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Was geschieht während des zeitlichen Intervalls, in dem eine Rechtsnorm argumentativ erzeugt und zur Ausprägung gebracht wird? Welche Abläufe wirken zusammen, damit von einer gültigen Prozedur der Setzung einer Rechtsnorm gesprochen werden kann? Was geht zeitlich und inhaltlich vonstatten, wenn und sofern widerstreitende Argumente durch die Setzung einer Rechtsnorm vereint und überdies vereinheitlicht werden? Welche Vorgänge gehen typischerweise vonstatten, damit als Ergebnis des entsprechenden zeitlichen Prozesses von der gültigen Erzeugung einer Rechtsnorm gesprochen werden kann? Im Hinblick auf das rechtliche Entscheidungsargument, das Argumente und Argumentationsgänge bündelt und abschließt, wird transzendentalphilosophisch untersucht, wie es um diejenigen sprachlichen Gestaltungsbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten bestellt ist, die im Verlauf der Erzeugung einer Rechtsnorm mit unterschiedlicher ethischer Zeitstruktur zur Wirkung gelangen; vor allem die Begriffe „Wahrheit“ und „Geltung“ müssen dabei methodisch schlüssig gehandhabt werden, um vor dem Forum der Rechtsgemeinschaft wissenschaftlich bestehen zu können. Die Vorstellung, dass der Begriff des Entscheidungsarguments nach Maßgabe fest etablierter Allgemeinheit aufgefasst werden kann, wird aufzugeben sein; die rechtsphilosophische Erkenntnis, dass der sprachliche Prozess der Erzeugung einer Rechtsnorm vielmehr von der funktionalen Dynamik des (lediglich) verallgemeinerbaren Begriffs des Entscheidungsarguments geprägt ist, gewinnt Kontur. Im Zuge des subsumierenden Rechtshandelns sollte dieser besondere begriffliche Bauplan, der nachhaltige Wirkung insbesondere auf dem Feld der Geltungsethik zeitigt, berücksichtigt und auf verantwortliche Weise gestaltet werden.
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Seitenzahl: 814
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„Die Verschwommenheit und Flüchtigkeit der Gemeinbilder hinsichtlich der spezifischen Differenzen ändern nichts an ihrer Konkretion. Verschwommenheit ist eine Bestimmtheit gewisser Inhalte, sie besteht in einer gewissen Form der Kontinuität qualitativer Übergänge. Was aber die Flüchtigkeit betrifft, so ändert sie doch nichts an der Konkretion jedes einzelnen der wechselnden Inhalte. Nicht im wechselnden Inhalte, sondern in der Einheit der auf die konstanten Merkmale gerichteten Intention liegt das Wesentliche der Sache” (Husserl, Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, 1. Teil, Tübingen 71993, § 12, S. 136).
A. Einleitung: Die Problematik einer (einheitlichen) Theorie des rechtlichen Argumentierens
Rechtliches Argumentieren und Handeln als intersubjektiv wirksame Zeichen-Setzung
Die Parameter rechtlichen Argumentierens
B. Entwicklung des Begriffs als wissenschaftliches Instrument und des Begriffs der Wahrheit in summarischer philosophiegeschichtlicher Perspektive: vom Aristotelischen Mythos zu den Frame-Theorien
Die methodisch ausgerichtete Frage an die Begriffe „Geltung“ und „Wahrheit“
Die auf praktische Folgewirkungen ausgerichtete Frage an die Begriffe „Geltung“ und „Wahrheit“
Vorläufiges erkenntniskritisches Resümee
C. Entwicklung des prozeduralen Rechts und der Argumentationswahrheit
D. Grundmuster des teleologischen Argumentierens: Politik, Ethik und Tradition
Kersting: Zur semantischen Offenheit des Sozialstaatsprinzips
Blackman: Zur Machtbegrenzung durch Rechtsnormen
MacIntyre: Zur Möglichkeit der Bestandssicherung generationsübergreifender Moral
E. Argument, Methode und Rechtszeit
(Schaubild 1)
F. Anmerkungen zu Argument und Argumentationszeit in der intrinsischen richterlichen Subsumtion
Argument und verfassungsrechtliche Bestimmungsreichweite
Baumann: Zur Struktur eines Sprachebenenmodells
Aarnio: Zur Handlungsbeschreibung der Arbeit an der Herstellung der Rechtsnorm
Buchwald: Zur Verkettung von Begründungen
Goldstein: Zu verschiedenen Lesarten der (amerikanischen) Verfassung
Resümee in Bezug auf sprachliche Zeit, Zeitlosigkeit und Dauer
Rechtlich-logisches Argument und einfach-gesetzliche Bestimmungsreichweite
Entstehende Rechtsargumente im Spiegel der Möglichkeit ihrer sprachlichen und zeitlichen Reichweiten zur Musterbildung
Ein Übergang: Intrinsisch erzeugtes Argument und Rechtsöffentlichkeit
(Schaubild 2)
Resümee
(Schaubild 3)
Begriff und Subsumtion
Schema
Diskurs
G. Ausgedrückte Argumente und Alterität aus erkenntnistheoretischer Sicht
McDowell und die objektive (Argumentations-)Richtigkeit als Phronesis im „Raum der Gründe“
Intrinsisches Argumentieren und die Welt
Intrinsischer Argumentationswert und Phronesis
(Schaubild 4)
Brandom und der wissenschaftliche Wahrheitsausdruck als sozioinferentielle Kontierung
Handlung, Argument und Messbarkeit
Auf Folgewirkungen ausgerichtete Kontierung der argumentativ erzeugten Wahrheit als echte diskursive Intentionalität der Alterität
Bewertungskontexte der inferentiellen Wahrheitskontierung
(Schaubild 5)
Wrights Minimalismus der Wahrheit: Zur Bestimmbarkeit eines kulturell invarianten Wahrheitsverständnisses
Konkurrierende Wahrheitsschemata
Justierung der Wahrheitsanwendung, Diskurs und Zeit des Diskurses
Zeit, Meinung und Meinungsklima in den Wissenschaftsgemeinschaften
(Schaubild 6)
Rortys erkenntniskritisches Vokabular im ethischen Sprachraum der argumentativ hergestellten Gründe
Argument, Zweifel und Zweifelstäuschungen
Fortschritt, argumentative Wahrheit und zeitliche Kontexte des subsumierenden Rechtshandelns
(Schaubild 7)
Resümee
Zweifel und Erfindung
Zweifel und Diskurs
H. Komponenten der Geltung und der Geltungsethik im Diskurs: Theoretische Grundzüge sowie rechtsethisch wirksame Praktiken und Techniken der Subsumtion im begrifflichen Verbund mit dem Entscheidungsargument
Theoretische Grundzüge: Einflüsse ethischen Denkens auf das Spannungsfeld von Subjektivität und Geltung
Rechtsethisch wirksame Praktiken der Subsumtion: Neue Ethik als soziale Norm der auf Erfahrung basierten Technik des Diskurses
Norm der zeitlichen Bedingung und der zeitlichen Möglichkeit
Norm der zeitlichen Geltung: der Innenbetrachter als Außenbetrachter; der Außenbetrachter als Innenbetrachter
Norm der zeitlichen Verknappung: die opake Norm
Praktische Techniken der Subsumtion und der Begriff des Entscheidungsarguments: Vom faktischen Argumentationskonflikt zum methodischen Begriff kontra-implizierter Rechtszeiten
Makro-thematische und/oder mikro-thematische Verantwortungsethik: Transzendentale Möglichkeiten zur subsumierenden Bestimmung zeitlicher Wirkungen der Geltungsethik
Theoretische Verantwortung der Gegenseitigkeit, Situation und Zeit der Subsumtion
Angewendete Diskurse: Kommunikation, Interaktion und zeitlich gestaltete (Rechts-)Praxis
Zum methodischen Leistungsvermögen gegenläufig zu implizierender ethischer Zeiten in der Subsumtion
(Schaubild 8)
J. Transzendentalphilosophisch relevante neuartige Probleme und Gefährdungslagen: Das praktische Zusammenwirken von methodisierter Rechts-Ethik und strategischem Rechtsrealismus in der Subsumtion
Was geschieht während desjenigen zeitlichen Intervalls, in dem eine rechtliche Norm argumentativ erzeugt und zur Ausprägung gebracht wird? Welche Abläufe wirken in diesem Zeitrahmen zusammen, damit von einer gültigen Prozedur der Setzung einer Rechtsnorm mit sozial akzeptiertem Sinn und sozial akzeptierter Bedeutung gesprochen werden kann? Was geht zeitlich und inhaltlich vonstatten, wenn und sofern widerstreitende Meinungen, Behauptungen, Argumente und Haltungen durch die Setzung einer Rechtsnorm vereint und überdies sogar vereinheitlicht werden? Welche Vorgänge gehen typischerweise vonstatten, damit als Ergebnis des entsprechenden zeitlichen Prozesses von der gültigen Erzeugung einer Rechtsnorm gesprochen werden kann? Schlicht gefragt: Was tun Juristen eigentlich, wenn und sofern sie Rechtsnormen erzeugen?
Es ist die Philosophie, die solcherlei Fragen stellt. Vielleicht ist es sogar die einzige der Philosophie noch verbliebene Aufgabe, solcherlei Fragen zu stellen, nachdem sie – als ehemalige Königsdisziplin der Erkenntnisgewinnung – mittlerweile zu einem Wissenschaftszweig der Historiographie geworden zu sein scheint. „Philosophische Untersuchungen versuchen“, allgemein gesprochen, „einzelne Gegenstände wie Recht, Sprache, Wissen oder den Menschen als Teil der Verbindung sämtlicher Einzeldinge und Gegenstände zu verstehen; oder sie versuchen, aus einer komplementären Perspektive betrachtet, die Verbindungen zwischen Einzeldingen und Fakten zu verstehen“1. Die Philosophie, solchermaßen fragend, hält die Neugier an den Vorgängen der Welt aufrecht. Die philosophische Neugier ist ein starker Beweggrund, um auf derartige Fragestellungen schlüssige Antworten zu suchen. Die Fragestellungen der Philosophie sind berechtigt, und diese Fragestellungen sind als Fragestellungen der Rechtsphilosophie ebenso aktuell wie virulent. Dem Argwohn, dass derlei Themenkreise der wissenschaftlichen Untersuchung nicht bedürften, gar langweilig und unergiebig seien, ist leicht zu begegnen. Denn kein anderer Bereich durchdrang2 und durchdringt mit seinen Ausdrucksgestalten – den Rechtsnormen – das soziale Leben der Menschen so sehr wie eben ´das Recht´. Dasjenige, was dabei zur Wirkung gelangt, ist tatsächlich einzigartig: Rechtsnormen schützen und bewahren das Leben z. B. in Gestalt von Strafrechtsnormen, Schadenersatzansprüchen und Sozialhilfebescheiden. Rechtsnormen, indes, nehmen mancherorts das Leben z. B. in Gestalt von strafrechtlichen Verdikten oder erschweren das Leben in Gestalt der Wegnahme oder Verweigerung des Zugangs zum gerichtlichen Rechtsschutz bzw. der schieren Verweigerung von Hilfeleistung zum Leben. Aufgrund von Rechtsnormen werden Lebensmittel geschützt, Naturschutzgebiete eingerichtet und internationale Beziehungen geregelt. Aufgrund von Rechtsnormen werden aber auch Patente zur genetischen Veränderung von Lebensmitteln erteilt, Kriege geführt und geregelt, Atombomben gebaut, und es wird Raubbau an der Natur in Gestalt der Erteilung von Erlaubnissen zur massiven Zerstörung der Luft, der Meere und der Wälder betrieben. Rechtsnormen, so die Gewissheit, wirken und gestalten die Welt auf die unterschiedlichste Weise; insoweit sind sie heteronom. Rechtsnormen, so der Ausgangspunkt dieser Untersuchung, werden auf die vielfältigsten Weisen erzeugt; ihr Ursprung dürfte daher hochgradig heterogen sein. Dasjenige, was mit Rechtsnormen in jedem Falle zum Ausdruck gebracht wird, basiert auf einem System aus hochgradig differenzierten Zeichen, das starke intersubjektive Wirkung entfaltet. Die folgende Feststellung dürfte daher keinen bedeutenden Widerspruch hervorrufen: Kein anderes Zeichensystem ist derart wirkungsmächtig wie dasjenige, das die subsumierende Erzeugung von Rechtsnormen, deren Beweg-Grund Argumente sind, in all ihren Einzelfallerscheinungen ermöglicht und auch ausführt.
