Workshift - Elly Oldenbourg - E-Book

Workshift E-Book

Elly Oldenbourg

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Beschreibung

Ein Neustart für Mensch und Wirtschaft Fachkräftemangel, Überlastung, demographischer Wandel und Klimakrise sind fundamentale Herausforderungen unserer Zeit – und wir können sie nur lösen, wenn wir Arbeit neu erfinden. Elly Oldenbourg analysiert, was uns im Moment bremst und welche Veränderungen – »Workshifts« - wir angehen müssen. Dabei stellt sie die vier Wirkungsfelder Zeit, Kollaboration, Vielfalt und Kennzahlen in den Fokus und bietet konkrete Lösungsansätze für Entscheider:innen persönlich und für Unternehmen als Ganzes. Sie entwickelt 22 Ideen, mit denen sich Menschen und Unternehmen aus dem Korsett veralteter Strukturen befreien können und schlägt Brücken in die Zukunft: Für eine flexiblere, zukunftsgerechtere Arbeitswelt, in der wir unsere Arbeit um unser Leben herum organisieren - und nicht umgekehrt; für eine gerechtere Unternehmenswelt, in der wir mit vielen unterschiedlichen Menschen zusammenarbeiten - und nicht mehr nur mit denen, die so sind wie wir; für eine nachhaltige Wirtschaftswelt, die das Wohl von Natur und Menschen wachsen lässt - und nicht nur die eigenen Bilanzen. »Workshift« ist ein Appell und eine Hilfestellung, Arbeit vor dem Hintergrund der von Braindrain, Fachkräftemangel, Klimakatastrophe und KI-Revolution gestressten Wirtschaft endlich neu zu erfinden, damit unsere Leben reicher, die Wirtschaft krisenfester, unsere Demokratie resilienter und unser Planet gesünder werden. Das Buch überzeugt mit einem ganzheitlichen Blick auf die Fakten und sprüht vor Tatkraft, Zuversicht und Inspiration, den »Workshift« zu wagen. Denn Arbeit ist kein Problem, Arbeit ist Teil der Lösung!Elly Oldenbourg zeigt, dass die Formel »Mehr vom Gleichen, nur effizienter« auch in der Arbeitswelt auf den Friedhof der Ideen gehört. Ein Buch, das nicht nur die Zusammenhänge zwischen unserer Arbeit und einer besseren Welt herstellt, sondern sehr konkrete Tipps gibt, wie menschgemachte Strukturen unseren eigentlichen Bedürfnissen wieder besser dienen können. Prof. Dr. Maja Göpel, Transformationsforscherin, Autorin, Rednerin An vielen Stellen spricht mir dieses Buch aus dem Herzen: Elly Oldenbourg hinterfragt radikal lange zementierte Zusammenhänge, entwickelt spannende neue Perspektiven auf die wesentlichen Hebel und bezieht leidenschaftlich Stellung aus der eigenen »Bubble« herauszutreten und mutig die Sicht auf sich selbst und auf die anderen weiter zu entwickeln. Kerstin Erbe, Geschäftsführerin dm-drogerie markt Eine neue Arbeitswelt erfordert neue Antworten – und Elly Oldenbourg hat sie! In ihrem faszinierenden Buch »Workshift« beschreibt sie vielversprechende Lösungen für eine bessere Zukunft. Oldenbourg stellt dabei den Mensch in den Mittelpunkt und zeigt, wie jeder einzelne von uns einen Beitrag zu einer besseren Wirtschaftswelt von morgen leisten kann. Prof. Dr. Jochen Menges, Professor & Direktor des Center for Leadership in the Future of Work, Universität Zürich Ein kluger und erfrischender Appell für eine neue Arbeitswelt, der ohne Buzzwords auskommt. Elly Oldenburg denkt groß, zieht übergreifende Zusammenhänge zur Wirtschaft, Chancengerechtigkeit und den Planeten und gibt dabei sehr konkrete Impulse für Entscheider und Entscheiderinnen: Klare Leseempfehlung! Annahita Esmailzadeh, IT-Managerin bei Microsoft, SPIEGEL-Bestsellerautorin, Business-Influencerin Wer Arbeit und Wirtschaft als Hebel für positiven Wandel in der Welt nutzen will, muss dieses Buch lesen! »Workshift« ist ein ungemein leidenschaftliches wie argumentationsstarkes Plädoyer für den Wandel - konkret, jetzt umsetzbar und nicht solitär betrachtet, sondern im kausalen Zusammenhang zu den drängendsten Fragen unserer Zeit. Anna Kaiser, Unternehmerin, Angel-Investorin

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Cover for EPUB

Elly Oldenbourg

mit Anne Jacoby

WORKSHIFT

Warum wir heute anders arbeiten müssen, um unser Morgen zu retten

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Elly Oldenbourg spricht harte Wahrheiten aus, mit denen wir uns alle beschäftigen müssen. Arbeit ist in der Krise – und es wird immer schlimmer. Sie zeichnet aber auch eine inspirierende Vision auf, wie Arbeit unsere individuellen und kollektiven Bedürfnisse nach Sinnstiftung, Wirksamkeit, und Zusammenhalt stärken kann. Dieser »Workshift« muss dringend her und Ellys Buch ist ein Must-read für alle, die Verantwortung tragen und die Zukunft gestalten wollen.

Pa Sinyan, Regional Managing Partner EMEA at Gallup

Ob sich eine flexible, gerechtere und verantwortungsbewusstere Arbeitswelt für die Wirtschaft rechnet, unsere Demokratien resilienter und den Planeten gesünder macht? Klare Antwort: Ja! Ein großartiges Buch mit konkreten Ideen, was wir dafür in uns wie in Unternehmen tun müssen. Unbedingt lesen!

Ana-Cristina Grohnert, Founder Score4Impact und Berlin Advisors Group, Vorstandsvorsitzende »Charta der Vielfalt«

Klare Worte für eine klare Botschaft: Es ist Zeit für Workshift! Dieses Buch inspiriert nicht nur, es aktiviert! Elly Oldenbourg überzeugt mit dutzenden konkreten Ansätzen, wie der Workshift gelingen kann. Ein Must-read für jeden in der Arbeitswelt, denn wie Elly sagt, fangen wir am besten bei uns selbst an.

Dr. Tina Ruseva, CEO Mentessa & Präsidentin Bundesverband New Work

Ein Buch für Führungskräfte jeglicher Unternehmensgröße, denn in kaum einem anderen Land sind die Beschäftigten so unzufrieden mit ihrem Job. Es stimmt etwas gewaltig nicht an der Art, wie die meisten von uns arbeiten - und die Ideen von Elly Oldenbourg sind konkret, umsetzbar und nützlich, um die Arbeit so zu verändern, dass sie den Beschäftigten, der Wirtschaft und der Welt dient.

