Wolfheart 2 - Emilia Romana - E-Book

Wolfheart 2 E-Book

Emilia Romana

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Beschreibung

Wir sind Kreaturen der Nacht ... Silber und ihre Freunde haben es geschafft. Sie sind endlich wieder frei! Aber wo sind sie eigentlich? Die schneebedeckte Umgebung ist ihnen so fremd, als wären sie am Ende der Welt. Ein neues Rudel rettet den Freunden überraschend das Leben. Es gibt Verletzte, weshalb die kleine Gruppe erstmal im sogenannten Eisrudel bleiben muss. Auf den ersten Blick scheint diese Gemeinschaft freundlich zu sein. Oder ist sie das wirklich? Offenbaren sich neue Freunde vielleicht doch zu neuen Feinden? Noch ahnt niemand, dass sich inmitten des fremden Rudels ein gefährlicher Sturm zusammenbraut, der sowohl dem Eisrudel, als auch Silber und ihren Freunden schaden will ... Als wäre das nicht schlimm genug, muss sich Silber endlich der schwer lastenden Frage stellen: Wird sie ihr Schicksal anerkennen und die Retterin von Klees Rudel werden oder wählt sie ihre Freiheit mit Kupfer? Zu was wird sie zurückkehren?

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Dieses Buch ist für meine besten Freunde. Ihr wisst, wer ihr seid:

H.L.M.H.L.B.

Mit euch hatte ich die aufregendsten Jahre meines bisherigen Lebens! Ich wünsche euch viel Glück in der Zukunft und hoffe, dass wir den Kontakt zueinander nie verlieren ...

Am Ende des Buches gibt es eine Aufzählung der Wölfe.

»Wolfheart«-Reihe:

1. Gefangen

2. Rückkehr

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

PROLOG

Gleich hab' ich dich!, dachte Eisblitz, als er sich an den fetten, braunen Hasen anschlich.

Dieser kauerte in einem Farngestrüpp und knabberte an den Wurzeln einer Buche.

Der Mondwächter wusste, dass er träumte. Der Wald um ihn herum leuchtete viel zu grell, die Farben schienen viel zu satt, als dass sie wirklich sein konnten.

Trotzdem blieb er leise, tat so, als wäre das eine echte Jagd. Auch im Traum kann ich üben, mein Rudel zu ernähren!

Seltsamerweise verbot ihm seine Traumwelt, weiter an die Realität zu denken. Er hatte vergessen, was geschehen war.

Ich weiß, irgendetwas ist passiert, ich kann mich nur nicht erinnern! Ich spüre die Sorge in mir ganz deutlich! Aber die Lebensfreude und Jagdlust ist einfach zu groß!

Mit einem triumphierenden Jaulen schoss Eisblitz auf den Hasen zu. Dieser stieß ein entsetztes Quieken aus und raste davon. Der mächtige Rüde rannte ihm mit donnernden Pfoten hinterher. Den Blick fest auf das Beutetier gerichtet, sprang der Mondwächter mit Leichtigkeit über Farne und Brombeerbüsche, als könnte er fliegen.

Es ist so ein schönes Gefühl, die Beine zu strecken!

Während der weiße Wolfsrüde seiner Beute nachsetzte, verschwamm die Umgebung um ihn herum.

Er lief so schnell, dass die Bäume und Büsche wie unscharfe, grün-braune Gestalten an ihm vorbeihuschten.

Der Hase verschwand in einem Heidestrauch, Eisblitz segelte darüber hinweg, wie ein Flughörnchen.

Als er auf der anderen Seite landete, schoss sein Opfer mit einem angsterfüllten Schrei bereits weiter.

Der Wolf sprang vorwärts, so heftig, dass er die Erde hinter sich aufwirbelte. Immer dem hellbraunen Geschöpf hinterher, fort in den farbenfrohen Wald hinein.

Er wurde nicht müde, im Gegenteil. Der Lauf schien ihm sogar mehr Kraft und Freude zu geben.

Mit einem sorgenfreien Heulen flog er über einen schmalen Bach, fest entschlossen, den Wildhasen zu erwischen.

Er hatte keine Ahnung, wieso, aber irgendetwas in ihm drängte ihn, dieses Tier zu fangen. Es wirkte wie ein stiller Befehl, Eisblitz konnte sich nicht dagegen wehren.

Er raste unaufhörlich durch den hellen Wald, ohne aus der Puste zu kommen. Er atmete ganz ruhig, als würde er nur einen Spaziergang machen.

Plötzlich fühlte er sich so frei wie niemals zuvor in seinem Leben. Der Mondwächter realisierte das unglaublich befreiende, überglückliche Gefühl in ihm aufsteigen, als er die Glieder streckte. Ein Knoten in seinem Magen, den er vorher nie gespürt hatte, schien sich aufzulösen und der unsagbaren Freude Raum zu geben.

Das Freiheitsgefühl schoss durch jede Faser seines Körpers, trieb Eisblitz` Pfoten an, noch schneller zu laufen, und ließ den mächtigen Wolf vor Lebensfreude aufheulen.

Er jaulte seine Begeisterung in die Baumkronen über seinem Kopf, ein breites Grinsen auf dem Gesicht.

Fühlt sich so die Freiheit an?, fragte er sich auf einmal.

Genau in dem Augenblick, indem der Wächter diesen Gedanken geformt hatte, verlangsamte sich schlagartig alles um ihn herum. Die Umgebung schlich wie in Zeitlupe an ihm vorbei. Er konnte jedes Blatt sehen, das von den Kronen herabgefallen kam. Jedes Staubkorn, das in der Luft schwebte, erkannte er deutlich in den Strahlen der warmen Sonne.

Der Hase vor ihm sprang im Schneckentempo voran, doch Eisblitz konnte sich auch nicht schneller bewegen. Seine Pfoten flogen für mehrere Herzschläge über das Gras, ehe sie erneut auf dem Waldboden aufkamen.

Allein seinen Kopf konnte er hin und her drehen. Mit ihm sah er sich erstaunt um.

Was geschah mit seinem schönen Traum?

Da entdeckte der Rüde links von ihm eine freie Fläche durchschnitten von einer tiefen, zerklüfteten Schlucht, die sich nach beiden Seiten bis zum Horizont weiterzog.

Am Boden dieses Einschnittes zerrte ein reißender Fluss am Gestein der steilen Felswände.

Das wusste Eisblitz, weil er diesen Ort gut kannte. Einst war diese Gegend Teil seines Reviers gewesen.

Doch als er Mondwächter geworden war, hatte er dieses Gebiet abgetreten. Etwas zu Furchtbares war geschehen, als dass er diesen Abschnitt des Waldes länger hatte behalten wollen.

Aber warum wird mir dieser Platz nun gezeigt? Weshalb träume ich von diesem schrecklichen Ort?

Auf einmal zerriss Kampfgeschrei die Luft.

Weiterhin sah der Wolfsrüde alles in Zeitlupe an sich vorbeihuschen, bloß diese Stelle seines Lebens wurde ihm in normaler Geschwindigkeit präsentiert.

Plötzlich sprangen auf der Lichtung Wölfe umher. Wölfe, die mit schlanken, gerissenen Kreaturen kämpften, um ihr Territorium zu verteidigen.

Füchse!

Eisblitz versuchte sogleich, seinen Freunden zu Hilfe zu eilen, doch er kam ihnen keinen Schritt näher. Sein Körper hörte nicht auf ihn, als er ihn dazu zwingen wollte, sich ebenfalls in den Kampf zu stürzen. So musste er hilflos zusehen, wie seine Gefährten gegen ein Meer aus Gegnern antraten.

Auf einmal grollte ein Donner über seine Rudelgefährten. Regen prasselte auf die Kämpfenden hinab, so viel, dass ihre Pelze nach wenigen Herzschlägen durchnässt an ihren Körpern klebten. Ein Blitz zerriss den Himmel, die Felle der Tiere leuchteten für einen Augenblick weiß auf. Eisblitz zuckte zusammen, doch über ihm schien weiterhin die Sonne.

Allein über dem Kampf tobte das dunkle Gewitter.

Da entdeckte der verwirrte Rudelwolf durch das spärliche Unterholz, was ihn von der freien Fläche trennte, Nebel, die frühere Mondwächterin.

Sie war bei dem Trupp, der die Füchse vertreiben sollte, dabei gewesen. Sie hatte ihn angeführt, in der Überzeugung, diese hinterhältigen Hunde mit dem Wink ihrer Rute besiegen zu können.

Leider hatte sie diese schlauen Geschöpfe unterschätzt, so wie es auch Eisblitz selbst und alle anderen Sternenhüter getan hatten.

Diese listigen Biester hatten den Kampftrupp geradewegs in eine Falle gelockt.

Der weiße Wolf erinnerte sich noch, wie sie vom Waldrand aus auf sie losgegangen waren, sie immer weiter an den Rand der Klippe gedrängt hatten.

Durch die dichte Regenwand konnte Eisblitz die dunklen Gestalten kaum erkennen, die über die Lichtung kullerten.

Er hatte keine andere Wahl, als machtlos zuzusehen, wie seine Gefährten in diesem Sturm aus Regen, Krallen und Zähnen, um ihr Leben rangen.

Schlagartig ertönte ein entsetzter Schrei vom Klippenrand.

Eisblitz, der das schreckliche Geschehen weiterhin beobachtete, wurde auf einmal von den Pfoten gehoben.

Mit einem überraschten Winseln wurde er quer über den Kampf geschleudert, bis er am Rand der Schlucht stand.

