.“

„Ok.“, nicke ich, während ich immer noch versuche, mich einigermaßen zu fassen. Ich fühle mich so unbändig glücklich.

Auf dem Weg zum Parkhaus laufe ich María del Mar und einer anderen Frau in die Arme, die sie mir als Pacos Frau vorstellt. Paco ist der Bruder von Ramón und der Schwager von Isabel. Er und María del Mars Mann, Alfredo, spielen in der Gruppe, die jeden Mittwoch im Irish Pub die Jam Session bestreitet.

Da ich von meiner ersten Gesangsstunde vor Begeisterung übersprudele, berichte ich María del Mar jetzt brühwarm davon.

„Und willst du dann in einer Band singen oder so?“, fragt sie gespannt.

„Nee, ich will nur für mich selbst ein bisschen an Sicherheit gewinnen, damit ich zumindest einigermaßen akzeptabel Happy birthday singen kann, wenn irgendjemand Geburtstag hat.“, wehre ich ab. Aber ganz tief in mir drin ist ein Stimmchen, das jetzt laut aufjauchzt: ‚Au ja, in einer Band singen, in einer Band singen!!!‘, während mein Gehirn vor lauter Begeisterung Salto springt und meine Stimmbänder schon mal die Tanzschuhe schnüren. Ich muss mir selbst eingestehen, dass das die Verwirklichung eines Traums wäre.

Abends um halb zwölf, nachdem ich mit den Vorbereitungen für den nächsten Tag fertig bin, schicke ich Ben eine kurze Nachricht: „Hi Ben. Wie war dein Nachmittag? Ich hatte meinen Unterricht, dann Pilates und danach hatte ich meine erste Gesangsstunde!!“

Prompt antwortet er: „Gesang? Warum?“ Ja, warum denn nicht? Du meine Güte. Ich stutze bei der Antwort.

„Jeder kann singen.“, schreibt er überzeugt. Ach so, jetzt ist mir klar, weshalb er nach dem ‚Warum‘ gefragt hat.

Ich erzähle ihm euphorisch von meiner ersten Stunde, und er fragt: „Wo wirst du singen?“

„Naja, zuhause und in der Musikschule, aber mein Gesicht wird zumindest nicht mehr sämtliche Rottöne dieser Welt annehmen, wenn ich für einen Freund Happy Birthday singen werde.“

Seine Reaktion konsterniert mich ein bisschen: „HAHAHAHA HAHAHAHA HAHAHAHA, du bist verrückt.“ Was ist daran verrückt, einen Traum in die Tat umzusetzen?

Für mich gibt es auf seinen Kommentar nur eine Antwort: „Klar, das macht das Leben spaßiger.“

„Ich werde deinen Gesang akzeptieren.“, textet er nun und schickt lachende Emojis.

„Hahaha, ok.“, gebe ich einigermaßen ernüchtert zurück.

Da wir gerade dabei sind, frage ich gleich, welche Musik er denn so mag, schließlich ist das immer ein gutes Konversationsthema.

„Jede Musik. Ich bin an vielen Orten gewesen.“

„An welchen Orten bist du gewesen?“

„Ich war in England, Norwegen, Deutschland, Finnland, Dänemark, Schottland, Japan, Spanien, Florida, Virginia.“

„Wow, jede Menge Länder im Norden.“

„Ich habe ein paar vergessen.“

„Urlaub oder beruflich?“

„Beruflich.“

„Und hattest du Zeit für ein bisschen Sightseeing?

„Nein, ich bin immer nur dorthin gegangen, wo die Partys waren.“

„Ich könnte diese ganzen Orte nicht besuchen, ohne mich umzuschauen.“

„Ok, na ja, ich bin jetzt älter, ich kann manches anders sehen.“ „Bist du gerne gereist?“

„Nein, ich bin genug gereist, aber ich mache es, wenn es sein muss.“ Ich blinzele etwas irritiert. Wir scheinen da leicht aneinander vorbei zu reden. Scheint außerdem so, als hätten wir nicht allzu viele Gesprächsthemen … Doch schließlich quatschen wir noch eine Weile über das Thema Ausgehen und Tanzen.

„Und jetzt seid ihr alle Singles und macht Party.“, fasst er zusammen. Ich stutze. Singles sind wir ja nicht gerade, jedenfalls nicht im üblichen Sinn. Mein Status als Witwe gefällt mir zwar nicht, aber Single bin ich ja wohl auch nicht, oder? Oder muss ich da jetzt umdenken?

Jedenfalls texte ich zurück: „Klar, was sollen wir denn sonst machen? Herumhängen und älter werden? Es ist jetzt oder nie!! Es ist ein bisschen so als wären wir wieder an der Uni. Gestern bin ich um 2.30 Uhr nach Hause gekommen.“

„2.30 Uhr? HAHAHAHAHA Shit, ich gehe nicht länger aus als bis 1.30 Uhr.“

Jetzt tippe ich lauter „HAHAHA HAHAHA HAHAHA HAHAHA“ ein und schreibe dann weiter: „Das haben wir letzten Mittwoch gemacht – die Jam Session im Irish Pub hat um 22.30 Uhr angefangen und war um 1.00 Uhr zu Ende. Ich war um 1.30 Uhr zuhause. Es war ein bisschen schwierig, am nächsten Tag aufzustehen. Ich musste mich den ganzen Tag über mit Kaffee abfüllen.“

Und weil es schon nach Mitternacht ist und ich langsam müde werde, schreibe ich noch: „Ok, Ben. Morgen muss ich früh zum Zahnarzt. Ich verabschiede mich daher für heute. Buenas noches!“

„Ok, schlaf gut.“ Dazu erneut Emojis, die Küsschen schicken. Dann schickt er noch kurz hinterher: „Ihr habt ein Irish Pub?“, aber ich habe mich schon ausgeklinkt, weshalb ich diese Nachricht erst am nächsten Morgen sehe und dann darauf antworte.

