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Karl Koch

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Beschreibung

Santiago del Monte, Kolumbien: Konrad Zeller und seine Frau Maria leben mit Sohn Zacho in dem kleinen Dorf, alles ist perfekt. Als Konrad eines Tages von einer Dienstreise zurückkehrt, kann er es nicht glauben: Das gesamte Dorf wurde durch ein Massaker ausgelöscht. Doch Zacho konnte sich als Einziger unbemerkt retten. Von nun an gilt es, Zacho vor den Tätern zu schützen, die Hintergründe des Massakers aufzuklären und den Tod seiner Frau zu rächen. Der Kampf gegen eine gefährliche Bande, die das Attentat den Guerilleros zuschiebt, entfacht. Getrieben vom Glauben an die Gerechtigkeit decken Vater und Sohn gemeinsam mit den kolumbianischen Behörden Unglaubliches auf - Drogen, Morde, Prostitution, Gier - an Brutalität kaum zu überbieten. Was steckt hinter dem Massaker und können sie dem organisierten Verbrechen in Kolumbien das Handwerk legen?

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Seitenzahl: 378

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Inhaltsverzeichnis

Impressum 2

1 3

2 53

3 108

4 153

5 202

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2020 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-903271-56-2

ISBN e-book: 978-3-903271-57-9

Lektorat: Mag. Eva Reisinger

Umschlagfotos: Oksanabratanova, Ming Kai Chiang, Matyas Rehak | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

1

Konrad Zeller war es gewohnt für Aufträge seiner deutschen Firma von seinem Büro in Kolumbien aus in entlegene Landesteile auf dem südamerikanischen Kontinent zu reisen. Aber die jetzige Fahrt nervte ihn mit zunehmender Fahrdauer. Schuld war die eintönige Landschaft gepaart mit dem regnerischen Wetter. Je weiter er ins Unbekannte vorstieß, umso mehr Schlaglöcher wies der brüchige Straßenbelag auf.

Hier zu fahren war ermüdend und erforderte die ständige Beobachtung der Fahrbahn. Mehr als fünfzig Stundenkilometer im Durchschnitt waren bei diesen Verhältnissen nicht drin. „Meine Wirbelsäule wird heute Abend wieder streiken und das für einen so unbedeutenden Auftrag.“

Leise fluchte er vor sich hin: „So ein Mistwetter, warum kann heute nicht die Sonne scheinen, wenn schon die Landschaft nicht viel hergibt?“ Auch seine Lieblingsmusik, die er nun schon zum zweiten Mal von seiner CD wegen der unterschätzten endlos langen Fahrt abspielte, konnte seine Stimmung nicht aufhellen.

Immer wieder sah er Kaffeeplantagen links und rechts der Straße, aber nirgendwo einen Weinberg. „Und hier soll ich eine Anlage zur Weinherstellung betriebsbereit errichten“, ging ihm durch den Kopf. „Hoffentlich gibt es keine zwei Orte mit dem gleichen Namen und ich bin zum falschen unterwegs.“

Er ließ Orte mit nie gehörten Namen hinter sich, bis er nach langer Überlandfahrt schließlich müde und verschwitzt mit knurrendem Magen bei nur noch bleigrauem Tageslicht am Zielort Santiago del Monte eintraf. Der Regen hatte schon länger aufgehört, und so hatte sich seine Laune inzwischen etwas gebessert.

Der zentrale Platz des Ortes, auf den er fuhr, war zur Abendstunde gut besucht. Viele Campesinos saßen vor der dortigen Bar, und reges Stimmengewirr erfüllte den Platz.

Mit steifen Beinen kletterte Konrad Zeller aus seinem Gefährt, froh sich die Beine vertreten zu können. Am liebsten hätte er jetzt einige Lockerungsübungen gemacht. Aber dazu kam er nicht, denn schnell war er von einer Männertraube umringt, noch bevor er nach dem Weg zum Weinbauern Cortes fragen konnte.

Ein Fremder, dazu noch mit einem neuen Auto, welches man nur vom Prospekt her kannte, das musste man gesehen haben.

Nur selten verirrte sich ein Fremder in dieses weite Tal. Mit seinem Volkswagen erregte Zeller bei seiner Ankunft große Aufmerksamkeit. Alle kamen, um das Auto zu bestaunen. Zeller wunderte sich über das ungewöhnliche Interesse an seinem Wagen, bis jemand erklärte, dass es im ganzen Ort nur drei in die Jahre gekommene Autos unterschiedlicher Hersteller gab, deren gemeinsame Merkmale zahlreiche Beulen und Blessuren jedweder Art waren.

Geduldig beantwortete Konrad Zeller alle Fragen zu Leistung, Spritverbrauch und Höchstgeschwindigkeit und konnte schließlich selbst nach dem Weg zum Weinbauern Carlo Cortes fragen. Weil er geduldig alle Fragen aus der Menge beantwortet hatte, wollten ihm nun alle gleichzeitig den Weg erklären. Abwehrend hob er die Hände: „Danke, danke, es reicht, wenn mir einer den Weg beschreibt“, unterbrach er den Redeschwall.

Schnell fand er den gesuchten Betrieb, wo man ihn schon erwartete. „Ich hoffe, Sie haben unseren Ort ohne allzu große Schwierigkeiten gefunden“, begrüßte ihn Carlo Cortes auf dem Hof seines Anwesens. „Die von Ihrer Firma vorab gelieferten Gerätschaften haben wir in dem Schuppen dort links eingelagert.

Aber das hat Zeit bis morgen. Kommen Sie zuerst einmal ins Haus, ich möchte Ihnen meine Familie vorstellen. Meine Frau wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen und dann werden wir gemeinsam zu Abend essen. Ich gehe davon aus, dass Sie nach so langer Fahrt hungrig sind.“

Konrad Zeller nickte zustimmend und bedankte sich für die herzliche Begrüßung. Insgeheim war er froh den richtigen Ort und den gesuchten Betrieb gefunden zu haben.

Zeller verkörperte das klischeehafte Bild eines Germanen mit seinen 1,83 Metern und seinen blonden Haaren. Trotz der ermüdenden Fahrt fielen seine Körperhaltung und sein bestimmtes Auftreten auf. Alles an ihm strahlte eine gewisse Ruhe und Gelassenheit aus. Wissende Augen verströmten Sicherheit und Kompetenz. Eine nicht zu übersehende Aura an Selbstbewusstsein umgab ihn. Sein Erscheinungsbild beeindruckte Cortes sehr, und mit sich zufrieden dachte er, dass er wohl die richtige Firma mit einem guten Fachmann beauftragt hatte.

„Nach dem Frühstück werde ich Sie morgen zuerst mit den Örtlichkeiten vertraut machen“, meinte Cortes beim Abendbrot wohlwollend. „Danach können Sie mit Ihrer Arbeit beginnen.“

Konrad Zeller war an diesem Abend recht einsilbig. Ein richtiges Gespräch wollte nicht aufkommen. Dazu war er zu abgespannt. Er bedankte sich für den herzlichen Empfang und das schmackhafte Essen und bat – müde von der langen Fahrt – um Verständnis dafür, dass er sein Zimmer aufsuchen wollte.

Es herrschte klarer Sonnenschein als Konrad zum Frühstück erschien. Der Regen war wie weggeblasen. „Das richtige Wetter um Ihnen die Weinberge und unseren Ort zu zeigen“, begrüßte ihn ein gutgelaunter Carlo Cortes.