Plötzlich spürte er den kräftigen Gewitterregen, der mit der Stärke eines strömenden Flusses auf ihn hinab zu donnern schien. Beinahe schwarze Wolken verdeckten nun die Sonne, die eben noch so friedvoll auf ihn hinabgeschienen hatte. Ehe er realisierte, was gerade überhaupt passiert war, war er klitschnass. Sein Pelz klebte an seinem Leib, in seine Augen tropften immer wieder Regentropfen, sodass er kaum etwas sehen konnte. Die Wand aus tobendem Regen erschwerte ihm die Sicht zusätzlich.

Nach ein paar Augenblicken erkannte er durch den Sturm die Schlacht um sich herum.

Er stand genau an der Klippe, rechts neben ihm ging es steil in die Tiefe. Selbst über das Donnergrollen, Regenprasseln und Kampfgeschrei konnte Eisblitz den reißenden Fluss am Grund brüllen hören.

Angst schoss dem Wolfsrüden durch den Körper.

Mein Rudel! Eilig sah der Mondwächter zum Kampf, der sich unmittelbar am Grasstreifen zwischen Wald und Schlucht abspielte.

Er erkannte durch die dichte Regenwand einen jüngeren Falke, der zu der Zeit noch Schattenläufer gewesen war, mit einem schlanken, wendigen Fuchs ringen.

Der mutige Läufer schnappte wild nach seinem Widersacher, der die Lippen zurückgezogen und die gelben Zähne gezeigt hatte.

Ein entsetztes Jaulen lenkte Eisblitz' Aufmerksamkeit genau vor sich. Ein paar Sprünge entfernt, drängten drei Füchse Nebel immer näher zum Abgrund.

Eisblitz' Blut erstarrte vor Trauer in seinen Adern. Er wusste, was geschehen würde. Aber er konnte nichts ändern.

Er konnte seine geliebte Mondwächterin nicht mehr vor ihrem Schicksal bewahren.

Wäre ich doch nur an diesem Sonnenkreislauf an ihrer Seite gewesen! Hätte ich ihr geholfen, wäre sie niemals abgestürzt! Stattdessen habe ich am Waldrand mein eigenes Leben verteidigt! Nun musste der weiße Wolf mit blutendem Herzen zuschauen, wie die silberne Wölfin am Rande der Schlucht um ihr Überleben kämpfte. Sie schlug sich tapfer, schnappte mit aufgerissenem Maul und angelegten Ohren nach ihren Angreifern, bis Blut spritzte. Rasend vor Zorn griff sie die drei Bestien immer wieder an. Wilde Entschlossenheit brannte in ihren schönen Augen, die im Regen noch heller leuchteten, als Eisblitz sie in Erinnerung gehabt hatte.

Keiner von den Füchsen wandte sich jedoch zur Flucht, obwohl sie alle bereits schlimme Wunden davongetragen hatten.

Nebel wurde von den Biestern weiter zurückgedrängt. Sie schien gar nicht zu bemerken, wie nah sie dem Abgrund gekommen war, ehe ihre Hinterpfote im nassen Grass ausrutschte und über den Klippenrand fiel.

Erschrocken jaulte Nebel auf, Entsetzten spiegelte sich in ihrem Blick. Doch sie konnte sich gerade noch fangen und atmete erleichtert auf. Bevor sie allerdings ihren festen Stand wiedergefunden hatte, ergriffen die Füchse ihre Gelegenheit.

Einer von ihnen sprang vor, grub mit einem Zischen seine Zähne in den Nacken der edlen Wächterin und schleuderte sie in die Schlucht. Sie jaulte schockiert, als sie wie ein nasser Fellball durch die Luft flog.

Ihr herzzerreißendes Heulen brach abrupt ab, als sie vom reißenden Fluss verschluckt und davongetragen wurde.

Eisblitz heulte verzweifelt auf und schaute über den Rand.

»Nein! Nebel!«

Das Entsetzten überschwemmte ihn, wie beim ersten Mal, als er die mutige Wölfin den Abgrund hinunterstürzen sah.

Der träumende Rüde starrte ihr fassungslos nach, genauso geschockt, wie er sich damals tatsächlich gefühlt hatte.

Eine Klaue schien sein Herz zu zerquetschen.

Mit einem wehklagendem Jaulen, hob er den Kopf zum Himmel. Der Regen prasselte dabei heftig auf sein Gesicht, aber vermochte er nicht, die Tränen wegzuwaschen, die stetig seine Wangen hinunterliefen.

Nebel war so eine noble und gerechte Mondwächterin gewesen. Für sie hatte das Rudel immer an erster Stelle gestanden. Niemals hätte sie einen Wolf, der Hilfe brauchte, im Stich gelassen ...

Die ganze Trauer um ihren Verlust kam durch diesen Traum wieder in ihm hoch.

Eisblitz verstand nicht, warum er überhaupt an dieses furchtbare Ereignis erinnert wurde.

Wir haben Nebel nach dem Kampf gesucht ... tagelang ... aber die Suche war erfolglos. Wir haben sie nie gefunden ...

Mit schwerem Herzen hatte er schließlich eingewilligt, der nächste Mondwächter zu werden.

Er hatte noch mondelang gehofft, dass seine liebenswürdige Wächterin zurückkehren würde.

Das ist nie geschehen. Nebel ist bei diesem Sturz umgekommen. Das habe ich bloß erst lange später akzeptiert.

Plötzlich stand Eisblitz nicht mehr an der Schlucht. Er hatte nur einmal den Regen aus seinen Augen geblinzelt, doch nun saß er auf einer hellen Lichtung.

Das Sonnenlicht ließ die Wiese noch intensiver leuchten und eine warme Brise zerzauste dem Wächter das Fell.

Auf der freien Fläche ragte ein riesiger Baum in die Höhe, seine Äste hingen schwer herab, bis zum Gras. Die kleinen Blätter glitzerten silbrig im goldenen Licht.

Weshalb bin ich jetzt hier?, fragte sich Eisblitz verwundert. Er wusste selbstverständlich, wo er sich befand, aber nicht, warum. Er saß beim Seelenbaum, dem Ort, an dem das Ewige Rudel mit den Mondwächtern sprach.

Da wedelten plötzlich die langen Äste der Trauerweide und drei Wölfe traten heraus, genau auf ihn zu.

Eisblitz erkannte Nebel sofort. Sie stolzierte mit erhobenem Haupt, würdevoll und elegant, wie zu Lebzeiten, auf ihn zu.

Ihre Flanken markierten zwei Rüden. Den einen, einen Goldfarbenen mit grünen Augen, hatte er noch nie gesehen.

Der andere allerdings, ein schwarzer, breitschultriger Wolf mit gelber Augenfarbe, weckte in dem weißen Wächter Erinnerungen. Er kannte dieses Männchen, er hatte nur vergessen, woher.

Aus den bekannten Gesichtern schloss Eisblitz, dass sich sein Traum nun in eine Vision seiner Vorfahren verwandelt hatte.

Beim Anblick der drei Sternenhüter des Ewigen Rudels fiel ihm mit einem Schlag auch ein, was geschehen war.

Welche Sorgen er außerhalb seines Traums hegte.

Silber ist fort! Sie hat uns verlassen! Ohne sie wird das Rudel untergehen!

Ehe Eisblitz allerdings in Panik ausbrechen konnte, beruhigte ihn Nebels sanfte Stimme: »Sei gegrüßt, Eisblitz.«

Sie blinzelte ihn verständnisvoll an, als die drei vor ihm stehen blieben. Auch die beiden Wolfsrüden neigten vor dem Lebenden den Kopf, Eisblitz jedoch sah die zwei verwirrt an.

Er versuchte, seine Angst um seine Ziehtochter zu verdrängen. »Seid ebenfalls gegrüßt«, erwiderte er zögerlich.

Nebel schmunzelte bei dem unsicheren Blick ihres Nachfolgers. »Du weißt nicht, wer die Rüden sind, die ich mitgebracht habe, nicht wahr?«

Eisblitz nickte etwas verunsichert. Er sah von dem Goldenen zum Schwarzen und wieder zurück.

Nebel bedeutete dem gelbäugigen Rüden mit einem Kopfnicken, sich zuerst vorzustellen. Dieser lächelte, trat einen Schritt vor und verneigte sich vor dem weißen Wolf.

»Hallo, Eisblitz. Mein Name ist Rabe. Ich war vor Nebel der Mondwächter des Nachtrudels.«

Eisblitz' Augen leuchteten auf, als er sich an den starken Wolfsrüden erinnerte. Er war ein junger Welpe gewesen, als Rabe das Rudel angeführt hatte.

»Ich erinnere mich an dich«, flüsterte er erstaunt. Schmunzelnd nickte der Dunkle. »Oh ja. Ich habe dich auch noch als kleinen Dachs in Erinnerung.«

Für einen Moment lächelte Eisblitz, da wanderte seine Aufmerksamkeit jedoch zu dem goldfarbenen Männchen.

»Und… und wer bist du? Ich bin mir sicher, dass ich dich noch nie gesehen habe.«

Der Wolf tauschte einen kurzen Blick mit Nebel, bevor er vortrat und sich vor dem Weißen verneigte.

»Du hast recht, Eisblitz. Du kennst mich nicht. Aber mit diesem Besuch wollte ich das ändern.«

Der Goldene sah auf und erwiderte Eisblitz' verwirrten Gesichtsausdruck mit einer warmherzigen Miene.

»Ich bin Löwe, Silbers leiblicher Vater.«

Erschrocken zog der Lebende die Luft ein und starrte den goldfarbenen Jäger mit offenem Maul an.

»Du … bist ihr Vater?«, wiederholte er überrascht.

Eisblitz hätte nie damit gerechnet, jemals einen Teil von Silbers echter Familie kennenzulernen.

Kalte Furcht ließ seine Glieder versteinern. Bedeutet das, dass Silber etwas zugestoßen ist? Wenn ihr leiblicher Vater mich besucht?!