Thorsten Giersch, Chefredakteur Markt und Mittelstand, Deutschlands drittgrößtem Wirtschaftsmagazin

Vita

Elly Oldenbourg ist erfahrene Managerin, zuletzt langjährig bei Google. Dank Teilzeit und Jobsharing konnte sie sich in den letzten Jahren als Sidepreneurin und ehrenamtlich für eine flexiblere und zukunftsweisendere (Arbeits-)Welt engagieren: zum Beispiel als Speakerin, Co-Gründerin des New-Work-Onlinekurses oder Gastdozentin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), als Gastgeberin eines philosophischen Salons, Wertebotschafterin bei der Bildungsinitiative #GermanDream, oder als Aufsichtsrätin beim World Future Council. Die Halb-Griechin lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

VORWORT

ENOUGH? ENOUGH!

Meine Story: Von »Reicht es?« zu »Es reicht!«

Ein Leben, viele Hüte

HOW IS THIS WORKING?!

Arbeit in der Krise

So, wie es jetzt ist, geht es doch sowieso nicht weiter

Die Wirtschaft steht doch längst kopf

Wir rutschen in die Abwärtsspirale

we run: Arbeit frisst Leben auf

we resignate: Wer arbeitet, macht nicht mehr (alles) mit

we can’t care: Wenn der Sandkasten zur Kostenstelle wird

we disconnect: Die Superstars der Arbeitswelt kämpfen solo

we exclude: Die Wirtschaft bleibt pseudodivers

we ignore: Kollateralschäden unserer Kennzahlen

Wir wollen/müssen/können auch anders

Arbeit ganzheitlich verstehen

Wir brauchen beides: Wertschöpfung und Beziehung

Nein zum Status quo – Ja zu neuen Anreizen

WIRKUNGSFELD: ZEIT — Wie wir die wichtigste Ressource der Arbeitswelt ganzheitlicher verstehen, sinnvoller einsetzen und effizienter nutzen können.

Wie viel wir wirklich arbeiten

Keine Atempause

Wir arbeiten mehr – und schaffen weniger

Was uns blockiert: Workism

Die Statuspanik lebt

Höchste Zeit für Vollzeitscham

Teilzeit – die große Mogelpackung

WORKSHIFT in uns: Zeitsouveränität kultivieren

acknowledge: Die eigenen Bedürfnisse und Interessen anerkennen

use your privilege: »Zeit. Wert. Geben.«

reduce: Weniger arbeiten, und trotzdem besser

Was Unternehmen bremst: Busyness

Performance-Party kills Productivity

Warum flexibles Arbeiten Unternehmen produktiver macht

WORKSHIFT in Unternehmen: Umsteuern in die Produktivität

flexibilize: Mehr Zeitsouveränität für alle

dare to try: Raus aus dem Vollzeit-Dogma

Connecting the Dots

Der politische Faden: Demokratie braucht Zeit

Der grüne Faden: Mit Zeitwohlstand gegen die Klimakrise

WIRKUNGSFELD: KOLLABORATION — Wie uns die Ego-Denke blockiert, warum wir mehr Beharrlichkeit und weniger Bullshit brauchen, mehr künstliche Intelligenz und noch viel mehr emotionale Intelligenz.

Warum wir nicht zusammenarbeiten

Kooperation als evolutionärer Vorteil

Mit Uhr und Fließband zum Einzelkämpfer

Jeder ist seines Glückes Schmied. Wirklich?

Was uns blockiert: Machtspiele

WORKSHIFT in uns: Vom Ich zum Wir

start within: Eco vor Ego

think and feel: Wer führen will, muss auch fühlen können

cut the BS: Von der Kunst, beim Thema zu bleiben

persevere: Beharrlichkeit trainieren

Was Unternehmen bremst: Verfilzte Strukturen

WORKSHIFT in Unternehmen: Emotionale Intelligenz plus KI

foster EI: Emotional intelligent erfolgreich

leverage AI: Lasst die KI machen (aber nur das, was sie wirklich kann)

encourage actual leadership: Führung und Kollaboration sind kein Widerspruch

share those jobs: Die Königsdisziplin der Kollaboration

Connecting the Dots

Der politische Faden: Dialog macht Politik

Der grüne Faden: Gemeinsam für eine lebenswerte Welt

WIRKUNGSFELD: VIELFALT — Warum wir alle vielfältiger sind als gedacht, wie ein Leben mit vielen Hüten gelingen kann und mit welchen Hebeln die Wirtschaft vielfältiger, gerechter und inklusiver wird.

Warum Menschen Vielfalt so schwerfällt

Die Welt war immer divers

Nicht-Vielfalt ist unser gelerntes Narrativ

Weil Liebe nichts kostet

Mind the Gender Gaps

Was uns blockiert: Wüste im Kopf

Was Menschen motiviert

WORKSHIFT in uns: Viele Leben wagen

diversify your life: Der eigenen Vielfalt Raum geben

leave the bubble: Wer sich selbst entwickeln will, muss raus aus den (Filter-)Blasen

Was Unternehmen bremst: Homogenität frisst Innovation

Longing for Belonging

Menschen sind auf vielfältige Art verschieden

Vielfalt macht erfolgreich

Diversity braucht Fingerspitzengefühl

WORKSHIFT in Unternehmen: Management Rigor

commit top down: Ernst gemeinte Businessziele im Top-Management

reward the middle: Klare Zielvereinbarungen und leistungsabhängige Vergütung

promote allyship bottom up

Connecting the Dots

Der politische Faden: Gesellschaft ist/braucht/bleibt Vielfalt

Der grüne Faden: Eine vielfältige Welt ist eine gesunde Welt

WIRKUNGSFELD: KENNZAHLEN — Wie wir eigene Werte neu setzen und kultivieren können, wie Unternehmen Wachstum anders denken und messen sollten und warum die Wirtschaft jetzt neue Wege gehen muss.

