Wohnwunschermittlung bei Menschen mit Komplexer Behinderung -  - E-Book

Wohnwunschermittlung bei Menschen mit Komplexer Behinderung E-Book

0,0

Beschreibung

Die Möglichkeit der freien Bestimmung der Lebensführung und damit auch des Wohnens für Menschen mit Behinderung wird durch den § 19 UN-Behindertenrechtskonvention festgelegt. Trotz einer starken Ausweitung individueller Unterstützungssettings profitieren jedoch Menschen mit Komplexer Behinderung bislang kaum von diesem Anspruch. Das Werk befasst sich mit der Frage, wie und mit welchen Methoden es gelingen kann, Wohnwünsche von Menschen mit Behinderung, die sich verbalsprachlich nicht oder kaum äußern (können), zu erfassen. Auch auf die Neuregelung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG), das die Eingliederungshilfe im Bereich der Sozialen Teilhabe unter besonderer Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts neu fasst, nimmt das Werk Bezug. Es bietet wichtige Impulse für Wissenschaft und Praxis im Hinblick auf die Begleitung, Partizipation und Selbstbestimmung von Menschen mit Komplexer Behinderung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 491

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Herausgeberinnen

Prof. Dr. Karin Tiesmeyer, Professorin für Angewandte Pflegewissenschaft, Fachbereich Heilpädagogik und Pflege an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe.

Dr. Friederike Koch, Referentin für Unternehmensentwicklung im Stiftungsbereich Bethel.regional, v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel.

Karin Tiesmeyer/Friederike Koch (Hrsg.)

Wohnwunschermittlung bei Menschen mit Komplexer Behinderung

Wahlmöglichkeiten sichern

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.

Piktogramme

Definition

   Auszüge aus Interviews, Beobachtungsprotokollen und Filmsequenzen

    Internet

       Merke

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-039592-3

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-039593-0

epub:        ISBN 978-3-17-039594-7

Geleitwort

 

 

Das zusammen mit Bethel.regional durchgeführte Forschungsprojekt »Wahlmöglichkeiten sichern!« war eines der ersten Projekte des Bochumer Zentrums für Disability Studies (BODYS). BODYS wurde im Juni 2015 als Forschungseinrichtung der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe gegründet. BODYS versteht Disability Studies als theoretische Grundlage für die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Deren Implikationen für Theorie und Praxis der Behindertenpolitik und -arbeit sowie für die Gesellschaft insgesamt sind zentraler Forschungsgegenstand. BODYS möchte den Rahmen für menschenrechtsorientierte, partizipative und intersektionale Forschung und Lehre bieten.

Das Forschungsprojekt »Wahlmöglichkeiten sichern!« publiziert seine Ergebnisse just in dem Jahr, in dem BODYS auch seine neue Strategie aufgelegt hat, und verleiht deren Vision und Mission unmittelbar Gestalt: »Eine Welt, in der behinderte Menschen selbstbestimmte Entscheidungen in allen Lebenslagen treffen können« – dazu möchte BODYS »mit bahnbrechender partizipativer Forschung und Bildung […] beitragen, [um] soziale Gerechtigkeit für behinderte Menschen herzustellen und Menschenrechte für behinderte Menschen in Deutschland und weltweit zu verwirklichen«1 (Mission). Die vorliegende Publikation belegt, dass derartige Forschung weder illusionär noch ideologisch ist.

Bisher werden Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen herkömmlich von Forschungsprojekten aufgrund mangelnder Erhebungsinstrumente und weiterer Barrieren ausgeschlossen. Die Datenlage zu ihrer Lebenssituation ist folglich mehr als dürftig. Auch partizipative Forschungsansätze sind im Hinblick auf diese Personengruppe kaum entwickelt. Hier leistete das Projekt »Wahlmöglichkeiten sichern!« echte Pionierarbeit und konnte zeigen, dass partizipative Forschung bei diesem Personenkreis keineswegs an ihre Grenzen kommt – wenn Barrierefreiheit umfassend und innovativ von Anfang an mitgedacht wird.

Mit der UN-BRK und ihrem Paradigmenwechsel vom medizinischen zum menschenrechtlichen Modell von Behinderung wurden neue Konzepte in Theorie und Praxis erforderlich. Menschenrechtsbasierte partizipative Forschung zu Fragen des selbstbestimmten Lebens von Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen gehört zu den größten Herausforderungen, denen sich das Forschungsprojekt »Wahlmöglichkeiten sichern!« gestellt hat. Neuere Forschung belegt, dass behinderte Menschen mit komplexen Unterstützungsbedarfen zunehmend von Inklusionsentwicklungen abgekoppelt werden und sich ihre Lebens- und Betreuungsqualität parallel verschlechtern. Die Orientierung an den Menschenrechten, insbesondere Art. 19 UNBRK (Recht auf selbstbestimmtes Leben), an den Prinzipien partizipativer Forschung und an dem Menschenrechtsmodell von Behinderung führte zu ertragreichen Erkenntnissen für Theorie und Praxis. Sie könnten dazu beitragen, dem Zurücklassen dieser behinderten Personen, d. h. ihrem Ausschluss aus Inklusions- und Teilhabeprozessen, entgegenzuwirken.

Das Universalitätsversprechen der Menschenrechte kann nur eingelöst werden, wenn wir neue Formen der unterstützten Entscheidungsfindung und Assistenz in der fachlichen Behindertenarbeit entwickeln. Die Abwendung vom medizinischen Modell von Behinderung erfordert zudem die Überwindung einer Versorgungsmentalität, die eindimensional darauf ausgerichtet ist, Unterstützungsbedarfe sicherzustellen. Erst dann wird der Blick frei für die Erkenntnis der sozialen Konstruktion von Behinderung in diesen besonderen Settings. Aus den Disability Studies wissen wir, dass Erkenntnisse über die soziale Konstruktion von Behinderung nicht nur Wissen über das Phänomen Behinderung, sondern insbesondere Rückschlüsse auf die Konstruktion von Normalität generieren. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn auch in diesem Forschungsprojekt Erkenntnisse über menschliche Entscheidungen als Prozesse gewonnen wurden. Die Vorstellung von der menschlichen Willensbildung als ein rationaler einmaliger Akt wird auch für die Mehrheitsgesellschaft zunehmend infrage gestellt. Neurowissenschaft, Philosophie oder Entscheidungsforschung warten seit geraumer Zeit mit Erkenntnissen auf, die die Vorstellung von der freien rationalen Willensbildung als bewussten autonomen Akt zunehmend ins Wanken geraten lassen.

Diese Erkenntnis ist auch in die UN-BRK und in das Bundesteilhabegesetz (BTHG) eingegangen. Art. 12 UN-BRK geht von der Prämisse der (rechtlichen) Entscheidungsfreiheit für alle behinderten Menschen aus, das Konzept der unterstützten Entscheidungsfindung ist eines der wichtigsten Innovationen in diesem Zusammenhang. Das BTHG ist darauf mit der Personenzentrierung der Eingliederungshilfeleistung und der Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts der Leistungsberechtigten die legislative Antwort. Die vorliegende Publikation liefert nun für den Kreis der behinderten Personen mit komplexen Unterstützungsbedarfen wichtige Forschungsergebnisse für die Praxis. Wir hoffen, dass sich viele Leistungserbringer*innen der Eingliederungshilfe davon inspirieren lassen.

 

Theresia Degener und Kathrin Römisch

Bochum, im Dezember 2021

1     BODYS (Hrsg.) (2021) BODYS-Strategie 2021-2024. Übersicht. Stand Juni 2021, S. 2 (https://www.bodys-wissen.de/files/bodys_wissen/Downloads/BODYS-Strategie%20%C3%9Cbersicht_final.pdf, Zugriff am: 15.09.2021)

Inhalt

 

 

Geleitwort

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort der Herausgeberinnen

Teil I   Projektanlage und Ausgangsanalyse

1   Projekthintergrund

Friederike Koch und Karin Tiesmeyer

1.1   Ursachen für Segregationstendenzen

1.2   Handlungserfordernisse

Literatur

2   Wahlmöglichkeiten sichern! – Anlage des Projekts

Karin Tiesmeyer, Friederike Koch und Peter Franke

2.1   Projektpartner*innen

2.2   Fragestellung und Zielsetzung des Projekts

2.3   Projektphasen

2.4   Partizipative Ausgestaltung

2.5   Anlage der wissenschaftlichen Begleitung

2.6   Ethische Überlegungen

2.6.1   Recht auf Unversehrtheit und Prinzip des Nutzens

2.6.2   Recht auf Selbstbestimmung und informierte Zustimmung/Achtung vor der Würde des Menschen

2.6.3   Recht auf Vertraulichkeit

Literatur

3   Ermittlung und Umsetzung von Wohnwünschen von Menschen mit Behinderung und hohem Unterstützungsbedarf – Einblicke in die Praxis

