WO KEINE SONNE SCHEINT - Ronald M. Hahn - E-Book

WO KEINE SONNE SCHEINT E-Book

Ronald M. Hahn

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Beschreibung

Der Science Fiction-Roman, den die Nazis hassen...


Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Das in Trümmern liegende Großdeutsche Reich ist von alliierten Truppen besetzt. Hitler ist spurlos verschwunden; man munkelt von einer Festung am Südpol. Hermann Göring ist nach Transjordanien entflohen. In Argentinien verlangt Martin Bormann die Herausgabe des Vermögens der NSDAP. Werwolf-Kommandos verüben Anschläge auf die verhassten Besatzer...

Robert A. Heinlein, der Leiter der amerikanischen Weltraumbehörde, verspricht in den nächsten fünf Jahren einen Flug zum Mond. Überall auf der Erde werden unidentifizierbare fliegende Objekte gesichtet. Ihre Besatzungen sprechen Deutsch und ergehen sich in geheimnisvollen Andeutungen über die Zukunftspläne der Nazis. Astronomen entdecken zeppelingroße Raumfahrzeuge auf der Oberfläche des Mondes: Sie tragen das Hoheitszeichen des Großdeutschen Reiches...

Conrad Harras, Ex-Fähnrich der Wehrmacht, der sich 1936 an Bord des Zeppelins Hindenburg nach New York abgesetzt hat, kehrt im Auftrag einer anonymen Macht in die Heimat zurück, um eine Filmrolle zu suchen, deren Existenz seinen Bruder den Kopf gekostet hat und gewissen Kreisen sehr wertvoll ist. In der Trümmerlandschaft Hamburgs gerät er in einen Sumpf aus Altnazis, Pornographen und Bewahrern alter Geheimnisse...

Die Charaktere sind gut ausgearbeitet. Keine Figur wirkt eindimensional. Der Held ist durchaus zwiespältig, aber er gewinnt an menschlichem Format, wächst an der Aufgabe und an der Liebe. Der Hintergrund wird en passant, doch plastisch und detailliert geschildert und ist gut recherchiert... Die Autoren zeichnen ein sehr dunkles und ungeschöntes Bild Nachkriegsdeutschlands... Es wird konsumiert, was kommt, und man betrinkt sich, um sich für die Entbehrungen des täglichen Lebens zu entschädigen. Aber auch die Alliierten sind nicht gerade Strahlemänner. Der Roman hat die Atmosphäre eines Krimis der Schwarzen Serie, ein düsterer Schauplatz gepaart mit einem desillusionierenden Menschenbild. Der Roman liest sich sehr gut. Er ist spannend bis zum Schluss, denn die Handlung ist geschickt konstruiert. Immer wieder gibt es Überraschungen.“ (Michael Baumgartner)

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RONALD M. HAHN & HORST PUKALLUS

Wo keine Sonne scheint

Roman

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Die Autoren 

 

Sitzungsbericht zur Vorlage beim Führer 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

21. Kapitel 

22. Kapitel 

23. Kapitel 

24. Kapitel 

25. Kapitel 

26. Kapitel 

27. Kapitel 

EPILOG 

 

Das Buch

Der Science Fiction-Roman, den die Nazis hassen...

Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Das in Trümmern liegende Großdeutsche Reich ist von alliierten Truppen besetzt. Hitler ist spurlos verschwunden; man munkelt von einer Festung am Südpol. Hermann Göring ist nach Transjordanien entflohen. In Argentinien verlangt Martin Bormann die Herausgabe des Vermögens der NSDAP. Werwolf-Kommandos verüben Anschläge auf die verhassten Besatzer...

Robert A. Heinlein, der Leiter der amerikanischen Weltraumbehörde, verspricht in den nächsten fünf Jahren einen Flug zum Mond. Überall auf der Erde werden unidentifizierbare fliegende Objekte gesichtet. Ihre Besatzungen sprechen Deutsch und ergehen sich in geheimnisvollen Andeutungen über die Zukunftspläne der Nazis. Astronomen entdecken zeppelingroße Raumfahrzeuge auf der Oberfläche des Mondes: Sie tragen das Hoheitszeichen des Großdeutschen Reiches...

Conrad Harras, Ex-Fähnrich der Wehrmacht, der sich 1936 an Bord des Zeppelins Hindenburg nach New York abgesetzt hat, kehrt im Auftrag einer anonymen Macht in die Heimat zurück, um eine Filmrolle zu suchen, deren Existenz seinen Bruder den Kopf gekostet hat und gewissen Kreisen sehr wertvoll ist. In der Trümmerlandschaft Hamburgs gerät er in einen Sumpf aus Altnazis, Pornographen und Bewahrern alter Geheimnisse...

„Die Charaktere sind gut ausgearbeitet. Keine Figur wirkt eindimensional. Der Held ist durchaus zwiespältig, aber er gewinnt an menschlichem Format, wächst an der Aufgabe und an der Liebe. Der Hintergrund wird en passant, doch plastisch und detailliert geschildert und ist gut recherchiert... Die Autoren zeichnen ein sehr dunkles und ungeschöntes Bild Nachkriegsdeutschlands... Es wird konsumiert, was kommt, und man betrinkt sich, um sich für die Entbehrungen des täglichen Lebens zu entschädigen. Aber auch die Alliierten sind nicht gerade Strahlemänner. Der Roman hat die Atmosphäre eines Krimis der Schwarzen Serie, ein düsterer Schauplatz gepaart mit einem desillusionierenden Menschenbild. Der Roman liest sich sehr gut. Er ist spannend bis zum Schluss, denn die Handlung ist geschickt konstruiert. Immer wieder gibt es Überraschungen.“ (Michael Baumgartner)

Die Autoren

Horst Pukallus, Jahrgang 1949.

Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer.

Seit den späten 1960er Jahren veröffentlichte er Kritiken zur SF-Literatur, vor allem in der Zeitschrift Science Fiction-Times. 1974 erschien seine erste Erzählung Interludium. Es folgten u.a. die Story-Sammlungen Die Wellenlänge der Wirklichkeit (1983) und Songs aus der Konverter-Kammer (1985), die Pukallus als einen der vielseitigsten und intellektuell versiertesten deutschsprachigen Genre-Autoren seiner Generation etablierten. Neben seiner Meisterschaft im Metier der Kurzgeschichten/Erzählungen sind auch seine Romane Krisenzentrum Dschinnistan (1985) und Hinter den Mauern der Zeit (1989, zusammen mit Michael Iwoleit) von überragender inhaltlicher und stilistischer Qualität. Zu Recht wird Horst Pukallus mit dem großen amerikanischen SF-Schriftsteller Philip K. Dick verglichen.