Warum Wirtschaft nur auf Wachstum setzt

Was uns blockiert: Zu müde, um nachzurechnen

WORKSHIFT in uns: Systemkreativität

Was Unternehmen bremst: Perversion der Zahlenspiele

WORKSHIFT in Unternehmen: Neue Kennzahlen für eine nachhaltige Wirtschaft

Connecting the Dots: Der grüne Faden ist politisch

A FUTURE WORTH WORKING FOR

WORKSHIFT MANUAL: Bedienungsanleitung für eine neue (Arbeits-)Welt

NACHWORT UND DANK

Quellen und Literatur

Anmerkungen

WIRKUNGSFELD: ZEIT

WIRKUNGSFELD: KOLLABORATION

WIRKUNGSFELD: VIELFALT

WIRKUNGSFELD: KENNZAHLEN

VORWORT

Was hat unsere Arbeit mit den Problemen unserer Welt zu tun? Wie sehen wir uns selbst in und mit unserer Arbeit? Wie organisieren wir unsere Leben um Arbeit? Wie arbeiten wir mit Anderen, wie erleben wir es, dass Andere in unseren Arbeitskontexten ganz anders sind als wir selbst, und wie messen wir schließlich das, was Arbeit macht: Leistung? Meine Überlegungen zu all diesen Fragen gründen in diesem Buch auf meinen persönlichen Erfahrungen und (m)einer breiten Themenvielfalt zwischen Konzern und Selbstständigkeit, Patchworkfamilie, Gastdozentur, Aufsichtsrat, zwischen meinen Interessensfeldern der Ökonomie, Philosophie, Soziologie, Psychologie und manchmal schlichtweg auch einfach Pragmatismus, zwischen Tiefgründigkeit und Humor und ultimativ meinem inhärenten Bedürfnis, Zusammenhänge zu verstehen und herzustellen.

Meine Vision für eine lebenswertere Zukunft über den Hebel Arbeit sind in diesem Buch für alle gedacht – die Appelle, Wirkungsfelder und Handlungsempfehlungen richten sich aber ganz dezidiert an Personen in der Privatwirtschaft, insbesondere in großen Unternehmen und Konzernen. Diese Welt ist mir geläufig, aber noch wichtiger: In dieser Welt bündelt sich eine enorme Macht in Form von Kapital, Einfluss und Privilegien, die noch viel zu wenig für fundamentale Verbesserungen für alle genutzt wird. Whataboutism disclaimer: Ich tue dies nicht, um über die extrem prekären Lebensrealitäten und immensen Belastungen von sehr vielen, sehr hart arbeitenden Menschen in anderen Gesellschaftsbereichen hinwegzusehen, sondern um die Entscheidungsträger:innen zu adressieren und inspirieren, die an den Schaltstellen für fundamentale Verbesserungen in einem nicht mehr zeitgemäßen Wirtschaftssystem sitzen – und so die Lage für alle zu verbessern.

WORKSHIFT möchte insofern zumuten wie auch ermutigen: to shift how we work, what we work on, who we work with, why we work. Das Buch steht für die Idee, unsere Welt über den Hebel der Arbeit zu verändern. Der gedankliche Sprung von einem ganzheitlicheren Verständnis von Arbeit, der Veränderung unserer Arbeitszeiten, unserer Formen der Zusammenarbeit, unserer Bereitschaft, Vielfalt zu leben, und unserem Mut, Leistung neu zu messen und einzupreisen, bis hin zur Rettung unseres Planeten ist zugegebenermaßen ein großer, und damit eine doppelte Zumutung: Erstens erfordert er eine gewisse Reflexionstiefe, zweitens ist er zu groß, um jeden Gedanken in eine vorgekaute Step-by-step-Lösung zu übersetzen – deshalb fordere ich gedanklich nicht nur mit Antworten, sondern auch mit jeder Menge Fragen heraus. Denn ich bin überzeugt: Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir sie erst denkbar machen – und zwar nicht nur entlang der Unzulänglichkeiten, sondern auch durch den Tanz zwischen konkreten Wirkungsfeldern und positiven Visionen. Genau auf dieser Tanzfläche bewegt sich dieses Buch. Neben dieser Zumutung ist WORKSHIFT auch eine ganz konkrete Ermutigung: Dass wir als Individuen sowie Akteure in der Wirtschaft einen Neustart wagen und ins Handeln kommen – und zwar hier und jetzt.

Übrigens: Wenn ich von Frauen oder Männern oder von Müttern oder Vätern schreibe, dann geht es mir nicht um die Festschreibung dessen, welches Geschlecht diese Rolle/n ausübt oder was eine Frau oder ein Mann ist oder sein soll. Vielmehr geht es mir um die Reflexion von Erfahrungen in einer für sehr viele Menschen strukturell dysfunktionalen Welt.

Und last, but not least: Wenn ich von der deutschen Sprache in die englische Sprache wechsle, dann nicht, weil ich too cool for school wäre, sondern weil ich schlichtweg tatsächlich so spreche. Geschuldet meiner Biografie, aber auch meiner Sozialisierung in globalen Konzernen. Daher habe ich mich dafür eingesetzt, so zu schreiben, wie in dieser meiner (Arbeits-)Welt (und viel auch in der Gen Z and beyond, wie ich an einigen Kids miterleben darf) auch gesprochen wird.

ENOUGH? ENOUGH!

Wo fange ich an, wenn das Klima kippt, wenn demokratische Strukturen in immer mehr Ländern auseinanderbrechen, wenn die globale Wirtschaft vor geopolitischen Zerreißproben steht? Wo fange ich an, wenn wir alle so übermüdet in diesem System performen, dass wir vergessen haben, warum wir so rastlos in genau die Richtung rennen, von der wir doch längst wissen, dass sie nicht stimmt? Wo fange ich an, wenn es nirgendwo den einen mächtigen Hebel gibt, der diesem Wahnsinn ein Ende setzt – und ich trotzdem will, dass das aufhört? Vor ein paar Jahren habe ich entschieden, dort anzufangen, wo ich direkt und unmittelbar etwas bewirken kann: bei mir selbst.

Meine Story: Von »Reicht es?« zu »Es reicht!«

Als Kind einer in Brasilien aufgewachsenen Mutter mit deutsch-russisch-jüdischen Wurzeln und einem griechischen Künstler-Vater wurde ich 1984 in Athen geboren. Aufgewachsen bin ich in einer großen, gutbürgerlichen Familie in München – mit einer Mutter, die ein Netflix-reifes Leben führte, und gleich drei Vaterfiguren. Der Satz, den mir meine Mutter in meiner Schulzeit am häufigsten gesagt und der sich bei mir am stärksten eingebrannt hat, war: »Elly, DU musst Karriere machen und nicht den gleichen Fehler wie ich, immer von irgendeinem Mann abhängig zu sein.« Dieser Satz hat bei mir zu einem hohen Arbeitsethos geführt. Aber nicht sofort. Das passierte erst, nachdem ich in meinen Schul- und Studienjahren mehr auf Partys als in der Bibliothek performt, nachdem ich meine Abenteuerlust in unzähligen Reisen von Burma bis nach Patagonien, von Honduras bis nach Indien ausgelebt und nachdem ich meinen leiblichen Vater in Griechenland gesucht und gefunden hatte. Diese Reise war mein größtes Abenteuer. Zu entdecken, dass ich Wurzeln habe in einem anderen Land, mit einer anderen Kultur, die zwar zu mir gehört, aber in meinem Leben sehr lange eine Leerstelle war. Vielleicht frage ich deshalb so oft »Warum?« und »Woher?« und »Könnte es nicht auch ganz anders sein?«.

