4,99 €
Das Leben in einer Großstadt wie New York hat Charlotte Morgan sich nicht so einsam vorgestellt. Erleichtert kehrt sie daher nach Mustang Creek zurück, als ihre Großtante sie braucht. Dort begegnet sie Jaxon Locke wieder, der einst ihr Herz berührte - und dann aus ihrem Leben verschwand. Das Knistern zwischen ihnen füllt sofort die magischen Winternächte, die sie miteinander verbringen … Könnte Charlotte dieses Mal tatsächlich die wahre Liebe in Jaxons Armen finden?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 281
Linda Lael Miller
Zeit der Wunderin Mustang Creek
Roman
Aus dem Amerikanischen vonElisabeth Hartmann
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
Christmas in Mustang Creek
Copyright © 2015 by Hometown Girl Makes Good, Inc
erschienen bei: HQN Books, Toronto
Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V./S.ár.l
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln
Umschlaggestaltung: Büropecher, Köln
Redaktion: Mareike Müller
Titelabbildung: Harlequin Books S.A.
ISBN eBook 978-3-95649-949-4
www.mira-taschenbuch.de
Werden Sie Fan von MIRA Taschenbuch auf Facebook!
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Es ist Weihnachten in Mustang Creek, und Sie sind eingeladen mitzufeiern! Dabei werden Sie einige Ihrer Lieblingsfiguren aus der Bliss-County-Serie: Der Hochzeitspakt, (K)ein Mann zum Heiraten und Der Traum in Weiß wiedersehen und auch neue Freundschaften schließen.
Charlotte Morgan weiß nichts mit sich anzufangen, nachdem sie ihren hoch dotierten, prestigeträchtigen Job in New York City verloren hatte. Deshalb ist sie heimgekehrt nach Mustang Creek, um sich dort um ihre Tante Geneva und um ihr Elternhaus zu kümmern, ein bezauberndes, altes, viktorianisches Gebäude, das dringend etwas liebevoller Pflege bedarf. Stellen Sie sich ihren Unmut vor, als sich heraustellt, dass der erste Mensch, der ihr dort über den Weg läuft, ausgerechnet Jaxon „Jax“ Locke ist, der attraktive Tierarzt, den sie früher einmal geliebt hat. Sowie die beiden wegen eines Schneesturms gezwungen sind, ein Hotelzimmer zu teilen – getrennte Betten, bitte! –, nimmt das Abenteuer seinen Lauf.
Zeit der Wunder in Mustang Creek ist in vielerlei Hinsicht voller Magie. Was ist zum Beispiel mit der geheimnisvollen Millicent Klozz, der weißhaarigen, begnadet gut kochenden Haushälterin, von der niemand mehr weiß, wer sie eigentlich eingestellt hat?
Und dann sind da die Tiere, wie immer ein Lieblingsbestandteil meiner Romane.
Der Baum ist geschmückt und erstrahlt im Lichterglanz. Ein Feuer prasselt im Kamin, vor den Fenstern treiben Schneeflocken. Nehmen Sie Platz, genießen Sie eines von Mrs. Klozz’ köstlichen Plätzchen und tauchen Sie ein in die Weihnachtsfreuden à la Mustang Creek.
Alles Liebe,Linda Lael Miller
Für alle, die an Wunder glauben.
Für den Flug von New York nach Wyoming hätte Charlotte Morgan ihr Gepäck nicht aufgeben sollen.
Ihr Aufenthalt in Denver dauerte wegen eines Sturms, der von der Westküste her aufzog, nun schon viel länger als geplant. Jetzt wartete sie – endlich – an der Gepäckausgabe des Flughafens Cheyenne. Und wartete … Wie ihre Freundin Karen zu sagen pflegte, existierten nur zwei Arten von Gepäck: Handgepäck und verlorenes. Und ihres gehörte offenbar zur zweiten Kategorie.
Es war der 21. Dezember, kurz vor den Feiertagen. Doch ihr war definitiv nicht zum Feiern zumute, ihre Laune war im Keller.
Das Flughafen-Chaos war typisch für das Pech, von dem sie seit einiger Zeit verfolgt wurde.
Mal sehen. Sie hatte ihre Tante Geneva in einer Einrichtung für betreutes Wohnen unterbringen müssen. Den Umzug zu organisieren, hauptsächlich per E-Mail und Telefon, war nicht leicht gewesen. Hinzu kam, dass nun eine Fremde in Genevas Haus lebte, dem Haus, in dem Charlotte aufgewachsen war. Natürlich hatte sie ihre Tante über Mrs. Klozz ausgefragt, hatte wissen wollen, wie sie und diese geheimnisvolle Besucherin sich kennengelernt hatten, doch Genevas Antworten waren durchgehend vage, wenn nicht gar ausweichend geblieben.
Charlotte hatte in ihrer Sorge Spencer Hogan angerufen, einen alten Freund und den Polizeichef von Mustang Creek, und ihn gebeten, Nachforschungen anzustellen. Doch er hatte nur gelächelt und erklärt, das wäre nicht nötig; Mrs. Klozz wäre, wie er es ausdrückte, „in Ordnung“.
Letztlich hatte Charlotte beschlossen, das Thema ruhen zu lassen. Sie würde die Frau ja früh genug treffen und sich eine eigene Meinung bilden.
Trotz allem hatte sie ein ungutes Gefühl.
Dann – als sie schon dachte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen – wurde sie entlassen.
Na dann, fröhliche Weihnachten.
Sicher, das Unternehmen, eine Werbefirma, hatte ihr eine großzügige Abfindung gezahlt. Ihr Boss hatte gemeint, die Budgetkürzungen würden ihren Tribut fordern, von allen.