„Hi, guten Morgen. Ja, wir haben ein Irish Pub hier. Mit Live-Musik jeden Mittwoch um 22.30 Uhr.“

„Großartig. Guten Morgen. Ich habe heute nichts zu tun, also, wenn du mich für ein paar Stunden treffen möchtest, lass es mich wissen.“

„Heute ist es schwierig. Ich muss jetzt zum Zahnarzt und habe danach einen vollgepackten Tag mit Pilates und Unterricht.“

„Ok. Kein Problem.“

Wir verabschieden uns, ich klappe mein Handy zu und muss mich auch schon sputen. Während ich meinen Tag abspule, geht mir eine Idee im Kopf herum: Was wäre, wenn ich Ben vorschlage, morgen zur Jam Session zu kommen? Das wäre eine gute Gelegenheit, ihn persönlich kennenzulernen und dazu in einem ziemlich lockeren Umfeld. Um drei Uhr nachmittags schreibe ich ihm: „Hi Ben, wie läuft dein Tag bisher?“

„Hey, ich habe gerade gegessen und räume jetzt die Küche auf. Was machst du?“

„Ich hatte eine Idee … Meine Freundin Fiona und ich gehen morgen Abend ins Irish Pub zur Jam Session. Hast du Lust, mitzukommen?“

„Verdammt, ich habe schon Pläne für morgen Abend.“

„Ah, ok. Kein Problem. Nächstes Mal dann.“

„Ich schaue mal, ob ich sie absagen kann.“

„Nein, mach dir keine Sorgen. Wir sehen uns dann am Samstag.“

„Ich habe heute nichts zu tun, und ich dachte nicht, dass du mich sehen wolltest??“

„Uhuuuhu, armer Junge.“, texte ich ungerührt zurück und schreibe dann weiter: „Nein, ich habe heute einfach nur wirklich sehr viel zu tun und einen engen Zeitplan. Aber ich dachte, du würdest die Jam Session vielleicht mögen.“

„Ja, ich weiß, aber ich habe den Jungs schon gesagt, dass ich sie nach den Spielen in einer Bar treffen würde.“

„Kein Problem! Ich treffe dich dann am Samstag. Viel Spaß morgen Abend dann.“

Daraufhin schickt er traurige Emojis, und ich antworte: „Es gibt noch mehr Mittwoche! Hab‘ einen schönen Nachmittag!“

„Ok. Aber jemand könnte deine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und dann bin ich aus dem Spiel.“ Das quittiere ich mit lachenden Emojis. Ich warte dann noch kurz, ob eine Antwort kommt, aber ich muss jetzt wirklich los, daher gehe ich schon nach wenigen Sekunden offline.

Abends um kurz vor zehn schreibt er mir erneut: „Was machst du gerade?“ Ich arbeite erst einmal in Ruhe weiter und antworte eine halbe Stunde später:

„Ich habe den Unterricht für morgen vorbereitet, einer meiner Schüler hat am Donnerstag seinen ersten Deutschtest.“

Er antwortet sofort: „Dann mach‘ weiter, Lia. Hoffen wir, dass er den Test besteht.“

„Ich bin gerade fertig geworden und habe alle Übungen ausgedruckt, die ich für ihn vorbereitet habe. Und was machst du?“

„Ich schaue die US-Nachrichten.“ Dann schreibt er weiter: „Du bist sehr hübsch. Ich mag dich. Ich kann es nicht abwarten, dich zu treffen.“

„Wow, danke.“, tippe ich zurück und frage dann: „Irgendetwas Interessantes in den Nachrichten?“

„Nein, nur jede Menge Morde und Infos über Covid-19.“

„Ich habe die Nase von Covid so voll.“, gestehe ich.

„Hattest du schon deine dritte Impfung? Ich bekomme meine morgen.“ Richtig, ich hatte in den Nachrichten irgendetwas von einer dritten Impfung gehört.

„Ich habe bisher nur eine Impfung bekommen. Ich hatte letztes Jahr im September Covid und habe erst letzte Woche von der dritten Impfung gehört. Ich muss nachfragen, ob ich sie benötige.“

„Du hattest Covid-19?“

„Yep.“

„Wow, war es schlimm?“

Ich erzähle ein bisschen, und er antwortet mir: „Ich wünschte, ich wäre dort gewesen, um dir zu helfen, poor baby.“ Huh, er fährt ganz schön schwere Geschütze auf.

Nach ein bisschen weiterem Blabla schreibt er: „Ich bin überrascht, dass du Single bist. Du scheinst sehr nett zu sein.“

„Danke. Na ja, zuerst war da natürlich die Trauerzeit.“

„Wann ist dein Mann gestorben?“

„Letztes Jahr im Januar, gleich in der ersten Januarwoche, also vor jetzt knapp zwei Jahren.“ Und dann fahre ich fort „Außerdem haben viele der Männer hier immer noch sehr altmodische Ideen, was nicht zu meiner Mentalität passt und die meisten sind außerdem zu klein.“

„Ok, you go girl.“, kommt es aufmunternd zurück. „Du hast recht, wenn du nicht glücklich bist, solltest du die Beziehung beenden. Die Kontrolle über dein Leben übernehmen.“ Komische Antwort.

Ich erzähle ihm ein bisschen über Pedros Krankheit und unsere Odyssee durch das Gesundheitssystem.

„Wow. Das tut mir sehr leid. Ich wusste, du bist allein.“

„Es ist ok. Ich habe es geschafft und eine Menge über mich gelernt.“

„Oh, du bist perfekt jetzt. Außen. Aber niemand wird wissen, was du im Inneren fühlst. Aber solange es dir gut geht, geht es mir gut. Das ist alles, was jemand tun kann.“

„Tja, und dann haben mich Fiona und Mila davon überzeugt, in Tinder zu gehen. Gleich am ersten Tag habe ich diesen fiktiven Typen kennengelernt.“ Ich berichte ihm von meinem Tinder-Abenteuer mit den Scammern.

„Hahahaha, Mann, ich würde nie mit jemandem sprechen, den ich nicht sehen kann.“

Tja, da kann ich ja mit den Skype-Videoanrufen und der Endlosschleife aufwarten. Dazu meint er nur: „Verdammt, sie haben wirklich geglaubt, du würdest ihnen das Geld geben.“

„Ja, aber dieses Mal sind sie bei der falschen Person gelandet. Ich habe ihnen gesagt, dass das ein Betrug wäre und habe mit dem Chatten aufgehört.“

„Gut für dich. Niemals, niemals Geld geben!“, bestätigt er und schreibt weiter: „Ich bin froh, dass ich nichts Falsches mache. Ich bin einfach nur froh, zu leben. Mann, ich hatte keine Ahnung, dass so ein Shit abläuft. Aber ich weiß, dass ich eine Person immer erst sehen will. Wer gibt jemandem Geld, den er nie getroffen hat?? Ich würde einem Typen keinen Cent geben, es sei denn, ich weiß genau, dass er es mir sofort zurückzahlen kann. Und allerhöchstens 200 Euro.“

„Das war eine Menge über mich.“, beende ich das Thema. „Wie steht es mit dir? Wann wurdest du geschieden?“

„Nun ich habe seit 2019 mit keiner Frau mehr geschlafen oder eine Beziehung gehabt. Das war wegen meiner Kinder.“ Oh, ähem, so genau wollte ich es ja jetzt nicht direkt wissen, aber ok.