Eva Weishaupt, Carina Bössing und Karin Tiesmeyer

3.1   Methodisches Vorgehen

3.2   Ergebnisdarstellung

3.2.1   Äußerungen und Ermittlungen von Wohnwünschen

3.2.2   Gründe für eine Wohnveränderung

3.2.3   Realisierung der Wohnveränderung

3.2.4   Reflexion des Wohnveränderungsprozesses

3.3   Diskussion

Literatur

Teil II   Theoretische Hintergründe

4   Anmerkungen zur Kontextualisierung von Komplexer Behinderung

Tobias Bernasconi und Ursula Böing

Literatur

5   Bedürfnisse im Leben von Menschen mit Komplexer Behinderung

Timo Dins, Stefanie Smeets und Caren Keeley

5.1   Einleitung

5.2   Bedürftigkeit, Bedarfe, Bedürfnisse

5.3   Menschen mit Komplexer Behinderung: gewöhnliche Bedürfnisse, außergewöhnliche Bedarfe

5.4   Annäherung an Bedürfnisse: forschungsmethodische Zugangsmöglichkeiten

5.5   Fazit: Implikationen für die professionelle Unterstützung

Literatur

6   Zugänge zur Lebenswelt von Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf jenseits von Verbalsprache

Imke Niediek

6.1   Beeinträchtigung der Kommunikation – ein komplexer Unterstützungsbedarf

6.2   Wohnwünsche-Ermittlung an ihren Grenzen?

6.3   Kommunikative Kompetenz – individuelles Merkmal oder Gemeinschaftsprodukt?

6.4   Alternative Zugänge zu Lebenswelt und Wohnwünschen

6.4.1   Gruppe 1: Personen mit prä-intentionalen kommunikativen Kompetenzen

6.4.2   Gruppe 2: Personen mit vorsymbolischen kommunikativen Kompetenzen

6.4.3   Gruppe 3: Personen mit symbolischen kommunkativen Kompetenzen

6.4.4   Gruppe 4: Personen mit kommunikativen Kompetenzen der Peergroup

6.5   Konsequenzen für professionelles Handeln in der Wohnwünsche-Ermittlung

Literatur

7   Ein mehrdimensionales Modell von Partizipation

Gudrun Dobslaw und Werner Pfab

7.1   Partizipation – Konjunktur und Konfusion eines gesellschaftlichen Leitbegriffs

7.2   Semantiken des Partizipationsbegriffs

7.2.1   Demokratietheoretische Semantik

7.2.2   Die machtreflexive Semantik

7.2.3   Professionale Semantik/Semantik professionellen Handelns

7.2.4   Interaktionale Semantik

7.2.5   Wechselwirkungen und Spannungsfelder der vorgestellten Semantiken

7.3   Schlussüberlegungen

Literatur

8   Eine anerkennungstheoretische Grundlegung für die Forschung mit Menschen mit vielfältigen Beeinträchtigungen

Sigrid Graumann

8.1   Wie lassen sich Wünsche von Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen empirisch erheben?

8.2   »Anerkennung« als Grundlage für eine Beobachtungstheorie

8.2.1   Fundierende Anerkennung (Emmanuel Lévinas)

8.2.2   Qualifizierende Anerkennung (Axel Honneth)

8.3   Eckpunkte einer Beobachtungstheorie als formale sozialtheoretische Konzeption von Anerkennung

Literatur

9   Wohnen für Menschen mit Komplexer Behinderung

Katrin Schrooten und Karin Tiesmeyer

9.1   Wohnen und seine rechtlichen Grundlagen

9.1.1   Baurechtliche Bestimmungen

9.1.2   Leistungsrechtliche Bestimmungen

9.1.3   Wunsch- und Wahlrecht in Bezug auf das Wohnen

9.1.4   Kennzeichen besonderer Wohnformen

9.2   Wohnen in seiner multiperspektivischen Bedeutung – theoretische Annäherung

9.3   Wohnen in empirischen Studien

Literatur

Teil III   Praktische Umsetzung des Projekts

10 Methodische Ansätze der Wohnwunscherhebung im Projekt

Friederike Koch und Detlef Thiel-Rohwetter

10.1 Personenzentrierte Planung

10.1.1 Verbreitung

10.1.2 Theoretischer Hintergrund

10.2 Unterstützte Kommunikation

10.2.1 Die Entwicklung eines internationalen Netzwerks

10.2.2 Einsatzfelder der Unterstützten Kommunikation

10.2.3 Zielgruppe der Unterstützten Kommunikation

10.2.4 Kommunikationsmethoden

10.3 Die angewandten Methoden und Ansätze im Überblick

10.3.1 Methoden aus der Personenzentrierten Planung

10.3.2 Methoden aus der Unterstützten Kommunikation

10.3.3 Methoden aus der Biografiearbeit

Literatur

11 Erhebung und Umsetzung von Wohnwünschen – Fallstudien

Friederike Koch, Detlef Thiel-Rohwetter und Christiane Wilking

11.1 Zugang zum Personenkreis

11.2 Durchführung der Wohnwunscherhebungen – Fallstudien

11.2.1 Wohnwunscherhebung mit Frau C. (aus Sicht der Prozessbegleiterin Christiane Wilking)

11.2.2 Wohnwunscherhebung mit Frau D. (aus Sicht des Prozessbegleiters Detlef Thiel-Rohwetter)

11.2.3 Fallübergreifende Erkenntnisse

11.2.4 Nachtrag

11.3 (Wohn-)Wunschermittlung als phasenorientierter Prozess

11.3.1 Grundsätzliches

11.3.2 Phase 1: »in Kontakt kommen«

11.3.3 Phase 2: »Informationen über die Person«

11.3.4 Phase 3: »Kennenlernen«

11.3.5 Phase 4: »Lebenswelten und Rollen kennenlernen«

11.3.6 Phase 5: »für Wohnwünsche sensibilisieren«

11.3.7 Phase 6: »Zusammenführen der Erkenntnisse« und »Sicherstellung der Umsetzung«

Literatur

12 Beispiele zum Transfer der Projekterkenntnisse

Friederike Koch

12.1 Transferprozess 1: Begleitung und Anleitung einer Bezugsmitarbeiterin

12.2 Transferprozess 2: »So will ich leben!«/Fortbildungsreihe für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen

12.3 Transferprozess 3: Begleitung und Anleitung eines Teams

12.4 Reflexion der Transferprozesse

Teil IV Projektevaluation (aus wissenschaftlicher Perspektive)

13 Methodische Anlage der wissenschaftlichen Evaluation

Dieter Heitmann und Karin Tiesmeyer

13.1 Ethnografie und teilnehmende Beobachtung

13.2 Grounded Theory

13.3 Verschränkung Grounded Theory und Ethnografie: Grounded-Theory-Ethnografie

13.4 Sensibilisierendes Konzept der Grounded-Theory-Ethnografie

13.5 Datenerhebung und Auswertung im Projekt

Literatur

14 Partizipative Zusammenarbeit als (fortlaufender) reflexiver Prozess

Gudrun Dobslaw und Karin Tiesmeyer

14.1 Das Gelingen von Partizipation vollzieht sich in der Interaktion

14.1.1 Studie 1: Fokussierte Interaktion als Strukturierungshilfe

14.1.2 Studie 2: Grounding als konstitutives Element partizipativer Zusammenarbeit

14.2 Diskussion

Literatur

15 Wunschäußerung als gemeinsamer Herstellungsprozess – übergreifende Auswertung

Carina Bössing und Karin Tiesmeyer (unter Mitwirkung von Annika Kühl)

15.1 Ausgangssituation

15.2 Beginn des Prozesses der Wohnwunschermittlung und -äußerung

15.3 Den Prozess gestalten

15.4 Zusammenarbeiten: Unterstützungskreis

15.5 (Wahl-)Möglichkeiten denken und erleben können

15.6 Wohnwunschäußerung als gemeinsamer Herstellungsprozess – übergreifende Betrachtung und Einordnung

Literatur

Teil V Perspektiven und Herausforderungen

16 Wahlmöglichkeiten für Menschen mit Komplexer Behinderung: eine realistische Perspektive im Kontext des BTHG?

Mark Weigand

16.1 BTHG: Hintergrund und Zielsetzung

16.2 Wunsch- und Wahlrecht: Grundlage für die Leistungserbringung

16.3 Das Gesamtplanverfahren als Grundlage personenorientierter Leistungserbringung

16.4 Zur Umsetzung des BTHG in NRW

16.5 Herausforderungen für die Leistungserbringer

16.6 Sicherung von Wahlmöglichkeiten von Menschen mit Komplexer Behinderung – kritische Reflexion

16.7 Fazit

Literatur

17 Statements von Projektbeteiligten/Rückmeldungen und Herausforderungen

17.1 Andrea Smajlovic, Mutter einer Projektbeteiligten

17.2 Andree Weiß, Bereichsleitung in Bethel.regional

17.3 Annika Kühl, Mitarbeiterin in Bethel.regional und Projektmitarbeiterin an der Ev. Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe

17.4 Jeanette Merkel für die Selbstvertretungsgruppe »Krebse«

17.5 Jürgen Kockmann, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Abteilungsleiter Inklusionsamt Soziale Teilhabe

17.6 Dr. Dieter Schartmann, Landschaftsverband Rheinland, Leiter des Fachbereichs Eingliederungshilfe

17.7 Dr. Monika Seifert, Sozialwissenschaftlerin, Fachreferentin und Autorin

Literatur

18 Entwicklungsperspektiven für Praxis und Wissenschaft

Friederike Koch und Karin Tiesmeyer

18.1 Herausforderungen für Leistungserbringer und Leistungsträger

18.2 Herausforderung für Wissenschaft

Die Autorinnen und Autoren

Anhang

Anlage 1: Transkriptionsregeln (Kuckartz 2014, S. 136 f.) ( Kap. 3, Kap. 13, Kap. 15)

Anlage 2: GAT 2 – Basistranskript ( Kap. 14)

Abkürzungsverzeichnis

 

 

AAC

Augmentative (ergänzende) and Alternative (ersetzende) Communication

Ang.

Angehörige

ASS

Asperger-Syndrom

BK

Beobachtungsprotokoll

BMAS

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

BODYS

Bochumer Zentrum für Disability Studies

BTHG

Bundesteilhabegesetz

BZMA

Bezugsmitarbeiter*in

DGP

Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft

DHG

Deutsche Gesellschaft für Heilpädagogik

EVH/Ev. Hochschule RWL

Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe

ex.

exemplarisch

ExpPrax

Experte/Expertin aus der Praxis

ExpWiss

Experte/Expertin Wissenschaft

HEP

Heilerziehungspflegende

ICF(-CY)

International Classification of Functioning, Disability and Health. Children and Youth Version

IGL

In der Gemeinde Leben gGmbH

IHP-3

Individueller Hilfeplan-3

Int.

Interview

ISAAC

International Society for Augmentative and Alternative Communication

IP

Interviewpartner*in

LVR

Landschaftsverband Rheinland

MA

Mitarbeitende

MAPS

Making Action Plans

PATH

Planning Alternatives Tomorrows with Hope

PEG-Sonde

Percutane Endoskopische Gastrostomie-Sonde (Sonde durch die Bauchdecke in den Magen zur Ernährung)

SGB

Sozialgesetzbuch

UN-BRK

UN-Behindertenrechtskonvention, Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen

UK

Unterstützte Kommunikation

WTG

Wohn- und Teilhabegesetz

WfbM

Werkstätten für behinderte Menschen

Vorwort der Herausgeberinnen

 

 

Nach Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention müssen Menschen mit Behinderung die gleichen Möglichkeiten wie alle Menschen haben, um in der Gemeinschaft zu leben und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Dies soll u. a. durch die Gewährleistung der gleichberechtigten Möglichkeit der Wahl und der selbstbestimmten Entscheidung, wo, wie und mit wem sie leben wollen, erreicht werden. Dieses mit der UN-BRK formulierte Recht findet sich auch im Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (BTHG), das 2016 in Deutschland verabschiedet wurde.

Doch obgleich sich in den letzten Jahrzehnten in der Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigungen ein Wandel hin zu mehr Selbstbestimmung, Teilhabe, Sozialraumorientierung und inklusivem Wohnen vollzogen hat, belegen neuere Untersuchungen, dass Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf hiervon wenig profitieren. Sie leben nach wie vor überwiegend in gemeinschaftlichen Wohnformen, selten in kleinen Wohngruppen und kaum allein in der eigenen Wohnung. Wahlmöglichkeiten für diesen Personenkreis im Sinne eines Wohnens außerhalb spezialisierter Einrichtungen sind durch die bisher vorwiegend entlang der Höhe des Hilfebedarfs – und nicht an den individuellen Wünschen und Bedarfen der Betroffenen – ausdifferenzierten Wohnangebote deutlich eingeschränkt.2

Für Menschen mit Komplexer Behinderung und umfassendem Assistenzbedarf stellt sich diese Situation noch verschärfter dar, weil sie eigene Wohnwünsche oft nicht verbalsprachlich artikulieren (können) und deren Erfassung für andere Personen daher erschwert ist. Zwar zeigt sich in Studien zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderung, dass Wünsche zur Veränderung im Sinne eines Wohnortwechsels bestehen3, jedoch wird auch deutlich, dass die sichere Erforschung des Wunsches hohe Anforderungen an die Qualität der Instrumente stellt.4 Die hierzu erforderlichen aufwendigeren Forschungsmethoden führen vielfach zudem zu einem Ausschluss dieser Personengruppen aus Studien, so dass ihre Sichtweisen und Bedarfe wenig erforscht und damit auch in der Wissenschaft wenig in den Blick genommen werden.