Zu seinen herausragenden Übersetzungen aus dem Englischen/Amerikanischen gehören u.a.: Iain Banks: Vor einem dunklen Hintergrund (1998), John Brunner: Morgenwelt (1980), John Brunner: Schafe blicken auf (1978), John Brunner: Der Schockwellenreiter (1979), Philip K. Dick: Kinder des Holocaust (1984), Jack Womack: Heidern (1993) sowie die Deryni-Romane von Katherine Kurtz (1978 – 2000).

In den Jahren 1980, 1981, 1984, 1985 und 2001 erhielt er den Kurd-Laßwitz-Preis für die beste Übersetzung; 1991 erhielt er diese Ehrung für seine Erzählung Das Blei der Zeit.

Horst Pukallus lebt und arbeitet in Wuppertal.

Ronald M. Hahn, Jahrgang 1948.

Schriftsteller, Übersetzer, Literaturagent, Journalist, Herausgeber, Lektor, Redakteur von Zeitschriften.

Bekannt ist Ronald M. Hahn für die Herausgabe der SF-Magazine Science Fiction-Times (1972) und Nova (2002, mit Michael K. Iwoleit) sowie als Autor von Romanen/Kurzgeschichten/Erzählungen in den Bereichen Science Fiction, Krimi und Abenteuer.

Herausragend sind das (mit Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs und Wolfgang Jeschke verfasste) Lexikon der Science Fiction-Literatur (1980/1987), die Standard-Werke Lexikon des Science Fiction-Films (1984/1998, mit Volker Jansen), Lexikon des Horror-Films (1985, mit Volker Jansen) und das Lexikon des Fantasy-Films (1986, mit Volker Jansen und Norbert Stresau).

Für das Lexikon der Fantasy-Literatur (2005, mit Hans-Joachim Alpers und Werner Fuchs) wurde er im Jahr 2005 mit dem Deutschen Fantasy-Preis ausgezeichnet. Insgesamt sechsmal erhielt Hahn darüber hinaus den Kurd-Laßwitz-Preis – dem renommiertesten deutschen SF-Preis - , u.a. für die beste Kurzgeschichte (Auf dem großen Strom, 1981) und als bester Übersetzer (für John Clute: Science Fiction – Eine illustrierte Enzyklopädie, 1997).

Weitere Werke sind u.a. die Kurzgeschichten-Sammlungen Ein Dutzend H-Bomben (1983), Inmitten der großen Leere (1984) und Auf dem großen Strom (1986) sowie – als Übersetzer – der Dune-Zyklus von Frank Herbert.

Ronald M. Hahn lebt und arbeitet in Wuppertal.

Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende,

es geht vielleicht zu Ende.

- Samuel Beckett: Warten auf Godot

SITZUNGSBERICHT

ZUR VORLAGE AN DEN FÜHRER

Nach dem Endsieg: Sofortige bedingungslose Abschaffung sämtlicher Religionsbekenntnisse für das Gebiet des Großdeutschen Reiches sowie sämtliche befreiten, besetzten und annektierten Länder, Protektorate und Gouvernements. Gleichzeitige Proklamierung des Führers zum neuen Messias. Aus taktischen Erwägungen sind der mohammedanische, buddhistische sowie der Shintoglaube von dieser Maßnahme einstweilen auszunehmen.

Der Führer ist als Erlöser und Befreier darzustellen – als Gottgesandter, dem göttliche Ehren zustehen. Sämtliche Kirchen, Kapellen, Tempel und Kultstätten der verschiedenen Religionsbekenntnisse sind in „Adolf Hitler-Weihestätten“ umzuwandeln.

Die theologischen Fakultäten der Universitäten haben sich auf den neuen Glauben umzustellen und besonderes Gewicht auf die Ausbildung von Missionaren und Wanderpredigern zu legen, die im Großdeutschen Reich und der übrigen Welt die Lehre verkünden und Glaubensgemeinschaften gründen, die als Organisationszentren der weiteren Ausbreitung dienen. Damit entfallen die Schwierigkeiten bei der geplanten Aufhebung der Monogamie: Die Polygamie kann problemlos als Glaubenssatz in die neue Lehre eingefügt werden.

Als Vorbild des Gottgesandten kann die Figur des Gralsritters Lohengrin dienen, die keltisch-germanischer Phantasie entsprungen, bereits ein gewisses traditionelles Ansehen genießt. (Ähnlich wie die Sagengestalt Wilhelm Tells in der Schweiz seit langem zu einem Symbol geworden ist).

Durch entsprechende Propaganda muss die Herkunft des Führers noch mehr als bisher verschleiert werden, so wie auch sein künftiger Abgang (Rückkehr in die Gralsburg) spurlos und in vollständiges Dunkel erfolgen muss.

Ohne Durchschlag

Streng Reservat!

Nur für den Führer bestimmt

1. Kapitel

Frankfurt am Main. Vor dem Betreten des Hindenburg – beziehungsweise des LZ 129, wie das Luftschiff offiziell hieß – hatte irgendjemand Harras eine Schrift mit den technischen Daten in die Hand gedrückt: Das Luftschiff hatte einen Nenninhalt von 190.000 Kubikmetern, war 248 Meter lang und durchmaß 41,2 Meter. Die Umhüllung der mit Wasserstoff gefüllten Gaszellen bestand aus Goldschlägerhaut, der Außenseite des Rinderblinddarms. Angetrieben wurde der Hindenburg, benannt nach dem 1934 verstorbenen Reichspräsidenten Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, von vier Daimler-Benz-Dieselmotoren, die eine Marschleistung von 3.600 PS und eine Spitzenleistung von 4.200 PS entwickelten und eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h erzielten. Die fünfundzwanzig Treibstoffbehälter enthielten Dieseltreibstoff für einhundert Flugstunden.

Die ins Schiffsinnere verlegten Passagierräume waren von der Führergondel getrennt und umfassten in zwei Etagen alle Bequemlichkeiten eines überaus luxuriösen Hotels oder Überseedampfers. Es gab Promenadendecks, ein Duschbad und einen Rauchsalon, und für den Fall des Falles hatte man auch aufblasbare Rettungsboote an Bord.