Auf dem Weg durch die Weinberge erzählte Cortes, dass er seit einigen Jahren Versuche machte, sich durch die Erzeugung von Wein neben dem Kaffee ein zweites Standbein zu schaffen. „In jahrelanger mühevoller Arbeit haben wir die bislang ungenutzten Flächen an den Hängen in Südlage in Weinberge umgewandelt.“

Konrad Zeller fragte ihn etwas überrascht: „Wie kommt man als Kaffeebauer auf die Idee Wein herzustellen? Zumal Wein in Kolumbien selten getrunken wird.“

„Meine Frau ist vom Stamm der Mapuche aus dem Süden Chiles“; erzählte er. „Von ihr stammt die Idee mit dem Weinbau, den kennt sie aus ihrer Heimat Chile.“

Beim Gang durch die Weinberge informierte ihn Cortes: „Wir haben im Vorfeld Versuche mit unterschiedlichen Rebsorten hinsichtlich Boden und Ertrag durchgeführt, bevor wir uns für einen größeren Anbau entschlossen haben. Nun steht die erste größere Ernte bevor. Wir sind sehr aufgeregt“, gestand Cortes. „Die Ernte scheint gut auszufallen, aber Masse ist nicht Klasse. Das ganze Dorf verfolgt unseren Versuch in gespannter Erwartung.“

Konrad Zeller drängte sich die Frage auf, wer denn in der Familie über Kenntnisse der Weinherstellung verfügte. Cortes ahnte dessen Gedanken und erklärte lachend: „Über die erforderlichen Fachkenntnisse zur Weinherstellung verfügt meine Tochter Maria. Sie hat in Bogotá Biologie studiert und dabei die Weinherstellung als besonderen Schwerpunkt ausgewählt. Ich werde sie Ihnen heute Nachmittag, wenn sie kommt, vorstellen. Dann können Sie, wenn Sie wollen, mit ihr fachsimpeln.“

Schweigend stiegen beide hintereinander die Stufen zu den höher gelegenen Rebstöcken empor. Cortes blieb immer wieder stehen, begutachtete die Trauben und schnitt mit seiner Schere, die er immer bei sich trug, einzelne junge Triebe zurück. „Mit der Weinlese können wir bald beginnen“, lautete sein Urteil, sich zu Zeller umdrehend.

Etwas außer Atem fragte er oben angekommen: „Darf ich Sie nach dem längeren Marsch durch die Weinberge zu einem Kaffee in die Bar am zentralen Platz einladen? Ich kann jetzt einen Kaffee vertragen. Wie ist das mit Ihnen?“

Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort: „So lernen Sie unsere Dorfbar kennen. Sie würden mir eine Freude bereiten, wenn Sie mitgehen.“ „Gern“, sagte Konrad, „den Platz habe ich bereits bei meiner Ankunft gestern im Halbdunkel gesehen, aber vom Platz selber nicht viel erkennen können, da mein Auto viel Aufsehen erregte.“

„Zentrum des Platzes bildet der Dorfbrunnen mit seinen ihn umgebenden Bänken“, erklärte Cortes als sie den Platz aus einem Seitenweg kommend betraten. Mit dem Arm auf den Brunnen zeigend sagte er: „Die Figur auf dem Sockel in der Mitte stellt den Freiheitskämpfer Emilio Domingo Sanchez von der Insel Margarita dar.“

An einem freien Tisch Platz nehmend bestellte Cortes zwei Kaffee und Zeller ergänzte „Para mi con leche, por favor“.

„Der duftet ja betörend“, entfuhr es Zeller anerkennend als der Kaffee gebracht wurde.

„Der ist ja aus unserer eigenen Produktion und wird vom Wirten persönlich geröstet, etwas Besseres können Sie nicht trinken.“

Während Cortes seinem Besucher die Örtlichkeit erklärte, trank Zeller genüsslich seinen Kaffee. „Der Zufahrtsstraße gegenüber, hier links, sehen Sie unsere kleine, in die Jahre gekommene Kapelle, die zu klein geworden nicht mehr alle Einwohner bei einem Gottesdienst aufnehmen kann. In einer Traube stehen dann die Gläubigen vor der geöffneten Tür.“

Das konnte sich Zeller gut vorstellen, wenn er an den gestrigen Abend und seine Ankunft dachte.

„Das größte Gebäude des Ortes, uns gegenüber, ist die Kooperative. Nach deren Gründung, an der ich großen Anteil habe, suchten wir damals einen geeigneten zentralen Platz für die Errichtung eines Lagergebäudes für die Kaffeeernte. Schließlich haben wir das zu klein gewordene und dem Verfall preisgegebene Gemeindehaus durch diesen Neubau ersetzt“, berichtete er nicht ohne Stolz in der Stimme.

„Das neue Gebäude haben wir so konzipiert, dass es beide Anforderungen erfüllt. Der Innenraum ist so gestaltet, dass er nach dem Verkauf der Jahresproduktion an Kaffee als Gemeindezentrum genutzt werden kann. Nur der Kaffee für den Eigenbedarf lagert ständig dort. Vergitterte Fenster schützen die eingelagerte Ernte. Wenn Sie wollen, können wir, wenn wir gehen, einen Blick hinein werfen.“ Das wollte Konrad Zeller nicht ablehnen.

„Der schmucklose Raum zeugt nicht gerade von Reichtum“, dachte Konrad als sie eintraten. Ein Bild des Staatspräsidenten, eingerahmt von fächerförmig angeordneten Flaggen, bildete den einzigen dauerhaften Schmuck im Raum.

„Der große, langgezogene Tisch“, erläuterte Cortes, „dient bei der Anlieferung der Ernte der Bewertung der Bohnen, als Schreibtisch und bei Festen als Verkaufstheke. Tische und Bänke sind dort an der Wand aufgestapelt. Zu Festen und an Feiertagen wird der Raum mit Papiergirlanden festlich geschmückt, wobei alle Hand anlegen.“

Aus der Tür hinaustretend sagte Cortes: „Nun kennen Sie in kurzen Worten dargestellt unser Dorf, das uns allen Heimat ist.“

Bei Cortes angekommen begann Zeller mit seiner Arbeit. Nach einiger Zeit kam eine junge Frau zu ihm und sagte die Hand ausstreckend: „Ich bin Maria, die Tochter des Hauses.“ „Ich bin Konrad Zeller“, entgegnete er, die dargebotene Hand schüttelnd. Scherzhaft meinte Maria ihn ansehend: „Zu Ihnen kann man ja im wahrsten Sinne des Wortes aufblicken, wir Kolumbianer sind ja etwas kleinwüchsiger.“

Maria, der zierlichen, lebenslustigen jungen Frau mit pechschwarzen, seidenglänzenden Haaren, wurde Konrad ansehend ganz kribbelig und dachte: „Warum sieht der Fremde mich so eindringlich an?“

Ohne erkennbaren Grund verunsicherte diese junge Frau den sonst so sicheren Konrad Zeller. Alles war so aufregend unvertraut. Sie bezauberte ihn augenblicklich, nicht allein wegen ihrer Schönheit und ihrer sanften Formen, sondern vor allen Dingen wegen ihrer Selbstsicherheit und Fröhlichkeit.

Nach getaner Arbeit hatte Konrad Zeller bei einem Glas Wein die Gelegenheit, Maria, wie er glaubte unbemerkt, zu betrachten.

So, wie sie dort in ihrem jadegrünen Kleid mit ihren verwirrenden Kurven im Sessel saß, ertappte sich Konrad bei dem Gedanken sie altersmäßig einschätzen zu wollen.

„Warum interessiert mich bei dieser Frau das Alter? Was geht mich das an?“

Sein Interesse an Maria blieb von dieser nicht unbemerkt. Sie fühlte sich geschmeichelt.

Er empfand, dass ihre Augen in einem unergründbaren Feuer funkelten, jederzeit schien sie bereit, in ein reizendes, gewinnendes Lachen auszubrechen. Alles zusammen hatte seinen Verstand hinreichend verwirrt. Er hatte das Gefühl ihre Blicke legten sich einschnürend wie ein Seil um seinen Hals.