Die Semiotik – als die Lehre von der Signal- bzw. Zeichengebung – wiederum ist für das zuvor formulierte rechtsphilosophische Interesse besonders aufschlussreich, weil kein anderes soziales System derart starke Signale bzw. Zeichen setzt, aussendet und empfängt wie das juristische. Der Nutzen der Semiotik für die eingangs aufgeworfenen rechtsphilosophischen Fragen besteht darin, dass mit ihrer Hilfe der Prozess der Ablösung von allerlei in Rechtsbegriffen verankerten oder zumindest mitschwingenden metaphysischen oder hypostasierten Residuen aufgedeckt und hin zu einer auf nicht intensionale Weise operierenden Zirkulation des begrifflichen Sinns oder der begrifflichen Bedeutung untersucht werden kann. Bei Eco, einem ausgewiesenen Semiotiker, heißt es: „Wenn man sagt, dass die Semiotik da beginnt, wo sich die noch dunkle Größe des ´Sinnes´ abzeichnet, so bedeutet dies nicht, dass die Semiotik mit der Semantik verwechselt werden dürfte, die sich traditionellerweise mit dem ´Sinn´ oder der ´Bedeutung´ beschäftigt hat (oder so getan hat, als beschäftige sie sich damit). Die Semiotik muss auch die Prozesse untersuchen, die, ohne die Bedeutung direkt einzubeziehen, die Zirkulation von Bedeutung ermöglichen“3. Damit hat es aber nicht sein Bewenden. Sofern sich die vorliegende Untersuchung der Aufgabe angenommen hat, „transzendentale Muster“ im zeitlichen Verlauf der rechtlichen Subsumtion aufzuspüren, so ist sie sich dessen bewusst, damit Kantisches Gedankengut zu verwenden. Beschäftigt sich dieses Gedankengut im Hinblick auf die Unterscheidung von analytischen und synthetischen Urteilen im Wesentlichen mit der sog. Zergliederung von Begriffen, die aufgrund von Erfahrung gebildet worden sind, so gerät es rasch in einen Konflikt mit den neueren semiotischen Erkenntnissen, welche die Grenzlinie zwischen dem analytischen Urteil einerseits und dem synthetischen Urteil andererseits als lediglich vermeintlich gültige entlarvt haben: „Ein analytisches Urteil ist folglich ein semiotisches Urteil in dem Sinne, dass es die Darlegung der Intensionen darstellt, die ein Code einer kulturellen Einheit zuschreibt“. Hieran knüpft sich die Kritik, „dass ein Urteil aufgrund einer Konvention analytisch ist und dass bei Veränderung der Konvention die einstmals analytischen Urteile synthetisch werden können und umgekehrt“4. Infolgedessen wird es für die Zwecke dieser Untersuchung darauf ankommen, sich (wenn schon nicht von der Kantischen Kategorisierung als solcher zu verabschieden, so jedoch) jeweils sehr genaue transzendentale Rechenschaft darüber abzulegen, inwieweit das subsumierende Rechtshandeln in Abhängigkeit von den Rechtsnormen, die es auf der Grundlage von Argumenten anwendet, a) spezifisch kodierte Intensionen beinhaltet, b) diese zeitlich verarbeitet und c) diese letztlich vor dem Forum der sozialen Alterität präsentiert. Dieser Ansatz ist gleichbedeutend mit dem Umstand, dass derlei Intensionen nicht aus eigener Vollkommenheit und schon gar nicht nach Art irgendwelcher Recht erzeugenden Automatismen in der Subsumtion gültig sind. Hiermit wird eine wissenschaftlich gewollte Konfrontationslage herbeigeführt, die sich aufgrund der erzeugten Reibung als rechtsphilosophisch zumindest potenziell nutzbringend erweisen soll. Der aus dieser Konfrontationslage resultierende Konflikt besteht darin, dass es den Juristen, die schließlich (vermeintlich) fest kodierte normative Tatbestände als Arbeitsgrundlage verwenden, recht unangenehm sein dürfte, neben dem Begriff der Hypostase auch den Begriff der Dynamik in die juristische Subsumtion miteinbeziehen zu sollen.
Überhöht ausgedrückt: Selbst die rudimentäre Anwendung semiotischen Denkens auf die juristische Subsumtion erzeugt Wirkungen einer derart großen rechtspolitischen, ethischen und kulturellen Schubkraft, die der Einschlagwirkung einer Revolution in der Mitte einer Zivilisation um nichts nachsteht. Diese Wirkungen können nur gemildert bzw. eventuell sogar gesteuert werden, indem man jeweils konkret beleuchtet, jeweils konkret beschreibt und jeweils konkret kritisch überprüft, welche dieser Schubkräfte bzw. welche dieser kulturellen Einheiten (Plural!) im Verlauf der argumentativen Erzeugung einer Rechtsnorm verwendet und mit welchen konkreten Auswirkungen zum Ausdruck gebracht worden sind. Jedenfalls zeigt sich, dass nicht nur „im Recht“, mithin im gesamten System, in dem subsumierende Handlungen erzeugt werden, sondern auch im einzelnen Akt der Herstellung einer Norm vieles – vermutlich sogar viel zu vieles – geschieht, als dass sich das Rechtssubjekt noch über die Einzelheiten und über ihre Zusammenhänge Rechtschaffenheit ablegen könnte. Aus epistemischer wie aus semiotischer Sicht gilt gleichermaßen, dass der „Ursprung“ dieses sprachlich bedingten Gefüges oder auch dieses sprachlichen Prozesses „nicht analysiert werden kann, sondern immer ´hinter´ oder unterhalb der Überlegungen steht“. Wenn folglich aus semiotischer Sicht diese erstaunliche Dunkelstelle ebenso markant fortbesteht wie für die Philosophie, welche dasselbe Phänomen in Gestalt des partout nicht namhaft zu machenden ´Dinges an sich´ längst kennt, so bleibt nicht besonders viel Spielraum für rechtsphilosophischen Erkenntnisgewinn. Vermutlich muss es genügen, „den Mut [zu] haben, die Ideologie zu bestimmen, die sich dahinter ausbreitet“5. Ersetzt man den möglicherweise anfechtbaren Begriff der „Ideologie“ gegen den vielleicht weniger verdächtigen der „Problemstellung“, so steht dem Beginn der Untersuchung, die sich damit begnügt, in Bezug auf das subsumierende Rechtshandeln nicht gleich nach dem Ganzen der rechtsphilosophischen Erkenntnis, sondern lediglich nach dessen Mustern Ausschau zu halten, nichts mehr entgegen.
Das Fach „Argumentationstheorie” ringt – auch gegenwärtig noch – nicht nur um seine Befestigung als akademische Disziplin, sondern hadert insbesondere damit, dass „grundsätzliche, mit der Konzeption des Gegenstandsbereichs Argumentieren zusammenhängende Aspekte noch gar nicht richtig thematisiert sind [...]”6. Die schiere Tatsache eines solchen Befundes ist erstaunlich: bedeutet sie doch zumindest auf den ersten Blick, dass die Grundlagen der subsumierenden juristischen Geltungserzeugung, deren koordinative Herstellungs- und Zusammenwirkungsabläufe es im Folgenden hinsichtlich ihres Gefüges aus theoretischen, semantischen, pragmatischen und diskursiven Bestandteilen zu untersuchen gilt, in keinem apriorischen Sinne als definitorisch fest abgesteckt bzw. abgestimmt zu denken sind. Damit einher geht die Implikation, dass sich der Forschungsgegenstand der argumentativen Erzeugung juristischer Normen und deren Wirkungen in ein Rahmengefüge von Ausführungsarten gestellt sieht, das inhaltlich derart mannigfaltig und methodisch derart weitreichend angelegt ist, dass es sich vorderhand wohl nur in Form rechtsgeschichtlicher Klassifikation zusammenfassen und beschreiben lässt7. Die Loslösung vom Programm der rechtsgeschichtlichen Darstellung argumentativer Formen, Inhalte und ihrer entsprechenden Methoden zum anderweitigen Zwecke der Untersuchung aktueller oder aktuell wirkender parlamentarischer, richterlicher oder behördlicher Akte der Recht-Setzung (zumal im Kontext der alltäglichen Rechtspraxis) bedingt, das philosophische Augenmerk insbesondere auf die Bestimmung folgender Ankerbegriffe zu legen:
Argument,
Zeit der subsumierenden Erzeugung der Rechtsnorm (Rechtszeit),
ethisch wirksame Geltungswahrheit.
