Zauberklingen - Die Klingen-Saga - Joe Abercrombie - E-Book

Zauberklingen - Die Klingen-Saga E-Book

Joe Abercrombie

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Beschreibung

In einer Welt, in der der sprichwörtliche Dolch im Rücken gerne wörtlich genommen wird, ist es gefährlich ohne Verbündete. Das spürt nicht nur der Soldat Leo dan Brock, der an der erbittert umkämpften Grenze Anglands auf die Hilfe des Königs wartet. Auch Savine dan Glokta, Tochter des meistgehassten Mannes der Union, muss auf ihrem Weg an die Spitze der Gesellschaft erkennen, dass Wille allein noch keine Macht sichert. Und während neue Kräfte Chaos stiften, erhebt sich auch die alte Magie noch einmal, als die Häuptlingstochter Rikke mithilfe einer verrückten Hexe ihre eigenen Zauberkräfte zu entdecken beginnt. Doch zu welchem Preis?

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Seitenzahl: 998

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Von JOEABERCROMBIE sindim Wilhelm Heyne Verlagerschienen:

DIEKLINGEN-SAGA

Kriegsklingen

Feuerklingen

Königsklingen

Racheklingen

Heldenklingen

Blutklingen

Schattenklingen

Zauberklingen

DIEKÖNIGS-TRILOGIE

Königsschwur

Königsjäger

Königskrone

JOE ABERCROMBIE

Zauberklingen

Roman

Aus dem Englischen vonKirsten Borchardt

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der Originalausgabe:

A LITTLE HATRED

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Deutsche Erstausgabe 02/2020

Redaktion: Werner Bauer

Copyright © 2019 by Joe Abercrombie

Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design,

unter Verwendung von shutterstock

(MIKAILBALASHOV, Milan M, Tursunbaev Ruslan, KHIUS)

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-16473-7V001

www.heyne.de

FÜR LOU, MIT EINER »GRIMMIG-DUNKLEN« UMARMUNG

ERSTER TEIL

»Dieses Zeitalter ist verrückt nach Erfindungen; alle Geschäfte der Welt werden nun auf neue Art gemacht.«

DR. JOHNSON

SEGNUNGEN UND FLÜCHE

Rikke.«

Mit großer Anstrengung öffnete sie ein Auge – ein Spalt stechender, übelkeitserregender Helligkeit.

»Komm wieder zurück.«

Die Angesprochene schob das spuckefeuchte Rundholz mit der Zunge aus dem Mund und stieß das erste Wort hervor, das ihr einfiel. »Scheiße.«

»Ja, so ist es gut, mein Mädchen!« Isern hockte sich neben ihr hin, dass die Runen und Fingerknochen an ihrer Kette nur so schaukelten; sie grinste schief, wobei ihre Zahnlücke sichtbar wurde, bot ihr aber keine Hilfe an. »Was hast du gesehen?«

Rikke fasste sich an den Kopf. Es fühlte sich an, als würde ihr der Schädel platzen, wenn sie ihn nicht zusammenhielt. Noch immer zuckten Schatten über die Innenseite ihrer Augenlider, wie diese glühenden Flecken, die man sah, wenn man direkt in die Sonne geblickt hatte.

»Ich sah Leute von einem hohen Turm stürzen. Dutzende.« Bei dem Gedanken daran, wie diese Menschen auf den Boden geprallt waren, zog ein Schatten über ihr Gesicht. »Ich sah Leute, die gehängt wurden. Jede Menge.« Ihre Eingeweide krampften sich bei der Erinnerung an die hin und her schwingenden Körper und die baumelnden Füße zusammen. »Ich sah … eine Schlacht vielleicht? Unter einem roten Berg.«

Isern schniefte. »Wir sind hier im Norden. Da braucht man keine Magie, um eine Schlacht vorherzusagen. Was noch?«

»Ich sah, wie Uffrith brannte.« Es war, als ob Rikke den Rauch noch immer riechen konnte. Sie presste sich die Hand auf das linke Auge. Es fühlte sich heiß an. Brennend heiß.

»Was noch?«

»Ich sah einen Wolf die Sonne verschlingen. Dann fraß ein Löwe den Wolf. Dann fraß ein Lamm den Löwen. Dann fraß eine Eule das Lamm.«

»Das muss ja ein echtes Eulenungeheuer gewesen sein.«

»Oder vielleicht auch ein sehr winziges Lamm? Was bedeutet das?«

Isern berührte ihre vernarbten Lippen mit der Fingerspitze, so wie sie das immer tat, wenn sie kurz davorstand, etwas Wichtiges zu verkünden. »Scheiße, keine Ahnung. Vielleicht wird uns das Rad der Zeit, wenn es sich weiterdreht, die Geheimnisse dieser Visionen offenbaren.«

Rikke spuckte aus, schmeckte aber noch immer Verzweiflung auf der Zunge. »Also … abwarten.«

»Das ist in elf von zwölf Malen die beste Vorgehensweise.« Isern kratzte sich in der kleinen Kuhle über den Schlüsselbeinen und zwinkerte Rikke zu. »Aber wenn ich das so sagen würde, dann würde mich ja niemand für eine große Denkerin halten.«

»Also, zwei Geheimnisse kann ich gleich enthüllen.« Rikke stöhnte und stützte sich auf einen Ellenbogen auf. »Mir tut der Kopf weh, und ich habe mir in die Hosen gekackt.«

»Das zweite ist kein Geheimnis, das hat jeder längst gemerkt, der eine Nase hat.«

»Kacke-Rikke werden sie mich nennen.« Sie rümpfte die Nase, als sie sich ein wenig bewegte. »Und das nicht zum ersten Mal.«

»Dein Problem ist, dass es dich überhaupt interessiert, wie sie dich nennen.«

»Mein Problem ist, dass ich mit Anfällen geschlagen bin.«

Isern grinste und tippte sich auf die Wange unter dem linken Auge. »Du sagst, es sei ein Fluch, ich sage, du bist gesegnet mit dem Langen Auge.«

»Ha.« Rikke rollte sich auf die Knie, und ihr Magen vollführte dieselbe Bewegung, bis sein Inhalt an ihrer Kehle kitzelte. Bei den Toten, sie fühlte sich zerschlagen und ausgequetscht. Es war doppelt so schmerzhaft wie das Erwachen nach einer Nacht mit zu viel Bier, nur fehlten irgendwelche netten Erinnerungen. »Für mich fühlt es sich nicht wie ein Segen an«, meinte sie brummig, nachdem sie zaghaft aufgestoßen und einen Waffenstillstand mit ihrem Magen ausgehandelt hatte.

»Es gibt wenige Segnungen ohne einen darin verborgenen Fluch, und auch kaum Flüche ohne den Hauch eines Segens.« Isern schnitt aus einem getrockneten Klumpen Tschagga ein kleines Stückchen heraus. »Wie bei den meisten Dingen ist es eine Frage der Betrachtung.«

»Sehr tiefsinnig.«

»Wie immer.«

»Vielleicht würde jemand, dem der Kopf weniger wehtut, deine Weisheiten mehr zu schätzen wissen.«

Isern befeuchtete sich die Fingerspitzen mit der Zunge, rollte das Tschagga zu einer kleinen Kugel und hielt sie Rikke hin. »Ich bin ein bodenloser Brunnen der Erkenntnis, kann aber die Unwissenden nicht zwingen, aus mir zu trinken. Jetzt zieh dir die Hosen aus.« Sie stieß ihr typisch wildes, bellendes Lachen aus. »Wie viele Männer es wohl gibt, die nur zu gern diese Worte aus meinem Mund hören würden!«

Rikke lehnte sich mit dem Rücken gegen einen der Bautasteine, auf deren Oberseiten noch Schnee lag, kniff die Augen zusammen, als die Sonne durch die herabhängenden Zweige blitzte, und zog den Pelz, den sie von ihrem Vater bekommen hatte, enger um die Schultern, während ihr der beißende Wind um den nackten Hintern fuhr. Sie kaute das Tschagga, jagte mit schwarzen Fingernägeln nach dem Juckreiz, der über ihren ganzen Körper tanzte, und versuchte ihre Nerven zu beruhigen und die Erinnerungen an den Turm, an die Gehängten und an das brennende Uffrith abzuschütteln.

