Wunder der Sonne - Jan Gardemann - E-Book

Wunder der Sonne E-Book

Jan Gardemann

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Beschreibung

Dieses e-Book beinhaltet eine Auswahl von Sience-Fiction-Storys, die im Zeitraum von 2004 bis 2008 in verschiedenen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht wurden. Nähere Angaben dazu befinden sich jeweils am Ende einer Kurzgeschichte. Autor der Storys ist Jan Gardemann. INHALT Ein Abschiedsgeschenkt von der Erde Case Modding Wunder der Sonne Geschichtsstunde für Marsianer Ein ganz normaler Tag auf dem Nuklearschiff Otto Hahn

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I M P R E S S U M

 

Wunder der Sonne / Fünf Sience Fiction Storys

von Jan Gardemann (Autor)

 

© 2017 Jan Gardemann

Alle Rechte vorbehalten

 

Herstellung: Federheld.com

Inhaber: Jan Gardemann

Gänsekamp 7

29556 Suderburg

 

Titelgestaltung: Stefan Guhr

Titelbild: JaGa

 

Weitere Informationen:

www.federheld.com

www.jangardemann.blogspot.de

 

 

Vervielfältigung und Nachdruck des Textes und des Covers (auch auszugsweise) nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors gestattet.

 

Dieses e-Book beinhaltet eine Auswahl von Sience-Fiction-Storys, die im Zeitraum von 2004 bis 2008 in verschiedenen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht wurden. Nähere Angaben dazu befinden sich jeweils am Ende einer Kurzgeschichte. Autor der Storys ist Jan Gardemann.

 

Inhalt
EIN ABSCHIEDSGESCHENK VON DER ERDE
CASE MODDING
WUNDER DER SONNE
GESCHICHTSSTUNDE FÜR MARSIANER
EIN GANZ NORMALER TAG AUF DEM NUKLEARSCHIFF OTTO HAHN

EIN ABSCHIEDSGESCHENK VON DER ERDE

Ich möchte Leuchtturm sein

In Nacht und Wind – für Dorsch und Stint,

Für jedes Boot – und bin doch selbst

Ein Schiff in Not

(Wolfgang Borchert)

Mit einer Mischung aus Sorge und Verärgerung starrte Per Beekam auf seine Frau hinab. Mildred lag auf dem Boden im oberen Stockwerk des zweigeschossigen Zeltes, das sie zusammen bewohnten. Sie hatte die Beine angezogen, die Arme dazwischen geklemmt und zitterte.

»Was ist los, verdammt?« Per berührte Mildreds Schulter. »Soll ich Dr. Rynhard verständigen – sag doch endlich etwas?«

Mildred schüttelte seine Hand ab und igelte sich noch enger zusammen.

Das würfelförmige Gebilde aus Holzstangen, Tuch und Vlies schwankte seicht - eine Bewegung, an die Per sich bislang noch nicht hatte gewöhnen können. Die Zeltwände um ihn herum glühten im letzten Glanz der Abenddämmerung; sie flappten und knatterten im Wind.

Mildreds Overall war unter den Armen und über der Brust schweißdurchtränkt. Auch ihr Haar war klatschnass. Es schimmerte rostrot, klebte aber in fingerdicken Strähnen an ihrem Kopf und bedeckte halb ihr Gesicht.

Dabei war zwischen ihnen nichts vorgefallen ...

Per grinste säuerlich bei diesem Gedanken. Als die Rechner von Kolwide, der Kolonieentwicklungsbehörde, bestimmt hatten, er und Mildred sollten auf der neu entdeckten Welt ein Fortpflanzungspaar bilden, hatten sie offenbar nur die Kompatibilität der Gene berücksichtigt, nicht aber, ob die Chemie zwischen ihnen stimmte. Seit sie vor vier Monaten zusammen mit 220 weiteren Kolonisten nackt und mittellos auf dem Planeten abgesetzt worden waren, hatten sie nur eine verzweifelte Vereinigung zuwege gebracht, an die Per höchst ungern zurückdachte und die nicht einmal zu einer Empfängnis geführt hatte. Seitdem herrschte Funkstille. Zumindest, was die körperliche Ebene anbetraf. Dafür stritten sie häufig.

