You & Me - Rebecca Freeborn - E-Book

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Rebecca Freeborn

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Beschreibung

Manchmal muss man erst um die ganze Welt reisen, um sein Glück zu finden

Sarah Burrowes, die mit gebrochenem Herzen und einer hohen Hypothek von der Liebe ihres Lebens sitzen gelassen wurde, arbeitet für eine Klatschzeitschrift und wird ständig von ihrem Kollegen Nick angeflirtet, dessen Charme lediglich von seinem Ego übertroffen wird. Und rein zufällig ist er auch noch der beste Kumpel ihres Ex. Nach der Begegnung mit einem faszinierenden Unbekannten, beschließt Sarah, ihre Karriere selbst in die Hand zu nehmen und sorgt dafür, dass ihre Chefin ihr eine wichtige Aufgabe übergibt: sie soll den Unbekannten finden, einen berühmten Rockstar, der sich nach Europa abgesetzt hat. Doch ausgerechnet Nick wird ihr als Fotograf zur Seite gestellt und als ihr Exfreund auftaucht und sie den Rockstar findet, wird die Sache erst richtig spannend ...

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Zum Buch

Sarah Burrowes, die mit gebrochenem Herzen und einer hohen Hypothek von der Liebe ihres Lebens sitzen gelassen wurde, arbeitet für eine Klatschzeitschrift und wird ständig von ihrem Kollegen Nick angeflirtet, dessen Charme lediglich von seinem Ego übertroffen wird. Und rein zufällig ist er auch noch der beste Kumpel ihres Ex. Nach der Begegnung mit einem faszinierenden Unbekannten, beschließt Sarah, ihre Karriere selbst in die Hand zu nehmen, und sorgt dafür, dass ihre Chefin ihr eine wichtige Aufgabe übergibt: Sie soll den Unbekannten finden, einen berühmten Rockstar, der sich nach Europa abgesetzt hat. Doch ausgerechnet Nick wird ihr als Fotograf zur Seite gestellt, und als ihr Exfreund auftaucht und sie den Rockstar findet, wird die Sache erst richtig spannend …

Zur Autorin

Rebecca Freeborn schreibt leidenschaftlich, seit sie alt genug ist, einen Stift zu halten. Mittlerweile tut sie es sowohl beruflich in ihrem Job in der Medienkommunikation als auch zu ihrem privaten Vergnügen. Mehrere ihrer Kurzgeschichten wurden bereits veröffentlicht, außerdem sind etliche neue Buchideen in Arbeit. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann, ihren drei Kindern und drei Haustieren in Adelaide.

Rebecca Freeborn

You & Me

Aus dem Englischen vonEvelin Sudakowa-Blasberg

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Hot Pursuit bei Pantera Press.Taschenbucherstausgabe 01/2019Copyright © 2018 by Rebecca FreebornCopyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenPrinted in GermanyRedaktion: Birgit GrollUmschlaggestaltung: Zero Werbeagentur GmbH, FinePic®, MünchenSatz: Fotosatz Amann, MemmingenISBN 978-3-641-22852-1V001www.heyne.de

Für George, der eine freche, clevere Protagonistin genauso mag wie ich.

Die Luft vibrierte vom Wummern des Technosounds. Ich starrte in die Tiefen meines Gin-Tonic und suchte die Antwort auf die quälende Frage: Wie konnte eine kluge, in einer festen Beziehung lebende Frau auf einmal allein, verzweifelt und beschickert in einer hippen Bar in South Berra landen? Die Eiswürfel glitzerten nur gleichgültig in dem schummrigen Licht. Die Zitronenscheibe, zerfleischt vom brutalen Stechen meines Strohhalms, schwebte auf der Oberfläche.

»Du bist auch keine Hilfe«, murmelte ich in mein Glas.

»Scheint ein interessanter Drink zu sein, den du da hast.« Die Stimme mit dem melodischen schottischen Akzent riss mich unerwünscht aus meinem wohligen Selbstmitleid. Schwungvoll warf ich mir das Haar über die Schulter und sah den Typen am anderen Ende des Sofas scharf an, entschlossen, ihn mit einer gezielten Abfuhr zum Schweigen zu bringen.

Doch sein Gesicht war offen und freundlich, und der coole Spruch, den ich mir zurechtgelegt hatte, erstarb mir auf den Lippen. »Mir geht’s heute Abend nicht besonders.«

Er schlurfte an dem Sofa entlang auf mich zu. »Warum gehst du aus, wenn es dir nicht gut geht?«

Überrascht sah ich ihn an. Es war mindestens zwei Jahre her, seit ein Typ versucht hatte, mich anzubaggern. Nicht mehr seit … okay, dieses Thema wollte ich lieber nicht vertiefen. Damals war ich Single gewesen und eine ziemlich heiße Braut, bis ich mich dann in James verliebte und mich fröhlich gehen ließ. Der jüngste Liebeskummer hatte zwar die wenigen extra Kilos weggeschwemmt, aber ich war noch nicht wieder in alter Form, trotz des ausgeschnittenen Oberteils und des Push-up-BHs, den ich auf Drängen meiner besten Freundin Lana angezogen hatte.

Ich war zwar nicht auf der Suche nach einem Lückenbüßer, aber die Aufmerksamkeit eines süßen Schotten könnte in meiner gegenwärtigen Situation dennoch eine nette Ablenkung sein. Schließlich hatte James vor drei Monaten mit mir Schluss gemacht. Ich musste ihm nicht treu sein. Und war es nicht ein notwendiger Teil des Heilungsprozesses, sich einen Fremden in einer Bar aufzureißen?

»Meine Freundinnen haben mich hierhergeschleppt, um mich aufzuheitern«, sagte ich.

»Und? Klappt das?«

»Die anderen haben eine Menge Spaß.« Ich deutete auf meine drei Freundinnen, die sich auf der Tanzfläche austobten. Wir sahen zu, wie sie sich im Takt zur Musik schlängelten, die Arme über den Köpfen, sodass die Röcke an ihren Oberschenkeln hochrutschten.