Mit der Nennung dieser Begriffe geht aber nicht deren lexikalische Abrufbarkeit in der rechtlichen Subsumtion einher, weil der argumentative Vorgang bereits ersten Blicks ein ebenso dynamischer wie integraler Bestandteil der Arbeit an der Erzeugung einer Rechtsnorm ist. Rechtsphilosophisch muss es, demzufolge, um die hermeneutische Aufschlüsselung der involvierten begrifflichen Inhalte, deren Zuordnungen sowie um die schlüssige Etablierung eines tragfähigen semantischen Wirkungsnetzes, das schließlich zur Etablierung einer Rechtsnorm mit Geltungsanspruch führt, gehen. Hierbei bietet die Methode der auf Systematik angelegten Konturierung von Auffassungs-, Begriffs- und Satzfeldern den Ansatzpunkt des Untersuchungsinteresses. Dasjenige, was konturiert werden muss, ist, entgegen Descartes´ althergebrachtem Wissenschaftsverständnis, eben nicht schon aus sich heraus klar und eindeutig. Das Unklare und Uneindeutige in den Auffassungs-, Begriffs- und Satzfeldern, derer sich die argumentative Erzeugung von Rechtsnormen bedient, ist indes nicht als Defizit im Prozess der Erzeugung von Rechtsnormen und deren Geltung zu verstehen, sondern stellt vielmehr den genuinen Bereich für verantwortungsvolle Gestaltungsmöglichkeiten dar. Der vorliegenden Untersuchung, die sich an der Erzeugung von Rechtsnormen ebenso philosophisch wie juristisch orientiert, geht es letztlich um die methodische Verdeutlichung zeitlicher Bewegungen im Prozess der Vernetzung rechtlicher Auffassungen, Begriffe und Sätze, insofern diese in den für die rechtliche Subsumtion typischen hypostasierten Rechtssatz, den Inbegriff der Norm, münden. Die angezielte Verdeutlichung dieser Bewegungen sollte jedoch nicht als Hilfsmittel zur Erzeugung von Rechtsnormen und schon gar nicht – sozusagen ikonographisch – als deren Gestaltungsvorlage verstanden bzw. missverstanden werden; vielmehr geht es dieser Untersuchung, insofern weitaus bescheidener, lediglich um die philosophische Bewusstmachung gewisser Muster bzw. Musterbilder, die mit dem Verlauf der methodischen Erzeugung von Rechtsnormen typischerweise einher zu gehen pflegen. Das Bewusstsein derjenigen Komponenten, die den erzeugten Rechtssatz letztlich prägen, könnte, vorsichtig formuliert, nicht nur dazu führen, dessen Erzeugung für den Rechtsanwender selbst transparenter zu machen, sondern, noch vorsichtiger formuliert, möglicherweise sogar dazu beitragen, dass sich jedermann im Verlauf der argumentativ erzeugten Rechtsnormen als Rechtssubjekt wiedererkennen kann und nicht als dem Recht ausgeliefertes Rechtsobjekt empfinden mag. Hierbei dient als „Leitdifferenz“ für das rechtsphilosophische Untersuchungsanliegen nicht die Frage, „[o]b Konflikte richtig gelöst werden sollen oder ob beschrieben wird, wie dies geschieht“8; vielmehr soll jenseits dieser Alternativstellung die forcierte These maßgebend sein, dass überhaupt erst aufgrund eingrenzender Beschreibung bzw. verallgemeinernder Umschreibung derjenigen funktionalen Prozesse, die sich um die argumentativ grundierte Herstellung der Rechtsnorm ranken, ein rechtlicher Konflikt mit Anspruch auf soziale Akzeptanz seines in Bezug auf Einzelfälle gesprochenen Verdikts als gelöst betrachtet werden kann. Hierbei kann an die Erkenntnis angeknüpft werden, dass sich der gesamte Bereich der „Rechtsdogmatik … funktional als entscheidungsbezogene Argumentation“ beschreiben lässt9.
Die drei Ankerbegriffe Argument, Zeit der subsumierenden Erzeugung der Rechtsnorm und ethisch wirksame Geltungswahrheit haben, jeweils für sich genommen, im Zuge der Erhellung des Erzeugungsvorgangs rechtlicher Normen bereits hinlängliche Thematisierung erfahren. Gleiches gilt für deren zeitliches – sowohl potentielles als auch faktisches – Zusammenwirken im juristischen Syllogismus nicht. Der juristische Syllogismus drückt sich in Geltungsbehauptungen aus. Diese Ausdrucksweise beruht in aller Regel auf kodifizierten Texten und dem damit für die Subsumtion vorgezeichneten Weg. Geltungsbehauptungen, einmal etabliert, sind nur schwer oder gar nicht zu revidieren. Der rechtliche Syllogismus (einmal hilfsweise als denkendes Wesen angenommen) ist sich seiner vielen juristischen und philosophischen Problem- und Streitstände durchaus bewusst. Es bildet jedoch einen wesentlichen – wenn nicht gar den wesentlichen – Teil seines Bewusstseins, dass er sich über etliche polemische Anfechtungen und allerlei wissenschaftliche Probleme argumentativ hinweg zu setzen vermag, ohne dass dadurch seine Geltung und seine Wirkung entscheidend gemindert würden. Der Begriff „Argument” ist klassisch und sowohl in Bezug auf seine theoretisch-definitorische Ausprägung als auch in Bezug auf seine semantischen (d. h. anwendungsbezogenen) und pragmatischen (d. h. an strikter Entscheidungsrichtigkeit orientierten) Vielgestaltigkeit bereits eingehend untersucht worden10. Wenn und sofern im Folgenden vom „Argument” bzw. „Argumentationsgängen“ die Rede sein wird, so soll darunter vor allem ein aktiver – auf die Rechtszeit bezogener und in die Rechtszeit eingebetteter – thetischer Beweisgrund bzw. eine Bündelung von thetisch stützenden Beweisgründen mit dem jeweils immanenten Dreischritt ´Behauptung, Begründung und rechtlicher Entscheidung´ verstanden werden11. Die Geltung setzende Rechtsentscheidung kann damit auf ihre argumentativen Betonungen und deren zeitliche Bestandteile sowie zusätzlich auf eine ggf. zugrunde gelegte einheitliche Argumentationsleitlinie hin untersucht werden. Wenn und sofern im Folgenden von „Argumentation” die Rede sein wird, so soll darunter die etablierte Rechtsprozedur des Vorbringens von Argumenten, der Argumentationsgang, verstanden werden. Im Sinne dieser Begriffsbestimmungen soll es im Übrigen ohne Bedeutung sein, ob es sich um einen richterlichen, behördlichen oder einen durch vertraglichen Parteikonsens erzeugten Akt der Rechtsetzung12 handelt. Dieser Ansatz, der sich bewusst über die Dichotomie aus Begründungs- und Argumentationsprozedur hinwegsetzt, wird über wenigstens zweierlei Rechenschaft abzulegen haben:
Erstens wird das subjektive Fürwahrhalten im Sinne des Gebens-von-Gründen, das stetige Selbstkritik erfordert, damit recht unvermittelt in den Prozess der Argumentationsbildung eingespeist. Die Folge davon ist, dass die Einzelbegründungen letztlich in den Akt der insgesamt argumentativ erzeugten Geltungsbehauptung einfließen und vielleicht sogar ein untergeordneter Teil davon werden. Unterordnung in diesem Sinne bedeutet aber keinen Wegfall der Wertigkeit der Begründungsinhalte. Sollte darin das Problem beschlossen liegen, dass Argumente anstelle der Begründungen vorschnell zum Instrument unredlicher Geltungserzeugungsstrategien werden können, so ist dieses Phänomen ob der Erkenntnis, dass bereits die „Syllogistische Sophistik” – immerhin eine Spielart der logisch zentrierten Sophistik – „die in Täuschungsabsicht verwendeten irrtümlichen Schlüsse”13 kannte, nicht weiter besorgniserregend. Denn Täuschungsversuche durch Mitmenschen bilden leider ein Verhaltensphänomen, mit dem allenthalben und eben nicht nur im Zusammenhang mit der Begründungs- oder der Argumentationswissenschaft zu rechnen ist. Hinzu kommt, dass die juristische Überprüfung der erzielten Entscheidung auf Richtigkeit ohnedies kaum eine Kontrolle zur Abwehr heimlich vorbehaltener Unehrlichkeit ist, als vielmehr auf die Bewahrung kanonischer Schlüssigkeit des Entscheidungsakts im Gefüge der etablierten Normen abzielt. Die hauptsächliche Folge dieses auf Argumente und Argumentationsmuster gekürzten Begründens ist es dann, dass der Rechtsentscheider zwischen widerstreitenden Argumenten unmittelbar das rechtlich entscheidende Argument oder Argumentationsmuster auszuwählen hat und nur mittelbar die entscheidende Begründung. Argumentationsauswahl bricht Begründungsauswahl, weil „jene Punkte [festgestellt werden müssen], an denen die Meinungsverschiedenheit auftritt. Erst dann kann [man] die Argumentation auf eine Ebene bringen, wo einander entgegengesetzte Thesen vergleichbar werden und wo Argumente zugunsten einer Lösung zu wirklichen Einwänden gegen die andere Lösung werden und umgekehrt”14. In dieser Einsicht widerspiegelt sich der bereits seit Platon bekannte sprachliche Mechanismus, wonach der Sprachebene des Gebens und Nehmens von Argumenten Wörterbewegungen, insbesondere solche in Bezug auf Haupt- und Zeitwörter, korrespondieren. Diese Wörter vermögen sich zu einem einfachen Satz zu weiten. Dieser Satz wiederum ist sodann in der Lage, in die gesprochene Rede einmünden zu können15. Argumente, Argumentationsgänge und Argumentationsstrategien können sich in diesem Licht zu Gründen weiten und ausgestalten. Diese hochgradig dynamischen sprachlichen Bewegungen dürften übrigens auch der Grund dafür sein, dass den Erzeuger einer Rechtsnorm nicht schreckt, was der analytisch fokussierte Philosoph Kripke strikt zu vermeiden trachtet: nämlich den Umstand, „dass ein und dasselbe Argument zu zwei Schlussfolgerungen führt, die miteinander … unverträglich sind“16. Denn im Schlussakkord, mit dem die Erzeugung einer jeden Rechtsnorm endet, der Dezision, fängt der Erzeuger einer Rechtsnorm derlei (und sogar vielerlei) Widersprüche ein und leitet sie, gewissermaßen automatisch, in dasjenige über, was sein soll: die Geltung.
Zweitens tritt durch die Verbundbetrachtung von Begründungs- und Argumentationsprozeduren ersten Hinsehens ein auf Sprachebenen bezogener Problemstau auf. Dieser liegt darin, dass sogar das objektive Fürwahrhalten von intersubjektiv überprüften Gründen einerseits sowie die Rechtsgültigkeit beanspruchende objektive Argumentation andererseits keinen gemeinsamen Objektbereich teilen: „Während es Argumentationen für beliebige (wahre) Urteile gibt, gibt es objektive Begründungen einerseits nur für Meinungen, Thesen und Behauptungen, also Urteile, die irgendjemand für wahr hält oder behauptet (engerer Definitionsbereich), andererseits aber auch für Normen oder Handlungen (weiterer Definitionsbereich)”17.