»Visionen«, murmelte sie. »Ganz sicher ein Fluch.«

Wenig später kam Isern mit Rikkes tropfnassen Hosen wieder über die matschige Böschung. »So rein wie frisch gefallener Schnee! Jetzt stinkst du höchstens noch nach Jugend und Enttäuschung.«

»Du bist mir gerade die Richtige, dich übers Stinken auszulassen, Isern-i-Phail.«

Isern hob ihren sehnigen, tätowierten Arm, schnupperte an ihrer Achselhöhle und stieß einen zufriedenen Seufzer aus. »Ich verströme einen guten, erdigen, fraulichen Duft, so wie der Mond ihn liebt. Wenn dich irgendwelche Gerüche stören, dann hast du dir die falsche Gefährtin ausgesucht.«

Rikke wollte etwas Tschaggasaft ausspucken, stellte sich dabei aber so ungeschickt an, dass der größte Teil dabei auf ihrem Kinn landete. »Wenn du glaubst, ich hätte mir irgendwas davon ausgesucht, dann bist du verrückt.«

»Das hat man über meinen Pa auch gesagt.«

»Der war auch so verrückt wie ein Sack Eulen, das sagst du doch selbst immer!«

»Joh, na ja, was für den einen verrückt ist, ist für den anderen bemerkenswert. Ich muss wohl nicht sagen, dass du noch einen großen Sprung von deinem normalen Selbst entfernt bist. Dieses Mal hast du so heftig um dich getreten, dass du beinahe deine Stiefel verloren hättest. In Zukunft muss ich dich vielleicht fesseln, damit du dir nicht die Rübe aufschlägst und am Ende nur noch sabberst, so wie mein Bruder Brait. Der kann aber wenigstens seine Kacke bei sich behalten.«

»Na, schönen Dank auch.«

»Keine Ursache.« Isern formte mit ihren Fingern eine Raute und blickte durch dieses kleine Feld zur Sonne hinauf. »Wir sollten längst unterwegs sein. Edle Taten werden heute vollbracht. Oder vielleicht auch niedere.« Damit warf sie die Hosen in Rikkes Schoß. »Zieh die besser an.«

»Wie, so nass? Da reibe ich mir doch alles wund.«

Isern schnaubte. »Wenn das alles ist, worüber du dir Sorgen machst?«

»Mir tut der Kopf noch immer so weh, dass ich es in den Zähnen fühle.« Rikke hätte gern geschrien, aber das hätte noch mehr wehgetan, und das wusste sie, deswegen stieß sie die Worte ganz leise hervor. »Noch mehr kleine Unannehmlichkeiten kann ich nicht gebrauchen.«

»Das Leben besteht aus kleinen Unannehmlichkeiten, Mädchen! Daran merkst du, dass du noch lebst.« Wieder stieß Isern ihr bellendes Lachen aus, dann klopfte sie Rikke gut gelaunt mit so viel Schwung auf die Schulter, dass die kurz aus dem Tritt kam und zur Seite stolperte. »Du kannst natürlich auch deinen runden, weißen Arsch frei raushängen lassen, wenn dir das lieber ist, aber jetzt wird gelaufen, angezogen oder nackt.«

»Ein Fluch«, brummte Rikke und quälte sich in ihre feuchten Hosen. »Ganz sicher ein Fluch.«

»Also … meinst du wirklich, ich habe das Lange Auge?«

Isern marschierte wie gewohnt mit weit ausholenden Schritten durch den Wald, was stets dafür sorgte, dass Rikke ein kleines Stück hinter ihr blieb, egal, wie schnell sie ging. »Meinst du, ich würde meine Bemühungen sonst an dich verschwenden?«

Rikke seufzte. »Nein, wohl nicht. Bloß ist es in den Liedern immer eine Kraft, die von den Hexen und Magi und den großen Weisen benutzt wird, um durch den Nebel dessen zu blicken, was kommt. Und keine, wegen der Idioten umfallen und sich vollkacken.«

»Falls dir das noch nie aufgefallen ist, die Barden haben die Angewohnheit, die Dinge ein wenig zu beschönigen. Mit Liedern über weise Hexen kann man nämlich ganz hübsches Geld verdienen, mit Liedern über vollgekackte Idioten weniger.«

Rikke musste sich bekümmert eingestehen, dass das wohl der Wahrheit entsprach.

»Und es ist nicht leicht zu beweisen, dass man das Lange Auge hat. Man kann es nicht zwingen, sich zu öffnen. Man muss es dazu verlocken.« Isern kitzelte Rikke unter dem Kinn, bis die ungehalten den Kopf wegdrehte. »Man muss es an heilige Orte bringen, wo die alten Steine stehen, damit der Mond es ganz bescheinen kann. Aber es sieht dann trotzdem das, was es will.«

»Aber dass Uffrith brennt?« Jetzt, da sie von den Hohen Höhen hinabstiegen und sich ihrem Zuhause näherten, spürte Rikke eine lastende Beklommenheit. Bei den Toten, sie war in Uffrith bestimmt nicht immer glücklich gewesen, aber sie wollte deswegen nicht, dass der Ort in Flammen aufging. »Wie soll denn das geschehen?«

»Dazu reicht wohl schon ein achtlos angezündetes Küchenfeuer.« Iserns Blick glitt zur Seite. »Obwohl ich sagen würde, hier im Norden ist es wahrscheinlicher, dass Städte durch einen Krieg in Brand geraten.«

»Krieg?«

»Ein Krieg ist das, was geschieht, wenn ein Kampf sich so sehr ausweitet, dass fast niemand unbeschadet wieder herauskommt.«

»Ich weiß, was Krieg ist.« Da war ein Fleckchen Angst, das sich in Rikkes Nacken ausbreiten wollte und das sich nicht abschütteln ließ, egal, wie sie ihre Schultern kreisen ließ. »Aber während meines bisherigen Lebens herrschte im Norden immer nur Frieden.«

»Mein Pa hat gesagt, Friedenszeiten gibt es immer dann, wenn die Weisen sich auf Gewalt vorbereiten.«

»Dein Pa war so verrückt wie ein Stiefel voller Dung.«

»Und was sagt dein Pa? Nur wenige sind so klaren Geistes wie der Hundsmann.«

Rikke bewegte die Schultern noch ein wenig weiter, aber es half nichts. »Er sagt, man muss das Beste hoffen und sich auf das Schlimmste vorbereiten.«

»Ein guter Rat, wenn man mich fragt.«

»Aber er hat wirklich finstere Zeiten durchlebt. Immer gekämpft. Gegen Bethod. Gegen den Schwarzen Dow. Da war alles anders.«

Isern schnaubte. »Nein, war es nicht. Ich war dabei, als dein Vater gegen Bethod gekämpft hat, oben auf den Hohen Höhen, mit dem Blutigen Neuner an seiner Seite.«

Rikke sah sie blinzelnd an. »Da kannst du doch höchstens zehn gewesen sein.«

»Alt genug, um einen Mann zu töten.«

»Was?«

»Damals hab ich immer den Hammer von meinem Pa getragen, weil die Kleinste die schwerste Last tragen soll, aber an jenem Tag hat er mit dem Hammer gekämpft, deswegen hatte ich seinen Speer. Diesen hier.« Der Stiel der Waffe schlug mit seinem Ende den Rhythmus ihrer Schritte auf dem Pfad. »Mein Pa hat einen Mann zu Boden geworfen, und als der gerade wieder aufstehen wollte, hab ich ihm den Speer in den Arsch gerammt.«

»Diesen Speer?« Für Rikke war dieses Ding eigentlich nur ein Stock gewesen, den Isern mit sich trug. Ein Stock, der zufällig eine Kappe aus Hirschleder hatte. Ihr gefiel der Gedanke nicht, dass sich darunter eine Klinge verbarg. Erst recht keine, die schon mal im Arsch irgendeines armen Schweins gesteckt hatte.

»Nun, der Schaft ist im Lauf der Zeit ein paar Mal erneuert worden, aber …« Isern blieb wie angewurzelt stehen, hob die tätowierte Hand und verengte die Augen. Rikke hörte nichts außer dem Wispern der Zweige, dem tröpfelnden Geräusch des schmelzenden Schnees und dem Zwitschern der Vögel in den allmählich grün werdenden Bäumen.

Sie beugte sich zu Isern hinüber. »Was ist …«

»Leg einen Pfeil auf deinen Bogen und lass sie reden«, flüsterte Isern.

»Wen denn?«

»Oder, wenn das nicht geht, zeig ihnen die Zähne. Du hast ja sehr schöne Zähne.« Damit huschte sie über die Straße und verschwand unter den Bäumen.

»Meine Zähne?«, zischte Rikke, aber da war Iserns huschender Schatten schon im Brombeergestrüpp verschwunden.

In diesem Augenblick hörte sie die Stimme eines Mannes. »Sicher, dass das hier der richtige Weg ist?«

Sie hatte sich den Bogen über ihre Schulter gehängt, weil sie auf Jagdbeute hoffte, und jetzt ließ sie ihn heruntergleiten, tastete ungeschickt nach einem Pfeil und hätte ihn fast fallenlassen, schaffte es dann aber doch, ihn einzunocken, obwohl ein unruhiges Zucken über ihren Arm lief.

»Wir sollten uns doch im Wald umsehen.« Eine tiefere, härtere, furchterregendere Stimme. »Sieht das hier vielleicht wie’n Wald aus?«

»Wie Bäume doch wohl.«

Gelächter. »Siehste den Wald vor lauter Bäumen nicht?«

Ein alter Mann kam um die Kehre der Straße. Er hielt einen Stab in der Hand, und als er ihn senkte, schimmerte Metall im blattfleckigen Licht. Rikke erkannte, dass es kein Stab, sondern ein Speer war, und sie spürte, wie sich Angst von dem kleinen Fleck in ihrem Nacken immer weiter ausbreitete, bis in ihre Haarwurzeln.

Sie waren zu dritt. Der Alte machte ein betrübtes Gesicht, als ob das alles nicht seine Idee gewesen sei. Dann folgte ein nervöser Junge, der einen Schild und eine kurzstielige Axt trug. Und dann erschien ein großer Kerl mit finsterem Bart und noch finsterer Miene. Rikke gefiel er gar nicht.

Ihr Vater sagte immer, man sollte mit einem Pfeil nur dann auf Leute zielen, wenn man auch wollte, dass sie tot seien, und daher zog sie den Bogen nur halb aus und richtete die Pfeilspitze auf den Boden.

»Ihr bleibt besser mal stehen«, sagte sie.

Der Alte sah sie an. »Mädchen, du hast einen Ring in der Nase.«

»Ist mir bekannt.« Damit streckte sie die Zunge aus und berührte mit der Spitze das Metall. »Der hält mich zusammen.«

»Brichst du sonst auseinander?«

»Meine Gedanken vielleicht schon.«

»Ist der aus Gold?«, fragte der Junge.