„Doch jetzt sind meine Kinder erwachsen, und aus dem Haus. Ich wurde 2010 geschieden.“

„Aha, und sind deine Kinder nach der Scheidung bei dir geblieben?“

„Nein. Meine Ex-Frau war aus Sevilla, sie hat neu geheiratet und lebt seit ein paar Jahren in Kanada. Die Kinder sind bei ihr in Sevilla aufgewachsen. Als beide das Abi hatten, sind sie alle nach Kanada umgezogen, weil meine Ex einen Kanadier geheiratet hat. Allerdings hat mein Sohn kurz vor dem Abi Probleme gemacht, da bin ich zurückgekommen und mit ihm zusammengezogen, um mich um ihn zu kümmern. So habe ich eine Weile in Sevilla gelebt, bis er das Abi geschafft hatte. Danach bin ich nach El Puerto umgezogen. Ich kannte die Stadt noch von früher, und sie hat mir immer gut gefallen. Ich bin auch gerne in Jerez, aber dort ist kein Strand, daher lebe ich in El Puerto. Im Moment ist mein Sohn hier bei mir zu Besuch. Er wird aber in Kürze nach Kanada zurückgehen, um dort mit der Ausbildung anzufangen.“

Ich möchte es jetzt ein bisschen genauer wissen: „Und in all den Jahren nach der Scheidung? Da hast du doch garantiert eine Beziehung gehabt, oder?“

„Ja, aber, wie gesagt, ich hatte seit 2019 keine Freundin mehr.“

„Ist es zu persönlich, wenn ich frage, was passiert ist?“

„Sie hat sich ständig mit meiner Tochter gestritten. Deshalb habe ich Schluss gemacht und seitdem auch niemanden mehr mit in mein Haus gebracht. Meintest du sie oder hattest du nach meiner Ex gefragt?“ Äh, wieso die Tochter? Lebte die Tochter denn nicht bei der Mutter? Oder war sie zu Besuch bei ihm und dem Sohn und hat sich dann mit seiner Freundin gestritten? Ich bin ein bisschen verwirrt. Irgendwie bekomme ich auch die ganzen Jahreszahlen nicht so richtig auf die Reihe.

„Eigentlich nach beiden, aber vor allem nach der Freundin, die du bis 2019 hattest. Was ist passiert?“

„Wie gesagt, die ständigen Streitereien zwischen ihr und meiner Tochter. Außerdem war sie zu jung.“

Ich merke auf: „Wie jung ist zu jung?“

„Ich hätte mich nicht mit ihr einlassen sollen, sie war 31, ich 52.“ Oweia. Na ja, zumindest scheint er es ja eingesehen zu haben …

„Uhu, das ist ein ziemlicher Unterschied. Unterschiedliche Ansichten über das Leben, unterschiedliche Lebensziele … Schwierig. Und wenn sie sich nicht mit den Kindern verstehen, wird es noch schwieriger.“

„Ja, alles war ein Streitpunkt. Ich kann so nicht leben!!!“

„Natürlich nicht. Das Leben ist viel zu kurz, um unsere Zeit mit Dummheiten zu verschwenden.“

„Ich bin ziemlich entspannt, weil ich mir keine Sorgen um die Dinge mache. Ich bin immer bereit, über die Situation zu sprechen. Wir brauchen nicht darüber zu streiten.“

„Richtig.“, stimme ich zu. „Kommunikation ist alles. Aber mit zwanzig oder einunddreißig ist man nicht reif genug.“

„Verdammt, nein. Hey, kann ich dich für eine Minute sehen?“, fragt er jetzt.

„Du möchtest einen Videoanruf?“, vergewissere ich mich.

„Ja, bitte.“ Aha, jetzt ist also der Moment für den berühmten Videoanruf gekommen … uff.

Ich flitze kurz ins Bad, checke meine Frisur, tusche in Windeseile meine Wimpern, lege Lippenstift auf, tausche mein Trägertop gegen eines in Türkisgrün aus, was mir mehr schmeichelt, hechte dann zurück an meine Tastatur und tippe ganz cool: „Ok.“

Schon klingelt mein Handy. Ich nehme den Videoanruf an, und da ist Ben, wie er leibt und lebt. Wir lachen, winken, und ich bin plötzlich gehemmt und habe keine Ahnung mehr, was ich sagen soll. Verflixt, wusste ich doch, dass das passieren würde! Wir machen noch ein bisschen Small Talk, dann würge ich ihn mit der Begründung ab, es wäre schon spät und ich müsste morgen früh raus. Aber alles in allem bin ich zufrieden, denn er scheint nett zu sein, und zumindest ist er genauso real wie ich. Das ist immerhin eine Verbesserung im Vergleich zu meinem letzten Abenteuer.

Am nächsten Morgen kommt eine Nachricht von Ben: „Guten Morgen, beautiful. Ich habe gerade an dich gedacht. Hab einen tollen Tag.“

„Guten Morgen.“, texte ich zurück. „Vielen Dank. Hab‘ du auch einen tollen Tag.“ Ich bekomme Emojis mit Küsschen und ein paar Herzchen als Antwort. Den Rest des Tages über höre ich nichts mehr von ihm.

Abends treffe ich mich mit Fiona und unserer Freundin Vicky im Irish Pub. Wider Erwarten sind wir alle pünktlich, sogar Fiona, die uns gleich von ihrer neuesten Tinder-Nicht-Bekanntschaft erzählt:

„Also ich habe mit diesem Typen eine Weile über Tinder gesprochen, dann sind wir zu WhatsApp gewechselt. Er lebt in Jerez, sucht aber hier in der Gegend ein Haus zur Miete. Ich habe ihm gesagt, dass ich was frei habe. Er hat mich dann letzten Donnerstag angerufen, ihm wäre langweilig, er hätte Zeit und würde jetzt rüberkommen.“

„Und?“, frage ich gespannt.

„Ein absoluter Vollidiot, he, das glaubst du gar nicht!!! Kaum war er hier, hat er schon angefangen, an mir herumzumäkeln. Ich hatte Jeans, ganz neue Sportschuhe und einen hübschen hellen Pulli an. Da sagt er doch glatt, ich sollte mir Armani-Klamotten kaufen. Er würde mit mir zum Corte Inglés fahren, da sollte ich mir dann in der Damenabteilung Armani-Zeug kaufen. Außerdem müsste ich zum Frisör und mir die Nägel machen lassen und mich besser schminken. Weil er selbst ja so wahnsinnig gut aussieht, würden sich die Leute immer nach ihm umdrehen, deshalb müsste ich dann auch entsprechend auftreten. Ich müsste enge, kurze Kleider und superhohe Absätze tragen, das würde ihm gefallen und außerdem würden wir so zusammen was hermachen, wenn wir zum Beispiel essen gehen.“

„Hä??!!“, gebe ich nach dieser Aufzählung nur völlig baff von mir.