»Mildred, nun sei doch nicht albern. Sag doch was«, drängte Per und legte seine Hand diesmal auf Mildreds Hüfte. Ihr Körper fühlte sich sehr warm an. »Du hast Fieber. Ich werde jetzt losgehen und Dr. Rynhard holen.« Er richtete sich in dem schwankenden Zelt auf, blieb breitbeinig stehen und sah auf seine Frau hinab. Er bedauerte, dass er auf dem Flug von der Erde zu ihrem zukünftigen Heimatplaneten keine Gelegenheit gehabt hatte, Mildred näher kennen zu lernen. Die Kolis, wie die Kolonisten in der schnellen Umgangssprache Quilge hießen, hatten den zwei Jahrzehnte währenden Flug an Bord der Native Soil zusammen mit der Crew im Kälteschlaf verbringen müssen.

Auch während der Vorbereitungszeit im algerischen Zentrum von Kolwide war Per seiner künftigen Frau nur ein paar Mal über den Weg gelaufen. Die Seminare, Vorlesungen und praktischen Exkursionen, an denen die Aspiranten hatten teilnehmen müssen, waren brechend voll gewesen. Sie alle waren von Kolwide in den Hochschulmetropolen rekrutiert worden. Jeder hatte den anderen übervorteilen, übertrumpfen, austricksen und die Jury überzeugen wollen, dass er oder sie allein es verdiente, zu dem neuen Planeten geschickt zu werden. Keiner war älter als fünfundzwanzig, keiner hatte Kinder, jeder war körperlich und geistig gesund. Nun galt es, in einem Crashsemester zu beweisen, dass man für die Besiedlung eines Planeten geeignet war. Für persönliche Kontakte war kaum Zeit geblieben. Nur für Blicke vielleicht - und ein paar belanglose Worte.

Die Blicke, mit denen Mildred Per bedacht hatte, hatten ihn an eine Wissenschaftlerin erinnert, die dem neuen Forschungsobjekt schon mal einen skeptischen Blick zuwirft, während sie an der Lösung eines Problems arbeitet. Und wie ein Forschungsobjekt war er sich in den letzten Monaten auf Heath tatsächlich vorgekommen. Mildred behandelte ihn wie ein Versuchstier, das man nicht zu nahe an sich heranlassen durfte.

Per überlegte, ob sie wirklich krank oder vielleicht nur unglücklich war. Auch er fühlte sich in seiner Haut nicht sonderlich wohl, denn die Noi, wie der einzige Raumkreuzer der Menschheit auf Quilge genannt wurde, hatte nach einer vier Monate langen Erkundung des Planeten am Nachmittag den Rückflug zur Erde angetreten. Die Kolonisten waren nun auf sich allein gestellt. Wenn in Zukunft Krankheiten oder psychische Störungen auftraten, waren sie auf das Können Dr. Rynhards angewiesen.

Per mochte den Mann nicht besonders. Trotzdem wollte er aufbrechen und Rynhard von Mildreds Zustand berichten, denn er war mit seinem Latein am Ende.

Per wandte sich ab und stakste auf die Bodenöffnung zu, wo eine Strickleiter ins Erdgeschoss hinab führte. Der Untergrund gab weich unter seinen Füßen nach und die Wände bogen sich im Rhythmus seiner Schritte leicht nach innen. Nachdem er die Strickleiter hinabgeklettert war, blieb er stehen und blickte unschlüssig nach oben. Dort, wo Mildred lag, wies die Decke eine Ausbuchtung auf. Der gekrümmte Leib seiner jungen Frau zeichnete sich schemenhaft dahinter ab. Dunkle Flecken verrieten, dass ihr Schweiß das filzige Geflecht des Bodenvlieses durchdrungen hatte.

Die Stoffmatten und Bahnen der Kolonisten-Zeltwürfel bestanden aus dem Samenhaar des Heidekrauts, das fast die Gesamtfläche der Kontinente der gemäßigten Klimazonen des Planeten bedeckte und ihm den Namen Heath eingetragen hatte. Die Samenhaare hatten die Festigkeit von Seide und verfilzten, wenn man sie aneinander rieb, zu festen Matten oder Stoffen. Der Filz war wasserabweisend und konnte bis zu einem bestimmten Grad auch Wärme speichern.