»Aus Kupfer«, log sie, da Gold die Eigenschaft besitzt, aus unangenehmen Begegnungen tödliche zu machen.

»Und die Bemalung?«

»Das Zeichen des Kreuzes ist ein wohlfeiles, das der Mond sehr liebt. Das Lange Auge ist das linke Auge, und das Kreuz sorgt dafür, dass sein Blick ungetrübt den Nebel dessen durchdringt, was folgt.« Sie wandte den Kopf und spuckte Tschaggasaft aus, ohne die drei aus den Augen zu lassen, und dann setzte sie ein »vielleicht« hinzu, weil sie sich nicht sicher war, ob das Kreuz wirklich noch etwas anderes bewirkt hatte, außer ihr Kissen zu verschmieren, als sie eines Abends vergessen hatte, es abzuwaschen.

Sie war nicht die Einzige, die ihre Zweifel hatte. »Bist du verrückt?«, knurrte der große Kerl.

Rikke seufzte. Der Frage stellte sie sich nicht das erste Mal. »Was für den einen verrückt ist, ist für den anderen bemerkenswert.«

»Wäre schön, wenn du diesen Bogen weglegen würdest«, sagte der Alte.

»Ich finde, er ist da, wo er ist, genau richtig.« Dabei stimmte das nicht, denn ihre Hand klebte am Holz, ihre Schulter schmerzte von der Anstrengung, ihn halb ausgezogen zu halten, und jetzt meldete sich ein Zucken in ihrem Hals, das sie fürchten ließ, sie könnte die Sehne jeden Augenblick loslassen.

Offenbar wollte sich der Junge noch weniger darauf verlassen, dass sie nicht schoss, jedenfalls beäugte er sie misstrauisch über den Rand seines Schilds. Erst jetzt fiel ihr auf, was darauf gemalt war.

»Du hast einen Wolf auf deinem Schild«, sagte sie.

»Das Zeichen von Stour Dunkelstund«, knurrte der große Kerl mit einem Hauch von Stolz in seiner Stimme, und Rikke sah nun auch auf seinem Schild den Wolf, obwohl der so abgestoßen war, dass er sich kaum noch erkennen ließ.

»Ihr seid Dunkelstunds Männer?« Jetzt hatte die Angst ihre Eingeweide erreicht. »Was macht ihr denn hier unten?«

»Wir wollen dem Hundsmann und seinen Arschkriechern ein Ende machen und Uffrith wieder zurück in den Norden holen, wo es hingehört.«

Rikkes Knöchel wurden weiß, und ihre Angst verwandelte sich in Zorn. »Das werdet ihr nicht, ihr Wichser!«

»Wir sind schon mitten dabei.« Der Alte zuckte die Achseln. »Dir stellt sich nur die Frage, ob du mit den Siegern feiern oder mit den Verlierern wieder zu Schlamm werden willst.«

»Dunkelstund ist der größte Krieger seit dem Blutigen Neuner!«, meldete sich der Junge wieder zu Wort. »Er wird Angland zurückerobern und die Union aus dem Norden verjagen!«

»Die Union?« Rikke blickte wieder auf den Wolfskopf, der schlecht gezeichnet auf seinem schlecht gefertigten Schild prangte. »Ein Wolf fraß die Sonne«, flüsterte sie.

»Die ist total verrückt.« Der große Kerl trat vor. »Jetzt nimm den Bogen …« Dann stieß er ein langgezogenes Keuchen hervor, und sein Hemd beulte sich aus, als ein Stückchen Metall hindurchschimmerte. »Oh«, machte er und brach in die Knie.

Der Junge fuhr herum.

Rikkes Pfeil stak in seinem Rücken, direkt unter dem Schulterblatt.

Jetzt war es an ihr, »oh« zu sagen, weil sie nicht wusste, ob sie die Sehne überhaupt hatte loslassen wollen oder nicht.

Metall blitzte, und der Kopf des Alten ruckte zurück, als die Klinge von Iserns Speer ihn an der Kehle erwischte. Er ließ seinen eigenen Speer fallen und griff mit ungeschickten Fingern nach seiner Gegnerin.

»Pssscht.« Isern schlug ihm die Hand weg und riss die Klinge in einem dunklen Schwall Blut heraus. Der Mann stürzte zuckend zu Boden und fingerte an der großen Wunde an seinem Hals, als ob er den wilden Strom hervorquellenden Bluts damit hätte eindämmen können. Er wollte etwas sagen, aber er hatte kaum ausgespuckt, da rann ihm neues Blut in den Mund. Dann bewegte er sich nicht mehr.

»Du hast sie umgebracht.« Rikke war ganz heiß; auf ihrem Handrücken zeigten sich ein paar rote Flecken. Der große Kerl lag auf dem Bauch, sein Hemd war hinten dunkel getränkt.

»Den da hast du getötet«, sagte Isern. Der Junge kniete noch auf der Straße und atmete in kurzen, pfeifenden Stößen, während er versuchte, auf dem Rücken nach dem Pfeil zu tasten, wobei Rikke keine Ahnung hatte, was er machen wollte, sobald seine Finger den Schaft gefunden hätten. Wahrscheinlich wusste er das auch nicht. Isern war die Einzige, die klar dachte. Sie beugte sich vor und zog dem Jungen ganz ruhig das Messer aus dem Gürtel. »Hatte gehofft, ihm ein, zwei Fragen zu stellen, aber mit dem Pfeil in seiner Lunge wird er uns keine Antworten mehr geben.«

Als wollte er ihre Worte unterstreichen, hustete der Junge Blut in seine Hand und starrte Rikke an. Er sah ein bisschen beleidigt aus, so, als hätte sie etwas Gemeines zu ihm gesagt.

»Tja, niemand findet die Dinge je zu seiner völligen Zufriedenheit vor.« Rikke zuckte zusammen, als Isern dem Jungen das Messer mit lautem Knacken in die Schädeldecke rammte. Seine Augen verdrehten sich, die Beine zuckten, und er bog den Rücken durch. Wahrscheinlich ganz ähnlich wie sie, wenn sie einen Anfall bekam.

Rikke hatten sich die Härchen auf den Armen aufgerichtet, als er schlaff in sich zusammensackte. Noch nie zuvor hatte sie gesehen, wie ein Mensch getötet wurde. Es war alles so schnell gegangen, dass sie sich nicht sicher war, was sie nun fühlte.

»Die schienen gar nicht so böse zu sein«, sagte sie schließlich.

»Für ein Mädchen, das damit kämpft, die Nebel der Zukunft zu durchdringen, kriegst du verdammt wenig von dem mit, was direkt vor deiner Nase passiert.« Isern fasste dem Alten bereits in die Taschen, die Zungenspitze in die Zahnlücke gepresst. »Wenn du wartest, bis sie böse werden, dann hast du zu lange gewartet.«

»Wir hätten ihnen doch eine Chance geben können.«

»Wozu denn? Dass sie dich wieder zu Schlamm werden lassen? Oder zu Stour Dunkelstund schleppen? Da wären wunde Stellen an den Beinen dein kleinstes Problem gewesen, der Kerl hat nämlich einen verdammt schlechten Ruf.« Sie packte den Alten an seinem Hosenbein und schleifte ihn vom Weg ins Unterholz, dann warf sie seinen Speer hinterher. »Oder wollten wir sie vielleicht dazu einladen, mit uns durch den Wald zu tanzen, so mit Blumen im Haar, und sie mit meinen hübschen Worten und mit deinem hübschen Lächeln auf unsere Seite ziehen?«

Rikke spuckte etwas Tschaggasaft aus und wischte sich das Kinn ab, während sie zusah, wie sich das Blut rund um den durchbohrten Kopf des Jungen seinen Weg durch den Dreck bahnte. »Ich glaube kaum, dass mein Lächeln dazu reicht, und deine Worte ganz bestimmt auch nicht.«

»Dann hatten wir keine andere Wahl, als sie umzubringen, oder? Dein Problem ist, du hast zu viel Herz.« Sie setzte Rikke unsanft ihren knochigen Finger auf die Brust.

»Aua!« Rikke drehte sich zur Seite und verschränkte die Arme. »Das tut weh!«

»Du hast viel zu viel Herz, deswegen spürst du jeden Knuff und jeden Piks. Du musst dein Herz zu Stein machen.« Isern schlug sich mit der Faust gegen die Rippen, dass die Fingerknochen an ihrer Halskette mal wieder klapperten. »Rücksichtslosigkeit ist eine Eigenschaft, die der Mond sehr liebt.« Und als wollte sie ihre Worte damit unterstreichen, bückte sie sich und zerrte den toten Jungen ins Gebüsch. »Eine Anführerin muss hart sein, damit andere es nicht sein müssen.«

»Wen führen wir denn an?«, brummte Rikke, die sich die Brust rieb. Und in diesem Augenblick nahm sie den Rauch wahr, genau wie in ihrem Traum. Sie begann, den Weg entlangzulaufen, als zöge sie etwas magisch an.

»Hey!«, rief Isern, die auf einem Stück Trockenfleisch herumkaute, das sie aus dem Beutel des großen Kerls gezogen hatte. »Du musst mir helfen, diesen großen Drecksack wegzuschleppen!«

»Nein«, flüsterte Rikke, während der Brandgeruch stärker wurde und sich damit auch ihre Angst vergrößerte. »Nein, nein, nein.«

Mit einem Satz war sie aus dem Wald heraus und trat ins kalte Licht des Tages, machte noch ein paar wacklige Schritte und blieb dann stehen, den Bogen in der Hand.