Diesem hier skizzierten Themenfeld der »Wohnwünsche von Menschen mit Komplexer Behinderung« und den bestehenden Herausforderungen widmet sich das vorliegende Buch »Wohnwunschermittlung bei Menschen mit Komplexer Behinderung. Wahlmöglichkeiten sichern«. Dessen Veröffentlichung markiert das Ende eines langjährigen kooperativen Arbeitsprozesses und soll gleichzeitig als Impulsgeber für weitere gemeinsame Prozesse von Wissenschaft und Praxis dienen.

Den ersten Anstoß, sich mit dem Thema »Wohnen für Menschen mit Behinderung und hohem Unterstützungsbedarf« auseinanderzusetzen, setzte die Förderreihe »Pflege inklusiv« der Stiftung Wohlfahrtspflege. In einem gemeinsamen Gespräch zwischen Bethel.regional und der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe ging es zunächst um die Frage, inwiefern ein neues innovatives Wohnangebot für Menschen mit Behinderung und Pflegebedarf entwickelt und evaluiert werden kann. In der weiteren gemeinsamen Auseinandersetzung wurde jedoch schnell deutlich, dass es bereits viele innovative Wohnangebote gibt, aber Menschen mit Komplexer Behinderung hiervon weniger zu profitieren scheinen. Dies führte zu der zentralen Frage, wie Menschen mit Komplexer Behinderung wohnen möchten und inwiefern die Umsetzung dieser Wünsche ermöglicht werden kann. Schließlich entwickelte sich daraus die Themenstellung des Kooperationsprojekts »Wahlmöglichkeiten sichern – Wohnen für Menschen mit Komplexer Behinderung und pflegerischem Unterstützungsbedarf«.

Seit dem ersten Gespräch sind inzwischen sechs Jahre vergangen, in denen eine gemeinsame Antragsstellung bei der Stiftung Wohlfahrtspflege auf den Weg gebracht wurde, die Umsetzung des Projektes erfolgte und die Auswertung der Ergebnisse nun mit diesem Buch vorgestellt werden. Es waren herausfordernde, vor allem aber spannende Jahre, die uns einen tieferen Einblick in die Wohn- und Lebenswelt von Menschen mit Komplexer Behinderung ermöglicht haben.

Mit diesem Buch möchten wir nun nicht nur die Ergebnisse vorstellen, sondern zugleich einen Einblick in die Anlage und Umsetzung des Projektes in seiner Vielschichtigkeit und Komplexität ermöglichen. Dabei führen wir mit diesem Buch die im Projekt umgesetzte enge Verschränkung von Praxis und Theorie mit der Erfahrung und Überzeugung fort, dass diese Verschränkung eine wechselseitige Bereicherung ermöglicht.

Da die Bearbeitung des Projektes und die Veröffentlichung dieses Buches nie ohne die Mitwirkung sehr vieler Personen möglich gewesen wäre, ist es uns an dieser Stelle wichtig, vielen Menschen Dank zu sagen. Bedanken möchten wir uns zunächst bei unserem Projektteam, das auch über die Projektzeit hinaus mit viel Engagement an dem Thema gearbeitet und dadurch auch dieses Buch ermöglicht hat: In der Ev. Hochschule RWL sind das Carina Bössing, Annika Kühl, Katrin Schrooten, Eva Weishaupt und Prof. Dr. Dieter Heitmann. In Bethel.regional haben Detlef Thiel-Rohwetter, Christiane Wilking und Peter Franke mitgearbeitet.

In der Anlage des Projekts wie auch in der Durchführung hat uns der Grundgedanke einer engen Verknüpfung von Theorie und Praxis, von Wissenschaft und Arbeitsfeld geleitet. Die Zusammenarbeit zwischen den Kolleg*innen5 aus Wissenschaft und Praxis war eine sehr gelungene und hat manche Stolpersteine, die bei Kooperationsprojekten zwangsläufig entstehen, mit gegenseitiger Wertschätzung, Kreativität und Humor aus dem Weg geräumt. Danke an euch – ihr wart ein tolles Team!

Das Projekt »Wahlmöglichkeiten sichern!« wäre nicht realisierbar gewesen ohne die Bereitschaft der Menschen, mit denen wir Wohnwünsche erhoben und die es uns dabei erlaubt haben, Einblicke in ihre Lebenswelt und ihre Wünsche zu erhalten. Ihnen sowie ihren Angehörigen und den unterstützenden Fachkräften in Bethel.regional gilt unser besonderer Dank!

Im Projektverlauf haben wir viele wertvolle Hinweise von unterschiedlichen Personen(-gruppen) erhalten, die uns ihre Zeit und ihre Expertise zur Verfügung gestellt haben.6 Besonders erwähnen möchten wir hier die Selbsthilfegruppe »Krebse«, mit denen wir uns über drei Jahre regelmäßig zu einem intensiven und konstruktiven Austausch über partizipative Forschung getroffen haben, unsere Kooperationspartner IGL und Prof. Dr. Gudrun Dobslaw sowie BODYS für die beratende und begleitende Unterstützung. Unser Dank gilt auch all denjenigen, die sich mit einem eigenen Beitrag an dieser Publikation beteiligt haben und sich nicht von unseren Rückfragen oder Hinweisen zur Überarbeitung in ihrem Engagement haben bremsen lassen. Und schließlich bedanken wir uns bei der Stiftung Wohlfahrtspflege für die Finanzierung des Projekts und beim Kohlhammer Verlag für die gute und kooperative Zusammenarbeit!

Zur Anlage dieses Buches: Das Buch ist in fünf Teile gegliedert und beschreibt den Prozess der Umsetzung sowie den Erkenntnisgewinn. In Teil I führen Karin Tiesmeyer, Friederike Koch und Peter Franke in die Anlage des Projekts »Wahlmöglichkeiten sichern!« ein: Welche Fragestellungen wurden bearbeitet, wer war beteiligt und wie war die Vorgehensweise im Projekt? Auch zu Fragen von Partizipation und ethischen Überlegungen wird Stellung genommen. Ergänzt wird dieser Teil durch die Darstellung einer Interviewstudie zu Erfahrungen mit Wohnveränderungen, beschrieben von Eva Weishaupt, Carina Bössing und Karin Tiesmeyer.

Teil II enthält sechs wissenschaftliche Beiträge zu verschiedenen mit dem Personenkreis der Menschen mit Komplexer Behinderung verknüpften Themen, die den theoretischen Hintergrund des Projektes bilden: Tobias Bernasconi und Ursula Böing setzen sich mit dem Begriff »Komplexe Behinderung« auseinander. Timo Dins, Stefanie Smeets und Caren Keeley diskutieren Bedürfnisse und Bedarfe von Menschen mit Komplexer Behinderung und stellen Ergebnisse des Forschungsprojekts »Teil ¬ sein & Teil ¬ haben®« vor. Imke Niediek beschreibt methodische Zugänge zur Kommunikation mit Menschen mit Komplexer Behinderung jenseits von Verbalsprache. Eine Diskussion des Begriffs »Partizipation« aus verschiedenen Blickwinkeln im Kontext der Sozialen Arbeit und ihrer Bezugswissenschaften findet sich im Beitrag von Gudrun Dobslaw. Sigrid Graumann setzt sich mit der Bedeutung von Anerkennung als soziale Person im Zusammenhang mit Wünschen und Bedürfnissen auseinander. Schließlich beschreiben Katrin Schrooten und Karin Tiesmeyer sowohl rechtliche Grundlagen als auch vielfältige Dimensionen des Wohnens für Menschen mit Komplexer Behinderung.

Teil III veranschaulicht den konkreten Prozess der Wohnwunschermittlung im Praxisfeld. Friederike Koch, Detlef Thiel-Rohwetter und Christiane Wilking stellen sowohl die methodischen Ansätze als auch exemplarisch zwei Fallstudien differenziert vor. Die angewandten Methoden werden ebenso beschrieben wie erste Erkenntnisse für den Prozess der Wohnwunschermittlung mit Menschen mit Komplexer Behinderung.

In Teil IV wird die Projektevaluation von Karin Tiesmeyer, Carina Bössing, Gudrun Dobslaw und Dieter Heitmann dargelegt. Dabei wird zunächst das methodische Vorgehen mit Blick auf die Projektevaluation beschrieben. Teil der Evaluation war auch die Frage, inwieweit die partizipative Forschung hinsichtlich der gemeinsamen Arbeit von Menschen mit Komplexer Behinderung gelingt. Schließlich werden die Projektergebnisse aus wissenschaftlicher Sicht in einer übergreifenden Auswertung dargelegt, in der die Wohnwunschäußerung als gemeinsamer Herstellungsprozess beschrieben wird.

Teil V beschäftigt sich mit den Herausforderungen, die sich aus der Umsetzung der Projekterkenntnisse ergeben. Mark Weigand analysiert dazu am Beispiel von Nordrhein-Westfalen die Chancen und Herausforderungen, die aus der Umsetzung des BTHG resultieren. In einem weiteren Kapitel kommen Projektbeteiligte mit ihren Statements zum Projekt zu Wort. Die Herausgeberinnen schließen den Band mit einem resümierenden Beitrag zu den übergreifenden Handlungserfordernissen.

Mit dieser Publikation verbinden wir das Anliegen, Einblicke in die (Wohn-)Wünsche von Menschen mit Komplexer Behinderung zu geben, deren Gestaltungsspielraum weitaus stärker noch als bei anderen Personen von dem Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Abhängigkeit bestimmt ist. Wahlmöglichkeiten in der individuellen Lebensführung und erst recht in der Wahl der Wohnform sind für Menschen mit Komplexer Behinderung nach wie vor abhängig von den jeweils geltenden sozialrechtlichen Rahmenbedingungen und weniger von ihren individuellen Wünschen.

Wir hoffen, dass wir mit diesem Band interessante Erkenntnisse zu Wohnwünschen von Menschen mit Komplexer Behinderung zusammengestellt haben, die für Wissenschaft wie für Praxis anregende Impulse geben.

Bielefeld, im Dezember 2021

 

Prof. Dr. Karin TiesmeyerEvangelische HochschuleRheinland-Westfalen-Lippe

Dr. Friederike Kochv. Bodelschwinghsche Stiftungen BethelBethel.regional

2     Franz D, Beck I (2015) Evaluation des Ambulantisierungsprogramms in Hamburg. Hamburg: Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) Hamburg e. V., S. 164 f.

3     Schäfers M (2008) Lebensqualität aus Nutzersicht. Wie Menschen mit geistiger Behinderung ihre Lebenssituation beurteilen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 329

4     Schäfers M (2008) Lebensqualität aus Nutzersicht. Wie Menschen mit geistiger Behinderung ihre Lebenssituation beurteilen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 158 ff.

5     In diesem Herausgeberband wird hinsichtlich der Pluralformen der »Gender-Stern« oder die neutrale Form genutzt, um alle Geschlechter anzusprechen. Wenn bei bestimmten Begriffen, die sich auf Personengruppen beziehen, nur die männliche Form gewählt wurde, so ist dies nicht geschlechtsspezifisch gemeint, sondern geschah ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit.