Per traute dem Material trotzdem nicht ganz. Er wusste, dass Mark Henderson, ihr Biologe, eigentlich nach Zutaten für die Herstellung von Alkohol gesucht hatte, als er auf die Heidesamen aufmerksam wurde. Nur zufällig war er auf einen Rohstoff gestoßen, mit dem sich sowohl Kleidung als auch Unterkünfte herstellen ließen. Zu Ehren ihres Entdeckers nannten die Kolis das Produkt Hendersonwolle. Per fand allerdings, dass ihre Eigenschaften noch nicht gründlich genug erforscht waren. Doch anstatt das Samenhaar näher zu untersuchen, waren die Kolis froh, nicht mehr nackt herumlaufen zu müssen und ein Dach über dem Kopf zu haben.

Auf Quilge würde die Hendersonwolle wahrscheinlich bloß Henwo heißen, dachte er und drehte sich zu dem Zelteingang um, einer losen von einem Gestell herabhängenden Plane. Die Kolonieentwicklungsbehörde hatte ihnen verboten, die Schnellsprache der Erde zu gebrauchen. Quilge war in den Großflächenslums entstanden und hatte die Sprachen der Nationen inzwischen nahezu verdrängt. Fehlerfrei wurden sie nur noch in Diplomatenkreisen und bei offiziellen Anlässen gesprochen. Per, kein Freund großer Worte und langer Reden, hegte allerdings eine gewisse Sympathie für das Sprachkonglomerat.

»Quick Language ist ein Kommunikationsvirus – er darf auf der neuen Welt keinen Einzug halten«, war ihnen während der Lehrgänge eingebläut worden. Ein Kriterium bei der Auswahl der Kolonisten war daher gewesen, dass sie drei Sprachen perfekt beherrschten. Ebenso mussten sie ohne Technik auskommen können, denn auch darauf sollten die Kolis in ihrer neuen Heimat verzichten. »Ein Kolonist muss fähig sein, ohne terranische Hilfsmittel eine Kultur auf einem Siedlerplaneten zu entwickeln - mit den Mitteln und unter den Verhältnissen, die er in seiner neuen Heimat vorfindet«, lautete die Devise.

Per schlüpfte ins Freie. Eine Bö, lauwarm und nach Heidekraut duftend, schlug ihm entgegen. Sie zauste sein struppiges schwarzes Haar und fuhr unter seine Jacke aus Hendersonwolle. Neben der Feuerstelle, mehrere Meter vom Zeltwürfel entfernt, raschelte es im Kraut. Da es schon zu dunkel und das Feuer erloschen war, konnte er nicht zu erkennen, ob das Geräusch vom Wind oder von einem der Kriechtiere herrührte, die Heath bevölkerten.

Aufmerksam schaute er sich um und spähte über die dämmerige Heidelandschaft hinweg, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte. Hier und da wurde sie von seichten Hügelketten, Talsenken und Flussläufen durchbrochen, in denen sich funkelnd die Sterne spiegelten.

In der Nähe erhob sich die windbewegte Silhouette eines Weidenwaldes. Sie hatten ihn so genannt, obwohl die meterhohen Gewächse mit ihren schlanken biegsamen Stämmen und den brettharten messerscharfen Blättern kaum an terranische Weiden erinnerten. Wurde der Wind heftiger und versetzte die schweren dunklen Blätter in Bewegung, schlugen sie wie Holzschwerter aneinander. Der Wald war dann erfüllt von Klappern, Scharren und Rasseln, als fände in ihm ein Gefecht statt - oder als hingen statt Blättern Kastagnetten an den Bäumen. In solchen Momenten war es lebensgefährlich, sich in dem Wald aufzuhalten, denn die im Wind wirbelnden Blätter konnten einem das Fleisch von den Knochen reißen. Die Stämme der Bäume, die so dick wie ein Oberschenkel werden konnten, gaben das Gestänge für ihre Zelte ab. Bruce, ein Agrarler aus Pers Expeditionsgruppe, hatte ihm vor kurzem vorgeschwärmt, wie viel Genuss es bereitete, in der Behausung aus Hendersonwolle und Weidenstämmen den Fortpflanzungsakt zu vollziehen ...

Per wischte den Gedanken ärgerlich beiseite und warf seinem Zeltwürfel einen verdrießlichen Blick zu. »Damt!«, fluchte er auf Quilge und marschierte los.