Die Morgennebel hatte sich aufgelöst, und sie konnte über den Fleckenteppich frisch bestellter Felder bis nach Uffrith sehen, das hinter seinen grauen Mauern vor dem grauen Meer aufragte. Wo die alte Halle ihres Vaters gestanden hatte, mit dem kargen Stück Garten dahinter. Das sichere, langweilige Uffrith, wo sie geboren und aufgewachsen war. Nur brannte es jetzt, genau, wie sie es gesehen hatte, und eine große Säule schwarzen Qualms stieg empor und beschmutzte den Himmel, bevor er über das rastlose Meer trieb.

»Bei den Toten«, krächzte sie.

Isern kam unter den Bäumen hervor, den Speer über die Schultern gelegt und ein breites Lächeln auf den Lippen. »Weißt du, was das bedeutet?«

»Krieg?«, flüsterte Rikke entsetzt.

»Ja, das auch.« Isern machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber vor allem hatte ich recht!« Sie schlug Rikke so hart auf die Schulter, dass ihre Gefährtin fast umgestürzt wäre. »Du hast das Lange Auge!«

IN DER HITZE DES GEFECHTS

In der Schlacht, hatte Leos Vater immer gesagt, erkennt ein Mann, wer er wirklich ist.

Die Nordmänner wandten sich bereits zur Flucht, als sein Pferd mit einem imposanten Satz mitten in ihre Reihen sprang.

Einen dieser Kerle traf er mit der vollen Wucht des Aufpralls hinten am Helm und riss ihm halb den Kopf ab.

Mit wild verzerrtem Gesicht wandte er sich zur anderen Seite; kurz blitzten glotzende Augen auf, bevor seine Axt in den dazugehörigen Schädel fuhr und ein schwarzer Strahl Blut hervorschoss.

Andere Reiter stürmten ebenfalls in die Gruppe der Nordmänner und schleuderten sie beiseite wie leblose Puppen. Er sah, wie ein Pferd einen Speer in den Kopf bekam; der Reiter flog mit einem Überschlag aus dem Sattel.

Eine Lanze zerbrach, einer der Splitter schlug mit hallendem Krachen gegen Leos Helm, während er sich zur Seite wandte. Die Welt war ein flackernder Schlitz aus verzerrten Gesichtern, schimmerndem Stahl und wogenden Körpern, die er durch die schmale Sichtöffnung in seinem Visier nur eingeschränkt wahrnahm. Die Schreie der Männer, das Brüllen der Reittiere, das Krachen von Metall verband sich zu einem Lärm, der jegliche Gedanken auslöschte.

Ein Pferd kam ihm in die Quere, reiterlos und mit schwingenden Steigbügeln. Ritters Pferd. Das erkannte er an der gelben Satteldecke. Ein Speer stach nach ihm, der Schild an seinem Arm erzitterte von dem Aufprall, und er kam im Sattel kurz ins Wanken. Die Spitze schabte über die Beinschienen seiner Rüstung.

Während sein Ross sich aufbäumte und schnaubte, packte er die Zügel mit der Schildhand, das Gesicht zu einem verkrampften Grinsen verzogen und wild erst links, dann rechts mit seiner Axt drauflosschlagend. Reflexhaft prügelte er auf einen Schild ein, der mit einem schwarzen Wolf bemalt war, trat nach einem Mann, der daraufhin zurücktaumelte, bis Barnivas Säbel aufblitzte und ihm den Arm abschlug.

Er sah Weißwasser-Jin, der seinen Streitkolben schwang und dem das wirre, rote Haar bis vor die zusammengebissenen Zähne hing. Direkt vor ihm kreischte Antaup irgendetwas, während er versuchte, seinen Speer aus einem blutigen Kettenpanzer zu ziehen. Glaward rang mit einem Carl, beide unbewaffnet und in ihre Zügel verheddert. Leo schlug nach dem Nordmann und drückte ihm den Ellenbogen zur falschen Seite durch, schlug wieder zu und schaffte es, ihn zu Boden zu werfen.

Mit seiner Axt deutete er auf Stour Dunkelstunds Standarte – den schwarzen Wolf –, die im Wind flatterte. Er heulte, brüllte, schon ganz heiser. Wegen des geschlossenen Visiers konnte ihn sowieso niemand hören. Nicht, dass das bei offenem Visier so viel anders gewesen wäre. Er wusste kaum, was er da brüllte. Wild schlug er auf die wogenden Leiber ein.

Jemand klammerte sich an sein Bein. Lockiges Haar. Sommersprossen. Sah völlig verstört aus. Wie jeder hier. Schien auch keine Waffe zu haben. Wollte sich vielleicht ergeben. Leo schlug dem Sommersprossigen den Schildrand auf den Kopf, gab seinem Pferd die Sporen und ritt den Gegner nieder.

Das war nicht der rechte Ort für gute Absichten. Oder für ermüdende Feinheiten oder langweilige Gegenargumente. Hier zählte das endlose Herumreiten seiner Mutter auf Geduld und Vorsicht nichts. Alles war herrlich einfach.

In der Schlachterkennt ein Mann, wer er wirklich ist, und Leo war der Held, der er in seinen Träumen schon immer hatte sein wollen.

Wieder schwang er seine Axt, aber sie fühlte sich seltsam an. Das Blatt hatte sich gelöst und war davongeflogen, und nun hielt er nur noch den blutbeschmierten Stiel in der Hand. Er ließ ihn fallen und fasste nach seinem Säbel. Die prickelnden Finger in dem dicken Panzerhandschuh hatten Schwierigkeiten, den Griff zu packen, der zudem durch den immer stärker werdenden Regen glitschig geworden war. Dann erst erkannte er, dass der Mann, gegen den er ausgeholt hatte, tot war. Er war gegen einen Zaun gefallen und sah deshalb noch so aus, als ob er stand, aber aus seinem geborstenen Schädel quoll eine dunkle Masse, und von daher war er wohl erledigt.

Die Nordmänner wankten. Rannten, kreischten, wurden von hinten niedergestreckt, und Leo trieb sie ihrer Standarte entgegen. Drei seiner Reiter hatten eine ganze Gruppe vor einem Tor zusammengepfercht. Barniva war dabei; sein vernarbtes Gesicht war mit Blut bespritzt, und er holte mit seinem schweren Säbel aus.

Der Standartenträger, ein riesiger Kerl mit verzweifeltem Blick und Blut im Bart, reckte immer noch das Banner mit dem schwarzen Wolf in die Höhe. Leo hielt direkt auf ihn zu, blockte die feindliche Axt mit seinem Schild ab und fällte ihn mit einem Säbelhieb, der über den Wangenschutz seines Helms schabte, einen tiefen Schnitt über die Wange zog und dem Mann die halbe Nase wegriss. Er taumelte zurück, und Weißwasser-Jin zertrümmerte den Helm des Mannes mit seinem Streitkolben, sodass Blut unter dem Rand hervorquoll. Leo gab ihm einen Tritt und riss ihm die Standarte aus der Hand, als er stürzte. Dann riss er sie in die Höhe, lachte, gurgelte, erstickte beinahe an seiner eigenen Spucke, als er wieder in Gelächter ausbrach, und da die Schlaufe seiner Axt noch immer an seinem Handgelenk befestigt war, schlug der einsame Stiel gegen seinen Helm.

Hatten sie gesiegt? Er sah sich nach weiteren Feinden um. Einige zerlumpte Gestalten rannten durch die Felder auf die weiter entfernten Bäume zu. Rannten um ihr Leben, die Waffen hatten sie weggeworfen. Das waren die Letzten.

Leo tat alles weh. Die Schenkel schmerzten vom Festhalten auf dem Pferderücken, die Schultern vom Schwingen der Axt, die Hände vom Packen der Zügel. Sogar die Fußsohlen prickelten vor Anstrengung. Seine Brust hob und senkte sich, der Atem donnerte durch seinen Helm, feucht und heiß und salzig. Vielleicht hatte er sich irgendwann auf die Zunge gebissen. Er fummelte an der Schnalle unter dem Kinn, bis es ihm endlich gelang, sich den verdammten Helm vom Kopf zu ziehen. Der Lärm wollte ihm den Schädel sprengen, wandelte sich nun von Wut in Begeisterung. Der Klang des Sieges.

Er fiel beinahe von seinem Pferd, stieg dann auf die Mauer. Etwas gab nach unter seiner behandschuhten Hand. Der Leichnam eines Nordmanns, dem ein abgebrochener Speer im Rücken steckte. Leo fühlte nichts außer trunkener Freude.

Ohne Leichen kein Sieg, so war das eben. Ebenso hätte man über den Abfall beim Kartoffelschälen weinen können. Jemand half ihm hinauf, reichte ihm eine stützende Hand. Jurand. Immer da, wenn er ihn brauchte. Leo richtete sich auf, und die freudigen Gesichter seiner Männer wandten sich ihm zu.

»Der Junge Löwe!«, brüllte Glaward, der zu ihm emporkletterte und ihn mit einem schweren Schlag auf die Schulter beinahe ins Wanken brachte. Jurand streckte die Arme aus, um ihn aufzufangen, aber er fiel nicht. »Leo dan Brock!« Schon riefen sie alle seinen Namen, sangen ihn wie ein Gebet, skandierten ihn wie ein Zauberwort und reckten ihre schimmernden Waffen in den spuckenden Himmel.