Als er bemerkte, dass sie ihn beobachtete und ihr wohl sein Interesse nicht verborgen geblieben war, versuchte er abzulenken indem er auf ihre goldene Halskette und ihre Ohrringe zu sprechen kam.

„Der Schmuck, den Sie tragen, gefällt mir sehr gut. Sind das indigene Motive?“ Sie zog ihre Halskette aus, reichte sie ihm und erklärte ihm die indigene Symbolik der Darstellungen.

Nach dem gemeinsamen Abendessen zog sich Konrad müde zurück, da er am kommenden Tag früh mit seiner Arbeit fortfahren wollte. Außerdem wollte er diese eintönige Gegend so schnell wie möglich wieder verlassen.

Bei der Arbeit am nächsten Tag verfolgte Maria jeden seiner Handgriffe und stellte immer wieder Verständnisfragen. Über die damit einhergehende Fachsimpelei bis zum abschließenden Probebetrieb nach einigen Tagen genoss Konrad die Anwesenheit Marias und ihr Interesse an seiner Arbeit.

Alle Komponenten der Anlage arbeiteten reibungslos und Konrad Zeller dachte mit einem nicht erklärbaren Gefühl im Magen, welches ihm fremd war, an seine bevorstehende Abreise.

Seine Gedanken kreisten um dieses, wie er fand zerbrechliche Wesen, dessen Alter er nicht einzuschätzen vermochte. „Eine Frau mit Herz und sehr viel Güte in der Stimme“, dachte er.

Die Bedeutung seiner Empfindungen wollte er sich nicht eingestehen, zu neu war alles für ihn. Aber die Gedanken beschäftigten ihn fortwährend so sehr, dass er sich über sich selbst ärgerte. Ihn interessierte diese junge Frau mit den großen dunklen Augen, die nur aus Herz zu bestehen schien. Mit ihr gemeinsam alt zu werden konnte er sich gut vorstellen. „Ob sie wohl auch so dachte?“

Da ihn kein anderer dringender Auftrag erwartete, blieb er bis zum Ende der Weinlese, dem Pressen der Trauben und der Abfüllung des erzeugten Mostes in den großen Edelstahltank. Die Anlage arbeitete unter Betriebsbedingungen einwandfrei.

Der Winzer, dem das Interesse des Deutschen an seiner Tochter nicht verborgen geblieben war, sagte bei der Verabschiedung: „Sie sind herzlich eingeladen, an der ersten Verkostung des jungen Weines teilzunehmen. Den Weg zu uns kennen Sie ja. Wir würden uns freuen, wenn Sie kommen.“

Im Nordwesten Kolumbiens, auf der riesigen Finka von Don Alfonso de Nieble, begannen erste Vorbereitungen für das alljährlich im Mai stattfindende Fest der „Virgen del Valle“ mit seiner Romeria.

Don Alfonso konnte man seine spanische Abstammung ansehen. Ein kleinwüchsiger Mann, der schon früh Witwer wurde. Er galt als gefühlskalt. Die Kunst des Alterns, alles mit einer gewissen Gelassenheit anzugehen, war ihm fremd. Er verlangte von sich und allen anderen gute Arbeit und überwachte diese mit strenger Hand. „Macht, die keine Strafe zu fürchten braucht, ist schon erträglich“, sagte er sich oftmals.

Sich selbst betrachtete er als den Schlussstein im Gewölbe seines weitverzweigten Unternehmens, in dessen Zentrum die Finka stand. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er seine geringe Körpergröße durch ein herrisches Auftreten zu kompensieren versuchte. Er war überzeugt so sein zu müssen, um ein Unternehmen dieser Größe zu führen.

Der alte Landadel, der über Jahrhunderte das Heft im Land in der Hand hatte, fühlte sich heute in seinen Privilegien bedroht. Neue Player sind beispielsweise die Drogenbosse, illegale Goldgruben und die Guerillaorganisation FARC. Zum Erhalt des eigenen Einflusses bedurfte es größerer Finanzmittel, die aus der rein landwirtschaftlichen Tätigkeit heute kaum noch zu erwirtschaften waren. Die allgegenwärtige Korruption machte Zuwendungen an diverse leere Taschen erforderlich.

Ein abfälliger Blick auf Neureiche, die mit Drogen oder illegalem Goldbergbau in kurzer Zeit große Vermögen erwirtschafteten, reichte da nicht aus. Deren Einfluss nahm aber nach de Niebles Wahrnehmung beängstigend zu.

Einmal in dieses System eingebunden musste man sich an die dort geltenden Regeln halten. Um seinen Einfluss zu wahren hat Alfonso de Nieble – neben der Finka – ein Netz weiterer Unternehmen in unterschiedlichen Branchen gesponnen, um die benötigten Gelder zu erwirtschaften. In der Wahl seiner Geschäfte und Methoden war er keineswegs zögerlich, wenn sie eine gute Rendite abwarfen.

Neben ihm gab es noch Roberto de Nieble, der als sein Sohn verstanden wurde. Ein Narzisst, der manchmal mit blenderischem Halbwissen zu beeindrucken versuchte. Die genaue familiäre Zuordnung lag aber für Außenstehende im Dunkeln.

Die Finka, eine Farm riesigen Ausmaßes, war ein Konvolut verschiedenster Gebäude unterschiedlichen Alters. Sie gruppierten sich alle um das Herz der Finka, einen schönen, großen Patio mit umlaufenden Bogengängen und einem Brunnen im Zentrum. Viele bunt bemalte Blumentöpfe mit landestypischen Pflanzen standen dort. In jedem der Bögen hing eine Blumenampel. Ein Ort zum Verweilen, der jeden Besucher gefangen nahm. Ein Heer fleißiger Hände sorgte für den Erhalt des gesamten Anwesens.

Zur Romeria wurde jedes Jahr die Bevölkerung des weiten Umlandes auf die Finka geladen. Dieses große Fest mit seiner Prozession hatte eine fast 200-jährige Tradition und war inzwischen zu einer Art Wallfahrt geworden.

Das zumindest pflegte Don Alfonso stets den geladenen Gästen aus Politik, Militär, Polizei, Wirtschaft und der Presse in seiner Begrüßungsansprache voller Stolz zu erklären.

Sie alle nutzten die Gelegenheit der Romeria auf hoher Ebene persönlich miteinander in Kontakt zu treten und sich bewirten zu lassen. Eine interessante Tauschbörse von Meinungen und Informationen. Niemand ahnte, dass Don Alfonso dieses Fest auch dazu nutzte, um über jeden Amtsträger ein Dossier mit Erkenntnissen aus Gesprächen anzulegen, welches er – wenn nötig – zu nutzen gedachte.

Unter lauten „Viva Maria“-Rufen wurde die ehrwürdige Madonna alljährlich aus der kleinen Kapelle der Finka herausgetragen. In früheren Jahren trugen 8 Männer die auf zwei langen Holmen befestigte Madonna um die Finka.

Die zunehmende Teilnahme aus dem Umland machte es erforderlich, die Madonna auf einem mit Blumen festlich geschmückten Wagen durch die Felder und Weiden zu fahren. Hunderte andere, mit bunten Tüchern und Blumen geschmückte Kutschen und Wagen aller Art aus dem weiten Umland folgten ihr in einer wahrhaft bunten Prozession.

Don Alfonso liebte es getreu seiner spanischen Vorfahren bei derartigen Anlässen mit breiter Talega und seinem schon etwas abgeschlissenen Sombrero Cordobes aufzutreten und hoch zu Pferd die Romeria anzuführen. Nur Insider wussten, dass Don Alfonso in dieses Gut eingeheiratet hatte und heute, nach dem Tod seiner Frau, die Tradition des Hauses als die seiner Vorfahren ansah.