6     Die Kooperationspartner sowie die Netzwerke, die das Projekt unterstützt haben, werden in Kap. 2 vorgestellt.

Teil I    Projektanlage und Ausgangsanalyse

1          Projekthintergrund

Friederike Koch und Karin Tiesmeyer

Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) verweist auf die rechtliche Verpflichtung, soziale Teilhabe für Menschen mit Beeinträchtigungen in Richtung einer »möglichst selbständige[n] und selbstbestimmte[n] Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern« (§ 4 Abs. 1, 4 SGB IX; § 2 Abs. 1, SGB XI) und die Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts zu befördern (§ 9 Abs. 3 SGB IX; § 2 Abs. 2, SGB XI).

In den letzten Jahrzehnten hat sich in der Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen ein Wandel vollzogen. So hat die Ausrichtung auf Selbstbestimmung und soziale Teilhabe zu vielfältigen ambulanten Unterstützungsangeboten geführt, bei denen gemeindeintegriertes Wohnen sowie Sozialraumorientierung einen hohen Stellenwert einnehmen. Hierdurch wurden die Wahlmöglichkeiten in Bezug auf das Wohnen für Menschen mit Assistenzbedarf deutlich verbessert.

Neuere Untersuchungen belegen jedoch, dass nicht alle Menschen gleichermaßen von diesen Veränderungen der Angebotslandschaft profitieren. So zeigt sich in Erhebungen, dass Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf in ambulanten Settings deutlich unterrepräsentiert sind (Seifert 2010, S. 377 f.; Franz & Beck 2015; Schädler et al. 2008). Hinzu kommt, dass mit Einführung der Pflegeversicherung (1995) die Gefahr gesehen wird, Menschen mit hohem Unterstützungs- und Pflegebedarf auf Pflegeheime zu verweisen (ex. Seifert et al. 2001; Thimm et al. 2018). Wohnangebote sind nach wie vor überwiegend entlang der Höhe des Hilfebedarfs ausdifferenziert und Wahlmöglichkeiten damit für Menschen mit Komplexer Behinderung deutlich eingeschränkt (Franz & Beck 2015, S. 164 f.). In der Folge verbleiben vor allem Menschen mit hohem Unterstützungs- und Pflegebedarf7 in besonderen Wohnformen (vor Einführung des BTHG: »stationären Wohnangeboten«), wodurch die Segregation dieses Personenkreises befördert wird.

Diese Studienergebnisse werden im aktuellen Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen (BMAS 2021) erneut untermauert:

»So zeigen die Statistiken zu den betreuten Wohnformen, dass Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung besonders häufig in besonderen Wohnformen leben, obwohl Studienergebnissen zufolge dies oft nicht ihre bevorzugte Wohnform ist. Hinsichtlich der Verwirklichung der eigenen Wünsche und bezüglich der freien Wahl des Wohnortes ist dieser Befund als problematisch einzuschätzen« (BMAS 2021, S. 380).

Und weiter heißt es dort: »Die Ermöglichung einer selbstbestimmten Lebensführung erfolgt neben der Bereitstellung geeigneten barrierefreien Wohnraums wesentlich über Wahlmöglichkeiten im Hinblick auf Unterstützungsformen« (BMAS 2021, S. 384). Damit ist die Umsetzung des Artikels 19a der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und die Frage, inwiefern Menschen mit Beeinträchtigung das Recht haben, »ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben« (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, S. 17 f.), »wesentlich von Art und Umfang vorhandener Beeinträchtigungen beziehungsweise der erforderlichen Unterstützung« beeinflusst (BMAS 2021, S. 384). Die Wohnqualität, die Verfügbarkeit und Qualität sozialer Dienste sowie die Rahmenbedingungen der Finanzierung von wohnbezogenen Hilfen sind für viele Menschen mit Beeinträchtigungen eng miteinander verknüpft. »Dies gilt insbesondere für Personen mit kognitiven und/oder erheblichen körperlichen und Sinnesbeeinträchtigungen, die auf umfassende und häufig dauerhafte personelle Unterstützung zur Bewältigung ihres Alltags (z. B. Haushaltsführung, Gesundheitsförderung und Pflege, psychosoziale Unterstützung) angewiesen sind.« (BMAS 2021, S. 384).

1.1       Ursachen für Segregationstendenzen

Die erneut im Teilhabebericht aufgezeigten Segregationstendenzen in Bezug auf Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf haben verschiedene Ursachen, die sich zum Teil wechselseitig beeinflussen und verstärken:

•  Leistungsangebote, die die Notwendigkeit erhöhter Präsenz von Mitarbeitenden mit sich bringen, werden aktuell in ambulanter Form nicht ausreichend finanziert bzw. in Form von Kombinationsleistungen an den Schnittstellen der sozialrechtlichen Finanzierungssysteme nicht hinreichend ausgestaltet. Zudem fehlt angemessener bzw. geeigneter Wohnraum (Franz & Beck 2015, S. 117 ff.).

•  Das Leben in gemeinschaftlichen Wohneinrichtungen wird von Angehörigen der Menschen mit hohen Hilfebedarfen und Mitarbeitenden von Einrichtungen und Diensten oft als alternativlos angesehen, da eine hohe Intensität pädagogischer und pflegerischer Unterstützungsleistungen im Rahmen der bestehenden Hilfelandschaft oftmals nur in vollstationären Zusammenhängen »gedacht wird« (Seifert 2010, S. 179 f., 203; Schädler et al. 2008). Dies wird dadurch verstärkt, dass die hohe erforderliche Präsenszeit aus Sicht von Trägerverantwortlichen und Mitarbeitenden die Differenzierungslinie von ambulanten und stationären/besonderen Wohn- und Unterstützungssettings verwischt und aus dieser Warte Vorzüge ambulanter Wohnformen kaum noch gesehen werden (Franz & Beck 2015, S. 130 ff.).

•  Menschen mit umfassenden Beeinträchtigungen können eigene Wohnwünsche häufig nicht direkt artikulieren und für diejenigen, die sie im Alltag begleiten, ist die Erfassung dadurch erschwert. Zwar zeigt sich in Studien zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderung, dass Wünsche zur Veränderung im Sinne eines Wohnortwechsels bestehen (Schäfers 2008, S. 329), jedoch wird auch deutlich, dass die sichere Erforschung des Wunsches hohe Anforderungen an die Qualität der Instrumente stellt (Schäfers 2008, S. 158 ff.). Die dadurch notwendigen aufwendigen Forschungsmethoden führen vielfach zu einem Ausschluss dieser Personengruppen aus Studien, so dass ihre Sichtweise wenig berücksichtigt wird. Zudem können Unsicherheiten hinsichtlich der stellvertretenden Deutung von Wohnwünschen bei Angehörigen und Professionellen mitunter Hemmungen auslösen, Entscheidungen von großer Tragweite (Änderung der Wohn-/Betreuungsform) voranzutreiben. Und selbst Befragungsergebnisse mit geringen Ausprägungen von Veränderungswünschen der Wohnform bedürfen einer kritischen Reflexion. So wirken langjährige Sozialisationserfahrungen in stationären Einrichtungen im Sinne eines »Zufriedenheitsparadoxon«, bei dem auch objektiv schlechte Lebensbedingungen von den betroffenen Menschen mit Behinderung positiv gedeutet werden, weil Erfahrungen und Wissen über denkbare Wahlmöglichkeiten fehlen (Hagen 2002, S. 295).

Vor diesem Hintergrund werden Wohn- und Lebenswünsche in der Regel nur im Rahmen dieser »gesetzten« Grenzen erhoben und befördert. Wahlmöglichkeiten im Sinne einer realisierbaren Option einer Wohnalternative außerhalb spezialisierter Einrichtungen sind kaum möglich (vgl. auch Franz & Beck 2015, S. 16). In der Folge führen diese Aspekte dazu, dass Menschen mit höheren Hilfe- und Pflegebedarfen in besonderen Wohnformen verbleiben.

Das wiederum führt zu der Gefahr einer Teilung der Gruppe bislang stationär betreuter Menschen mit Behinderung im Sinne einer Segregationsbewegung in »ambulantisierbare« und »nicht ambulantisierbare« Menschen, die einer Zuordnung der Menschen nach Höhe des Hilfebedarfs folgt (vgl. auch Franz & Beck 2015, S. 164 f., 172 f.). Um diesem Risiko entgegenzuwirken, müssen Menschen mit Behinderung und umfassenden Unterstützungsbedarfen in den Bereichen soziale Teilhabe, selbstbestimmte Lebensführung und Pflege bei der Umsetzung des Anspruchs auf freie Wahl des Wohnortes deutlich stärker berücksichtigt werden (Rohrmann & Weber 2015, S. 231).

1.2       Handlungserfordernisse

Die Erhebung von Wohnwünschen und eine nachfolgende Realisierung von Wahlmöglichkeiten erfordert ein Umdenken in der bisherigen Vorgehensweise, um den Bedarfslagen der Betroffenen Rechnung zu tragen. Für beide Aspekte – 1) die Erhebung des Wohnwunsches und 2) die Umsetzung dieser Wünsche in Bezug auf Wohnen – gibt es für Menschen mit Komplexer Behinderung aufgrund struktureller wie auch personengebundener Gründe bislang noch keine erprobten Modelle und Konzepte. Es fehlen Kenntnisse darüber, wie die Wünsche, insbesondere von Menschen, die sich nicht oder nur eingeschränkt verbalsprachlich äußern, ermittelt werden können und wie deren Umsetzung unterstützt werden kann.

Zentrale Herausforderungen sind damit:

1.  die Entwicklung und Erprobung von Methoden und Instrumenten zur Erfassung individueller Wünsche und Zukunftsperspektiven von Menschen mit Komplexer Behinderung in besonderen Wohnformen (unter Berücksichtigung von Aspekten »›konditionierter‹ Nichtselbständigkeit« (Gerspach & Mattner 2004, S. 76) sowie

2.  eine daran anschließende Entwicklung und Bereitstellung von Wohnangeboten (jenseits der Orientierung und Zuweisung an der Höhe des Hilfebedarfs).

Hinweise zur Ermittlung von Wohn- und Lebensperspektiven finden sich in der Methode der Zukunftsplanung. Sie ermöglicht es, durch die Verknüpfung unterschiedlicher methodischer Zugänge, Wünsche und Bedürfnisse systematisch zuzulassen und zu erfassen und durch eine darauf aufbauende kreative Planung zu realisieren (Doose 2013). Die Methode wird durch Netzwerke und internationale Forschungsprojekte weiterbefördert (ex. New paths to Inclusion 2013–2015).

Eine zentrale Erkenntnis daraus ist, dass die Entwicklung von Zukunftsperspektiven mit Organisations- und Sozialraumentwicklung einhergehen muss. Echte Wahlmöglichkeiten erfordern die Bereitstellung oder Entwicklung alternativer Wohn- und Unterstützungsangebote, die den Wünschen, Bedürfnissen und Bedarfen entsprechen (ex. New paths to Inclusion 2013–2015).