Nur von ihm nicht, wie es schien. Sein Job war im Gegensatz zu ihrem offenbar sicher gewesen. Es hatte sie einige Mühe gekostet, keine Bemerkung in dieser Richtung fallen zu lassen, allerdings wollte sie im Grunde nur noch nach Hause gehen.
Als sie beobachtete, wie alle anderen ihr Gepäck abholten, während ihres, wie erwartet, nirgends zu sehen war, wurde ihr die Ironie ihres Schicksals bewusst. Als Teenager wollte sie Mustang Creek unbedingt verlassen, Erfolg haben, den richtigen Mann finden und nie zurückschauen. Das hatte sie getan. Sie hatte Mustang Creek verlassen. Sie hatte einen tollen Job gefunden. Sie hatte den richtigen Mann kennengelernt.
Aber zurückgeschaut hatte sie doch.
Außer ihr wartete ein weiterer hoffnungsvoller Passagier. Sie tauschten einen mitfühlenden Blick aus und zuckten die Achseln. Das Band drehte sich noch, vielleicht also …
Ja, sie hatte die Kleinstadt verlassen. Hatte den Traumjob ergattert – und verloren. Hatte einen gewissen Dr. Jaxon Locke getroffen, sich in ihn verliebt, und auch das hatte nicht funktioniert.
Der andere Passagier machte das Rennen; sein Koffer glitt aufs Band.
„Frohes Fest“, sagte er mitfühlend und eilte davon.
Und dann … ein Weihnachtswunder! Charlottes Koffer kam tatsächlich noch heraus – keine zwei Sekunden, bevor sie zum Schalter der Fluglinie laufen und eine Verlustmeldung aufgeben wollte – und machte sich auf den Weg zu ihm. Juhu! Frische Unterwäsche an Weihnachten.
Tante Geneva hätte ihr geraten, dankbar zu sein, und als sie ihren Koffer vom Band wuchtete und zum Autoverleih karrte, lächelte Charlotte tatsächlich. Es wurde besser. Na gut, noch stand ihr die Heimfahrt durch ein aufziehendes Unwetter bevor, doch immerhin hatte sie ihre Kleidung. Alles andere würde sie kaufen oder nach Hause liefern lassen müssen, doch darüber wollte sie sich später den Kopf zerbrechen. Ihr lachhaft teures Apartment war untervermietet, der Rest eingelagert.
Das Schneegestöber traf sie von der Seite, nachdem sie endlich ihr Mietauto erreicht hatte. Nichts ging über eine Fahrt in einem fremden Fahrzeug durch eine Schlechtwetterfront, dachte sie, als sie in den Mittelklassewagen stieg und den Zündschlüssel im Schloss drehte.
Sie war auf dem Weg nach Hause.
Nach sieben Jahren in New York City.
In früheren Jahren hatte sie sich nach dem Stadtleben gesehnt, doch jetzt wollte sie nur noch zurück in das große, alte, zugige Haus, dieses gemütliche Heim, in dem sie groß geworden war. Mustang Creek war jene Art Kleinstadt, in der die Leute, sobald man nur nieste, befürchteten, dass man sich etwas eingefangen hatte, und einem die Lieblingsmedizin ihrer Großmutter anboten. Charlotte wollte den Duft des Grases im Sommer, den Blick auf die Tetons, die alte Weinlaube im Garten.
Sie wollte ihr Zuhause.
Geneva braucht mich, überlegte Charlotte, während sie herauszubekommen versuchte, wie man die Scheibenwischer einschaltete. Doch sie selbst brauchte diese Veränderung vielleicht noch viel dringender. Der Verlust ihres Jobs war in finanzieller Hinsicht keine Katastrophe, denn ihre Tante hatte ihr viel über das Sparen beigebracht. Charlotte fand es schrecklich, dass die lebhafte Frau, an die sie sich erinnerte, langsam abbaute. Dennoch betrachtete sie ihre eigenen veränderten Umstände in mancherlei Hinsicht als etwas Gutes. Sie könnten Zeit miteinander verbringen. Wertvolle Zeit. Sie würde nicht mehr nur für wenige Stunden bei ihr hineinschneien und wieder hinausrauschen wie in den vergangenen paar Jahren. Sie konnte sich um das Haus kümmern, vielleicht einen Teil ihrer Ersparnisse für Reparaturen einsetzen. Das Gebäude benötigte schon seit zehn Jahren ein neues Dach. Charlotte hatte mehr als einmal angeboten, die Kosten dafür zu übernehmen, doch Tante Geneva, ihre einzige noch lebende Verwandte, hatte abgelehnt. Eigensinn und Stolz lagen in der Familie, das war keine Frage. Sie hatte diese Eigenschaften ehrlich erworben.
Sie hätte sich den Wetterbericht genauer anschauen sollen, stellte Charlotte fest, als die ersten Schneeschleier wie verirrte Gespenster ihren Wagen umkreisten. Außer ihr war kaum jemand unterwegs, was ihr nur recht war, denn die Sicht war so schlecht, dass sie kaum die Spur halten konnte. Abgesehen vom trüben Scheinwerferlicht eines Fahrzeugs in einiger Entfernung hinter ihr hatte sie die Straße für sich allein.