Die Crew der Noi hatte alle zur Erkundung des Planeten eingesetzten Geräte wieder mit an Bord genommen, bevor sie zur Erde aufgebrochen war. Statt mit einem Gleiter zu Dr. Rynhard zu düsen, musste Per die Strecke zum Zentrum des Stützpunktes zu Fuß zurücklegen: Eine mühsame Angelegenheit, da die Schwerkraft auf Heath um ein Fünftel höher war als die der Erde. Nur einen Leuchtturm hatte die Crew auf Heath zurückgelassen. Er war blauweiß gestreift und stand auf dem Hügel in der Mitte ihres Zeltdorfes.

„Der Leuchtturm soll euch Kolis an die alte Heimat erinnern, und seine Funkimpulsgeber den Raumkreuzern, die Heath in ferner Zukunft besuchen werden, als Navigationshilfe dienen“, hatte Frau Kapitän Nemesi während einer feierlichen Ansprache erklärt. „Außerdem wird sein Licht in der Nacht bis weit über den Stützpunkt hinaus zu sehen sein und euch in der Dunkelheit Trost spenden.“

Seitdem wischte das Leitfeuer des Leuchtturms Nacht für Nacht über den Himmel des Stützpunkts hinweg, wie ein Fanal, das von der Anwesenheit der Menschen auf diesem Planeten kündete ...

Plötzlich blieb Per stehen. Ihm war bewusst geworden, dass etwas nicht so war, wie es hätte sein sollen! Der Himmel war sternenübersät, Wolken zogen über das Firmament – aber es fehlte das Leitfeuer des Leuchtturms!

Angestrengt spähte er zum Turm hinüber. Wie ein schwarzer Monolith ragte dieser in etwa dreihundert Metern Entfernung zwischen den Forschungszelten empor. Hinter der Glaskuppel über dem Ringwulst mit dem Wohnbereich des Leuchtturmwärters, der Aussichtsplattform und dem Maschinenraum, war es stockdunkel.

»D’ Letu«, keuchte Per. »Wio brennt e nit?«

Vor Schreck hatte er Quilge gesprochen. Per spürte, wie ihm eine Gänsehaut über den Rücken kroch. „Was ist da los?“ Er fing an zu rennen. Ein Kriecher schaffte es gerade noch, sich in den Schutz eines Heidegewächses zu schlängeln und Pers Schnürschuhen zu entkommen, die aus der Haut eines Artgenossen gefertigt waren.

*

Per war völlig außer Atem, als er den Leuchtturm erreichte. Die Hände auf den Knien, den Kopf im Nacken, stierte er zum Turm hinauf. Soweit er es beurteilen konnte, drehte sich die Laterne unter der Glaskuppel nicht. Der Leuchtturm war tot!

Die anderen müssten es doch auch bemerkt haben, dachte er beklommen und blickte sich um. Hier und da hoben sich die kantigen Umrisse von Zeltwürfeln aus dem dunklen Feld der Heide. Sie waren in einer Distanz von etwa einem halben Kilometer um den Leuchtturm gruppiert und lagen - nach den Vorgaben der Rechner - so weit voneinander entfernt, dass weder die Privatsphäre, noch die Fortpflanzungsmotivation der darin wohnenden Paare beeinträchtigt wurde. Der Wind trug Stimmen zu Per herüber; sie klangen aufgebracht und verängstigt. In Kürze würde es bei dem Leuchtturm vor besorgten Kolis wahrscheinlich nur so wimmeln!

Per drehte sich zu den Forschungszelten um. Die Zeltbahnen knatterten im Wind; ungesicherte Planen flappten auf und nieder. Das Lager machte einen verlassenen Eindruck, denn nachts hielt sich außer Dr. Rynhard und seiner Frau niemand hier auf.

»Rynhard!«, brüllte Per. »Kommen Sie raus – ein Notfall!«

Ein hoch gewachsener Mann trat aus einem Zelt hervor. Er trug einen langen weißen Kittel. Dr. Rynhard hatte das Samenhaar mehrmals gewaschen und anschließend tagelang in der Sonne gebleicht. Dann erst hatte er sie zu dem Stoff verarbeiten lassen, aus dem später der Kittel gefertigt wurde.