Nach der Rückkehr der Prozession und einem kurzen Dank an die Teilnehmer durch Don Alfonso wurden Speisen und Getränke gereicht. Höhepunkt war das Anschneiden des am Spieß gebratenen Ochsens. Mit Musik und Tanz im Patio klang das Fest lange nach Mitternacht aus.

Für viele der teilnehmenden Campesinos war dies ein besonderer Tag, denn die hier gereichten Speisen und Getränke mussten sie in ihrem Alltag meistens entbehren.

Dieses Fest war mit ein Grund dafür, dass die Protestbewegung gegen Großgrundbesitzer in dieser Region wenig Zulauf hatte. Dies wusste de Nieble und tat alles dafür, dass dies so blieb.

Der erste in Santiago del Monte hergestellte Wein wurde bei einem großen Fest verkostet. Auch Konrad Zeller war angereist. Spätestens jetzt blieb niemandem im Ort die Zuneigung zwischen Konrad und Maria verborgen. „El Aleman“, der Deutsche, wie Konrad alle nannten, hatte sich in der kurzen Zeit der Installationsarbeiten hohes Ansehen erworben, da er auch manchem Campesino bei technischen Problemen half und Geräte, die lange vor sich hin gerostet hatten, wieder nutzbar machte.

Ein Stolperstein auf dem Weg zu einem gemeinsamen Glück war, dass Konrad seine Zukunft nicht als Kaffee- und Weinbauer sah und darüber offen mit Maria sprach.

„Die Unsicherheiten bei der Erntemenge, die Schwankungen beim Preis für Rohkaffee auf dem Weltmarkt, aber auch die Vorlieben der Kolumbianer für Longdrinks statt für Wein bieten nach meiner Ansicht keine erstrebenswerte Langfristperspektive für eine Familie.“

„Eventuell gelingt es ja mit geeigneten Rebsorten Wein für den Export, z. B. nach Deutschland, herzustellen“, warf Maria dabei gewinnend lächelnd ein.

Nachdem man sich entschied, dass jeder seinen Beruf beibehielt, heirateten Maria und Konrad. Ihr gemeinsames Glück wurde ihr Sohn Zacharias-Armando, den alle liebevoll nur Zacho nannten. Er war der Sonnenschein der ganzen Familie, weil er stets zu Schelmereien aufgelegt war.

Sein Arbeitsgebiet führte Konrad Zeller zu Firmen unterschiedlicher Branchen und Größe auf dem gesamten südlichen Kontinent. Immer, wenn Konrad dienstlich zu einem Unternehmen musste, blieb seine Familie in Sorge zurück, denn einige seiner Kunden waren unter anderem kleinere Bergbauunternehmen, die nach Gold suchten. Sie wurden zum Teil illegal betrieben und lagen weit verstreut im Land.

Besondere Sorge bereitete Maria, wenn er in die von Guerilleros kontrollierten Gebiete Kolumbiens gerufen wurde, dort, wo auf vielen kleinen Parzellen die Kokapflanze illegal angebaut und Kokain hergestellt wurde.

Wenn Konrad dienstlich unterwegs war, erledigte Maria die Büroarbeit und koordinierte notwendige Termine. Oftmals war sie dabei insgeheim versucht gefährlich eingeschätzte Aufträge ignorieren zu wollen.

Beunruhigt beobachtete die Familie die sich seit Jahren ausbreitende Gewalt im Lande. Als immer wiederkehrendes Thema bei den abendlichen Nachrichten sorgte dies auch in der Familie für Gesprächsstoff.

„In diesem Land kann man nur allzu schnell, auch als Ausländer mit doppelter Staatsangehörigkeit, zwischen die Fronten geraten“, analysierte Maria die Situation in der Hoffnung, Konrad so zu besonderer Vorsicht zu mahnen, oder ihn von einem kritisch eingeschätzten Auftrag Abstand nehmen zu lassen. Dies vor allen Dingen, wenn dieser in eines der zahlreichen Indioreservate führte.

„Kolumbien ist ein Land mit alter Kultur, vielen Bodenschätzen, aber auch den meisten Entführungen und politischen Morden. Das bestätigen die täglichen Berichte in den Zeitungen. Der seit Jahrzehnten ausgetragene Konflikt mit der größten Guerillaorganisation FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) entwickelt ein steigendes Gewaltausmaß. Zwangsrekrutierungen junger Männer sind an der Tagesordnung. Neben der FARC und anderen kleineren Guerillagruppen sind Paramilitärs und Drogenkartelle unliebsame Machtfaktoren, denen die Regierung machtlos gegenüber steht.“

„Alles das ist mir bewusst“, argumentierte Konrad stets. „Aber wenn ich mich davon einschüchtern lasse, dann sollte ich meinen Wohnsitz in ein anderes Land verlegen. Wenn ich meinen Beruf ernst nehme, muss ich in alle Regionen gehen.

Auch illegal betriebene Goldgruben zum Beispiel in den schlecht erschlossenen indigenen Reservaten setzen verstärkt moderne Technik ein, indem sie von Flößen aus, sogenannten Dragones, die Böschungen von Flüssen abfräsen, um anschließend enthaltenes Gold auszuwaschen.“

„Dabei werden die Flüsse mit Quecksilber verseucht“, ergänzte Maria.

„Ja, und genau deshalb benötigen sie technische Hilfe um die Umweltschäden zu reduzieren. Ich kann nicht nur die Rosinen aus dem Kuchen picken, das musst Du verstehen“, entgegnete er Maria in seiner herzlichen Art, sie dabei in den Arm nehmend.

„Mit Zacho an Deiner Seite, der schon sehr vernünftig ist, wird Dir nichts geschehen“, meinte er schelmisch grinsend.

Dennoch wartete die Familie stets in banger Sorge darauf, dass er unbeschadet zurückkam. Tage wurden dann oftmals zu Ewigkeiten.

Anstatt einem Herrenmagazin entstieg Roberto de Nieble einem Taxi, das ihn vom Flughafen in Sydney zum Hotel „Sheraton on the Park“ brachte. Er, 1,79 Meter groß, glich auf den ersten Blick einem wohlhabenden spanischen Granden. Er trug einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, versehen mit einer Bügelfalte, die schon fast einem Messer Ehre bereitet hätte. Nur in den Kniekehlen waren ein paar kleine Falten zu sehen, welche vom Sitzen während des langen Fluges stammten. Ein weißes Hemd mit einer dezenten Krawatte rundete das textile Bild ab.

Seine Schuhe glänzten wie frisch poliert. Ebenso sein schwarzes Haar, welches scheitellos auflag und wirkte, als ob es frisch eingeölt wäre. Zwei längere spitz auslaufende Koteletten, die ein Augenpaar mit dunkel strukturierter Iris mit stechendem, kaltem Blick einrahmten, mahnten jedes Gegenüber zur Vorsicht. Der Mann hat etwas Beunruhigendes an sich, was ihn aber für manche Menschen anziehend machte.

Mit angemessenem Schritt betrat Don Roberto die große Eingangshalle des Hotels mit ihren überdimensionalen, über mehrere Etagen gehenden, Säulen und begab sich, alles und jeden kurz und unauffällig musternd, zur Rezeption.

„Für mich ist ein Zimmer für drei Nächte auf den Namen Paco Moreno reserviert“, wandte er sich an die junge Dame hinter der Rezeption in ihrem roten Kleid, welches ihrer Figur sehr schmeichelte. Ihre Blicke trafen sich und beide dachten das Gleiche voneinander.