Sie war froh, dass sie am Flughafen von Denver Kaffee getrunken und ein Sandwich gegessen hatte, obwohl sie – erschöpft, wie sie war – jetzt gut und gern einen weiteren Kaffee hätte gebrauchen können. Sie drosselte das Tempo noch stärker und blinzelte aus zusammengekniffenen Augen hinaus in die sich zuspitzende Schneekatastrophe. Es gab ein weiteres unmittelbares Problem, das sie nicht bedacht hatte: Sie hatte keinen Schlüssel für das Haus. Tante Geneva war Schneiderin gewesen und hatte von daheim gearbeitet; sie war ein Genie an der Nähmaschine und hatte im letzten halben Jahrhundert wahrscheinlich den Großteil aller Brautkleider in Bliss County genäht. Deshalb hatte Charlotte eigentlich nie einen Schlüssel gebraucht.
Ehrlich gesagt war sie nicht einmal sicher, ob überhaupt ein Schlüssel existierte. Die Tür mit ihren wunderschön facettierten Glasscheiben war noch das Original, und soweit sie wusste, war das Schloss nie ausgetauscht worden. Vielleicht hatte Tante Geneva der Freundin einen Schlüssel ausgehändigt, die jetzt ihr Haus hütete und ihre geliebte Katze und den Hund versorgte. Allerdings war es bereits nach zehn; angesichts ihrer derzeitigen Fahrgeschwindigkeit würde sie nicht so bald in Mustang Creek eintreffen.
Es erschien ihr nicht angebracht, um Mitternacht an die Tür zu klopfen, zumal sie Millicent Klozz nicht einmal kannte. Auf keinen Fall wollte sie die arme Frau aus dem Schlaf reißen.
Im Radio liefen Weihnachtsklassiker, und Charlotte drehte bei Have Yourself a Merry Little Christmas die Lautstärke höher. Sie liebte den Song. Er weckte Erinnerungen an Heiligabend, daran, wie Tante Geneva sie immer ins Bett gebracht, ihr eine Geschichte vorgelesen und ihr verboten hatte, vor Tagesanbruch nach unten zu gehen.
An dieses Verbot hatte sie sich stets gehalten – abgesehen von dem einen Jahr, als sie sieben war. Da war sie mitten in der Nacht nach unten geschlichen – nicht ganz die knarrende Treppe hinunter, weil sie gewusst hatte, dass sie dann erwischt worden wäre – und hatte die Päckchen unter dem Baum entdeckt. Sowie sie gehört hatte, dass Tante Geneva aufgestanden war – dem Rauschen des Wasserhahns nach zu urteilen, um einen Schluck zu trinken –, hatte Charlotte sich einen raschen Blick auf die Geschenke erlaubt. Die meisten waren mit ihrem Namen versehen.
Dann war sie ins Bett ihrer Tante geklettert und hatte sich dort, die Augen weit geöffnet, eingekuschelt. Als Geneva sich umgedreht hatte, war ihr ein kurzer Schrei entfahren. Offenbar hatte sie nicht damit gerechnet, ein kleines Gesicht so dicht an ihrem vorzufinden, zumal es im Schein des Nachtlichts im Flur kaum zu erkennen war.
„Der Weihnachtsmann war da“, hatte Charlotte ihr aufgeregt mitgeteilt.
„Hoffentlich hat er mir ein neues Herz mitgebracht“, hatte Geneva geantwortet, nachdem sie nach Luft geschnappt und die Hand aufs Herz gedrückt hatte. „Herrgott, Kind, hast du mich erschreckt!“
„Er war in unserem Haus!“
Charlotte erinnerte sich, wie Geneva sie in den Arm genommen hatte, erinnerte sich an die Wärme ihrer Arme, an das liebevolle Lächeln auf dem Gesicht ihrer Tante. „Aber natürlich.“
Charlotte nahm eine rutschige Kurve und fragte sich, welche Opfer ihre Tante erbracht haben mochte, um sicherzustellen, dass der Weihnachtsmann jedes Jahr ihr Haus besuchte. Als Kind hatte Charlotte nicht begreifen können, welche Mühe es bedeutete, ein Kleinkind großzuziehen. Insbesondere, wenn man diese Verantwortung mit Ende fünfzig übernommen hatte, weil die bedeutend jüngere Schwester und ihr Mann bei einem tragischen Zugunglück gestorben waren. Geneva war ledig gewesen und hatte keinerlei Erfahrung mit Trotzphasen und Schulbroten und später dann mit Cheerlea-der-Training und Leichtathletik, Pyjamapartys mit kichernden Mädchen …
Ihre Tante hatte all das, ohne mit der Wimper zu zucken, auf sich genommen, und als es Zeit war fürs College, hatte sie Charlotte beraten, ihr jedoch die Wahl überlassen. Jetzt war es an Charlotte, etwas davon zurückzugeben.
Jaxon Locke war den ganzen Weg von Idaho von dem Unwetter verfolgt worden, und allmählich holte es ihn ein, auch im übertragenen Sinn.
Er hatte keine Ahnung, ob es idiotisch war oder nicht, nach Mustang Creek zu ziehen. Nach ihrer Trennung vor etwas mehr als einem Jahr hatte er, wenn auch beiläufig, Charlotte Morgan in sozialen Netzwerken im Auge behalten; sie hatten sich gegenseitig zu ihren Freundschaftslisten hinzugefügt. Vor ein paar Tagen hatte er ihre Seite aufgerufen und erfahren, dass sie nicht mehr in der Firma war. Selbst wenn sie nicht erwähnt hätte, dass sie vorhatte, nach Wyoming zurückzukehren, wäre ihm klar gewesen, wohin sie fahren würde.
Keine Sekunde lang glaubte er an einen Zufall, der sowohl ihn als auch Charlotte mit Mustang Creek verband. Sie war dort aufgewachsen, und er war von seinem Freund Nate Cameron als Partner in dessen Tierarztpraxis eingestellt worden.