Für den Flug nach Lakehurst umfasste die Besatzung des Hindenburg 61 Mann und unterstand dem Kommandanten Max Pruß, der im Großen Krieg fünfzehn Luftschiff-Angriffe gegen England geflogen hatte. Die Küche war, wie Harras, ohne fragen zu müssen, von Obersteward Kubis erfuhr, reichlich versorgt. In den Vorratskammern lagerten 2.500 Kilogramm Proviant, die für eine dreitägige Fahrt plus einen Reservetag reichten: 200 Kilogramm Frischfleisch und Geflügel, 100 Kilogramm Fisch, 150 Kilogramm Wurst und Delikatessen, 200 Kilogramm Kartoffeln, 200 Kilogramm Frischgemüse und Salat, 100 Kilogramm Butter, Käse und Marmelade, 800 Eier, 200 Kilogramm Konserven (und eisernen Bestand), 150 Liter Milch, 250 Flaschen Wein und Likör, 250 Flaschen Mineralwasser und 250 Liter Mineralwasser in Tonnen für die Mannschaft. Der Wasserballast betrug 10.000 Kilogramm, die man in 48 Sekunden entleeren konnte. Dazu kam eine Postfracht von 20.000 Kilogramm.

Neununddreißig Fluggäste traten heute, am 3. Mai 1937, die Reise nach Lakehurst an: Darunter der Schriftsteller Leonhard Adelt mit seiner Gattin Gertrud; Kapitän Ernst A. Lehmann, der Geschäftsführer der Deutschen Zeppelin-Reederei, und der amerikanische Textilfabrikant Philip Mangone. Der Hindenburg hatte schon über fünfzig Flüge nach den Vereinigten Staaten von Amerika durchgeführt.

Beim Lesen der Schrift erfuhr Harras auch Wissenswertes über das den Linienverkehr betreibende Unternehmen: Die Deutsche Zeppelin-Reederei GmbH war am 22. März 1935 in Berlin gegründet worden. Die Regierung Hitler hatte sie gefördert und Luftfahrtminister Göring geschickt, um eine Rede zu halten. Den Aufsichtsrat des Unternehmens bildeten der Luftschiffpionier Hugo Eckener, Herr Mühlig-Hofmann und Herr Bronsky von der Deutschen Lufthansa AG. Gegenwärtig gab es Zeppelin-Landeplätze in Friedrichshafen-Löwenthal, Frankfurt-Mitteldick, Rio de Janeiro sowie Lakehurst, New Jersey.

Die an Bord befindlichen Fluggäste waren ausnahmslos wohlhabende Geschäftsleute und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die harmlos und unverdächtig wirkten, doch ein blasser, blonder Mann in dunklem Anzug, dessen Wangen Schmisse bedeckten, erweckte Harras’ Argwohn. Er hieß Lasch, gab sich als Journalist aus und zeigte sich nicht sehr gesprächig.

Hin und wieder unterhielt er sich mit einem untersetzten Luftwaffenmajor namens Witt, einem fröhlichen Burschen mit Lachfältchen an den Augen, der gern Karten spielte und Zigarillos rauchte. Er turtelte pausenlos mit einer schlanken jungen Frau namens Maria, die mit einer langen Zigarettenspitze rauchte und einen Augenaufschlag hatte, der wollüstige Freuden versprach.

Schon vor dem Eintreffen der Fluggäste war der Hindenburg aus seiner Halle bugsiert worden. Kurz vor dem Abflug versammelten sich die Reisenden, die man um 19 Uhr vom Frankfurter Hof abgeholt hatte, auf dem Promenadendeck, um der in blaugelbe Uniformen gekleideten Kapelle zu lauschen, die draußen das Deutschlandlied und das Horst Wessel-Lied spielte.

Dann erdröhnten die starken Motoren; um 20 Uhr 15 löste sich das Luftschiff vom niedrigen Ankermast erhob sich in die Nacht. Die Gebäude schienen zu schrumpfen, die Lichter wurden zu winzigen Leuchtpünktchen, und die Flugreise über den Atlantik begann. Mit 110 km/h bewegte sich der LZ 129 nach Nordwesten.

Eine halbe Stunde nach dem Start betrat Harras die Bar und ließ sich von einem Steward die Spezialität mixen, den LZ 129 Rauhreif, der sich aus wenig Orangensaft und viel Gin zusammensetzte. Anschließend genehmigte er sich im Rauchsalon, den eine Luftschleuse und leichter Überdruck gegen das schleichende Eindringen von Wasserstoff schützte, eine Overstolz; dann kehrte er in die Bar zurück und trank noch einen Rauhreif.

Die Bar war klein, aber ungemein behaglich. Abbildungen von Luftschiffen und Ballons schmückten die goldgelben Wände. Durch in den Boden eingelassene Fenster konnte man zur Erde hinabblicken.

Danach suchte sich Harras einen Fensterplatz im an der Steuerbordseite gelegenen Gesellschaftsraum. Eine Anzahl anderer Fluggäste hatte inzwischen das gleiche getan. Misstrauisch ließ er den Blick durch die Räumlichkeit schweifen.

Obwohl niemand wusste, dass er sich unter falschem Namen an Bord befand, hatte er ein ungutes Gefühl. Die Augen der Hitler-Schergen waren überall – warum also nicht auch hier? Obschon die Flugreisenden alles andere als den Eindruck erweckten, begeisterte Nazis zu sein – man konnte nie wissen, ob beispielsweise Major Witt Pg war und allzu gern jeden Befehl aus Berlin befolgte. Davon abgesehen, galten Luftwaffenoffiziere als bevorzugte Elite der Wehrmacht und hatten schon darum keinen Grund, um sich, selbst wenn es keine militärischen Angelegenheiten betraf, gegen Reichskanzler Hitler zu stellen.

Harras unterhielt sich eine Weile mit einer Frau Köhler und ihren Kindern Wolfgang, Ingrid und Erasmus, die sich an seinen Tisch setzten. Als sie gingen, machte er die Bekanntschaft des amerikanischen Akrobaten Ben Dova, des schwedischen Journalisten Brink und des ebenfalls aus Schweden stammenden Industriellen Von Heidenstam, die sich aber bald mit einem Yale-Studenten und einem aus Chicago stammenden Geschäftsmann zu einer Partie Poker zusammenfand. Später stand Harras für einige Zeit neben einem älteren Gentleman aus London an einem Aussichtsfenster des Promenadendecks und starrte in die Tiefe. Scheinbar endloses Dunkel umgab das Luftschiff.