Lana blickte zu mir herüber, musterte meinen Gefährten von Kopf bis Fuß und hob dann überdeutlich beide Daumen hoch. Ich merkte, wie ich knallrot anlief. Verdammt, Lana, da kann ich mir ja gleich ein NOCH ZU HABEN! auf die Stirn tätowieren lassen. Ich warf ihm einen raschen Blick zu, aber er grinste nur und kippte seinen letzten Schluck Bier hinunter. Ein peinliches Schweigen folgte, und als ich gerade dachte, mein Status als verzweifelter Single hätte ihn abgeschreckt, sagte er: »Und warum musst du aufgeheitert werden?«

Erneut wagte ich einen Blick in seine Richtung. Sein Gesicht hatte einen erschöpften, müden Ausdruck, wirkte aber mit den Längsfalten und den dichten Bartstoppeln im bläulichen Licht der Bar außerordentlich anziehend. Sein dunkelblondes Haar war verstrubbelt und stand nach allen Seiten ab, als hätte er lange Zeit mit dem Kopf in den Händen dagesessen, und seine Lederjacke war brüchig und alt. Er entsprach eindeutig nicht dem Stereotyp des metrosexuellen Mannes, der diese Art von Bar in der Regel frequentierte.

»Mein Freund hat mit mir Schluss gemacht«, sagte ich. »Und nicht nur das, er hat mich auch mit der Hypothek auf unser Haus sitzen gelassen und sich aus dem Staub gemacht.«

Er stieß einen Pfiff aus. »Autsch, das ist hart.«

Diese kleine Mitleidsbekundung in Zusammenhang mit dem Alkohol, den ich intus hatte, brachte den letzten Rest meines Widerstands zum Schmelzen. Zumal ich keineswegs immun war gegen einen Mann mit Akzent.

»Wir hatten an allen Ecken und Enden gespart, um uns das Haus überhaupt leisten zu können«, fuhr ich fort, »und jetzt muss ich sehen, wie ich die Hypothekenraten allein aufbringe. Eigentlich dürfte ich gar nicht ausgehen und mein nicht vorhandenes Geld für Drinks ausgeben.«

Ich würde niemals vergessen, wie geschockt ich war, als die Bank mich zwei Wochen nach James’ Verschwinden wegen der fehlenden Ratenzahlung anrief. Ich war sowieso schon panisch, seitdem ich entdeckt hatte, dass James’ Gehalt nicht mehr auf unser gemeinsames Konto einging. Ganz zu schweigen von der Fassungslosigkeit, dass jemand, den ich von ganzem Herzen geliebt hatte, mir so etwas ohne jede Warnung antun konnte.

Mein Gefährte stand auf und nahm mir das Glas aus der Hand. »In diesem Fall hole ich dir lieber einen neuen Drink. Der hier sieht schon etwas abgestanden aus. Gin-Tonic, nicht wahr?«

Ehe ich protestieren konnte, war er schon gegangen, und ich lehnte mich im Sofa zurück und kam mir ziemlich blöd vor. Wie bescheuert, irgendeinem Fremden mein Herz auszuschütten, bevor ich überhaupt seinen Namen kannte. Und jetzt spendierte er mir einen Drink, obwohl er so aussah, als könnte er sich das genauso wenig leisten wie ich.

In der Zwischenzeit hotteten meine Freundinnen weiter ab, ohne den leisesten Dunst von meiner Notlage zu haben. Vor zwei Jahren wäre ich mit ihnen auf der Tanzfläche gewesen und hätte gezeigt, was ich drauf habe, es war also durchaus nachvollziehbar, dass sie annahmen, so ein Abend würde meine Stimmung aufhellen. Aber all das schien so ewig weither zu sein. Nach der demütigenden Erfahrung meines letzten One-Night-Stands war ich nicht mehr scharf auf wechselnde Liebschaften. Kurz danach hatte ich mich in den besten Freund dieses Arschlochs verknallt und gedacht, ich hätte endlich meinen Traummann gefunden. Meine Freundinnen waren nach wie vor glückliche Singles. Es war ihnen egal, dass James mir bei lebendigem Leib das Herz herausgerissen und unter einen Sattelschlepper geworfen hatte.

Sie kannten die Freuden des gemeinsamen Kochens nicht, das Gefühl von Geborgenheit, wenn man in den Armen eines anderen Menschen einschlief, das Glück zu lieben und geliebt zu werden. Und jetzt, als ich allein in der dunklen Bar saß, umgeben von lauter Fremden, sehnte ich mich nach all diesen Klischees, die mein Leben mit James ausgemacht hatten.

Aber ich war ungerecht. Es stimmte nicht, dass es meinen Freundinnen egal war. Sie wussten einfach nicht, wie es sich anfühlte, wenn sich deine große Liebe als Mistkerl entpuppte.

Ein Typ in einem engen weißen T-Shirt und mit unmoderner Beckham-Frisur musterte mich kurz im Vorbeigehen. Ich blickte rasch an mir hinunter und sah, dass mein Oberteil nach unten gerutscht war und ein stolzes Dekolleté enthüllte, das bei mir nur ein Hochleistungs-Push-up-BH zaubern konnte. Ich stöhnte innerlich. Kein Wunder, dass der Schotte mir einen Drink spendierte. Er musste gedacht haben, ich würde mich an ihn ranschmeißen.

»Ihr Drink, Ma’am.«

Ich schenkte ihm ein halbes Lächeln und nahm den Gin Tonic entgegen. Er setzte sich neben mich, etwas näher diesmal, den Oberkörper mir zugewandt und das Knie an meinem Oberschenkel. Eine weise Stimme irgendwo in meinem Hinterkopf mahnte mich, es sei im Moment nicht ratsam, mit irgendeinem Typen etwas anzufangen. Ich sagte der Stimme, sie solle die Klappe halten. Was konnte es schon schaden, ein paar Takte mit ihm zu quatschen. Und er war wirklich scharf.

»Ich heiße Chris«, sagte er.

»Sarah.«

»Ertränken wir allen Kummer«, sagte er, und wir stießen an.

»Und, was machst du so, Sarah?«, fragte er, nachdem wir beide einen Schluck getrunken hatten.

Ich zögerte. Seit Jahren krümmte ich mich innerlich bei dieser banalen Frage, machte irgendwelche flapsigen Bemerkungen und versuchte, mich vor weiteren Nachfragen zu drücken. Aber die Versuchung, für diesen Fremden, den ich wahrscheinlich niemals wiedersehen würde, eine Fantasiegestalt zu erschaffen, war geradezu übermächtig.