„Ja, weil er doch so wahnsinnig gut aussieht und sich die Leute nach ihm umdrehen.“, bekräftigt sie noch einmal nickend und mit ungefähr dem gleichen entgeisterten Gesichtsausdruck wie Vicky und ich. „Gerade deshalb muss seine Partnerin auch entsprechend aussehen. Zum Schluss meinte er außerdem noch, er würde mich zu sich nach Hause einladen, ich könnte über Nacht bleiben, aber ich müsste das Essen mitbringen.“

„Hä?“ Ja, tut mir leid, mein Vokabular ist, angesichts dessen, was ich da gerade höre, ausgesprochen beschränkt. Vicky sagt gar nichts. Ihre Augen werden nur immer größer und größer.

„Ja, wirklich! Und an dem Haus war er gar nicht interessiert, stattdessen hat er versucht, mich in eine Ecke zu drängen und mir die Zunge bis zum Anschlag in den Hals zu stecken!!!“

„Das gibt’s doch nicht!“, sage ich völlig fassungslos.

„Doch!! Und als ich zurückgewichen bin, hat er sich angestellt, von wegen, damit hätte ich ihn jetzt aber w-a-h-n-s-i-n-n-i-g beleidigt.“

„Was??!!“ Jetzt bin ich außer mir. Tinder scheint sich nicht gut auf meinen Wortschatz auszuwirken.

„Ich bin ihn dann aber zum Glück schnell losgeworden.“, erzählt sie weiter. Oh Mann, was für bescheuerte Menschen laufen da draußen eigentlich herum?

Am nächsten Tag sehe ich abends gegen halb acht, dass ich zwei Nachrichten von Ben habe. Um zwanzig vor sieben hat er „Hola Lia“ geschrieben und um fünf vor sieben „Bist du ok?“

Ich schicke eine Audio-Nachricht: „Hi Ben. Ja, mir geht’s prima. Ich habe deine Nachrichten erst jetzt gesehen.“

Anscheinend hat es bei ihm irgendein Missverständnis gegeben. Er weiß nicht, ob er jetzt Richtung Chiclana losfahren soll oder nicht, was ich nun überhaupt nicht verstehe. Wieso will er denn heute nach Chiclana kommen? Es gehen ein paar Audio-Nachrichten hin und her, aber ich muss ihn abwürgen, denn mein Pilates-Kurs fängt gleich an.

Nach dem Pilates und einer ausgiebigen Dusche zuhause schreibe ich ihm um zehn nach neun wieder: „Hallo Ben, ich bin jetzt zuhause. Wir scheinen da ein kleines sprachliches Missverständnis gehabt zu haben – äh, willkommen in meiner Welt. Wir sind für Samstagmittag um zwei Uhr verabredet.“

Plötzlich kommt ein Video-Anruf von ihm herein.

„Ich kann jetzt direkt ins Auto steigen und in einer halben Stunde bei dir sein.“, sagt er mit gewinnendem Lächeln. Ich bin einigermaßen überrumpelt, überlege kurz, denke mir ‚Ach was soll’s, so lerne ich ihn eben heute schon kennen.‘, und sage dann leichthin: „Na gut.“

„Ok, schick mir deinen Standort.“

Ich schicke ihm meinen Standort und erkläre ihm dann, welche Autobahnausfahrt er nehmen soll. Ich will ihn an einer Tankstelle treffen und beschreibe ihm den Weg dorthin. Auf keinen Fall lotse ich einen völlig Unbekannten zu mir nach Hause. Schließlich habe ich noch immer sämtliche Warnungen meiner Freundinnen im Ohr.

„Mein GPS sagt neununddreißig Minuten bis Chiclana.“

Oookayy. Jetzt ziehe ich mich in Windeseile um: enge schwarze Jeans, flache schwarze Ballerinas, langärmliges, enganliegendes T-Shirt, dunkelblaue Biker-Jacke. Bevor ich noch kurz mein Augen-Make-up auffrische und meinen Pferdeschwanz neu richte, rufe ich Fiona an. Sie hebt auch gleich ab. „Er kommt JETZT hierher!!!!“

„Was? Wie?“

„Der Amerikaner, mit dem ich chatte!! Er ist auf dem Weg nach Chiclana!!!“

„Auf keinen Fall zu dir nach Hause, niña!! Du kennst den Typen nicht!!“, beschwört sie mich sofort.

„Nein, keine Sorge, wir treffen uns an der Tankstelle“.

„Nimm ihn irgendwohin mit, wo Leute sind.“

„Ich dachte ans Irish Pub.“

„Ja, gute Idee. Auf keinen Fall zu dir nach Hause. Und fahr‘ mit deinem Auto!! Steig nicht in sein Auto ein!“

„Nee, auf keinen Fall.“, beruhige ich sie. „Ich treffe ihn an der Tankstelle, dann fahre ich voraus, er soll mir in seinem Wagen zum Pub folgen.“

„Wenn ihr dort seid, schick‘ mir eine Nachricht, ob alles ok ist.“

„Wie soll ich das denn anstellen, ohne dass er etwas merkt??“ Mittlerweile frage ich mich, worauf ich mich da eingelassen habe.

„Na, du kannst doch kurz aufs Klo gehen und von dort eine Nachricht schicken.“

„Ok, wie wäre das?“, schlage ich vor, „Wenn es der absolute Mist ist, verschwinde ich aufs Klo und schicke dir eine kurze WhatsApp von wegen SOS.“

„Und was mache ich dann?“, fragt Fiona jetzt ein bisschen verwirrt.

„Na, dann spring‘ bitte ins Auto und rette mich!!!!“, flehe ich.

„Ok.“, fasst sie noch einmal zusammen, „Ihr fahrt mit zwei Autos. Ich warte hier neben dem Telefon. Wenn es Mist ist und ich eine entsprechende Nachricht von dir erhalte, fahre ich rüber. Und dann?“

„Na, du täuscht einen Notfall vor oder so, und ich fahre mit dir fort oder irgend sowas eben.“ So ganz ist der Plan wohl noch nicht ausgereift, aber mir läuft die Zeit davon. Was wir bisher haben, muss reichen.

„Fiona, ich muss los, der ist gleich hier. Oh mein Gott, auf was habe ich mich da eingelassen???“, jetzt kreische ich schon fast. Ich muss wirklich total bescheuert gewesen sein, mich dermaßen überrumpeln zu lassen. Saublöde Idee, mich im Stockdunkeln mit einem völlig Fremden zu treffen.

„Nur ruhig, chica, das wird schon. Wenn es Mist ist, rufst du mich an.“

Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen, so froh bin ich über dieses Backup. Ich hoffe nur, dass das Pub nicht geschlossen ist und dass es auch nicht nötig sein wird, dass Fiona mich aus diesem Date loseist.

„Ok, ich muss jetzt auflegen und losfahren.“, sage ich nervös und blicke auf meine Uhr.

„Viel Spaß, ich drück‘ dir die Daumen, dass er ok ist.“, redet Fiona beruhigend auf mich ein.

„Danke.“, seufze ich und lege auf.