Für den Personenkreis von Menschen mit Komplexer Behinderung und hohem Unterstützungs- und Pflegebedarf ist die o. g. Methode jedoch bisher noch nicht konsequent weiterentwickelt. Es fehlt an evaluierten Konzepten, die eine systematische Erfassung und Entwicklung von Wohnwünschen und Zukunftsperspektiven von Menschen mit Komplexer Behinderung ermöglichen.

Mit der Umsetzung von Wohnwünschen muss auch die Bereitstellung gewünschter, bedürfnis- und bedarfsgerechter Unterstützungsangebote einhergehen. Studien zeigen, dass insbesondere im Hinblick auf ambulante Unterstützungsangebote diese Voraussetzungen als nicht hinreichend erfüllt erlebt werden (Hellmann et al. 2007; Hofmeister et al. 2010). Die Ausgestaltung von Unterstützungsarrangements ist derzeit geprägt vom Spannungsfeld zwischen:

•  sozialrechtlich unterschiedlichen Anforderungen der Eingliederungshilfe und Pflegeversicherung,

•  unterschiedlichen disziplinären Perspektiven und

•  Aushandlungsprozessen unterschiedlicher professioneller Akteur*innen, die insbesondere zwischen pflegerisch und (heil-)pädagogisch qualifizierten Professionellen nicht immer konfliktfrei verlaufen (Seifert et al. 2001; Tiesmeyer 2003).

Wie genau diese Ausgestaltung in den unterschiedlichen Unterstützungsarrangements erfolgen kann und welche gemeinsam geteilte Wissensbasis und Kompetenzerweiterungen (insbesondere im Bereich der Pflege) dazu ggf. notwendig sind, ist bisher nicht hinreichend untersucht (Tiesmeyer 2015).

Literatur

Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen (Hrsg.) (2018) Die UN-Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die amtliche, gemeinsame Übersetzung von Deutschland, Österreich, Schweiz und Lichtenstein. Bonn, Stand November 2018 (https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/DB_Menschenrechtsschutz/CRPD/CRPD_Konvention_und_Fakultativprotokoll.pdf, Zugriff am: 25.10.2021)

BMAS (Hrsg.) (2021) Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen 2021 (https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a125-21-teilhabebericht.html, Zugriff am: 31.05.2021)

Doose S (2013) I want my dream. Persönliche Zukunftsplanung. Neue Perspektiven und Methoden einer personenzentrierten Planung mit Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen. 10. aktualisierte Auflage. Neu-Ulm: AG SPAK Bücher (Materialien der AG SPAK, M 274)

Franz D, Beck I (2015) Evaluation des Ambulantisierungsprogramms in Hamburg. Hamburg: Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) Hamburg e. V.

Gerspach M, Mattner D (2004) Institutionelle Förderprozesse von Menschen mit geistiger Behinderung. Stuttgart: Kohlhammer

Hagen J (2002) Zur Befragung von Menschen mit einer geistigen oder mehrfachen Behinderung, Geistige Behinderung, 41(4), S. 293–306

Hellmann M, Borchers A, Olejniczak C (2007) Perspektiven alternder Menschen mit schwerster Behinderung in der Familie – Abschlussbericht. Hannover: Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung GmbH an der Universität Hannover (https://www.bmfsfj.de/resource/blob/79206/8e6fe8701056e070f5741b9ea8cc9832/perspektiven-alternder-menschen-data.pdf, Zugriff am: 31.05.2021)

Hofmeister G, Barth C, Fuhr D (2010) Selbstbestimmt Wohnen im Alter – Gestaltung sozialer Infrastruktur für Menschen mit Behinderung angesichts demografischer Herausforderungen. Abschlussbericht. Modellprojekt gefördert über das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (https://www.rehadat-forschung.de/export/sites/forschung-2021/lokale-downloads/BMAS/FO125137_Abschlussbericht.pdf, Zugriff am: 31.05.2021)

New paths to Inclusion (2013–2015) Das europäische Netzwerk »Neue Wege zur InklUsion«. Veränderung durch personenzentrierte und sozialräumliche Unterstützung (http://www.lmbhh.de/fileadmin/user_upload/Wunschwege/2656-NewPaths-leaflet-DE-05.pdf; Zugriff am: 12.05.2021)

Rohrmann A, Weber E (2015) Selbstbestimmt leben. In: Degener T, Diehl E (Hrsg.) Handbuch Behindertenrechtskonvention. Teilhabe als Menschenrecht – Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung (Schriftenreihe, Band 1506), S. 226–239

Schädler J, Rohrmann A, Schwarte N (2008) Forschungsprojekt »Selbständiges Wohnen behinderter Menschen – Individuelle Hilfen aus einer Hand«. Forschungsgruppe IH-NRW. Unter Mitarbeit von Laurenz Aselmeier, Katharina Grebe, Christof Stamm, Hanna Weinbach und Timo Wissel. Siegen: Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen

Schäfers M (2008) Lebensqualität aus Nutzersicht. Wie Menschen mit geistiger Behinderung ihre Lebenssituation beurteilen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Seifert M (2010) Kundenstudie. Bedarf an Dienstleistungen zur Unterstützung des Wohnens von Menschen mit Behinderung. Berlin: Rhombos-Verlag

Seifert M, Fornefeld B, Koenig P (Hrsg.) (2001) Zielperspektive Lebensqualität. Eine Studie zur Lebenssituation von Menschen mit schwerer Behinderung im Heim. Bielefeld: Bethel-Verlag

Thimm A, Rodekohr B, Dieckmann F, Haßler T (2018) Forschungsprojekt »Modelle für die Unterstützung der Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung im Alter innovativ gestalten (MUTIG)«. Erster Zwischenbericht: Wohnsituation Erwachsener mit geistiger Behinderung in Westfalen-Lippe und Umzüge im Alter. Münster: KathHO NRW

Tiesmeyer K (2003) Selbstverständnis und Stellenwert der Pflege in der Begleitung von Menschen mit schwerer Behinderung. Veröffentlichungsreihe des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld (IPW). Bielefeld: IPW (http://www.uni-bielefeld.de/gesundhw/ag6/downloads/ipw-123.pdf, Zugriff am: 20.01.2016)

Tiesmeyer K (2015) Unterstützung von älteren Menschen mit Behinderung und erhöhtem Pflegebedarf – Wissenschaftliche Herausforderungen, Pflege & Gesellschaft, 20(3), S. 241–262

7     Personen der sogenannten Hilfebedarfsgruppen IV und V nach dem H.M.K.-W.-Verfahren. Zwischen der Höhe des Hilfebedarfs nach dem H.M.K.-W.-Verfahren und dem Vorhandensein einer Pflegestufe bestehen eindeutige Korrelationen, auch wenn – nach Franz & Beck (2015) – der körperliche Pflegebedarf nicht alleiniger Indikator für die Höhe des gesamten Hilfebedarfs ist (Franz & Beck 2015, S. 178 f.).

2          Wahlmöglichkeiten sichern! – Anlage des Projekts

Karin Tiesmeyer, Friederike Koch und Peter Franke

Das im Zeitraum von Oktober 2016 bis Dezember 2019 durchgeführte Kooperationsprojekt »Wahlmöglichkeiten sichern!« hat die im Projekthintergrund beschriebenen Herausforderungen aufgegriffen und weiterbearbeitet. So wurden Methoden und Instrumente zur Erfassung individueller Wünsche und Zukunftsperspektiven von Menschen mit Komplexer Behinderung, die überwiegend nicht sprachlich kommunizieren, entwickelt und erprobt sowie die Umsetzung der erhobenen Wohnwünsche vorbereitet und – soweit möglich – begleitet.

Projektbeteiligte waren Mitarbeiter*innen des Stiftungsbereichs Bethel.regional der Stiftung Bethel unter der Leitung von Dr. Friederike Koch sowie der Ev. Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe unter der Leitung von Prof. Dr. Karin Tiesmeyer.

2.1       Projektpartner*innen

•  Stiftung Bethel/Bethel.regionalDer Stiftungsbereich Bethel.regional ist Teil der Stiftung Bethel, die als Träger diakonischer Dienste zum Verbund der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel gehört. Bethel.regional ist in 28 Kommunen und Kreisen in Westfalen und im Rheinland vertreten, so z. B. in Bielefeld und Ostwestfalen, in Dortmund, Hagen, Oberhausen, Siegen, Hamm, Höxter, Paderborn oder Unna. Ca. 4.500 Mitarbeitende verschiedener Professionen unterstützen mit vielfältigen Assistenzangeboten ca. 7.000 Menschen mit Behinderungen bei der Wahrnehmung ihres Rechts auf Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben und bei der Integration in den gesellschaftlichen Alltag. Die personenorientierte Ausrichtung der Assistenzleistungen am Willen der Person unter Einbeziehung lebensweltlicher und sozialräumlicher Aspekte bilden dabei die Grundlage des professionellen Handelns. Standards und Verfahren für die Teilhabeplanung sowie deren Umsetzung sind in Rahmenkonzepten beschrieben und werden regelmäßig in Qualitätsprozessen überprüft.

•  Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Protestant University of Applied Sciences (EvH RWL)Die Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe ist mit rund 2.500 Studierenden die größte evangelische Hochschule in Deutschland. Getragen von den evangelischen Landeskirchen im Rheinland, in Westfalen und Lippe sowie staatlich anerkannt, qualifiziert die Hochschule für soziale, pädagogische, pflege- und gesundheitsbezogene sowie kirchliche Berufe. Das Studienangebot umfasst sechs Bachelorstudiengänge sowie zwei Masterstudiengänge. Lehre, Forschung und Transfer der Hochschule sind ausgerichtet auf Aufgaben und Problemstellungen des Sozial- und Gesundheitswesens, der Diakonie und der kirchlichen wie außerkirchlichen Bildungsarbeit. Forschung und Transfer fokussieren die partizipative und inklusive Entwicklung und Realisierung von sozialen Innovationen. Ausgewiesene Forschungsschwerpunkte sind Disability Studies, Teilhabe und soziale Innovation sowie Diversity Studies.

•  Krefelder Behinderten-Selbsthilfe-Gruppe »Krebse«Die Selbsthilfe-Organisation besteht aus einer Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen, die sich in ihren monatlichen Treffen zu aktuellen Themen, z. B. aus den Bereichen Wohnen, Freizeitgestaltung, Arbeit etc., austauscht und berät. Sie setzt sich für mehr Mitsprache und Mitgestaltung in diesen wesentlichen Lebensbereichen ein und ist insbesondere in der Stadt Krefeld und Umgebung aktiv.

•  Prof. Dr. Gudrun Dobslaw (Fachhochschule Bielefeld)Frau Prof. Dr. Gudrun Doblsaw lehrt und forscht an der FH Bielefeld im Fachbereich Sozialwesen, insbesondere im Lehrgebiet psychosoziale Intervention und Beratung. Sie setzt sich dabei sowohl mit Konzepten von Teilhabe auseinander als auch mit der Kommunikation und Interaktion zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und Fachkräften in professionellen Kontexten. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Forschung ist eine partizipativ angelegte wissenschaftliche Forschung im Sinne der Gestaltung partizipativer Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse.