»Ich bin Journalistin.«

Das war nicht direkt eine Lüge. Immerhin hatte ich einen Abschluss in Journalismus. Ich arbeitete für eine Frauenzeitschrift und schrieb eine Kolumne. Doch die weniger glamouröse Wahrheit sah so aus, dass ich eine ehemalige Kosmetikerin war und versuchte, als Journalistin Fuß zu fassen. Mit siebzehn Jahren hatte ich in den Schulferien begonnen, im Kosmetiksalon meiner Mum zu arbeiten. Es war ein Job, der mir half, mein Studium zu finanzieren, auch dann noch, nachdem ich von zu Hause ausgezogen war. Es sollte nie eine längerfristige Geschichte werden. Als ich meinen Abschluss machte und nicht den lukrativen Berufsanfängerjob bei einer der großen Zeitungen bekam, wie ich es mir in meiner Naivität vorgestellt hatte, hielt ich trotzdem hartnäckig an meinen hohen Ansprüchen fest. Aber dann wurden aus den Wochen Jahre, und die Stellen, für die ich mich bewarb, wurden nach und nach immer anspruchsloser. Ehe ich mich versah, war ich achtundzwanzig, arbeitete immer noch für meine Mum und war meinem Traum, über Frauenrechte in irgendwelchen exotischen, aufregenden, aber nicht allzu gefährlichen Ländern zu berichten, kein Stückchen näher gekommen. Und das war der Punkt, an dem ich beschlossen hatte, es sei Zeit für eine Veränderung.

Ich bekam den Job bei Women’s Choice dank eines achtzehnseitigen Exposés, das ich damals an der Uni geschrieben hatte. Bisher hatte ich in der Branche jedoch nicht unbedingt für Aufsehen gesorgt. Nach wie vor reichte ich Essays für feministische Online-Publikationen ein, und manchmal wurde einer genommen, aber nicht regelmäßig genug, um zu einem richtigen Job zu werden. Und meine Chefin weigerte sich, mir etwas Anspruchsvolleres als meine wöchentliche Schönheitskolumne zu geben.

Es ist nicht so, dass ich nicht schreiben könnte. Ich wusste nur nichts über Prominente. Obwohl Women’s Choice gelegentlich eine mutige investigative Story brachte, lag der Schwerpunkt auf Promi-Klatsch und Skandalen. Ich wusste nicht, wer angesagt war und wer nicht, hatte keine Ahnung, wer mit wem eine Affäre hatte oder wessen Ehe gerade in die Brüche ging. Um irgendwann mal zur richtigen Journalistin befördert zu werden, wurde von mir erwartet, meinen Anteil an dem Promi-Schwachsinn zu leisten. Doch meine Unwissenheit über die Welt der Schönen und Reichen stellte da ein gewaltiges Hindernis dar.

Toller Karrieresprung, Sarah! Ich war vom Enthaaren irgendwelcher Idioten dazu aufgestiegen, über das Enthaaren für Idioten zu schreiben.

Chris sah mich an, und mir wurde bewusst, dass er mich etwas gefragt hatte.

»Entschuldige, was hast du gesagt?«

»Ich habe nur gefragt, ob du deinen Job magst.«

Ich zuckte mit den Achseln. »Ich kann damit meine Rechnungen bezahlen. Tja, jedenfalls bis vor Kurzem.«

Als James und ich unsere Gehälter zusammenschmissen, war mir das wie ein ungeheuer großer Geldbetrag vorgekommen. James war Erdölingenieur und verdiente mehr als doppelt so viel wie ich. Es hatte sich völlig unwirklich angefühlt, in einen innenstadtnahen Bezirk von Melbourne zu ziehen, weil ich nie gedacht hatte, dass ich mir das jemals leisten könnte; Möbel und Deko-Artikel zu kaufen und helle Drucke an die Wände zu hängen; Hausfrau zu spielen. Ich war bequem geworden … zu bequem. Ich hatte meine Unabhängigkeit für die Liebe geopfert, und jetzt zahlte ich im wahrsten Sinn des Wortes den Preis dafür.

Ich wusste, ich sollte alles verkaufen und neu anfangen, aber dieses Haus bedeutete mir etwas. Es war ein Symbol dafür, dass ich wirklich erwachsen war. Und selbst wenn ich es verkaufen wollte, brauchte ich dafür James’ Zustimmung; aber James reagierte ja nicht einmal auf meine Anrufe. Hastig nahm ich einen Schluck von meinem Drink und dann sicherheitshalber gleich noch einen.

»Was ist mit dir?«, fragte ich Chris. »Was machst du beruflich?«

»Ich bin Musiker.«

»Aha, dann bist du wahrscheinlich auch dauerpleite, was?« Okay, das erklärte die abgewetzte Lederjacke.

Er lachte. »Ich komm schon klar.«

»Lebst du hier in Melbourne?«

Er zögerte kurz. »Nein, ich bin nur zu Besuch hier.«

Ich wartete, doch er führte das nicht näher aus. »Welches Instrument spielst du?«

»Leadgitarre und Gesang«, sagte er knapp, beinahe schon schroff, als wäre er genervt von meiner Neugierde. Vielleicht hatte ich die Signale doch falsch verstanden.

»Wie kann man gleichzeitig ein Instrument spielen und singen«, plapperte ich drauflos, in dem Versuch, gute Stimmung zu machen. »Ist das nicht ein wenig so, wie wenn man sich auf den Kopf klopft und gleichzeitig über den Bauch reibt?«

Als er lachte, schimmerten seine Zähne weiß in seinem Gesicht. »Ja, könnte man so sagen.«

»Du spielst also in einer Band?«

Sein Lächeln erlosch, sein Kiefer spannte sich an. »Mm.«

Schon wieder machte er dicht. Ich dachte, alle Musiker seien Egomanen, aber dieses Exemplar hier war offensichtlich eine Ausnahme. Was cool war, nur war ich im Small Talk eine absolute Niete, und mir gingen schnell die Themen aus.

»Ist die Band auch hier?«, hakte ich nach. »Gebt ihr gerade Konzerte?«

Er starrte ins Leere. »Haben wir schon alle hinter uns.«

Es war unübersehbar, dass er von meinen Fragen langsam die Nase voll hatte. Am anderen Ende des Raums stand eine Gruppe Mädchen, die Chris anstarrten und mir giftige Blicke zuwarfen. Eine Bar voller Chicks, die scharf auf ihn waren, und er hatte eine jammernde, verlassene Frau am Hals, die ihn penetrant über seine Musikerkarriere ausfragte.

»Entschuldige«, sagte ich. »Ich wollte nicht aufdringlich sein. Am besten verschwinde ich jetzt mal aufs Klo, bevor ich noch mehr Blödsinn verzapfe …«

Ich sprang auf, vergaß aber das leere Glas auf meinem Schoß, das auf Chris landete und Eiswürfel über seine Beine verstreute. Rasch kniete ich mich hin, um einen Eiswürfel zu erwischen, aber er rutschte mir aus meinen ungeschickten Fingern. Beharrlich verfolgte ich den abtrünnigen Eiswürfel an Chris’ Bein entlang, bis ich plötzlich merkte, dass ich drauf und dran war, seine Eier zu begrapschen. Erschrocken zog ich die Hand weg, mein Gesicht brannte vor Verlegenheit.

