Worüber wir nicht sprechen sollen - es jetzt aber trotzdem tun - Nimko Ali - E-Book
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Worüber wir nicht sprechen sollen - es jetzt aber trotzdem tun E-Book

Nimko Ali

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Beschreibung

Wie fühlt sich eine Vagina nach der Geburt an? Woher weiß ich, dass ich wirklich einen Orgasmus hatte? Wie lerne ich meinen Körper nach einem Missbrauch wieder lieben? Die britische Frauenrechtsaktivistin Nimko Ali spricht aus, worüber immer noch schamerfüllt geschwiegen wird. Denn bei allem Fortschritt in Sachen Feminismus und Emanzipation ist es erschreckend, mit welcher Unwissenheit und Verachtung die weibliche Anatomie immer noch betrachtet wird, sofern sie nicht straff, ordentlich bedeckt, verschönert und enthaart ist. Ali hat hierzu mit vielen Frauen von Äthiopien bis London gesprochen und vereint deren Stimmen in einem Buch. Ihre Sammlung intimer und unzensierter Lebensgeschichten räumt auf mit den Mythen rund um den weiblichen Körper und ist ein Aufruf, Erfahrungen zu teilen und die gesellschaftlichen Tabus zu brechen, die Frauen zur Passivität und zum Schweigen verurteilen. Bewegend, kraftvoll und direkt: ein Manifest über die großartige Vielfalt weiblicher Sexualität, über Unwissenheit, Diskriminierung und die Notwendigkeit über all das zu sprechen.

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Seitenzahl: 388

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Das Buch

Schon früh lernte Nimko Ali, wie Frauenkörper reglementiert werden. Die britische Frauenrechtsaktivistin wurde im Alter von acht Jahren Opfer weiblicher Genitalverstümmelung. Doch hat sie das nicht verängstigt oder mundtot gemacht, sondern es brachte sie dazu, alles über ihre Anatomie wissen zu wollen. In ihrem Debüt thematisiert sie die vier großen Themenbereiche des weiblichen Körpers – Menstruation, Orgasmen, Schwangerschaft und Menopause –, über die immer noch schamerfüllt geschwiegen wird, und ruft dazu auf, Erfahrungen zu teilen. Ali hat hierzu mit vielen Frauen aus unterschiedlichen Lebenswelten, Religionen, Altersgruppen und Ländern gesprochen und vereint ihre Stimmen in diesem Buch. Die mit dem UN-Frauenrechtspreis ausgezeichnete Autorin greift so das Gespräch über den weiblichen Körper auf neue und direkte Weise auf. Sie zeigt, dass es unbedingt notwendig ist, über ihn zu sprechen und Erfahrungen zu teilen, um die Tabus, alten Mythen und Abhängigkeiten von Mädchen und Frauen endlich aufzulösen.

Die Autorin

Nimko Ali, geboren 1982 in Somalia, ist eine britische Feministin, Frauenrechtsaktivistin, Rednerin und Mitbegründerin von »The Five Foundation«, einer weltweiten Organisation, die sich gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM) einsetzt. 2019 wurde sie für ihr Engagement mit dem UN-Frauenrechtspreis ausgezeichnet.

NIMKO ALI

Worüber wir nicht sprechen sollen – es jetzt aber trotzdem tun

Ein Manifest über den weiblichen Körper

Übersetzt von Kristin Lohmann

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel What we’re told not to talk about (but we’re going to anyway). Women’s voices from East London to Ethiopia bei Viking, einem Imprint von Penguin Books Limited, UK, London.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 2021

Copyright © 2021 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright © 2019 by Nimko Ali

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München,

unter Verwendung eines Fotos von © Marc Bordons/Stocksy

Lektorat: Judith Mark

MP · Herstellung: Claudia Frost

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-25537-4V001

www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

Für meine Ayeeyo, meine Großmutter: Du bist meine Welt, bis heute. Danke, dass du immer zu mir gehalten und mir die Freiheiten gegeben hast, die mich zu der Frau gemacht haben, die ich heute bin.

Du fehlst mir.

Inhalt

Einleitung: Nichts ist unmöslich

1. Periode

2. Orgasmus

3. Schwangerschaft

4. Menopause

Schlusswort

Danksagung

Einleitung: Nichts ist unmöslich

»Bei allem Fortschritt in Sachen Feminismus ist es erschreckend, welche Verachtung der weiblichen Anatomie immer noch entgegengebracht wird, sofern sie nicht straff, ordentlich bedeckt, aufgehübscht und enthaart ist.«

Jessica Valenti

Könnt ihr euch noch an die Szene in dem Film Girls Club erinnern, wo die Mädchen in der Turnhalle über Probleme mit ihren Mitschülerinnen sprechen sollen und ein Mädchen dann verkündet: »Jemand hat in das Buch geschrieben, dass ich gelogen habe und dass ich keine Jungfrau mehr wäre, weil ich diese Superplus-Tampons benutze, aber was soll ich denn machen, ich habe ’ne echt heftige Regel und ’ne weit gebaute Vagina.«

Mit der letzten Zeile hatte die Zensur so ihre Schwierigkeiten. Der Film sollte ab 13 Jahren freigegeben werden, deshalb wollten sie die Zeile streichen. Fast zur selben Zeit kam Anchorman – Die Legende von Ron Burgundy in die Kinos. Darin hat die Hauptfigur Ron Burgundy in einer als visueller Gag gedachten Szene eine offensichtliche Erektion. Keine halbherzige oder auch nur normale Erektion, sondern eine, die Christina Applegate als »gewaltig« bezeichnet. Die Szene ging durch. Nein zur »weit gebauten Vagina« und Ja zur »gewaltigen Erektion«? Hallo? Als die Produzenten von Girls Club auf den offenkundigen Sexismus hinwiesen, hat man die Zeile schließlich durchgewunken.

Ich habe mich schon immer gefragt, ob es vielleicht gar nicht die »Vagina« war, die den Zensoren damals aufstieß, sondern die Vorstellung einer »weit gebauten Vagina«. Mal angenommen, das Mädchen im Film hätte gesagt: »Jemand hat behauptet, dass ich keine Jungfrau mehr wäre, weil ich da unten diese Superplus-Tampons benutze« – wäre der Satz dann wohl gleich durchgegangen?

Aber das ist ja nichts Neues. Seit Jahrhunderten wissen Frauen so gut wie nichts über diesen Teil ihres Körpers, und anscheinend sollen sie das auch nicht. Verstohlen raunen sie sich winzige Informationshäppchen über ihre Fannys zu oder sprechen nur verschlüsselt darüber, so wie in meiner Familie. Geht es um »da unten«, wird die Stimme gesenkt, und man hüllt sich in schamhafte Verstohlenheit. In sehr religiösen Familien kann es vorkommen, dass nicht ein Wort über die Periode verloren wird, und wenn es dann so weit ist, sitzt der Schock tief.

Aus lauter Angst, man würde uns für derb oder verdorben halten, trauen wir uns nicht, Fragen zu stellen über das, was in unsere Fannys hinein- und/oder aus ihnen herauskommt. Stattdessen will man uns weismachen, dass wir zu gewissen Zeiten im Monat eben »unrein« seien. Seit Jahrtausenden bringen heilige Männer ihre Angst und (meist auch) ihre tiefe Abscheu vor unseren Fannys zum Ausdruck. Tatsächlich wurde die Anatomie der Klitoris, also des Teils, in dem die reine Lust sitzt, erst vor Kurzem vollständig erforscht (nämlich 1998 durch die australische Urologin Helen O’Connell).