„Diese Haltung“, ging ihr durch den Kopf, „so stelle ich mir einen Torero beim Betreten der Arena vor. Ob ich das wohl jemals live in Spanien erleben werde?“

Sein männliches Interesse unterdrückend nahm er die ihm mit den folgenden Worten dargebotenen Schlüssel entgegen: „Ihr Zimmer liegt im Obergeschoss mit einem schönen Blick auf den Hyde Park und die St. Marys Kathedrale. Der Aufzug ist hier vorne links. Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt in unserem Haus.“

Als er sich nach einem kurzen „Thank you“ abwandte, bat sie ihn zurück und übergab ihm ein kleines Päckchen mit vielsagendem Blick:

„Das wurde heute für Sie von einer Dame abgegeben.“

Er las in ihrem Gesichtsausdruck, was sie dachte, und wie um ihre Vermutung zu bestätigen, roch er vielsagend, dabei die Augen schließend, an dem Päckchen und bedankte sich. Schnellen Schrittes wandte er sich dem Aufzug zu.

Das Apartment war hell und freundlich und modern möbliert. Bei einem Rundgang durch die Räumlichkeit suchte er mit geübtem Blick gewohnheitsmäßig nach versteckten Mikros oder einer Minikamera. Da er nichts derartiges entdeckte, setzte er sich in den Sessel vor den Sekretär am Fenster, nahm eines der dort in einem Schälchen angebotenen Bonbons und studierte den unter anderen Prospekten hervorgezogenen Stadtplan. „Schade, dass ich so wenig Zeit eingeplant habe, Sydney ist eine Reise wert.“ Er trat zum gekippten Fenster und genoss die Aussicht. Möwengeschrei und eine Brise Meerluft erinnerten ihn daran, dass Sydney am Meer lag.

Dann nahm er das Päckchen und öffnete es indem er die Verpackung mit dem Zeigefinger aufriss. Während er ein gebrauchsfertiges Handy entnahm, klopfte es an die Tür, und der Hausbote brachte seinen Koffer.

„Arbeiten Sie jeden Tag hier?“, fragte ihn Don Roberto, was der Bote mit einem Kopfnicken beantwortete. Ein groß bemessenes Trinkgeld veranlasste den Boten mit mehreren Verbeugungen und einem mehrfach gemurmelten „Thank you“ rückwärts gehend das Zimmer zu verlassen.

„Ihn kann ich eventuell noch gebrauchen“, dachte Roberto, während er mit dem neuen Handy das Bergbauunternehmen anrief, wegen dem er nach Australien gekommen war.

„Sie sind im ‘Sheraton on the Park’?“, fragte der Angerufene, „ich werde Sie morgen Früh um 8 Uhr beim Hotel abholen lassen, wenn es recht ist?“

„Geht in Ordnung!“, bestätigte Don Roberto und führte noch weitere Telefonate. Dann studierte er mitgebrachte Unterlagen, bis ihn sein leerer Magen daran erinnerte ein Speiselokal aufzusuchen.

„Du hast gar keinen Grund zu knurren“, sagte er zu seinem Magen, „auf dem Flug habe ich Dich doch noch verwöhnt.“

Pünktlich um 8 Uhr wurde Paco Moreno alias Don Roberto beim Hotel durch das kanadisch-australische Bergbauunternehmen abgeholt und zur Firmenzentrale gebracht. Dort wurde er von einem Mitarbeiter am Eingang mit den Worten empfangen: „Mister Moreno! Unser Planungschef erwartet Sie in der zentralen Planungsabteilung. Ich werde vorgehen, da man sich in den durch mehrere Anbauten verwinkelten Fluren schnell verirrt.“

Bei dem Haupthaus handelte es sich um einen Neubau, dem man ansah, dass Geld beim Bau und der Ausstattung nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. So stellte sich Moreno auch seine Zukunft als Unternehmer vor und war sicher, auf dem richtigen Weg dorthin zu sein.

Vorbei an mehreren Büros führte man ihn im oberen Stockwerk in das Büro des Planungschefs Miller, der ihn herzlich begrüßte. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie nicht am Auto abgeholt habe, aber wir haben gerade größere Probleme mit der Stromversorgung unserer Förderbänder, um deren Behebung ich mich kümmern muss. Jede Stunde Stillstand kostet Hunderttausende.“

Miller, ein breitschultriger Mitvierziger, bat Moreno, an einem etwas seitlich stehenden runden Tisch Platz zu nehmen. Mit schnellem unauffälligem Blick hatte Moreno alles im Büro in sein Gedächtnis eingescannt.

Millers Büro war, wie nicht anders zu erwarten, in erster Linie ein repräsentativer Arbeitsraum, groß und mit einem prachtvollen Ausblick. An den Wänden hingen Abbaupläne, diverse Zeichnungen und Fotos von überdimensionalen Maschinen. Wie Fieberkurven wirkten die Tafeln mit den Rohstoffpreisen an den wichtigsten Börsen der Welt. Auf dem Schreibtisch standen mehrere Telefone. Wie zum baldigen Aufbruch bereit, lagen auf einem Stuhl Schutzhelm und Handschuhe.

Miller bat ihn, nachdem er einige Anweisungen an einen Mitarbeiter gegeben hatte, an einem Konferenztisch in einem Nebenraum Platz zu nehmen, auf dem diverse Tabellen und Zeichnungen lagen.

„Darf ich Ihnen einen Kaffee aus Ihrer Heimat anbieten? Ich schätze kolumbianischen Kaffee sehr, er hat ein sehr angenehmes Aroma“, eröffnete Miller die Unterhaltung, sich Moreno gegenüber setzend, und beauftragte mit einem Wink seine Sekretärin Kaffee zu bringen.

„Welches Anliegen führt Sie zu uns? Bei unserer Terminabsprache waren Sie ja diesbezüglich sehr zurückhaltend. Es ging wohl im weitesten Sinne, wenn ich Sie richtig verstanden habe, um Bergbau.“ Moreno bestätigte dies, bedankte sich und kam ohne Umschweife auf sein Anliegen zu sprechen:

„Ich komme in Vertretung eines Investors, der vorerst ungenannt bleiben möchte. Unser Ziel ist nicht primär eigenständig Bergbau in Kolumbien zu betreiben, sondern wir denken daran, interessante Regionen zu erwerben und in Kooperation mit einem kompetenten Bergbauunternehmen, zum Beispiel mit Ihnen, Lagerstätten bergtechnisch zu erschließen und auszubeuten.

Meine Aufgabe besteht darin zu klären, ob es nach Ihrer Kenntnis geeignete Regionen in Kolumbien gibt, wo sich Bergbau lohnen könnte, und wenn ja, wo sich diese befinden. Wir wissen, dass Ihr Unternehmen über neueste Kenntnisse verfügt, die auf Satellitendaten basieren.

Unser Bestreben ist es, derartiges Gelände als Eigentum zu erwerben, bevor es als Bergbaugebiet öffentlich diskutiert und Abbaurechte erteilt werden. Die stark wachsende chinesische Industrie benötigt Rohstoffe für High Tech Produkte. Sie ist mit staatlicher Unterstützung und entsprechenden Finanzmitteln ausgestattet auf der Suche nach entsprechenden Abbaukonzessionen. Ihnen wollen wir zuvorkommen.

Als im Lande ansässiges Unternehmen möchten wir in enger Abstimmung mit der Regierung Anteil an der künftigen Entwicklung haben. Die Situation ist ja im Augenblick die, dass rund 85 % der Primärprodukte der Agrar- und Bergbauindustrie Kolumbiens exportiert werden. Langfristig soll die verarbeitende Industrie gestärkt und die Rohstoffe im Land so weit wie möglich zumindest zu Vorprodukten verarbeitet werden. Der Abfluss der Gewinne soll durch Kooperationen mit einheimischen Unternehmen reduziert werden.