Als er den Gesellschaftsraum verließ, um die Kabine aufzusuchen, die er zusammen mit dem Photographen Otto Clemens bewohnte, sah er Mr. Parker und Gattin in ihrer Kabine verschwinden. Parker kniff seiner Frau beim Hineingehen in den Po, und kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, hörte er die Dame gurrend lachen.

Die Wände der winzigen Kabine waren so dünn wie Papier, und darum konnte er die beiden kurz darauf stöhnen und ächzen hören. Mrs. Parker forderte ihren Gatten auf, es ihr „doggie-style“ zu besorgen, und bald stieß sie Laute aus, die Harras glauben machten, sie sei ein Opfer der Inquisition in irgendeinem feuchten Folterkeller.

Er unternahm einen Versuch, sich dem Lesen von Hanns Heinz Ewers’ Alraune zu widmen, doch allmählich schlug ihm seine innere Unruhe auf den Magen. Noch einmal ging er im Geist die Namen aller Mitreisenden durch, doch auch diesmal fiel ihm niemand auf, den er vielleicht fürchten müsste. Keiner von ihnen entstammte Kreisen, aus denen sich Hitlers Schlägertruppen rekrutierten. Er brauchte sich mit keinen Sorgen zu plagen.

Als nebenan das Gewimmer eine derartige Lautstärke erlangte, dass er die Gedanken nicht mehr beisammen halten konnte, legte er das Buch weg und schlurfte zur Kabine hinaus. Auf dem Gang begegnete ihm Clemens. Da er in Friedrichshafen während der ganzen Nacht kein Auge zugetan hatte, wirkte der Photograph stark übermüdet; er wollte sich für ein Weilchen aufs Ohr legen.

Gerade als Harras den Zugang zum Promenadendeck erreichte, öffnete sich die Tür zu Witts Kabine; der Major und Maria kamen heraus. Witt grinste verlegen, Maria errötete bis unter die leicht zerzausten Haarwurzeln. Ihr Lippenstift war verschmiert, sie huschte schnell in ihre Kabine, um sich herzurichten.

Harras fragte sich, ob Luftschifffahrten irgendwelche Auswirkungen auf den Geschlechtstrieb haben konnte: Das war schon das zweite Paar, das unmittelbar nach dem Start das Verlangen verspürt hatte, der Lust zu frönen. Wie hatte der Major die junge Dame so schnell herumgekriegt? Hatten die beiden sich etwa schon vorher gekannt?

”Die Kleine ist wirklich ein wildes Häschen“, tuschelte Witt, als sie den Gesellschaftsraum betraten. Er tastete fahrig nach seinen Zigarillos, bis ihm einfiel, dass er außerhalb des Rauchsalons auf den Genuss von Tabakwaren verzichten musste. „Der reinste Wirbelwind... Ist mir noch nicht passiert, so was... Die hat sich so an meine Brust geschmissen, da konnte ich einfach nicht nein sagen...“

Er sprach in einem Tonfall, als müsste er sich bei Harras entschuldigen. Er wirkte, als wäre er selbst über sein Verhalten am meisten überrascht, ganz als hielte er sich gar nicht für einen Kerl, der bei Frauen so schnell Erfolg hatte.

Leise lachte Harras. „Tja, es liegt wohl an der Höhenluft.“ Tatsächlich schloss er nicht aus, dass eine Art von Höhenrausch die Ursache sein konnte.

Witt nickte. Sie setzten sich an einen freien Tisch. An den Wänden gab es auf einer riesigen Weltkarte Darstellungen bedeutender Weltfahrten mit Abbildungen der Schiffe Columbus’, Vasco da Gamas, Magellans, Cooks sowie der Luftschiffe Los Angeles und Graf Zeppelin zu sehen. „Da dürften Sie recht haben. Mir ist, als wäre sie irgendwie... aufgeladen...“ Er deutete mit dem Kopf hinüber zu einem Nebentisch. „Schaunse mal...“

Harras tat es. Die beiden Schweden saßen mit Ingrid Köhler und ihrer Mutter zusammen. Die Gesichter der Frauen sahen gerötet und angespannt aus. Frau Köhler leckte sich aufgeregt die Lippen. Unter dem Tisch lag die Hand des Industriellen auf ihrem Knie, und diese Berührung bereitete ihr offensichtliches Wohlbehagen. Der Journalist hielt die Hand ihrer Tochter, die sich geradezu in der Aufmerksamkeit sonnte, die er ihr schenkte. Ingrids Busen hob und senkte sich bei jedem Atemzug; sie erregte den Eindruck, als wollte sie gleich in aller Öffentlichkeit in seine Arme sinken. Die beiden schäkerten auf eine Weise miteinander, die aufgrund der Jugend des Mädchens eigentlich als skandalös gelten musste.

Der blasse Herr Lasch beobachtete das Quartett mit einer stummen Gier, die Harras unwillkürlich an Nosferatu gemahnte. Einen dermaßen abstoßenden Zeitgenossen hatte er bisher noch nie zu Gesicht bekommen.

In der Ecke klimperte der Pianist auf dem mit gelbem Schweinsleder bezogenen Flügel einige urdeutsche Gassenhauer wie O Donna Clara und In München steht ein Hofbräuhaus; offenkundig verwunderte ihn die geringe Beachtung, die man ihm schenkte.

Kurz darauf öffnete sich die Tür des Gesellschaftsraums, und Maria gesellte sich zu den Anwesenden. Ihre Augen glänzten, sie erinnerte an eine mannstolle Furie auf Raubzug. Obwohl sie erst vor einer Viertelstunde mit Witt in der Koje gelegen hatte, verspürte sie anscheinend wieder heftige Lüsternheit. Sie trank Wodka und scheute sich nicht, gleichzeitig mit Harras und Witt zu schäkern.

Zwei Minuten später verließen die Schweden, Frau Köhler und ihre Tochter den Gesellschaftsraum. „Junge, Junge, ich bin ja kein Kostverächter“, flüsterte Witt, „aber was sich da anbahnt...“

Sobald die vier verschwunden waren, ging auch Lasch. Nach und nach leerte sich der Gesellschaftsraum. Zurück blieben die Kinder, Harras, Witt und Maria.

Gegen 22 Uhr verabschiedete sich Harras bis zum nächsten Tag von Witt und machte sich auf den Weg zur Kabine. Während er den Gang durchquerte, den die Passagierkabinen säumten – viele Fluggäste hatten schon ihre Schuhe vor hinaus gestellt, damit das Bordpersonal sie putzte –, öffnete sich hinter ihm eine Tür.