Es steht jedoch eine Methode zur Verfügung, um die Verbundbetrachtung von Begründungs- und Argumentationsprozeduren rechtsphilosophisch zu stützen und das Problem ihres uneinheitlichen Objektbereichs zu nivellieren (wenn nicht sogar aufzufangen). Diese entsprechende Arbeitsmethode bietet die Strukturierende Rechtslehre an. Die Strukturierende Rechtslehre hat nicht nur den Begriff der Subsumtion revolutioniert, sondern ist darüber hinaus ein methodisches Instrument, das auf möglichst konsistente Weise argumentative Ordnung bzw. Ordnungen überhaupt erst erzeugt. Unter dem Begriff der „Rechtsnorm” hat der Bauplan der Strukturierenden Rechtslehre die Naivität überwunden, welche dem überkommenen Verständnis vom subsumierenden Dreischritt die längste Zeit inne gelegen hat. Fortan wurde nicht mehr der zur kodifizierten Rechtsnorm „passende” Sachverhalt gesichtet, sodass im Übereinstimmungsfalle ein Rechtsresultat „gefunden” werden kann. Die Strukturierende Rechtslehre hatte erkannt, dass der subsumierende Vorgang eine aktive Vermittlungsleistung zwischen der speziellen juristischen Sprachherausbildung und dem alltagssprachlichen Informationsbedürfnis der Rechtssubjekte erbringt, indem beide Bestandteile im Zuge der Herstellungsarbeit, die an der Rechtsnorm verrichtet wird, verschmolzen werden. Solchermaßen stellt die Strukturierende Rechtslehre auf die juristische Form der wissenschaftlichen Rechtsarbeit ab, die anhand eines jeden konkreten Rechtsfalls zu leisten ist. Hinzu kommt, dass dieses „neue” Verständnis der Rechtsnorm im Zuge der Rechtsarbeit in einen erweiterten Rechtskontext gehoben und derart wortwörtlich in das Gewebe des Textes eingebettet wird. Auf diese Weise tritt zugleich das Rechtssubjekt als aktives und das Recht gestaltendes auf den Plan. Das Ergebnis „der sprachlichen Interpretation aller Sprachdaten” ist dann das „´Normprogramm´ [Arbeitsebene 1]; es ist ein vorläufiges Zwischenergebnis bei der Falllösung. [...] [M]it jedem Normtext (= Artikel, Paragraph, Paragraphenabsatz), den z. B. der Richter am Anfang für seinen Rechtsfall ins Spiel bringt [...,] bringt er (bewusst oder nicht) zugleich eine Anzahl von Fakten mit ein, die erfahrungsgemäß mit diesen Normtexten zu tun haben können: individuelle Tatsachen des Falles und generelle Tatsachen des Falltypus. Diese Fakten heißen hier der ´Sachbereich´ der Vorschrift [Arbeitsebene 2]. Wenn der Jurist sie in einem zweiten Schritt [...] auf die für den konkreten Fall relevanten Tatsachen einengt, so bildet er den ´Fallbereich´ [Arbeitsebene 3]. Den ´Normbereich´ konstituiert er, drittens, indem er die Fakten einer doppelten Prüfung am Ergebnis der Sprachinterpretation, also am Normprogramm, unterzieht [Arbeitsebene 4]. Diese Selektion geht einmal dahin: sind diese Fakten für das Normprogramm, das ich inzwischen erarbeitet habe, immer noch relevant? Und: wenn das so ist, sind sie mit diesem Normprogramm inhaltlich vereinbar? [Kontrollebene als Arbeitsebene 5]”18.
Die Strukturierende Rechtslehre versteht sich derart – zum einen – als eng gewobenes mentales (d. h. vom Rechtssubjekt zu internalisierendes) Ordnungsmuster zur Verhinderung oder, nötigenfalls, auch zur Entzerrung der zur Abirrungen aller Art neigenden syllogistischen Arbeit an den Ebenen der Sprache. Dies geschieht durch die zwischen ihre einzelnen Konstruktionsebenen eingeschaltete Selbstprüfungsarbeit sowie vermittels sich ihres Standorts versichernder und sich ihrer Ergebnisse vergewissernder Kontrollarbeit. Ordnungsmuster können – zum anderen – aber auch als idealerweise neutrale, für kommunikative Äußerungen empfangsbereite und auf kommunikative Äußerungen ausstrahlende Perspektiven der Ordnungsmöglichkeit verstanden werden. Ansonsten hätte irgendein einseitig zugeschnittenes Ordnungsmuster freies Spiel, das „nach dem Schwund übermächtiger Ordnungssubstanzen” – zu denken hier ist natürlich an die ehedem notorischen Wettstreiter Naturrecht und Rechtspositivismus – „nur noch durch künstliche Materialbeschaffung vor dem Leerlauf zu bewahren wäre”19. Bereits diese Tendenzen sprechen dafür, sich auf philosophische Weise gleichermaßen mit den internalisierten und den intersubjektiven Verlaufsformen der Erzeugung rechtlicher Begriffe sowie den Begriffsfeldern, aus denen sie sich speisen, zu befassen. Insoweit lässt sich an maßgebliche geschichtswissenschaftliche Diskussionen anknüpfen, die annehmen, dass „die Untersuchung von Institutionen, zu denen Sprache und Recht auch gehören, durch Analyse der Symbolisierung ihrer Ordnungsleistungen erfolgt”. Es geht fortan nicht mehr um puristisches Aufspüren fest verdichteter Argumentationswahrheiten oder Teilen davon, sondern nur noch um die Darstellung von „´Ordnungsbehauptungen, Geltungsansprüche[n], Handlungs- und Rollenstilisierungen´”20.
Der gegenwärtige Diskussionsstand rubriziert zwecks Beantwortung der rechtsphilosophischen Wahrheitsfrage unter dem Sammelnamen „Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit” insbesondere zwei unterschiedliche Hauptansätze: Der eine Ansatz stellt den Verfahrensverlauf der zugrundeliegenden und zu fördernden Theorie in den Brennpunkt des Interesses. Abzugrenzen ist dieser Ansatz von der Theoretisierung der durch Verfahren formalisierten Herausbildung des Begriffs der Gerechtigkeit. Der Begriff von Gerechtigkeit, die im rechtlich gebundenen Verfahren hergestellt wird, kann demnach dem Begriff der materiellen Gerechtigkeit gegenübergestellt werden, welchem die Annahme inne liegt, Gerechtigkeit könne substanziell aufgefunden werden. Solcherlei Gerechtigkeit ist dann „die Gerechtigkeit eines Ergebnisses (Ergebnisgerechtigkeit); dem entgegen wird die prozedurale Gerechtigkeit aufgefasst als die „Förderung der Ergebnisgerechtigkeit, die durch Verfahren erreicht wird (Verfahrensgerechtigkeit)”21. Diese Spielartenbildung bedingt nicht nur die Frage nach dem konkreten Woher und Wie der Auflösung des vermeintlich all-einen Wahrheits- und Gerechtigkeitsbegriffs; diese Unterteilung in Sparten deutet überdies stark darauf hin, dass eine methodisch schlüssige und methodisch kritisch überprüfbare Richtschnur für die theoretische Ordnungsarbeit, die an der Erfassung der schieren Vielzahl begrifflicher Varianten zu verrichten ist, erforderlich sein wird. Erprobtes Mittel dazu sind die gliedernde Kategorisierung und die Gefüge bildende Hierarchisierung der betroffenen Sprachebenen. So kann z. B. der Überblick über die begriffliche Bestimmbarkeit der „Prozeduralen Theorien der Gerechtigkeit”, welche als „Sonderfall der ´prozeduralen Theorien praktischer Richtigkeit´” figurieren, dreistufig erfolgen: Begonnen wird mit der Bestimmung des Wahrheitswerts in Bezug auf eine Aussage, die an ein formalisiertes Verfahren gebunden ist; anschließend werden deren wertend-regulierende Inhalte ergebnisbezogen einer Theorie zugeordnet, die wiederum von praktischer Folgerichtigkeit handelt; schließlich werden die so gewonnenen Theorien als solche bestimmt, in deren Folge „eine Gerechtigkeitsnorm N” ´gdw´ (=genau dann wahr) ist, „wenn sie das Ergebnis einer bestimmten Prozedur P sein kann”22. Entsprechend könnte der Versuch unternommen werden, die von einer tiefen rechtsphilosophischen Gespaltenheit Zeugnis ablegende Vielzahl rechtstheoretischer Ansätze23 einem Ordnungsverfahren zu unterziehen, sodass – vielleicht – so etwas wie ein Muster eines Gliederungsnetzes entstünde.
Der dagegen berechtigterweise vorgebrachte Zweifel gehört längst zum rechtsphilosophischen Erkenntnisbestand. Die Rationalität sprachlich strukturierenden Zuschnitts verzeichnet immer dort, wie Ricoeur recht lakonisch bemerkt hatte, bedenkliche Erfolge, „wo es möglich ist: a) einen bereits vorhandenen, begrenzten, abgeschlossenen und in diesem Sinne toten corpus zu bearbeiten; b) Inventare von Elementen und Einheiten aufzustellen; c) diese Elemente oder Einheiten in ihren oppositiven Relationen, vornehmlich binärer Natur, zu untersuchen; d) eine Algebra oder eine Kombinatorik dieser Elemente und Gegensatzpaare herauszubilden”24. Aber auch die Gegenstrategie, die derlei gekünstelte Problemphänomenologie abweist und nach einem bündigen Zugriff auf einzelfallbezogene juristische Akte in der Praxis der Subsumtion sucht, ist bereits vor Zeiten als undurchführbar erkannt worden. Das geläuterte Verständnis weiß, dass ´die Rechtspraxis´ lediglich der begriffliche Kollektivsingular für sehr vielfältige Rechtspraktiken ist – wie es insbesondere für die unzählbaren Einzelgeschichten ´der Geschichte´ gilt. Die Rechtspraxis, die „niemand sehen kann”, ist eine kollektiv-abstrakte Fiktion aller auf sie Bezug nehmenden Rechtssubjekte und erweist sich damit als „ein Interpretationskonstrukt”25. Nicht von ungefähr bedient sich Dworkin (in Law´s Empire) hinsichtlich seines Versuchs der Erfassung und interpretativen Aufschlüsselung der Rechtspraxis seines Richters „Herkules”, den er der Mythologie entlehnt hat. Der normale Hersteller einer Rechtsnorm, ein Arbeitsrichter etwa, ist aufgerufen, sich zwecks Fehlervermeidung bei der Subsumtion am Vorbild des Herkules auszurichten. Ob diese Vorgabe auch nur hypothetisch erfüllt werden kann, mag bereits anhand Herkules´ erklärtem Ziel, den auf Geltung bezogenen Rechtsfindungsakt vor die Instanz des weiten rechtshistorischen Hintergrunds zu bringen und daran zu messen, zweifelhaft sein. Herkules soll interpretative Arbeit unter der gesetzten Bedingung verrichten können, dass der Rechtssachverhalt von interpretativen Komponenten unberührt bleibt und als solcher bereits feststeht. Dies impliziert, dass zwischen der in dieser Konzeption „regelmäßig” unbeachtlichen Frage nach dem Sachverhalt und der umso bedeutsameren Rechtsfrage scharf getrennt werden kann. „Eine rechtliche Entscheidung erwächst in Dworkins Theorie somit nicht aus einer Interaktion bzw. Annäherung von Sachverhalt und Norm, sondern aus der Entwicklung immer umfassenderer Rechtfertigungen historischen Rechtsmaterials in immer größeren Bereichen. Es schließt sich eine Konzeptionenbildung zu Begriffen, die in der abstrakten Theorie Verwendung fanden, an. [...] Aus der so erarbeiteten Theorie als [g]anzer ist überhaupt erst die auf den Fall anwendbare Norm zu gewinnen, unter die dann offenbar einfach” –? – „subsumiert werden können soll”26. Allerdings ist der begrifflich nicht ohne Weiteres erfassbare Großhorizont des „historischen Rechtsmaterials” außerstande, einen rechtsphilosophisch handhabbaren Maßstab für die in der Rechtspraxis notwendigerweise schlüssig und zielorientiert zu leistende Arbeit an der Konstruktion der Norm anzubieten; mythologisch grundierte Denkfiguren sind insoweit der literaturwissenschaftlichen Behandlung zu überantwortende Hilfsangebote. Hingegen gilt: Alle ordnenden, auf Internalisierung aufbauenden oder intersubjektive Wirkungsbandbreiten abwägenden Rechtsschöpfungsarten verwenden zur Stützung ihrer Konzepte konsequenterweise Argumente, Argumentationsgänge, Argumentationsmuster oder Argumentationsstrategien. Allein dieser Befund mag gegen die Möglichkeit der Vereinheitlichung von argumentativen Kanones oder Organes sprechen. Vor der näheren Untersuchung dieses vorläufigen Befundes soll der Blick auf die sprachphilosophische Entwicklungsgeschichte, ihre aktuellen Tendenzen und Folgen fallen.