Löwe nickte höflich. »Ja, das bin ich.«

Der Goldene sah seinem Gegenüber tief in die Augen, als er hinzufügte: »Und ich muss dir von ganzem Herzen danken, dass du dich so gut um sie gekümmert hast.«

Nach diesen Worten trat er wieder zurück zu Nebel und Rabe. Trauer trübte Eisblitz' blauen Blick. Er seufzte laut.

»Es tut mir leid, dass ich nicht mehr für deine Tochter tun konnte.« Bekümmert sah er auf das helle Gras. Er schämte sich für sein Versagen. »Silber hatte es im Rudel so schwer … ich verstehe, warum sie weggelaufen ist. Aber …«

Er hob den Blick. Ein Funke Hoffnung war nun in seinen dunkelblauen Augen zu lesen.

Er musste es jetzt einfach erfahren.

»Geht es ihr gut? Wisst ihr, wo sie ist? Wird … wird sie zurückkommen? Oder wird das Nachtrudel …«

Er brach ab, unfähig diesen Satz zu beenden.

»Deswegen sind wir hier«, antwortete Nebel sanft. »Wir können deine Ziehtochter weiterhin sehen. Wir wissen, wo sie ist und was sie erlebt hat.«

Eisblitz' Hoffnung wuchs, nun reckte er sich vor, begierig, eine Antwort zu bekommen.

»Wo ist sie? Was … was hat sie durchgemacht? Ist sie allein? Ist Klee bei ihr?«

Eisblitz erkannte in ihren hellblauen Tiefen, die voller Zuneigung und Verständnis leuchteten, dass sie seine Sorge verstehen konnte. Silber ist meine Tochter, auch wenn ihr echter Vater genau vor mir steht! Ich habe sie geliebt und aufgezogen, wie mein eigen Fleisch und Blut! Blut ist keine Voraussetzung, um jemanden zu lieben. Ich könnte sie gar nicht mehr lieben ...

»Silber geht es gut«, fing die silberne Wölfin an. »Sie war mit Kupfer, einem Einzelwolf, unterwegs, der - «

Eisblitz unterbrach sie, erschütternde Erkenntnis brodelte in seinem Magen. »Also hatte Maus recht? Silber hat einem wilden Wolf geholfen und ist mit ihm gegangen?«

Löwe antwortete für Nebel: »Ja, da hatte Maus recht.«

Sein Blick verdunkelte sich, als er fortfuhr: »Aber der ganze Rest ist eine Lüge. Silber hat die drei in keiner Weise angegriffen. Sie wollten Silber töten. Kupfer ist ihr zu Hilfe gekommen.«

Der lebende Wächter nickte erleichtert. »Das habe ich ihm natürlich nie geglaubt, nur ...«

Nebel fiel ihm auf einmal ernster ins Wort: »Wenn du Maus nicht glaubst, warum hast du ihn dann zu deinem Krallenmondwolf gemacht, nachdem Fels sich uns angeschlossen hat?«

Der Wolf starrte sie einen Herzschlag an. Unsicherheit bohrte sich wie Krallen in sein Fell.

Er versuchte, zu antworten: »Na ja … Maus ist Fels' Sohn und er ist der Stärkste…«.

»Der Stärkste?«, unterbrach die Silberne ihn abermals. »Was ist mit Krähe oder Ast? Sind sie nicht stark genug?«

Der Mondwächter blickte seine Vorgängerin verblüfft an, hatte das Maul irritiert geöffnet.

Doch da flammte Wut in ihm auf. »Was willst du damit sagen? Stellst du gerade meine Wahl in Frage? Warum? Ich dachte, wir reden hier über Silber!«

»Das tun wir auch«, mischte Löwe sich beruhigend ein. Er trat fast verteidigend einen Schritt vor. »Nebel wollte nur nachfragen. Nicht wahr?« Mit einem warnenden Blick wandte er sich an seine Mondwächterin. Diese sah erst verwirrt aus, als hätte sie vergessen, was los war, bis sie sich schüttelte und räusperte.

»Ja, genau … ich wollte nur nachfragen. Entschuldige, Eisblitz. Ich würde deine Entscheidung niemals in Frage stellen.«

Eisblitz nickte, wollte allerdings sofort besorgt wissen: »Aber … was ist jetzt mit Silber? Wo ist sie?«

Die drei Jäger wechselten Blicke, bevor Rabe antwortete: »Sie und Kupfer sind eine Zeit lang gewandert. Jedoch wurden sie von Nachtfürchtern - sogenannten Menschen - gefangen genommen und -« Eisblitz erstickter Schrei unterbrach die Worte des schwarzen Rüden. »Nein!«, jaulte er verzweifelt. Panik ließ sein Herz schmerzhaft gegen seine Brust schlagen, als er sich Silber vorstellte, auf dem Boden ... bewegungslos.

Um sie herum eine Lache aus Blut.

»Sagt mir, dass es nicht so ist, wie ich denke!«

Beruhigend schüttelte Nebel den Kopf. »Silber ist nicht tot. Sie wurde von den Menschen bloß gefangen genommen.«

Der schneeweiße Wolf hörte mit entsetztem Gesichtsausdruck weiter zu, als die Wächterin fortfuhr: »Sie ist mit Kupfer zu Hunden gekommen, in ein Gefängnis, indem Metallhund die Tiere foltern. Dort kam auch Klee hin, nachdem er euch verlassen hatte.«

»Also hat er Silber tatsächlich gefunden«, flüsterte Eisblitz zu sich selbst. Er musste zugeben, er war beeindruckt von dem jungen, gefleckten Rüden. Er hätte niemals auch nur gehofft, dass er seine Ziehtochter wirklich finden würde.

Nebel nickte. »Ja, das hat er. Zusammen haben sie einen Plan geschmiedet, wie sie aus dem Gefängnis entkommen könnten.« Eisblitz spitzte die Ohren. »Haben sie es geschafft?«, fragte der Wächter hoffnungsvoll.

Diesmal antwortete Löwe: »Ja, sie haben es geschafft. Nun sind sie wieder frei.«

Ein erleichtertes Seufzen entfuhr dem Weißen, bevor sein Gesichtsausdruck sich jedoch erneut verfinsterte.

Jetzt ist sie befreit ... was wird sie nun tun?

»Wird sie ... zurückkommen?«

»Das ist nur ihre Entscheidung«, entgegnete Löwe mit fester Stimme. »Nein!«, rief Eisblitz, nun ganz aufgebracht. Das konnte er nicht wahrhaben! Silber musste zu ihnen zurückkehren! »Es ist keinesfalls ihre Entscheidung! Silber ist mit dieser Bestimmung geboren worden! Sie muss sie erfüllen! Sonst wird das Nachtrudel untergehen!«

»Dass Silber euch verlassen hat, haben allein deine Rudelgefährten zu verantworten«, erwiderte Nebel ruhig.

Ihr Bellen hatte jedoch einen Unterton, den Eisblitz kaum deuten konnte. Hörte er da etwa Abneigung in ihrer Stimme?

»Wenn sie nicht so egoistisch und gemein zu ihr gewesen wären, wäre sie nie gegangen und dein Rudel immer noch in Sicherheit. Nun aber ist sie fort, an einem Ort, der ihr komplett fremd ist und inmitten von zwei Rüden, zwischen denen sie sich entscheiden muss.«

»Endscheiden muss?«, wiederholte der Lebende verwirrt.

»Klee tut alles, damit Silber mit ihm zurückkommt«, erklärte Rabe geduldig. »Bloß ihr eigentlicher Plan war es, mit Kupfer allein als Einzelwölfin zu leben.«

»Aber sie ist doch eine Rudelwölfin!«, rief Eisblitz verzweifelt aus.

Sie ist eine Sternenhüterin des Nachtrudels! Sie gehört zu mir!

»In ihren und in den Augen deiner Rudelgefährten nicht«, widersprach Nebel mit einem kalten Unterton. »Sie wollte in die Pfotenstapfen ihrer echten Mutter treten und mit Kupfer ein neues Leben, frei von jeglichen Pflichten und Befehlen, beginnen. Ihre Bestimmung und was mit denen passiert, die sie verlässt, war ihr egal und das nur, weil deine Gefährten so kurzsichtig sind! Drei deiner Untertanen wollten sie sogar ermorden! Kein Wunder, dass sie gegangen ist!«

Jetzt lag Aggressivität in der Stimme der Mondwächterin des Ewigen Rudels, als würde sie das Verhalten ihrer einstigen Rudelmitglieder wütend machen.

Ein erschöpftes Seufzen entschlüpfte der Kehle des weißen Wolfsrüden. Er fühlte sich so schlecht, als hätte er Aas gefressen. »Ich wusste, dass es ihr nicht gut ging, habe aber nichts dagegen getan. Es ist meine Schuld, dass Silber gegangen ist und das Nachtrudel nun untergehen wird … es tut mir so leid.«

»Du trägst keine Schuld, Eisblitz«, beruhigte Nebel ihn sanft, als würde sie einen winselnden Welpen trösten wollen.

»Außerdem ist es noch nicht entschieden, dass das Rudel untergeht«, fügte Rabe optimistisch hinzu.

»Silber kann sich immer noch für uns entscheiden. Wie schon gesagt, es ist ihre Wahl.«

»Aber auch gegen uns«, warnte Löwe vorsichtig mit einem entschuldigenden Blick auf den Mondwächter.

»Was kann ich tun, um sie zu überzeugen?«, wollte Eisblitz hoffnungsvoll wissen. Er musste irgendetwas tun. Er konnte doch keineswegs einfach nur dasitzen, und warten!

Es musste etwas geben, was er tun konnte!

»Du musst ihr vertrauen und ihre Entscheidung respektieren, egal, wie sie ausfällt«, antwortete der goldene Wolf behutsam.