„He...“, sagte eine rauchige Stimme.

Harras wandte sich um. Sein Blick fiel auf eine sehr schlanke, langbeinige blonde Dame. Sie trug ein eng anliegendes, seidenes Nachtkleid, das ihre Formen recht vorteilhaft zur Geltung brachte. Ihre zierlichen Füße steckten in mit Plüsch besetzten, vorn offenen Pantöffelchen, die ihre rot lackierten Zehennägel freiließen.

Um ihren Hals ringelte sich eine Kette aus dicken Südseeperlen, und ihr roter Mund glänzte verlockend. Die Frau war älter als Harras, für sein Empfinden viel älter. Er schätzte sie auf Mitte dreißig. Ihr Verhalten verstörte ihn in gewissem Umfang, denn es war ihm fremd. Frauen, die sich so benahmen, kannte er nur aus den französischen Sittenromanen seines Vaters, die sein Bruder Alwin einst im Gartenhäuschen gefunden und die sie als Primaner, wenn die Eltern aus dem Haus gewesen waren, mit heißen Ohren verschlungen hatten.

„Ja bitte?“, fragte Harras.

Die Dame deutete mit einer roten Kralle auf seine Brust. „Komm rein...“ Sie packte blitzschnell Harras’ Krawatte, und ehe er sich versah, hatte sie ihn auch schon über die Schwelle gezogen und schob eine Hand in seinen Schritt. Obwohl ihm in diesem Augenblick nach allem anderen zumute war, konnte er sich, wie er mit einer gewissen Bestürzung merkte, dem plötzlichen Aufwallen seiner Lust erstaunlich wenig widersetzen.

Er sank hilflos neben der Dame auf die Koje. Sie stürzte sich sofort auf seinen Hosenstall, knöpfte ihn auf. Während Harras sie gewähren ließ, fiel sein Blick auf das Spiegelchen an der gegenüberliegenden Wand, und er fragte sich unversehens, ob vielleicht in der Nebenkabine jemand lauerte und ihrem Treiben von dort aus zuschaute.

Diese Vorstellung erschreckte Harras, doch bevor er aufspringen und sich vergewissern konnte, ob der Spiegel nicht etwa in die Kabinenwand eingefügt war, hatte die blonde Dame ihm die Hose hinuntergezogen und packte sein Geschlechtsteil aus. „Was haben wir denn da...“, flüsterte sie mit sinnlicher Stimme und umfasste seine Männlichkeit mit fester Hand. „Mmm... Wie ich das mag...“

Harras duldete es, dass sie ihn mit geschickten Griffen steif machte und dann dazu überging, seinen Prügel mit den Lippen zu liebkosen. Der Anblick ihrer roten Lippen, die sein Glied umschlossen, und die Wollust, die sie ihm hervorriefen, brachten sein Blut in heftige Wallung, und so dauerte es nur wenige Augenblicke, bis sein Glied wie eine Lanze stand. Die prächtige Größe begeisterte die Unbekannte; sie küsste seine Eichel, richtete sich auf und schwang sich mit gespreizten Beinen auf seinen Schoß.

Da sie kein Höschen trug, flutschte er sofort in sie hinein. Ihr Schoß saugte ihn auf; Harras legte sich auf die Koje und ließ es geschehen, dass sie sich ohne Scham auf ihn hockte und wild auf ihm ritt. In ihrem Geschlechtsteil zogen sich die Muskeln zusammen und kneteten sein Glied wie eine Hand, so dass seine Lust rasch wuchs und er die Umgebung gänzlich vergaß.

Seine Hände fuhren unter das Hemdchen der geilen Dame, packten ihre Schenkel und drückten sie voller Wonne auf seinen starken Spieß. Die Dame sank seufzend auf Harras’ Brust nieder; ihre Zunge fuhr zwischen seine Lippen und umspielte seine Zunge. Sie schnaufte und maunzte, und als sie mit einem leisen Schrei zum Höhepunkt ihrer geschlechtlichen Erregung gelangte, schien sie die Besinnung zu verlieren und fiel mit dumpfem Stöhnen neben ihm auf die Koje.

Harras stieg über sie hinweg, reinigte sich mit einem Taschentuch und zog sich an. Als er aufstand, um seine Krawatte zurecht zu schieben, sah er sich beiläufig den Spiegel der Kabine näher an. Er war, wie er vermutet hatte, in der Wand befestigt und ließ sich nicht herunternehmen.

„Was machst du da?“, fragte die Unbekannte. Harras schaute sich um und sah, dass sie mit gespreizten Beinen auf der Koje lag. Sie musterte ihn trägen Blicks und streichelte ihre Scharte.

„Ich seh mich nur ‘n bisschen um.“

Sie lachte. „Du solltest lieber mir zusehen. Reizt dich so was nicht?“ Sie schob, indem sie aufjapste, einen Finger in ihren Schlitz. „Sag mir, was ich für dich tun soll“, hauchte sie und wand sich lasziv hin und her. „Wie heißt du überhaupt?“

Harras nannte ihr seinen Namen.

„Ich bin Lydia“, sagte sie. „Lydia Lasch.“

BRITISCHER SPION RICHTET SICH SELBST

...wurde der SS-Sturmbannführer Alwin Harras vom SD als ein im Solde Englands stehender Spion entlarvt. Harras war es schon in den zwanziger Jahren gelungen, sich in München das Vertrauen des Führers einzuschleichen und gehörte zu den ersten 50 Mitgliedern der NSDAP. Eigenem Bekunden zufolge wurde er aufgrund einer moralischen Verfehlung, die er als Minderjähriger beging, vor einem Jahr von seinem in England aufgewachsenen Bruder Conrad und noch unbekannten britischen Agenten erpresst und zog die Konsequenzen, indem er sich mit seiner Dienstwaffe selbst richtete. Conrad Harras, Fähnrich der Luftwaffe, ist derzeit flüchtig...

DAS SCHWARZE KORPS

2. Kapitel

Lydia hatte ihren Namen kaum ausgesprochen, als die Tür aufging und Herr Lasch auf der Schwelle stand.

Er warf ihr einen kurzen Blick zu, dann sah er Harras an. Schließlich zog er die Tür hinter sich zu, griff in sein Jackett und zückte eine Null-Acht.