Wir gehen davon aus, dass es uns, als nationalem Unternehmen mit entsprechenden Verbindungen, leicht möglich sein wird, in Kooperation, zum Beispiel mit Ihnen, im Sinne dieser Vorgaben gemeinsam einen Weg zu finden, um vorhandene Bodenschätze auszubeuten.“

Sein Gegenüber eingehend betrachtend fuhr er dann nach einer Pause fort: „Als Gegenleistung könnte man an eine gemeinsame Tochter oder an Aktien Ihres Unternehmens denken und so am Gewinn beteiligt werden.“

Miller hatte ohne erkennbare Regung den Worten Morenos zugehört. Es waren dessen Augen, kalte, dunkle Augen, die sich, wenn er sprach, verengten.

Noch beeindruckt von den bösartigsten Augen, die er jemals gesehen hatte, ergriff Miller, an die grimmig funkelnden, dunklen Pupillen denkend, das Wort: „Wie Sie bereits anführten, haben wir mittels Geosatelliten eine Prospektion auf Erze durchgeführt und so erste Erkenntnisse erlangt. Wir haben in der Tat neben kaum lohnenden kleinen Goldvorkommen ein größeres Gebiet gefunden, welches auf ein interessantes Vorkommen des seltenen Metalls Tantal schließen lässt.

Dieses Metall ist weltweit wegen seines enorm hohen Schmelzpunktes von 3.000 Grad, der mit geringen Einlagerungen von Kohlenstoff oder Wasserstoff auf 4.000 Grad Celsius angehoben werden kann, für High Tech Produkte wie Flugzeugtriebwerke sehr begehrt.

Es gibt bisher nur wenig lohnende Fundstellen auf diesem Globus, zum Beispiel hier in Australien und in Brasilien. Größere Vorkommen gibt es noch in Ruanda und in der Republik Kongo.

Der Abbau erfolgt in den afrikanischen Ländern weitgehend in Handarbeit. Mit den erzielten Gewinnen finanzieren regionale Warlords ihre Kriege. Sie werden als unsichere Lieferanten eingeschätzt. Weitere Erzreserven gibt es noch in Kanada, also dort, wo wir ebenfalls tätig sind.

Doch kommen wir auf Ihren Ansatz zurück. Wir haben in Ihrem Land einen interessanten Hinweis auf das Vorhandensein von Tantalerzen gefunden, die mit Niob vergesellschaftet sind. Ein hoch interessantes Erz. Es wird vom Pentagon als strategischer Rohstoff eingestuft, da Tantal unter anderem zur Herstellung panzerbrechender Waffen genutzt wird. Das Metall kann daher nicht an Finanzbörsen gehandelt werden.“

Miller überlegte während er sprach, ob und wie weit er auf diesen Besucher mit den furchterregenden Augen eingehen sollte. Aber mit Blick auf das äußerst frühe Stadium der Prospektion erschien ihm eine unverbindliche Information als angemessen.

Nach einer kurzen Pause, die das Gesagte unterstreichen sollte, fuhr er fort: „Wir haben als Unternehmen natürlich ein grundsätzliches Interesse daran, Abbaurechte zu erwerben oder Kooperationen einzugehen, bevor chinesische Unternehmen, wie Sie bereits ausführten, die zur Zeit auf dem gesamten südamerikanischen Kontinent sehr aktiv sind, den Zuschlag auf dieses Erzvorkommen erhalten.“

Auf eine große an der Wand aufgehängte Karte zugehend, markierte er dort mit bunten Nadeln ein durch Satelliten erkanntes höffiges, überwiegend von Wald bestandenes, Gebiet.

„Ein wesentlicher Vorteil ist“, so Miller sich zu Moreno umdrehend, „dass das Gelände sehr dünn besiedelt ist. Es gibt dort nur einen kleinen Ort, den man gegebenenfalls umsiedeln müsste.

Wichtig wäre daher, mittelfristig dieses Gebiet großräumig als Eigentum zu sichern, bevor weitere Untersuchungen vor Ort die Satellitendaten bestätigen und einen Run auf das Gelände mit steigenden Preisen auslösen.“

„Mit welcher Zeitvorstellung muss man dann hier rechnen?“, fragte Moreno. „Wir müssten zunächst mit Spezialgeräten vom Flugzeug oder Hubschrauber aus die Lagerstätte genauer eingrenzen und bewerten. Dann würden weitere Analysen über Probebohrungen erfolgen und bei positivem Ergebnis der Aufschluss konzipiert werden.

Da wir noch andere Betriebe in der Förderung haben, ist das für uns kein vordringliches Vorhaben. Der Vorlauf bis zur Erzförderung wird bei uns nach meiner heutigen Einschätzung 15 Jahre in Anspruch nehmen. Das Gelände vor dem Zugriff anderer baldmöglichst und damit kostengünstig zu sichern wäre aber kein Fehler. Ob Sie diesen langen Vorlauf bei den vielen Unwägbarkeiten finanziell verkraften können und wollen, sollten Sie intern mit dem Investor klären.“

„Ich bitte Sie, über unser Gespräch Stillschweigen zu bewahren. Ich werde mich nach Rücksprache mit meiner Unternehmensleitung bei Ihnen melden.“ Mit einem Händedruck, der Morenos Hand fast zerquetschte, verabschiedete ihn Miller.

Mit dieser Information und einem Teil der Satellitendaten, die das interessante Gebiet grob kennzeichneten, kehrte Don Roberto zum Hotel zurück und informierte sofort den Investor mittels Handy über den Verlauf des Gespräches.

Zufrieden mit dem Gesprächsverlauf trat Moreno, nachdem er im besten Fischrestaurant gegessen hatte, am nächsten Morgen die Heimreise an. Beim Verlassen des Hotels schenkte er sein Handy dem Hausboten zum weiteren Gebrauch.

Parallel zu den Aktivitäten Morenos veranstaltete man auf der Finka von Alfonso de Nieble die diesjährige Romeria.

Wie jedes Jahr trafen sich dort die regionalen Spitzen aus Politik, Wirtschaft, Militär und Kultur. Bei seinem weit verzweigten Geflecht unterschiedlicher Firmen standen wichtige Persönlichkeiten aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens auf de Niebles Gehaltsliste. Auf diese Weise konnte er vielen seiner geschäftlichen Aktivitäten ungestört nachgehen. Man sagte ihm hinter vorgehaltener Hand auch eine gewisse Nähe zum Drogenhandel, der Zuhälterei und zu anderen dubiosen Geschäften nach, ohne eindeutige und belastbare Belege zu haben. Das wollte auch niemand ernsthaft wissen. Für die geladenen Gäste wurde im Salon des Herrenhauses ein Festbankett gegeben. Rüstungen und Waffen aller Art, sowie eine Gemäldegalerie zierten den Festsaal. Das Interieur ließ den Raum eine gewisse stolze Vergangenheit atmen. Ein über Eck verlegter Boden aus weißem und schwarzem poliertem Marmor, der in mehrere Felder abgeteilt war, ließ ihn größer erscheinen als er war. Ein riesiger Kamin aus schwarzem Marmor auf der der Fensterfront gegenüberliegenden Wand sorgte in den Abendstunden neben dem Licht der großen Kristalllüster für eine gemütliche Atmosphäre.

Stühle mit reich verzierter hoher Rückenlehne umgaben einen langen Mahagonitisch in der Mitte des Raumes. Farbenfrohe Blumenarrangements in Silberschalen im Wechsel mit großen Kerzenleuchtern bildeten den Tischschmuck. Teller mit Serviette, Besteck und diverse Bleikristallgläser für alle Gänge rundeten das festliche Bild ab.

Das Bankett diente de Nieble dazu, in Gesprächen wichtige Informationen zu sammeln, Kontakte zu pflegen und neue zu knüpfen, die für ihn als vielseitigen Geschäftsmann unabdingbar waren. Dort verhandelte er auch über Spenden an soziale Einrichtungen, die ihn interessierten und ihm nutzten.