»Leo! Leo! Leo!«

In der Schlachterkennt ein Mann, wer er wirklich ist.

Ihm war, als sei er betrunken. Als stünde er in Flammen. Er fühlte sich wie ein König. Wie ein Gott. Das war es, wofür er geschaffen war!

»Sieg!«, brüllte er, schwenkte seinen blutigen Säbel und die blutige Standarte der Nordmänner.

Bei den Toten, konnte es etwas Besseres geben als das hier?

Im Zelt der Statthalterin wurde ein anderer Krieg ausgefochten. Ein Krieg der geduldigen Überlegungen und sorgfältigen Berechnungen, des stirnrunzelnden Abwägens aller Risiken, ein Krieg der Versorgungslinien und fürchterlich vielen Landkarten. Eine Art von Krieg, für den Leo keine Geduld hatte.

Der Glanz des Sieges hatte durch den eisigen Regen auf dem langen Ritt aus dem Tal einiges von seiner Strahlkraft eingebüßt, war durch den dumpfen Schmerz der zahlreichen Schnitte und Prellungen beeinträchtigt und erfuhr jetzt einen letzten Dämpfer durch den kalten Blick, den ihm seine Mutter zuwarf, als er sich mit Jurand und Weißwasser-Jin im Kielwasser durch die Zelttür drängte.

Sie sprach gerade mit einem Heroldsritter. Der Mann war so lächerlich groß, dass er sich aus Respekt weit zu ihr herunterbeugen musste.

»… bitte sagen Sie Seiner Majestät, dass wir hier alles tun, um den Vormarsch der Nordmänner aufzuhalten, aber Uffrith ist verloren, und wir werden zurückgedrängt. Sie haben mit überwältigender Kraft an drei Stellen angegriffen, und wir sammeln noch immer unsere Truppen. Bitten Sie ihn … nein, flehen Sie ihn an, uns Verstärkung zu schicken.«

»Das werde ich, Mylady Statthalterin.« Der Heroldsritter nickte Leo im Vorbeigehen zu. »Meinen Glückwunsch zu Ihrem Sieg, Lord Brock.«

»Wir brauchen die verdammte Hilfe des Königs nicht!«, entfuhr es Leo, kaum dass sich die Zelttür geschlossen hatte. »Wir können die Hunde des Schwarzen Calder schlagen!« Seine Stimme klang seltsam schwach in diesem Zelt, als ob die nasse Leinwand ihre Kraft aufsaugte. Sie trug nicht halb so weit wie draußen auf dem Schlachtfeld.

»Ha.« Seine Mutter stützte ihre Fäuste auf den Tisch und sah grimmig auf die Landkarten hinab. Bei den Toten, manchmal hatte er das Gefühl, dass sie diese Karten mehr liebte als ihn. »Wenn wir die Schlachten des Königs schlagen sollen, dann sollten wir auch seine Hilfe erwarten können.«

»Du hättest sehen sollen, wie sie gerannt sind!« Verdammt noch eins, nur einen Augenblick zuvor war Leo noch voll Selbstbewusstsein gewesen. Wenn er einer Linie Carls gegenüberstand, wankte er kein bisschen, aber eine Frau mit langem Hals und ergrauendem Haar ließ jeglichen Mut aus seinen Adern sickern. »Sie hatten schon die Hosen voll, bevor wir sie überhaupt erreicht hatten! Wir haben ein paar Dutzend Gefangene gemacht …« Er sah zu Jurand hinüber, aber der bedachte Leo jetzt mit diesem zweifelnden Blick, wie immer, wenn er mit etwas nicht einverstanden war. So, wie er auch vor dem Angriff ausgesehen hatte. »Und wir haben den Hof zurückerobert … und …«

Seine Mutter wartete ab, bis sein Stottern zu Schweigen verebbt war, und wandte sich dann zunächst an seine Freunde. »Ich danke Ihnen, Jurand. Ich bin mir sicher, dass Sie Ihr Bestes getan haben, um ihm diese Sache auszureden. Und Ihnen, Weißwasser. Mein Sohn könnte sich keine besseren Freunde wünschen, und ich mir keine tapfereren Krieger.«

Jin schlug Leo hart auf die Schulter. »Es war Leo, der den Angriff …«

»Sie können gehen.«

Jin kratzte sich verlegen den Bart, er zeigte hier wesentlich weniger Kampfgeist als unten im Tal. Jurand sah Leo an und verzog ganz kurz entschuldigend das Gesicht. »Natürlich, Lady Finree.« Sie schlichen aus dem Zelt und ließen Leo stehen, der unsicher mit dem Saum der eroberten Standarte spielte.

Seine Mutter ließ das erdrückende Schweigen noch ein Weilchen andauern, bevor sie ihr Urteil abgab. »Du verdammter Narr.«

Zwar hatte er gewusst, dass das kommen würde, aber es tat trotzdem weh. »Weil ich tatsächlich gekämpft habe?«

»Weil du zu dieser Zeit gekämpft hast, und auf diese Weise.«

»Große Anführer findet man in der Hitze des Gefechts! Dort, wo es am heißesten hergeht!« Aber er wusste, dass er sich so anhörte wie einer der Helden aus den schlecht geschriebenen Geschichten, die er so geliebt hatte.

»Weißt du, was man dort, wo es am heißesten hergeht, auch findet?«, fragte seine Mutter. »Tote. Wir wissen beide, dass du kein Narr bist, Leo. Wen versuchst du also davon zu überzeugen?« Sie schüttelte müde den Kopf. »Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass dein Vater dich eine Weile zum Hundsmann gesandt hat. Du hast in Uffrith nichts gelernt außer Hitzköpfigkeit, schlechte Lieder und eine kindische Bewunderung für Mörder. Ich hätte dich nach Adua schicken sollen. Dein Gesangstalent hätte sich zwar nicht verbessert, aber du hättest zumindest ein wenig Finesse vermittelt bekommen.«

»Es gibt eine Zeit für Finesse und eine Zeit zum Zuschlagen!«

»Aber keine für Unbeherrschtheit, Leo. Oder für Eitelkeit.«

»Wir haben verdammt noch mal gewonnen!«

»Was haben wir denn gewonnen? Einen wertlosen Bauernhof in einem wertlosen Tal? Das hier war kaum mehr als ein Kundschaftertrupp, und jetzt kann sich der Feind ein Bild von unserer Stärke machen.« Mit einem bitteren Schnauben wandte sie sich wieder ihren Karten zu. »Oder vielmehr, unserer Schwäche.«

»Ich habe eine Standarte erobert.« Plötzlich erschien ihm das Ding lächerlich, schlecht gestickt und an etwas befestigt, das eher nach einem Ast als nach einer Fahnenstange aussah. Wie hatte er glauben können, dass Stour Dunkelstund selbst darunter ritt?

»Wir haben jede Menge Flaggen«, sagte seine Mutter. »Was uns fehlt, sind Männer, die ihnen folgen können. Vielleicht könntest du nächstes Mal ein paar Regimenter erobern, die uns dann verstärken?«

»Verdammt noch eins, Mutter, ich weiß nicht, wie ich es dir recht machen soll …«

»Indem du zuhörst, wenn man dir etwas sagt. Indem du von jenen lernst, die es besser wissen. Sei tapfer, wenn es sein muss, aber nicht unbesonnen. Und vor allem, lass dich verdammt noch mal nicht umbringen! Du hast immer genau gewusst, wie du es mir recht machen könntest, Leo, aber dir ist es offenbar wichtiger, das zu tun, was dir gefällt.«

»Das kannst du nicht verstehen! Du bist kein …« Er machte eine ungeduldige Handbewegung, weil ihm wieder einmal die rechten Worte nicht einfallen wollten. »Du bist kein Mann.«

Sie hob eine Augenbraue. »Hätte ich in dieser Hinsicht jemals meine Zweifel gehabt, so wären sie wohl endgültig ausgeräumt worden, als ich dich aus meinem Schoß herauspresste. Hast du eine Vorstellung davon, wie viel du als Säugling gewogen hast? Verbringe du einmal zwei Tage damit, einen Amboss auszukacken, und dann unterhalten wir uns noch einmal.«

»Zur Hölle, Mutter! Ich meine, dass Männer zu einer bestimmten Art von Mann aufblicken, und …«

»So wie dein Freund Ritter zu dir aufgeblickt hat?«

Unvermittelt überwältigte Leo die Erinnerung an das reiterlose Pferd, das an ihm vorübergeprescht war. Ihm wurde klar, dass Ritter nicht bei seinen Freunden gewesen war, als sie ihren Sieg gefeiert hatten. Erst jetzt merkte er, dass er darüber bisher nicht einmal nachgedacht hatte.

»Er kannte die Gefahren«, krächzte er, und vor Sorge brach ihm beinahe die Stimme. »Er hatte den Kampf gewählt. Er war stolz, kämpfen zu dürfen!«

»Das war er. Weil du dieses Feuer in dir hast, das Männer dazu bringt, dir zu folgen. Dein Vater hatte es auch. Aber diese Gabe bringt auch Verantwortung mit sich. Männer legen ihr Leben in deine Hände.«

Leo schluckte, und der zusammenschmelzende Stolz hinterließ ein hässliches Schuldgefühl, so wie frischer Schnee schmilzt, um den Blick auf eine verdorbene, verwahrloste Welt freizugeben. »Ich sollte nach ihm sehen.« Er wandte sich zur Zelttür um und wäre beinahe über einen losen Riemen an einer seiner Beinschienen gestolpert. »Ist er … unter den Verwundeten?«

Das Gesicht seiner Mutter hatte weichere Züge angenommen. Das jedoch steigerte seine Befürchtungen nur. »Er ist unter den Toten, Leo.« Es folgte eine lange, seltsame Stille, und draußen frischte der Wind auf und ließ die Leinwand der Zelttür leise flattern. »Es tut mir leid.«

Ohne Leichen kein Ruhm. Er sank auf einen faltbaren Feldstuhl, die erbeutete Standarte fiel klappernd zu Boden.