Dass Verhältnisse »anders« sind, ist Teil meiner Biografie. Ich selbst bin halb-dies-halb-das, habe Halb-, Adoptiv- und Stiefgeschwister. Einer meiner Väter ist Künstler, einer Ingenieur, einer ein US-Army Colonel. Meine Verwandtschaft lebt in Großbritannien und in der Schweiz, in Mexiko, Brasilien und den USA. VUCAP – das Akronym aus »volatil, unsicher, komplex, mehrdeutig, paradox« – war lange bevor es zur Beschreibung unserer Makrowelt wurde Realität in meiner Mikrowelt. Bis ich 20 war, lebte ich in einem angloamerikanisch geprägten Umfeld, allein schon durch die engen Kontakte meiner Familie in die USA, vor allem aber durch meine sehr geliebte Schwester in Texas. In meinem dualen Studium habe ich einen Teil meiner Ausbildungsphasen in Singapur und Hongkong gearbeitet – in dieser Zeit habe ich zum ersten Mal die Welt nicht mehr nur durch die westliche Brille gesehen, und ich kam deutlich weitblickender, toleranter und vorurteilsfreier zurück. Genauso erging es mir ein paar Jahre später, als ich sechs Monate lang durch Südamerika reiste und im Norden Perus ein Straßenkinder-Projekt begleitete. Auch hier ließ ich mein westliches Weltverständnis und dessen Taktung hinter mir – und ich kam weicher, klüger, aber auch ernüchterter zurück. Und vergesse seitdem keinen Tag, wie privilegiert ich groß geworden bin, trotz dieser riesigen Familie voller Lücken und Spannungen. Was mich und mein Leben außerdem seit vielen Jahren ausmacht, ist eine »innere Arbeit«: der Versuch, die vielen Herzen in meiner Brust besser zu verstehen, die oft so gar nicht in einem Rhythmus schlagen wollen. Auch Erinnerungsarbeit gehört dazu: beim Aufschreiben meiner gesamten Familiengeschichte habe ich viel über Mensch und Welt gelernt. Ein Leben zwischen den Stühlen ist ungemütlich, bleibt ungemütlich, bietet aber auch Vorteile: Ich kann nicht anders, als »von außen« auf Situationen und Konstellationen zu schauen.

Warum erzähle ich all das? Weil ich deutlich machen will, was ich mit meinem Gesprächsgästen auch bei jedem meiner philosophischen Cafés, dem Morgen.Salon, deutlich machen möchte: dass hinter den Titeln und Jobs auf den schicken LinkedIn-und-Co. Seiten Menschen stehen. Menschen, deren Wege alles andere als geradlinig sind, sondern vielseitig, krumm und schief, hier und da auch gewöhnungsbedürftig. Wie das Leben selbst: fehler- und fabelhaft.

Nach meinen Wanderjahren habe ich dann das auf die Beine gestellt, was man wohl als »erfolgreiche Karriere« bezeichnet, in verschiedenen Industrien, Ländern, Unternehmen – Elly, die Managerin. Und das hat mir durchaus Spaß gemacht, meine Lernkurve und Wirkungsspielraum vergrößerten sich stetig. Aber nach einigen Jahren, in denen es immer nur höher, schneller, weiter ging, war ich müde. So müde, dass ich mich nicht einmal mehr über die Gründe aufregen konnte, die mich so müde machten. In meinem Kopf ratterte es pausenlos. Und im Hintergrund kam ein anfangs stummer, dann immer lauter werdender Protest hinzu:

»Leiste ich genug? Bin ich genug? Was bin ich ohne meinen Job? Ist es das, wofür ich meine Talente und Fähigkeiten wirklich einsetzen möchte? Ist das schon der ›Erfolg‹, den man mir in meiner Schulzeit, Ausbildung, in meinem Studium und in den ersten Berufsjahren versprochen hatte: Woche für Woche fünf Tage durchackern mit Rückenschmerzen, zu wenig Schlaf, zu wenig Zeit für Freunde, Familie, Hobbys? Ein Hangeln von Wochenende zu Wochenende, von Urlaub zu Urlaub, bis zur Rente? Soll DAS alles sein? Ist DAS schon die ganze Idee?«

Intuitiv wusste ich, dass meine innere Stimme mich mit ihren Nörgel-Arien bei Laune hielt, dass sie mir mit ihrem Pseudo-Protest sogar einen moral benefit vorgaukelte – immerhin »tut« man ja etwas durch das innere Gejammer – und dass sich an meiner Situation erst dann etwas ändern würde, wenn ich mit dieser inneren Stimme Schluss mache und ins Handeln komme. Aber ich kam nicht ins Handeln – bis mein Leben stoppte. Ich wurde Mutter. Man stelle sich kurz die strahlendsten Insta-Mums vor – und dann das Gegenteil. Viele Körper überstehen eine Schwangerschaft und Geburt, ohne sich in einen Sanierungsfall zu verwandeln – aber nicht alle. In den Jahren zuvor war meine Mutter lebensgefährlich erkrankt, kurz vor der Schwangerschaft starb plötzlich mein leiblicher Vater. Und mein Partner hatte zwar das Glück einer ganz großen Liebe in mein Leben gebracht, aber zusätzlich auch ein neues, kompliziertes Patchworkfamilien-Paket. Kurz: Mein Leben hatte mir in wenigen Jahren so viele schöne und unschöne Erfahrungen nacheinander aufgetischt, dass ich um die fundamentalen Fragen, die mich innerlich drängten, nicht mehr herumkam. Von Tag zu Tag wurde mir mehr klar: Es reicht! Ich hatte genug davon, dass mein Leben um nichts anderes als um Leistung, Druck, Status und Karriere herum optimiert war. Dass persönliche Höhenflüge (Liebe, Leben) und Rückschläge (Krankheit, Tod), die mit dem Job nichts zu tun haben, aber zu einem Leben doch eigentlich gehören sollten, überhaupt keinen Platz und keine Zeit hatten. Und so beschloss ich, mich auf die Suche nach meinem ganz persönlichen anderen Arbeits-, nein eigentlich: Lebensmodell, zu machen. In diesem monatelangen, jahrelangen, manchmal heute noch sehr präsenten Emanzipationsprozess habe ich dann irgendwann das getan, was mir nach vielen Gesprächen – mit anderen und mit mir selbst – plötzlich absolut logisch schien, was auf andere aber auch heute noch radikal wirkt. Statt die Zeit, meine Lebenszeit, nach meiner Arbeit auszurichten, begann ich, meine Arbeit nach meiner Zeit auszurichten.