»Oh, Gott, entschuldige bitte! Ich bin so eine Idiotin!«

Gut gemacht, Sarah. Richtig gut.

Er blickte zu mir herunter und lächelte tapfer, um seine eigene Verlegenheit zu überspielen.

»Setz dich wieder hin, Sarah.« Ich tat, wie mir geheißen wurde, während er die Eiswürfel von seinem Schoß auf den Boden fegte. »Du brauchst nirgendwohin zu gehen. Es sei denn, du musst tatsächlich aufs Klo, und in diesem Fall solltest du wahrscheinlich wirklich gehen.«

Wir begannen beide zu lachen.

Ich fingerte an meinem leeren Glas herum. Das Letzte, was ich brauchte, war noch mehr Alkohol. Obwohl ich jederzeit einen erwachsenen Mann unter den Tisch trinken konnte, hatte ich mein Limit in etwa erreicht. Andererseits war ich kurz davor, etwas zu tun, das ich morgen womöglich bereuen würde, und konnte deshalb tatsächlich noch einen Drink brauchen.

»Was wird jetzt mit dir und deinem Ex?«, fragte Chris. »Glaubst du, ihr kommt wieder zusammen?«

Bei der Anspielung auf James bekam ich ein Ziehen im Magen. Ich presste ein raues Lachen hervor. »Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Ich weiß ja nicht einmal, warum er Schluss gemacht hat. Er ist einfach … einfach abgehauen.« Zu meinem Entsetzen stiegen mir Tränen in die Augen. Ich stand wieder auf. »Jetzt gebe ich einen aus.«

Als ich an der Bar wartete, starrte ich an die Decke hinauf, damit die Tränen mir nicht über die Wangen liefen. Jedes Mal, wenn ich dachte, ich hätte die Trennung überwunden, und jemand dieses Thema anschlug, brach alles wieder über mich herein. James’ ausdrucksloses Gesicht, in dem ich sonst nur Zärtlichkeit gesehen hatte. Sein sachlicher Ton, als er mir sagte, er müsse die Beziehung beenden. Sein angespannter Körper, als ich versuchte, ihn zu mir umzudrehen, und ihn anflehte, mir zu sagen, was ich falsch gemacht hätte, was ich tun könnte, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Sein steifer Rücken, als er wegging, über jeder Schulter eine Tasche, vollgepackt mit seiner Kleidung und anderen Dingen, die ihm gehörten.

Mein Bargeld war aufgebraucht, und ich würde an der Bar meine fast bis zum Limit ausgereizte Kreditkarte vorlegen müssen; und alles nur deshalb, weil ich nicht wollte, dass ein Fremder mich weinen sah. Als die Barfrau meine Karte in ein leeres Glas warf, das auf dem Regal zwischen Wodka- und Ginflaschen stand, hatte ich das Gefühl, auch noch den letzten Rest an Würde zu verlieren.

Ich hätte den Abend vielleicht beenden sollen, aber es gab nichts, was mich nach Hause zog. Und niemanden. Mein Leben als klammer Single war etwas völlig anderes als das sorglose Studentenleben, an das ich mich erinnerte. Jetzt war ich dreißig Jahre alt, und da sollte ich mein Leben weiß Gott geregelt kriegen.

Als ich mit den beiden Drinks zu Chris hinüberging, entdeckte ich eine Frau, die mit ihm redete und sich dabei nach vorne beugte, um ihm einen erstklassigen Blick in ihren Ausschnitt zu gewähren. Ich blieb stehen und beobachtete, wie sie sich an ihn ranmachte. Chris erwiderte ihr Lächeln, hatte jedoch wieder diesen distanzierten Ausdruck im Gesicht, den ich vorhin an ihm bemerkt hatte. Zu angestrengtes Anbaggern kommt nie gut an, Schätzchen, dachte ich mit grimmiger Zufriedenheit.

Sie trat ein paar Schritte zurück, drehte sich um und ging zu ihren Freundinnen zurück. Sie umringten sie, als sie einen Zettel hervorzog, und begannen aufgeregt zu kichern. Ich runzelte die Stirn. Hatte er ihr gerade seine Telefonnummer gegeben? Ich war vielleicht nicht mit der Absicht ausgegangen, mir einen Kerl aufzugabeln, aber es war schon ein starkes Stück, dass er mit einer anderen Frau ein Date verabredete, während ich an der Bar stand und ihm einen Drink kaufte. Und wie charmant old-school-mäßig, die Nummer auf ein Stück Papier zu schreiben, anstatt sie direkt in ihr Handy einzugeben, wie es heutzutage jeder zu machen schien.

Mit einem entspannten Grinsen blickte Chris zu mir auf. Sein Blick verweilte einen Tick zu lange auf meinen Brüsten, und meine Stimmung hob sich wieder ein wenig. Offenbar hatte ich meinen Charme noch nicht gänzlich eingebüßt, wenn dieser Mann, der von den Frauen derart angeschmachtet wurde, an mir interessiert war. Vielleicht tat ich ihm aber auch nur leid.

Egal. Ob Verlangen oder Mitleid, es war auf jeden Fall besser, als hier allein herumzusitzen.

»Du kommst aus Schottland, richtig?«, fragte ich, während ich wieder auf dem Sofa Platz nahm.

»Aus Edinburgh. Schon mal dort gewesen?«

»Ich bin noch nirgendwo gewesen«, sagte ich. »Okay, letztes Jahr war ich mit James in Neuseeland, aber ich finde nicht, dass das richtig zählt.«

»Du musst nach Europa fahren.« Chris’ Miene war ernst. »Es ist total faszinierend – die Kultur, das Essen, die Menschen. Ich reise so oft ich kann dorthin, vor allem nach Rom. Das ist meine Lieblingsstadt. Ich habe einen Freund in Testaccio, bei dem ich wohnen kann.«

»Testaccio?« Meine Lippen und Zunge stolperten über die unvertrauten Silben.

»Das ist ein Arbeiterviertel in der Nähe des Tiber. Das Essen ist fantastisch, ganz anders als alles, was du bisher gegessen hast. Und das Beste ist, man ist dort total anonym. Es gibt nicht viele Touristen, man kann dort leben wie ein echter Römer.«

Seine Augen funkelten vor Begeisterung, und mich überfiel ein Anflug von Neid. Ich konnte von Glück reden, wenn ich einmal im Jahr ein Wochenende in Sydney verbrachte.