Er hatte Charlotte – er nannte sie Charlie – über eine Online-Singlebörse kennengelernt. Gewissermaßen.
Nur, dass er da gemogelt hatte. Gewissermaßen. Auf einer Cocktailparty mitten in Manhattan hatte er neben der Freundin eines seiner Zimmergenossen vom College gesessen. Damals hatte er in einer nahe gelegenen Stadt in Connecticut gearbeitet, und er war zur Hochzeit seines Freundes Remy nach New York gekommen. Diese Frau hatte ihn über ihren Cosmopolitan hinweg gemustert und gefragt: „Single?“
Zu dem Schluss war sie zweifellos gelangt, weil er sich zwar die Mühe gemacht hatte, ein seiner Meinung nach schickes Hemd anzuziehen, dazu aber Jeans und Stiefel getragen hatte. Seine besten Stiefel, teure Stiefel, doch vermutlich sah er aus wie ein Cowboy. „Unverheiratet, ohne feste Beziehung“, antwortete er trocken. „Auf der Einladung stand ‚legere Kleidung‘. Das habe ich wörtlich genommen.“
Ihre Lippen zuckten. „Ein Haarschnitt würde dir auch nicht schaden, aber dein Look entspricht deinem Stil. Im Armani-Anzug und mit gepflegtem Bartschatten würdest du durchaus auf das Cover eines Hochglanzmagazins passen. Woher stammst du?“
„Ursprünglich aus Idaho.“
Sie kam direkt zur Sache. „Ich weiß genau die richtige Frau für dich.“
Das bezweifelte er, nicht nur, weil sie zehn Zentimeter hohe Absätze und zu viel Parfüm trug und die meiste Zeit über in ihr Smartphone quasselte, sondern auch, weil sie einander fremd waren. „Du weißt doch gar nichts über mich.“
„Aber sicher doch. Remy hat von dir erzählt. Du bist Tierarzt, stimmt’s? Du und Remy und noch ein paar andere, ihr habt euch am Ohio State College kennengelernt.“
Er nickte. „Wir haben zusammen in einem Haus gewohnt. Und, ja, ich bin Tierarzt.“
Sie rückte ein bisschen näher heran. „Ich habe eine Kollegin, die ist schön und klug und hasst das Stadtleben genauso sehr, wie du es anscheinend tust, gibt es aber nicht zu. Liebt Tiere und stammt aus einer Kleinstadt. Der Haken dabei: Sie lehnt von Freunden vermittelte Blind Dates ab. Ich weiß aber, dass sie sich kürzlich bei einer Online-Partnerbörse angemeldet hat. Pass auf, ich schreibe dir ihren Namen und die Adresse der Website auf. Kann ja nicht schaden, sich mal ihr Profil anzuschauen.“ Ihr Lächeln war verwegen. „Sag ihr nicht, dass ich die Finger im Spiel hatte.“
„Da ich keine Ahnung habe, wie du heißt, wäre das gar nicht möglich.“
„Wir machen uns offiziell miteinander bekannt, wenn ihr zwei tatsächlich zusammenkommt, okay?“
„Soll mir recht sein“, sagte er und dachte sich, dass aus dieser merkwürdigen Unterhaltung sowieso nichts entstehen würde.
„Sie stammt aus Wyoming, Mr. Cowboy. Ich habe so ein Gefühl, dass du bald einem blaueren Himmel und frischerer Luft entgegenreiten wirst – und ich glaube, sie auch.“
Das Handy der gewollt geheimnisvollen Frau klingelte wieder, und während sie sich meldete, kritzelte sie Charlotte Morgan auf eine Serviette und dazu den Namen einer beliebten Partnerbörse.
Obwohl er im Grunde genommen nur so zum Zeitvertreib mitgespielt hatte, war Jax doch neugierig genug, um sich Ms. Morgans Profil anzusehen.
Online-Dating hatte er nie in Betracht gezogen. Später, als er zu Hause war, tippte er die Webadresse ein und war schließlich … nun, man könnte sagen, völlig baff.
Charlotte Morgan war wirklich schön. Mehr als schön.
Sie tauschten in den folgenden Tagen ein paar zaghafte E-Mails zum Kennenlernen aus, und eines schönen Tages verabredeten sie sich zum Kaffee. Er arbeitete zu der Zeit in einer kleinen Tierarztpraxis knapp hinter der Staatsgrenze und musste für die Anreise Züge und verschiedene andere Transportmittel nutzen.
Als er Charlie schließlich persönlich traf, stellte Jax fest, dass ihre Fotos ihr nicht gerecht wurden, und zusätzlich zu ihrer Schönheit war sie auch noch sexy, intelligent, bezaubernd …
Nach einer stürmischen Romanze lebte Charlie immer noch in New York, und Jax musste zurück nach Idaho, um seinem Vater, ebenfalls Tierarzt, nach einem Herzinfarkt zu helfen.
Jax hatte Charlotte vermisst, allerdings hatte er auch etwas über sich selbst erfahren. Der Westen war noch immer seine Heimat, der Ort, an den er gehörte. Ihm wurde bewusst, dass er bleiben wollte – nicht unbedingt in Idaho, zumal sein Vater nach seiner vollständigen Genesung seine Hilfe im Grunde nicht brauchte, sondern irgendwo da draußen unter diesem unendlich weiten Himmel.