»Er hat gesagt, wir sollten auf dich warten«, raunte er, während Ritters sorgenvolles Gesicht in seiner Erinnerung vor ihm aufstand, wie er ins Tal hinabblickte. »Genau wie Jurand. Ich meinte, sie könnten ja alle bei den Ladys bleiben … während wir das Kämpfen übernehmen würden.«

»Du hast getan, was du für richtig hieltest«, sagte seine Mutter leise. »In der Hitze des Gefechts.«

»Er hatte eine Frau …« Leo erinnerte sich an die Hochzeit. Wie zur Hölle hieß sie noch? So ein Mädchen mit leicht fliehendem Kinn. Der Bräutigam hatte fescher ausgesehen. Das glückliche Paar hatte getanzt, ziemlich schlecht, und Weißwasser-Jin hatte auf Nordisch gebrüllt, dass er hoffte, Ritter sei beim Ficken besser als beim Tanzen. Leo hatte so sehr gelacht, dass er beinahe gekotzt hatte. Jetzt war ihm nicht mehr nach Lachen zumute. Nach Kotzen aber schon. »Bei den Toten … er hat ein Kind.«

»Ich werde ihnen schreiben.«

»Was soll denn ein Brief ausrichten?« Er spürte hinten in seiner Nase die ersten Tränen aufsteigen. »Ich werde ihnen mein Haus geben. In Ostenhorm!«

»Bist du sicher?«

»Wozu brauche ich ein Haus? Ich verbringe doch ohnehin die ganze Zeit im Sattel.«

»Du hast ein großes Herz, Leo.« Seine Mutter ging vor ihm in die Hocke. »Zu groß, denke ich manchmal.« Ihre blassen Hände nahmen sich in seinen gepanzerten Fäusten seltsam klein aus, waren aber dennoch die stärkeren. »Du hast das Zeug dazu, ein großer Mann zu sein, aber du kannst dich nicht immer von jedem Gefühl, das in dir aufwallt, mitreißen lassen. Schlachten mögen gelegentlich von den Tapferen gewonnen werden, aber Kriege gewinnen immer die Klugen. Verstehst du?«

»Ja, das verstehe ich«, flüsterte er.

»Gut. Gib den Befehl, den Hof wieder zu verlassen und den Rückzug nach Westen anzutreten, bevor Stour Dunkelstund mit seinem ganzen Heer anrückt.«

»Aber wenn wir jetzt zurückfallen … dann ist Ritter für nichts gestorben. Wenn wir zurückfallen … wie sieht das denn aus?«

Sie erhob sich. »Wie weibliche Schwäche und Unentschlossenheit, hoffe ich. Dann werden sich vielleicht die Hitzköpfe auf Seiten der Nordmänner durchsetzen und uns mit männlichem Grinsen auf den männlichen Gesichtern verfolgen, und wenn die Soldaten des Königs endlich hier ankommen, werden wir sie auf einem von uns gewählten Gelände in Stücke hacken.«

Leo blinzelte, den Blick zu Boden gerichtet, und fühlte die Tränen auf seinen Wangen. »Verstehe.«

Jetzt sprach sie mit ihrer sanften Stimme. »Es war hitzig, es war unbedacht, aber es war tapfer, und … wie auch immer es sein mag, Männer sehen tatsächlich zu einer bestimmten Sorte Mann auf. Ich will nicht leugnen, dass wir alle etwas brauchen, für das wir uns begeistern können. Du hast Stour Dunkelstund eine blutige Nase verpasst, und große Krieger geraten leicht in Zorn. Und zornige Männer machen Fehler.« Sie drückte ihm etwas in seine schlaffe Hand. Die Standarte mit Dunkelstunds Wolf. »Dein Vater wäre auf deine Tapferkeit stolz gewesen, Leo. Jetzt mache mich stolz mit deinem Urteilsvermögen.«

Er stolperte mit hängenden Schultern zum Ausgang, und es kam ihm vor, als ob das Gewicht seiner Rüstung dreimal schwerer auf ihnen lastete als vorhin, als er eingetreten war. Ritter war nicht mehr da, er würde auch nie wiederkommen, sondern hatte seine Frau mit dem fliehenden Kinn weinend am Feuer sitzen lassen. Getötet durch seine eigene Loyalität und durch Leos Eitelkeit und Leos Achtlosigkeit und Leos Arroganz.

»Bei den Toten.« Er versuchte sich die Tränen mit dem Handrücken wegzuwischen, aber das wollte ihm wegen der schweren Handschuhe nicht gelingen, daher nutzte er kurz entschlossen den Saum der erbeuteten Standarte.

In der Schlacht erkennt ein Mann, wer er wirklich ist.

Er erstarrte, als er nach draußen ins Licht trat. Es sah aus, als hätte sich das ganze Regiment in einem Halbkreis rund um das Zelt seiner Mutter aufgestellt.

»Ein Hurra für Leo dan Brock!«, brüllte Glaward, der Leos Handgelenk mit seiner Pranke umschloss und in die Höhe riss. »Der Junge Löwe!«

»Der Junge Löwe!«, bellte Barniva in den lauten Jubel hinein. »Leo dan Brock!«

»Ich habe versucht, dich zu warnen.« Jurand beugte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr. »Hat sie dir einen ordentlichen Einlauf verpasst?«

»Nicht mehr, als ich verdient habe.« Aber jetzt gelang auch Leo ein kleines Lächeln. Nur zugunsten der Moral. Niemand konnte leugnen, dass sie alle etwas brauchten, für das sie sich begeistern konnten.

Der Jubel wurde lauter, als er die armselige Standarte in die Höhe hielt, und Antaup kam nach vorn und warf die Arme in die Höhe, um die Rufe noch zu steigern. Einer der Männer, der zweifelsohne schon betrunken war, zog sich die Hosen herunter und zeigte dem Norden seinen blanken Hintern, was auf große Zustimmung stieß. Dann kippte er vornüber, und nun folgte großes Gelächter. Glaward und Barniva schnappten sich Leo und hoben ihn sich auf die Schultern, während Jurand die Arme in die Hüften stemmte und mit den Augen rollte.

Der Regen hatte nachgelassen, und die Sonne glänzte auf polierten Rüstungen, geschärften Klingen und lächelnden Gesichtern.

Es war schwer, sich jetzt nicht viel besser zu fühlen.

KEIN PLATZ FÜR SCHULDGEFÜHLE

Der Schnee war ganz und gar geschmolzen und hatte die Welt kalt und trostlos zurückgelassen. Der eisige Matsch, der den Boden bedeckte, durchweichte allmählich Rikkes Stiefel und spritzte gegen ihre ohnehin feuchten Hosenbeine. Kalter Tau tropfte endlos von den schwarzen Ästen, in ihr nasses Haar, auf den durchnässten Mantel und rann über ihren wundgeriebenen Rücken. Die Nässe von oben traf sich mit der Nässe von unten ungefähr auf Höhe ihres Gürtels, den sie ein Stückchen enger hatte schnallen müssen, da sie in den drei Tagen, seit sie einen Jungen getötet und ihre Heimat hatte brennen sehen, nichts gegessen hatte.

Aber immerhin konnte es jetzt nicht mehr schlimmer werden. Das sagte sie sich selbst jedenfalls die ganze Zeit.

»Wäre schön, wenn man jetzt auf einer Straße unterwegs sein könnte«, brummte sie und versuchte, ihren Fuß aus einem sehr anhänglichen Brombeergestrüpp zu befreien, wobei sie sich die Haut jedoch nur noch mehr aufschürfte.

Isern hatte ein unnatürliches Gespür dafür, in einem Sumpf die trockenen Stellen zum Drauftreten zu finden. Rikke war überzeugt, dass ihre Gefährtin auf Seerosenblättern einen Teich hätte überqueren können, ohne nasse Füße zu bekommen. »Wer sonst könnte sich denn wohl über diese Straßen schleichen, wenn wir mal überlegen?«

»Stour Dunkelstunds Männer«, gab Rikke verstockt zurück.

»Joh, und die von seinem Onkel Scale Eisenfaust und seinem Vater, dem Schwarzen Calder. Die Dornen mögen dir ja deine daunenweiche Haut zerkratzen, aber sie gehen längst nicht so tief wie deren Schwerter.«

Rikke fluchte, als sich der zähe Schlamm an ihrem Fuß festsaugte und ihr beinahe einen Stiefel auszog. »Wir könnten wenigstens über etwas höher gelegenes Gelände gehen.«

Isern rieb sich die Nasenwurzel, als hätte sie noch nie etwas so Dummes gehört. »Wer sonst durchstreift denn wohl gerade das höher gelegene Gelände, was meinst du?«

Rikke schob sich den Tschaggaklumpen mit der Zunge missmutig von der Oberlippe hinter die Unterlippe. »Stour Dunkelstunds Kundschafter.«

»Und die von Scale Eisenfaust und die vom Schwarzen Calder. Und da sie nun einmal dort sind und über die Straßen und die Hänge wimmeln wie Läuse über einen Pelz, wo sollten wir dann am besten sein?«

Rikke erschlug ein Insekt auf ihrem schweiß- und dreckverklebten Handrücken. »Hier unten am Grund des Tals, bei den Brombeeren, dem Matsch und den verdammten Scheiß-Stechmücken.«

»Tja, ganz offensichtlich bringt es nichts als Verdruss, wenn ein feindliches Heer über dein Land marschiert. Du hast die Welt immer für deinen Spielplatz gehalten. Der ist jetzt voller Gefahren, Mädchen. Versuch mal, dich dementsprechend zu verhalten.« Isern glitt so schnell und geräuschlos wie eine Schlange durch das Dickicht, während Rikke sinnlos fluchend hinter ihr herstolperte.