»Und wie genau lebt ein echter Römer?«

Er lächelte. »Er trinkt seinen Espresso in kleinen versteckten Cafés und zelebriert lange, lustvolle Mittagessen mit so vielen Flaschen Wein, wie es Gänge gibt. Einkaufen geht er mit den Einheimischen auf dem Mercato di Testaccio. Rom hat jedenfalls etwas an sich, das mich immer wieder anzieht.«

»Hoffentlich schaffe ich es auch irgendwann dorthin. Vielleicht, wenn ich diese Hypothek abgestottert habe. Also in zig Millionen Jahren. Oh, Gott«, stöhnte ich und vergrub den Kopf in den Händen. »Das klingt so unfassbar deprimierend.«

Chris tätschelte mir das Bein. »Trink noch etwas. Das beste Mittel, um die reale Welt zu vergessen.«

Ich blickte ihn durch den Vorhang meiner Haare hindurch an. »Das Problem mit der realen Welt ist, dass sie immer noch da ist, wenn der Kater nachlässt.«

»Wenn das so ist, warum kommst du dann nicht einfach mit in mein Hotel? Vielleicht fallen uns ja noch andere Möglichkeiten ein, um die harte Realität außen vor zu lassen?«

Mir fehlten die Worte. Nach eineinhalb Jahren in einer, wie ich geglaubt hatte, stabilen Beziehung, war ich es nicht gewöhnt, dass alles so schnell ging. Wir hatten einander kaum berührt (mal abgesehen von meinem versehentlichen Eier-Betatschen), und trotzdem machte er mir bereits ein eindeutiges Angebot. Ich wollte ihm schon höflich eine Abfuhr erteilen, als plötzlich das Bild meines großen leeren Hauses vor mir auftauchte, und ehe ich einen klaren Gedanken fassen konnte, ertappte ich mich auch schon dabei, wie ich ihm aus der Bar folgte, ohne mich von meinen Freundinnen verabschiedet zu haben.

Auf dem Weg zu seinem Hotel redeten wir nicht viel. Mein vom Alkohol umnebeltes Hirn versuchte vergeblich, sich einen Reim aus meinem Verhalten zu machen. Ich war niemandem verpflichtet, nur mir selbst. Und was ich im Moment brauchte, war ein wenig Spaß.

Ich war überrascht, als er mich in die prächtige Lobby eines Luxushotels führte. »Fünf Sterne? Nett.«

Er schenkte mir ein Lächeln, als wir in den Lift stiegen, sagte jedoch nichts. Sein Zimmer befand sich im obersten Stock, es hatte einen Balkon und einen Blick auf das Lichtermeer von Melbourne. Es war unmöglich, das riesige King-size-Bett zu übersehen, das fast den gesamten Raum einnahm und unmissverständlich daran erinnerte, weshalb wir hier waren.

Um meine Nervosität zu überspielen, plapperte ich einfach drauflos. »Wie kann sich ein armer Musiker ein Zimmer im Lyall erlauben?«

Chris stellte sich vor mich hin und legte die Hände um meine Taille. »Willst du darüber jetzt wirklich reden?« Er beugte den Kopf, um mich zu küssen.

Okay, dann also kein Small Talk.

Er war ein guter Küsser – nicht überirdisch gut, aber es war schön, mal wieder von einem Mann umarmt zu werden. Ich schmiegte mich an ihn, während seine Hände unter mein T-Shirt glitten und meinen Rücken streichelten. Mit einem Summen kündigte sein Handy einen eingehenden Anruf an. Er zog es aus der Hosentasche, drückte den Anrufer weg, ohne einen Blick auf das Display zu werfen, und warf das Handy dann auf den Sessel neben dem Fernseher.

»Wer immer es ist, er kann warten«, sagte er grinsend.

Er zog mir das T-Shirt über den Kopf und schmiss es auf das Handy, ehe er den Mund wieder auf meine Lippen senkte. Ich schob ihm die abgewetzte Lederjacke von den Schultern, und wir lösten uns einen Moment voneinander, damit er ebenfalls sein T-Shirt ausziehen konnte. Da er sehr groß war, war das Küssen schwierig, weil er sich zu mir herunterbeugen und ich auf Zehenspitzen stehen musste, also lenkte er mich zum Bett, und wir fielen förmlich hinein.

Ich befühlte einen großen purpurfarbenen Fleck auf seiner Haut unterhalb seines Brustkorbs. »Was ist das?«

»Ein Muttermal«, sagte Chris. »Ich hasse es. Ich würde es gern weglasern lassen, aber es ist zu groß. Du hast wunderschöne Augen.«

Er schob meine Hand von dem Muttermal und weiter auf seine Brust, dann beugte er den Kopf, um meine Brüste zu küssen, während er eine Hand in meinen BH schob. Ich dankte Lana im Stillen dafür, dass sie auf den Push-up bestanden hatte. Mit beiden Händen erkundete ich seine muskulösen Schultern. Er hatte einen guten Körper, auch wenn er seine Brust offensichtlich enthaarte.

Und dann, als ich mich ganz dem Gefühl hingab, das seine Hände und Lippen in mir auslösten, beging ich den Fehler, die Augen zu schließen. Sogleich erstand vor meinem inneren Auge James. James mit seiner überwältigenden physischen Präsenz, den sandblonden Haaren und klaren blauen Augen. Der süße, zärtliche James, der immer ein so aufmerksamer Liebhaber gewesen war und immer darauf geachtet hatte, dass ich jede Liebkosung, jeden Kuss genoss.

Abrupt riss ich mich von Chris los und setzte mich auf. Tränen brannten in meinen Augen.

»Tut mir leid«, sagte ich. »Tut mir leid, aber ich kann nicht.«

Er stützte sich auf dem Ellbogen auf. »Bist du okay?«

»Ja, alles gut. Ich habe nur gerade von der Realität eins aufs Auge bekommen.«

»Aha. Dein Ex?«

»Mm.«

»Verdammt.« Er schenkte mir ein schiefes Grinsen. »Zu schade.«

»Tut mir leid«, wiederholte ich.

»Sarah, das war ein Scherz. Es ist okay. Ob du es glaubst oder nicht, aber ich mache so etwas normalerweise nicht.«

Auf dem Sessel neben dem Fernseher begann es zu summen. Wir blickten beide zu seinem Handy, aber er machte keine Anstalten, dranzugehen.