Er bat Charlie – nun gut, er flehte sie geradezu an –, mit ihm zu kommen, doch aus Gründen, die er noch immer nicht recht verstand, sperrte sie sich. Ja, manchmal sehnte sie sich nach den offenen Weiten, sagte sie, aber sie mochte ihren Beruf, ihr Umfeld, ihren Freundeskreis.
Urplötzlich behauptete sie, die Stadt zu lieben, obwohl ihre Kollegin damals auf Remys Hochzeitsempfang das Gegenteil behauptet hatte.
Damit steckten sie in einer Sackgasse. Er wollte sich in einer Kleinstadt am anderen Ende des Landes niederlassen. Sie wollte in der Stadt bleiben.
Jax erinnerte sich nur zu gut an das letzte Mal, als sie ihre Lage sachlich diskutieren wollten, damit sie einen Kompromiss fanden. Sie hatten gerade miteinander geschlafen, sie lag noch in seinen Armen, aber ihr abgewandtes Gesicht verriet ihre Gefühle. Es stimmte, dass sie einen Job mit einem vergleichbaren Gehalt nur an einem Ort bekommen würde, der ein bedeutendes Finanz- und Kulturzentrum war. Es stimmte auch, dass sie in einer Kleinstadt nicht einfach die Straße entlangschlendern und zwischen rund einem Dutzend verschiedener Restaurants wählen konnte. Kein Shopping, kein Theater, kein Symphonieorchester … Die Liste ließe sich beliebig weiterführen.
Eine klassische Pattsituation. Zwar war er Dr. Locke, doch er übte keinen glamourösen Beruf aus wie die meisten Männer, die sie kannte. Er half Kühen beim Kalben, behandelte Pferde und fuhr dafür zu unmöglichsten Zeiten in abgelegene Gegenden. Er impfte Katzen und Hunde, sterilisierte und kastrierte Haustiere. Nein, die Arbeit war nicht glamourös, aber befriedigend. Jax liebte Tiere, liebte seinen Beruf und sah sich ehrlich gesagt auf lange Sicht nicht in einer Großstadt. Er war damit aufgewachsen, Kätzchen und Zicklein mit der Flasche aufzuziehen, er war täglich geritten, hatte Zaunpfähle gesetzt wie ein Profi und höchst selten Kunstgalerien oder Museen besucht, was Charlies liebste Freizeitbeschäftigung war.
Er mochte die freie Natur, sie mochte Wolkenkratzer.
Lass uns die ganze Sache abblasen.
Das hatten sie getan. Leider, bedauerlicherweise, hatten sie sich nicht einigen können und hatten sich getrennt.
Das Problem war, dass Jax sie nie aus seinem Kopf bekommen hatte.
Also war er jetzt auf dem Weg nach Mustang Creek, ausgerechnet.
Wie gut standen die Chancen, dass er jemanden aus ihrer Heimatstadt kannte und schließlich dort praktizieren würde?
Vielleicht war das alles mehr als ein Zufall, vielleicht war es eine Art Vorbestimmung. Wie die Begegnung mit der Frau auf Remys Party – ihr Name war Kendra Nash, wie sich herausstellte –, von der er rein zufällig zum ersten Mal von Charlie gehört hatte.
Griff das Schicksal erneut ein? Jax hatte kein Jobangebot erwartet, als er Nate kontaktierte; er hatte nur wissen wollen, ob es in der Gegend offene Stellen gab.
Charlottes letzter Facebook-Eintrag lautete: „Fliege bald zurück nach Wyoming. Lebwohl, N.Y. Es war schön, aber ich will nach Hause. Frohe Weihnachten.“
Jax schreckte auf, als sein Handy klingelte, und schaltete die Freisprechanlage ein. Vor der Windschutzscheibe wurde das Wetter von Sekunde zu Sekunde schlechter. „Hallo.“
„Jax, du bist noch unterwegs, nicht wahr? Kommst du voran?“
Nate Cameron, der Mann, in dessen Praxis er einsteigen würde.
„Gewissermaßen, wenn man bei Tempo fünfzig von Vorankommen sprechen kann. Ich hatte gehofft, dem Unwetter davonfahren zu können. Das ist mir offenbar nicht geglückt“, antwortete Jax grimmig.
„Ich habe vor etwa zwei Stunden ein Zimmer in dem Hotel an der Main Street für dich gebucht. Und zwar das letzte verfügbare Zimmer. Ich würde dich wirklich gern bei mir unterbringen, doch bei diesem Wetter findest du mein Haus nie im Leben. Die Leute übersehen die Zufahrt manchmal sogar am helllichten Tag; erst recht mitten im Schneesturm. Außerdem ist es bei diesen Schneeverwehungen völlig egal, wie gut dein Wagen ist; du könntest stecken bleiben. Es stürmt gewaltig. In der Stadt haben sie wenigstens Schneepflüge eingesetzt.“
Der Plan hörte sich gut an. Jax bezweifelte inzwischen sogar, dass er die Stadt überhaupt finden würde; die Straße verschwand förmlich vor seinen Augen. „Danke. Ich rufe dich morgen früh an.“
„Treffen wir uns doch einfach. Diese Wetterfront soll ziemlich schnell vorbeiziehen. Ich frühstücke gewöhnlich in Betsey’s Café. Es liegt direkt neben dem Hotel. Um acht?“
„Gut, bis dann.“
Als Jax endlich die Lichter von Mustang Creek in der Ferne sah, war er doch einigermaßen erleichtert. Seine Schultern schmerzten von der Anspannung, und was er jetzt wirklich brauchte, war ein weiches Bett und einen gesunden Nachtschlaf.