1von der Pfordten (2011), S. 152; Übersetzung von mir (JJS).
2 Ein Beispiel aufs Geratewohl aus dem Mittelalter: „... in der Tat legte das um 1165 erlassene längere Kölner Dienstrecht fest, dass der Erzbischof jedem seiner Ministerialen von einer bestimmten Dienstgutstufe an zehn Mark zur Rüstung geben sollte und vierzig Ellen Scharlachstoff, mit denen der Mann seine Knechte einkleiden sollte“, Ehlers, S. 271.
3Eco (1972), S. 31/32.
4 Ders., S. 141.
5 Ders., S. 412.
6Wohlrapp, in: ders. (Hrsg.): Wege der Argumentationsforschung, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, S. 9.
7 Einen Überblick – beginnend mit der griechischen Antike, überleitend zu Perelmans rhetorisch-monologischem Argumentieren und Habermas ´ Diskurstheorie sowie hinleitend zu Toulmins Argumentationsschema auf formallogischer Grundlage – gibt Wohlrapp, ebd., S. 11 – 27. Zu Toulmins Schema sind instruktiv die Ausführungen von Schmidt-Faber, S. 12 – 16.
9 Ders., S. 77.
10Lumer (1990), S. 22 f. (zur Begriffsdefinition) und S. 85 f. (zur Argumentationssemantik und -pragmatik).
11 Zur Bandbreite „[a]rgumentationstheoretischer Ansätze in der Sprechwissenschaft” vgl. Hannken-Illjes (2004), S. 15 – 22.
12 Der Fall der gesetzgeberischen Erzeugung und Setzung von Normen verdient aufgrund seiner Intentionalität eigenes Augenmerk; vgl. zum Beispiel Gliederungspunkt D.: „Grundmuster des teleologischen Argumentierens: Politik und Ethik“
13Jaspers (1991), S. 563.
14Perelman (1979), S. 163.
15Platon (1991), Sophistes, 261 d - 262 d.
16Kripke (2014), S. 35.
17Lumer (1990), S. 35.
18Müller (1997), S. 13/14. Müller spräche hinsichtlich der „Realdaten” (S. 13) besser von dem Rechtsbeweis zugänglichen Sprachdaten, denn bei „Realdaten” handelt es sich um (ihrer Bewertungsbestandteile freilich weitgehend entkernte) „Sprachdaten”. Diese leichte Ungenauigkeit daher rühren, dass die Strukturierende Rechtslehre ein intrinsisches Rechtsfindungskalkül ist, das erst nach Komplettierung seiner einzelnen Programmkaskaden intersubjektive Ausprägung erfahren kann.
19Waldenfels (1987), S. 20.
20Warnke, in: Haß-Zumkehr (Hrsg.): Sprache und Recht, Berlin/New York 2002, S. 264. Zitiert werden Jussen/Koslofsky: Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch. Verfestigung kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, Göttingen 1999, S. 15.
21Tschentscher, S. 119.
22 Ders., S. 132.
23 Einen Überblick gibt Buchwald (1990), S. 69 f.
24Ricoeur (1973), S. 101.
25Grasnick, in: Müller/Wimmer (Hrsg.): Neue Studien zur Rechtslinguistik, Berlin 2001, S. 29.
26Bittner, S. 172.
Das Vorhandensein irgendeines metaphysischen – mithin eines nicht sichtbaren, angeblich gleichwohl begrifflich festen – Wahrheitskerns, der nur noch seiner analytischen Bergung harrte, wird heutzutage nicht mehr ernstlich vertreten. Erst mit dem allmählichen Abstandnehmen von jedweder Art der Wahrheitsidealisierung konnte sich die Forschungstätigkeit auch von der Beschwörung auf den stets um das Ganze der Ergebniswahrheit ringenden Wettstreit zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus lösen. Die Loslösung vollzog und vollzieht sich nicht lediglich in der Praxisferne der historischen Archive27, sondern war und ist als epistemisch und methodisch gebundenes Ablaufgeschehen in der Rechtspraxis wahrnehmbar. Das juristische Modell der Subsumtion ist dabei in Gestalt der erzeugten Rechtsentscheidung, die stets den Anspruch erhebt, richtig entschieden oder jedenfalls ´in der Sache´ richtig geurteilt zu haben, nur eine Variante sprachlich vielfältiger Arten der Festlegung; aufgrund der Sanktionierung28 abweichenden Verhaltens ist sie allerdings die wohl prägnanteste. Die Festlegung des Modells der rechtlichen Subsumtion a) auf seine linguistischen Kinderkrankheiten in Gestalt etwa des Logischen Positivismus´, b) auf die an Chomskys Denken ausgerichtete Generative Transformationsgrammatik oder c) auf die allzu starke Anbindung an positivistisches Gedankengut, das seinen Ausdruck insbesondere in der „Beschränkung auf Wortsemantik“ in der Rechtsanwendung gefunden hat, lässt sich unschwer vermeiden. Gleiches gilt für die Wertlegung auf „feste Wortbedeutungen, objektive[n] Textsinn, ein-eindeutige Beziehungen zwischen Wort und Sprache (Signifikant und Signifikat)” und für „die sogenannte Autor-Intention, die empirisch exakt feststellbar sein soll”29.
Begrifflich gebundene Wahrheitsfindung erfordert dem entgegen eine ausgewogene Prozedur, die zwischen den beiden unbedingten Forderungen nach Rechtsgeltung sowie Rechtsrichtigkeit um fortwährenden Ausgleich bemüht ist. Wesentlich dabei ist, dass die herzustellende Rechtswahrheit als abänderbar gedacht wird: „[D]er normative Status, eine richtige Begriffsanwendung zu sein, [darf] nicht mit normativen Einstellungen zusammenfallen [...], wie auch die Auffassung, dass Richtigkeit einfach darin besteht, für richtig gehalten zu werden, beides vermengt. Die Objektivität der begrifflichen Normen verlangt, dass jede Einstellung, die Anwendung eines Begriffs beim Bilden einer Überzeugung oder Aufstellen einer Behauptung als richtig zu betrachten, zu behandeln oder zu beurteilen, kohärenterweise auch als falsch gelten kann, und zwar aufgrund dessen, wie es um die Dinge, von denen die Überzeugung oder Behauptung handelt, bestellt ist, wie diese Dinge sind”30. Infolgedessen ist nicht nur dem Wahrheitsbegriff ein weiter Sprachspielraum eröffnet; ein Gleiches gilt auch für die entsprechenden argumentativen Handlungen und die mit ihnen einhergehenden Bedeutungszuweisungen, mit denen sich die z. B. Denkrichtung der Bezugssemantik befasst. Folgende Unterscheidungen können daher nur einen ersten Orientierungsrahmen bilden: Bereits mit Saussure hob diejenige sprachliche Differenzierungsarbeit wider ein simples abbildtheoretisches Sprachverständnis an, in deren Folge der Bereich der Sprachzeichen (langue) vom Bedeutungsfeld der lebendigen Rede (parole) getrennt worden war. Die begrifflich-theoretische Befassung mit den Sprachzeichen und die Akte der begrifflichen Bedeutungszuweisungen traten auseinander. Es entspricht dies mittlerweile dem gesicherten Forschungsstand und ist nicht länger Erkenntnisziel. Hjelmslev, der „Begründer der linguistischen Texttheorie”, hatte diese Wechselbeziehung „von Elementen und den Abhängigkeiten unter ihnen” in den Blick genommen, und zwar unter dem Gesichtspunkt von „System und Prozess”. Die Weiterentwicklung dieses Denkens kann in eine auch für die juristische Texterzeugung verwendbare allgemeine Beschreibung münden. Danach kann die andauernde Mühe der Herstellung einer Norm als tragender Baustein eines Textgefüges aufgefasst werden, als ein Sprachprozess „unbestimmter Begrenzung, der konstituiert ist a) durch Verkettung seiner Bestandteile, b) durch die Selektion durch einen Zusammenhang oder durch einen Kontext, dessen Bestandteil er bildet”31. Allerdings erwiese sich die Annahme als irrig, die Rechtsphilosophie sei damit ihres Dauerproblems enthoben, das seit Descartes mit der selbstreflexiven Rationalität seinen Anfang nahm und zur philosophischen Weltverdoppelung führte (Dichotomie zwischen res cogitans und res extensa); denn auch die zunehmende philosophische Dezentrierung des Subjekts zugunsten der Alterität (als Philosophie gegenüber den Anderen) sowie der Blick auf die sprachlich vergemeinschafteten Rechtserzeugungsvorgänge (als Philosophie des Umgangs der Anderen untereinander und miteinander) haben die Optik nur quantitativ verschoben, nicht aber das Problem qualitativ beseitigt, weil vormals lediglich dichotomische Problemstände sich im Lichte der Alterität nunmehr zu multithematischen Problemständen verändert haben, deren mögliche Klärung fortan in die weiten Bereiche der Semiologie, der Semantik und der Pragmatik verschoben worden ist. Zwar trifft im Lichte dieser Überlegungen jede nicht-kommunikative Philosophie noch rascher als zuvor das Verdikt, eigenbrötlerische Metaphysik zu sein, weil offenkundig geworden ist, dass jede Philosophie, die sich auf Hypostasierung ihrer Werte und nicht auf Sprachaustausch ausrichtet, zur Erstarrung und Verkümmerung verurteilt ist. Ersten Blicks treten mithin Wittgensteins auf Sprachgebrauch ausgerichtete Überlegungen, welche die Suche nach sprachlichen „Hinterwelten” als hinfällig gebrandmarkt hatten, an dieser Stelle in ihr volles Recht. Zweiten Blicks gelangt aber auch Wittgensteins Erkenntnis an ihre Grenzen, welche damit endet, dass es gemäß den Darlegungen im „Tractatus“ eben doch weltbezogene metaphysische Aussagen (und damit erst recht zutreffende sprachliche Festlegungen) geben kann, die allerdings, sofern sie an irgendeine Wesenhaftigkeit geknüpft werden sollten, keinen sinnvollen Ausdruck erzeugen32. Hiernach zeigt sich: Selbst bei Tilgung vielerlei metaphysischer Restbestände im sich aufgeklärt gebenden Sprachspielapparat bleiben allem Anschein nach die zwei Fronten33 zwischen sprachlich zeichenhaften Feststellungen und sprachlich fließenden Gebräuchen nicht aus. Allerdings ist die Hervorhebung einer solchen oder einer verwandten Dichotomie nicht der Rechtsphilosophie letzter Ratschluss. Hat nämlich auch „nicht jeder gehaltvolle Ausdruck (jeder, dessen Vorkommen für die Bestimmung des vom Ganzen repräsentierten Sachverhalts von Bedeutung ist) an sich schon einen repräsentationalen Gehalt [...], dadurch dass er für etwas steht”, so schweigt Wittgenstein doch zum Problem der Handlungsbestimmung, d. h. dazu, was zu tun ist, „um einen Ausdruck zum Bezugnehmen, Charakterisieren oder Behaupten zu gebrauchen (diese Merkmale des Gebrauchs bringt er mit dem repräsentationalen Gehalt in Zusammenhang)”. Ebenfalls unbeantwortet bleibt die Frage, „was notwendig ist, damit ein Bestandteil eines Sprachspiels einen spezifisch propositionalen Gehalt ausdrückt”34. Anders gesagt: Auch die These, dass Sprachspiele den Gebrauch einer Proposition festlegen, bettet diese Spiele in eine Praxis ein, die wiederum selbst von Erkenntnis- und Rechtssubjekten betrieben, bestimmt und letztlich genau dadurch normiert wird. Davidsons Versuch etwa, der Erfassung von Wahrheit ein Konzept zu geben, entwickelt Wittgensteins Ansatz, Sprache sei „intrinsisch sozial”, weiter, um zu einem „tiefen Verständnis linguistischer Fakten” vorzudringen35. Zu diesem Zweck werden theoretisch stipulierte (d. h. vereinbarte) Definitionsversuche zugunsten empirisch gestützter Wahrheitsbedingungen von auf Personen zugeschnittenen Satzgebilden aufgegeben. Die Einbindung von Sätzen in Satzgefüge zieht die Umfunktionierung verschiedener Wahrheitstheorien in eine Theorie über interagierende Befähigung nach sich: Sprecher und Interpreten müssen einander verstehen können. Argumentative Schlüssigkeit setzt Kommunizierbarkeit innerhalb der Sprachgemeinschaft voraus, wobei erst die Gesamtheit der Beziehungen aus Sprecher, Interpreten und der sozialen Welt die Denk- und Sprachinhalte festlegt. Die Interpretation des beobachtbaren Benehmens der Sprach- und Sprechakteure bestimmt nunmehr, was vormals unter der Ägide der theoretischen Produktionsergebnisse gestanden hat. Somit gilt: Die Wahrheitsbedeutung von Sätzen („distal theory of reference”) ist zu einer Beurteilungsfrage interpersonaler Verständigungsleistungen geworden36.