Er wandte sich wieder mir zu. »Du bist also immer noch verliebt in ihn?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Hoffnungslos. Leider.«

»Hm, ich hoffe, der Idiot erkennt, welchen Fehler er gemacht hat. Natürlich nur, wenn du wirklich wieder mit ihm zusammen sein willst.«

Das Summen hörte auf, nur um gleich darauf wieder einzusetzen. Er lächelte entschuldigend und stand auf, um das Gespräch entgegenzunehmen.

»Nimm es mir nicht übel, aber ich sehe lieber mal nach, wer das ist.« Er blickte auf das Display, und sein Lächeln schwand. »Entschuldige mich einen Moment.« Rasch streifte er sein T-Shirt über und zog, während er an sein Handy ging, die Schiebetür zum Balkon auf.

Durch die Scheibe beobachtete ich, wie er auf dem Balkon auf und ab ging, sich mit der Hand durch das Haar fuhr und hektisch redete. Es war offensichtlich kein angenehmer Anruf. Vielleicht von einer Ex?

Ich versuchte, mir meinen letzten Streit mit James ins Gedächtnis zu rufen. Irgendwie wäre es tröstlich gewesen, wenn ich mich an eine wilde, hitzige Auseinandersetzung mit lautem Geschrei und Tellerschmeißen erinnern würde. Aber es war ein belangloser Streit über das nicht zugemachte Glas mit vegetarischem Brotaufstrich gewesen und hatte ein mehrstündiges beleidigtes Schweigen nach sich gezogen.

Jetzt begann mein eigenes Handy zu klingeln, und Lanas Name erschien auf dem Display.

»Was war denn mit dir los?«, fragte sie. »Ich weiß, es geht dir nicht besonders, aber es sieht dir nicht ähnlich, einfach sang- und klanglos zu verschwinden.«

»Entschuldige, Süße. Ob du es glaubst oder nicht, ich habe mich irgendwie abschleppen lassen. Aber …«

Sie quietschte vor Freude. »Von diesem süßen Typen, mit dem du dich vorhin unterhalten hast? Oh, der war wirklich supermegageil.«

»Als hättest du ihn aus der Entfernung richtig sehen können! Du solltest wirklich deine Brille aufsetzen, wenn du ausgehst.«

»Ich brauche keine Brille, um zu erkennen, ob ein Typ scharf ist oder nicht. Aber warum gehst du ans Telefon? Zurück an die Front, Schätzchen!«

»Ich habe gekniffen«, gestand ich. »Es ging irgendwie nicht. Ich bin zu betrunken, und ich musste die ganze Zeit an James denken.«

»Ach, Süße. Das ist dieser Vollidiot nun wirklich nicht wert. Du solltest dich lieber amüsieren. Ist er noch bei dir?«

»Ja. Aber er telefoniert gerade.«

»Okay, wenn er auflegt, dann schnapp ihn dir. Lass dir von James bloß nicht den Spaß verderben.«

»Ach nein. Ich habe mich bereits genügend blamiert.«

»Warum kommst du dann nicht in die Bar zurück und machst mit uns einen drauf? Das wird bestimmt lustig.«

»Danke, aber ich muss ins Bett. Allein«, fügte ich hinzu, um ihrer Reaktion zuvorzukommen.

»Okay, Süße. Ruf mich morgen an. Wir können uns zum Frühstück treffen.«

»Klar«, sagte ich und beendete das Gespräch.

Eine Sekunde später kam Chris ins Zimmer zurück. Er war blass und wirkte gestresst.

»Tut mir leid, dich hängen zu lassen, aber ich muss gehen«, sagte er.

»Ist alles in Ordnung?«

Er sah mich kaum an, während er irgendwelche Klamotten in einen Rucksack schmiss. »Äh, ja, ja, es ist nur etwas dazwischengekommen. Ich muss weg.«

Stumm sah ich zu, wie er in sein Jackett schlüpfte. Ich saß immer noch nur mit meinem BH bekleidet auf dem riesigen Bett und wurde nun langsam etwas sauer. »Hast du dir das gerade ausgedacht? Wenn das ein Wink sein soll, habe ich ihn kapiert, weißt du.«

Ich stand auf und zog mein T-Shirt über. Es war, als wäre er plötzlich ein völlig anderer Mensch geworden. Er eilte ins Badezimmer, und ich hörte, wie er Toilettenartikel in seine Tasche warf. Als er zurückkam, wirkte er leicht zerknirscht, aber ich war nicht in der Stimmung, sein Verhalten stillschweigend hinzunehmen.

»Tut mir wahnsinnig leid, dass ich dir deine schnelle Nummer vermasselt habe«, sagte ich. »Es mag dich vielleicht überraschen, aber ich habe sehr wohl das Recht, meine Meinung zu ändern.«

Als er mich schließlich ansah, flackerte Panik in seinen Augen. »Schau, diese ganze Sache tut mir wirklich leid. Ich serviere dich nicht ab, weil du keinen Sex mit mir haben willst. Ich muss nur dringend weg. Das Zimmer ist bezahlt, also bleib so lang du willst, aber ich muss sofort los. Es war nett, dich kennenzulernen, Sarah.«

Er nahm einen schwarzen Gitarrenkasten, der in einer Ecke lehnte, stürmte, ohne sich noch einmal umzublicken, hinaus und ließ die Tür einen Spalt weit offen. Ich spähte in den Flur hinaus und beobachtete, wie er zum Lift rannte und viermal in rascher Folge auf den Knopf drückte. Entweder hatte ihn meine Zurückweisung total aus dem Gleichgewicht gebracht oder es war wirklich etwas passiert. Wie auch immer, ich war jedenfalls wieder allein.

Während ich in meine Jacke schlüpfte, sah ich mich im Zimmer um. Es war wirklich sehr luxuriös. Ich hatte gute Lust, noch eine Weile zu bleiben, auf dem breiten Bett herumzulümmeln, den Zimmerservice anzurufen und auf Chris’ Kosten einen Porno zu bestellen, um ihm heimzuzahlen, dass er einfach abgehauen war, aber ich war erschöpft und wollte dieses Oberarschloch des Abends nur noch vergessen.

Die Eingangstür des Hotels schloss sich hinter mir, als ich in die eisige Kälte der Melbourner Winternacht hinausging. Ich glitt auf den Beifahrersitz des ersten Taxis in der Wartereihe, und der Fahrer begrüßte mich mit einem breiten Grinsen.

»Hallo, junge Frau, wie geht’s?«, fragte er heiter.