Sie hatte sich eigentlich immer für eine abgehärtete Wildniskennerin gehalten, aber verglichen mit ihrer Begleiterin war sie ein dummes Stadtpflänzchen. Isern-i-Phail kannte jeden Weg, wenn man den Gerüchten glauben wollte. Sogar noch besser als ihr Vater. Rikke hatte in den letzten Wochen, in denen sie Isern beobachtet hatte, von ihr mehr gelernt als von dem idiotischen Unionstutor, der sie ein Jahr lang in Ostenhorm unterrichtet hatte. Zum Beispiel, wie man aus Farnwedeln einen Unterschlupf baute. Wie man Kaninchenfallen aufstellte, auch wenn sie darin nichts gefangen hatten. Wie man die eigene Marschrichtung danach bestimmte, auf welcher Seite der Baumstämme das Moos wuchs. Wie man Mensch und Tier im Wald allein am Schritt erkannte.

Manche sagten, Isern sei eine Hexe, und sie sah tatsächlich ein bisschen so aus und hatte auch das entsprechende Temperament, aber auch sie konnte in den letzten Wintertagen aus Steinen und Moorwasser kein Essen zaubern. Leider.

Während die Sonne hinter den Hügeln versank und die Täler noch kälter zurückließ als tagsüber, wanden sie sich wie die Würmer in eine Spalte zwischen ein paar Felsblöcken und kuschelten sich aneinander, um sich zu wärmen, während der Wind auffrischte und der Nieselregen in einen beißenden Graupelschauer überging.

»Meinst du, du könntest irgendwo in diesem Tal einen Stock finden, der trocken genug wäre, dass er brennt?«, flüsterte Rikke, die sich die fischig-kalten Hände in ihrem dampfenden Atem rieb und sie sich dann in ihre Achselhöhlen klemmte, wo sie sich nicht etwa aufwärmten, sondern zunächst einmal einen Kälteschauer über ihren restlichen Körper schickten.

Isern beugte sich über den Rucksack mit den schwindenden Vorräten und betrachtete ihn wie ein Geizhals seinen Goldschatz. »Selbst wenn, der Rauch könnte Jäger herbeilocken.«

»Dann frieren wir also weiter«, sagte Rikke kleinlaut.

»So ist das zu Beginn des Frühlings, wenn deine Feinde dir die väterliche Halle unterm Hintern weggezogen haben und du kein schönes, warmes Feuer mehr hast, an dem du dich wärmen kannst.«

Rikke wusste, was die Leute über sie erzählten, und vielleicht waren in ihrem Kopf nicht die richtigen Dinge am richtigen Platz, aber sie hatte schon immer einen scharfen Blick dafür gehabt, was um sie herum geschah. Und so erkannte sie trotz der Düsternis und Iserns flinken Fingern, dass die Bergfrau nur halb so viel aß, wie sie ihr reichte. Sie bemerkte es, und sie war dankbar dafür, und sie wünschte sich das Rückgrat, um auf eine faire Aufteilung zu bestehen, aber sie war einfach so verdammt hungrig. Sie schlang ihren Streifen Dörrfleisch so schnell hinunter, dass sie, ohne es zu merken, den Tschaggaklumpen mitgegessen hatte.

Während sie sich den herrlichen Geschmack altbackenen Brots von den Zähnen leckte, kehrte die Erinnerung an den Jungen zurück, den sie erschossen hatte. Der so ein Stück gefärbtes Tuch um den Hals getragen hatte, wie Mütter es ihren Söhnen geben, damit sie nicht frieren. Der sie so verletzt, verwirrt angesehen hatte. So, wie sie vielleicht manchmal geguckt hatte, wenn die anderen Kinder über ihre Zuckungen lachten.

»Ich habe diesen Jungen umgebracht.« Sie zog kalten Rotz in der Nase hoch und spuckte ihn aus.

»Joh.« Isern schnitt sich ein Stück Tschagga ab und schob es sich hinter die Lippe. »Du hast ihn erledigt, jeden, der ihn kannte, seiner Gesellschaft beraubt und all das Gute, was er je hätte tun können, aus der Welt geschnitten.«

Rikke blinzelte. »Na, aber du warst es wohl, die ihm den Schädel gespalten hat!«

»Das war reine Gnade. Er wäre ohne jeden Zweifel an deinem Pfeil verreckt.«

Rikke merkte, dass sie sich den Rücken rieb und dabei versuchte, mit dem Daumen an die Stelle zu kommen, an der ihr Pfeil gesteckt hatte, aber sie konnte sie nicht ganz erreichen. Ebenso wenig wie dieser Junge. »Ich glaub nicht, dass er das verdient hatte.«

»Ob verdienen oder nicht, darum kümmert so ein Pfeil sich nicht. Der beste Schutz gegen Pfeile liegt nicht in einem anständigen Leben, sondern darin, dass man selbst diejenige ist, die sie abschießt, kapiert?« Isern lehnte sich gegen ihren Rücken. Sie roch nach Schweiß und Erde und weichgekautem Tschagga. »Sie waren Feinde deines Vaters. Unsere Feinde. War ja nicht so, als hätten wir uns anders entscheiden können.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich überhaupt entschieden hatte.« Rikke pulte an den Rändern ihrer entzündeten Fingernägel, während sie die Erinnerung immer wieder und wieder an sich vorüberziehen ließ. »Ich habe bloß die Sehne nicht richtig festgehalten. Nur ein blöder Fehler.«

»Du könntest aber auch von einer sehr glücklichen Fügung sprechen.«

Rikke hüllte sich in ihren kalten Mantel und ihre triste Stimmung. »Dann gibt’s wohl keine Gerechtigkeit, was? Weder für ihn noch für mich. Nur eine Welt, die den Blick abwendet und der wir alle scheißegal sind.«

»Wieso sollte das auch anders sein?«

»Ich habe diesen Jungen getötet.« Rikkes Fuß zuckte, und aus dem Zucken wurde ein Zittern, das ihr Bein erfasste und schließlich über ihren ganzen Körper lief. »Wie auch immer ich die Sache betrachte … sie fühlt sich einfach nicht richtig an.«

Sie spürte Iserns Hand fest auf ihrer Schulter und war dankbar dafür. »Wenn es sich jemals richtig anfühlen sollte, Leute umzubringen, dann hast du ein ganz anderes Problem. Schuld kann schon brennen, aber du solltest dankbar dafür sein.«

»Dankbar?«

»Schuld ist denen vorbehalten, die sie sich leisten können, weil sie noch atmen, keine unerträglichen Schmerzen haben und nicht so viel Hunger und Durst verspüren, dass sie an nichts anderes mehr denken können. Solange Schuld dein großes Problem ist, Mädchen …« Rikke sah Iserns Zähne in der heraufziehenden Dunkelheit schimmern. »So lange kann es nicht so schlimm sein.«

Sie gab Rikke einen Klaps auf den Oberschenkel und stieß ein hexenhaftes Gackern aus, und vielleicht war tatsächlich etwas Zauberei dabei, denn Rikke lächelte zum ersten Mal seit ein oder zwei Tagen, und allein das gab ihr ein etwas besseres Gefühl. Ein Lächeln ist der beste Schild, hatte ihr Vater immer gesagt.

»Wieso hast du mich nicht einfach zurückgelassen?«, fragte sie.