•  »In der Gemeinde leben gGmbH (IGL)«, Stiftung BethelDie IGL wurde 2001 in Düsseldorf als Kooperation der gleichberechtigten Gesellschafter der Diakonie Düsseldorf und Stiftung Bethel gegründet. Als eine gemeinnützige Gesellschaft begleitet die IGL Menschen mit kognitiven und mehrfachen Beeinträchtigungen dort, wo sie leben und ausgerichtet auf ihre individuellen Wünsche und Bedürfnisse. Sie bietet sowohl Assistenzleistungen in der eigenen Wohnung als auch in besonderen Wohnformen an und betreibt darüber hinaus das PIKSL-Labor Düsseldorf, ein Angebot, das sich die Umsetzung der digitalen Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung zum Ziel gesetzt hat.

2.2       Fragestellung und Zielsetzung des Projekts

Im Fokus des Projektvorhabens stand die Zielgruppe der Menschen mit Komplexer Behinderung und umfassendem Unterstützungsbedarf in den Bereichen Teilhabe, selbstbestimmte Lebensführung und Pflege. In den Mittelpunkt sollten insbesondere Personen gerückt werden, die bereits langjährig in besonderen (»stationären«) Wohnformen lebten. Die leitende Forschungsfrage für das Projekt lautete:

Forschungsfrage

Welche Methoden und Verfahrensweisen ermöglichen eine systematische Erhebung von Wohnwünschen und eine sich daran anschließende Realisierung von Wohnperspektiven für Menschen mit Komplexer Behinderung und Pflegebedarf, die langjährig in stationären Wohneinrichtungen betreut werden?

Die sich daraus ableitenden Projektziele waren:

•  Für den genannten Personenkreis ein Verfahren zur systematischen Analyse, Entwicklung und Umsetzung von Wahlmöglichkeiten des Wohnens partizipativ zu entwickeln, zu erproben und zu evaluieren

•  Methoden, Ansätze und Instrumente zusammenzustellen, die darauf ausgerichtet sind, Wahlmöglichkeiten (Ermittlung des Wohnwunsches und dessen Realisierung unter Berücksichtigung individueller Kompetenzen und Unterstützungsbedarfe) für Menschen mit Komplexer Behinderung und Pflegebedarf zu sichern

•  Die im Projektverlauf gewonnenen Erkenntnisse inhaltlich mit Selbstvertretungsorganisationen, Sozialleistungsträgern, Leistungsanbietern und Vertreter*innen unterschiedlicher Fachdisziplinen zu diskutieren und zu konsentieren

2.3       Projektphasen

Die Bearbeitung des Projektvorhabens erfolgte in vier Phasen, die sich zum Teil überlappten (Abb. 2.1).

Da Menschen mit Komplexer Behinderung ihre Wohnwünsche überwiegend nicht aufgrund von abstrakten Zukunftsvorstellungen entwickeln und verbalisieren können, waren angepasste Erhebungsmethoden und Vorgehensweisen notwendig. Nach einer Anfangsphase der systematischen (internationalen) Literatur- und Methodenrecherche (Phase I) wurde daher zunächst ein Pilotprozess in Bethel.regional durchgeführt, der durch das Entwickeln und modellhafte Erproben verschiedener Zugänge, Ansätze und Methoden gekennzeichnet war (Phase II).

Die Evaluation des Pilotprozesses sowie die Hinweise aus Expert*innenworkshops fanden dann Berücksichtigung in der Planung und Durchführung weiterer zehn Einzelprozesse (individuelle Wohnwunschermittlung mit einzelnen Klient*innen) und drei sehr unterschiedlich angelegter Transferprozesse (Übertragung der Erfahrungen in verschiedene Settings) (Phase III). Die Auswertung und Zusammenstellung der gewonnenen Erkenntnisse sowie die Vorbereitungen zu Veröffentlichungen bildeten – neben dem Abschluss der Einzel- und Transferprozesse – den Schwerpunkt in Phase IV.

Abb. 2.1: Projektanlage (eigene Darstellung)

2.4       Partizipative Ausgestaltung

Das Projekt war als partizipatives Forschungs- und Entwicklungsprojekt angelegt. Während der Entwicklung und Umsetzung des Projektvorhabens lag daher in allen Projektphasen ein besonderer Fokus auf der partizipativen Ausgestaltung. Diese bezog sich zum einen auf die enge Zusammenarbeit zwischen Praxis und Wissenschaft: Sie wurde über eine Projektstruktur sichergestellt, die eine differenzierte Reflexion aller Projektschritte in regelmäßigen Projektsitzungen der beiden Projektpartner Bethel.regional und EvH Rheinland-Westfalen-Lippe beinhaltete. Sowohl Planung und Entwicklung der Projektschritte als auch die Auswertung von Erhebungsdaten sowie die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen wurden miteinander beraten und abgestimmt.

Wesentliches Anliegen war darüber hinaus die Zusammenarbeit und Einbeziehung von Menschen mit Beeinträchtigungen als Expert*innen in eigener Sache. Ziel war es, die Forschung nicht über, sondern gemeinsam mit Menschen mit Beeinträchtigungen durchzuführen und den Leitfaden zu Methoden, Ansätzen und Instrumenten gemeinsam zu entwickeln. Durch den partizipativen Forschungsansatz wurden diese Personen als Partner*innen im Forschungsprozess beteiligt und ihre individuelle und kollektive Selbstbefähigung und Ermächtigung (Empowerment) unterstützt (von Unger 2014).

Die konsequente und umfassende Beteiligung von Menschen mit Beeinträchtigungen stellte eine besondere Herausforderung dar, da es im Projekt als Zielgruppe um Personen ging, die sich vielfach verbalsprachlich nicht oder nur sehr eingeschränkt äußern können. Um das Ziel einer bestmöglichen Beteiligung zu erreichen, wurden verschiedene Ansätze genutzt:

1.  Es wurden zwei Selbstvertretungsgruppen – People First in Bielefeld und die Krefelder Behinderten-Selbsthilfe (Krebse) in Krefeld – angefragt, das Projekt kritisch zu begleiten. People First war zu Beginn des Projektes dabei und hat bei der Übersetzung der Informationen zum Projekt in Leichte Sprache mitgewirkt. Im weiteren Verlauf des Projektes lag der Fokus auf dem Austausch mit den Krebsen in Form von Expert*innenworkshops, die alle sechs Wochen, zum Ende des Projektes auch alle vier Wochen, durchgeführt wurden.

2.  In der Durchführung wurden zur Sicherung der Beteiligung die Wunsch- und Willensbekundungen der einbezogenen Personen sowie ihre Ausdrucksmöglichkeiten für Zustimmung und Ablehnung von Beginn an erhoben und die Zeichen dafür im Prozess konsequent beachtet.

3.  Frau Prof. Dr. Gudrun Dobslaw (FH Bielefeld) hat als externe Wissenschaftlerin die partizipative Gestaltung der Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse mit den Selbstvertretungsgruppen und den Projektbeteiligten auf Basis von Videoaufzeichnungen ausgewählter Eingangs- und Abstimmungssequenzen aus den Beratungssitzungen kritisch überprüft. Dies wurde in gemeinsamen Sitzungen mit dem Projektteam reflektiert, so dass die daraus gewonnenen Erkenntnisse in die weitere Ausgestaltung einbezogenen werden konnten.

4.  Die partizipative Gestaltung der Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse wurde zudem in den Projektsitzungen und in halbjährlichen Sitzungen mit dem Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) – einer Forschungseinrichtung der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe für menschenrechtsorientierte, partizipative und intersektionale Forschung und Lehre, in dem das Projekt angesiedelt war – kritisch reflektiert.

5.  Zu einigen Fragestellungen wurden ad-hoc-Fokusgruppen mit beteiligten Klient*innen sowie deren Bezugsmitarbeitenden durchgeführt, um gemeinsam wesentliche Elemente eines Prozesses der Wohnwunschermittlung zu identifizieren und Rückschlüsse für weitere Prozesse zu ziehen.

6.  Zur Präsentation und Diskussion der Projektergebnisse wurden schließlich alle beteiligten Personengruppen zu einer inklusiven Fachtagung im November 2019 eingeladen: die Klient*innen, Angehörige, Mitarbeitende und Führungskräfte aus der Eingliederungshilfe, Vertreter*innen von Sozialleistungsträgern, Mitarbeitende aus kommunalen Beratungsstellen sowie Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen. Die Projektergebnisse wurden über verschiedene Formate vorgestellt: klassische Vorträge, Dialoge mit Bildern der Leichten Sprache, Thementische zur gemeinsamen Bearbeitung verschiedener eingesetzter Methoden und Materialien etc. Wenn auch in Bezug auf die wissenschaftlichen Vorträge nicht davon auszugehen war, dass alle Anwesenden allen Inhalten folgen konnten, so sprach doch die fröhliche und zugewandte Atmosphäre für sich: Alle Projektbeteiligten waren dabei und die Bezugspunkte für alle vorgestellten Inhalte bildeten die Personen, deren Wohnwünsche im Projekt erhoben worden waren.

Eine filmische Dokumentation der Abschlusstagung ist auf der Projekthomepage: www.wahlmöglichkeiten-sichern.de/projektabschluss zu sehen.

Neben der konsequenten Beteiligung von Menschen mit Beeinträchtigungen wurde während der gesamten Projektlaufzeit der fachliche Austausch und Transfer mit verschiedenen Professionen und Personengruppen sichergestellt. Projekt-(Zwischen-)Ergebnisse wurden daher in verschiedenen Formaten diskutiert, um einerseits Rückmeldungen einzuholen und andererseits einzelne Ergebnisse und daraus resultierende Schlussfolgerungen einer (Teil-)Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen:

1.  In zwei ganztägigen Expert*innenworkshops mit Projektbeteiligten und Expert*innen unterschiedlicher Fachdisziplinen aus Hochschulen und Praxisfeldern wurden die Projektergebnisse vorgestellt und diskutiert. Im ersten Workshop im Juni 2017 wurden die bis dahin im Projekt recherchierten Instrumente zur Erhebung von Wohnwünschen (vgl. Bössing et al. 2020) in Bezug auf ihre Anwendung mit Menschen mit Komplexer Behinderung geprüft. Folgende Ansätze wurden diskutiert:

a)  Persönliche Zukunftsplanung

b)  »Teilhabekiste«

c)  IHP-3 (LVR)

d)  Persönliche Lebensstilplanung

e)  Unterstützungskreise

f)  Sozialraum- und Netzwerkorientierung

g)  Peer Counseling

Zusammenfassend wurde festgehalten, dass die zur Verfügung stehenden Methoden zur Wohnwunscherhebung bislang noch nicht hinreichend auf die Situation von Menschen mit Komplexer Behinderung hin angepasst waren. Für die Gestaltung der Prozesse wurde dem Projektteam daher empfohlen, die Ansätze – im Sinne einer echten Personenzentrierung – individuell auf die Person hin auszurichten. Elemente aus der Persönlichen Zukunftsplanung wie auch aus der individuellen Lebensstilplanung wurden dazu als geeignete Grundlagen identifiziert.