Nach einem weiteren kurzen Blick auf die Uhr, rase ich noch einmal ins Bad, checke erneut Make-up und Pferdeschwanz, werfe mir die Jacke über, schnappe Tasche und Autoschlüssel und springe ins Auto. Innerhalb weniger Minuten komme ich bei der Tankstelle an, die allerdings komplett im Dunkeln liegt. Mist, ich hatte nicht an die blöden Covid-Beschränkungen gedacht – die Tankstellen machen immer noch ziemlich früh dicht.

Um 22.02 Uhr kommt eine Nachricht: „Das GPS sagt, es sind noch acht Minuten.“

„Die Tankstelle ist schon geschlossen, aber ich habe direkt an der Einfahrt geparkt, du wirst mich also sofort sehen.“, texte ich zurück. Dann chatte ich eine Weile mit Fiona: „Er ist noch nicht hier.“

Um 22.12 Uhr kommt die Nachricht: „Wo bist du?“

Ich schicke eine Audio-Nachricht: „Na, an der Einfahrt zur Tankstelle, wirklich, du kannst es gar nicht verfehlen.“ Wieder schicke ich meinen Standort.

Kurz darauf frage ich: „Wo bist du?“

Es kommt ein Audio zurück: „Ich bin direkt bis zu deinem Haus gefahren.“

Oh verflixt, genau das sollte ja nun nicht passieren. Mist, verdammter! Ich fluche lautlos.

Sofort bringe ich Fiona in Echtzeit wieder auf den neuesten Stand. Dann steige ich aus, lehne mich mit dem Rücken an mein Auto, während ich abwechselnd auf mein Handy starre und hochschaue, ob wohl ein Auto kommt. Zunächst Fehlanzeige, doch dann nähern sich tatsächlich einige Minuten später die Scheinwerfer eines Autos, das in die Einfahrt zu Tankstelle einbiegt. Ich schicke Fiona ein kurzes Update und beende unseren Chat. Sekunden danach mache ich einen weißen Toyota aus, der hinter meinem Auto hält. Ein hochgewachsener Mann, blond, leicht verwuschelte Haare, sympathisches Gesicht und Grübchen, Typ in die Jahre gekommener Surfer Boy, steigt mit gewinnendem Lächeln aus, breitet selbstsicher die Arme aus und ruft mir „Hi baby!“ entgegen.

Ich gehe auf ihn zu, sage „Hi!“ und will ihn auf spanische Art mit Küsschen rechts und links begrüßen. Dabei habe ich den Eindruck, dass er direkt auf meinen Mund abzielt. Schnell drehe ich meinen Kopf zur Seite, sodass er sein rechtes und linkes Wangenküsschen bekommt und mehr nicht. ‚Fängt ja schon mal richtig gut an‘, fährt es mir sarkastisch durch den Kopf.

„Oh Mann!“ sagt er lachend. „Ich bin direkt den ganzen Weg bis zu deinem Haus gefahren! Du meine Güte, du wohnst weit draußen.“

Ich lächle nur kurz: „Du musst dir meine Beschreibungen schon genau durchlesen.“ Dann lache ich leicht, um dem Ganzen die Schärfe zu nehmen, und füge bestimmt hinzu: „Ok, fährst du mir mit deinem Auto hinterher?“

„Ja, ok.“, lächelt er weiterhin gewinnend und scheint leicht belustigt zu sein.

Ich steige in meinen Wagen, lasse den Motor an und wende. Auf dem Weg zum Pub werfe ich immer wieder einen Blick in den Rückspiegel, aber er folgt mir ohne Probleme. Da Donnerstag ist und zudem November, ist es ein Kinderspiel, direkt vor dem Lokal einen Parkplatz zu finden.

Kaum ausgestiegen sagt er: „Du meine Güte, ich habe mich die ganze Zeit gefragt ‚Wo bringt sie mich um Himmels willen hin?‘ Aber dann habe ich die Gegend wiedererkannt. Ich war schon einmal hier!“ Ich nicke nur.

Auf der Terrasse des Pubs sind zwei oder drei Tische besetzt, drinnen ist alles leer. Ich ziehe einen Tisch drinnen vor.

Hier herrscht Selbstbedienung, also treten wir zuerst an die Theke, um unsere Getränke zu bestellen. Ich bitte um ein Glas Wein und eine kleine Flasche Wasser.

Ben möchte einen Rum mit Cola. „Ron Barceló, por favor, con Coca Cola.“ sagt er in einem etwas holprigen Spanisch und mit eindeutig amerikanischem Akzent.

Die Bedienung hinter der Theke ist ein junges spanisches Mädchen mit blond gefärbten Rastazöpfen. Sie füllt den gewünschten Rum in sein Glas. Als sie aufhört, protestiert er ein bisschen, in El Puerto wären sie großzügiger mit dem Rum, was ich übersetze. Sie grinst und kippt ihm noch ein bisschen mehr in sein Glas. Jetzt scheint er zufrieden zu sein. Als Nächstes stellt sie ihm eine Cola hin, mir den Wein und das Wasser und dann, politisch korrekt, die Rechnung auf einem kleinen Tellerchen in die Mitte zwischen uns. Als er seine Brieftasche zückt, winke ich ab. Ich habe schon einen Zwanzig-Euro-Schein in der Hand und auf das Tellerchen gelegt, das ich dem Mädel jetzt rüberschiebe. Sie lächelt mich verschwörerisch an – Feministinnen unter sich. Tatsache ist jedoch, dass ich ihm absolut nichts schuldig sein will, für den Fall, er entpuppt sich als Katastrophe … Ben quittiert die Einladung sofort mit einem Nicken, scheint leicht erstaunt, aber auch angenehm überrascht zu sein. Wir nehmen unsere Gläser und gehen an einen der Tische.

Das Irish Pub ist nicht nur ein normales Pub, sondern gleichzeitig auch eine Sportbar, was bedeutet, dass in drei Ecken des Raums Fernseher hängen, auf denen irgendein Fußball-, Basketball- oder Sonst-Was-Ballspiel übertragen wird, während gleichzeitig aus den Lautsprechern Musik dudelt. So auch heute.

Wir setzen uns, und ich fange an, ein bisschen Konversation zu betreiben. Es ist nur etwas Small Talk, ein erstes Beschnuppern. Ich frage nach seinen Kindern, nach seinem Job und was er jetzt macht (Trainer und Schiedsrichter in allen möglichen Ballsportarten in Morón und zum Teil auch in Rota). Wenn ich ihn nichts frage, und er nichts zu antworten hat, schielt er auf einen der Fernsehbildschirme. Trainer und Schiedsrichter, huh?

Komischerweise fragt er mich so gut wie überhaupt nichts. Ist das Desinteresse? Ich wundere mich und habe keine Ahnung, was ich davon halten soll. Da von ihm nichts weiter kommt, suche ich verzweifelt nach immer neuen Gesprächsthemen.