„Hören Sie“, sagte Harras beunruhigt, „machen Sie keinen Unsinn...“

Lasch lächelte zynisch. „Ich weiß schon. Sie können es ganz einfach erklären, nicht wahr?“

Harras biss sich auf die Unterlippe. „Ich wollte, ich könnte es“, erwiderte er. „Aber leider...“ Er zuckte sehr verlegen die Achseln. „Ihre Frau...“

Lasch kicherte. „Meine Frau?“ Er schüttelte den Kopf, trat zu der schamlos masturbierenden Lydia und zog das Kleid über ihren Schoß. „Lydia ist meine Schwester...“ Er lächelte süffisant. „Ein verdorbenes Miststück. Sie war es schon mit dreizehn...“ Er schenkte ihr einen Blick, in dem alle Verachtung der Welt lag. „Aber dank meiner guten Beziehungen ist es ihr noch mal gelungen, mit dem Leben davonzukommen.“

„Wer sind Sie, Lasch?“, fragte Harras. Er hielt nach einer Gelegenheit Ausschau, um den Mann zu entwaffnen. Die Anspielung auf seine Beziehungen lösten bei ihm Argwohn aus.

„Das möchten Sie wohl gern wissen...“ Lasch griff in die Tasche und zeigte ihm eine kleine, ovale Marke an einem Gliederkettchen. Harras hatte so etwas zwar noch nie gesehen, aber dass es die Dienstmarke eines Sipo-Beamten war, glaubte er sofort.

„Mir wurde gerade aus Berlin ein verschlüsselter Funkspruch von der Sipo übermittelt“, sagte Lasch forsch. „Demnach sind Sie ein Verräter an Führer, Volk und Vaterland und deshalb unverzüglich unschädlich zu machen.“

Harras schluckte. Man musste Karmann erwischt und gefoltert haben. Sie hatten es also doch herausbekommen. Jetzt lautete die Frage, welchen Rang Lasch hatte und was er wusste. Die Wahrheit hatte man ihm ganz bestimmt nicht erzählt.

Harras räusperte sich. „Sie irren sich, wenn Sie mich für einen Spion halten. Die Sicherheitspolizei hat Sie belogen, Lasch.“

„Man hat mir mitgeteilt, dass Sie voraussichtlich eine wirre Geschichte erzählen, mein Bester.“ Lasch zwinkerte ihm zu. „Aber es hat keinen Zweck. Ein Lasch lässt sich nicht narren.“ Er schaute seine Schwester an, deren Erregung inzwischen abebbte. Lydia richtete sich auf und strich ihr Nachthemd glatt. Ihre Wangen waren noch immer gerötet. Ihr Blick flackerte. Sie wirkte wie eine in hohem Grad erregte Kokserin.

Lasch richtete die Null-Acht auf Harras’ Bauch. „Ich frage mich nur noch“, meinte er mit einem Seitenblick auf seine Schwester”, ob ich Sie gleich hier abknallen soll...“

„Und was wollen Sie dem Kommandanten erzählen?“ Harras rührte sich nicht. Lasch wirkte, als hätte er einen sehr empfindlichen Zeigefinger.

„Dass Sie meine Schwester vergewaltigt haben.“ Lasch senkte den Lauf seines Schießeisens um keinen Millimeter.

Lydia maß Harras aus grünen Katzenaugen. „Was wirft man ihm denn vor?“, erkundigte sie sich unvermittelt.

„Spionage fürs Ausland“, antwortete Lasch.

„Stimmt das?“, fragte Lydia, während sie Harras unverwandt musterte.

Harras zuckte die Achseln. „Eigentlich nicht. Ich bin nur einem gewissen Herrn im Wege, der befürchtet, ich könnte über ihn auspacken. Ich weiß etwas, das ihm unangenehm ist. Und da ich es nun einmal weiß, kann ich es nicht vergessen...“

„Schnauze!“, fauchte Lasch. Seine Augen blitzten.

Harras sah ihm an, dass er ihn am liebsten erwürgt hätte. Aber vermutlich traute er sich insgeheim gar nicht, in der engen Kabine die Null-Acht zu verwenden. Außerdem hatte er wahrscheinlich keine Ahnung von Harras’ wirklicher Wichtigkeit. Er war nur ein untergeordneter Dienstgrad, dem es schwer fiel, eine Entscheidung zu fällen. Allerdings zweifelte Harras nicht daran, dass Lasch ihn unter anderen Umständen auf der Stelle umgelegt hätte.

„Über wen weißt du was?“, fragte Lydia.

„Über den Führer“, sagte Harras.

„Du verfluchter Hund!“, fauchte sie, sprang auf und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. „Du dreckiger Spitzel! Wenn der Führer jetzt hier wäre, würde er dich in Stücke reißen. Du erbärmlicher...“

Aus ihrem Blick sprach Verachtung. Harras konnte sie verstehen. Wenn Lasch die Wahrheit sagte, war sie darauf angewiesen, sich in den Augen der Nazis zu bewähren.

„Was weißt du?“, fragte sie und zerrte roh an Harras’ rechtem Ohrläppchen. „Was weißt du genau, du widerlicher Hochverräter?“

Lasch lachte; wahrscheinlich war selbst er der Ansicht, dass Lydia ihren Auftritt gehörig übertrieb.

Lydia kam gefährlich nahe an Harras heran. Ihr hübsches Gesicht wurde zur Fratze. Harras’ Ohrläppchen tat weh. Sie verdrehte es äußerst gekonnt.

„Ich bin nicht allein an Bord“, log er, um seine Haut zu retten.

Trotz der Null-Acht in seiner Hand brach Lasch der Schweiß aus. „Hinsetzen“, befahl er in bedrohlichem Ton. Auf seiner Stirn glänzten jetzt dicke Schweißperlen; an ihnen hatte gewiss nicht allein die schwüle Atmosphäre Schuld. „Sie werden den Hindenburg auf keinen Fall in Lakehurst verlassen. Wenn Sie Scherereien machen, töte ich Sie und werfe Sie über Bord.“

„Hören Sie mir zu“, sagte Harras. „Wenn Sie gescheit sind, hören Sie mir erst einmal zu...“

„Halt die Schnauze!“, brüllte Lasch. „Glaub bloß nicht, du könntest mich mit irgendwelchem Gerede einseifen.“

„Willst du ihn einfach gehen lassen?“, fragte Lydia mit hörbaren Zweifeln.