Rechtliche Abläufe dürfen aber nicht mit ´reiner´ intersubjektiver Kommunikation gleichgesetzt werden, weil sonst so etwas wie ein metaphysischer Ersatzfetisch geschaffen würde37. Ohnehin gibt es keine Notwendigkeit, stets um das Ganze der Erzeugung von Argumenten oder Rechtsnormen und deren Modellbildung zu ringen. Statt dessen besteht allemal die Möglichkeit, bei den Beziehungsgeflechten, die sich von Wort zu Wort, von Begriff zu Begriff, von Satz zu Satz, von Satzgefüge zu Satzgefüge, von normativem Gebot zu normativem Gebot und von Interpretation zu Interpretation bilden, anzusetzen, um einen Erkenntnisgewinn zu erzielen. Fortzusetzen ist dann bei den methodischen Wechselbezügen dieser Einzelgefüge, wobei die argumentative Arbeit an der Erzeugung der Rechtsnorm trotz ihrer Einbindung in prozedurale Kontexte zum definitiven Rechtsentscheid muss führen können. Der exemplarische Blick auf die polaren Begriffe „Wort”, das als grundlegender Satzbaustein dient, und „Theorie”, deren interpretationsbedürftiger Bauplan stetiger Fehdehandschuh und Reibungsfläche gegenüber anderen Theorien ist, soll zeigen, wie der Prozess aus Stabilisierung, Konflikt und wissenschaftlicher Theoriebildung vonstatten geht. Dabei gilt: Wort und Theorie teilen die Eingebundenheit in die wissenschaftliche Arbeit, die an und mit der Rechtssprache zu verrichten ist. Diese lässt sich unterteilen einerseits in die semantische Arbeit an der Konstruktion der Theorie „(betreffend die durch verschiedene Äußerungen ausgedrückten Inhalte)” und andererseits in die Pragmatik als theoretische Zielführungsarbeit an der richtigen Begründung „(betreffend die sprachlichen Praktiken, in die diese Äußerungen eingebettet sind)”38.
Angesichts dieser definitorischen Standpunktnahme lassen sich nunmehr zwei konkrete Fragen (als Gliederungspunkte B. I. und B. II.) formulieren:
Auf welche methodische Weise arbeitet das Rechtssubjekt, das sich auf den fünf semantischen Sprachebenen der Strukturierenden Rechtslehre bewegt, mit den Begriffen „Geltung” und „Wahrheit”39?
Die Arbeit an der Erzeugung der Rechtsnorm richtet sich zuerst an das sprachliche Wort, das oftmals über seine Verwendung im Alltag hinaus zum juristisch-technischen Terminus umgegossen worden ist, um so regelmäßig in den durch Dezision gestützten Rechtssatz einzumünden. Bereits diese Begriffsbewegungen befördern erste Zweifel an Ricoeurs strukturell geleitetem Konzept, welches die sprachliche Bewegung durch die auf das Wort gestützte sog. Polysemieleistung nachzuvollziehen versucht, indem diese wiederum ins Verhältnis zum Satz gesetzt wird. Gefragt wird nach den theoretischen Voraussetzungen einer Wissenschaft, um sich linguistischen Problemen auf analytische Weise zuwenden zu können, d. h. die Differenzbestimmungsarbeit an der Kluft zwischen Rechtssprache, Rechtsrede und deren Wirkungsrichtigkeit wird thematisch. Dabei bildet das herkömmliche (d. h. das nicht unbedingt rechtliche) Zeichen eine zweifache Differenz aus, und zwar eine „zwischen den Zeichen und eine jedem einzelnen Zeichen immanente Differenz zwischen Ausdruck und Inhalt”40.
Diese Differenzbestimmungsarbeit wird zumal für das im Sinne der Strukturierenden Rechtslehre erzeugte rechtliche Zeichen zum Problem: Zum einen ist die zuvor genannte „immanente Differenz“ aufgrund ihrer Grobkörnigkeit im Vergleich zu paragraphierten Rechtszeichen, welche im Rahmen der richterlichen oder anderweitig sachkundigen Subsumtion jeden argumentativ induzierten Einzelfall konkret und nicht nur allgemein auszuloten gestatten, wodurch jeder Einzelfall überhaupt erst seine stets neue intersubjektive Rechtswirkung entfalten kann, viel zu allgemein strukturiert und damit praktisch blutleer; denn die rechtlich hergestellten Zeichen in Gestalt der Rechtsnorm und des Rechtssatzes müssen vor der berufenen Rechtsöffentlichkeit, der Alterität, Bestand haben, weil das rechtlich Statuierte ggf. in einem weiteren nachgelagerten Argumentationsgang in Bezug auf seine Gültigkeit verteidigt werden muss. Zum anderen überschreitet die rechtliche Geltungsentscheidung ohnehin jede puristische Zeichenqualität, weil sie stets tief in das auszufüllende Begriffsfeld der rechtlichen Pragmatik hineinführt. Hinzu kommt, dass dem Wort nicht allein die Stabilisierung des gesamten (Rechts-)Satzes überantwortet werden kann, ansonsten es unter dieser Last zerbräche. Dies gilt zumal dann, wenn es überdies sogar a) als Architekt eines geschichtlichen Gepräges sich selbst Kontur geben, b) das Sprachsystem errichten und c) dieses zugleich als Struktur rechtfertigen können soll; hierbei wird die intensionale Überlast deutlich. Hingegen gilt: Das Wort vermag es allenfalls, zwischen einem qualitativen Weniger und einem qualitativen Mehr in Bezug auf den normalen (d. h. nicht unbedingt dezisionistisch angelegten) Satz zu pendeln. „[...Es] ist der Satz ein Ereignis; das heißt auch, dass seine Aktualität transitorisch, vergänglich, flüchtig ist. Das Wort überlebt den Satz. Als beliebig einsetzbare Einheit überlebt es die transitorische Rede-Instanz und hält sich für neue Verwendungen zur Verfügung. Mit einem neuen Gebrauchswert bereichert – so gering dieser auch sein mag – kehrt es zum System zurück. Und indem es sich wieder dem System eingliedert, gibt es ihm eine geschichtliche Prägung”41. Der weitere Blick auf die Wortfunktion der „Polysemie”, wonach ein Wort trotz mehrfach möglicher Bedeutungszuschreibungen demselben Systemzustand angehören kann, weist auf dessen zeitliche Eingebundenheit in das Sprachgefüge aus Wort und Satz. Ricoeur stellt sich die in Funktion überführte Polysemie gleichsam als osmotischen Vorgang vor. Innerhalb dieses Ablaufs sind die Ausdehnung oder gar die „Überladung (surcharge)” des Wortes „mit neuen Gebrauchswerten” und dessen Möglichkeit der Eingliederung in das durch „die gegenseitige Begrenzung der Zeichen” geprägte System in Einklang zu bringen. Es könne „von einer limitativen Wirkung des Feldes [gesprochen werden], die der Expansionstendenz, die aus dem kumulativen Prozess des Wortes hervorgeht, entgegentritt”42.
Bereits die individuelle zeitliche Arbeit an der Errichtung der Rechtsnorm ist gegenüber diesem Ausgleichsgeschehen ein Aliud, weil die subsumierende Arbeit an der Herstellung der Norm eng auf die rechtliche Thematik der Geltung zugeschnitten und somit sehr viel fokussierter ist, als es die Arbeit an der allgemeinen Balance zwischen nicht-rechtlichem Wort und nicht-rechtlichem Satz jemals sein könnte. Vor allem aber ist der vom System dem Wort ggf. nur geringwertig belassene Eigenwert für die Arbeit der juristisch zu erzeugenden Norm ohne Sinn, ohne Bedeutung und ohne Zweck, denn die rechtliche Subsumtion nimmt Sprache als Text in ihren Geltungsdienst; damit einher geht die Eingebundenheit und Überführung der Arbeit-an-der-Herstellung-der-Rechtsnorm in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Kontext. Dieses Geschehen bedingt die entsprechende gesellschaftliche Zeitbefassung nicht nur in Beziehung mit dem Akt der Errichtung der Rechtsnorm, sondern stellt auch den Bezug für Wahrheit und Gültigkeit der Rechtsnorm her. „Geltung” und „Wahrheit” erweisen sich folglich nicht lediglich als Worte oder Begriffe, die einem Sprachkörper angehören oder diesem nach Art des Stoffwechsels unterschiedlich zugeordnet werden können; diese sind ebenso gut durch die perennierenden Rechtshandlungen aller Rechtssubjekte erzeugte besondere Rahmenphänomene als Kommunikationsphänomene. In dieser Perspektive wird rechtliche Wahrheit von gesellschaftlichen Faktoren bestimmt; rechtliche Wahrheit ist stets die gesellschaftlich gültige Wahrheit oder ansonsten funktions- und wirkungslos. Rechtliche Arbeit an der Errichtung des Begriffs der Wahrheit und der Geltung ist zuallererst Arbeit-am-Begriff in Gestalt der zeitlichen Gebundenheit des Verständnisses-vom-Begriff.