Doch es gibt auch eine Sache, die mir auf der Seele brennt und die ich gerne sofort geklärt haben möchte: „Sag mal, was genau suchst du eigentlich?“, frage ich. Und füge dann noch hinzu: „Willst du jemanden, mit dem du in absehbarer Zeit zusammenleben wirst? Ich möchte das nämlich nicht. Ich ziehe es vor, dass jeder sein Leben hat, wir uns langsam kennenlernen und jeder für den anderen so nach und nach Platz in seinem Leben macht.“

Er macht große Augen und nickt sofort: „Lieber Himmel, nein! Nein, keine Sorge, ich will auch nicht zusammenziehen oder so etwas.“

Gut. Ich atme auf. Dann wäre das schon mal geklärt, denn jemanden kennenlernen und dann vielleicht gleich drei oder vier Monate später zusammenziehen, steht momentan eindeutig nicht auf meiner To-Do-Liste. Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt irgendwann wieder zu einer Partnerschaft dieser Art bereit sein werde, aber mit Sicherheit auf keinen Fall in nächster Zukunft.

Insgesamt bringe ich ungefähr anderthalb recht zähe Stunden mit ihm herum, dann schlage ich vor, dass wir gehen, da er schließlich noch bis nach El Puerto zurückfahren muss.

Noch nicht ganz zuhause angekommen, rufe ich Fiona vom Auto aus an: „Ok, alles klar, ich bin gleich wieder zuhause.“

„Uff, gut. Ich habe die ganze Zeit vollkommen angezogen neben dem Telefon gesessen. Dann kann ich jetzt meinen Pyjama anziehen und ins Bett gehen. Wie war’s?“

„Pfff.“, mache ich ratlos. „Zuerst einmal ist er direkt bis zu meinem Haus gefahren, was ja gar nicht in unserem Sinne war.“, jaule ich als Nächstes. „Jedenfalls ist er irgendwann an der Tankstelle aufgetaucht, und wir sind ins Pub gefahren. Pfff.“, stoße ich wieder die Luft aus.

„Nee, eindeutig, der ist nichts für mich. Ich habe die ganze Konversation bestritten. Habe ich was gefragt, hat er geantwortet, aber selber hat er mich überhaupt nichts gefragt. Wenn ich nicht versucht hätte, Konversation zu betreiben, hätten wir stumm wie die Ölgötzen dagesessen. Der ist nichts für mich. Echt nicht.“

Ich verstumme einen Moment und füge dann hinzu: „Na ja, wir sind für Samstag zum Mittagessen verabredet. Da werde ich aus Höflichkeit auch hingehen, und er ist ja auch wirklich ganz nett und so, aber für eine Beziehung – nee. Kein bisschen.“

Ich will zwar, wie ich Ben gesagt habe, nicht mit jemandem zusammenziehen, aber etwas mehr als eine eine Freundschaft hätte ich doch schon ganz gerne wieder.

„Und wie war er sonst so?“

„Eigentlich ziemlich nett, sieht jetzt nicht wahnsinnig gut aus, scheint aber sympathisch. Ist irgendwie süß, schön groß, nur dass wir praktisch nichts haben, worüber wir uns unterhalten können. Wir haben absolut keine gemeinsamen Interessen. Der ist wirklich nichts für mich.“, fasse ich noch einmal das Gefühl zusammen, dass ich schon im Auto auf dem Heimweg hatte.

Doch kurz nachdem ich mich von Fiona verabschiedet habe, erhalte ich ein Audio von Ben. Komisch, er müsste eigentlich noch auf der Autobahn sein. Seine Stimme klingt ernst, sonor, die Worte wohlgesetzt, gut formuliert, wohlüberlegt. Völlig anders als in der Bar. Komplett anders. Ein absolut anderer Mann. Sogar die Stimme scheint anders. Aber vor allem die Wortwahl, die Ausdrucksweise.

„Lia, du hast mich heute wirklich sehr beeindruckt.“ Oh, wow. Damit hatte ich nicht gerechnet.

„Du bist alles, was ich mir erhofft hatte, plus eine großartige Gesprächspartnerin. Mit dir werde ich keine Probleme haben, du bist unabhängig, hast dein eigenes Leben, machst einfach dein Ding. Ich glaube wirklich, wir können es zusammen schaffen. Wir werden keine Probleme miteinander haben.“

So geht es noch ein paar Sätze weiter und dann endet er mit „Ich sehe dich am Samstag.“

Jetzt bin ich wirklich baff. Und geschmeichelt. Wer wäre das auch nicht nach so einer Rede? Vor allem aber frage ich mich, ob ich zu vorschnell über ihn geurteilt und ihn zu schnell abgehakt habe, denn dieses Audio ist so dermaßen anders als der Eindruck, den ich in der Bar von ihm hatte. In der Bar hat er den Schnabel nicht aufbekommen und jetzt eine solche Rede. Komplett wie ausgewechselt. Ich beschließe, den Samstag abzuwarten.

Am nächsten Tag ist vor meinem Treffen mit Ben der normale Hausputz angesagt. Danach steige ich unter die Dusche, wasche mir die Haare und überlege anschließend, was ich heute am besten anziehe. Um 13.03 Uhr schaue ich kurz auf mein Handy und stelle fest, dass ich eine halbe Stunde vorher eine Nachricht von Ben erhalten habe: „Bleibt es bei heute?“

Außerdem hat er vor fünf Minuten eine zweite Nachricht geschickt: „Ich weiß nicht, ob ich losfahren oder auf deinen Anruf warten soll.“

Du meine Güte, wir waren doch verabredet, wieso jetzt diese Zweifel? Ich schicke ein Audio: „Ja klar, ich habe den Tisch reserviert und alles. Klar bleibt es bei unserer Verabredung für heute.“

Er antwortet mit einem weiteren Audio: „Ok, ich war mir nicht sicher. Dann fahre ich gleich los.“ Und um 13.13 Uhr kommt: „Bin auf dem Weg.“

Mit Fiona habe ich ausgemacht, dass Ben und ich erst essen gehen, dann zum Trocadero überwechseln, wo die Live-Musik um 17.30 Uhr beginnt. Dort wird sie dann zu uns stoßen.

Eine halbe Stunde später mache ich mich einmal mehr auf den Weg zur Tankstelle. Dieses Mal bleibe ich im Auto sitzen, während ich auf ihn warte. Schon hält der weiße Wagen hinter mir. Wir steigen zeitgleich aus, und ich gehe lächelnd zu Ben hinüber. Dieses Mal gibt er mir ganz brav Küsschen rechts und links.