Das vermutlich einzige Hotel der Stadt war nicht schwer zu finden. Der Parkplatz war voll, und das einzige Fahrzeug, das über viele Meilen vor ihm gewesen war, bog ebenfalls dort ein. Nach etwa zehnminütiger Suche fand er schließlich eine Parkbucht. Dann schnappte er seinen Koffer und rannte los, den Kragen hochgeschlagen.
Das veraltete Foyer war leer bis auf den Angestellten und eine sehr bestürzt wirkende junge Frau am Empfangstresen.
„Kein Zimmer frei?“, fragte sie.
„Nicht eines. Es tut mir leid. Der Schneesturm und so.“ Der junge Mann glaubte, sich rechtfertigen zu müssen.
Glänzendes dunkles Haar schwang herum, als sie sich umdrehte, zweifellos enttäuscht. Plötzlich erstarrte sie. „Jax?“
Charlie. Sie schaute ihn entgeistert an, Fassungslosigkeit lag im Blick ihrer traumhaften grünen Augen.
„Ja. Hi.“ Es hatte ihm fast die Sprache verschlagen.
Zufall? Ausgeschlossen. Das Schicksal oder was auch immer spielte eindeutig mit seinem Verstand.
Ja, er hatte damit gerechnet, Charlie über den Weg zu laufen – Mustang Creek war schließlich nur ein kleiner Ort. Doch er hätte nicht im Traum daran gedacht, dass sie eine der ersten Personen sein würde, denen er begegnete, noch dazu mitten in einem Schneesturm.
„Was machst du hier?“ Charlie starrte ihn mit großen Augen und ein wenig argwöhnisch an. Hielt sie ihn für einen Stalker?
„Jobangebot“, entgegnete er lahm.
„Ach … so …“ Sie schien ebenfalls um Worte zu ringen. Ein schwacher Trost. „Wie stehen die Chancen?“
Gut, wenn man aktiv ein Ziel verfolgt, dachte er trocken.
Er räusperte sich. „Ich habe ein Zimmer, für den Fall, dass du eine Unterkunft benötigst.“
Der Angestellte tippte auf seiner Tastatur. „Sie sind Dr. Jaxon Locke? Der Letzte, der heute Abend eincheckt. Zimmer 215. Zwei Betten. Vielleicht liegt irgendein Weihnachtszauber in der Luft, da Sie beide sich offenbar kennen. Moment, ich gebe Ihnen Ihre Schlüsselkarten.“
Genau in diesem Augenblick ertönte aus der Musikanlage der Song Have Yourself a Merry Little Christmas.
Ja, vielleicht werde ich tatsächlich ein nettes kleines Weihnachtsfest haben, schoss es Jax durch den Kopf. Vielleicht.
Auf keinen Fall würde sie sich ein Zimmer mit Jaxon Locke teilen.
Charlotte war fassungslos, völlig aus dem Gleichgewicht geworfen, als sie ihn dort sah. Er war der letzte Mensch im gesamten Universum, den sie ausgerechnet in Mustang Creek anzutreffen erwartet hätte. Das war ihre Heimatstadt, verdammt noch mal, ihr sicherer Ort, ihre Zuflucht. Was machte er hier? Fast hätte sie geglaubt, sie würde träumen, wenn ihr nicht vor Erschöpfung und von der anstrengenden, stundenlangen Fahrt durch diesen schlimmen Schneesturm jeder Knochen im Leib schmerzen würde.
Nein, das war echt. Zu allem Übel besaß der Mann die Frechheit, gut auszusehen, selbst mit zerzaustem Haar, auf dem immer noch Schneeflocken lagen, mit zerknitterter Kleidung und vor Müdigkeit hängenden breiten Schultern. Sein Bart wuchs nach, attraktive Stoppeln, und in seinem Blick lag ein Hauch von Belustigung.
„Ich brauche keine Schlüsselkarte“, sagte sie zu dem Angestellten, etwas barscher als beabsichtigt. Sofort hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil er so zuvorkommend gewesen war, dieser junge, zaghafte Einheimische. Freundlicher fügte sie hinzu: „Trotzdem vielen Dank für Ihre Bemühungen.“
„Ich war Ihnen ja keine große Hilfe. Ich befürchte nur, Sie werden keine andere Unterkunft finden.“
In dem Punkt hatte er wahrscheinlich recht. Obwohl der Yellowstone- und der Grand-Teton-Nationalpark relativ nahe gelegen waren, ganz zu schweigen von den Skihängen, die Wintersportler aus aller Welt anlockten, war Mustang Creek eben doch eine Kleinstadt. Abgesehen von diesem Hotel gab es natürlich ein paar schlichte Motels und Frühstückspensionen, doch in einer Nacht wie dieser, noch dazu kurz vor Weihnachten, würden auch diese schnell ausgebucht sein.
Jax drängte sich an Charlotte vorbei und klatschte seine Kreditkarte auf den Tresen. Dieses leichte Zucken in seinen Mundwinkeln, war das etwa ein Grinsen?
„Das Zimmer hat zwei Betten, Charlie“, erinnerte er sie mit einem flüchtigen Seitenblick. „Zähl sie durch: zwei. Glaub mir, ich bin den ganzen Weg von Idaho hierher gefahren und so müde, dass ich vergessen könnte, wie ich heiße. Deine Tugend ist nicht in Gefahr, jedenfalls heute Nacht nicht.“ Er legte eine Pause ein – er grinste tatsächlich, verdammt noch mal – und dann brachte er die Sache auf den Punkt. „Außerdem, hast du eine Wahl? Willst du im Auto schlafen? Klingt frostig, wenn du mich fragst.“
Der Angestellte zog die Karte mit heiter-resigniertem Schwung durch und ergänzte beipflichtend: „Die Temperatur soll noch drastisch sinken.“
Schöne Aussichten. Vielleicht war Mrs. Klozz doch noch wach …
Charlotte bezweifelte es.