Während sich im Saal nach dem Essen bei Champagner eine gehobene Stimmung ausbreitete, feierte im Patio die Landbevölkerung. Lauter werdendes Stimmengewirr und Musik waren im Saal gut hörbar. Mancher Gast würde lieber dort bei feurigen Rhythmen mitfeiern.

„Ausgesuchte Gäste“ übernachteten in den Gästezimmern der Finka. Im Schutze dieses Festes konnte so unbemerkt von der Öffentlichkeit die jährliche Hauptzusammenkunft aller verantwortlichen Mitglieder des verzweigten Unternehmens stattfinden.

Neben der Sicherung des eigenen Wohlstandes verfolgte man das Ziel, über die Unterwanderung etablierter Parteien politisch verstärkt Einfluss im Lande zu gewinnen. So sollten frühzeitig riskante Entwicklungen erkannt werden. Die Privilegien der Großgrundbesitzer und damit die eigenen sollten geschützt, aber auch die sonstigen Aktivitäten, die die erforderlichen Gelder in die Kasse spülten, abgesichert werden.

Am Morgen nach der Romeria fand die alljährliche Sitzung der Leitungsebene des Gesamtunternehmens statt. Der morgendliche, ausgiebige Besuch des Wellnessbereiches diente unter anderem dazu, den Restalkohol des Vorabends zu reduzieren.

Die nachfolgende Sitzung war als gemeinsames Frühstück deklariert. Es herrschte ein strenges Zeremoniell. Die Teilnehmer saßen in seidenen, von der Finka bereitgestellten, silbergrauen Bademänteln am Tisch. So sollte demonstriert werden, dass alle gleich waren.

Der Stuhl am Kopfende war leer und wartete auf de Nieble. Im Raum herrschte ein fast beängstigendes Schweigen. Niemand lächelte. Die Mienen waren versteinert. Einige zupften ihren Bademantel zurecht. Andere strichen sich durch das noch feuchte Haar oder sahen mit gesenktem Kopf auf ihre Hände.

Als Don Alfonso de Nieble den Raum mit einem „Guten Morgen“ betrat standen alle auf. Ein Diener schloss die Tür. „Bitte, meine Herren, nehmen Sie Platz“, forderte de Nieble alle auf.

Als uneingeschränkter Chef fühlte er sich trotz gleicher Kleidung gleicher. Für de Nieble galt der Grundsatz „Totale Dominanz auf der einen und Unterwerfung auf der anderen Seite“. Jedes Fehlverhalten wurde drastisch bestraft. Entweder war man Sieger oder ging unter, so das Credo Don Alfonsos. Ein Menschenleben zählte bei dieser Betrachtung für de Nieble nicht viel.

Jeder in der Runde referierte nachfolgend über seinen Verantwortungsbereich, den er eigenverantwortlich und gut bezahlt leitete. Aufgetretene Besonderheiten und die weitere Entwicklung des Unternehmensbereiches rundeten die jeweilige Präsentation ab.

Es war für die Anwesenden immer wieder verwunderlich, wie schnell sich de Nieble in die jeweilige Situation hineindenken konnte und in der Lage war qualifizierte, sachbezogene Anweisungen zu geben.

„Mir sind Informationen zugetragen worden“, ergriff Don Alfonso in verdächtig ruhigem Ton das Wort, „dass auf breiter Ebene bei der Polizei, der Armee und diversen Ministerien Erkenntnisse über unser Unternehmen gesammelt werden.“ Sein angespanntes Gesicht sprach im Gegensatz zu seiner Stimme eine andere Sprache, als er nach kurzem Innehalten in sehr bestimmtem Ton fortfuhr: „Das sollte uns alle veranlassen, bei unseren Aktivitäten noch mehr Vorsicht walten zu lassen.

Wie ich gestern aus Gesprächen erfahren habe, fehlen den Behörden noch die Zusammenhänge unseres verzweigten Unternehmens und die Namen der Entscheidungsträger, also die von uns allen. So muss das bleiben! Für uns ist überlebenswichtig, dass wir fortlaufend Informationen darüber erhalten, über welche Erkenntnisse die Behörden verfügen, und ob und wenn ja, wo dort die Fäden zusammengeführt werden. Auf Bespitzelungen jedweder Art haben wir uns künftig mehr denn je einzustellen. Denken Sie daran, das Geschäftsleben ist wie eine Treppe, sie kann nach oben aber auch nach unten führen.

Ich werde mich um die Anwerbung geeigneter Personen kümmern. Zielführende Hinweise direkt an mich.

Für den Austausch sensibler Informationen zwischen uns werde ich einen Botendienst einrichten, da mir Handy, Fax und Computer für unsere Kommunikation zu unsicher sind. Außerdem können Handys inzwischen geortet werden. Damit ist der jeweilige Standort ermittelbar.“

„Dieser Informationsaustausch könnte doch von unserem Tabakhandel mit seinem weit verzweigten Kundennetz übernommen werden“, warf einer ein.

„Eine gute Idee. Einzelheiten werde ich mit dem Verantwortlichen abklären, der heute wegen Krankheit verhindert ist.“

Nach einer längeren Pause, die für bilaterale Gespräche genutzt wurde, informierte de Nieble die Runde über den langfristig geplanten Einstieg in den Bergbau.

„Ich denke nicht an einen kleinen illegal betriebenen Goldbergbau, von denen es hunderte im Lande gibt, sondern mit der Ausbeutung von Bodenschätzen wollen wir langfristig ein neues, sicheres und vor allem ein legales Standbein schaffen. Don Roberto ist zurzeit auf dem Rückweg von Australien, wo er diesbezüglich ein Sondierungsgespräch führte. Er wird die Umsetzung des Vorhabens verantwortlich übernehmen. Er hat wohl Hinweise auf eine große Lagerstätte im Gepäck. Über den Fortschritt in dieser Angelegenheit werde ich der Bedeutung entsprechend fortlaufend informieren.“

Mit finster werdender Miene kam Don Alfonso dann auf einen Vorfall im Bereich des Drogenhandels zu sprechen. Allen am Tisch war aus Erfahrung klar, dass es nun ernst wurde.

Schlechte Laune, die er stets auslebte, hatte Don Alfonso oft geholfen, wenn es darum ging in kritischen Situationen schnell und unnachgiebig durchzugreifen.

Mit scharfer Stimme fuhr er fort: „Ein noch ungeklärter Zwischenfall in der Wüste von Nevada hat dafür gesorgt, dass ein lukrativer Transportweg für unser Kokain über die amerikanische Grenze aufgegeben werden muss. Ich erwarte weitreichende finanzielle Folgen für uns, wenn es nicht gelingt schnell neue Wege zu erschließen. Unsere Kuriere hier vor Ort, die die Drogen nachts mit Booten flussabwärts zur Küste bringen, sind auf den Lohn angewiesen. Sie an die Konkurrenz zu verlieren wäre ein herber Rückschlag, der nicht so schnell ausgeglichen werden kann. Die genauen Umstände des Zwischenfalls sind noch unbekannt, da Ernesto als verantwortlicher Leiter auf dem Weg hierher einen tödlichen Autounfall erlitten hat.“

Um die Wirkung seiner Worte zu verstärken legte er eine längere Pause ein.

Dieser Hinweis löste bei allen am Tisch ein beklemmendes Gefühl aus. Die Unterhaltung gelangte an einen toten Punkt, und eine ängstliche Ungewissheit machte sich breit. Manchem lief es kalt den Rücken hinunter. Alle gingen aus Erfahrung davon aus, dass der Unfall kein Zufall war. Mit gesenktem Haupt und zusammengekniffenem Mund blickten alle schweigend, den eigenen Gedanken nachhängend, nach unten.