Bei Aristoteles begann „jede Erkenntnis [noch] mit der Wahrnehmung am Einzelnen, dem konkreten physischen Gegenstand“43. Jegliche Erkenntnisgewinnung war dabei an den Begriff, der zwischen Besonderem und Allgemeinem zu unterscheiden erlaubte, gebunden. Indes gab bereits diese grundlegende Differenzierung Anlass, über ein mit ihr verbundenes mythisches Phänomen nachzudenken: Im Urteil, das Begriffe zur Urteilsaussage verknüpft und sich dabei auf entsprechende Begriffe stützt, wird der Übergang vom Einzelnen zum Allgemeinen vollzogen. Das Einzelne ist der Wahrnehmung zugänglich, das Allgemeine, das insoweit mythisch bleibt bzw. zumindest erklärungsbedürftig ist, nicht. Hiernach befindet sich die „menschliche Erkenntnis in einer grundlegend aporetischen Situation, die nur dadurch überwunden werden kann, dass das adäquate Allgemeine durch einen qualitativen Sprung gefunden wird – die Parallele zur mythischen Vorstellung des ύπολαμβανείν, verstanden als Rettung aus einer ausweglosen Situation durch das Göttliche, ist kaum zu übersehen. Ohne diesen qualitativen Sprung vom Einzelnen zum Allgemeinen, von dem wir nicht wissen, wie er zustande kommt [!], den wir immer nur vorfinden, wenn wir urteilen, würde der Mensch nichts erkennen können und wie ein Tier in der bloßen Anschauung verharren. Es ist unhintergehbar und erscheint gewissermaßen als eine göttliche Gabe, die menschliche Erkenntnis erst möglich macht“44. Auf dieser (vergleichsweise charmanten) Basis ist die Erzeugung der rechtlichen Begriffe von Wahrheit und Geltung nicht möglich.
Es war der Neukantianer Rickert, der im Bestreben, einen theoretisch und praktisch tragfähigen Rechtsbegriff zur Verfügung zu stellen, „seine transzendentale Methodologie im Zuge seiner Erkenntnislehre entwickelt“ hat. „Sie enthält die wichtige Unterscheidung von ´konstitutiven Wirklichkeitsformen´ und ´methodologischen Erkenntnisformen´“. Folglich treten die Begriffe „´Sein´ und ´Sollen´ […] als zwei unterschiedliche Standpunkte wissenschaftlicher Begriffsbildung“45 hervor; der Rekurs auf eine „göttliche Gabe“, die den Menschen Erkenntnis schenkt, ist hiernach obsolet geworden, denn fortan bestimmt der methodische Zugang zu den Begriffen Wahrheit und Geltung deren Inhalt und deren Bedeutung. Nunmehr muss der Begriff, um wirken zu können, systemisch werden, d. h. in einen Zusammenhang höherer Ordnung eingepasst werden können: „In Rickerts Philosophie ist Sozialontologie nur möglich im Zusammenhang mit einem System der Werte“. Und: Nunmehr kommt es darauf an, „den Zusammenhang zwischen der Prinzipientheorie der Erkenntnis des Realen und der Prinzipientheorie des Realen zu durchschauen“46. Zusammenhänge dieser Art werden von Menschen methodisch gemacht; diese Zusammenhänge sind nicht göttlich vorgegeben und werden auch nicht auf andere Weise vorgefunden, es sei denn, man setzt sich das Ziel, diese Zusammenhänge, etwa auf phänomenologische Art, als vorgefundene zu untersuchen. In Rickerts Philosophie liegt zugleich die Hinführung auf den transzendental verstandenen Begriffsrahmen Kantischer Prägung beschlossen: „Geltungsgründe lassen sich nicht begreiflich durch den Verweis auf etwas außerhalb der Struktur jener Leistungen machen, auf irgendein Seiendes, wie in der Metaphysik oder im Empirismus. Sie müssen vielmehr durch eine Klärung des Geltungsanspruchs und der Geltungsstruktur menschlicher Erkenntnis selbst begriffen werden. Transzendentale Erkenntnis betrifft also das, was uns als Menschen qualifiziert, das humanum: die normative Dimension menschlichen Denkens und Handelns. Die Orientierungsdeterminanten menschlicher Leistungen sind keine metaphysischen Entitäten mehr, sondern Gründe, Werte, die sich letztlich als Bestimmungsstücke der Humanität selbst erweisen. Sie gelten folglich kategorisch“, was genau soviel bedeutet, „dass ihre Geltung nicht von der faktischen Anerkennung durch Subjekte abhängt. Im Gegenteil: Sie sollten anerkannt werden, da sie ja nichts anderes enthalten als das, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, Denken und Handeln zu können. Sie bestimmen die Geltung unseres Denkens und Handelns unmittelbar“47. Vermittels dieses transzendental gebundenen Konzepts ist den Begriffen Wahrheit und Geltung das gesamte menschliche Panorama – der gesamte menschliche Rahmen – als Bedingung der Möglichkeit für subsumierendes Rechtshandeln eröffnet. Der Rahmen transzendental aufgefasster Humanität mag prima vista zu weit gespannt sein, um noch eine konzise Bildung und eine konzise Wirkung von (Rechts-)Begriffen zumal in der so genannten modernen Welt garantieren zu können.
An diesem Einsatzpunkt treten die sog. Frame-Theorien oder Rahmen-Theorien auf den Plan, um dem systemisch und überdies systemisch-funktional gewordenen Begriff seinerseits Bezugspunkte in der Textur-der-Begriffe stützend beiseite zu stellen. Die theoretische Basis der Frame-Theorien folgt noch althergebrachten Ansätzen: „Im Grunde bestimmen bis heute zwei Determinanten das allgemein verbreitete Verständnis vom ´Begriff´, zum einen Begriff als abstraktive Zusammenschau von Ding-Eigenschaften, zum anderen Begriff als höherwertiges Wort (in Bezug auf seine abstraktive Funktion)“. Hierbei habe das „das diffizile Verhältnis zwischen ´Begriffen´ und sprachlichen Zeichen als ihren ´Trägern´ (das auf das mindestens ebenso diffizile Verhältnis zwischen den beiden theoretischen Termini Begriff und Bedeutung durchschlägt), selten im Mittelpunkt des theoretischen Nachdenkens“ gestanden. „Dies führt dazu, dass in Begriffstheorie, sprachphilosophischer und linguistischer Semantik bis heute allzu häufig noch recht naive Vorstellungen darüber verbreitet sind, wie man mit dem Verhältnis von Begriff, Bedeutung und Wert eigentlich umzugehen hat“48. Aus dieser Passage wird ersichtlich, dass sich begrifflich-zeitlich und zugleich begrifflich-funktional ´etwas´ zuträgt, wenn und sofern der Begriff sein vermeintlich (z. B. transzendental) festgefügtes Umfeld verlässt und sowohl in die materiellen Kontexte von Bedeutung und Wert gestellt als auch in die methodischen Kontexte von Begriffstheorie und der Semantik (zusätzlich) unterschiedlicher Provenienz eingespeist wird. Diese Kontexte bilden dann einen größeren sozialen Zusammenhang oder sogar größere soziale Zusammenhänge heraus: „Aus den … Zusammenhängen Schemabildung, Abstraktion und Konventionalisierung ergibt sich die Sozialität von Wissen quasi von selbst“49. Die theoretische Basis der Frame-Theorien muss auf diese wissenschaftliche Entwicklung reagieren, um das durch erweiterte bzw. um das durch sich stetig erweiternde Kontexte generierte Wissen überhaupt noch fassen zu können: „Frame-Theorien (Theorien der Wissensrahmen) begreifen diese Frames (oder Wissensrahmen) in der Regel als ´Strukturen aus Konzepten bzw. Begriffen´“50. Die Verwendung von Wissens-Rahmen in der analytisch-funktionalen Variante ist dem Rechtssubjekt aber nicht nur als „Erschließungs-Instrument für begriffsnotwendige Wissensbestandteile“ dienlich, sondern auch als ein Mittel für die „Darstellung komplexer Wissensstrukturen“. Der Grund hierfür sei darin zu erblicken, „dass der Umfang des begrifflichen Wissens, das für eine angemessene Anwendung“ von Rechtsbegriffen „in der juristischen Alltagsarbeit notwendig ist, mit einem gängigen Begriff von ´Wortbedeutung´ nicht mehr zu fassen ist. Geeigneter scheint es zu sein, auf das in der kognitiven Semantik entwickelte Modell der ´Wissenssuche´ zurückzugreifen“51.
Hiernach gilt: Das stets auf der Suche nach Wissen und Anwendung des Wissens befindliche Rechtssubjekt erzeugt durch das subsumierende Rechtshandeln rechtlich bedeutsame Zeit, die als funktionale Zeit der Erstellung der Rechtsnorm zu kennzeichnen ist. Die konkrete zeitlich-ethische – weil gesellschaftlich oder sonst gar nicht konnotierte – Funktionalität dieses Vorgangs soll mit der vorliegenden Untersuchung erkundet werden. Zwar steht als Ergebnis nicht zu erwarten, „dass alle Arten und Komplexitätsgrade von Begriffsstrukturen (verstanden als Wissensstrukturen) gleichermaßen gut (oder überhaupt) mit ein und demselben Frame-Modell analysiert werden können“52; indes sollte es möglich sein, hierbei zumindest ein gewisses philosophisches Surplus als Erkenntnisgewinn gegenüber der etwas pessimistischen Einschätzung gewinnen zu können, wonach „Frames als Instrument der Begriffs- bzw. Wissens-Analyse häufig in eher reduktionistischer, auf die wesentlichen Kern-Elemente beschränkter Form praktiziert“53 worden sind.
Genau welche praktischen Auswirkungen hat („zeitigt”) die Arbeit an der Herstellung des Begriffs der Rechtsnorm insbesondere dann, wenn versucht wird, andere Rechtssubjekte auf gleichermaßen argumentative wie pragmatische Weise von der rechtlichen (und ggf. auch der politischen, ethischen und/oder traditionellen) Geltung der jeweils hergestellten Norm-Wahrheit zu überzeugen?