Es ging auf Mitternacht zu. Tante Geneva wäre schon vor Stunden zu Bett gegangen. Und wenn Mrs. Klozz nun schwerhörig war und Charlotte zitternd vor der Tür stehen und vergebens klopfen würde?
Hier zu landen, mit Jax, das war eine unverhoffte Schicksalswendung nach einem sehr, sehr langen Tag.
„Schlüsselkarte?“
Jax reichte sie ihr.
Nach kurzem Zögern nahm sie sie. „Guck nicht so selbstgefällig.“
„Das ist nicht selbstgefällig“, entgegnete er und griff nach ihrem und seinem Gepäck. „Ich bin mir sicher, dass mein normaler, ironisch-triumphierender Gesichtsausdruck bedeutend besser wäre als alles, was ich im Augenblick zustande bringen kann. Lass uns das Zimmer finden, damit ich ins Bett fallen kann. Auch wenn Weihnachten vor der Tür steht – mir ist im Moment nicht nach Feiern zumute. Ich bin verdammt müde.“
Und kein Platz in der Herberge.
Welche Ironie.
Sie folgte ihm. Es würde bestimmt unangenehm werden, und das nicht nur, weil sie nicht vorgehabt hatte, sich ein Zimmer mit jemandem zu teilen. Jax Locke war vielleicht kein Axtmörder, genau genommen war er aber auch nicht gerade harmlos, wie etwa ein Lieblingscousin, ein alter Freund oder vertrauenswürdiger Kollege.
O nein.
Sie und Jax hatten eine gemeinsame Vergangenheit. Das letzte Mal hatte sie ihn in New York gesehen, und plötzlich tauchte er wie aus heiterem Himmel in Mustang Creek auf?
Was genau ging hier vor sich?
Etwas Merkwürdiges, so viel war klar.
Mit dem Gefühl, dass die Welt aus den Fugen geraten war, folgte Charlotte ihm einen Flur entlang bis zur richtigen Tür und sah zu, wie er sie öffnete. Er wartete auf sie. „Nach dir“, sagte er mit einer angedeuteten Verbeugung.
Das war eine wirklich schlechte Idee. Doch die Alternativen sahen nicht besser aus: mitten in der Nacht eine alte Dame zu wecken, Erfrierungen zu riskieren, wenn sie im Mietauto schlief, oder im Foyer zu übernachten, was peinlich werden würde.
Sie fand das Zimmer in Ordnung. Es war ein typisches Hotelzimmer, aber was hatte sie erwartet? Die entscheidenden Möbel waren da – zwei Betten, die auf eine lange, schmale Kommode mit einem Fernseher obendrauf zuliefen, ein runder Tisch mit zwei Sesseln und einer Hängelampe darüber. Zur Einrichtung gehörten schwere Vorhänge mit Zugstangen aus Plastik und farbenfrohe, aber nichtssagende Bilder an den Wänden.
Das Zimmer wirkte sauber und roch auch so, dem Himmel sei Dank.
Und zum Glück war es warm. Was nicht unwichtig war angesichts des Sturms, der draußen toste.
„Ich hoffe, die haben einen Generator“, bemerkte Jax, offenbar bemüht, ein Gespräch in Gang zu bringen. „Dieser Wind wächst sich zu einem erstklassigen Schneesturm aus.“ Er seufzte und fügte hinzu: „Ich werde jetzt heiß duschen gehen und dann ungefähr hundert Jahre lang schlafen. Wenn du zuerst ins Bad willst, nur zu.“
Das Fenster klapperte, als der eisige Wind erneut dagegenprallte.
Charlotte war genauso müde wie Jax, und es war ihr zu anstrengend, sich mit ihm zu streiten, obwohl sie ihm durchaus die eine oder andere Frage darüber hatte stellen wollen, was er hier zu suchen hatte. Er hatte seine Gründe dafür gehabt, New York zu verlassen und nach Idaho zu ziehen, aber was um alles in der Welt hatte ihn nach Mustang Creek geführt? Ein Stellenangebot, hatte er gesagt. Was für ein … Zufall. Oder etwa nicht? „Ich putze mir nur rasch die Zähne.“
„Klar.“ Jax ließ sich auf dem Bett beim Fenster nieder und fing an, seine Stiefel auszuziehen.
Ihre Kosmetiktasche und den Flanellpyjama aus ihrem Koffer fest im Griff, eilte Charlotte ins Badezimmer. Sie schloss die Tür mit Nachdruck, putzte sich die Zähne, zog sich um und ging zurück ins Zimmer, wo sie Jax nur mit Jeans bekleidet vorfand. Angesichts ihres höchst unerotischen Aufzugs zog er die Brauen hoch.
Was hatte er erwartet? Vielleicht eine kleine Victoria’s-Secret-Modenschau?
Da seine nackte, muskelbepackte Brust sie an andere, bessere Zeiten erinnerte, wandte sie den Blick ab.
„Pinke Kätzchen?“, zog er sie auf.