Unterstützungskreise, Sozial- und Netzwerkorientierung bzw. -analyse sowie die Einbindung von »Peer-Erfahrung« wurden – ebenfalls jeweils angepasst an die individuelle Situation – als weitere wichtige Aspekte konsentiert. Insbesondere die angemessene und systematische Einbindung von »Peer-Erfahrungen« war bisher noch nicht hinreichend untersucht, so dass diesem Aspekt in der Erprobung und Evaluation besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.

Im zweiten Workshop im Juni 2018 wurden folgende Projektzwischenergebnisse vorgestellt und diskutiert:

a)  die Ergebnisse einer Interviewstudie mit Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf sowie Fachkräften, deren Fokus auf den Erfahrungen mit bisherigen Wohnveränderungen lag

b)  das methodische Vorgehen sowie die Erkenntnisse aus den ersten Prozessen der Wohnwunscherhebung

Die Diskussion brachte wertvolle Hinweise für die Wohnwunscherhebung mit Menschen mit Komplexer Behinderung, die sich drei Kategorien zuordnen ließen:

a)  Hinweise für die praktische Umsetzung des Projekts

b)  Hinweise an die Organisation/Bethel.regional

c)  Hinweise an die Forschung

Über die Methode der Live-Visualisierung entstand ein anschauliches Protokoll der wesentlichen Erkenntnisse des Workshops.

2.  Das ebenfalls von der Stiftung Wohlfahrtspflege geförderte Projekt »Wohnen selbstbestimmt« (www.wohnen-selbstbestimmt.de) hatte zum Ziel, Empfehlungen für Politik und Gesellschaft zu formulieren, um für alle Menschen unabhängig vom Grad der Behinderung das in der UN-BRK verbriefte Recht auf die freie Wahl des Wohnorts zu gewährleisten. Ein Austausch zwischen beiden Projekten wurde über die jeweiligen Projektleitungen sichergestellt. Darüber hinaus beteiligten sich Mitarbeitende des Projekts »Wahlmöglichkeiten sichern!« im Mai 2018 an einer Expert*innen-Gruppe aus Politik, Wissenschaft, Praxis, Bau- und Finanzwesen zu den Grundlagen für die Finanzierung von Unterstützungskonzepten in selbstbestimmten Wohnformen.

3.  Anlass für den Fachaustausch im Herbst 2018 mit der Beratungsstelle Unterstützte Kommunikation im Geschäftsbereich Behindertenhilfe der Ev. Stiftung Hephata waren deren Erfahrungen a) mit Methoden der Unterstützten Kommunikation b) mit dem Instrument der »Teilhabekiste« c) mit der »Persönlichen Zukunftsplanung«, die dort bereits seit 2014 flächendeckend zur Bedarfsermittlung genutzt wurde. Deutlich wurde, dass viele der Projekterkenntnisse durch die Praxiserfahrungen in Hephata gestützt wurden, z. B.:

a)  Die einzelnen Bedarfsermittlungs-Prozesse waren nach Inhalt und Dauer sehr individuell.

b)  Methoden aus dem Bereich der Unterstützten Kommunikation konnten auch in den Prozessen der Persönlichen Zukunftsplanung gut eingesetzt werden.

c)  Für die Erhebungen erwies sich ein Pool an Methoden, der individuell auf die Person angepasst wird, als sinnvoll.

Insgesamt wurde von vielen positiven Entwicklungen bei Menschen mit Komplexer Behinderung und einem deutlichen Rückgang herausfordernden Verhaltens berichtet, was im Wesentlichen darauf zurückgeführt wurde, dass jegliche Willens- und Wunschäußerung der planenden Person wertfrei ernstgenommen und wertgeschätzt wurde. Die Person wurde als Gegenüber, als soziale Person mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen in den Mittelpunkt gestellt.

4.  Mitte Juli 2019 wurde ein Fachaustauch mit zwei ausgewiesenen Moderator*innen für Zukunftsplanung aus Hamburg initiiert. Im Schwerpunkt ging es darum, die Erfahrungen mit Unterstützungskreisen aus dem Projekt zu reflektieren. Folgende Fragen wurden auf Grundlage von Praxisbeispielen reflektiert und beraten:

a)  welche Bedingungen das personenzentrierte Arbeiten mit Menschen mit Komplexer Behinderung ermöglichen,

b)  inwiefern es gelingt, über diese Prozesse dem tatsächlichen Willen der Person nahezukommen,

c)  wie bei der Umsetzung Wünsche und nicht (potentielle) Barrieren in den Vordergrund gerückt werden können und

d)  wie die Umsetzung der Ideen aus dem Unterstützungskreis sichergestellt werden kann.

Eine Grundsatzfrage war dabei auch, inwieweit von der »reinen Lehre« der Methode abgewichen werden kann, um individuelle, auf die Zielgruppe unseres Projekts zugeschnittene Zugangswege zu entwickeln.

5.  Zu einem Arbeitstreffen für Multiplikator*innen für Unterstützte Kommunikation waren Projektmitarbeitende im September 2019 eingeladen. An diesem Netzwerktreffen nahmen Mitarbeitende aus Angeboten der Eingliederungshilfe aus ganz Norddeutschland teil. Hier wurden zunächst die Ergebnisse der zu Projektbeginn erstellten Literaturrecherche (Kap. 9) dargestellt und diskutiert, im Anschluss daran folgten erste Eindrücke und Zwischenergebnisse aus den Wohnwunscherhebungs-Prozessen. Der Fokus des Fachaustauschs lag auf den Methoden der Unterstützten Kommunikation und deren Einsatzmöglichkeiten für die Wunschermittlung bei Menschen mit Komplexen Behinderungen.

6.  In der letzten Projektphase wurde ein intensiver Dialog mit Vertreter*innen der in NRW zuständigen Sozialleistungsträger, dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und dem Landesverband Rheinland (LVR) gesucht. Ziel der Gespräche war es, die Personengruppe der Menschen mit Komplexer Behinderung und deren besondere Bedarfe stärker in das Blickfeld zu rücken. Insbesondere vor dem Hintergrund der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) wurde die Frage diskutiert, ob und wie die Wohn- und Lebenswünsche von Menschen, die nicht sprachlich kommunizieren, über die von den Sozialleistungsträgern eingesetzten Bedarfsermittlungsinstrumente erfasst werden können.

Beide Sozialleistungsträger zeigten sich sehr interessiert an den Projektergebnissen. So nahmen mehrere Mitarbeiter*innen des Inklusionsamts Soziale Teilhabe des LWL an unserer Abschlusstagung teil und der LVR lud die Projektleitungen zu einem Fachtag »Paradigmenwechsel« ein.

2.5       Anlage der wissenschaftlichen Begleitung

Das Projekt wurde von der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe wissenschaftlich begleitet. Wie bereits aufgezeigt, fand die Bearbeitung in enger Zusammenarbeit mit den Projektmitarbeitenden von Bethel.regional sowie im fortlaufenden Austausch zunächst mit zwei Selbstvertretungsgruppen, im weiteren Projektverlauf mit einer Gruppe statt. Zur Beantwortung der aufgezeigten Fragestellungen (Kap. 2.2) erfolgte auch die wissenschaftliche Begleitung analog zu den bereits aufgezeigten Arbeitsphasen. Die einzelnen Schritte sollen hier nur überblicksartig vorgestellt werden, da eine genauere Beschreibung des methodischen Vorgehens in den jeweils dazugehörigen Kapiteln erfolgt.

Der erste Bearbeitungsschritt, die Ausgangsanalyse, beinhaltete zunächst eine Auseinandersetzung mit dem aktuellen Forschungsstand zum Thema Wohnen von Menschen mit Komplexer Behinderung (Kap. 9) sowie die Durchführung eines systematischen Literaturreviews, um die Methoden und Verfahren zur Ermittlung von Wohnwünschen mit Menschen mit Komplexer Behinderung im internationalen Sprachraum zu recherchieren und zu analysieren (Bössing et al. 2020). Die Erkenntnisse aus dem Review wurden sowohl mit der Selbstvertretungsgruppe als auch im Expert*innenworkshop beraten und daraus Vorgehensweisen für die nächste Phase entwickelt und konsentiert. Zudem wurde eine Befragung von Menschen mit Beeinträchtigung und hohem Unterstützungsbedarf, die eine Wohnveränderungen erlebt haben, sowie von beteiligten Mitarbeitenden sowie Expert*innen durchgeführt, um hemmende und fördernde Faktoren zu identifizieren, die bei Wohnwunscherhebungen und Veränderungsprozessen von Bedeutung sind (Kap. 3).

Im zweiten und dritten Schritt, der Entwicklungs- sowie der Umsetzungs- und Transferphase, wurde der Prozess der Wohnwunschermittlung in Anlehnung an den Forschungsansatz der Grounded Theory im Sinne der Weiterentwicklung von Strauss und Corbin (1996; vgl. Strübing 2014) wissenschaftlich begleitet. Um die Wohn- und Lebenssituation aus der Perspektive der Menschen mit Komplexer Behinderung besser nachvollziehen zu können, wurde ein ethnographischer Ansatz gewählt. Hierbei wurde vor Beginn eines jeden Prozesses die planende Person in ihrer Wohnsituation begleitet und ethnographische Beobachtungen an mindestens zwei Tagen für mehrere Stunden durchgeführt und ggf. durch weitere Beobachtungen ergänzt. Im weiteren Verlauf wurde zunächst anhand eines Pilotprozesses die Anwendung von verschiedenen Methoden der Wohnwunschermittlung beobachtet und ausgewertet. Anschließend wurden nicht mehr alle, sondern – in Absprache mit den Projektmitarbeitenden – ausgewählte Sitzungen aus dem Prozess in die Beobachtung einbezogen (zum methodischen Vorgehen Kap. 13).

Im vierten Schritt der Auswertungsphase wurden die vorliegenden und bis dahin getrennt ausgewerteten Datenmaterialien aus den einzelnen Prozessen noch einmal übergreifend mit Blick auf Zusammenhänge und Beziehungen der vorliegenden Kategorien analysiert und dabei in Rückbezug auf das Kodierparadigma von Glaser und Strauss (1996) Fragen an das Material gestellt, um Erkenntnisse über Zusammenhänge weiter herauszuarbeiten, die in Kap. 15 im Rahmen der Gesamtauswertung vorgestellt werden. Die im Projekt mit angelegte Frage, wie die Umsetzung des Anspruchs von partizipativen Gestaltungs- und Entwicklungsprozessen im Projekt gelingt, konnte nicht durch die EvH wissenschaftlich bearbeitet werden. Zwar wurde diese Frage regelmäßig in Gesprächen mit den verschiedenen Beteiligungsgruppen reflektiert, jedoch galt es der Frage insbesondere in Bezug auf die Einbeziehung der Menschen mit Behinderung durch eine kritische Außenperspektive genauer nachzugehen. So wurde die Bearbeitung dieser Frage zusätzlich extern an Frau Prof. Dr. Dobslaw vergeben, die anhand von ausgewählten Sitzungen das Projekt daraufhin gemeinsam mit den Projektmitarbeitenden formativ evaluierte (Kap. 14).