„Hi, baby. Wie geht’s?“

„Gut, Danke.“, lächle ich. Das mit dem baby gefällt mir. Klingt einfach cool. „Ok, fährst du mir wieder mit deinem Auto hinterher?“

Wir machen einmal mehr das Wendemanöver, um Richtung Strand zu fahren und finden auch gleich jeder einen Parkplatz in der Nähe des La Gondola. Am Eingang empfängt uns die junge Kellnerin, die noch Pedro gekannt hat. Sie lächelt mich freundlich an. „Der Tisch für zwei?“

„Ja.“, nicke ich.

Es kommt mir ein bisschen seltsam vor, jetzt mit einem anderen Mann hier aufzutauchen, waren Pedro und ich doch praktisch Stammgäste im La Gondola. Doch als wir an der Theke vorbeigehen, lacht mich der Besitzer freundlich an und winkt mir zur Begrüßung zu. Ich winke zurück und fühle mich plötzlich wie zuhause und ganz ruhig.

Als es ans Bestellen geht, wird die Sache etwas kompliziert. Ben möchte nichts mit Zwiebeln, und da ich nicht weiß, wie weit sein Spanisch reicht, versuche ich, ihm die eine oder andere Pizza vorzuschlagen, wobei ich ihm die Zutaten ins Englisch übersetze. Aber es scheint ihm alles egal zu sein. Er fragt, welche Pizza ich nehmen möchte, und ich sage: „Die Carbonara.“

„Also gut, dann die.“, zuckt er mit den Schultern.

Als der Kellner kommt, bestelle ich zweimal Carbonara, für Ben allerdings ohne Zwiebeln. Er möchte dazu Cola trinken, ich bestelle für mich ein Glas Wein und eine kleine Flasche Wasser.

„Du trinkst Wein?“, bemerkt Ben erstaunt.

„Äh, ja.“, nicke ich und frage mich, ob er mich jetzt wohl für eine Alkoholikerin hält? Innerlich zucke ich mit den Achseln und genieße einen Schluck Wein. Soll er doch denken, was er will. Es ist Wochenende, und wir sind zum Essen ausgegangen, Himmel noch mal.

Die Pizzen kommen, und Ben reißt die Augen auf. „Oh, ich dachte, wir teilen uns eine Pizza!“ Uups, damit hatte ich nicht gerechnet.

„Äh, nein?“, gebe ich etwas verwirrt zurück.

Wir machen uns über unsere jeweilige Pizza her, und einmal mehr bemühe ich mich, ein wenig Konversation zu betreiben. Ich frage Ben nach Hobbies („Sport“) und was er jetzt beruflich genau macht, denn das habe ich im Pub durch die Hintergrundgeräusche nicht so richtig verstanden (die Antwort ist wieder „Sport“, also tatsächlich Trainer und Schiedsrichter). Da ich schon nach Kindern gefragt habe, frage ich jetzt, ob er Geschwister hat.

„Ja.“, nickt Ben. Er hat drei Schwestern und zwei Brüder. Sein leiblicher Vater ist früh gestorben, die Mutter hatte drei Jobs, um die Kinder durchzubringen.

„Meine Mutter hat später wieder geheiratet, unser Stiefvater war ok, aber für Rodney war es zu spät. Er hat sich nach dem Tod unseres leiblichen Vaters mit den falschen Leuten eingelassen, ist auch nie aus dieser Geschichte herausgekommen und wurde vor ein paar Jahren erschossen.“

Er führt das Ganze ein bisschen aus, während ich versuche, mein Gesicht unter Kontrolle zu halten. Doch meine Augen werden größer und größer. Lieber Himmel, das hört sich nach einem Hollywood-Action-Film an. Wo bin ich da hineingeraten?

Ben wischt sich kurz mit der Hand übers Gesicht. „Mein Gott, ich habe seit Jahren nicht darüber gesprochen.“

Jetzt tut es mir leid, das Thema angeschnitten zu haben, schließlich will ich keine alten Wunden aufreißen. „I’m so sorry.“, sage ich mitfühlend.

„Ist ok.“, nickt er. Dann fährt er fort: „Mein anderer Bruder und meine Schwestern sind ok, haben alle gute Jobs. Eine meiner Schwestern ist Anwältin in London, mein Bruder arbeitet bei der Polizei in Kanada. Meine beiden anderen Schwestern leben in den Staaten. Mein Sohn will zur kanadischen Polizei, meine Tochter ist im Moment bei ihrer Tante in den USA. Sie will in den Militärdienst eintreten. Mein Stiefvater ist vor fünf Jahren an Krebs gestorben. Meine Mutter lebt noch.“

Es folgen ein paar Sekunden Stille, während ich darauf warte, ob er mich etwas fragen wird. Das Logischste wäre ja, dass er mich nun fragt, ob ich Geschwister habe. Oder sonst irgendetwas zu meiner Familie. Aber da kommt Null-Komma-Gar-Nichts. Und so entscheide ich, einfach selbst darüber zu sprechen: „Ich habe keine Geschwister. Und ich habe auch keinen Kontakt zu meiner Familie.“

„Deine Eltern leben noch?“

„Ja, aber ich habe keinen Kontakt zu ihnen.“

„Ok.“, kommt es mit einem Achselzucken und ohne weitere Nachfrage zurück, was mich wieder wundert. Ist das Zurückhaltung? Wartet Ben darauf, dass ich es von selbst erkläre, weil er nicht neugierig sein will? Oder interessiert es ihn schlicht und ergreifend nicht? Ich bin ratlos.

Wieder eine kurze Stille, während jeder von uns mit seiner Pizza kämpft und ich wechselweise an meinem Wein und meinem Wasser nippe. Dann schneide ich das Thema Beruf an. Ben erzählt, dass er nach zwanzig Jahren Militärdienst in Rente gegangen ist, aber trotzdem noch weitergearbeitet hat. Mittlerweile ist er nur noch im Sport tätig. Anscheinend gibt es auf allen amerikanischen Militärbasen jede Menge Sportwettkämpfe, Basketball-, Baseball-, Softball- und American-Football-Spiele und -Ligen – und das eben auch in Rota und Morón. Jedenfalls hat er schließlich ein Haus in El Puerto gekauft und sich hier niedergelassen.

Wir schwatzen auch eine Weile über Deutschland und dass er vier Jahre in Wiesbaden auf der Air Base stationiert war. Ich wusste ja schon, dass er in Deutschland war, aber Wiesbaden? Jetzt bin ich baff. „Ich bin in Wiesbaden aufgewachsen!!!“

„Nein, ehrlich?“

„Ja!!“

Ben lacht sich halb tot darüber, dass ich als Deutsche auf gar keinen Fall nach Deutschland zurückgehen würde. Nie im Leben. Das Wetter dort ist einfach nichts für mich.