»Super«, antwortete ich. »Einfach nur super.«

Ich nannte ihm meine Adresse, und er fuhr los und pfiff zu dem Bollywood-Song, der im Autoradio lief. Erst als wir in meine Straße einbogen, blitzte vor meinem inneren Auge das Bild meiner in dem Glas liegenden Kreditkarte auf. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, beugte ich mich vor, vergrub das Gesicht in den Händen und ließ meinen Tränen, die ich den ganzen Abend zurückgehalten hatte, endlich freien Lauf.

»Alles in Ordnung mit Ihnen, Miss?«, fragte der Taxifahrer.

»Wir müssen zurückfahren.« Meine Stimme zitterte, und die Tränen tropften durch meine Finger hindurch auf meinen Schoß. »Ich habe etwas vergessen.«

Sobald ich an der Queen Street aus der Straßenbahn stieg, begann es zu regnen. Typisch für Melbourne war es kein freundliches Nieseln, sondern ein heftiger, böiger Regenschwall, der einem durch die Haut direkt in die Knochen fährt. Da ich meinen Regenschirm vergessen hatte, versuchte ich, mein offenes Haar mit der jüngsten Ausgabe von Women’s Choice zu schützen. Ich hätte mich über den neuesten Promi-Klatsch schlaumachen sollen, war stattdessen jedoch in der Straßenbahn eingeschlafen und erst aufgewacht, als der überdimensionierte Ranzen eines Schulkinds gegen meinen Kopf knallte.

Bis ich in der Redaktion angekommen war, quietschten meine flachen Schuhe vor Wasser, meine schwarze Hose war durchweicht, und wären meine Jeansjacke und mein gelber Wollschal nicht gewesen, hätte ich mich glatt als Kandidatin für einen potenziellen Wet-T-Shirt-Contest bewerben können. Die erste Person, die ich sah, war Katrina, die durch die leeren Gänge des Großraumbüros schritt. Verstohlen näherte ich mich meinem Schreibtisch, ehe sie bemerkte, dass ich mich mal wieder verspätet hatte. Katrina war meine Chefin und die Redaktionsleiterin von Women’s Choice, und wäre sie nicht so gut in ihrem Job, wäre sie für mich lediglich ein knallhartes Miststück.

Katrina war eine kompromisslose Karrierefrau, unverheiratet und kinderlos, und hatte mit Mitte vierzig einen Körper, auf den eine Zwanzigjährige stolz gewesen wäre. Alles an ihr, von den raspelkurzen schwarzen Haaren bis hin zu den hochhackigen Wildlederschuhen, verströmte Erfolg. Neben ihr fühlte ich mich mit meiner nicht sehr kurvenreichen Figur und dem welligen braunen Haar, das mir ständig in die Augen fiel, immer etwas unreif und unprofessionell. An guten Tagen kam ich auf eine Größe von einem Meter achtundfünfzig, wobei mir hochhackige Schuhe zutiefst verhasst waren. Ich besaß nicht einmal ein Kostüm. Offen gestanden fürchtete ich mich ein wenig vor Katrina.

Sobald sie mich erspähte, steuerte sie geradewegs auf mich zu. Ihre Absätze verursachten bei jedem Schritt über den Teppichboden ein tickendes Geräusch. Ich schichtete den Papierstapel auf meinem Schreibtisch um, damit es so aussah, als sei ich bereits seit einer Weile beschäftigt.

»Burrowes! Gott sei Dank taucht hier mal endlich jemand auf!«

Erst jetzt bemerkte ich, dass das Büro, obwohl es schon Viertel nach neun war, noch so gut wie leer war.

»Guten Morgen, Katrina.«

Ihr Blick glitt von meinen Haaren, die nun vermutlich dem Fell einer unter Strom stehenden Katze glichen, zu der durchgeweichten Zeitschrift auf meinem Schreibtisch.

»Himmel, Sarah, Sie scheinen eine echt beschissene Friseurin haben. Und freut mich zu sehen, dass Sie unser edles Heft so gut zu nutzen wissen. Ich hoffe, Sie haben es diesmal tatsächlich gelesen, bevor Sie es ertränkt haben.«

Ich beschloss, auf die letzte Bemerkung nicht einzugehen, weil ich das Heft tatsächlich nicht gelesen hatte. Und was die freundliche Bemerkung über mein Aussehen betraf, so hatte es einmal eine Zeit gegeben, in der ich jeden Tag stundenlang mit meinen Haaren und meinem Make-up beschäftigt gewesen war, mir Selbstbräuner aufgetragen, mich in Designerklamotten geschmissen hatte, das volle Programm eben. Aber als eines Tages mein Wecker wie immer um fünf Uhr fünfunddreißig schrillte, damit ich genügend Zeit hätte, mich für die Arbeit schön zu machen, beschloss ich spontan: Scheiß drauf. Kein Anmalen mehr, um mich in eine Person zu verwandeln, die ich nicht war. Ich erlebte das zur Genüge bei meinen Kundinnen im Kosmetiksalon, und ich wollte wieder ich selbst sein. Mum meinte scherzhaft, das sei schlecht fürs Geschäft, aber das Witzige an der Sache war, sobald ich aufhörte, mir um mein Aussehen Gedanken zu machen, erhielt ich von Männern viel mehr Aufmerksamkeit. Das war natürlich nie mein Ziel gewesen, aber es schadete dem guten alten Ego auch nicht. Und James, der mich nur ein paarmal geschminkt gesehen hatte, fand mich immer schön, was mir half, die gehässigen Spitzen von Damen wie Katrina leichter zu ertragen.

»Ich habe meinen Schirm vergessen …«, begann ich, aber sie ließ mich gar nicht zu Wort kommen.

»Jane und Alex haben sich eine Magen-Darm-Grippe zugezogen, Brad ist im Urlaub, und Jo muss zu Hause bleiben, um auf ihr Kind aufzupassen. Verdammt schlechtes Timing. Aber wenigstens sind Sie jetzt da. Sie müssen etwas für mich erledigen.«

»Was ist passiert?« Ich bemühte mich um einen beiläufigen Tonfall, aber mein Herz begann wie verrückt zu klopfen. Es war so weit. Katrina würde mir endlich eine Story geben.

»Ich habe einen Tipp von Simon bekommen. Diesmal ist es eine große Sache. Die AFP hat die Info noch nicht an die Medien weitergegeben, wir müssen also sofort loslegen, wenn wir die Story veröffentlichen wollen.«

Ein erwartungsvolles Kribbeln durchfuhr mich. Simon war Katrinas »Freund« bei der AFP, der Australian Federal Police. Er war ein internationaler Verbindungsbeamter und versorgte Katrina mit pikanten Informationen über Prominente, die sich in illegale Aktivitäten verstrickten. Ich konnte nur vermuten, was er als Gegenleistung für die Weitergabe von Staatsgeheimnissen erhielt.