Kritik an der begrifflichen Genese der Rechtsnorm sowie Kritik an der begrifflichen Valenz der Rechtsnorm hat immer auch sicherzustellen, dass normative Wirkungsweisen öffentlich gezeigt („demonstriert”) werden können. Vorsicht ist aber geboten, um derlei Zeigeeffekten keine zu starke theoretische Vorgabe aufzuerlegen. Zwei unnötig polarisierende Ansichten sind in dieser Hinsicht kritikwürdig: Erstens ist der Selbstbeglaubigungsfehler der „klassischen Pragmatisten” zu vermeiden, „den propositionalen Gehalt allein mit den Folgen der Billigung einer Behauptung gleichzusetzen”54. Zweitens ist die Arbeit an der Rechtsnorm kein reines logisches Schlussfolgern, sondern lebt vom lebendigen Dialog der Rechtssubjekte. Brandom verabschiedet die Formal-Logik auf dem neuen theoretischen Weg expressiver Dia-Logik: Es darf „´logisch´ ein Vokabular nur genannt werden, wenn es Richtigkeiten des Gebrauchs eines Ausdrucks, die ansonsten implizit in der Praxis bleiben, als Gehalt einer Behauptung explizit machen kann”55. Dieser Kritikansatz bedient sich des sog. inferentiellen Denkens. Insbesondere seit Kant und Frege ist eine philosophische Entwicklung eingetreten, die sich von der Auffassung, Wahrheit sei dem Erkenntnissubjekt durch Ausforschung begrifflicher Immanenz zugänglich, gänzlich entfernt hat. Statt dessen wird der Begriff der Wahrheit ganzheitlich aufgefasst, und zwar im Sinne eines auf Beurteilungen bezogenen intersubjektiven Geltungsausspruchs. Entgegen Descartes´ sozusagen vereinsamter Begriffsrationalität werden „Rationalisten wie Spinoza und Leibniz” angeführt. Sie hätten bereits entwickelt, „was es heißt, dass ein Ding ein anderes repräsentiert, und zwar in Begriffen der inferentiellen Signifikanz des Repräsentierens. Sie haben sich (im Unterschied zu Descartes) explizit darum bemüht, erläutern zu können, was es für etwas bedeutet, von einem Subjekt in der Praxis als eine Repräsentation verstanden, behandelt oder verwendet zu werden – für dieses Subjekt eine Repräsentation zu sein. Die Idee war, dass die Art und Weise, wie Repräsentationen über sich hinausweisen auf etwas, was repräsentiert wird, in Begriffen inferentieller Relationen zwischen ihnen zu verstehen ist. Zustände und Performanzen erlangen Gehalt dadurch, dass sie in Inferenzen” – wesentlich hervorzuheben – „als Prämissen und Konklusionen eingebunden sind”56. Es kommt so zu einer sozialen Kontoführung des Gebens und Nehmens von Argumenten und Gründen; die Flucht vor Intensionen wird gewissermaßen buchhalterisch verwaltet. In diesem Sinne ist die gesellschaftliche Bilanzierung von Argumenten und Begründungen als das andauernde prozedurale Bemühen der um argumentative Ausgewogenheit ringenden Rechtssubjekte zu verstehen. Brandoms inferentielles Konzept führt etwa über Austins Sprechakttheorie weit hinaus, deren auf das Einzelsubjekt bezogenes Verdienst es war, zuerst verdeutlicht zu haben, dass es sprachliche Äußerungen sind, die Handlungsvollzüge bilden. Seine Theorie der Sprechakte erfasst die regelgeleitete Satzerzeugung innerhalb einer wohlbestimmten Sprache als phatischen Vorgang. Anschlussweise wird dies „als notwendige Bedingung für den rhetischen Akt, die sinnvolle Äußerung”, genommen, um auf diese Weise „den systematischen Status dieses Sprachbildes” zu gewinnen und dieses „in den konstitutiven Zusammenhang der Rhetorik, dem es entwachsen war”, zu stellen57. Von der Satzkonstruktionsart können jetzt Rückschlüsse auf die Rhetorik als Sprachstrategie gezogen werden58. Beide Bausteine deuten auf die von der modernen Rhetorik entwickelte Dreigliedrigkeit aus Syntax, Semantik und Pragmatik hin59. Was Ricoeur für das Verhältnis von Wort-zu-Satz hervorgehoben hatte, nämlich den stabilisierenden Wortrücklauf in das Satzsystem, ist schon seit Austins Ausarbeitungen für den Satz bekannt. Dort allerdings dient der Satz als Stütze eines veränderten Kontextes: dem überzeugenden Redeführen. Es sind dies die Anfänge, Sprache ganzheitlich („holistisch”) aufzufassen. Frege war es, der die Sprechakttheorie mittels des Gedankens spezifizierte, dass dem vor einer Zuhörerschaft zu verkündenden Sprechakt die intrinsischen Vorgänge des „Fassen[s] des Gedankens – das Denken” sowie die „Anerkennung der Wahrheit eines Gedankens – das Urteilen” vorangehe60. Die fünf Arbeitsschritte der Strukturierenden Rechtslehre haben genau diese Schwerpunktlegung Freges rezipiert, ohne dass sich allerdings Entsprechendes für das inferentielle Denkmuster feststellen ließe; die Arbeit an der Rechtsnorm, wie sie die Strukturierende Rechtslehre vornimmt, betont solcherart Syntax und Semantik. Die Frage bleibt: Wird deren Arbeitsweise aber auch durch anderes – nicht nur pragmatisches, sondern womöglich sogar durch intentionales – Gedankengut gefärbt? Mit Apel und Habermas ist es zu einer Schwerpunktverlagerung bei der Präsentation möglichst schlüssiger Begründungen in Richtung diskursiver Praktiken gekommen. Hierbei wird, in je unterschiedlicher Weise, Kantisches Gedankengut verwendet. Die pragmatischen Elemente sind in Apels Denken allerdings dadurch überdeckt, dass die sich zunehmend verwissenschaftlichende Rhetorik betont an die sog. Transformationsleistung des semiotischen Sprachgefüges gebunden wird. Die kritisch-transzendentale Auslotung der Bedingungen der Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnisschöpfung wird als Sinnfrage und als Wahrheitsfrage an die Neuschöpfung von Sätzen und Satzgefügen gekoppelt. Im Vordergrund steht der normativ gesättigte Grundkonsens zur Kommunikativität sowohl beim einzelnen Subjekt als auch bei den anderen, der Sprachgemeinschaft der Alterität, der beiderseits von jeher akzeptiert worden sei61. Habermas geht es um die Herausarbeitung eines dialogischen Typus´, der die formalen Strukturen eines idealisierten Dialogs vorwegnehmen kann und in dem das Übereinkommen aller Beteiligten erreicht werden soll. Anlässlich z. B. der Frage danach, was „Universalpragmatik” genannt werden könne, wird die These gesetzt, „dass jeder kommunikativ Handelnde im Vollzug einer beliebigen Sprechhandlung universale Geltungsansprüche erheben und ihre Einlösbarkeit unterstellen muss”62.
Im Übrigen zeitigt nicht erst die Arbeit an der Herstellung des Begriffs der Rechtsnorm, sondern bereits die Arbeit an der Herstellung des Begriffs überhaupt spürbare Wirkungen. Das Wort bzw. der Begriff, einmal hergestellt und geäußert, d. h. in die Welt entlassen, geht einen ungewissen und zumal einen zeitlich wirksamen Weg. Ranciere hat für das literarische und das biblische Wort gezeigt, dass das Wort in seinem Versuch, mehr zu sein – nämlich Tatsache, Leben und Wirkung: Fleisch eben – als es als Buchstabe, Zeichen oder Textbestandteil ist, die gefahrvolle Tendenz aufweist, von seinen Ausflügen nicht zurückzukehren bzw. nicht mehr zurückkehren zu wollen; denn im Bestreben, sich einen Fleisch werdenden bzw. spürbare Wirkungen hervorrufenden Korpus zuzulegen, setzt sich das Wort bzw. der Begriff in Bewegung, was nicht nur einen Prozess der Besitzergreifung (von Seelen und Körpern), sondern vor allem zusätzlich bedingt, dass Wort bzw. Begriff zu einer Handlung werden63. Sowohl auf den Exkursionen des auf Reisen gehenden Wortes als auch auf dem Weg der Analyse, der Beschreibung und der Interpretation, den der systemisch werdende Begriff geht, geschieht offenkundig vielerlei zeitlich Wirksames, denn sein zur-Handlung-Werden ist ein genuiner zeitlicher Prozess. Dies gilt zumal genau dann, wenn neben den Begriff von Wahrheit und Geltung der Begriff der Rechtsethik hinzu tritt. Hierbei gilt es, den entsprechenden zeitlich-funktional wirksamen Rahmen (den „Frame“), der im Zuge der Erzeugung der ethisch wirksamen Rechtsnorm zum Tragen kommt, nachzuzeichnen. Dieser Ansatz lässt sich anhand der rechtstheoretisch basalen Betrachtung des Leistungsvermögens des Begriffs rechtfertigen und zugleich zuspitzen. „Jeder Begriff erzeugt zwei Seiten: Eine, an die angeschlossen wird, und eine andere, die ausgeschlossen wird“64. Anhand dieses Prozesses wird deutlich, dass es hierbei um eine Zeit generierende Aufgabenstellung, die sich an das subsumierende Rechtssubjekt bzw. an die subsumierenden Rechtssubjekte richtet, handelt. Weiter heißt es: „Begriffe lenken den Blick auf das Eingeschlossene, auf das damit Gemeinte. Achtet man jedoch auf die dadurch erzeugte Differenz, dann ist das Ausgeschlossene mindestens ebenso relevant. Erst begrifflicher Sinn ermöglicht es, Ausgeschlossenes wieder einzuschließen, aber unter dann speziell präparierten, asymmetrischen Bedingungen“65. Präziser scheint es indes zu sein, den Blick auf das dem Begriff immanente Spannungsverhältnis nicht zuallererst auf die Erzeugung von Sinn, sondern auf genau diejenige (womöglich im Kollektivsingular stehende) zeitliche Funktionalität zu richten, die im argumentativen Wettstreit der Opponenten induziert wird und erst dadurch begrifflichen Sinn aufbaut, welcher sich sodann auf den Weg begeben kann, das Ausgeschlossene wieder einzuschließen.
Die im Verlauf der Subsumtion ergebnisbezogen zu Text verdichtete Rechtsnorm bildet einen in sich abgeschlossenen Argumentationsblock, weil darin keine Einzelargumente (mehr) verwendet und keiner kommunikativen Gemeinschaft (mehr) zur Erörterung angeboten werden. Was dann als Rechtsnorm schlussendlich gilt, ist pure Pragmatik als rechtliche Dezision. Die Rechtsarbeit hat, aus dieser teleologischen Sicht, alle die Rechtsnorm errichtenden (intrinsischen) Argumente bereits hinter sich gelassen; kritische Diskurse über die rechtliche Valenz und den rechtlichen Bestand der hergestellten Rechtsnorm sind allesamt (intersubjektive) Anschlussdiskurse der Sprachgemeinschaft, die auf wenige Berufene – etwa die Richter im rechtlichen Instanzenzug – bewusst verengt worden sind. Die Strukturierende Rechtslehre verrichtet ihr Wahrheit und Geltung vernetzendes semantisches Werk „als textgestützte Integration eines Sachverhalts in Schemata der juristischen Wirklichkeitsverarbeitung”. Diese Tätigkeit ist aber nicht nur „als ´Textverstehen´ und ´Textanwendung´ im engeren (v.a. linguistisch beschreibbaren) Sinne”66 aufzufassen; denn der Prozess der Erarbeitung einer Norm nähert sich überdies als „algorithmisch[er]” der logischen Rechtsbegründung insoweit an, als er „Sachverhaltselemente” und „Normtexte” einander angleicht durch Entscheidungssetzung, „die sich aus einer Vielzahl von Einzelentscheidungen zusammensetzt”; er entfernt sich aber wieder von dieser quasi rechnerischen Methode, indem die durch das subsumierende Subjekt geleistete Rechtsarbeit „zu einem guten Teil darin [besteht], außerrechtliche Sachverhalte in rechtliche Sachverhalte (institutionell definierte und konstituierte Sachverhalte) umzuwandeln”. Dieser poietische – d. h. dieser ebenso gestaltende wie gestaltend hervorbringende – Akt verdeutlicht, dass es der rechtlichen Gestaltung ihres Ausdrucks „weniger um die Herstellung von Bezügen zwischen einer gegebenen Textbedeutung und einem vorliegenden außersprachlichen Sachverhalt [geht]; vielmehr wird hier eine Wirklichkeit eigener Art, eine institutionelle Wirklichkeit, allererst konstruiert”67. Diese Syntax und