„Nein,“, grinst er breit, „das Klima ist auch nichts für mich. Deshalb fliege ich auch nicht nach Hause, um meine Familie zu sehen. Im Mai vielleicht, aber jetzt nicht. Es ist viel zu kalt. Ich hasse kaltes Wetter!“

Na, immerhin eine Gemeinsamkeit habe ich da gerade entdeckt. Als Nächstes sprechen wir über den Sport. Dabei stelle ich fest, dass er im Grunde nicht wirklich in Spanien lebt, sondern eher in einem kleinen Stück USA. Er ist auch praktisch täglich auf der einen oder anderen Militärbasis.

Um das Gespräch am Laufen zu halten, stelle ich ihm weitere Fragen und bekomme auch Antworten. Aber er fragt mich im Gegenzug überhaupt nichts. Ich habe keine Ahnung, was ich davon halten soll. Ich versuche es mit den Themen Kino („ich kenne keine Filme oder Schauspieler“), Musik („R&B, Hiphop, Rap“), Bücher („ich lese nicht“) und noch einmal mit dem Thema Länder, Reisen, Sightseeing. Nichts zu machen. Ben war in jedem Land nur auf Partys. Dann erzählt er mir irgendetwas über Basketball, erwähnt erneut, dass er durch den Sport ins Militär gekommen ist, dass er in seiner Freizeit mit Kartenspielen Geld gemacht hat und so weiter und so fort. Meine innere Stimme schüttelt nur den Kopf und hämmert mir immer wieder ein, dass wir absolut nicht zusammenpassen.

Das Mittagessen zieht sich noch eine Weile hin, wobei er mich auch weiterhin ü-b-e-r-h-a-u-p-t nichts fragt, was mir langsam richtig aufstößt. Ich versuche es noch mit anderen Themen, habe aber das Gefühl, regelrecht zu stranden. Er selbst macht sich nicht die Mühe, auch nur ein klitzekleines bisschen Konversation zu betreiben. Wenn ich nichts sage, sagt er auch nichts. Wir könnten hier wie die Ölgötzen sitzen und ohne ein Wort zu verlieren unsere Pizzen in uns hineinstopfen. Er schneidet kein Thema an, interessiert sich für nichts, fragt mich absolut nichts. Zu meiner größten Erleichterung haben wir kurz darauf zu Ende gegessen. Die Konversation bei diesem Treffen ist tatsächlich noch viel zäher als beim Treffen im Pub. Wo ist der wortgewandte Mann mit der sonoren Stimme aus dem Audio geblieben? Der meinte, wir ‚könnten es schaffen‘? Nach dem Audio hatte ich das Gefühl, zu vorschnell über ihn geurteilt zu haben. Jetzt komme ich zu dem Schluss, dass mein Instinkt recht hatte. Ben und ich passen nicht zusammen.

Als es ans Bezahlen geht, schlage ich vor Halbe-Halbe zu machen, was er sofort akzeptiert.

Wir müssen erst um 17.00 Uhr im Trocadero sein, und es ist noch viel Zeit. Daher biete ich an, einen Spaziergang zu machen und frage ihn, ob er den Strand sehen möchte. Ben schaut mich ein bisschen zweifelnd an.

„Eher nicht. Strand ist Strand. Da gibt es nichts zu sehen.“

„Ok.“, sage ich leichthin, während ich im Geiste einen weiteren Minuspunkt auf seinem Konto verbuche. Wir bummeln einfach die Straße entlang Richtung Trocadero. Da mir mittlerweile auch die Gesprächsthemen ausgegangen sind, erzähle ich von Fionas und meinem Ausflug in der Cessna, was Ben nur mit einem weiteren knappen „Du bist verrückt“ abtut. Es ist, als würde er sich absolut gar keine Mühe geben, mich kennenzulernen. Als würde ich ihn nicht die Bohne interessieren.

Ich werfe ihm kurz einen prüfenden Blick von der Seite zu. Schade, eigentlich. Er sieht wirklich so aus, als wäre er ein netter Mensch. Aber das mit ihm und mir, das passt absolut nicht.

Während wir die Straße entlang schlendern, fasse ich mir ein Herz und versuche ihm möglichst schonend und diplomatisch beizubringen, zu welchem Schluss ich gekommen bin.

„Hm, hör zu, ich glaube, das mit uns beiden wird nichts. Wir haben keine Gemeinsamkeiten. Ich meine, wir können Freunde sein, aber ansonsten …“ Ich ziehe ein bedauerndes Gesicht. „Ich möchte mich wieder verlieben und einen Partner finden. Du weißt schon, eine richtige Beziehung … Aber wir haben irgendwie so gar nichts gemeinsam.“ Jetzt zucke ich leicht hilflos mit den Schultern.

„Hm, also überwältigt bin ich jetzt auch nicht.“, antwortet er mir lachend. Moment mal, hatte Ben vorgestern nicht behauptet, ich hätte ihn sehr beeindruckt? Und jetzt diese Kehrtwendung? Ist das eine Art Retourkutsche, weil ich ihm gerade eine Abfuhr erteile? Es ist mir aber egal. Im Grunde wäre seine Antwort ja eigentlich beleidigend, aber um ehrlich zu sein, ist es genau das, was ich auch fühle, weshalb ich nur nicke. „Eben.“

„Uhum.“, kommt es von ihm. Doch nach einem kurzen Moment Stille dreht sich Ben zu mir und wendet breit lächelnd ein: „Du kennst mich jetzt noch nicht. Aber ich bin ein wundervoller Mensch. Wenn du mich genauer kennst, wirst du mich garantiert mögen.“

„Ich möchte jemanden, der ein gutes Herz hat und nicht irgendwelche Vorteile aus mir herausschlagen will.“, antworte ich ehrlich, wobei ich mich nicht nur an die Scammer, sondern auch an einen ehemaligen Freund erinnere.

„Na, du hast ihn vor dir!!!“, ruft Ben daraufhin aus, während er sich zu mir hindreht, mich flehentlich anschaut und dann noch zur Bekräftigung ein „Wirklich!“ nachschiebt.

Ich frage mich, wie ich ihm am schonendsten beibringe, dass das eindeutig nichts mit uns wird. „Hör zu, wir können Freunde sein, okay?“ Pause.

Dann fragt er schelmisch: „Freunde mit Rechten?“ Ich muss lachen. Ben ist irgendwie süß und, seien wir ehrlich, ich bin überreif.

„Ja ok.“, nicke ich nach einem kurzen Moment Überlegen lachend. „Freunde mit Rechten.“

Er legt mit einem gewinnenden spitzbübischen Lächeln meine Hand auf seinen Arm, sodass wir jetzt untergehakt gehen, dann wendet er sich mir zu und bittet mich: „Gib mir einen Kuss.“

Wir bleiben stehen. Zum ersten Mal in meinem Leben ist ein Mann etwas größer als ich, sodass ich mich ihm ein bisschen entgegenrecken muss – und ich liebe es! Der Kuss ist super. Sanft, weich, spielerisch, einfach perfekt.

„Hm, du küsst gut.“, sage ich genießerisch.