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Es herrscht eine Kluft zwischen dem Gefühl "Heimat" und dem, was Parteien, Populisten und ideologische gesellschaftliche Debatten in den Begriff "Heimat" hineinpragmatisiert haben. In gewohnt lakonisch eleganter Manier wagt sich der Wiener Schriftsteller und Journalist Robert Misik in seinem Essay in Kursbuch 198, diesen Graben tief auszuleuchten.
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Seitenzahl: 25
Inhalt
Robert MisikWoher kommst Du?Heimat zwischen politischer Aufladung und gefühligem Selbstverständnis
Der Autor
Impressum
Robert MisikWoher kommst Du?Heimat zwischen politischer Aufladung und gefühligem Selbstverständnis
Seit Monaten sind die Feuilletons mit dem Problem der Heimat befasst. Heimat ist ganz anscheinend etwas, was man niemals hat, aber umso leichter verliert, mal, indem man weggeht, mal, indem man nicht weggeht. Mal verlässt man sie, mal verlässt sie einen. Zu den vielen Entfremdungserfahrungen der Moderne zählt offenbar, dass man dort fremd ist, wo man hingeht, sich aber genauso leicht daheim fremd fühlt.
Rechtsextreme Parteien charakterisieren sich selbst als »Heimatpartei«, weshalb gerne auch betont wird, es brauche, gleichsam als Konter, einen »progressiven Heimatbegriff«, oder, wie gelegentlich gefordert wird: Die Linken müssen den Heimatbegriff zurückerobern. So ist etwa zu lesen, die Sozialdemokratie müsse all jenen, »die Schutz und Zugehörigkeit suchen, ein Identitätsangebot machen« 1. Eine Art »Identitätspolitik«, aber diesmal nicht für Minderheiten im Geiste einer Akzeptanz von Differenz, sondern für Mehrheiten im Geiste eines großen »Wir«.
Neue Heimat, großes Dach, mit Platz für jeden drunter – und windfesten Außenmauern am besten gleich dazu.
Wie immer, wenn ein Thema auf den Debattenseiten, von Büchern, von Talkshows zugleich behandelt wird, liegt die Annahme nahe, dass es sich nicht eigentlich um ein lebenskulturelles oder kulturhistorisches Thema handelt (wie man beim Heimatthema ja annehmen könnte), sondern um ein höchst politisches, ja ideologisches. Soll heißen: Es geht eben nicht um »Heimat« oder das, was der Einzelne damit verbindet, sondern um irgendeinen politischen Kampf, der sich an den Heimatbegriff andockt. Kurzum: Es geht irgendwie um das, worüber geredet wird, aber irgendwie auch um etwas ganz anderes. Um Macht etwa, um Deutungshoheit, um Anerkennungskonflikte oder einfach um Links-rechts-Auseinandersetzungen innerhalb von Gesellschaften als Ganzes, aber gelegentlich auch innerhalb von Subgruppen (etwa innerhalb der Sozialdemokratie oder innerhalb der Grünen oder …).
Ganz besonders auffallend ist, dass meist vom »Begriff Heimat« die Rede ist, der zurückerobert werden soll, nicht von »der Heimat«. Das scheinen offenbar massiv unterschiedliche Dinge zu sein, die »Heimat« und der »Begriff Heimat«. Man hat geradezu den Eindruck, dass es weniger um die Heimat ginge als um den Begriff von ihr.
Das Eigentümliche an Heimat ist die deutliche Dissonanz zwischen Begriff und Gefühl.
Versuchen wir also fürs Erste einmal, den Begriff Heimat und die Heimat auseinanderzuhalten, und beginnen wir bei der Heimat und nicht beim Begriff.
Was Heimat ist