Ein Leben, viele Hüte

Mein erster Schritt klingt für sich genommen erst einmal nicht besonders revolutionär: Ich reduzierte meinen gut bezahlten, auf dem »High-Performer«-Track dahinrasenden Unternehmens-Job in einem globalen Tech-Konzern auf drei Tage. Drei. Ich wusste intuitiv, dass »vollzeitnahe Teilzeit« bei mir nicht funktionieren und ich mich ständig selbst sabotieren würde. Mein Gefühl war: Wenn ich von Beginn an in Tagen und nicht in Prozentzahlen denke und kalkuliere, würde ich zu genügend To-dos, Meetings und Co. Nein sagen können. Dazu muss man wissen: Diese »radikale« Teilzeitanfrage gab es auf meinem Level damals nicht. Mir war trotzdem klar: Wenn ich diesen Weg gehen wollte, dann konsequent. So entstand die Idee, nicht nur weniger Tage, sondern auch im Tandem mit einer Kollegin zu arbeiten. Auch das war bisher nicht üblich. Doch nachdem ich und wir im Tandem ein paar Hürden intern genommen hatten, lief die Sache rund.

In meinen frei gewordenen vier Non-Corporate-Tagen setzte ich erst einmal auf das, was das Philosophie Magazin kürzlich als »unverfügbare Qualität des Pendelns« bezeichnete: »Es ist jener Augenblick, in dem kurz alles stillsteht, […] und nicht klar ist, wie, sondern nur, dass es anders weitergeht als bisher, weil sich die Richtung ändert.«1 Ich habe erst mal Leerlauf zugelassen, habe mich in einer mir völlig fremden, langsamen Geschwindigkeit meiner Heilung und meiner Familie gewidmet, mich ausprobiert in neuen Kontexten. Zum ersten Mal habe ich dabei die Qualität des Sich-Zeit-Lassens gefühlt. Erst dadurch entstand ein neuer Weg beim Gehen, mit einer neuen beziehungsweise reiferen Elly.

Ich begann, mich ehrenamtlich in einem Projekt für Geflüchtete zu engagieren, und las älteren Damen im Pflegeheim Geschichten vor. Ich lauschte und lernte zu mir unbekannten Themen im Literaturhaus und lernte mit meinem Sohn endlich die Ecken in meinem Stadtteil kennen, an denen man super spielen kann, obwohl wir mitten in Hamburg leben. Ich machte mich schließlich erst zaghaft, dann irgendwann aktiv als Coach und Beraterin nebentätig selbstständig und begleitete in den ersten Jahren vor allem Einzelpersonen und kleine Gruppen.

Auch der Morgen.Salon kam in dieser Zeit hinzu: ein philosophisches Café in Hamburg, zu dem ich seitdem regelmäßig einlade. Alle paar Wochen gibt es meinen Gästen und mir die Gelegenheit, die Welt außerhalb der üblichen medialen und oft nur rein ökonomisch betrachteten Filterblasen zu verstehen. Ganz einfach indem wir uns mit einem von mir – subjektiv, also nach Interesse, Lust und Laune – ausgesuchten Gesprächsgast unterhalten, während alle ihr Frühstück genießen und sich gegenseitig beim Denken zusehen und austauschen.

Es überrascht mich immer wieder, dass schon um acht Uhr morgens zwanzig bis vierzig Menschen Lust auf Salonkultur, Perspektivenwechsel, Erkenntnisgewinne und Austausch haben. Und dass schon so viele kluge, interessante und interessierte Vordenker:innen dafür früh aufgestanden sind: die Ökonomin Prof. Dr. Maja Göpel zum Beispiel, die Autor:innen Kübra Gümüşay oder Philip Oprong Spenner, die Menschenrechtsaktivist:innen Düzen Tekkal oder Hila Limar oder Philosophen wie Dr. Jörg Bernardy, Prof. Jan Teunen oder Dr. Christoph Quarch – und noch viele weitere interessante und interessierte Menschen mehr. Christoph Quarch war es, der 2018 in einem Morgen.Salon sehr schön auf den Punkt brachte, warum das gemeinsame Denken eben nicht nur »l’art pour l’art« ist, sondern in eine politische Dimension hinausweist: Es geht darum, sagte er, »immer wieder mutig und offen einen Raum zu öffnen, das eigene, festgefahrene Denken in Frage zu stellen, sich auf wirklich urteilsfreie Gespräche einzulassen und der Begeisterung im Handeln zu folgen«. Also: Erst anders denken, dann anders machen. Dieses Mindset inspirierte mich sehr.

Mir ist erst nach und nach bewusst geworden, wie viele Hüte ich im Laufe meines Lebens schon getragen habe und wie viele ich auch heute gerne aufsetze: Ich war/bin Teamkollegin, Jobsharerin oder Führungskraft von Projekten in nationalen, regionalen und internationalen Teams oder branchenübergreifenden Kooperationen. Als Gastdozentin unterrichte ich jedes Semester Studierende, einen Onlinekurs zum Thema New Work habe ich (im Jobshare) konzipiert und gelauncht. In meiner Selbstständigkeit leite ich diverse Beratungsmandate, bin hin und wieder Speakerin, Salon-Gastgeberin eines philosophischen Cafés und als Aufsichtsratsmitglied beim World Future Council tätig. Ich engagiere mich ehrenamtlich, sei es lokal in feministischen Co-Working Spaces oder deutschlandweit für die Bildungsinitiative #GermanDream oder das deutsche Demographie Netzwerk. Nicht zu vergessen sind die Führungs- und Managementhüte, die ich als Mutter und in einer Patchworkfamilie trage. Jup, das ist viel. Aber: Zum einen mache ich das nicht alles gleichzeitig, zum anderen empfinde ich dieses »viel« als ein reichhaltiges Gestalten, Schaffen, Wirken. Ich spüre, dass meine Fähigkeiten in allen Wirkungsbereichen viel stärker zum Ausdruck kommen, nicht obwohl, sondern weil ich verschiedene Rollen besetze und gern die »Hüte wechsle«. Und nach vielen Jahren Erfahrung in alternativen Arbeits- beziehungsweise Lebensmodellen weiß ich: Wer zwischen den Stühlen sitzt, kann wunderbare Brücken bauen – zwischen neu und alt, zwischen kalkulierbar und grüner Wiese, manchmal sogar zwischen sicher und frei. Ich erkenne Zusammenhänge, die mir vorher nicht bewusst waren, sehe mehr Kontext. Davon profitiert mein Unternehmen, aber auch mein gesamtes Umfeld.