»Ich habe deinem Pa mein Wort gegeben.«

»Joh, aber die Leute sagen, du seist das unzuverlässigste Miststück im ganzen Norden.«

»Du solltest besser wissen als alle anderen, wie viel man darauf geben kann, was die Leute sagen. Es ist so, dass ich mein Wort nur gegenüber denen halte, die ich mag. Vielleicht wirke ich deswegen unzuverlässig, weil es abseits der Berge nur sieben solcher Menschen gibt.« Sie ballte ihre tätowierte Hand zitternd zu einer Faust. »Für diese sieben bin ich ein Fels.«

Rikke schluckte. »Dann magst du mich also?«

»Kann sein.« Isern öffnete die blaue Faust und schüttelte die Finger, bis die Knöchel knackten. »Bei dir bin ich noch nicht ganz sicher, aber ich mag deinen Vater, und dem habe ich mein Wort gegeben. Dafür zu sorgen, dass deine Anfälle aufhören, und dass ich dein Langes Auge dazu überreden will, sich zu öffnen, und dass ich dich lebendig zu ihm zurückbringe. Nach dieser kleinen Unannehmlichkeit mit dem Überfall auf Uffrith mag er nicht mehr in der Stadt sein, aber aus meiner Sicht besteht meine Verpflichtung nach wie vor, egal, wohin ihn Stour Dunkelstunds Drecksäcke vertrieben haben mögen.« Ihre Augen glitten hinüber zu Rikke wie die einer schlauen Füchsin, die einen unbewachten Hühnerstall erspäht. »Aber ich gebe zu, dass es auch einen ganz eigennützigen Grund gibt, und das ist gut für dich, denn eigennützige Gründe sind die einzigen, denen du trauen solltest.«

»Welchen Grund denn?«

Isern riss die Augen so weit auf, dass sie aus ihrem dreckigen Gesicht zu springen drohten. »Weil ich weiß, dass ein besserer Norden auf uns wartet. Ein Norden, der nicht mehr unterdrückt wird von Scale Eisenfaust oder dem, der seine Strippen zieht, dem Schwarzen Calder. Und auch nicht von dem, der dessen Strippen zieht. Ein Norden, der frei ist und in dem alle ihren eigenen Weg wählen dürfen.« Isern beugte sich in der Dunkelheit ganz nahe zu ihr. »Und dein Langes Auge wird uns den Weg dorthin zeigen.«

DIE MESSLATTE DES ERFOLGS

Ein Funkenregen stob durch die Nacht, und die Hitze schlug unvermittelt gegen Savines lächelndes Gesicht. Hinter dem gähnenden Tor verlieh das Glühen geschmolzenen Metalls den bis zum Äußersten geforderten Menschen und den bis zum Äußersten geforderten Maschinen einen teuflischen Schimmer. Hämmer klopften, Ketten rasselten, Dampf zischte, Arbeiter fluchten. Die Musik des Geldes.

Ein Sechstel der Eisengießerei Bergstraße gehörte immerhin ihr.

Einer der sechs großen Schuppen war ihr Eigentum. Zwei der zwölf aufragenden Schornsteine. Ein Sechstel der neuen Maschinen, die sich im Innern der Gebäude drehten, ein Sechstel der Kohlen, die in großen Haufen in den Hof geschaufelt wurden, ein Sechstel der vielen Hundert funkelnden Glasscheiben, die auf die Straße hinausblickten. Gar nicht zu reden von dem einen Sechstel der beständig wachsenden Profite. Eine Flut aus Silber, mit der vermutlich nicht einmal die königlichen Münzstätten mithalten konnten.

»Hier sollten Sie sich besser nicht zu lange aufhalten, Mylady«, raunte Zuri, und ihre Augen spiegelten die Feuer, als sie sich in der dunklen Straße umsah.

Sie hatte recht, wie immer. Die meisten jungen Damen in Savines Bekanntenkreis wären in Ohnmacht gefallen angesichts der Vorstellung, dieses Viertel Aduas ohne eine Kompanie Soldaten zur Bewachung zu betreten. Aber wer die Höhen der Gesellschaft erklimmen will, muss bereit sein, gelegentlich in die Tiefen hinabzusteigen, wenn im Dreck dort unten etwas funkelt, das eine gute Gelegenheit verspricht.

»Gehen wir«, sagte Savine. Ihre Stiefelabsätze machten ein schmatzendes Geräusch, als sie dem kleinen Jungen folgte, der mit seiner Fackel für Beleuchtung sorgte, während er sie in ein Labyrinth kleiner Gassen führte. Schmale Häuser, in denen jeder Raum von einer ganzen Familie bevölkert wurde, lehnten sich aneinander, dazwischen erstreckte sich ein Spinnennetz aus Leinen mit flatternder Wäsche, unter der hochbeladene Karren entlangrumpelten, die den Dreck bis an die Dächer spritzen ließen. Dort, wo die Häuserblocks noch nicht den neuen Fabriken und Manufakturen hatten weichen müssen, stanken die gewundenen Gässchen nach dem Qualm und Rauch von Holz und Kohlen sowie verstopften oder gar nicht erst vorhandenen Abwasserkanälen. In diesem Viertel wimmelte es vor Menschen. Es schäumte vor Industrie. Und vor allem kochte es vor Profit.

Savine war bei Weitem nicht die Einzige, die das bemerkt hatte. Es war Zahltag, und Verkäufer schwärmten zwischen den Lagerhäusern und Schmieden umher, in der Hoffnung, die Arbeiter auf dem Weg nach Hause um ihren Lohn zu erleichtern, indem sie ihnen kleine Vergnügungen und magere Notwendigkeiten anboten – oder durchaus auch sich selbst.

Andere hofften, sich gleich die ganzen Börsen zu sichern. Schmutzige kleine Beutelschneider drängten sich durch die Menge. Straßenräuber lauerten in der Dunkelheit der schmalen Straßen. Schläger drückten sich an den Ecken herum und trieben ausstehende Schulden für die vielen Geldverleiher des Viertels ein.

Es mochte hier riskant sein, vielleicht sogar gefährlich, aber Savine liebte schon immer den Kitzel des Glücksspiels, vor allem, wenn sie von vornherein im Vorteil war. Schon vor langer Zeit hatte sie gelernt, dass es vor allem auf den richtigen Eindruck ankam. Wenn man wie ein Opfer aussah, wurde man schnell auch eins. Wenn man jedoch so aussah, als hätte man das Sagen, dann gaben sich die Leute alle Mühe, einem zu gehorchen.

Daher marschierte sie mit federndem Schritt dahin, elegant nach der neuesten Mode gekleidet, und senkte vor niemandem den Blick. Sie ging schmerzhaft gerade aufgerichtet, was jedoch auch wegen des Korsetts, das Zuri zuvor straff geschnürt hatte, gar nicht anders ging. Sie marschierte über die Straße, als ob sie ihr gehörte – und tatsächlich besaß sie ganz in der Nähe fünf verfallende Häuser, vollgestopft bis an die faulenden Dachbalken mit gurkhisischen Flüchtlingen, die ihr das Doppelte der üblichen Miete zahlten.

Zuri, die neben Savine dahinging, sorgte für ein sicheres Gefühl auf der einen Seite, auf der anderen war da das herrlich geschmiedete Kurzeisen, das sie seit Neuestem trug. Viele junge Ladys hatten sich jüngst Degen angeschafft, seit Finree dan Brock für eine Sensation gesorgt hatte, als sie bei Hofe mit einer solchen Waffe erschienen war. Savine hatte die Erfahrung gemacht, dass einem nichts so viel Selbstbewusstsein verlieh wie das Wissen, eine Elle geschärftes Metall in Reichweite zu haben.

Der Junge mit der Fackel blieb bei einem besonders heruntergekommenen Gebäude stehen und hob das Licht zum abblätternden Schild auf dem Türsturz.

»Ist das wirklich der rechte Ort?«, fragte er.

Savine raffte ihre Röcke zusammen, damit sie in die Hocke gehen und in sein dreckverschmiertes Gesichtchen blicken konnte. Sie fragte sich, ob er sich die Dreckspritzer mit ebenso viel Sorgfalt applizierte wie ihre Zofen ihren Puder, um so den richtigen mitleiderregenden Eindruck zu erwecken. Saubere Kinder brauchten schließlich keine milden Gaben.

»Ja, das ist der rechte Ort. Wir danken dir von Herzen, dass du uns geführt hast.« Zuri ließ eine Münze in Savines Hand gleiten, damit sie dem Kleinen das Geld hinstrecken konnte.

Gelegentlich ließ sie sich ganz gern zu sentimentaler Zurschaustellung von Großzügigkeit hinreißen. Dass man seine Partner hinter verschlossenen Türen melkte, hatte schließlich den Sinn, dass sie sich um das sichtbare Ausquetschen kümmerten, das in aller Öffentlichkeit stattfand. Savine konnte währenddessen süß lächeln, den Straßenkindern ein oder zwei Münzen zuwerfen und äußerst tugendhaft erscheinen, ohne dass es ihre Geschäftstüchtigkeit beeinträchtigt hätte. Wenn es um Tugend geht, zählt schließlich nur der äußere Schein.

Der Junge starrte das Silberstück an, als sei es ein Fabeltier, von dem er zwar schon gehört, das er aber niemals selbst zu sehen gehofft hatte. »Für mich?«

Sie wusste, dass in ihrer Knopf- und Schnallenmanufaktur in Holsthorm kleinere und wahrscheinlich dreckigere Kinder für einen Tag harter Arbeit nur einen Bruchteil dieser Summe erhielten. Der Fabrikdirektor hatte darauf hingewiesen, dass kleine Finger für kleine Aufgaben am besten geeignet waren und auch nur einen kleinen Lohn erforderten. Aber Holsthorm war weit weg, und weit entfernte Dinge wirken stets sehr klein. Selbst wenn es sich um das Leid von Kindern handelt.

»Für dich.« Sie ging nicht so weit, ihm das Haar zu zerstrubbeln. Schließlich konnte man nicht wissen, was darin alles kreuchte und fleuchte, nicht wahr?

»So ein nettes Kerlchen«, sagte Zuri, die ihm nachsah, als er mit der Münze in der einen und der Fackel in der anderen Hand in die Dämmernis hinauseilte.

»Das sind sie alle«, sagte Savine. »Wenn man etwas hat, das sie haben wollen.«

»Niemand ist gesegneter, wie mein Schriftenlehrer einst verkündete, als jene, die anderen den Weg erleuchten.«

»War das der, der einer seiner anderen Schülerinnen ein Kind gemacht hat?«

»Genau der.« Zuris schwarze Brauen hoben sich nachdenklich. »So viel zum Nutzen spiritueller Unterweisung.«

Als Savine in die schmierige Kaschemme rauschte, breitete sich Stille aus – als sei ein exotisches Tier von der Straße abgekommen.