Tja, warum hat das wohl so lange gedauert? Hmmm. Könnte es eventuell etwas damit zu tun haben, dass die Klitoris keine Fortpflanzungsfunktion hat, sondern in erster Linie Quelle der weiblichen sexuellen Lust ist?

Millionen Frauen und Mädchen werden beschnitten; auch ich bin es. Man will damit unsere Sexualität »kontrollieren« und uns heiratsfähig machen. So gut wie nie sprechen die betroffenen Frauen und Mädchen darüber oder tauschen sich aus – dabei gehört doch niemand anderem als ihnen dieses so angst-, schrecken-, scham- und lustbehaftete Körperteil. Frauen werden auch regelmäßig dazu gebracht, sich wegen irgendwelcher verrückter Normen zu einem angeblich perfekten Körper zu geißeln; der neueste perverse Spleen ist die Schamlippenkorrektur. Völlig normale, perfekte Vulven werden aufgeschnitten und wieder zugenäht – beziehungsweise »aufgefrischt und verjüngt«, wie uns die Anzeigen der plastischen Chirurgie glauben machen wollen. Ziel des Eingriffs ist eine »Barbie Vagina« – den Begriff hat Dr. Red Alinsod im Jahr 2005 geprägt. Komischerweise habe ich noch nie gehört, dass sich ein Typ nach einem »Ken« erkundigt hätte.

Diesem Ungleichgewicht hoffe ich mit meinem Buch etwas entgegenzusetzen.

In den letzten fünf Jahren habe ich ziemlich viel dafür getan, die Öffentlichkeit auf die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung aufmerksam zu machen; ich habe mit Politikern gesprochen, mit den Medien – eigentlich habe ich mit jedem gesprochen, der mir zugehört hat –, und immer ging es dabei um dieses großartige Teil von mir, eben meine Fanny. So nenne ich sie, aber es gibt natürlich noch jede Menge anderer Bezeichnungen dafür, einen ganzen bunten Blumenstrauß; verschämte, alberne und ganz schön derbe. Wie wär’s zum Beispiel damit: Scheide, Muschi, das da unten, untenrum, Pussy, Kätzchen, Liebesspalte, Mumu, Mupfel, Möse, Honigdöschen, Pflaume, Cookie, Schnecke, senkrechtes Lächeln, Fotze, Vulva und Vagina.

In einem eher formalen Rahmen spreche ich für gewöhnlich von Fanny. Etwas weiter hinten in diesem Buch werde ich noch auf mein Verhältnis zu »Asha« zu sprechen kommen, aber für den Moment bleiben wir dabei, dass meine Fanny und ich die letzten Jahre ziemlich beschäftigt waren, quasi die möste Zeit.

Ich habe eure rot glühenden Wangen förmlich vor Augen. Ist ja auch nicht gerade die feine englische Art, über Fannys zu sprechen; nicht gerade salonfähig, könnte man sagen; eigentlich wird es sogar als ziemlich derb angesehen. Aber über die Hälfte der Bevölkerung hat nun mal eine – und das verbindet uns, egal, wo wir leben oder aus welcher Kultur wir kommen. Jede Frau hat eine Beziehung zu ihrer Vagina, und wir alle machen entscheidende Erfahrungen mit ihr.

Als ich 2011 das erste Mal über mein eigenes Erleben der weiblichen Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) sprach, wusste ich, dass ich eine von 140 Millionen beschnittenen Frauen weltweit bin. Aber ich wusste auch, dass ich einer von Milliarden Menschen bin, die eine Vagina haben, und ich wusste aus Gesprächen mit anderen Frauen, was für unterschiedliche und tiefgehende Geschichten diese großartige Öffnung bereithält. Ich bin übrigens bekannt dafür, vehement Einspruch zu erheben, wenn Männer als »Fotze« bezeichnet werden. Die Fotze, das weibliche Loch, ist tief und warm, und genau das fehlt den meisten Menschen, die als solche bezeichnet werden.

Die eigene Geschichte mit anderen zu teilen, hat etwas ungeheuer Kraftvolles. Manchmal tun mir Männer leid; klar, meistens liegt es daran, wie sie aufgewachsen sind oder am sozialen Druck, aber es ist doch verrückt, dass jemand 40 Jahre lang seinen Schreibtisch neben jemandem haben kann, von dem er nicht mal weiß, wo er wohnt. Und wenn sie über Sex reden, ist es quasi undenkbar, auch nur die kleinste Schwachstelle preiszugeben. Frauen dagegen können sich gerade mal eine Viertelstunde kennen und schon über ihre bevorzugte Tamponmarke sprechen. Ich kann mir ganz gut vorstellen, wie sich eine verhaltene Konversation zweier Frauen während der Zeit, als Freud über vaginale Orgasmen herumpolterte, angehört haben mag:

»Also, ich hatte ja noch nie einen vaginalen Orgasmus«, raunt die eine, und die andere: »Echt? Ich auch nicht. Mein Mann denkt, ich bin frigide.« Pause. »Hm, vielleicht ist er einfach eine ziemliche Niete im Bett. Hast du schon mal versucht, diesen kleinen Knubbel zu streicheln, den man erst 1998 so richtig begreifen wird?« Okay, das ist natürlich ein ziemlicher Quantensprung zu heute, wo ich gerade eine Bewegung für »gleichberechtigte Orgasmen« ins Leben rufe (die möglicherweise »Oh Mann« heißen wird).

Jedenfalls haben sich Frauen immer schon viel mehr über Intimitäten ausgetauscht als Männer. Mir gegenüber hat mal ein Mann zugegeben, viel mehr Schiss zu haben, wenn er das erste Mal die Freundinnen seiner Freundin trifft, als wenn er ihren Eltern begegnet. Warum? »Weil die einfach alles wissen.«

Dieses Buch trägt eine Reihe sehr unterschiedlicher Geschichten von Frauen über ihre Erfahrungen mit dem Frausein zusammen: über die erste Periode, die erste lustvolle sexuelle Erfahrung, die Suche nach mehr davon, über Schwangerschaften – Geschichten über die Realität all dessen und über alles dazwischen und natürlich auch über die Menopause. Ja, auch um diese Galaxie geht es, um diese letzte kosmische Reise.

Überall auf der Welt durchleben Frauen und Mädchen Extremsituationen, egal, ob sie im Weißen Haus leben oder in einem Palast oder als syrische Geflüchtete in einem dieser weißen Zelte untergebracht sind. Ihr Leben könnte kaum unterschiedlicher sein, aber wenn sie das erste Mal ihre Tage bekommen, wenn sie ihren ersten Orgasmus haben, das erste Mal schwanger sind oder ihre Menopause einsetzt, dann sind sie in gewisser Weise doch alle gleich. Manchen mag weniger bewusst sein als anderen, was gerade mit ihnen vor sich geht, manche mögen Angst haben, andere nicht; eines aber ist sicher: Etwas hat sich in diesem Moment für immer verändert.