Die Augen des Weißen wanderten zu dem Rüden. »Was soll ich tun, wenn sie sich gegen uns entscheidet?«

Angst ließ seine Beine erzittern. Angst vor der Antwort. Einen Atemzug blieb es ruhig, keiner der drei Hüter wollte darauf antworten. Jeder wusste die Erwiderung schon.

Schließlich erhob Rabe die Stimme: »Du kannst nichts tun. Dann ist euer Schicksal besiegelt. Dann wird das Rudel untergehen. Du und all deine Gefährten werden sterben und der Wald zerstört werden.«

Eisblitz blieb für einige Augenblicke still. Er musste erst einmal begreifen, was das bedeutete.

»Kann ich irgendetwas tun, um das zu verhindern?« Seine Frage war nur ein Flüstern. Die Verstorbenen hörten, dass er selber nicht mehr daran glaubte.

Nebel schüttelte langsam den Kopf. Kummer schimmerte in ihren hellen Tiefen. »Nein«, seufzte sie mit vor Trauer angelegten Ohren. »Du kannst nur hoffen, dass deine Ziehtochter die richtige Entscheidung trifft.«

1. KAPITEL

Eiskalter Wind zerrte an meinem Fell, wie Krallen, die meinen Pelz zerfetzen wollten. Ich stolperte durch den bauchhohen Schnee, immer weiter weg von dem Gefängnis.

Durch den schneidenden Luftstrom musste ich die Augen zusammenkneifen, um überhaupt noch etwas sehen zu können.

Hinter mir hörte ich das angestrengte Schnaufen meiner Freunde, während sie versuchten, sich durch das hohe Weiß zu schleppen.

Der steile Hang machte es uns nicht leichter. Mit jedem Schritt fiel es mir schwerer, eine Pfote vor die andere zu setzten. Sie fühlten sich jetzt schon wie Eiszapfen an.

Aber ich war entschlossen es zu schaffen.

Fest entschlossen, zu fliehen, von diesem schrecklichen Ort wegzukommen.

Der schneebedeckte Waldrand am Ende des Steilhangs schien noch weit entfernt, als ich plötzlich Schreie hörte.

Rufe von Nachtfürchtern, die die Hunde Menschen nannten.

Stürmisch drehte ich den Kopf, um das große rechteckige, weiße Gebäude zu sehen, was unser Gefängnis gewesen war.

Kleinere, viereckige Stellen sprenkelten es, durch die ich ins Innere schauen konnte.

Vor dem Bauwerk rannten Menschen aufgeregt hin und her, zeigten mit ihren Pfoten auf uns und brüllten sich irgendetwas zu.

»Schneller!«, jaulte ich meinen Gefährten zu, als ich die Zweibeiner auf uns zu laufen sah.

Da zerriss auch schon der erste Donnerschlag die Luft, wie ein Blitz den Himmel, bei Gewitter. Die Menschen schossen mit ihren Stöcken auf uns!

Lesly kreischte auf, schien aber nicht getroffen worden zu sein. Dem Ewigen Rudel sei Dank!

»Los! Sie dürfen uns auf keinen Fall erwischen!«

Gerade wollte ich das Tempo beschleunigen, was bei diesen Massen an Schnee fast unmöglich war, da hörte ich das unnatürliche, laute Gebell der Metallhunde.

Ich blickte erneut über die Schulter und sah, dass sie aus dem Gebäude geschossen kamen. Black an der Spitze.

Mein Magen verkrampfte sich. Nicht nur, weil sie uns jagen würden, sondern auch, weil das bedeutete, dass Raven tot war.

Er hatte sich für uns geopfert, damit wir fliehen konnten.

Sodass wir mehr Zeit hatten.

Jetzt hatte ich jedoch keine Gelegenheit zu trauern. Ich musste es schaffen, uns hier wegzubringen.

Für Klee und Kupfer, die Hunde und für Raven!

Also richtete ich meinen Blick nach vorn, zum Waldrand, der fortwährend in großer Ferne zu sein schien.

Nun lief ich schneller, achtete nicht mehr auf die tauben Pfoten, oder auf den Schnee, der uns aufzuhalten versuchte.

Den kalten Wind, der mich beinahe erblinden ließ, blendete ich aus. Die lauten Rufe, das fürchterliche Gebell der Metallhunde und die Donnerschläge, die mir jedes Mal einen Knoten in den Magen trieben, ignorierte ich ebenfalls.

Ab und zu blickte ich über die Schulter, um mich zu vergewissern, dass es allen noch gut ging.

In Gedanken wiederholte ich immer wieder, dass wir es schaffen mussten! Dass Ravens Tod nicht umsonst sein durfte!

Dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, erreichten wir den Rand des Hangs. Hier war die Schneedecke nicht so tief, eher fest, was uns ermöglichte, normal zu laufen.

Einen ganz kleinen Moment blieben wir stehen und schauten uns um. Unter uns hatten selbst die Metallhunde mit dem tiefen Schnee zu kämpfen. Die Menschen, die versucht hatten, uns zu folgen, versanken in dem weißen Pulver, sodass sie die Verfolgung nach kurzer Zeit aufgaben.

Die metallischen Hunde schleppten sich jedoch weiter voran.

Mit gefletschten Zähnen und wutentbrannten, leuchtenden Augen, kamen sie immer näher.

Hektisch wirbelte ich herum, um den Waldrand in Augenschein zu nehmen.

Einen Waldrand mit Bäumen, Unterholz und Sträuchern.

Entsetzten traf mich, als ich feststellte, dass alles mit einer Eisschicht überzogen war. Die Äste der kahlen Bäume senkten sich von der schweren Last des Schnees schon zu Boden, das ganze Unterholz war eingefroren. Nirgends entdeckte ich ein grünes Blatt oder sonst irgendeine Farbe. Alles war weiß.

Eine einzige Schneelandschaft.

»Was sollen wir tun?«, hörte ich Lenny wimmern.

Ich drehte mich zu meinen Freunden um, die in einem Halbkreis vor mir am Rand des Abhangs standen.

Jeder hatte die Zunge aus dem Maul hängen, sie schienen erschöpft, atmeten schwer.

Ich erkannte erst jetzt, dass das Gefängnis in einem großen Tal lag. Um das ganze Gebäude herum entdeckte ich spitze, schneebedeckte Berge und steile Hänge.

»Wir müssen einfach weiterlaufen!« Auroras Kläffen ließ meine Aufmerksamkeit wieder zu den anderen wandern.

»Aber was ist mit unseren Spuren?«, fragte Lesly. »Die Metallhunde werden unseren Pfotenspuren folgen! Hier gibt es nichts außer Schnee, wie sollen wir da entkommen?«

Für einen Moment blieb es still, keiner wusste eine Antwort auf diese Frage. Dann allerdings quiekte Lenny entsetzt, mit einem Blick den Abhang hinunter: »Sie kommen!«

»Na schön!«, knurrte ich. »Wir müssen laufen, selbst wenn die Metallhunde unsere Fährte aufspüren können. Wir haben keine andere Wahl, das ist unsere einzige Chance!«

Ich drehte mich um und sprang in den schneebedeckten Wald hinein. Sofort, als ich auch nur einen Ast eines Busches berührte, rieselte der Schnee auf mich hinab, sodass ich fröstelte. Aber das war egal. Wir mussten nur weiter. Und zwar schnell.

Zu meiner Erleichterung vernahm ich hinter mir die polternden Schritte meiner Gefährten, die mir durch den weißen Wald folgten.

Dünne Bäume und weißes Unterholz versperrten uns den Weg, wir setzten jedoch über jeden Busch und umrundeten jeden Baum.

Auf einmal hörte ich das wütende Gejaule erneut und wusste, dass die Metallhunde den Waldrand erreicht hatten.

Mir wurde schlecht, als ich mir vorstellte, nun ewig vor diesen Monstern fliehen zu müssen. Ich hatte keine Ahnung, ob diese Dinger unaufhörlich laufen konnten, ob sie müde werden oder irgendwann ihre Jagd aufgeben würden.

Das Einzige, was mir in diesem Augenblick klar war, war, dass die Erschöpfung uns früher oder später einholen würde und wir unser Tempo drosseln mussten.

Zum Verstecken gab es keine Möglichkeit. Unsere Pfotenabdrücke würden uns immer wieder verraten, einerlei, wo wir hinliefen. Jetzt müssten wir fliegen können!

Das konnten wir leider nicht, also rannten wir weiter.

Nun war ich allerdings fast schon froh darüber, die ganze Zeit am Trainieren gewesen zu sein.

Meine Muskeln fühlten sich viel stärker an. Ich konnte länger und schneller laufen, als vor unserer Gefangennahme.

Meinen Freunden schien es ähnlich zu gehen. Als ich mich kurz umdrehte, entdeckte ich Kupfer direkt hinter mir, mit wehender Zunge und schnaubendem Atem, aber er hielt leicht mit mir Schritt.

Klee lief ebenso ohne Probleme dahin. Selbst der kleine Lenny, der neben dem Einzelwolf und dem Rudelwolf her sprintete, schien keineswegs erschöpft. Seine Schlappohren flogen ihm um den Kopf, als er dicht neben dem Goldenen her jagte.

Hinter den Dreien sah ich die zwei Hündinnen Lesly und Aurora, die schnaufend daher stürmten.

Auch Ben konnte mithalten, drehte sich jedoch immer wieder um, um zu schauen, ob die Monster uns auf den Pfoten waren. Doch wir konnten sie nicht sehen. Es war, als würde uns eine weiße Wand die Sicht versperren.

Deshalb wandte ich mich erneut nach vorn und raste weiter durch den frostigen Wald. Ich musste zugeben, dass die Landschaft ein atemberaubender Anblick war.

Überall glitzerte es hellblau und silbern. Der Frost schimmerte im Tageslicht, wie Kristalle.

Leider konnte ich diesen Ausblick nicht genießen, da ich dabei war, um mein Leben zu rennen.

Wenn wir die Metallhunde erstmal abgeschüttelt haben, kann ich mir die Umgebung in Ruhe anschauen!

Die Frage war nur: Wie sollten wir sie abhängen?

Hinter uns hatte ich schon eben den aufgewühlten Schnee und die einzelnen Pfotenspuren gesehen, die uns zu verfolgen schienen. Sie würden uns verraten, egal wo wir uns versteckten. Da lichtete sich aber auf einmal das Gelände und ich konnte plötzlich zwischen all dem Weiß eine andere Farbe erkennen. Ein strahlendes, wunderschönes Blau!

Ein eisblauer Faden, der sich durch das alles verschlingende Weiß zog. Ein Bach! Ein zugefrorener Bach!

Ich hatte die Idee. Auf Eis hinterließ man keine Abdrücke!

Wir preschten aus dem Wald, ein eisiger Windstoß begrüßte mich, doch ich hielt vor dem Wasser an.

Kupfer wäre fast in mich hineingerannt, konnte jedoch gerade noch ausweichen.

»Warum bleibst du stehen?«, knurrte Ben, der sich dem immer lauter werdendem Gejaule unserer Verfolger bewusst war.

»Wir müssen weiter!«, drängte Klee und deutete über den Bach, wo der weiße, vereiste Wald uns erneut begrüßen wollte.

Ich allerdings schüttelte rasch den Kopf. »Nein, wir laufen auf dem Bach! Durch das Eis hinterlassen wir keine Spuren und der kalte Wind vertreibt unseren Geruch. So können wir vor den Metallhunden fliehen!«

Erst sahen die anderen skeptisch aus, aber nach wenigen Herzschlägen bellte Kupfer: »Dann los! Schnell!«

Er sprang auf das Eis, rutschte erst einmal aus und fiel auf die Schnauze. Trotz der angespannten Situation konnte ich mir ein Lachen nur knapp verkneifen.

Eilig lief ich neben ihn, achtete darauf, dass ich festen Halt hatte, und half dem goldenen Rüden auf.

Dieser schüttelte sich unter einem mürrischen Knurren die Kälte aus dem Fell.

»Geht’s dir gut?«, fragte Ben, der mit unseren Freunden zu uns getreten war. Kupfer erwiderte den Blick des Grauen. »Mir geht’s gut, sobald wir in Sicherheit sind! Kommt!«

Die Gefährten schienen nun einverstanden, denn sie traten alle, erst zögerlich, anschließend selbstsicherer, aufs Eis.

»Gut, dann los!« Ich sprang voran, meine Krallen immer fest am Eis, damit ich nicht ausrutschte.

Meine Kameraden folgten mir etwas langsamer.

Plötzlich hörte ich ein überraschtes Fiepen, aber ehe ich mich umschauen konnte, sah ich schon Lenny, mit der Schnauze voraus, an mir vorbei schlittern.

Ich hüpfte zu ihm und schob ihn mit der Nase weiter, sodass er eher über das Eis schlitterte, als lief.

Das Gejaule der Metallhunde war weiterhin zu hören. Diesmal lauter, woraufhin ich versuchte, flinker zu laufen, was mit dem Eis unter den Pfoten leichter gesagt, als getan war.

Lenny rappelte sich vor mir auf und jagte an meiner Seite über den zugefrorenen Bach.

Nach ein paar schnellen Sprüngen, rutschte ich allerdings auch aus, fiel auf mein Hinterteil und schlitterte vorwärts.

Hinter mir hörte ich ein belustigtes Kichern. Es wurde aber prompt von einem überraschten Quieken ersetzt, als Kupfer auch ausrutschte und mich auf dem Allerwertesten rutschend überholte.

Diesmal konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen. Ich prustete los, während ich mich wieder auf die Tatzen hievte.

Meine Krallen kratzten am Eis, als ich in großen Sätzen zu dem jungen Wolf eilte. Dieser mühte sich ein kleines Stück vor mir auf die Pfoten.

Ich packte den Rüden am Nackenfell und zog ihn mit einem Ruck auf die Beine.

»Danke«, keuchte er halb erleichtert, halb belustigt, bevor er sich wiederholt in Bewegung setzte.

Ich folgte ihm, nachdem ich einen Blick über die Schulter geworfen hatte, um mich zu vergewissern, dass keiner der anderen Hilfe brauchte.

Als ich meinem Freund hinterherlief, konnte ich erkennen, dass der Bach nach einem kurzen Stück eine Biegung machte und hinter den Bäumen verschwand.

Das war perfekt! So konnten die Metallhunde uns nicht mehr sehen. Bis jetzt waren sie auch noch nicht in unsere Sichtweite gekommen, sondern verfolgten uns nur anhand der Spuren.

»Weiter!«, rief ich der Gruppe zu. »Nach der Kurve haben sie uns verloren!«

Ich versuchte, kräftiger zu laufen, um so schnell wie möglich in Sicherheit zu gelangen.

Der Bach unter mir ächzte, als ich mein volles Körpergewicht in meine Schnelligkeit legte. Meine Krallen brannten wie Feuer, als ich sie immer wieder in das harte Eis schlug. Glücklicherweise war das Eis so dick, dass unsere Krallen keine Spuren hinterließen.

Gerade, als wir die Biegung erreicht und umrundet hatten, hörte ich hinter uns das unnatürliche Gejaule sehr viel lauter.

Unsere Feinde hatten das Wasser erreicht.

»Die Metallhunde kommen!«, piepste Lenny, der abermals an meiner Seite lief.

»Ich weiß, Lenny«, bellte ich zustimmend.

»Wo sollen wir jetzt hin?«, fragte Ben ein wenig außer Atem hinter mir, während wir unseren Lauf fortsetzten.

»Weiter den Bach entlang, solange es nötig ist, um diesen Bestien zu entkommen!«, entschied ich entschlossen.

Also schossen wir auf dem Eis durch die frostige Gegend. Die Umgebung änderte sich nicht viel. Die weißen Bäume und Büsche begrenzten beide Seiten des zugefrorenen Wasserlaufs, zwischendurch mischten sich verschneite Tannen hinzu.

Der Wind wurde stärker, kälter. Ich fröstelte als ein eisiger Windstoß mir das Fell zerzauste und mir in die Augen stach, wie Krallen, die versuchten, sie auszukratzen.

Ich ignorierte diesen Schmerz weiterhin.

Freude stieg in mir auf, als ich bemerkte, dass das Gebell der Metallhunde immer leiser wurde.

»Wir schaffen es!«, hörte ich Aurora hinter mir schnaufen.

Unglaubliche Erleichterung durchflutete mich.

Aurora hat recht! Wir schaffen es tatsächlich!

Wir würden den Monstern entkommen, die einige von uns seit Zeitwechseln terrorisiert hatten!

Ich fühlte mich überglücklich, obwohl ich keinesfalls lange dort drin gehaust hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Ben sich fühlen musste, nach all dieser Zeit.

Gerade wollte ich mich zu dem grauen Rüden umdrehen, als vor uns ein lautes Brüllen erklang.

Mit einem erschrockenen Aufschrei versuchte ich auf dem rutschigen Eis anzuhalten, als ich eine Gestalt aus den Büschen, am Rand des Baches brechen sah.

Jedoch schlitterte ich mit schmerzenden Krallen, die probierten Halt zu finden, weiter auf die Bestie zu.

Hinter mir ertönte überraschtes Fiepen, als auch meine Gefährten das Etwas erblickten. Ich hörte schlitternde Pfoten, aber selbst sie konnten nicht anhalten.

Nach angstvollen Herzschlägen, endlich, wurde ich langsamer und blieb stehen. Kupfer rempelte mich hart an, ich krallte mich diesmal fest, sodass ich nicht nach vorne rutschte. Entsetzt starrte ich das schwarze Ding vor mir an.

Wütendes Knurren erklang an meinem Rücken. Ich und meine Freunde, erkannten schlagartig, wer dieses Etwas, was uns mit breitbeiniger Haltung, glühenden, roten Augen und gefletschten, scharfen Zähnen, gegenüber stand, war. Black.

Der Anführer des Metallhundrudels versperrte uns den Weg.

»Habt ihr ernsthaft gedacht, ihr könntet fliehen? Vor mir?!«

Das laute, unnatürliche Brüllen, dröhnte in meinen Ohren, aber ich verstand es nicht. Ich konnte es unmöglich glauben.

Wie hatte dieses Monster uns gefunden?

Hatte er uns doch gerochen?

Unglaubliche Verzweiflung ergriff mich, als ich realisierte, was das bedeutete.

Wir hatten versagt. Black würde uns zurück ins Gefängnis bringen, alles wäre umsonst gewesen.

Ravens Tod wäre umsonst gewesen.

Nein! Das durfte ich auf gar keinen Fall zulassen!

Mit aufgestelltem Fell und gefletschten Zähnen nahm ich meinen Mut zusammen und stellte mich dem Monster abermals gegenüber.

Ich wusste, dass ich nichts ausrichten konnte, aber ich musste es wenigstens versucht haben.

Für Raven, für die Hunde, für einfach alle!

»Du wirst uns nichts mehr antun!«, knurrte ich mit vor Verzweiflung und Wut zitternder Stimme.

Black jedoch schnaubte nur belustigt. »Ach, und wie willst du das verhindern?« Sein Gesicht verwandelte sich in eine scheußliche Grimasse. »Du weißt, was das letzte Mal passiert ist. Soll es diesmal noch schlimmer enden?«

Ach ja, das hatte ich beinahe vergessen.

Dieses Ungeheuer hatte mir seine Krallen ins Fleisch gerammt! »Komm her und versuch's!«

Ich hatte keine Lust mehr. Ich wollte nicht zurück in das Gefängnis, wollte nicht, dass meine Freunde dorthin zurückmussten. Dafür würde ich jetzt alles tun.

Weil mir in diesem Moment alles egal war.

»Wie du willst!«, knurrte Black mit einem scheußlichen Grinsen. Mit einem dunklen Brüllen sprang er auf mich zu.

Okay, so gleichgültig ist es mir dann doch nicht!

So schnell ich konnte, warf ich mich zur Seite.

Meine Freunde kreischten hinter mir auf, aber auch sie schafften es, auszuweichen.

Da Black so schwer war, krachte er mit einem lauten Platschen ins bauchhohe, eiskalte Nass.

Dabei spritzte er uns, die am Rand des Baches standen mit Wassertröpfchen und kleinen Eissplittern voll.

Ich wollte schon in den Wald fliehen, weil unser Feind abgelenkt war, da erkannte ich, dass der Metallhund sich nicht mehr bewegte.

Er verharrte bis zum Bauch im Wasser, hatte ein quälendes Gesicht aufgesetzt und starrte mit seinen Augen, die auf einmal schwarz waren, nach vorn.

»Was… was ist passiert?«, fragte Lenny neben mir geschockt. Ich schüttelte den Kopf und flüsterte, mit dem Blick auf den starren Metallhund: »Ich habe keine Ahnung.«

Jetzt standen wir alle bewegungslos da und betrachteten Black.

Das Eiswasser schwappte weiterhin aufgebracht um ihn herum, sein schwarzes Metall schien noch dunkler vom Wasser, was ihm bis zum Hals geschwappt war.

Seine Augen waren finster, als wäre er eingeschlafen.

»Ist er … tot?«, fragte Klee nach einer Weile unsicher.

Es blieb still. Keiner wusste es.

Aber da kläffte Aurora entsetzt: »Seine Augen sind kaputt!«

Wir alle starrten auf das Monster und ich erkannte, dass die weiße Hündin recht hatte. Die schwarzen Augen des Ungetüms waren nicht nur dunkel, sondern auch … zersprungen. Es schien, als ob sie zersplittert wären, wie Eis, wenn man auf es schlug.

Kupfer tappte zögerlich an den Rand des Baches und schnupperte vorsichtig an Black.

»Geh da lieber weg«, riet Lesly besorgt.

Der Einzelwolf blieb jedoch, wo er war, beschnupperte erst den Metallhund, dann das kalte Wasser und zuletzt das zerbrochene Eis.

Nach ein paar Augenblicken richtete er sich wieder an uns.

»Er riecht nach Metall und Eis. Nichts Seltsames. Ich glaube, er ist wirklich nur eingeschlafen.«

»Vielleicht ist er auch eingefroren?«, äußerte Ben seine Vermutung.

»Das halte ich für unwahrscheinlich«, entgegnete Lenny, fragte sich trotzdem selbst: »Aber aus welchem Grund sonst könnten seine Augen einfach kaputt gehen?«

Ich blieb still, sah weiterhin den reglosen Metallhund nachdenklich an. Er war gerade dabei gewesen, sich auf mich zu stürzen, warum sollte er dann einfach einschlafen?

Die Menschen konnten ihn hier draußen bestimmt nicht kontrollieren, also musste es eine andere Ursache geben.

Plötzlich hatte ich einen Geistesblitz.

»Das Wasser!«, flüsterte ich. »Vielleicht … vielleicht hat es irgendetwas mit Blacks Starre zu tun.«

Ich hatte zwar zu mir selbst gesprochen, Klee, der neben mir stand, hatte mich jedoch gehört und stimmte mir zu: »Ja … das könnte tatsächlich sein.«

An die Hunde gewandt, fragte er: »Wisst ihr, aus was die Metallhunde noch bestehen … na ja, außer aus Metall?«

Ben, Aurora und Lesly zuckten mit den Schultern, aber Lenny schien zu überlegen. Er antwortete, nach wenigen Herzschlägen: »Auf jeden Fall bestehen sie nicht nur aus Metall, aber aus was noch, da haben wir keine Ahnung. Ich denke jedoch, dass Silber nicht Unrecht hat. Das Wasser könnte eine Ursache für seinen Zustand sein. Irgendwas muss er in sich haben, was stark auf Wasser reagiert.«

»Ist das nicht eigentlich egal?«, fragte Lesly mit aufsteigender Aufregung. »Black kann uns nicht mehr folgen! Wir können fliehen! Und hört ihr noch die anderen Metallhunde?«

Lesly hatte recht. Ich hörte die Monster nicht mehr und Black war wahrscheinlich tot.

»Wir können fliehen!« Bens erfreutes Bellen folgte glücklichem Lachen. »Wir können fliehen!«, wiederholte er lachend.

Ein Grinsen breitete sich auf den Gesichtern meiner Gefährten aus und auch ich konnte ein Kichern nicht unterdrücken.

»Worauf warten wir dann noch?«, fragte ich in die Runde. »Lasst uns los!«

Sofort rannte ich weiter, diesmal aber vor Freude, anstatt vor Angst. Hinter mir bellten meine Freunde fröhlich und ausgelassen und ich heulte ebenfalls zum grauen Himmel empor.

Immer weiter stürmten wir durch den weißen Wald, immer weiter weg von dem Gefängnis, immer weiter hin zu unserer Freiheit. Wir hatten es geschafft.

Wir waren geflohen und nun endlich richtig frei.

2. KAPITEL

Nach einiger Zeit blieben wir stehen. Mitten im eingeschneiten Wald, umgeben von schneebeladenen Tannen, dünnen, gefrorenen Bäumen und weißen Büschen. Über uns der graue Himmel, der kein Anzeichen einer Sonne zeigte.

Erstmal mussten wir alle Luft schnappen. Jeder war erschöpft vom langen Lauf, auch wenn die Hälfte von ihm vor Freude gewesen war.

Nun standen wir in einem Kreis zusammen.

Lesly und Lenny schauten sich gespannt um, wir anderen kauerten hechelnd auf dem kalten Schnee und versuchten Kraft zu sammeln.

Nach einer Weile brach Klee, der neben mir saß, als Erster die Stille: »Also … wir sind frei … aber wo sind wir?«

Es blieb ruhig, da keiner wusste, was er darauf antworten sollte.

»Ist doch egal!« Bens freudiger Ruf ließ mich zusammenzucken und den Grauen überrascht anschauen.

Meine Freunde blickten ihn genauso irritiert an.

Dieser hatte die Blicke bemerkt und erklärte mit einem großen Grinsen im Gesicht: »Wir waren zeitwechsellang eingesperrt! Freut ihr euch nicht auch, wieder die frische Luft einatmen zu können? Oder etwas anderes unter den Pfoten zu spüren, als den harten, kalten Boden?«

Bevor irgendjemand antworten konnte, sprang Ben plötzlich hin und her und kläffte glücklich, wie ein Welpe, der das erste Mal den Bau verlassen durfte.

Anfangs sahen die Hunde überrascht zu, aber dann schienen sie - wir alle - erst zu realisieren, was gerade passiert war.

Wir sind frei!

Sofort begegnete mein Blick dem von Kupfer, der mich mit einem aufsteigenden Grinsen ansah. Wie auf ein Zeichen fingen wir beide an zu lachen und sprangen mit Ben durch den Schnee. Auch die anderen brachen in Gelächter aus und purzelten mit lautem Bellen durch das Weiß.

Aurora und Lesly stolperten über Lenny, der sich mit einem amüsierten Quieken auf die zwei Hündinnen warf und mit ihnen herumtollte.

Ben stürzte sich mit einem vergnügten Kläffen auf Klee, der sich mit einem gespielten Knurren zu Boden drücken ließ.

Ehe ich die Gefährten weiter beobachten konnte, hörte ich ein belustigtes Grollen und dann drückte mich auch schon jemand in den Schnee. Ich musste gar nicht das goldene Fell im Augenwinkel sehen, um zu wissen, wer da auf mir saß.

Kupfer lachte an meinem Ohr und seine Fröhlichkeit steckte mich an. Wir waren frei!

Unglaubliche Freude schoss durch meinen Körper und trotz des kalten Pulvers, auf dem ich lag, war mir wohlig warm.

Ich war nicht mehr in dem Gefängnis, wurde nicht mehr von den Metallhunden gefoltert und musste kein komisches Hundefutter mehr fressen.

Ich konnte wieder leben!

Mit einem freudigen Knurren drehte ich mich auf den Rücken und stieß Kupfer von mir. Dieser strauchelte und plumpste in den flockigen Untergrund.

Ehe ich mich revanchieren und auf den jungen Rüden springen konnte, spürte ich etwas Kaltes an meiner Schulter.

Sofort wirbelte ich herum und entdeckte Ben, der sich halb tot lachte. Ich knurrte gespielt wütend, schaufelte Schnee zusammen und warf es Ben gegen die Flanke.

Dieser zuckte überrascht zurück, als hätte er nicht damit gerechnet. Dann sprintete er jedoch auf mich zu, aber Kupfer rannte in den Grauen hinein und die zwei purzelten lachend über den Schnee.

Gerade wollte ich den zwei spielenden Rüden zuschauen, da fiel ich schon wieder ins eisige Weiß und hörte über mir von Neuem ein Lachen.

»Hab' dich!«, kläffte Klee an meinem Ohr.

»Nicht mehr lange!« Ich rollte mich auf den Rücken, sodass der Wolf den Halt verlor und auf mich krachte.

Für einen ganz kurzen Moment berührten sich unsere Nasenspitzen und wir sahen uns in die Augen.

In Klees grünen Tiefen las ich allein Freude. In meinen spiegelte sich die gleiche Lebensfreude.

Aber da war der Augenblick bereits vorüber, als Aurora ihn auf einmal von mir runter stieß. Sie selbst wurde von Ben angerempelt und nun rollten alle drei in einem Knäul aus weiß, schildpattfarben und grau durch das Pulver.

Lesly und Lenny bewarfen sich daneben unter ausgelassenem Gejaule mit Schnee, während Kupfer plötzlich neben mir saß und sich die Eisklumpen aus dem Fell schüttelte.

»Findest du es nicht auch traumhaft?«, fragte er leise.

Ich nickte, wusste auf Anhieb, worauf er hinaus wollte.

»Ja, es ist wunderschön, wieder frei zu sein.«

Tief atmete ich die kalte Luft ein, die sich so sauber und rein in meinen Lungen anfühlte.

»Ich frage mich aber schon, wo wir hier sind«, bemerkte Kupfer und betrachtete neugierig die Umgebung.

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe wirklich keine Ahnung. Glaubst du, es ist Schneezeit und wir sind so lange im Gefängnis gewesen?«

Der Goldene schüttelte den Kopf. »Nein, wir waren nicht so lange dort, da bin ich mir sicher. Vielleicht haben die Menschen uns irgendwo hingebracht, wo es nur Schnee und Eis gibt?«

Ich schauderte bei dem Gedanken, dass es den ganzen Zeitwechsel über hier so aussah. Zwar wunderschön, aber eiskalt.

Die anderen hatten aufgehört rumzualbern und schüttelten sich nun auch die Eisklumpen aus dem Fell.

Sie kamen mit glänzenden Augen zu uns, sodass wir wieder in einem engen Kreis zusammen saßen.

»Ich kann es immer noch nicht glauben«, murmelte Ben in die Runde. »Wir sind wirklich frei … nach all der Zeit …«

Sein brauner Blick richtete sich auf mich. »Silber, wir haben es allein dir zu verdanken, dass wir nun hier sitzen. Ohne dich wären wir jetzt noch da drin. Wahrscheinlich bis zu unserem Lebensende.«

Gerade wollte ich widersprechen, aber da sah ich die warme, ehrliche Dankbarkeit in den Augen jedes einzelnen Hundes.

»Ben hat recht«, stimmte Aurora ihrem Freund zu. Auch sie sah mich an. »Wir hatten die Hoffnung aufgegeben. Ohne dich - ohne euch - hätten wir sie nie wiedergefunden. Doch nun«, sie zog tief die eisige Luft in ihre Lungen, »sind wir wirklich frei!«

»Wir können tun und lassen, was wir wollen!«, bellte Lenny glücklich.

»Und was wollen wir tun?«, fragte Lesly plötzlich unsicher. Sie sah in die Runde. »Ich meine, wo sollen wir Hunde leben? Hier in dieser Kälte will ich auf keinen Fall bleiben, aber … wohin sollen wir sonst?«

Zögerlich kam zustimmendes Gemurmel bei den Vierbeinern auf. »Wir waren so lange in dem Gefängnis ...«, seufzte Lenny. »Ich habe gar nicht mehr an eine Zukunft gedacht.«

»Ich ebenso wenig«, gab Ben zu.

Nun wirkten die Hunde unsicher, fast ängstlich, da sie keine Ahnung hatten, was sie als Nächstes tun sollten.

»Lasst uns doch zuerst schauen, wie wir aus dieser Schneelandschaft rauskommen«, schlug Klee neben mir vor. »Wenn ich richtig liege, will keiner von uns hierbleiben. Also sollten wir uns auf den Weg in wärmere Gebiete machen.«

Zustimmendes Bellen brach erneut aus, diesmal auch von mir und Kupfer. Hier wollte ich keineswegs bleiben.

Egal wie meine Entscheidung über die Frage, die ich noch zu verdrängen versuchte, ausfiel, wusste ich, dass meine Zukunft nicht hier lag.

»Aber ich glaube, für heute sollten wir uns ausruhen«, meinte Kupfer an meiner Seite. Er sah kurz zum wolkenbedeckten Himmel, bevor er fortfuhr: »Ich habe zwar keine Ahnung, wie spät es ist, doch wir sollten jagen, damit wir etwas im Bauch haben. Und uns einen Unterschlupf für die Nacht suchen. Morgen können wir immer noch entscheiden, wo wir hingehen.«

Jeder war mit diesem Plan einverstanden.

»Gut, dann würde ich vorschlagen, gehen wir erstmal alle jagen. Umso mehr Pfoten, umso mehr Fressen.«

Ich wollte mich schon auf den Weg machen, da räusperte sich Lesly hinter mir.

Als ich mich zu ihr umdrehte, sah sie etwas verlegen aus, genauso wie der Rest der Hunde.

»Äh … na ja, die Sache ist die … wir …« Lesly stotterte irgendetwas, woraufhin ich einen verwirrten Blick mit Klee und Kupfer tauschte.

Aurora verkündete schließlich mit einem tiefen Seufzen: »Wir können nicht jagen.«

Für einen Augenblick hatte ich keine Ahnung, was ich darauf erwidern sollte.

Sie können nicht jagen? Nicht mal Lesly?

Die weiß - grau - braun gefleckte Hündin war vor ihrer Gefangennahme ein Hund eines Jägers gewesen, was uns alle geschockt hatte.

Jetzt aber wäre es nützlich gewesen.

»Ihr könnt nicht jagen?«, wiederholte Klee ungläubig. »Selbst du nicht, Lesly?« Genauso hatte er ihre Vergangenheit keinesfalls vergessen.

Die Gefleckte sah beschämt auf den Schnee. »Ich ... ich habe die Beute immer nur getrieben, getötet oder mich angeschlichen jedoch noch nie.«

»Das ist kein Problem«, bellte Kupfer plötzlich. Ich sah ihn irritiert an. Für mich war es eines. Wir hatten nun nur drei Tiere, die Fressen beschaffen konnten.

Fressen für sieben Mäuler.

Das würde anstrengend werden, besonders in dieser weißen Landschaft, wo es wahrscheinlich nur wenig Beutetiere gab.

»Ihr könnt in der Zeit, in der wir weg sind, schon mal einen Unterschlupf suchen oder einen bauen.«

Natürlich, da hatte Kupfer recht, aber würde es langfristig reichen, nur drei Jäger zu haben?

Ich begegnete Klees Blick, der skeptisch und nachdenklich wirkte. Er dachte anscheinend das Gleiche wie ich.

Einen Augenblick ... heißt das, ich denke wie ein Rudelwolf?

Sofort schüttelte ich mich und verwarf diese Idee. Selbstverständlich nicht.

Ich hatte nur dieselben Bedenken, wie Klee. Das machte mich noch lange nicht zu einem Rudelwolf.

Kupfer schien dieses Problem nur leichter zu sehen. Ich musste einfach lernen, meine Zweifel abzuschütteln. Wir kriegen das hin! Und irgendwann können wir es sie ja auch lehren.

Die Hunde nickten und wollten sich schon verstreuen, da warnte Klee jedoch: »Bleibt aber lieber zusammen! Das ist sicherer. Außerdem könnt ihr euch so nicht so schnell verlaufen.«

Die Freunde blieben also in einer Gruppe und trotteten in den schneebedeckten Wald hinein.

»Wir treffen uns bei Sonnenuntergang hier wieder!«, rief ich ihnen noch zu, als die weißen Büsche sie verschluckten.

»Verstanden!«, hörte ich Ben aus dem glitzernden Unterholz rufen.

Ich hatte zugegebenermaßen keine Ahnung, wann die Sonne untergehen würde. Ich war mir jedoch sicher, dass wir es irgendwie herausfanden.

Jetzt saßen wir drei allein da, um uns herum aufgewühlter Schnee, was mich an ein Schlachtfeld erinnerte.

Ein spaßiges Schlachtfeld.

»Nun, wo sollen wir lang?«, fragte Klee neugierig.

Ich sah mich kurz um, um mir einen Überblick zu verschaffen. Ein normaler Wald, zwar weiß, trotzdem vertraut.

Die vereisten Büsche und das verschneite Unterholz wirkten so, als könnte sich unter dem Schutz des Schneedachs gut Beute verstecken.

»Ich bin dafür, wir suchen im Gebüsch. Was sagt ihr?«

Ich sah die zwei Rüden an. Beide nickten.

»Allerdings finde ich, wir sollten uns trennen«, schlug Kupfer vor. »So sind wir leiser und können mehr fangen.«

Ich stimmte ihm zu, Klee schien dennoch besorgt. Er schaute von mir zu Kupfer und wieder zurück. »Was, wenn wir uns verirren? Keiner von uns kennt diese Landschaft.«

»In dem Fall rufen wir die anderen«, entgegnete Kupfer ruhig, aber entschlossen. »Wir bleiben einfach in der Nähe von unserem Treffpunkt, so wird schon nichts passieren. Einverstanden?«

Ich nickte, Klee dagegen sah weiterhin unzufrieden aus, blieb jedoch still.

»Na dann, bis gleich.« Mit einem Grinsen zum Abschied sprang Kupfer in den frostigen Wald. Die Büsche, die er dabei streifte, wurden durchgeschüttelt und ließen ihre schwere, weiße Last zu Boden rieseln.

Stolz stieg in mir auf, als ich Kupfer so selbstsicher verschwinden sah. Ich hatte ihm kaum etwas über die Jagd beigebracht und noch gar nichts, über das Jagen im Schnee, trotzdem trottete er zielsicher los.

Ich bin mir sicher, er wird Beute fangen!

Neben mir seufzte Klee auf einmal. Verwirrt sah ich ihn an. Das Seufzen hörte sich sehr traurig an, was mir sogleich Sorgen bereitete.

Der Rüde saß mit hängenden Schultern da. Er schaute betrübt auf seine Pfoten. Ich trat ein wenig näher und fragte besorgt: »Hey, was ist los? Fühlst du dich schlecht?«

Ich wusste nicht, wieso er sonst so niedergeschlagen aussehen sollte, immerhin waren wir endlich wieder frei.

»Nein ... nein …«, flüsterte er abwehrend. Er hob den Kopf und sah mich an. Was ich in seinen Augen ah, erschreckte mich beinahe. Sie schimmerten vor schmerzender Trauer.

Warum? Weshalb ist er so traurig? Denkt er an seinen Vater?

Sein Vater, Dorn, der von übernatürlichen Füchsen getötet worden war, war ihm so wichtig gewesen ...

»Silber … ich … wir sind jetzt frei … haben aber keine Ahnung, wo wir sind oder wo wir hin sollen …« Wieder seufzte er niedergeschlagen. »Ich will so schnell wie möglich zum Nachtrudel zurück … mit dir.«

Meine Bestimmung! Ich muss mich immer noch entscheiden! Warum musste mir diese Wahl nur so schwerfallen?

Am Anfang der Reise war ich fest entschlossen gewesen. Die Besuche im Ewigen Rudel hatten mich allerdings schwanken lassen. Die Vorfahren in dieser anderen Realität verhielten sich mir gegenüber so freundlich ... so ... herzlich.

Bei ihnen hatte ich den Eindruck, so akzeptiert und auch respektiert zu werden, wie ich war.

Die Ahnen gaben mir das Gefühl, zu ihnen zu gehören. Zum Nachtrudel.

Doch das hatte ich nicht gewollt! Ich will ein Einzelwolf sein! Ich will die Freiheit mit jedem Atemzug spüren!

Wenn Klee nicht da wäre, hätte ich mich leichter festlegen können und wäre einfach mit Kupfer gegangen.

Klee war mir jedoch gefolgt und hatte mich tatsächlich gefunden. Zu meinem Pech!

Ich hatte mich entschieden, zu gehen, das Nachtrudel hinter mir zu lassen, Klee niemals wiederzusehen. Was machte er?

Er folgte mir, weil er sein Rudel retten wollte.

Nur wegen Nebel war er doch auf diese hundedumme Idee gekommen! Sie hatte ihm alles über mich erzählt, daraufhin war der Rudelwolf schließlich gegangen.

Wenn er nie aufgetaucht wäre, wäre es viel einfacher ...

Natürlich freute ich mich auch, ihn zu sehen, aber er wollte etwas, was ich ihm vielleicht nicht geben konnte.

Er mochte, dass ich sein Rudel rettete. Ich musste jedoch selber erst einmal klären, was ich überhaupt für richtig hielt.

Mit Kupfer ein ungezwungenes Leben führen oder die Retterin eines Rudels sein, was mich sowieso niemals haben wollte?

Was mich verachtet und nie respektiert hatte, von dem drei hundedumme Welpen mich hatten ermorden wollen! Andererseits lebten Eisblitz und Brise in meinem Herzen, sowie Klee ...

Was wollte ich wirklich sein? Ein freier Einzelwolf oder ein gebundener Rudelwolf?

Ach, ich bin verflucht! Warum rette ich nicht einfach dieses verdammte Rudel?! Warum sträube ich mich so dagegen?

Ich seufzte schwer. Weil ich endlich herausfinden will, wer ich bin. Ich kann nicht ein Rudel retten, aber eine Einzelwölfin sein ... genauso wenig kann ich mit Kupfer weggehen, aber die ganze Zeit an das Nachtrudel denken. Ich muss mich einfach entscheiden!

»Wir wissen nicht, wo wir sind«, meinte ich ausweichend. »Lass uns doch erstmal das herausfinden und danach sehen, wo wir langgehen. Du willst zum Nachtrudel zurück? Gut, dann müssen wir nur rausfinden, in welcher Richtung es liegt.«

Klee sah mich an und ich wusste, dass er erkannte, dass es nun nichts mehr zu diskutieren gab. Ich hatte meine Entscheidung noch nicht getroffen, also konnte er bloß hoffen.

»Und jetzt«, ich versuchte, einen optimistischen Ton anzuschlagen, »lass uns jagen gehen. Wir alle brauchen Fressen, um neue Kraft zu schöpfen.«

Ich wartete keinesfalls auf eine Antwort, sondern sprang schnell über die Büsche hinweg. Dahinter duckte ich mich kurz und schaute durch die schneebeladenen Äste zurück.

Klee sah mir nicht nach, hatte den Blick auf die Pfoten gesenkt, als würde er nachdenken.

Ich wollte auf gar keinen Fall weiter mit ihm über dieses Thema sprechen. Es war mir zu unangenehm.

Trotzdem regten sich Mitleid und Schuldgefühle in mir, als ich ihn da so allein sitzen sah. Eilig schüttelte ich mich, um diese Gefühle zu verdrängen. Ich muss mich jetzt auf die Jagd konzentrieren! Das ist im Augenblick das Wichtigste!

Deshalb schlich ich vorsichtig durch den weißen Wald, was leichter war, als ich gedacht hatte, da der Schnee hier fest war.

Ich hielt die Schnauze in den eiskalten Wind, konnte aber zuerst nichts wittern, außer Eis und Kälte.

Dann wanderte mein Blick jedoch auf den Boden.

Dort breiteten sich wilde Spuren aus. Kleine, Große, Lange oder Kurze, alles war vertreten. Von der Maus, über den Vogel bis zum ziemlich stattlichen Hirsch.

Auch entdeckte ich die Pfotenspuren eines Hasen. Leise tappte ich zu ihnen und beschnupperte sie.

Die Spur ist frisch. Der Hase muss erst kürzlich hier gewesen sein.

Also musste er noch in der Nähe sein.

Unhörbar folgte ich den winzigen Pfötchen, geduckt durch den Wald. Mein Bauch streifte den Schnee, was mein Bauchfell nach kurzer Zeit verklumpen ließ.

Ebenso fühlten sich meine Pfoten irgendwann kalt und taub an. Ein eisiger Wind blies mir auf einmal mit voller Wucht entgegen. Ich unterdrückte ein Knurren, als die Kälte mir wie scharfe Zähne durch den Pelz stach.

Zwar sah die Gegend wirklich wunderschön aus, trotzdem hoffte ich, dass die Wanderung zurück in andere Gelände keineswegs lange dauern würde.

Da wollte sich erneut die Frage einmischen, wo zurück war.

Nein! Jetzt denke ich nicht darüber nach! Ich bin auf der Jagd! Ich muss mich konzentrieren!

Demnach schüttelte ich mir das Thema aus dem Fell und konzentrierte mich wieder auf die Pfotenabdrücke des Langohrs. Plötzlich blieb ich wie angewurzelt stehen. Die Pfoten-spuren hörten in einiger Entfernung einfach auf!

Verwirrt wollte ich schon nachsehen, da entdeckte ich erst die kleinen schwarzen Punkte, die sich bewegten.

Dort vorn kauerte der Hase, er war nur genauso weiß, wie der Schnee, weshalb ich ihn glatt übersehen hätte.

Nur seine dunklen Ohrenspitzen verrieten seine Anwesenheit. Das Beutetier hockte vor einem eingeschneiten Baum.

Nun erkannte ich, dass es dabei war, sich einen Bau zu schaufeln.

Es pflügte die Schneeklumpen beiseite, sodass sie durch die Luft flogen. Mir hatte es den Rücken gekehrt.

Es würde vermutlich einfach werden, es zu schnappen.

Mein Pelz zitterte vor Vorfreude, endlich wieder Beute fassen zu können.

Oh, Hase, dein Fleisch wird das Leckerste sein, was ich seit Langem gefressen habe!

Ich drückte mich noch fester in den weichen Schnee, versuchte, so leise wie es mir möglich war, vorwärts zu schleichen. Das war allerdings leichter gesagt, als getan.

Der Schnee knirschte, wenn ich eine Pfote aufsetzte. Jedes Mal verharrte ich mit angehaltenem Atem, angespannt, ob die Beute mich bemerkt hatte.

Jedes Mal fiel mir ein Stein vom Herzen, weil das helle Tier geschäftig weiter grub.

Irgendwann war ich nahe genug an meinem Beutetier dran, um es mit einem Sprung zu erreichen.

Ich spannte die Hinterbeine an, bereit vorzuspringen, schätzte die Entfernung ein und …

Ich rutschte auf dem Pulver aus, gerade, als ich abspringen wollte. Der Hase wirbelte herum. Seine schwarzen Knopfaugen weiteten sich. Er stieß ein entsetztes Quieken aus und floh mit panischen Sätzen ins hell funkelende Unterholz.

Ich wollte hinterher hetzen, meine Pfoten schlitterten aber wieder auf dem pulverigen Weiß aus, sodass ich in den Schnee plumpste. »Hundedreck!«, knurrte ich und verfluchte den weichen Untergrund. Es war definitiv schwerer, hier zu jagen, als in einem normalen, warmen Wald.

Ändern konnte ich es jedoch nicht, also suchte ich weiter nach Beute.

Der ganze Waldboden war auch hier mit Spuren der unterschiedlichsten Tiere bedeckt. Ich musste nur die frischeste Fährte heraussuchen, ihr folgen und dann darauf achten, nicht auszurutschen.

Mit der Schnauze halb im Schnee versunken, suchte ich nach einer frischen Hasenspur. Nach einiger Zeit fand ich tatsächlich eine und folgte ihr. Jetzt konzentrierte ich mich mehr und entdeckte den fast unsichtbaren Wildhasen, der am Stamm eines dünnen Baumes kauerte und eine Wurzel ausgrub, sofort.

Diesmal erwische ich dich!

Nun noch vorsichtiger schlich ich mich an den knabbernden Hasen an, der ganz mit seiner Wurzel beschäftigt war.

Ich hatte keinen Schutz durch Unterholz oder Gestrüpp, nur die Bäume wuchsen hoch über meinem Kopf.

Das Knirschen des Schnees versuchte ich so gut wie möglich zu vermeiden, bis ich an der gleichen Stelle war wie eben.