2.6       Ethische Überlegungen

Grundlage der ethischen Überlegungen in Bezug auf das Projektvorhaben und dessen Umsetzung war der Belmont-Report, der als Ethik-Kodex 1978 von der National Commision for the Protection of Human Subjects of Biomedical an Behavioral Research angenommen wurde und auch in der deutschen Pflege- und Gesundheitsforschung vielfach die Grundlage der forschungsethischen Ausrichtung bildet (Schnell & Heinritz 2006). Als Grundprinzipien des Kodexes gelten:

•  das Recht auf Unversehrtheit (Prinzip des Nutzens),

•  das Recht auf Selbstbestimmung und informierte Zustimmung (Achtung vor der Würde des Menschen) und

•  das Recht auf Vertraulichkeit sowie der Gewährleistung der Datensicherheit (Prinzip der Gerechtigkeit).

Diese Grundprinzipien finden sich auch in der UN-Behindertenrechtskonvention, die den Schutz und die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung sichern soll, und werden in den Art. 2, 9, 17, 19 und 21 ausgeführt. Ebenso finden sich die Prinzipien in dem Ethikkodex der unterschiedlichen Disziplinen wieder.

In einem zweistufigen Verfahren wurde zunächst ein ethisches Clearing für die Durchführung der Analysephase von der Gesellschaft für Pflegewissenschaft e. V. (DGP) eingeholt und in einem zweiten Schritt für die Durchführung der Fallstudien. Das ethische Clearing wurde für beide Phasen von der DGP positiv beschieden.

2.6.1     Recht auf Unversehrtheit und Prinzip des Nutzens

Besondere Aufmerksamkeit in der Forschung und der ethischen Reflexion von Forschungsvorhaben gelten den sogenannten »vulnerablen Personengruppen«. Diese werden dadurch definiert, dass sie »aufgrund ihrer besonderen Lebenssituation durch die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben in besonderen Maße belastet oder gefährdet werden könnten« (Schnell & Heinritz 2006, S. 43). Menschen mit Komplexer Behinderung sind in diesem Sinn als vulnerable Gruppe zu betrachten, da sie in vielen Bereichen des Lebens auf Unterstützung angewiesen sind, um ihre Rechte durchzusetzen und nicht immer Situationen und deren Auswirkungen umfassend einschätzen können. Es ist daher in besonderer Weise notwendig, ethisch relevante positive oder negative Folgen ihrer Teilnahme an der Untersuchung im Vorfeld einzuschätzen, im Verlauf achtsam und kritisch zu reflektieren und den möglichen Nutzen vor dem Hintergrund des Rechts auf Unversehrtheit abzuwägen.

In die Erhebung sollten Personen einbezogen werden, bei denen die Ermittlung ihrer Wohnwünsche aus unterschiedlichen Gründen eine besondere Herausforderung darstellte. Damit war zugleich eine Verbesserung angestrebt, da durch die sich anschließende Umsetzung der identifizierten Wünsche das durch den Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention zugesicherte Wunsch- und Wahlrecht ermöglicht werden sollte. Dennoch wäre es denkbar gewesen, dass durch die Anfrage und die damit einhergehende Konfrontation mit dem Thema der Wohnveränderung Unsicherheiten, Ängste und andere Belastungen hätten entstehen können. Auch hätten durch Erzählungen Gefühle reaktiviert werden können, die unter Umständen zu einer erneuten Belastung geführt hätten. Zudem hätte die Teilnahme am Projekt mit den damit einhergehenden Beobachtungen und Interventionen eine zeitliche und persönliche Belastung darstellen und zu einer Überforderung führen können. Der Schutz vor den aufgezeigten möglichen Risiken musste daher gegenüber dem Nutzen der Erhebung abgewogen werden.

Aufgrund der aufgezeigten Vulnerabilität der Personengruppe und den damit einhergehenden erhöhten forschungsethischen und -methodischen Anforderungen werden Personen mit Komplexer Behinderung vielfach nicht (hinreichend) in Erhebungen einbezogen. Dies führt jedoch gleichzeitig zu einer Beschränkung ihres Rechts auf Partizipation (vgl. Art. 4 UN-BRK) sowie in Folge zu der fehlenden Möglichkeit, Angebote stärker auf ihre Bedürfnisse auszurichten. Das Ziel des Projektes bestand darin, zunächst bereits vorliegende Erfahrungen in die Entwicklung von konsentierten Verfahren und Methoden zur Erhebung und Realisierung von Wohnwünschen für Menschen mit Komplexer Behinderung einzubeziehen. Hiervon konnten die Studienteilnehmer*innen zum einen indirekt profitieren, indem sie Wertschätzung ihrer Sichtweise und Erfahrung erlebten, und zum anderen ggf. auch direkt, wenn eine Wohnveränderung auf Basis der Erkenntnisse zukünftig gut begleitet wird. Für den spezifischen Kontext gab es keine Hinweise aus Studien zu speziellen Risiken, die mit der Teilnahme am Projekt verbunden waren, so dass diese für das Projekt nur indirekt ableitbar waren. Hierzu wurden zu Beginn des Projektes potentielle Risiken herausgearbeitet sowie präventive Maßnahmen vorüberlegt und vereinbart. Hierzu gehörten

1.  die sensible Wahrnehmung und Reflexion von Ängsten und Belastungen (Anzeichen dafür wurden in jedem Prozess zu Beginn erfragt), im Zweifelsfall wurde der Prozess unterbrochen (z. B. bei Anzeichen von Müdigkeit), bei kritischen Situationen hätte es die Möglichkeit gegeben, auf Angebote des Krisenteams oder von Psycholog*innen zurückzugreifen. Des Weiteren wurde

2.  das Projekt von in der Begleitung mit Menschen mit Komplexer Behinderung erfahrenen Mitarbeitenden durchgeführt und

3.  das Recht auf Selbstbestimmung und Freiwilligkeit beachtet und im Forschungsprozess fortlaufend reflektiert (Kap. 2.6.2).

In der Studie wurden die von den Organisationen eingesetzten oder befragten Fachkräfte, die Prozesse von Wohnveränderungen begleiteten, als Expert*innen eingeschätzt. Als Expert*innen gehören sie nicht der Gruppe der vulnerablen Personen an, da sie »in der Regel nicht dadurch verletzbar [sind], dass sie aufgefordert werden, über ihre Arbeit zu informieren« (Schnell & Heinritz 2006, S. 27). Somit wurden keine Probleme bei den Interviews mit den Mitarbeitenden der Organisationen erwartet, was sich auch bestätigt hat.

2.6.2     Recht auf Selbstbestimmung und informierte Zustimmung/Achtung vor der Würde des Menschen

Zum angemessenen Schutz ist das Prinzip der Freiwilligkeit auf Basis einer angemessenen Aufklärung im Sinne der informierten Zustimmung zentral. Die freiwillige Teilnahme stellt einen forschungsethischen Grundsatz dar, der aus dem Prinzip der Selbstbestimmung (Autonomie) potentieller Untersuchungsteilnehmer*innen erfolgt (von Unger 2014, S. 25). Aufgrund der Beschaffenheit von qualitativer Forschung handelt es sich hierbei nicht um eine einmalige Zustimmung zur Teilnahme. So ist es »[…] aufgrund der größeren Flexibilität und der eingeschränkten Planbarkeit explorativer Prozesse einer qualitativen Studie oft nicht möglich, zu Beginn genau zu bestimmen, wie der Forschungsprozess verlaufen wird und zu welchen Resultaten er führen wird« (von Unger 2014, S. 26). Aus diesem Grund ist es innerhalb qualitativer Forschung unabdingbar, die Freiwilligkeit ständig im Forschungsprozess zu überprüfen. Hieraus entsteht »ein dialogisches und prozesshaftes Verständnis« der informierten Zustimmung (von Unger 2014, S. 26). Das bedeutet, dass innerhalb des Prozesses der Datenerhebung und -auswertung die beteiligten Personen überprüfen, ob die Freiwilligkeit im Sinne der informierten Zustimmung auch weiterhin gegeben ist.

Gerade für den Personenkreis der Menschen mit Komplexen Behinderungen besteht – wie auch bei anderen vulnerablen Gruppen – die Gefahr eines »pseudo consent«, einer nur scheinbaren Einwilligung (Narimani 2014, S. 52). Dies kann z. B. dadurch gegeben sein, dass die möglichen Folgen einer Beteiligung an einer Erhebung nicht umfassend bedacht werden können oder eine Einwilligung aus anderen Motiven erfolgt, wie z. B. aus dem Wunsch, einer Person einen Gefallen zu tun, einem Gefühl von Verpflichtung, der Sorge vor negativen Folgen oder aus dem Eindruck, eigentlich keine andere Wahl zu haben. Die dadurch bestehende Gefahr von Grenzüberschreitung und Manipulation auf beiden Seiten muss bedacht und die Zustimmung kritisch hinterfragt und individuell abgewogen werden (Narimani 2014, S. 52).

Da die Interviewsituation kein neutrales, gleichbleibendes Setting darstellt und die (Re-)Konstruktion dialogisch erfolgt, muss »der Blick auf die gemeinsame Akteurschaft im Interview« gelenkt werden (Mey 2000, S. 146). Es ist bedeutsam, kritisch zu prüfen, ob durch die Art der Fragestellung Aussagen im Interview in eine von den Interviewer*innen bestimmte Richtung gelenkt werden und damit eine echte Partizipation und Wertschätzung der Erfahrung der Person verhindert wird. Für die Durchführung der Interviews und Erhebungen wurden folgende Aspekte als bedeutsam festgelegt:

•  Grundlegend für die Projektdurchführung und -evaluation ist die Achtung und Wertschätzung der beteiligten Personen und ihrer Erfahrungen und Sichtweisen. Aufklärung, Einverständnis und Durchführung erfolgt bei den Menschen mit Behinderung in einfacher Sprache.

•  Die Studienteilnehmer*innen sowie Angehörige und rechtliche Betreuer*innen wurden im Vorfeld – individuell angepasst – über den Umfang, die Durchführung und die Ziele der Studie, den Umgang mit ihren Daten sowie über mögliche Folgen schriftlich und mündlich, individuell angemessen und umfassend informiert. Das Einwilligungs- und Informationsschreiben wurden durch ein zertifiziertes Institut in Leichte Sprache übersetzt. Bei der mündlichen Information wurde den Kommunikationswegen der Studienteilnehmenden entsprochen (z. B. unter Einsatz von Veranschaulichungsmöglichkeiten). Anschließend stand ausreichend Zeit für die Entscheidung, an der Studie teilzunehmen, zur Verfügung.

•  Die Studienteilnehmenden wurden im Vorfeld ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie ihr Einverständnis zur Teilnahme an der Studie zu jedem Zeitpunkt widerrufen können. Die involvierten Forscher*innen waren sich der besonderen Herausforderungen bewusst, reflektierten die Freiwilligkeit der Teilnahme konsequent mit und achteten und reagierten auf mögliche Belastungen der Teilnehmenden. Zudem wurde im weiteren Forschungsprozess geprüft, ob eine erneute Zustimmung, z. B. im Hinblick auf die Verwendung von bestimmten Ergebnissen, erforderlich war.