Lasch ließ die Waffe sinken und steckte sie ein. „Haben wir eine andere Wahl?“, stellte er eine Gegenfrage. Er wandte sich zum Gehen.

Harras schüttelte sich. Lasch zog die Tür hinter sich zu. Ein Grinsen umzuckte Lydias Lippen. Sie deutete auf die Tür. „Raus! Und halt bloß die Klappe!“

Als Harras in seine Kabine zurückkehrte, wachte Clemens gerade auf; der Photograph linste ihn verschleierten Blicks an und blinzelte, als ob es ihm Mühe verursachte, Harras wieder zu erkennen. Als Harras ihn fragte, ob ihm unwohl wäre, gab er die Auskunft, er hätte ein flaues Gefühl im Magen.

Das habe ich auch. „Sie werden doch nicht luftkrank?“ Dergleichen galt eigentlich als unwahrscheinlich. Der Hindenburg hatte eine außerordentlich gleichmäßige Fluglage.

Clemens zuckte die Achseln und erhob sich von der Koje; plötzlich würgte er und rannte hinaus – wohl zu den Toiletten. Harras vermutete, dass er schlichtweg zu viel Spirituosen verzehrt hatte.

Harras setzte sich. In seinem Kopf strudelte alles wirr durcheinander. Er befand sich in größter Gefahr. Mit Lasch war nicht zu spaßen, und mit Lydia sicherlich auch nicht. Er brauchte dringend Verbündete. Wen konnte er ins Vertrauen ziehen? Witt? Maria? Die Schweden? Kapitän Pruß? Die Offiziere? Ob ihm überhaupt jemand Glauben schenkte? Vielleicht einer der an Bord befindlichen Amerikaner? Doch wer würde es wagen, gegen einen Sipo-Beamten vorzugehen?

Er kam sich wie ein eingesperrtes Tier vor, und als er endlich eingeschlafen war, quälten ihn grässliche Alpträume. Darin drohte der Reichskanzler ihm mit dem Finger; der Finger näherte sich Harras’ Nase und verwandelte sich in einen SS-Dolch, doch Harras konnte sich, als wäre er gelähmt, nicht von der Stelle rühren: Die Klinge bohrte sich zwischen seine Augen, er schrie, aber unbarmherzig stieß der Reichskanzler, indem er mit der anderen Hand Mein Kampf empor streckte wie eine Bibel, ein heiseres Lachen aus...

Die folgenden beiden Tage der durch stürmische Winde ein wenig behinderten Flugreise verbrachte Harras, von den Mahlzeiten abgesehen, die er notgedrungen im Speisesaal verzehren musste, in der Kabine. Clemens, der sich unter andauerndem Gejammer in der Koje wälzte und alle paar Minuten hinauslief, um sich zu übergeben, brauchte seine Hilfe. Der Photograph hatte sich mit LZ 129 Rauhreif gründlich den Magen verdorben.

Am dritten Tag – sie kreisten gerade über Lakehurst – klopfte jemand kurz nach 19 Uhr 15 an die Kabinentür. Clemens, dem es inzwischen besser ging, stand auf und öffnete. Draußen standen Lasch und Major Witt. Witt war totenbleich. Laschs Gesicht war aus Wut und Triumph geschwollen.

„Raus mit Ihnen, Clemens“, forderte er und hielt dem verdutzten Photographen seine Sipo-Marke unter die Nase. „Aber dalli!“

Clemens quetschte sich an ihm und Witt vorbei und entschwand durch den Korridor. Lasch winkte Witt hinter sich her und zückte seine Null-Acht.

„Sie werden nicht aussteigen“, sagte er zu Harras. „Sie sind verhaftet. Sie bleiben an Bord und kehren mit mir ins Reich zurück.“

„Was wirft man mir vor?“, fragte Harras. Er unterbrach das Packen seines Koffers, nahm gelassen auf der Koje Platz und suchte den Blick des Luftwaffenmajors. Allem Anschein nach fühlte Witt sich nicht recht wohl in seiner Haut; sein Missbehagen war ihm deutlich anzusehen. Lasch musste ihn eingeschüchtert haben, aber vielleicht war er auch nur feige.

„Sie stehen unter dem Verdacht, landesverräterische Beziehungen zu unterhalten.“

„Zu welchem Land?“

„Es ist neunzehn Uhr zwanzig“, bemerkte plötzlich Witt. „Wir legen gleich an. Was wollen Sie machen, wenn er sich wehrt?“

„In dem Fall“, sagte Lasch mit höhnisch hochgezogener Oberlippe, „habe ich Befehl, ihn zu töten.“

Witts Missfallen vertiefte sich sichtlich; doch mit einem Mal zwinkerte er Harras zu. „Wissen Sie denn nicht, Herr Lasch, wie gefährlich es ist, in einem Luftschiff einen Schuss abzugeben?“

Seine Worte wirkten auf Harras wie ein Stichwort. Harras hatte nur einen Gedanken: Nimm ihm die Kanone ab. Er kann nicht auf dich schießen, ohne sein eigenes Leben zu gefährden. Witt wird sich nicht einmischen.

Er fuhr hoch, trat Lasch zwischen die Beine und ließ, als der Sipo-Mitarbeiter mit einem Aufschrei zusammenklappte, die Rechte vorschnellen, um nach der Null-Acht zu greifen.

Peng!

Dicht neben Harras’ linkem Ohr ertönte ein fürchterlich lauter Knall. Sein Blick streifte, als er ihn an die Kabinendecke richtete, die Wanduhr. Es war 19 Uhr 25.

Über ihren Köpfen ertönte ein Fauchen, als wäre ein riesenhafter Schweißbrenner entflammt worden. Dann ertönte eine dumpfe Detonation.

Auf einmal sackte das Heck des Hindenburg in die Tiefe. Dagegen stieg der Bug zügig in die Höhe, schleuderte Harras und die Umstehenden wie Kegel auf die Seite. Irgendwo klirrte Glas.

„Das Luftschiff brennt!“, schrie irgendjemand in den Gang.

Schnell rappelte Harras sich auf und schaute aus dem Fenster. Unter dem Luftschiff stoben Hunderte von Menschen – Haltemannschaft, Zöllner, Journalisten und Schaulustige – wie verrückt auseinander. Rechts und links von ihm sprangen Menschen aus den Kabinenfenstern und fielen in die Tiefe.