Die Vagina-Monologe hatten wir schon; jetzt ist es Zeit für Vagina-Dialoge. Zeit, sich mit anderen Frauen und Mädchen auszutauschen, über Erfahrungen und Erlebnisse zu sprechen; und genau darum geht es in diesem Buch. Denn über Fannys kann frau sich gar nicht genug austauschen. Glaubt mir – ich habe schließlich ein ganzes Buch darüber geschrieben. Und ich habe gesehen, wie meine Offenheit dazu geführt hat, dass bis zum Jahr 2030 sehr wahrscheinlich 70 Millionen Mädchen vor FGM bewahrt werden.

1. Periode

»Eigentlich wissen wir noch gar nicht wirklich, was genau die Menstruation ist.«

G. Stanley Hall

»Die halbe Welt menstruiert einmal monatlich zu irgendeinem Zeitpunkt, aber niemand weiß, wann genau wer an der Reihe ist. Ist das nicht seltsam?«

Margaret Cho

Weltweit haben zu jedem beliebigen Zeitpunkt 334 Millionen Frauen und Mädchen ihre Periode, heißt es. Was sich erst mal wie eine einzige blutige Superparty anhört, stellt sich in Wirklichkeit doch für jede Frau, von Chelsea Clinton über die Herzogin von Sussex bis zu einem Mädchen in Zentralafrika, sehr unterschiedlich dar. Und trotzdem ist uns eines gemeinsam: Irgendwann haben wir alle zum ersten Mal unsere Periode. Die Menstruation macht uns alle gleich. Ob du nun im Weißen Haus sitzt oder in einem windigen Zelt in einem Flüchtlingscamp – wenn du unerwartet zum ersten Mal deine Tage bekommst, dann herrscht erst mal Ausnahmezustand.

In diesem Kapitel spreche ich mit Frauen aus der ganzen Welt über ihre erste Periode und darüber, was diese Erfahrung mit ihnen gemacht hat. Eigentlich hatte ich vor, ganz konkret über den blutigen Part der Sache zu reden, denn nur darum geht es ja angeblich – aber dann habe ich gemerkt, wie tiefgehend und persönlich diese Erfahrung sein kann. Wie sehr diese ersten Tropfen das Leben und die Welt einer Frau verändern. Von dem kenianischen Mädchen, dessen Periode den Beginn ihres Frauseins und das Ende ihrer Unschuld markiert, bis zu meiner überorganisierten finnischen Freundin, deren erste Blutung sich in Form von präzisen Eiswürfeln präsentierte. Klar wussten wir alle, dass es irgendwann so weit sein würde. Aber es gab doch ziemliche Unterschiede. Manche konnten es kaum erwarten, andere fürchteten sich eher davor. Es gibt Frauen, die noch nie menstruiert haben. Hier in diesem Kapitel geht es ausschließlich um die allererste Blutung. Denn sie hat mein Leben verändert und auch das vieler anderer Frauen, denen ich begegnet bin.

Ich weiß nicht mehr, ob ich Sommerferien hatte oder ob es einfach ein Samstag war, jedenfalls war ich an jenem Nachmittag, als meine Periode losging, zu Hause; ich war 14, und es war ein warmer Tag. Eins weiß ich dafür noch genau: Ich habe geschrien wie am Spieß und dachte Jetzt sterbe ich,und das, obwohl die Frau vom Always-Schulprojekt zum Thema Pubertät uns in der achten Klasse alles über die Periode erzählt hatte, auch darüber, wie wir »gar nicht mehr zu bremsen«sein würden in unserem »Ganz-wir-selbst-Sein« und vermutlich auch darin, eifrige Käuferinnen von Always-Produkten zu werden. Sie händigte damals jeder von uns eine Binde und einen Tampon aus (sollten wir die Sachen dann gleichzeitig verwenden, oder wie?) und meinte, wir sollten beides zusammen mit einer frischen Unterhose in einem extra Mäppchen aufbewahren – für den Tag der Tage, »denn schließlich weiß man nie, wann einen die Eierstöcke damit überraschen, dass man nun eine Frau ist«. Sie versäumte es allerdings, uns vorzuführen, wie gut die Binde oder der Tampon die mysteriöse blaue Flüssigkeit, die wir aus der Fernsehwerbung kannten, dann tatsächlich zurückhalten würden. Sie erklärte auch nicht, warum wir sehr wahrscheinlich einen überwältigenden Drang verspüren würden, augenblicklich Wasserski zu fahren, Fallschirm zu springen oder rollerbladen zu gehen, wie wir es ebenfalls aus der Fernsehwerbung kannten. Kurz: Ich war bestens vorbereitet. Ich wusste haargenau, was zu tun sein würde. Unter einer Bedingung: dass ich meine Periode in der Schule bekäme.

Aber natürlich ging es stattdessen zu Hause los. Quasi als eine Art Metapher für die generelle Kompromisslosigkeit meiner Periode.

Wäre ich heute 14 und würde meine Periode bekommen, dann würde ich dem Ereignis mit Sicherheit einen eigenen Instagram Account widmen (Nimko Alis Tal der Morgenröte, oder wie wär’s mit Nimko Alis Sonne geht auf?), aber im Jahre 1996 brüllte ich nur: »Mum, ich sterbe!« Nicht, dass ich Schmerzen gehabt hätte; es war einfach nur dieses helle Rot, das mich ausrasten ließ. Nicht so ein Rot wie das Rot des EU-Reisepasses, den wir nicht mehr haben dürfen. So tief war es nicht, nicht so tief wie mein immer noch anhaltender Brexit-Schmerz. Es war eher das Rot der Londoner Busse. Schockierend genug, dass mir die Luft wegblieb, aber auch interessant genug, um genauer hinzusehen. Denn das haben wir doch alle getan, nicht wahr? Den Tampon angestarrt oder die gruselige Unterhose. Wir wollen es sehen, es anfassen, vielleicht sogar probehalber mal dran schnuppern. Schließlich kommt das Zeug aus uns selbst heraus; das machte es zwar irgendwie auch ein bisschen eklig, aber eben auch okay. Es ist ein Teil von uns.

Ich konnte also nicht zu meinem vorbereiteten extra Mäppchen greifen, sondern musste stattdessen Mums riesige Binden verwenden, die reinsten Matratzenauflagen. Damit lief ich nicht nur wie ein Sumo-Ringer durch die Gegend, die Dinger rutschten auch noch völlig unkontrolliert in meiner Unterhose herum und knisterten wie Pommestüten. Nachts tat mir alles weh, und ich war stinksauer, vor allem auf die bescheuerte Always-Frau. »Nicht mehr aufzuhalten«in unserem »Ganz-wir-selbst-Sein« – sehr witzig.

Irgendwie fühlte ich mich von meinem eigenen Körper übers Ohr gehauen. In der sechsten Klasse (der letzten Klasse der Grundstufe) hatte meine Freundin Jamie ihre Periode beziehungsweise ihren »Wechsel« bekommen, wie unsere Lehrerin es nannte. »Wechsel?!« War das nicht etwas, worüber alte Frauen über 30 herumjammerten? Ich kapierte gar nichts mehr. Die Klasse wurde damals jedenfalls gebeten, nett zu Jamie zu sein, und es hieß, sie sei in dieser Woche vom Sportunterricht befreit. Das war ja wohl der Hammer! Mein zehn Jahre altes Hirn folgerte daraus nur eins: Dass ich einfach nur den »Wechsel« bekommen musste – was auch immer das sein sollte –, um endlich nicht mehr zum verhassten Sportunterricht zu müssen.

Es gab aber noch einen Grund, aus dem ich glaubte, meine Periode würde bestimmt in der Schule losgehen. Der Gedanke kam mir eines Tages in der achten Klasse im Englischunterricht. Meine beste Freundin, die noch nie einen Tag gefehlt hatte, hatte am Morgen nicht wie üblich an der Bushaltestelle gestanden. IPhones oder Facebook gab es damals noch nicht, also hatte ich keine Ahnung, was los war. Aber dann sah ich sie vom Klassenzimmer aus durch das Schultor kommen. Ich war total erleichtert, sie zu sehen, konnte mir aber einfach nicht vorstellen, warum sie so spät dran war. Die Mittagspause schien Lichtjahre entfernt, und während wir Von Mäusen und Menschen lasen, malte ich mir eine Million Gründe für ihr Zuspätkommen aus. Hatte sie vielleicht einen Arzttermin gehabt? Nein, das hätte sie mir gesagt. War jemand gestorben? Wohl kaum, dann wäre sie gar nicht gekommen. Oder vielleicht – nein, das konnte nicht sein! –, vielleicht hatte ja Jason von Take That doch auf ihren Fanbrief geantwortet und ihr seine unsterbliche Liebe gestanden, und mir blieb jetzt nur noch der Keyboarder?! Das musste es sein! Der Gedanke fesselte mich dermaßen, dass ich, als der Lehrer mich nach dem Namen der Figur fragte, die sich um Lennie kümmert, mit »Gary Barlow« antwortete.

Beim Mittagessen erzählte meine Freundin dann, dass sie ihre Periode bekommen hatte. Ich musste unbedingt herausbekommen, ob sie ihr Spezialmäppchen benutzt hatte, aber das hatte sie wohl nicht. Sie war noch mal heimgegangen, um sich umzuziehen; ihre Mum hatte schon vorgesorgt und Binden für sie bereitgelegt. So ganz war mir zwar nicht klar, was so toll daran sein sollte, die Periode zu bekommen, aber ich gab mein Bestes, möglichst begeistert zu wirken. »Hatten sie Flügel?«, fragte ich. »Mhm«, meinte meine Freundin, schon ganz alter Hase, »aber Joanna hat gesagt, ich soll nächstes Mal lieber Tampons benutzen, weil ihr die Binden immer halb den Rücken hochrutschen.« Ich riet ihr, nicht auf Joanna zu hören. Wer sich mit so viel Gel seinen Pony ins Gesicht klatscht, kann keinen Schimmer haben von der Komplexität des Frauseins. (Hartes Urteil, aber ich konnte Joanna einfach nicht ausstehen. Ich weigerte mich auch, sie Jo zu nennen – auf die Ebene würden wir nie kommen. Sie gehörte einfach zu den Leuten, die nicht wissen, wo die Grenze ist. Beim Mittagessen nahm sie einem Sachen vom Tablett, im Unterricht stellte sie einem blöde Fragen, wenn man gerade total konzentriert war, und jetzt gab sie auch noch meiner besten Freundin schlechte Ratschläge. Ich meine, wer macht so was?)

Mal abgesehen von dem Albtraum, dass ich glaubte zu sterben, kann ich mich auch noch gut daran erinnern, wie meine Mum damals meine Großmutter anrief. »Nimko hat ihre Periode bekommen«, brüllte sie vor Stolz platzend in den Hörer. Meine Großmutter wohnte damals gleich ums Eck, also spurtete sie direkt los. Bevor ich kapierte, was überhaupt Sache war, stürmte sie schon die Treppe hoch, wo ich wie Camille darniedergestreckt auf dem Totenbett in meinem Zimmer lag. (Oh ja, ich kostete die Sache voll aus.) Gran wehte herein, mit ihrem süßlichen, vertrauten Duft nach Cremes und Parfüms in ihrer so eigenen Mischung, und küsste mich auf die Stirn. Ich weiß noch, wie geborgen ich mich fühlte, als sie mir liebevoll die Haare aus dem Gesicht strich, und wie ich dachte, diesmal vielleicht doch noch nicht sterben zu müssen. Die Erleichterung war allerdings von kurzer Dauer, denn die Angst vor dem unmittelbar bevorstehenden Tod wurde schnell abgelöst durch ein machtvolles Gefühl der Scham. Minuten nachdem meine Großmutter erfahren hatte, dass meine Eierstöcke in Aktion getreten waren, plante sie schon ein gigantisches Festmahl. Mir war nicht richtig klar, was genau wir eigentlich feiern würden, mein »Sterben« oder das Blut, das mir durch Mums Matratzenschoner in die Unterhose sickerte, jedenfalls hatte meine Großmutter ein halbes Lamm bestellt und war fest entschlossen, die komplette erweiterte Familie einzuladen, um mein Frauwerden zu feiern.

Ich sagte nichts dazu. Stattdessen machte ich auf melodramatisch, so wie die nächsten zehn Jahre auch, wenn ich mal wieder an der Reihe war. Wie ich meine Familie da so reden und essen sah, fand ich es doch reichlich seltsam, dass wir feierten (und es war wirklich ein richtiges Fest), ohne dass jemand so richtig wusste, was eigentlich der Anlass war. Meine jüngeren Geschwister fanden es toll, dass es Limo gab. Ich fand das Lamm toll, hatte aber keinen Schimmer, warum meine Blutung Anlass sein sollte für ein derart abgehobenes Festmahl, wo doch niemand außer meiner Mutter und meiner Oma wussten, dass ich meine Periode bekommen hatte.

So wie die Beschneidung schien auch der Beginn der Periode ein unausgesprochener Initiationsritus unter den Frauen meiner Familie zu sein. Alle wussten, irgendwann würde es losgehen, bei jeder von uns, nur würden wir niemals offen darüber sprechen. Damals begriff ich, dass über diese blutige Angelegenheit einfach nicht gesprochen wurde. Jede wusste Bescheid, jede nahm hin, dass es nun mal so war, aber keine hatte Worte, um darüber zu sprechen.

Als ich dort an der festlichen Tafel saß, zwischen den Beinen immer noch die knisternde Matratzenauflage, sah ich, wie meine Mutter und meine Großmutter einen kurzen Blick austauschten. Erst viele Jahre später wurde mir klar, wie erleichtert sie damals waren – vielleicht hatten sie gedacht, dass ich wegen der Beschneidung vielleicht nie meine Tage bekommen würde oder irgendetwas dabei schiefgehen könnte. In ihren Augen war ich damals zur Frau geworden, das ist mir heute klar. Ich sage ganz bewusst »in ihren Augen« – denn auf mich selbst trifft Britneys »I’m Not a Girl, Not Yet a Woman« auch 15 Jahre später noch viel eher zu.

Ich weiß nicht, wie es bei euch ist – aber bei mir hat sich seit der ersten Periode ziemlich was getan. Anfangs bekam ich schon bei der bloßen Vorstellung eines Tampons den blanken Horror; jetzt, eineinhalb Jahrzehnte später, koche ich gerade meine Menstruationstasse aus, um sie mir später in die Fanny zu schieben. Menstruationstassen sollten wir übrigens alle benutzen – sie sind hygienisch, billiger und auf lange Sicht umweltfreundlicher. Allerdings darf man keine Berührungsängste haben – man muss schon richtig hinlangen, und die Finger können auch mal blutig werden. Jede von uns kennt doch das Gefühl, nach einer durchzechten Nacht nicht ganz sicher zu sein, ob man eigentlich vor Einsatz des neuen Tampons den alten rausgenommen hat. Ziemliche Fummelei, die Suche nach dem Schnürchen, oder? Wenn man eine Menstruationstasse benutzt, geht es ähnlich fanny-intim zu. Aber das Beste daran ist, dass man sie überhaupt nicht mehr spürt, wenn sie erst richtig sitzt. Sie schließt absolut dicht ab, sodass nichts auslaufen kann, ganz egal, wie stark die Periode ist. Menstruationstassen sind das Ende sämtlicher Hygieneartikel – es geht einfach nichts mehr daneben. Wenn du deine Tasse in einer öffentlichen Toilette leeren musst und eine starke Periode hast, kann die Sache allerdings etwas trashig werden. Achte darauf, dass du richtig sitzt, taste mit den Fingern nach der Tasse und zieh sie mit einem »Schluurp« heraus. Das Blut aus der Tasse wird eine ordentliche Sauerei in der Toilettenschüssel anrichten, also nicht zu schnell aufstehen. Wenn du jetzt deine Hand anschaust, denkst du vermutlich an Lady Macbeth – hier helfen Feuchttücher.

Vor dem ersten Einsatz muss die Menstruationstasse übrigens ein paar Stunden lang ausgekocht werden. Was dich vor die interessante Frage stellt, ob du dir dafür einen Extratopf anschaffst oder mit den Gewissensbissen klarkommst, wenn dein Partner nichtsahnend seine Kaffeemilch in demselben Topf erwärmt (hier bitte einen üblen Witz über einen »Latte Splattiato« einfügen).

Während ich das schreibe, sitze ich im Flugzeug nach Australien und habe meine Periode. Nur dass die heute nicht mehr drei Tage dauert und dann einfach wieder aufhört, so wie in den glücklichen Zeiten meiner Jugend, als meine Periode nur spärlich vor sich hintröpfelte. Sie streckt ihr rotes Köpfchen ja sowieso immer im denkbar ungünstigsten Moment heraus, aber gegen Ende sollte es dann doch bitte sehr mit ein bisschen bräunlicher Schmiere getan sein, da braucht es doch wirklich kein Stephen-King-mäßiges Blutbad mehr wie bei Carrie.

Inzwischen weiß ich, dass Stewardessen ziemlich häufig mit einer unregelmäßigen Periode zu tun haben, weil die unterschiedlichen Zeitzonen ihren Biorhythmus durcheinanderbringen. Und dass ein plötzlicher Druckabfall auch an Tag fünf noch einen plötzlichen heftigen Schub auslösen kann. Kann ich bestätigen. Also frage ich jemanden von der Crew nach einer Binde.

Heute habe ich kein Problem damit, nach Binden, Tampons oder was auch immer ich heute verwende zu fragen – als Teenager bin ich vor Scham im Boden versunken. Meine Fanny (Asha) und ich müssen uns für überhaupt nichts schämen, mein Problem war nur, dass es hier, auf diesem Flug, keine Notfallbinden gab. Auf dem Klo war jedenfalls nichts zu finden. Drei Toiletten habe ich abgesucht wie eine Geisteskranke, wie jemand, dem sein Handy aus der Hosentasche gerutscht ist. Jeder kennt dieses panisch-hektische Suchen, dieses: »Es muss hier doch irgendwo sein!« Genau so ging es mir, während ich blutete wie an Tag zwei, obwohl meine Periode eigentlich schon so gut wie vorbei war. Als ich die Suche aufgegeben und die Idee verworfen hatte, mir mit Papierhandtüchern zu behelfen, fragte ich die wie aus dem Ei gepellte Stewardess im hinteren Teil des Flugzeugs. Ich war schockiert, als sie nach ihrer eigenen Handtasche griff und eine Binde für mich herausnahm. Sie hatte also entweder selbst ihre Tage oder war kurz davor – aber warum legen sie dann nicht einfach auf den Klos einen Vorrat an? Hier im Flieger müssen um die 40 Frauen sein, die entweder ihre Periode haben oder sie höchstwahrscheinlich während des Flugs bekommen. What the fuck?!! Was ist eigentlich los? Was bitte soll frau denn tun, wenn sie plötzlich ihre Tage bekommt und nicht gerade zufällig eine mitfühlende Stewardess an Bord ist? Sich die Unterhose mit Toilettenpapier ausstopfen? Den Sitz vollbluten? Denn genau das sind nun mal die Möglichkeiten. Würde ich mir damit nicht ins eigene Fleisch schneiden, weil ich dann bis zur Landung in meinem eigenen Blut sitzen müsste, wäre ich ja für Letzteres. Unten bluten, während man auf dem Weg nach »down under« ist – passt doch.

Und wenn dann noch ein paar mehr Frauen den Sitz vollbluten, kommen die Fluggesellschaften ja vielleicht doch noch auf den Trichter, Binden und Tampons bereitzustellen. Denn die Sitze mögen feuerbeständig sein, blutbeständig sind sie vermutlich nicht. Angeblich gibt es ja sogar einen »limitierten Vorrat« an Monatshygiene-Artikeln. Nur wo? In der Flugzeugtoilette jedenfalls nicht. Und warum eigentlich einen »limitierten Vorrat«, wenn Alk doch offensichtlich in »unlimitiertem Vorrat« zur Verfügung steht? Am Flughafen läuft ein Periodennotfall ja übrigens normalerweise so ab, dass frau zum nächsten Tamponautomaten hetzt, nur um sich dort vor dem »Außer Betrieb«-Schild wiederzufinden.

Oder wäre eine Lautsprecherdurchsage nicht toll, wenn du mitten im Flug von deiner Periode oder dem plötzlichen druckabfallbedingten Tag-fünf-Schwall überrascht wirst? »Sehr geehrte Damen und Herren, mein Name ist Nimko, und ich brauche bitte einen ordentlich großen … Tampon.«

Mein Leben mit Periode war voller Hochs und Tiefs und What-the-fuck-Momenten. Die Wtf-Momente waren vor allem die »Oh Mann, warum hast du nicht gesagt, dass du kommst«-Momente – ihr wisst, was ich meine. Das peinlichste Erlebnis in der Hinsicht ist gerade mal ein paar Monate her; ich war am Wochenende für die britische Regierung auf dem Land unterwegs. Man hatte mich in einem Zimmer untergebracht, das ich einem nicht ganz so wichtigen Mitglied einer Königsfamilie zuordnen würde. Voll mit Kunst und feinstem Tuch, alles uralt, aber dabei total edel. Mir war überhaupt nicht klar gewesen, dass ich fällig war, vielleicht lag es auch am Stress, aber da hatte ich nun die Bescherung, alles war voll, die ganzen teuren und mit Sicherheit niemals zu ersetzenden Laken der Regierung Ihrer Majestät. Fünf Jahre früher wäre ich ausgerastet und hätte alles nur Denkbare unternommen, um die Spuren meines Frauseins zu verbergen. Das habe ich nicht getan. Ich zog das Bett ab und legte die Laken auf den Boden, und als ich am Nachmittag von einem hochkarätigen Meeting zurückkam, war das Bett neu bezogen. Mir war klar, dass die Frau und vielleicht auch der Mann an der Rezeption – und vielleicht sogar der britische Außenminister – Bescheid wussten, nur interessiert es mich nach dem ersten Wtf-Moment beim Aufwachen in den blutigen Laken einfach nicht mehr.

Ein absolutes Hoch war die Entdeckung, dass ich während der Periode den Ramadan eine Woche aussetzen konnte. Eine Woche deshalb, weil du von dem Moment an, in dem deine Periode beginnt, als unrein angesehen wirst, also auch nicht fasten kannst – bis du dich von Kopf bis Fuß gewaschen hast. Natürlich dauerte meine Periode damals nicht eine ganze Woche, aber im Kleingedruckten des Koran steht zum Beispiel auch, dass die reinigende Waschung nicht gilt, wenn man Nagellack trägt. So konnte ich die Auszeit ein wenig strecken, ich fühlte mich normaler dadurch; es war sowieso schon schwer genug, eine gemeinsame Basis mit den Leuten in meinem Umfeld zu finden. Als Jugendliche nutzte ich die Zeit der Periode während des Ramadan deshalb gnadenlos aus – es war super, ich konnte mit meinen Freunden mittags etwas essen, konnte mir in der Pause was holen und nach der Schule mit meinen Freunden abhängen. Ich habe mich nie schuldig gefühlt deshalb. Heute, während ich das schreibe, ist das etwas anders; vielleicht war es ja auch eine Art Strafe für diese Auszeitverlängerung, dass ich zehn Tage lang nicht mehr aufhörte zu bluten, nachdem mir die Spirale eingesetzt worden war. Wie ich meine Periode während dieser zehn Tage gehasst habe; am liebsten hätte ich mir die Eierstöcke entfernen lassen und die Sache wäre ein für alle Mal erledigt gewesen. Ich wünschte ja, ich könnte jemanden wie Michelle Obama darum bitten, ausführlich über ihre Perioden-Erfahrungen zu berichten. Allein die Vorstellung, wie sie mitten in einer superheiklen Besprechung im Situation Room einen Typen vom Geheimdienst zum Tamponkaufen losschickt. Ihr Codename war ja »Renaissance«, der Typ vom Geheimdienst also im Drogeriemarkt ins Walkie-Talkie: »Positiv. Zielobjekt neben den Slipeinlagen ausgemacht. Eine Schachtel Tampons mit Einführhilfe?« – »Negativ. Renaissance bevorzugt Tampons, die sich ausdehnen und dem Körper anpassen.« Oder Michelle, wie sie mit Sasha oder Malia im Oval Office über das Thema spricht. Wäre doch genial, Perioden-Talk im Oval Office, da bin ich sofort dabei. Ich sehe mich schon mitfühlend nicken, während Michelle uns anvertraut, dass die ganze Fliegerei mit der Air Force One ihren Zyklus total durcheinanderbringt … Sorry, habe mich kurz von meinen Tagträumen mitreißen lassen.

Die Gesundheitsfürsorge von Frauen wird derzeit von einer Reihe reicher weißer Männer bestimmt, und mit »bestimmt« meine ich: massiv beschädigt. Diese Republikaner sind ja nicht nur selbst ernannte Hüter der Moral, sondern auch vehemente Abtreibungsgegner (außer natürlich, die eigene Geliebte wird schwanger). Erinnert ihr euch noch an das Foto aus dem Jahr 2017, wo Trump inmitten seiner grimassierenden Kumpane zu sehen ist, und alle machen mit geschäftiger Miene Vorschläge, wie man die Gesundheitsfürsorge von Frauen in Stücke reißen könnte? Frauen stellen 51 Prozent der Bevölkerung – als es damals um ihre Gesundheit ging, waren exakt null Prozent von ihnen anwesend.

Jetzt gerade in diesem Moment haben 334 Millionen Frauen ihre Periode, und manche von ihnen waren so nett, mir von ihrem allerersten Mal zu erzählen. Wie fühlt es sich an, als Geflüchtete, kilometerweit weg von allem Vertrauten, die erste Periode zu bekommen? Wie kann man wissen, ob man eine ernstzunehmende Endometriose hat, wenn keiner einem je gesagt hat, wie sich eine normale Periode anfühlt? Was tun, wenn es losgeht, während man sich inmitten einer verschneiten Berglandschaft befindet? Was, wenn dein gesamter Verdauungsapparat verrücktspielt, sobald die Eierstöcke in Aktion treten? Und was macht eine obdachlose Frau mit ihrer Periode? Im Normalfall wird sie sich wohl entscheiden müssen – etwas zu essen kaufen oder die letzten Münzen für Monatshygiene-Artikel ausgeben.

Zay

»Mitten in diesem kalten, dunklen, betonierten Hinterhof liefen mir das Blut und die Tränen herunter.«

Wir haben Syrien vor drei Jahren verlassen, da war ich elf.

Wenn ich gewusst hätte, wie lange wir unterwegs sein würden, ohne ein Zuhause, dann wären beim Packen bestimmt andere Sachen wichtiger gewesen als meine Jeans und der Hello-Kitty-Pulli. Ich habe Hello Kitty einfach geliebt, ich hoffe immer noch, dass ich irgendwann mal nach Japan komme und mir so viele Hello-Kitty-Sachen wie möglich kaufen kann. Es geht eigentlich gar nicht um die Sachen, sondern eher darum, was Hello Kitty für mich bedeutet – Spaß, Freundschaft … Freiheit.

Wir sind mit unserem Familienauto losgefahren, meine Mutter, mein Vater, mein kleiner Bruder und ich. Jeder von uns durfte eine kleine Tasche mitnehmen, hat meine Mutter gesagt, und mein Bruder hat lauter Spielsachen und Süßigkeiten eingepackt. Wir haben echt gedacht, dass wir nur ein paar Wochen weg sein würden. Erst sind wir stundenlang gefahren, dann sind wir in einen Bus gestiegen, dann in ein Boot. Das Boot war das Gruseligste, aber nur bis zu dem Tag, an dem ich in dem ganzen Blut aufgewacht bin. Nach der wochenlangen Reise waren wir damals seit zwei Tagen in Griechenland. Ich hatte schon seit Tagen Schmerzen, dachte aber, dass ich nur was Falsches gegessen hatte oder dass es die Angst war. Nachts habe ich immer zusammen mit meiner Mum gebetet, gegen die Angst und den Schmerz. Sie hatte Rückenschmerzen, weil sie meinen Bruder tragen musste, während mein Vater mich getragen hat, als ich nicht mehr konnte.

Eines Nachts bin ich aufgewacht und habe geschrien wie verrückt. Ich dachte, jemand hätte auf mich geschossen. Davor hatte ich die ganze Zeit Angst – in Syrien wurden ja wirklich Leute erschossen, deshalb waren wir schließlich geflohen. Meine Mutter schlief neben mir und sprang auf. Als sie das Blut sah, sah sie erschrocken aus, aber nicht entsetzt. Heute denke ich, sie wusste gleich, was los war. Sie nahm das Laken, unter dem wir schliefen, und wickelte es mir um, dann half sie mir hoch. Es war ein großer Raum, wir waren mit anderen Familien dort, und sie wollte niemanden wecken. Deshalb sind wir schnell raus und in den Hof. Ich habe nur gezittert, kein Wort gesagt. Es war kalt, aber ich glaube, ich habe eher vor Angst gezittert. Im Hof gab es einen Wasserhahn, wo sich die Männer die Füße wuschen und sich zum Beten fertigmachten. Da standen wir, und meine Mutter hob das Laken hoch und wusch das Blut weg. Sie wischte mich mit meinem Nachthemd ab und erklärte mir dabei, dass alles okay sei und dass ich in dieser Nacht zur Frau geworden sei, weil Allah es so bestimmt habe. Meine Mutter hatte natürlich gewusst, dass dieser Tag irgendwann kommen würde, aber sie hatte gehofft, dass es erst in Deutschland passieren würde, wo wir hinwollten. Sie hat gesagt, ich sei nicht verletzt, sondern mein Körper sei nur von einem Entwicklungsstadium in ein anderes übergegangen. Meine Mutter hat so eine ruhige Art zu sprechen, und normalerweise sieht die Welt immer gleich viel besser aus, wenn sie etwas sagt. Aber diesmal konnte sie die Welt nicht besser machen. Mitten in diesem kalten, dunklen, betonierten Hinterhof liefen mir das Blut und die Tränen herunter. Meine Mutter hat auch geweint, aber ich habe getan, als würde ich es nicht sehen. Es war für uns beide auf unterschiedliche Weise so qualvoll. Wir hatten nichts mehr, mir tat alles weh, und meine Mum muss verzweifelt gewesen sein.

Sie ist dann in den Schlafsaal zurückgelaufen und mit Unterwäsche und Monatsbinden zurückgekommen. Die Unterwäsche war von ihr, deshalb hat sie auf einer Seite einen Knoten reingemacht. Trotzdem war noch ziemlich viel Platz zwischen der Binde und mir, es hätte gut was danebengehen können. Am nächsten Morgen konnte ich mir zwar eine eigene Unterhose raussuchen, aber die Binde musste ich weiterbenutzen. Meine Mum hatte nur ein paar Binden mitgenommen, und da, wo wir waren, gab es keine. Wir mussten mit den Binden genauso sparsam sein wie mit dem Reis und der Milch und dem Brot. Ich versuchte, den Tag über mit dieser einen Binde auszukommen, aber es hat sich sehr unangenehm angefühlt, weil sie voller Blut war. Meine Mum hat mir dann ihre Binden gegeben, obwohl sie selbst noch ihre Periode hatte. Und ich habe sie einfach genommen, wie ein Kind. Ich habe überhaupt nicht darüber nachgedacht und geglaubt, alles dreht sich nur um mich. Das war wahrscheinlich so ziemlich das letzte Mal, dass ich mich wie ein Kind verhalten habe.

Kinder sind egoistisch, und das ist auch okay so. Sie wissen noch nicht, dass sich nicht die ganze Welt nur um sie dreht, und wenn sie gute Eltern haben, dann wird ihnen auch genau das vermittelt, nämlich dass sie das Allerwichtigste sind und dass es nur um sie geht. Meine Mutter hat mich und meinen Bruder wirklich geliebt. Als wir noch zu Hause waren, hat sie uns das jeden Tag gesagt. Und wenn ich von der Schule kam und auf dem Tisch lagen Süßigkeiten, dann habe ich sie einfach genommen und gegessen. Okay, als mein Bruder dann auf der Welt war, habe ich ihm vielleicht was abgegeben … vielleicht …, jedenfalls ging es immer um mich und meinen Bruder, es ging immer um unsere Bedürfnisse. Meine Mum und mein Dad haben Syrien verlassen, bevor diese Leute kamen, die man heute im Fernsehen sieht, sie sind geflohen, bevor es schlimmer wurde. Klar war es hart, so lange unterwegs zu sein, während man die Periode hat. Meine Mum hat geweint wegen den Krämpfen, hat sie erzählt, und auf ihrem Rücken zappelte auch noch ein Baby. Ich hatte keine Ahnung von Krämpfen, und Schmerzmittel gab es nicht. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was das alles bedeutete, und als meine Mum meinte, dass ich jetzt eine Frau bin, haben wir auch nicht darüber gesprochen, was das eigentlich heißt.

Ich kam also in den Genuss von Binden, und meine Mum hat stattdessen Zeitungspapier benutzt oder eins von den T-Shirts von meinem Bruder. Einmal habe ich gesehen, wie sie am Abend das T-Shirt ausgewaschen hat, und da ist mir klar geworden, dass sie eigentlich die Binden bräuchte, die ich jetzt hatte. Ich habe mich so eklig gefühlt, wie immer, wenn ich meine Periode hatte, sogar noch Tage danach. Es ist eklig, wenn du dich nicht waschen kannst, wie und wann du willst, wenn es keine richtige Toilette gibt; man fühlt sich dann selbst auch eklig. Meine erste Periode dauerte fünf Tage, und nachts wurde mein ganzes Nachthemd voll. Meine Mutter hat dann eine Plastiktüte zerschnitten, mit der sie immer unsere Füße trocken gehalten hat, wenn wir stundenlang im Regen gelaufen sind. Ich weiß nicht, ob es wirklich Stunden waren, es ist immerhin drei Jahre her, jedenfalls hat es geregnet. Die Tüten waren unsere Rettung, so sind die Matratze und die paar Kleidungsstücke, die ich noch besaß, trocken und sauber geblieben.

Ich hatte sowieso alles in allem Glück, weil ich nur zweimal meine Periode hatte, bevor wir dann in Griechenland an einen Ort kamen, wo uns geholfen wurde.

Im Frauenzentrum wurden keine Fragen gestellt, nicht wie bei der Essensausgabe. Sie haben uns einfach ein Päckchen Binden, Tücher und etwas Unterwäsche gegeben. Die Unterwäsche war zwar limitiert, aber sie lag in einer Schachtel, und man konnte sich einfach etwas nehmen, wenn man es brauchte. Es war nicht wie mit Zucker, der war auch begrenzt, aber da hat man manchmal gar nichts mehr bekommen.

Meine Mum hat ein schlechtes Gewissen wegen der ganzen Sache. Ich habe sie zufällig mit meinem Vater sprechen hören, bevor wir hier angekommen sind und einen Asylantrag gestellt haben. Sie hat ihm gesagt, dass ich »erwachsen werde«, das hat er wohl noch verstanden, aber: »Sie hat Schmerzen, und ich kann ihr nichts geben«, wohl eher nicht. Vielleicht hätte sie sich deutlicher ausdrücken sollen. Ich glaube nicht, dass meinem Vater klar war, dass man Schmerzen haben kann während der Periode, und wie schlimm es für eine Mutter ist, wenn sie ihr Kind so leiden sieht. Hätte ich meine Periode in Jordanien bekommen und nicht im Westen, hätte ich heiraten müssen, zu meiner eigenen Sicherheit. Die Ehe wird dort als Schutz für die Tochter und für die Familienehre angesehen, weil unverheiratete Mädchen in der Schule belästigt oder angegriffen werden können.