»Worum geht es?«, fragte ich eifrig. Wenn die AFP beteiligt war, handelte es sich sicher nicht um die übliche »Schauspieler geht in Entzugsklinik«-Story.

Sie ignorierte meine Frage. »Telefonieren Sie herum und finden Sie mir einen Journalisten, der für diese Story eine Woche erübrigen kann. Er muss Zeit zum Reisen haben.«

Meine Stimmung plumpste in den Keller. »Aber …«

»Machen Sie fix, Burrowes. Ein freier Journalist oder einer von der öffentlichen Presse wäre gut. Also legen Sie los.«

Sie drehte sich auf einem Absatz um und wollte schon davonstöckeln, als ich vom Stuhl aufsprang. »Geben Sie mir die Story!«

Sie wandte sich um und musterte mich mit ungläubigem Gesichtsausdruck. »Für so etwas habe ich jetzt keine Zeit, Burrowes. Wie gesagt, es ist eine Hammerstory.«

Nicht betteln, Sarah. Nicht betteln. »Bitte, Katrina! Ich kann das. Ich weiß, dass ich es kann.«

Sie schürzte die Lippen. »Nichts für ungut, Burrowes, aber für diese Sache benötige ich jemanden mit Erfahrung. Das wird die größte Story, die wir seit Jahren veröffentlicht haben. Wenn Sie so weit sind, können Sie mit kleinen, simplen Geschichten beginnen, aber jetzt brauche ich Ihre Mitarbeit anderweitig. Finden Sie mir einen Journalisten.«

Ich sank auf den Stuhl zurück und senkte den Blick, um meine Enttäuschung zu verbergen. »Worum geht es?«

Sie knallte ein Schwarz-Weiß-Foto in Din A4-Format auf meinen Schreibtisch. Beim Anblick des Gesichts, das mir entgegenstarrte, stockte mir der Atem.

Katrina seufzte genervt. »Sie werden doch hoffentlich wissen, wer Chris Ford ist, oder?« Sie blickte wie in stillem Gebet zur Decke empor.

»Ich …«

»Herrgott noch mal, Burrowes, kommen Sie endlich in die Gänge! Chris Ford, Leadsänger bei The Fords, der berühmtesten Indie-Band, die Großbritannien in den letzten beiden Jahren hatte?«

Ich versuchte, mich zu sammeln und irgendeine passende Äußerung zu formulieren, doch Katrina schwadronierte weiter, ohne auf eine Antwort zu warten. »Hätten Sie unsere neueste Ausgabe tatsächlich gelesen, wüssten Sie, dass die Band zum ersten Mal auf Australientournee ist. Wie auch immer, Interpol hat einen anonymen Hinweis erhalten, dass der Bassist der Band, Angus Bright, ermordet wurde und Ford aus Australien geflohen ist.«

»Ich habe diesen Chris Ford am Samstagabend kennengelernt«, platzte ich schließlich heraus.

Katrina zog eine Augenbraue hoch, der erste Hinweis darauf, dass ihr ausnahmsweise einmal nicht egal war, was ich sagte.

»Aber ich wusste nicht, wer er war«, gestand ich. Schlagartig hatte ich wieder die Situation in der Bar vor Augen: all die Frauen, die auf ihn zeigten und ihn anstarrten; der Zettel, auf den er natürlich nicht seine Telefonnummer, sondern ein Autogramm gekritzelt hatte; das teure Hotelzimmer. Er musste mich für eine komplette Idiotin gehalten haben. »Er erzählte mir, er sei Musiker, aber auf mich wirkte er wie ein armer Schlucker.«

Katrina gab ein Bellen von sich, das ein Lachen hätte sein können, sofern sie überhaupt jemals lachte.

»Zwischen uns ist etwas gelaufen«, fuhr ich fort. »Er kam mir nicht wie ein Typ vor, der Probleme mit der Polizei …«

»Moment, Moment.« Katrina stützte sich mit der Hand auf meinen Schreibtisch, als benötigte sie Halt. »Erzählen Sie mir gerade, dass Sie, Sarah Burrowes, mit Chris Ford gevögelt haben?«

»Na ja, nicht wirklich«, gab ich zu. »Ich wollte plötzlich nicht mehr und habe die Notbremse gezogen. Aber dann …«

Katrina schlug sich auf den Oberschenkel. »Sie haben ihn zurückgewiesen? Na, Sie sind mir ein Schätzchen!«

»Hören Sie zu, das ist wichtig!« Ich schrie vor Aufregung und war überrascht, als sie tatsächlich den Mund hielt und wartete. »Wir unterhielten uns, und da wirkte er total entspannt, aber dann bekam er einen Anruf auf seinem Handy und wurde richtig panisch. Er erzählte mir nicht, was los war, sondern packte nur hektisch seine Sachen zusammen und ging. Ich dachte, er sei wegen mir sauer, aber jetzt ergibt das alles einen Sinn.«

»Gut, gut.« Katrina hatte wieder ihr typisch zackiges Gebaren angenommen und ging zur Tagesordnung über. »Erzählen Sie das alles dem Journalisten. Und auch davon.«

Sie legte ein anderes Foto vor mich hin. Es zeigte einen mir unbekannten Mann. Er war bis zum Oberkörper abgebildet und lag auf dem Rücken, die Arme neben sich. Sein Hemd war unterhalb der Rippen blutgetränkt, was anscheinend von einem Messerstich herrührte, und seine Augen starrten blicklos auf irgendeinen entfernten Punkt rechts von der Kamera. Sein Gesicht hatte die bläuliche Blässe des Todes. Das Bild schockierte mich mehr, als ich zugeben wollte, und ich nahm kaum wahr, dass Katrina mir eine Abfuhr erteilt hatte.

»Simon sagte, die Quelle habe dieses Foto an Interpol gemailt. Der Mann ist Angus Bright, falls das Foto echt ist, aber seine Leiche wurde noch nicht gefunden. Er war auf der Australientournee nicht dabei, und das Foto hat einen Datumsstempel, demzufolge es einen Tag bevor die Band Schottland verließ gemacht wurde. Flughafenaufzeichnungen belegen, dass Ford am frühen Sonntagmorgen, direkt nachdem Interpol die Mail erhalten hatte, einen Flug nach Barcelona genommen hat. Ich will so schnell wie möglich einen Journalisten hierhaben. Los jetzt, legen Sie sich ins Zeug.«

ENDE DER LESEPROBE