Charlotte atmete tief durch. „Meine Tante hat mir diesen Pyjama geschenkt“, sagte sie gepresst, „also trage ich ihn. Er ist bequem. Und warm.“
„Das glaube ich dir. Bist du fertig im Bad?“
Sie stolzierte zu ihrem Bett. Soweit sie wusste, stolzierte niemand – außer vielleicht ein paar auserwählte Heldinnen in einem Liebesroman, allerdings nicht in einem mit Kätzchen bedruckten Flanellpyjama. Charlotte versuchte es dennoch. Sie wies in Richtung Badezimmertür. „Ja. Es gehört dir.“ Mit diesen Worten schlug sie das Bettzeug zurück und schlüpfte darunter.
„Danke.“ Jax verschwand im Bad und schloss die Tür hinter sich. Endlich konnte Charlotte sich ein wenig entspannen. Sie kuschelte sich ein und starrte an die Zimmerdecke.
Dann hörte sie Wasser rauschen.
Jax war nackt da drinnen, wurde ihr mit plötzlicher, instinktiver Klarheit bewusst. Sie stellte sich vor, wie das Wasser in kleinen Bächen über seinen durchtrainierten Körper rann, den sie nur allzu gut kannte …
Du bist ein hoffnungsloser Fall, sagte sie sich. Dann zog sie sich müde, aber entschlossen die Bettdecke bis unters Kinn und fand sich wieder einmal mit der verwirrenden Tatsache ab, dass Vergangenes vergangen und heute alles anders war. Und trotz der sonderbar zufälligen Es-geschah-in-einer-Nacht-Situation, in der sie steckte, würde am nächsten Morgen doch alles wieder seinen normalen Gang gehen. Jetzt musste sie nur die Augen schließen und sich vom Schlaf in selige Besinnungslosigkeit führen lassen.
Doch so erschöpft sie auch war, ihr Gehirn lief auf Hochtouren und kaute und nagte auf einem einzigen Gedanken herum.
Jaxon Locke war in Mustang Creek.
Solange sie in New York und er in Idaho gelebt hatte, war es ihr gelungen, seine Existenz zu ignorieren. Meistens. Sie hatte ihr Leben weitergeführt, hatte gelernt, ohne ihn zu leben, sogar erfolgreich zu sein.
Meistens.
Und jetzt teilte sie sich urplötzlich in einer winzigen Stadt in Wyoming ein Hotelzimmer mit ihm.
Wo blieb da die Logik?
Und wie sollte sie das überleben?
Eine einfache Frage.
Aber weit und breit keine Antwort in Sicht, weder eine einfache noch sonst eine.
Sie kniff die Augen fest zusammen, entschlossen, sich selbst im Schlaf zu verlieren.
Doch sie war immer noch wach, als Jax lange Minuten später aus dem Bad zurückkam; durch ihre gesenkten Wimpern sah sie, dass er nackt war – bis auf das Handtuch, das er sich um seine schmale Taille gewickelt hatte. Anscheinend wusste er, dass sie wach war, obwohl sie vorgab, bereits eingeschlummert zu sein.
„Hör dir diesen Wind an“, sagte er. „Klingt wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe. Es ist brutal da draußen.“
Sie gab ihre Dornröschen-Vorstellung auf. Auf rätselhafte Weise hatte Jax sie schon immer durchschaut; es war für gewöhnlich viel zu anstrengend, ihn hinters Licht zu führen. „Nett von dir, dass du das Zimmer mit mir teilst.“ So. Sie hatte etwas Höfliches gesagt. Wenn nicht sogar etwas Freundliches.
Aber sie war distanziert. Sie wollte bestimmt nicht die falschen Signale aussenden.
Keineswegs würde sie mit ihm schlafen.
Nicht, dass er das zu erwarten schien.
Das Problem war nur: Ein Teil von ihr wollte aus ihrem Bett in seines springen – so viel zu besagten Signalen – und ihn mit offenen Armen empfangen, so schamlos wie nur irgend möglich, und sich seinem Liebesspiel, ihm selbst, hingeben. Dieser einzigartigen Verbindung aus ihr und ihm.
Sogar nach all dieser Zeit und all dem willentlichen Vergessen erinnerte sich ihr Körper noch immer.
Im Bett hatten sie weiß Gott nie Probleme gehabt. Ihre Schwierigkeiten hatten andere Ursachen, zum Beispiel seine altmodischen Standpunkte. Er hatte keine berufstätige Frau gewollt, die auf Augenhöhe mit einigen der einflussreichsten Personen der Werbewelt agierte. Etwas von ihrer Verbitterung meldete sich zurück, ernüchternd und schmerzlich. Nein, soweit sie wusste, hatte Jax sich eine Ehefrau gewünscht, die Fahrgemeinschaften pflegte, Plätzchen backte und Mutter seiner Kinder war, eine Frau, die das Kleinstadtleben so sehr liebte, dass nichts anderes infrage kam. Oder jedenfalls kein anderer Lebensraum. Eine Frau, die Gardinen mit Vichy-Muster für die Küchenfenster nähte, in der Sonntagsschule unterrichtete und Aufhebens um ihre Blumenbeete machte.
Na gut, diese Dinge hatte er vielleicht nicht wörtlich gesagt, aber sie gehörten einfach dazu, oder?
Für Jax sprach, dass er nie vorgegeben hatte, New York City genauso sehr zu lieben, wie sie es tat. Für ihn war New York lediglich eine Zwischenstation auf dem Weg zu einem anderen Ort, dritte Base in einem metaphorischen Baseballspiel. Nächste Station: Schlagmal.
Übersetzt hieß das: grenzenlose Weiten, Pick-up-Trucks, Mischlingshunde.
Das Landleben.
Nun ja, wenigstens war er ehrlich. Das konnte sie nicht von allen Typen sagen, mit denen sie zusammen gewesen war, sowohl vor als auch nach ihm.