Klar: Ich lebe privilegiert und ein derartiges Viele-Hüte-Leben ist nicht für jede oder jeden etwas, es passt vielleicht auch nicht in jede Lebensphase. Eine durchschnittliche 60-Stunden-Arbeitswoche in einem bezahlten Job aber eben auch nicht – nur ist das zur vermeintlich alternativlosen Norm geworden. Einer Norm, die sich längst zu einem kaum mehr wahrnehmbaren, stummen Zwang der Verhältnisse2 verhärtet hat und die unsere körperlichen und geistigen Spielräume so sehr blockiert, dass viele von uns schlicht vergessen haben, wie weit unsere Interessen, Talente und Fähigkeiten gehen und wie vielfältig wir diese einsetzen können. Ich jedenfalls hätte vorher nicht gedacht, dass der Zugewinn an Lebensqualität und Selbstwirksamkeit tatsächlich so groß ist und dass am Ende sogar alle meine »Jobs« von mehr Frische und Fokus profitieren. Und das ist für mich der Grund, das Thema endlich dahin zu bringen, wo es hingehört: auf den Tisch der Entscheiderinnen und Entscheider, der Macherinnen und Macher, der Akteure der Wirtschaft. Es gibt unzählige von ihnen in kleineren und großen Unternehmen sowie in der Politik, die schon jetzt das Privileg hätten – nein: haben! –, andere Wege zu gehen.

Wir können anders arbeiten. Wir sollten auch anders arbeiten, denn es ermöglicht nicht nur uns selbst, unseren Familien- und Freundeskreisen ein besseres Leben, sondern macht auch unsere von Braindrain und Fachkräftemangel, von Klimakatastrophe und KI-Revolution sowieso gestresste Wirtschaft langfristig krisenfester, unsere Demokratie resilienter und unseren Planeten gesünder, wenn

Menschen in Unternehmen die eigene Zeit neu bewerten und anders mit Leben und Engagement füllen,

Menschen in Unternehmen neue Formen der Zusammenarbeit einfordern und probieren,

sie sich aktiv für mehr Vielfalt einsetzen,

wir handlungsleitende Kennzahlen und Anreize auf allen Ebenen anders denken und neu etablieren und

wenn wir alle weiter, ganzheitlicher denken und damit Connecting the Dots nicht nur eine Apple-esque Worthülse im Businesskontext bleibt, sondern auch unser Verhalten in die kausalen Zusammenhängen mit dem, was uns selbstverständlich erscheint setzt: unseren Demokratien und unserem Planeten.

Wenn wir auf allen Ebenen nicht mehr auf maximalen Output setzen, werden wir alle – Wirtschaft, Demokratie, Natur – resilienter. Setzen wir nicht mehr auf kurzfristigen Gewinn, nicht mehr auf rigorose Effizienz. Sondern auf die richtige Balance in dem hochkomplexen Gefüge, in dem wir nun mal sind: Leben. Es geht um Lösungen, die wir in einer Zeit brauchen, in der viel gepostet, gemeint und geredet, aber wenig wirklich getan wird. »The world is changed by your example, not by your opinion«, schreibt Paulo Coelho. In diesem Sinne: Lasst uns endlich anfangen.

HOW IS THIS WORKING?!

Arbeit in der Krise

Von Prof. Götz Werner, Gründer der dm-Drogeriemärkte, stammt der Satz: »Die Folgen des Erfolges sind, dass man nicht so weitermachen kann, wie man erfolgreich geworden ist.«3 Ich mag den Satz sehr, weil er damit auf ein wichtiges Prinzip des Wirtschaftens aufmerksam macht: Weil sich die Welt kontinuierlich ändert, ist es nicht klug, sich auf früheren Erfolgen auszuruhen. Die Lorbeeren von gestern sind keine Ressource für morgen.

So, wie es jetzt ist, geht es doch sowieso nicht weiter

Es ist höchste Zeit, den Status quo, die Ideale und Normen in Frage zu stellen, in unserem Makrokosmos genauso wie in unseren Mikrokosmen. Letzteres zuerst: In meinem Umfeld kenne ich fast niemanden, der auf die Frage »Geht es so weiter?« antwortet: »Klar! Läuft astrein!« Stattdessen hört man doch viel zu oft: »Nein! Wenn überhaupt, funktioniert mein Job irgendwie, aber mein Leben, meine Gesundheit oder/und meine Beziehungen nicht.« Für das, was außer der Arbeit wichtig ist und für das wir uns einsetzen möchten, fehlt uns die Zeit, fehlt uns die Energie.

Die meisten stöhnen, die wenigsten wehren sich. Warum? »Man ahnt oder weiß, was man nicht will, aber nicht, was man an dessen Stelle möchte«, schreibt der Frankfurter Sozialphilosoph Axel Honneth in einer aktuellen Studie.4 »Über die gesamte Arbeitswelt scheint sich […] eine Atmosphäre des ängstlichen Durchhaltens und stillschweigenden Hinnehmens wie Mehltau gelegt zu haben – als könne es nur noch schlimmer werden, wenn sich Empörung und Einspruch breitmachen würden.«5 Wir erleben eine Krise, die sich selbst erfolgreich ignoriert.

Eigentlich bedeutet das griechische Wort krisis »Unsicherheit, bedenkliche Lage, Zuspitzung, Entscheidung, Wendepunkt«.6 Gemeint ist der Moment, in dem etwas entweder gut ausgeht oder scheitert. Handeln tun die meisten von uns aber nicht. »Daher«, schreibt der niederländische Autor, Aktivist und Historiker Rutger Bregman, »ist Krise möglicherweise nicht die richtige Bezeichnung für unsere gegenwärtige Situation. Es ist eher so, dass wir im Koma liegen«.7

Von der Individualebene herausgezoomt auf die Herausforderungen unserer Welt zeigt sich ebenfalls – und das ist nun wirklich keine neue Erkenntnis8 –, dass es so nicht weitergeht: Der Klimakollaps schreitet immer schneller voran, künstliche Intelligenz (KI) stellt die globale Politik und Wirtschaft auf den Kopf, der demografische Wandel bringt Unternehmen und die sozialen Sicherungssysteme der Staaten in Schieflage, der Wettbewerbsdruck steigt, die Wohlstandsschere geht auch unter dem Druck der Inflation immer weiter auf – diese multiplen Krisen begünstigen überall den Aufstieg von Populisten und Autokraten – um nur einige Punkte aufzuzählen. Das alles wirkt so groß und so erschlagend, dass das, was jede und jeder Einzelne bewirken kann, im Verhältnis zu dem vielen, was getan werden müsste, immer nach zu wenig aussieht. So stellt sich statt Zuversicht, statt Optimismus und Tatkraft schnell ein Gefühl der Ohnmacht ein. Ein verständlicher Reflex. Doch solange wir in der Schockstarre verharren, wachsen die globalen Probleme weiter. Deshalb zoome ich auch wieder gern ein wenig heran und frage: Können wir hier denn so weitermachen mit den bewährten Praktiken, Idealen und Normen? Können wir so weiterarbeiten, wirtschaften und das Wachstumsnarrativ weiter bedienen?

Die Wirtschaft steht doch längst kopf

Nein: Wir können nicht so weiterarbeiten wie bisher. Selbst wenn wir es wollten – es geht nicht, weil sich die Rahmenbedingungen der Märkte immer schneller verschieben:

Was in die Unternehmen jeglicher Größe »hineinkommt«, verändert sich: Der Mangel an Talenten wird immer größer und die durchschnittliche Angestelltendauer nimmt ab9, immer mehr Ältere (Generation Babyboomer) gehen immer früher in Rente,10 während immer mehr Jüngere (Generation Z, kurz Gen Z) nachrücken und zum Teil deutlich andere Wertvorstellungen mitbringen.11

Was innerhalb der Unternehmen gelebt und gefordert wird, um innovativ und leistungsstark zu sein, verändert sich: Divers besetzte Teams werden immer wichtiger, um innovationsfähig zu bleiben. Laut World Economic Forum werden zwischen 2023 und 2027 insgesamt 44 Prozent der Kernkompetenzen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wegfallen, weil die Technologie schneller voranschreitet, als die Unternehmen ihre Ausbildungsprogramme entwickeln und ausbauen können.12 Außerdem führen fehlende Vereinbarkeit, Sinnhaftigkeit oder schlechte Teamkulturen immer häufiger zu Kündigungen; dabei war zum Beispiel 2021 eine »toxic corporate culture« ein zehn Mal häufigerer Kündigungsgrund als das Gehalt.13 All das passiert, während Automatisierung, Digitalisierung und künstliche Intelligenz zu enormen Veränderungen und neuen beziehungsweise weniger Jobs führen.

Wie Unternehmen in Märkten agieren, verändert sich: Die Preise von Rohstoffen und rohstoffintensiven Komponenten sind volatil. Das ändert den Umgang mit eigenen Preisgestaltungen und Lieferketten, und das wiederum führt in vielen Fällen zu einer Rückbesinnung auf regionale Anbieter.14

Der gesamte Rahmen, in dem sich Unternehmen Mitarbeitende, Kunden und Stakeholder aller Art bewegen, verändert sich: Die Preise von Rohstoffen und rohstoffintensiven Komponenten sind volatil, was Unternehmen im Umgang mit Preisgestaltungen und Lieferketten stärker unter Druck setzt.15 Zudem ändern sich unter dem Druck der globalen Polykrise die Bedürfnisse der Menschen auf allen Märkten dieser Welt: zum Beispiel zeigt sich die Gen Z schon als jetzt als die sozialökonomisch diverseste Population mit zum Teil stark werteorientierten Kaufentscheidungen: Marken, die sozial und politisch nicht handeln, kommen bei etlichen von ihnen erst gar nicht in ihre engere Auswahl.

Wir rutschen in die Abwärtsspirale

Wie geht es also weiter? In Gesprächen mit Menschen aus dem westlichen Kulturkreis stand und steht bei dieser Frage oft der Wunsch nach einem »kompletten Systembruch« im Raum. Und ich muss fairerweise sagen, dass auch ich einmal davon geträumt habe. Doch ist es sinnvoll, ist es realistisch, zuerst den Kapitalismus, den Kolonialismus, das Patriarchat und am besten alle anderen Unrechtssysteme gleich mit abzuschaffen und erst danach das »richtige«, gerechte, gesunde Leben für alle Menschen zu gestalten? Nein. Ich habe meine Naivität gegenüber diesem Vorgehen irgendwann in einem der Karriere-Hamsterräder verloren. Ich arbeite selbst schon zu lange in dieser komplexen Maschinerie namens »Hyperkapitalismus«, um zu glauben, dass man sie allein mit aktivistischem Idealismus zerschlagen und am nächsten Tag ein neues System hochfahren könnte. Das funktioniert nicht. Ich bin auch nicht der Typ der Extreme. Ich sehe aber sehr wohl sehr viele, jetzt umsetzbare Wirkungsfelder – und es gibt mehr als gedacht. Sich auf den Weg machen zu einer neuen Arbeitswelt in einem nachhaltigen und globalen Wirtschaftssystem, das gesteuert wird über neue Indizes und Anreize – ich bin davon überzeugt: Das geht. Und würde mittlerweile sogar sagen: Das muss gehen, und zwar schnell, denn die aktuelle Polykrise lässt uns nicht mehr viel Zeit.

Jetzt helfen weder Zynismus noch Pessimismus und erst recht nicht »noch schnell die eigenen Schäfchen ins Trockene bringen«. Eine frische, optimistische Perspektive habe ich im Gespräch mit der indischen Unternehmerin und UN Women Transforming India Botschafterin Shikha Shah kennengelernt, die die Teufelskreis-Metapher ins Spiel brachte. Gemeint ist eine Abwärtsbewegung, in der sich eine Vielzahl von Faktoren gegenseitig so verstärkt, dass sich die Lage mehr und mehr verschlechtert. Ein kontinuierliches »Immer-schlimmer«. Unaufhaltsam? Eben nicht!, meint Shikha: »As bold leaders, we can push this culture into a vicious cycle or over to a virtuous cycle.« Als »mutige Führungskräfte« können wir unsere Wirtschaft also in einen Teufelskreis stürzen oder aber in die Gegenrichtung bewegen – in eine positive Entwicklung umwandeln für Wirtschaft, Gesellschaft und Klima, die sich langfristig ebenfalls selbst verstärkt. In diesem Sinne starte ich hier mit einem Blick auf die Abwärtsbewegungen, die wir aktuell in der Wirtschaft und auch am eigenen Leib spüren – um dann im folgenden Kapitel Ideen für Menschen und Wirtschaft zu entwickeln, mit denen es wieder aufwärtsgehen kann. Vor welchen Abgründen stehen wir aktuell?

we run: Arbeit frisst Leben auf

Unsere Arbeit verdichtet sich, weil wir mit KI und Co. mehr Komplexität in weniger Zeit bewältigen können – und auch müssen. Unsere Arbeit entgrenzt sich, weil sie in immer kleinere Devices passt, die wir immer näher an unserem Körper tragen. Sie weitet sich aus, weil immer mehr Fachkräfte fehlen und deshalb immer weniger Menschen immer mehr Aufgaben stemmen. Unsere Arbeit frisst unser Leben auf – und obwohl es uns körperlich und seelisch damit nicht gut geht, lassen wir das zu.16 Laut einer aktuellen BKK-Befragung sind die häufigsten Beschwerden Rückenschmerzen, anhaltende Müdigkeit und Erschöpfung sowie innere Anspannung. Vor allem Letzteres wird häufiger als in den Vorjahren als Beschwerde genannt. Auslöser sind vor allem Überstunden und ständiger Termindruck, emotionaler Stress, fehlende Pausen oder das Verhalten von Vorgesetzten. Auch die Angst um den eigenen Arbeitsplatz spielt eine Rolle.17 Viele von uns verwandeln dann auch noch das, was neben der Arbeit übrig bleibt – Zeit für die Familie, für Sport, für Kreativität, für Kultur –, in zusätzliche Arbeitseinheiten: perfekte Geburtstage, durchtrainierte Sixpacks, DIY-Projekte und spektakuläre Konzertbesuche bringen über Social Media das Zusatzeinkommen, das heute immer wichtiger scheint: Likes.

Dazu kommt: Anders als die meisten Kinder des 20. Jahrhunderts wachsen viele junge Menschen heute bei Alleinerziehenden auf oder in Familien mit zwei berufstätigen Eltern. Dass beide Elternteile arbeiten, ist einerseits wunderbar, weil auch Frauen sich immer mehr entfalten und wirtschaftlich unabhängiger sein können als früher. Mit immer mehr Frauen in der Berufswelt – der vermeintliche Hebel für Gleichberechtigung – wurden »Vereinbarkeit« und die lean-in-Mentalität zum neuen Zielbild. Aber: »Vereinbarkeit gibt es nicht ohne Zugeständnisse«, schreibt die Journalistin Meredith Haaf18, denn sie erleichtere es manchen berufstätigen Eltern zwar, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen (vielen aber trotzdem nicht), zu einer besseren Qualität der Beziehungen zu den Kindern und innerhalb der Partnerschaften, Nachbarschaften und so weiter führe sie aber nicht.

»Junge Menschen haben eine andere zeitkulturelle Prägung als ältere«, schreibt die Journalistin und Autorin Teresa Bücker in ihrem Buch Alle_Zeit. »Je früher sie Zeitdruck erleben, desto eher wehren sie sich dagegen.«19 So wird auf der einen Seite die Zahl der jungen Menschen immer größer, die neben Schule oder Studium jobben, weil das Geld nicht reicht – ein Phänomen, das es in den USA schon lange gibt und das kein gutes Vorzeichen für eine gesunde Gesellschaft ist.20 Und auf der anderen Seite wächst die Zahl derjenigen, die auf ein solches Leben keine Lust mehr haben.

we resignate: Wer arbeitet, macht nicht mehr (alles) mit

Vor diesem Hintergrund erscheint die Kündigungswelle der Pandemiejahre – die sogenannte great resignation vor allem in den USA – nicht mehr wie eine plötzliche Epidemie der Verweigerung oder gar Faulheit, sondern wie ein kollektives Ziehen der Reißleine. Die erzwungene Atempause der Pandemiezeit ermöglichte vielen einen neuen, nüchternen Blick auf ihre Arbeit und ihr Leben. Die Jahre 2020 bis 2022 wirkten wie ein Brennglas, das die kollektiven Vorstellungen von Vereinbarkeit und Traumjob in das zerlegten, was sie immer waren: Mythen. Menschengemachte Normen – und bestimmt keine Naturgesetze.

Die Daten des US-amerikanischen Bureau of Labor Statistics bestätigen, dass sich das Ausmaß und die Rate der Kündigungen während der Pandemie (bis Januar 2022) statistisch signifikant von denen während der Großen Rezession und der Dotcom-Rezession unterschieden.21 Ein großer Teil der Jobwechsel war offenbar verbunden mit mehr Gehalt, besseren Arbeitszeiten und mehr Flexibilität. Junge US-Amerikanerinnen und -Amerikaner stehen nun also auf und sagen: »Moment mal, mein Job macht mich krank, da mache ich nicht mehr mit.«22

Dass die Lage in Deutschland ähnlich ist, zeigt eine Personio-Studie aus dem Frühjahr 2022, laut der mehr als die Hälfte der befragten Menschen zwischen 18 und 34 Jahren darüber nachdachten, sich eine Arbeit zu suchen, die ihnen bessere Entwicklungsmöglichkeiten, weniger Stress und mehr Anerkennung bietet.23 Eine gesunde Reaktion auf den »Millennial Burnout«, den die Autorin und Journalistin Anne Helen Petersen in einem Essay namens How Millennials Became the Burnout Generation so treffend beschrieben hat:24

»Why am I burned out? Because I’ve internalized the idea that I should be working all the time. Why have I internalized that idea? Because everything and everyone in my life has reinforced it — explicitly and implicitly — since I was young. Life has always been hard, but many millennials are unequipped to deal with the particular ways in which it’s become hard for us.«

Auch in Deutschland steuern die Menschen um – Status, Erfolg und Aufstieg gelten für etliche Jugendliche nicht mehr viel, unterstreicht SINUS-Direktor Dr. Christoph Schleer auf Basis seiner Jugendforschung: »Große Bedeutung spielt die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Zeit für sich selbst, für Familie, Freunde und Hobbys zu haben, wird immer wichtiger.«25 Die neue Lust auf Leben teilen nicht nur die Millennials, nicht nur Gen Z, sondern alle. Laut einer Studie der HDI-Versicherung wünschten sich mehr als 80 Prozent der befragten Berufstätigen unter 40 Jahren eine Vier-Tage-Woche – und 70 Prozent der über 40jährigen.26

Diesem Wunsch steht eine Wirklichkeit entgegen, in der die Zahl der unbesetzten Arbeitsplätze nicht mit der Zahl der Menschen zusammenpasst, die für genau diese Plätze qualifiziert sind. Wir haben es aktuell mit dem größten Mangel an Arbeitskräften seit dem Wirtschaftswunder zu tun.