Major Witt, der als zweiter auf den Beinen war, stürzte aus der Kabine. Lydia stand plötzlich in der offenen Tür und schrie wie am Spieß. Lasch stieß sie beiseite und hastete wortlos davon. Lydia schrie um Hilfe. Harras ergriff sie am Arm und zerrte sie mit sich in den Gang.

Das Luftschiff knarrte und kippte in eine immer steilere Schräge. Vor ihnen rollten Menschen wie Holzklötze über das Promenadendeck. Lydia riss sich los, schrie den Namen ihres Bruders und verschwand im allgemeinen Durcheinander.

Harras hastete an eines der schrägen Aussichtsfenster. Sie schwebten noch etwa ein Dutzend Meter über dem Erdboden und sanken schnell. Er versuchte das Fenster zu öffnen, jedoch vergeblich. Er nahm einen Stuhl, schlug die Scheibe ein, kletterte aufs Sims und hielt sich am Fensterrahmen fest. Das Metall war so heiß, dass er sich die Hände verbrannte, also ließ er sich einfach fallen.

Als er auf den Sandboden prallte, spürte er nicht den geringsten Schmerz, und er war so verwirrt, dass er die Gliedmaßen zunächst nicht rühren konnte. Er schaute nach oben und sah den großen, lichterloh brennenden Rumpf des Hindenburg auf sich herabsacken. Sekunden später stand er, wie durch ein Wunder völlig unverletzt, mitten in den zerschmolzenen Trümmern.

Ich muss hier weg, dachte Harras. Die sengende Hitze raubte ihm den Atem. Er machte drei, vier Schritte nach vorn und stand plötzlich außerhalb der Glut. Plötzlich waren zwei Matrosen da. Sie packten ihn, schleiften ihn fort von der Flammenhölle, rannten zehn, zwanzig, dreißig Meter mit ihm in die rettende Kühle und warfen ihn nieder zur Erde. Eine nasse Decke klatschte in sein Gesicht. Unbekannte Männer erstickten seine angekohlten, rauchenden Kleider.

Dann verlor er die Besinnung.

HITLER NOCH AM LEBEN?

...kam der Alliierte Ausschuss nach dreijähriger Tätigkeit zu dem Schluss, dass die Widersprüche der Zeugenaussagen zu groß sind, um den Tod des ehemaligen Führers des Großdeutschen Reiches, Adolf Hitler, zu beweisen.

Die im Reichssicherheitshauptamt gefundenen Papiere über den angeblich bereits 1940 in Angriff genommenen geheimen Bau der so genannten „Gralsburg“ deuten an, dass die NSDAP-Führung für den Fall, dass die USA in den Krieg eintreten und sich ihr Glück wenden würde, Vorsorge für ein schnelles Untertauchen traf.

Da dem Ausschuss trotz Einsatz aller zur Verfügung stehenden medizinischen Mittel nur die Identifikation der sterblichen Überreste Eva Brauns und der Familie Goebbels gelang, ist nach Expertenmeinung weiterhin davon auszugehen, dass der ehemalige Führer des Dritten Reiches und einer unbekannten Anzahl seiner Getreuen die Flucht in die „Gralsburg“ gelungen ist...

DIE WELT

3. Kapitel

 

Auch die Lektüre des Spiegel konnte am heutigen Tag Harras’ Laune nicht bessern.

Die Klatschspalte verbreitete wahrhaft interessante Meldungen: Der alte Halunke Hjalmar Schacht äußerte sich skeptisch über die deutsche Wirtschaftslage; Paul G. Hofmann, der oberste Chef des Europa-Hilfsprogramms und sein ärgster Gegner, der Kongressabgeordnete John Taber, hatten nach einer stürmischen Parlamentssitzung in einem Restaurant gegessen, ohne ihre Geldbörsen einzustecken; der ungarische Kommunistenführer Matyas Rakosi ließ sich von seiner Ehefrau scheiden, um eine gewisse Herzogin Odalci zu heiraten; die Sängerin Ann McCormick hatte ihrem Gatten Jackie Coogan ein Töchterchen geboren; man hatte das elfjährige italienische Dirigentenwunder Pierino Gamba nur mit einem Polizeieinsatz vor seinen Londoner Bewunderern retten können; Howard Hughes hatte die Aktienmehrheit der Filmgesellschaft RKO gekauft; George IV. verzichtete darauf, sich Kaiser von Indien zu nennen und wollte nur noch als „George IV. von Gottes Gnaden, König von Großbritannien, Irland und den britischen Dominien jenseits des Meeres und Verteidiger des Glaubens“ angesprochen werden; Fritz Rotter, von dem der Schlager Ich küsse Ihre Hand, Madame stammte, hatte zwei Operetten für den Broadway geschrieben, Sonja Henie für ihren Film Die Gräfin von Monte Christo eine Schlafzimmerszene gedreht. Und Knut Hamsun stand wegen Nazi-Sympathisantentums vor Gericht.

Nein, all das interessierte Harras überhaupt nicht. Was ihn wirklich interessierte, waren solche Fragen: Wann kreuzt der verfluchte O’Neal endlich auf und zahlt mir mein Geld zurück? Wann sieht Bridget endlich ein, dass es keinen Zweck hat, mich an die Leine zu legen? Wann kommt endlich der Tag, an dem ich nicht mehr von der Hand in den Mund lebe? Welcher Idiot hat eigentlich das Märchen erfunden, dass alle Amerikaner reich sind? Dass einem hier gebratene Tauben in den Mund fliegen? Dass jeder seines Glückes Schmied ist? Dass man es in New York in kürzester Zeit vom Tellerwäscher zum Millionär bringen kann?

So lauteten die Kernfragen seines Daseins.

Europa war ihm wurscht. Er hatte keine Bindungen mehr an die Heimat. Es fiel ihm hin und wieder sogar schwer, bestimmte Gedanken in seiner Muttersprache auszudrücken. Es war unglaublich, wie schnell er sich auf die fremde Sprache umgestellt hatte. Nur sehr wenige Menschen vermuteten einen Ausländer in ihm. Und die, die es vermuteten, hatten Probleme damit, ihn einzuordnen. Meistens hielt ihn für einen Schweden, aber er war so clever gewesen, sich als Holländer auszugeben – für den Fall, dass er im Eifer des Gefechts auf deutsch fluchte und ihn jemand verstand. Für die meisten Amerikaner waren Deutsche und Holländer ohnehin das gleiche.

„Noch ‘n Bier, Dutch?“

Harras schaute auf, schlug den Spiegel zu und nickte.