Aber jetzt bin ich ja hier und bin so sicher, wie ich außerhalb von Syrien nur sein kann, und wenn ich Schmerzen habe, kann ich ein Schmerzmittel nehmen. Ich kann mich abends mit einer Wärmflasche ins Bett legen, und ich habe Binden in meinem eigenen Zimmer und muss kein schlechtes Gewissen haben oder erst fragen.

Ich hätte meine Mum gerne gefragt, wie es ihr selbst mit ihrer Periode gegangen war, aber ich wusste einfach nicht, wie. So etwas fragt man nicht, über so etwas denkt man nicht mal nach; es ist eben so, und du musst damit klarkommen. Aber wenn ich mir überlege, wie hart es war und wie es mein Leben verändert hat und wie besonders das alles war, dann ist es vielleicht doch nicht etwas, das eben einfach so ist.

Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie ihre Periode früh bekommen hat und wie verstörend es war, dass niemand in der Familie mit ihr darüber sprach. Ihre eigene Mutter war viel zu sehr mit Kinderkriegen beschäftigt, und ihre Tanten waren alle verheiratet und haben immer nur gesagt, dass sie ihre widerspenstigen Augenbrauen in den Griff kriegen müsse, weil sie sonst keiner heiraten werde.

Am Ende hat ihr dann die große Schwester einer Schulfreundin gesagt, was die Periode eigentlich ist und was sie tun soll. Meine Mutter wollte es mit ihrer eigenen Tochter eigentlich einmal anders machen, aber es sollte wohl nicht sein. Sie hat dann nur gesagt, wir sollten nicht traurig sein, der Herr stellt uns eben immer wieder auf die Probe.

»Tee?«

An dem Punkt endete das Gespräch zwischen Zay und mir. Ich hatte eine Tür zwischen Mutter und Tochter geöffnet, die bestimmt schon immer da gewesen war, nur dass sie jetzt anders aussah und an einem anderen Ort stand. Als ich Zay und ihre Mutter so vor mir sah, sah ich plötzlich mich selbst und meine eigene Mutter. Sie waren so weit entfernt von dem, was meine Mum und ich inzwischen wussten, so jung und noch auf der Suche nach einem Weg, sich selbst auszudrücken. Ich hoffe nur, dass sie durch unser doch sehr persönliches Gespräch erkennen, dass sie wirklich eins sind und dass sie ganz andere Frauen sein werden als all die Frauen vor ihnen – und dass sie genau aus diesem Unterschied Kraft schöpfen können. Zwischen meiner Mutter und mir war durch all das Unausgesprochene eine Mauer entstanden; diese Mauer war zwar manchmal nur hauchdünn, aber trotzdem hat sie verhindert, dass wir ein gutes Verhältnis zueinander hatten, so wie wir es heute haben. Ein Verhältnis, das auf Liebe, Respekt und der Akzeptanz unseres Verschiedenseins basiert. Ich werde nie die Tochter sein, die meine Mutter eigentlich wollte, aber das ist okay, wir akzeptieren es heute beide. Blut spielt in unserem Leben eben doch eine größere Rolle, als wir denken. In diesem Raum war so viel Liebe, so viel Unausgesprochenes, und es lag so vieles in der Luft, das in den nächsten Jahren erst noch kommen würde, genau wie die vielen Perioden in Zays Leben.

Vom Tabu zum Drachenfliegen

Zays erste Periode wäre bestimmt weniger beängstigend für sie gewesen, wenn ihre Mutter mit ihr darüber hätte sprechen können, dachte ich mir nach unserem Gespräch. So viele Frauen drücken sich in Euphemismen aus, sprechen kryptisch über das »zur Frau werden« oder lassen ihre Tochter mit ihrem Schock angesichts des Blutes gleich ganz allein – und das sind nicht alles Frauen, die sich mit einem Baby auf dem Rücken auf der Flucht aus ihrem kriegsgebeutelten Land befinden.

Der Begriff »Tabu« kommt übrigens von dem polynesischen Wort tapua, das zwei Bedeutungen hat: »heilig« und »Menstruation«. In der westlichen Welt schlagen sich Periodentabus ja auf recht unterschiedliche Weise in unserer Kultur nieder. 2016 zum Beispiel hing ein Schild in einem Fitnesscenter in Georgia, USA, auf dem Frauen gebeten wurden, während ihrer Periode auf ein Bad im Pool zu verzichten. Mit Schweiß und Urin wird Chlor also fertig, aber ein paar Tröpfchen Menstruationsblut stellen eine biologische Gefahr dar? Noch ein Beispiel: Tampons für junge Mädchen werden häufig in Verpackungen angeboten, die eher an Süßigkeiten erinnern – wahrscheinlich, damit ihre Kumpel keinen Schock erleiden, wenn sie realisieren, dass ein Mädchen Körperfunktionen hat.

Es kommt vor, dass sich Werbung über Tabus hinwegsetzt, und weil Werbung von sehr vielen Menschen wahrgenommen wird, tritt die Scham allmählich ihren Rückzug an. 2017 ließ die Marke Bodyform in der Werbung erstmals eine rote Flüssigkeit in ihre Monatsbinde einsickern – und, oh Wunder, die Welt ging nicht unter! Wer weiß – vielleicht wird ja als Nächstes eine Frau zu sehen sein, die schmerzgeplagt mit Wärmflasche auf dem Sofa liegt, statt Drachenfliegen zu gehen.

Yasmin

»Dann hätte ich vielleicht jemanden geheiratet, mit dem ich an einem Ort hätte leben müssen, wo ich am Fluss meine ›Kleider‹ ausgewaschen hätte und wo ich es hätte geheim halten müssen, wenn ich meine Periode hatte.«

Ich habe sechs Monate nach meiner ersten Periode geheiratet. Das weiß ich heute noch ganz genau, obwohl ich inzwischen ganz anders über meinen Mann und die Hochzeit denke als damals.

Es ging los am 12. April, eine Woche vor meinem fünfzehnten Geburtstag. Mitten im Englischunterricht hatte ich plötzlich das Gefühl, ich müsste auf die Toilette, aber ich traute mich nicht zu fragen, weil ich schon wusste, dass meine Lehrerin mich sowieso nur schief ansehen und nicht gehen lassen würde. Ich hatte keine Schmerzen, es war eher so, wie wenn man dringend pinkeln muss und auf dem Weg zum Klo schon ein paar Tröpfchen verliert. Als ich dann endlich auf dem Klo saß, bekam ich einen Riesenschreck – ich dachte, da liegt eine Schnecke in meiner Unterhose. Es war so eklig, ich dachte wirklich, mir wäre irgendwie eine Babyschnecke oder ein Wurm in den Slip gekrabbelt. Alles war schwarz, schleimig und nass. Ich bin fast vom Klo gefallen vor Schreck.