Die Stille wurde schließlich von Don Alfonso unterbrochen:

„Wir werden schnell einen geeigneten Nachfolger finden müssen. Hierzu erwarte ich Vorschläge.“ In den Ohren der anderen klang es wie Hohn, als er dann sagte: „Ich darf nun alle bitten, sich zum Gedenken an Ernesto für eine Schweigeminute von den Sitzen zu erheben.“

Am Ende erfolgte wie immer der dringende Appell an alle, das Gesagte und Gehörte in den Köpfen zu schreddern.

Aus Sicherheitsgründen verließen die Teilnehmer der Besprechung die Finka einzeln und in größeren Zeitabständen.

Mit einer Liste der Ehrengäste und vielen Fotos kehrte Francisco Gomez von der Romeria in sein Büro nach Medellin zurück. Gomez, eine eher unauffällige Erscheinung, wenn man von seiner Körperfülle absah, verfügte über sehr wache Augen und eine schnelle Auffassungsgabe. Hauptberuflich arbeitete er für die Gesundheitsbehörde, wo er von seinen Kollegen wegen seiner übergroßen Sparsamkeit oftmals belächelt wurde. Beim unbeobachteten Gehen zum Beispiel setzte er die Füße nach innen, um so die Absätze gleichmäßig abzulaufen.

Geschätzt wurde er von seinen Vorgesetzten jedoch wegen seiner akribischen Arbeitsweise. Hinter Bergen von Akten auf seinem Schreibtisch versteckt war er kaum zu sehen. Mancher Besucher verließ schon unverrichteter Dinge das Büro, da er ihn übersehen hatte.

Nach Sichtung seiner gesammelten Unterlagen und Fotos fertigte er ein Protokoll über seine Gespräche und Eindrücke an. In Kopie leitete er diese Unterlagen der DEA (Drug Enforcement Administration) in den USA weiter, auf deren Gehaltsliste er seit einiger Zeit auch stand. Dort wurden alle eingehenden Informationen gesammelt und zentral mit den Datenbanken abgeglichen und ausgewertet.

Der Bericht von Gomez setzte Kolumbien wieder auf die Tagesordnung einer extra anberaumten Sitzung.

Der jüngste Zufallsfund der Hülle eines Stratosphärenballons in der Wüste von Nevada war zentrales Thema.

„Er lässt vermuten“, so der Leiter der Einsatzgruppe, „dass mit derartigen Ballonen, die in Höhen von fast 10 Kilometern fliegen, die Grenze mit dem Jetstream vom Pazifik aus ostwärts überquert wird, und auf diese Weise Kokain ins Land gebracht wird.

Im Bereich der Flughäfen in den Städten der Westküste fliegen die Maschinen bei Start und Landung niedriger, so dass es dort bisher zu keiner Sichtung oder Kollision mit einem Ballon kam, die uns auf diese Transporte aufmerksam gemacht hätte.“

In seinen Unterlagen blätternd fuhr er fort: „Eine raffinierte Strategie. Unsere Fachleute vermuten, dass der Ballon ein Handy mitführt, welches an geeigneter Stelle nachts angerufen den Ballon zerstört. Die Fracht gleitet dann vermutlich an einem Fallschirm zu Boden, wo das Handy geortet wird.

Diese Transporte sind äußerst schwer zu bekämpfen. Wir müssen die Schiffe finden, von denen aus die Ballone gestartet werden. Das bedeutet, wir müssten ein riesiges Meeresgebiet kontrollieren, was kaum möglich sein dürfte. Wir werden, um unsere Gegner zu verunsichern, über die Presse berichten lassen, dass wir jetzt Satelliten zur Ortung einsetzen.

Unser Eingreifen in Kolumbien mit der Zerstörung eines Teils der Kokaplantagen hatte nur einen begrenzten und kurzzeitigen Erfolg, denn es wurden, wie wir jetzt wissen, neue Anbauflächen im benachbarten Bolivien und in Peru erschlossen, die schon heute einen gewissen Ersatz darstellen.“

„Mit unserer Abwehr sollten wir bei der Herstellung ansetzen“, schlug ein Kollege vor. „Das Kokain wird noch im Andenraum hergestellt und dann, so die neueste Information, über die Flüsse nachts in kleinen Booten zur Küste transportiert. Wir sollten die Labore zerstören.“

„Inzwischen ist eine neue Bedrohungslage entstanden“, berichtete der Mitarbeiter für Südamerika.

„Die Abfallprodukte der Kokainherstellung werden inzwischen auch vermarktet. Dabei werden sie unter anderem mit Kerosin, gemahlenen Glassplittern und Putzmitteln gestreckt. Unter Namen wie Basuco oder Paco werden diese Substanzen mit extremem Abhängigkeitspotential bereits mit Erfolg – weil billiger – in den Unterschichten der Armenviertel Südamerikas verkauft. Wir müssen alles daran setzen, dass dieser Dreck nicht auch zu uns gelangt.“

„Unser bisheriges Vorgehen reicht bei weitem nicht aus. Wichtigste Aufgabe ist und bleibt die Einfuhr der Drogen wirkungsvoll zu unterbinden. Parallel dazu sollten wir die Kontakte nach Kolumbien ausbauen.“

Für Konrad Zeller stand wieder eine Auslandsdienstreise im Terminkalender. Das war für seine Maria stets ein willkommener Anlass ihre Beunruhigung über seine Reisen zum Ausdruck zu bringen.

Konrad verstand Marias Besorgnis sehr wohl und versuchte sie zu beruhigen.

„Gerade jetzt besteht kein Grund zur Sorge. Ich fahre in erster Linie nach Deutschland und verbinde diese Reise beim Rückflug mit einem kurzen Zwischenstopp in Venezuela. Diesen Termin hast Du ja selbst für mich vereinbart. Ich freue mich auf diese Reise, da ich Gelegenheit haben werde, in meinem Heimatort das Grab meiner Eltern zu besuchen und meine Schwester und meine Schulfreunde nach langer Zeit wieder zu sehen.“

„Meine Sorge gilt ja nicht Deiner Reise nach Deutschland“, erwiderte Maria, „sondern generell Reisen innerhalb Südamerikas.“

„Dieses Thema haben wir doch nun wirklich oft und lange genug diskutiert“, entgegnete Konrad etwas genervt.

„Wenn man in den Ländern Südamerikas die richtigen Leute kennt, ist das Risiko beherrschbar. Durch meinen Beruf arbeite ich oft für die einflussreiche Klientel im Lande. Da man meinen Sachverstand benötigt, verstehe ich das als eine Art Lebensversicherung für mich.“ Während er sprach nahm er Maria liebevoll in den Arm, liebkoste sie und versprach: „Die nächste Reise nach Deutschland werden wir mit Zacho gemeinsam und ohne lästige Verpflichtungen unternehmen.“

Zacho sah, wie sich beide aneinander kuschelten und drängte sich zwischen seine Eltern, um sich als wichtiger Bestandteil der Familie eingebunden zu fühlen.

Alle drei saßen schließlich eng umschlungen zusammen. Für alle ein Glücksmoment. Aber Marias Sorge brach sich erneut Bahn:

„Deine Auffassung teile ich, wie Du weißt, nur bedingt. Die politisch motivierte Ausübung von Gewalt im Land geht einher mit einer Verletzung fundamentaler Menschenrechte. Der Profit wird privatisiert, die Korruption blüht und der Verlust wird sozialisiert. Auf Einzelpersonen nimmt niemand Rücksicht. Du musst nur einen Blick in die Presse werfen.“

Marias Vater, der unbemerkt ins Zimmer gekommen war, griff den Faden auf: