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Oberkommissar Piet van Dyck genießt einmal die Woche mit seinen Freunden exquisite Zigarren zu edlem Whisky. Doch am Tag nach dem letzten Treffen wird Lennart Polander, bei denen die Herrenabende stattfinden, tot aufgefunden. Seine obendrein verwüstete Wohnung deutet daraufhin, dass der Mörder kein normaler Einbrecher ist. Als obendrein die Drogenfahndung Lennart des Drogenhandels verdächtigt, ist für die Herrenrunde Ehrensache, seine Unschuld posthum zu beweisen. Doch damit kommen sie nicht nur der Polizei unliebsam in die Quere, sondern auch einem Mann, der vor nichts zurückschreckt, um seine Interessen zu schützen. Und Piet sieht sich gezwungen, zur Klärung des Falls einen Pakt mit dem Teufel einzugehen – mit unabsehbaren Folgen. Piet van Dycks 2. Fall. Mit Rezepten für Whiskygebäck und Pralinen und eine kleine Exkursion in die Welt von Whisky und Zigarren
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Seitenzahl: 264
Zigarren, Whisky und ein Mord
Piet van Dycks 2. Fall
Mit Rezepten für Whiskygebäck und Pralinen und eine kleine Exkursion in die Welt von Whisky und Zigarren
Mara Laue
Impressum
Copyright: vss-verlag
Jahr: 2023
Lektorat/ Korrektorat: Herman Schladt
Covergestaltung: Beate Geng
Verlagsportal: www.vss-verlag.de
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Verfasserin unzulässig.
Anmerkung der Autorin
Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen oder tatsächlichen Begebenheiten wären reiner Zufall. Alle Orte sind dagegen authentisch. Lukullus Paradies und Lennarts Tabak- und Spirituosen-Oase sind jedoch ebenfalls frei erfunden, könnten aber an den angegebenen Orten existieren. Für Letztere stand das in Heilbronn ansässige Geschäft „Tabak Sasse“ Pate, das mich auch kompetent in die Feinheiten der Zigarrenkunde einführte. Auch das Palmenblatt ist Fiktion und nicht an ein real existierendes Etablissement angelehnt.
Die vorgestellten Zigarren-, Whisky- und Pralinensorten sowie die sonstigen kulinarischen Köstlichkeiten sind dagegen authentisch. Lediglich der Whisky „Glen Cú Allta“ ist Fiktion. Aus rechtlichen Gründen durfte an seiner Stelle keine real existierende Whisk(e)ymarke verwendet werden.
Sollten die lukullischen Genüsse Ihren Appetit anregen, dann finden Sie die Rezepte zum Nachbacken und selbst Herstellen am Ende des Buches.
Ein Glossar der im Roman vorkommenden Fachbegriffe und fremdsprachigen Ausdrücke befindet sich im Anhang.
Freitag, 29. März
Piet van Dyck drehte die Zigarre langsam zwischen den Fingern, während er sie mit dem Fidibus anzündete, damit das äußere Blatt nicht durch einseitiges Anzünden verkohlte. Mit einem Gefühl von Behaglichkeit, Entspannung und Wohlbefinden beobachtete er, wie das Endstück zu glühen begann und sich ein aromatischer Duft ausbreitete, ehe er das knapp abgeschnittene Mundstück mit den Lippen umschloss und den ersten Zug tat.
Er ließ seine Zunge mit dem Rauch spielen, als wäre er ein Ball, den er im Mund rollte, um jede Geschmacksnuance auszukosten. Der Rauch besaß neben dem typischen Tabakaroma eine süßliche Note, die in Piet die Vorfreude auf den ersten Schluck Whisky weckte. Er versuchte wie immer, den Rauch in einem Ring auszublasen; wie immer vergeblich. So oft er das über die Jahre hinweg probiert hatte, er hatte es bis heute kein einziges Mal geschafft. Das tat aber weder dem Genuss noch seinem Wohlbefinden einen Abbruch.
„Na, habe ich zu viel versprochen?“ Lennart Polander lächelte in die Runde, tat einen Zug von seiner Zigarre und blies den Rauch kunstvoll in drei perfekten Ringen aus. Nicht ohne dabei zu Piet zu schielen, als wollte er ihm zu verstehen geben, wie einfach es doch war, Rauchringe zu produzieren.
Piet lächelte, lehnte sich zurück und überließ den anderen drei Mitgliedern ihres privaten „Gent-lemen Clubs“, auf Lennarts Frage zu antworten. Sie trafen sich jeden Freitagabend in Lennarts Tabak- und Spirituosen-Oase in Duissern, um nach einer mehr oder weniger anstrengenden Arbeitswoche das verdiente Wochenende einzuläuten. Dazu gehörten eine gute Zigarre, ein guter Whisky und gute Gespräche mit Freunden über Gott und die Welt.
Für Piet waren diese Treffen heilig. Er hielt sie ein, wann immer er konnte und fühlte sich beinahe wie ein Süchtiger auf Entzug, wenn sein Beruf ihn wieder einmal an der Teilnahme hinderte. Doch als Kriminalbeamter konnte er sich die Arbeitszeit nicht immer aussuchen, wenn er, so wie heute Abend und für die nächsten beiden Tage, Bereitschaftsdienst hatte. Die Verbrecher machten am Wochenende leider keine Pausen. Im Gegenteil gab es gerade dann und an Feiertagen oft besonders viel zu tun, wenn sich Beziehungskonflikte in Handgreiflichkeiten oder ab und zu auch in einem Tötungsdelikt entluden. Ganz zu schweigen von den Dingen, die sich im Drogenmilieu abspielten. Hier hatte das Verbrechen durch den Verkauf von Drogen an Freizeitkonsumenten am Wochenende Hochkonjunktur.
Doch Piet gehörte nicht zur Drogenfahndung, und so konnte er meistens seine Freitagabende mit seinen Freunden genießen. Doch offensichtlich war er innerlich immer noch im Dienst, weil ihm schon beim Betreten der Oase aufgefallen war, dass Lennart ungewöhnlich angespannt und abgelenkt wirkte. Zwar versuchte er das zu überspielen, aber Piet kannte ihn seit der Schulzeit und wusste, wann ihn etwas Ernstes beschäftigte.
Er nahm einen weiteren Zug von seiner Zigarre und ließ die Asche in den Aschenbecher fallen, der neben seinem Sessel auf dem Beistelltisch stand. Piet rauchte nicht im herkömmlichen Sinn und hatte das auch noch nie getan. Seine erste Zigarette, die er im Alter von vierzehn probiert hatte, war auch seine letzte gewesen. Er verstand nicht, was die Leute an den Dingern fanden. Ihm schmeckten sie so scheußlich, dass er sie niemals hätte genießen können. Und Genuss in jeder erdenklichen Form gehörte für ihn zur Lebensqualität. Deshalb war die erste Zigarre eine Offenbarung gewesen. Allein der Duft des reinen Tabaks, der nicht von unzähligen Füllstoffen und billigem Papier verfälscht war, kam einem himmlischen Erlebnis gleich. In Anbetracht dessen verstand Piet vollkommen, warum der Tabak den amerikanischen First Nations immer noch heilig war und sie mit seinem Duft ihren Göttern Rauchopfer brachten.
„Nicht übel“, antwortete Kemal Akdogan auf Lennarts Frage. „Neue Sorte?“
Lennart lächelte. „Die Frage würde sich durch einen Blick auf die Banderole erübrigen. Leider hast du sie abgerissen.“
„Blasphemie“, meinte Simon Laermann und schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Die Bauchbinde bleibt dran. Immer. Sie abzureißen ist schlechter Stil. Ganz, ganz schlechter Stil.“
„Sagt der, der seinen Single Malt mit Eis verdirbt“, stichelte Dirk Terlinden, der Fünfte der Gentlemen. „Das ist eine viel schlimmere oder überhaupt Blasphemie. Man verschandelt doch nicht dieses göttliche Getränk mit Eis, das jedes Aroma killt. Da kannst du ja gleich kaltes Wasser nehmen und ein paar Tropfen Whisky reinträufeln.“
Piet grinste ebenso wie Lennart. Die Grundsatzdiskussionen darüber, ob man die „Bauchbinde“ an der Zigarre ließ oder sie abreißen durfte und ob man Whisky mit oder ohne Eis trank, gehörten zum Ritual der Versammlung. Am Ende einigten sich alle darauf, dass jeder nach seiner Fasson seine Zigarre und seinen Whisky genoss und sich über Geschmack und Vorlieben nicht streiten ließ.
„Apropos Whisky.“ Dirk hielt seinen Tumbler hoch, in dem der Dalmore Cigar Malt Reserve rotgolden schimmerte, ein von der Destillerie extra für Zigarrenraucher komponierter Whisky. „Lennart, du hast uns doch für heute einen besonderen Whisky versprochen. Kleen Kuh-Alltag oder wie der heißt. Wo bleibt der denn?“
„Genau“, stimmte Kemal ihm zu. „Wir haben uns darauf gefreut. Du hast gesagt, er wäre etwas ganz Besonderes.“ Er sah Lennart erwartungsvoll an. Als bekennendem Aleviten war es Kemal nicht verboten, Alkohol zu trinken. Da aber die meisten Menschen, die ihn irgendwann Hochprozentiges trinken sahen, ihn aufgrund seines türkischen Namens für einen Moslem hielten, musste er sich oft schräge Blicke und dumme Sprüche deswegen gefallen lassen.
Lennarts Gesicht verdüsterte sich. „Was ganz Besonderes ist der Glen Cú Allta allerdings. Nicht nur weil eine Flasche des Dreißigjährigen, die ich euch kredenzen wollte, dreitausend Euro kostet.“
„Wie viel?“ Piet konnte es kaum glauben. „Und diese Perle willst du uns einfach so vorwerfen.“
Das Lächeln kehrte flüchtig auf Lennarts Gesicht zurück. „Natürlich. Wisst ihr denn nicht, was heute für ein Datum ist?“
„Der Neunundzwanzigste“, antwortete Simon. „Aber was ...“ Er schlug sich die Hand vor die Stirn. „Mensch, klar! Wir kennen uns heute dreißig Jahre! Warum, verdammt, hast du uns nicht daran erinnert?“
„Es sollte eine Überraschung für diejenigen unter euch sein, die dieses historische Datum vergessen haben.“ Er blickte bedeutsam in die Runde.
Piet hatte ebenso wie die anderen nicht an dieses „historische Datum“ gedacht, denn für ihn gehörten seine Freunde seit dreißig Jahren zu seinem Alltag. Dass es für Lennart ein besonderes Datum war, wunderte ihn nicht. Vor dreißig Jahren war Lennart neu in die Klasse gekommen, in die die vier anderen Jungs bereits gingen. Er war damals ein schüchterner, allzu pummeliger und pickeliger Dreizehnjähriger gewesen und sofort zur Zielscheibe von Spott und Schlimmerem geworden. Daran hatten sich anfangs auch Piet, Kemal, Simon und Dirk beteiligt.
Bis zu dem Tag, an dem der ungeliebte Mitschüler vom Lehrer für ein Biologieprojekt ihrem Team aufs Auge gedrückt worden war. Lennart hatte gezeigt, was in ihm steckte und ihrem Team zum haushohen Sieg verholfen. Nach einer detaillierten Entschuldigung für ihr vorheriges mieses Verhalten, die Lennart großmütig angenommen hatte, waren sie fünf unzertrennliche Freunde geworden und das bis heute geblieben. Dass Lennart sich im Laufe der Jahre zu einem wohlhabenden Kaufmann und sehr ansehnlichen Mann gemausert hatte, dessen Oase weit über Duisburgs Stadtgrenzen hinaus bis in den Orient und andere Länder bekannt war, tat der Freundschaft ebenso wenig Abbruch wie sein Coming-out als Homosexueller. Sie hatten alle ihren Weg gemacht. Piet als Kriminalbeamter, Kemal als Musikalienhändler, Simon als Versicherungsvertreter, und Dirk war vermutlich die einzige männliche Sprechstundenhilfe in ganz Duisburg.
„Okay, wir haben das konkrete Datum vergessen“, sagte Piet. „Nostra culpa! Unsere Schuld. Aber wo ist er nun, der Glen Cú Allta?“
Wieder verdüsterte sich Lennarts Gesicht. Er schüttelte den Kopf. „Es gab – Lieferschwierigkeiten. Also müssen wir heute mit dem Dalmore anstoßen. Den Cú Allta gibt es dann eben nächstes Mal.“ Er hob sein Glas. „Auf die Freundschaft, auf uns und darauf, dass wir noch in dreißig weiteren Jahren hier zusammenkommen und Zigarren, Whisky und unsere Gespräche genießen. Slàinte!“
Die anderen schlossen sich dem Trinkspruch an und tranken gemeinsam. Piet kostete den Dalmore auf der Zunge und trank einen winzigen Schluck stilles Wasser hinterher, damit sich der volle Geschmack des Whiskys entfalten konnte. Der Cigar Malt Reserve schmeckte nach Gewürzen, nach Vanille und Karamell, fruchtig, mit einem Hauch von Zimt und Orangengeschmack im Abgang, gefolgt von einer Nuance Bergamotte. Eine Köstlichkeit, die Piet umso mehr genoss, da er außer am Freitagabend im Freundeskreis fast nie Whisky trank. Allenfalls ein Bier oder, wenn auch selten, mal einen guten Wein.
Nach dieser Einleitung zur Feier des Tages kam Kemal wieder auf die Zigarre zurück. „Was ist das denn nun für ein köstliches Rauchkraut?“ Er sog demonstrativ daran, die Augen halb geschlossen, und kostete den Rauch auf der Zunge, ehe er ihn ausstieß. „Ich schmecke eine holzige Note.“ Er tat einen weiteren Zug. „Ein bisschen würzig und etwas Kaffeeartiges.“ Er nahm einen dritten Zug. „Da ist noch was.“
Auch die anderen sogen den Rauch in den Mund und versuchten herauszuschmecken, welche Noten sich noch darin offenbarten. Da bis auf Kemal keiner von ihnen die Bauchbinde abgerissen hatte, hätte ein Blick darauf genügt, um zu sehen, um welche Sorte es sich handelte. Aber es machte mehr Spaß, das zu erraten.
„Ich hab’s“, verkündete Kemal. „Das ist eine Balmoral und somit eine Dominikanerin.“
„Stimmt“, bestätigte Lennart. „Dominikanische Einlage, brasilianische Umblätter und Deckblätter aus Ecuador. Feinste Handarbeit.“
„Du hast auf die Banderole gelünkert, bevor du sie abgerissen hast“, beschuldigte Simon Kemal, der zufrieden lächelte. „Dat gildet nich!“
„Beweise es“, forderte Kemal ihn auf und blickte Piet an. „Nein, Piet muss das beweisen. Er ist schließlich der Kommissar.“
„Hauptkommissar“, korrigierte Dirk und zwinkerte Piet zu.
„Oberkommissar“, berichtigte er und winkte ab. „Und der Nachweis ist ganz einfach. Ich befrage die Zeugen.“ Er deutete in die Runde. „Bestimmt hat einer beobachtet, ob Kemal sich die Banderole angesehen hat, bevor er sie abgerissen hat.“
„Ja, ich.“ Dirk hob die Hand.
„Ich auch“, bestätigte Simon und schnitt Kemal eine Grimasse.
Piet grinste. „Jungs, ich mache euch darauf aufmerksam, dass eine Falschaussage strafbar ist. Zumindest vor Gericht. Beschuldigte dürfen das Blaue vom Himmel lügen, aber Zeugen müssen bei der Wahrheit bleiben. Du, Dirk, bist erst reingekommen, als Kemal die Binde schon abgerissen hatte, weil du dich verspätest hast. Und du, Simon, hast ihm in dem Moment den Rücken zugedreht, weil du dich mit Lennart unterhalten hast, der ebenfalls nichts gesehen haben kann, weil er von dir abgelenkt war. Ich dagegen kann bestätigen, dass Kemal keinen Blick auf die Banderole geworfen hat.“
Kemal lehnte sich zufrieden lächelnd zurück. „Na also. Damit wäre meine Unschuld in Sachen Schummeln bewiesen.“
„Mitnichten“, widersprach Piet und deutete auf die Zigarrenkiste, die auf Lennarts Beistelltisch stand. In großen Buchstaben war der Namen Balmoral eingeprägt und darunter in etwas kleinerer Schrift Dominican Collection. Doch jeder Zigarrenkenner wusste auch ohne diesen Hinweis, dass die Marke Balmoral in der Dominikanischen Republik hergestellt wurde. „Du kannst von deinem Platz aus hervorragend lesen, was auf der Kiste steht. Und ich habe gesehen, wie du dahin geschielt hast. Du hast definitiv geschummelt.“
Kemal lachte. „Erwischt. Wie gut, dass du mein Freund bist, Piet.“
Piet schüttelte den Kopf. „Solltest du damit andeuten wollen, dass ich dich wegen unserer Freundschaft nicht verraten würde, wenn ich wüsste, dass du ein Verbrechen begangen hast, muss ich dich enttäuschen. Bei Verbrechen hört bei mir jede Freundschaft auf. Ich bin schließlich zur Polizei gegangen, um ...“
„... die Bösen in den Arsch zu treten, und das möglichst kräftig“, ergänzten die anderen im Chor Piets oft genannte Begründung für seine Berufswahl, worauf alle lachten.
Piet hob sein Whiskyglas. „Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Cheers!“
Sie stießen miteinander an, tranken und genossen Whisky und Zigarre, fachsimpelten ein bisschen und tauschten Neuigkeiten aus. Doch schon bald drehten sich die Gespräche um Anekdoten und Erlebnisse aus der gemeinsamen Kindheit und Jugend, bis nach einer Stunde die Zigarren aufgeraucht und nach zwei weiteren Stunden alle Anekdoten erzählt waren. Als die Freunde sich von Lennart verabschiedeten und sich auf den Heimweg machten, blieb Piet zurück.
„Was ist los, Len?“, fragte er unverblümt, denn sein Freund war trotz der Heiterkeit abgelenkt und manchmal bedrückt gewesen.
„Nichts. Was soll los sein?“
„Na, komm schon. Ich kenne dich. Irgendwas quält dich.“
Lennart schüttelte den Kopf. „Es ist wirklich nichts. Es lief diese Woche geschäftlich nicht alles glatt. Das ist alles.“ Er hob abwehrend die Hände. „Aber keine Sorge, meine Oase ist weit davon entfernt, pleite zu gehen. Ich bin nur ein bisschen enttäuscht, dass das mit dem Glen Cú Allta nicht geklappt hat.“
„Das finde ich nicht so schlimm. Das holen wir nächste Woche nach. Aber sag mal, eine Flasche kostet wirklich dreitausend Euro?“
Lennart nickte. „Das und noch vieles mehr sind mir meine Freunde wert.“ Er lächelte. „Danke übrigens, dass du mir deine Bäckerin empfohlen hast. Sie war leider die letzten Wochen in Urlaub, aber heute Nachmittag konnte ich sie endlich erreichen. Sie ist sogar zur Besprechung extra vorbeigekommen und hat mir für nächste Woche zugesagt, ein paar Proben Whiskygebäck und handgefertigte Pralinen zu bringen. Wenn die Sachen so gut schmecken, wie du behauptest, werde ich versuchen, sie zu überreden, mir ihr hochprozentiges Gebäck exklusiv zu liefern. Du und die anderen dürft dann nächste Woche die Versuchskaninchen sein und testen, ob es schmeckt.“
„Das muss ich nicht probieren, das weiß ich auch so. Ich habe bei Frankie noch nie etwas gegessen, das nicht geschmeckt hätte.“
„Ja, davon hast du oft genug geschwärmt. Allerdings in einer Weise, die man durchaus auch anders interpretieren könnte.“ Er sah Piet mit einem vielsagenden Augenzwinkern an.
Piet ging nicht auf diese Anzüglichkeit ein. „Lenk nicht ab, Lennart. Ist wirklich alles in Ordnung? Wenn ich dir irgendwie helfen kann ...“
„Ich weiß. Aber nein, im Moment ist deine Hilfe nicht erforderlich. Und sollte sie das sein, weißt du hoffentlich, dass ich dich unverzüglich ansprechen werde.“
Das wusste Piet. „Dann noch einen schönen Abend und gute Nacht, Len.“
„Nacht, Piet.“
Lennart ließ ihn hinaus und hob grüßend die Hand, als er mit dem Wagen davonfuhr. Er schloss die Tür ab und vergewisserte sich, dass die Gitterjalousien fest verschlossen waren, ehe er nach hinten ging und die benutzten Gläser in die kleine Spülmaschine einräumte.
Er hatte gelogen, als er Piet gegenüber behauptete, ihn bedrücke nichts. Tatsächlich lastete ihm etwas ziemlich schwer auf der Seele. Und das hatte nichts mit dem Glen Cú Allta zu tun. Nicht nur. Die angebliche Lieferschwierigkeit seines Händlers war eine Lüge. Der Whisky war geliefert worden, aber ... Lennart seufzte und schüttelte den Kopf. Er mochte nicht einmal gegenüber seinen besten Freunden zugeben, dass er, der erfahrene Händler und Whiskykenner so hatte reinfallen können. Doch darüber war das letzte Wort noch nicht gesprochen.
In der zweiten Angelegenheit, die ihn bedrückte, hätte er Piet vielleicht doch zurate ziehen sollen. Der war schließlich bei der Polizei. Aber was hätte er sagen sollen? Dass er das Gefühl hatte, beobachtet und verfolgt zu werden, entsprach zwar der Tatsache, aber wie klang das denn, wenn er es Piet gesagt hätte? Hör mal, Piet, ich glaube mich verfolgt jemand. Ich weiß nicht wer, denn ich sehe niemanden, der sich verdächtig benimmt. Aber ich fühle mich verfolgt.
Er konnte sich Piets Reaktion unschwer vorstellen. Sein Freund würde ihn zwar nicht auslachen, aber ihn garantiert fragen, auf dem Boden des wievielten zuvor geleerten Glases Hochprozentigem Lennart dieses Gefühl entdeckt hatte. Oder etwas Ähnliches. Selbst wenn er ihm glaubte, hätte er kaum etwas tun können. Lennart sah sich, seit er diesen Verdacht hegte, ständig um und hielt Ausschau nach einem Beobachter, einer Person, die sich auffällig verhielt oder durch irgendeine Geste oder etwas anderes verriet, dass er oder sie ihn im Visier hatte.
Doch er entdeckte niemanden. Mittlerweile kam er sich paranoid vor, weil er der Einzige war, der sich auffällig verhielt, indem er sich ständig umschaute. Doch das Gefühl, beobachtet zu werden, blieb. Es machte ihn langsam wahnsinnig, besonders da er sich sicher war, dass er sich das nicht einbildete. Um so dringender wurde die Frage, wer ihn verfolgte und warum. Er sollte doch mit Piet reden. Am besten gleich morgen. Sobald er die Sache mit dem Glen Cú Allta geklärt hatte.
Als er in die Lounge zurückkehrte, um die Aschenbecher zu leeren, hörte er Schritte vorn im Geschäft. Er zuckte zusammen und verspürte einen Adrenalinschub. Dass jemand im Geschäft sein könnte, war ganz und gar unmöglich. Lennart hatte nicht nur die Vordertür abgeschlossen und die Alarmanlage eingeschaltet, nachdem Piet gegangen war, sondern auch die Seitentür verriegelt, die zum Nebeneingang führte, durch den man in seine Wohnung im ersten Stock gelangte.
Da er allein lebte und allein im Haus wohnte, hielt er die Haustür zur Wohnung auch tagsüber immer verschlossen. Außer seiner Putzfrau Monika und Piet für Notfälle besaß niemand einen Zweitschlüssel. Aber Monika wäre kaum kurz vor Mitternacht gekommen, um die Wohnung oder den Laden zu putzen. Obwohl Lennart ein mulmiges Gefühl beschlich, ging er nachsehen. Niemand konnte hereingekommen sein, also musste das, was sich wie Schritte anhörte, eine andere Ursache haben.
Er öffnete die Schiebetür zum Verkaufsraum – hatte er sie vorher überhaupt geschlossen? – und blickte sich um. Viel konnte er nicht sehen, weil darin kein Licht brannte. Nur das Licht, das aus der Lounge hineinfiel, beleuchtete einen vergleichsweise schmalen Streifen des Podests zur Lounge und die Treppenstufen, offenbarte aber nichts Ungewöhnliches.
Lennart tastete nach dem Lichtschalter. Als er es einschaltete, hörte er ein Geräusch direkt neben sich. Im aufflammenden Licht sah er einen Mann, der sich neben der Schiebetür an die Wand drückte. Ehe Lennart darauf reagieren konnte, holte der Eindringling aus und schlug zu. Lennart fühlte einen heftigen Schmerz am Kopf – dann nichts mehr.
Samstag, 30. März
Piet betrat Luculls Paradies und atmete tief den Duft der Elysischen Gefilde ein, der ihn umfing. In Frankie Farianis Bäckerei-Café roch es nicht nur verführerisch nach dem obligatorischen warmen Brot und süßen Gebäck – bis auf die Cecilienstraße hinaus –, sondern auch nach frisch gemahlenem und frisch gebrühten Kaffee. In diese Aromen mischte sich ein Hauch von heißer Schokolade und Honig, untermalt von einem Duft nach Wein, Likör und Rum. Diese Spirituosen wurden nicht nur im Laden verkauft, Frankie verfeinerte mit ihnen auch das Gebäck. Was sie wahrscheinlich vor Kurzem getan hatte, sonst würde das Café nicht danach duften.
Ein ungewohnter Duft ließ Piet stehen bleiben und mit geschlossenen Augen intensiv schnuppern. Rosen. Der Laden roch so intensiv nach Rosen, dass er sich umsah, wo der Blumenstrauß stand, dem dieses berauschende Bukett entströmte. Aber auf den Tischen standen nur die üblichen Gestecke aus Grünpflanzen und Frühlingsblumen, keine Rosen.
„Guten Morgen, Herr van Dyck“, begrüßten ihn die beiden Verkäuferinnen unisono.
„Guten Morgen, die Damen. Was duftet denn hier so verführerisch nach Rosen?“
Die beiden Frauen lächelten und deuteten auf die Auslage, wo Rosenblüten aus Marzipan auf einem Blech darauf warteten, gekauft zu werden. Sie waren um eine Glasschale mit einer klaren Flüssigkeit darin drapiert.
„Rosenwasser“, erklärte Janina Geerkens. Ihr Lächeln wurde breiter. „Der Trick wirkt. Jeder, der Marzipan mag, kauft heute ein Stück wegen des Duftes.“
„Mindestens ein Stück“, korrigierte Sieglinde Unger. „Das ist schon das dritte Blech. Wir müssen ständig nachproduzieren.“
Frankie, die wohl gehört hatte, wie Piets Name genannt wurde, kam aus der Backstube und wischte sich die Hände an einem Tuch ab.
„Buon giorno, Commissario. Come stai?“ Ihr strahlendes Lächeln ließ sein Herz schneller schlagen. „Wie geht es dir? Schön, dass du da bist. Ich habe heute etwas ganz Besonderes für dich.“
„Hallo, Frankie.“
Piet setzte sich an seinen Stammtisch am Fenster neben der Eingangstür und freute sich, dass sie endlich wieder da war. Während ihres dreiwöchigen Urlaubs hatte er sie vermisst. Zwar hatte sie bei ihren Angestellten Anweisungen hinterlassen, was diese ihm vorsetzen sollten, vielmehr durften, wenn er zum Frühstücken kam. Sieglinde Unger und Janina Geerkens befolgten diese Anweisungen ebenso streng wie der Geselle Bogdan Lišcu, der die Haferkleiebrötchen und sonstigen Brote backte, die Frankie speziell für Piet kreiert hatte. Sie hatte ihm sogar ein eigenes Müsli zusammengestellt. Obwohl er Müsli nie gemocht hatte, war er inzwischen süchtig nach „Glück und Gesundheit“, wie Frankie die Kreation getauft hatte. Aber die Angestellten servierten ihm diese Dinge nicht annähernd auf die berührende Weise wie Frankie. Bei ihr merkte man, dass ihr das Wohl jedes Gastes ehrlich am Herzen lag. Das schmeckte man auch in ihren liebevoll zubereiteten Snacks und Backwaren. Außerdem erkannte man es an den liebevoll gedeckten Tischen, auf denen immer Blumen standen.
Seit Piet nicht nur sporadisch, sondern täglich zum Frühstücken kam, auch am Wochenende – er wohnte in der Tonhallenstraße, nur etwa zweihundert Meter von Luculls Paradies entfernt –, gehörte sein Stammplatz unangefochten ihm. Frankie hatte ihm sogar einen monatlichen Pauschalpreis eingeräumt, den er per Dauerauftrag überwies und mit dem sein Frühstück „all you can eat“ abgegolten war.
Jedoch sorgte sie dafür, dass er nicht mehr wie früher, bevor er bei ihr einkehrte, alles aß, was er wollte und was sein Magen aufnehmen konnte. Als er ihr im Dezember mitgeteilt hatte, dass sein Arzt ihn wegen drohenden Diabetes auf strenge Diät gesetzt hatte, war sie dazu übergegangen, ihn mit besonderem Essen zu verwöhnen, das seiner Gesundheit besser bekam. Statt ihrer überaus köstlichen Kreationen von üppigen Mahlzeiten mit so appetit-an-regenden Namen wie „Gott lebt in Frankreich“, „Das Gelbe vom Ei“ oder den „Bienenwaben“ – Waffeln mit Honig und kleinen Bienen aus Marzipan – bekam er nur noch Vollwertkost mit gesunden Zutaten. Die keineswegs weniger lecker waren.
Deshalb war er gespannt, was sie ihm heute zubereitet hatte. Sie schenkte ihm Kaffee ein.
„Ich habe dich vermisst, Frankie.“ Er fühlte seine Wangen heiß werden, als ihm bewusst wurde, dass man das durchaus als Anzüglichkeit interpretieren konnte. „Ich meine ...“
Verdammt! Wenn er sagte, dass er das auf ihre Back- und Kochkünste bezog, könnte sie das enttäuschen. Immerhin gab sie sich nicht nur viel Mühe, ihn kulinarisch zu verwöhnen, sie animierte ihn auch zweimal die Woche zum Sport und nahm sich abends die Zeit, mit ihm zum Training zu gehen. Mit dem Erfolg, dass er schon fünf Kilo abgenommen hatte.
Frankie lächelte. „Ich habe dich auch vermisst, Piet.“
Was sollte er nun dazu sagen? Vor allem stellte sich ihm die Frage, wie sie das gemeint hatte. In welcher Form hatte sie ihn vermisst: als Stammgast, als Trainingspartner? Oder ... Nein, „oder“ wohl kaum. Sie war fünfundzwanzig und eine bildschöne Frau, die von nahezu jedem männlichen Gast und auch von einigen weiblichen Gästen angehimmelt wurde. Was sollte sie mit einem Mann wie Piet anfangen, der siebzehn Jahre älter, nicht mehr taufrisch, immer noch etwas übergewichtig und ganz und gar unscheinbar war?
Bevor er etwas sagte, das eventuell noch peinlicher war als der möglicherweise schon erweckte Eindruck, er würde nach ihr schmachten, erwiderte er stumm ihr Lächeln. Sie setzte die Kaffeekanne auf die Wärmeplatte und kam mit einem Tablett zurück. Sie stellte einen Teller mit Brot auf den Tisch, ein Schälchen mit Salat und einen etwas größeren Teller mit verschiedenen Sorten Wurst, Schinken und Käse.
Auch die waren ihm unbekannt. Ein paar Wurstscheiben waren zusammengerollt und zu Knoten drapiert. Sie wirkten gefüllt. Er betrachtete besonders die beiden Käsescheiben skeptisch, denn die waren grasgrün. Und die hauchdünnen, quadratisch geschnittenen Wurstscheiben sahen verdächtig nach Leberkäse aus, den er wegen des hohen Fettgehaltes nicht essen sollte. Dafür wirkte der Schinken gräulich, als wäre er mit einer Staubschicht überzogen. Nicht sehr appetitanregend.
„Die Kuh hat wohl zu viel Gras gefressen.“ Er deutete auf den Käse.
„Das ist entrahmter Ziegenkäse mit Wasabi – japanischer grüner Rettich, sehr scharf. Du magst doch scharfe Gewürze.“
Noch lieber mochte er Süßes – leider. „Warum ist der Schinken so grau?“
„Der ist vom Biobauern und absolut unbehandelt. Das, was du im Supermarkt für gesundes rotes Fleisch hältst, ist in Wahrheit behandelt worden, damit es so schön rot aussieht. Das hier ist die Farbe von natürlich verarbeitetem Fleisch. In diesem Fall Schinken. Probier mal.“
Sie wickelte eine dünne Schinkenscheibe um die Gabel und hielt sie Piet hin. Statt ihr die Gabel aus der Hand zu nehmen, konnte er sich nicht verkneifen, den Schinken mit dem Mund abzuziehen, während sie die hielt. „Jetzt kannst du mit Fug und Recht behaupten, dass die Männer dir aus der Hand fressen“, scherzte er.
Frankie lachte und schüttelte den Kopf, dass ihre dunklen Locken tanzten. „Ich will nicht, dass mir Männer aus der Hand fressen. Ich möchte nur, dass meinen Gästen schmeckt, was ich backe und serviere.“
„Mmm, hm.“ Er nickte nachdrücklich und kaute das Schinkenstück. Viel zu kauen gab es da nicht, denn der Schinken zerging ihm auf der Zunge. Er schmeckte mild geräuchert, kaum salzig und ließ noch viel von dem vermutlich ursprünglichen Geschmack des Fleisches durchkommen. Zumindest schmeckte er so, wie kein anderer Schinken, den Piet gegessen hatte – hundertmal besser als jeder herkömmliche Schinken, selbst wenn er aus dem Geschäft eines Metzgers stammte und nicht von der Supermarkttheke.
„Wunderbar“, lobte er mit einem strahlenden Lächeln. Er deutete auf die quadratischen Wurstscheiben. „Ich denke, ich soll keinen Leberkäse essen, weil der zu fettig und zu salzig ist.“
Frankie gab ihm einen verweisenden Klaps auf den Arm. „Nenne diese Köstlichkeit um Himmels willen nicht Leberkäse, denn es ist keiner.“ Sie beugte sich vor und flüsterte im Verschwörerton: „Das ist ein Neuburger.“
Piet hatte noch nie davon gehört. Frankie gabelte ihm eine Scheibe auf und hielt sie ihm hin. Wieder nahm er den Bissen von der Gabel, während sie die hielt. Sie hatte Recht. Piet schmeckte auf Anhieb, dass das kein Leberkäse war. Jeder Leberkäse, den er bisher gegessen hatte, war recht salzig und, besonders wenn er erwärmt war, spürbar fettig. Das war zwar nicht schlecht. Doch verglichen mit diesem Neuburger verhielt sich der Leberkäse dazu wie ein Hamburger zu einem Bœuf Stroganoff. Der Neuburger war mild gewürzt, sodass man deutlich das Fleisch herausschmeckte.
„Das Geheimnis ist, dass der Neuburger aus magerem Schnitzelfleisch hergestellt wird“, erklärte Frankie. „Deshalb hat er relativ wenig Fett und fast ein Drittel weniger Kalorien als ein Leberkäse: 225 zu 300 auf hundert Gramm. Zwei Drittel sind Rindfleisch, ein Drittel ist Schweinefleisch. Eine österreichische Spezialität. Und was man mit ihm alles machen kann ...“ Sie deutete auf den Salatteller und die zu Knoten gelegten Wurstscheiben, die demnach auch Neuburger waren.
Der Salat bestand aus schmalen hellgrünen Streifen von einem Gewächs, das Piet nicht kannte. Sie waren sternförmig auf dem Teller verteilt. Darauf lagen sieben enthäutete Orangenspelzen, ebenfalls sternförmig drapiert. In deren Mitte thronten zu einer Rosenblüte geformte Neuburgerscheiben. Über das Grüne und die Orangenspelzen war ein gelblicher Saft gegossen worden.
„Das ist ein Fenchel-Carpaccio mit Neuburger“, erklärte Frankie.
Demnach war das Grünzeug also Fenchel. Piet konnte sich nicht vorstellen, dass das schmeckte. Fencheltee, den er früher als Kind hatte trinken müssen, wenn er krank war, war für ihn immer eine Strafe gewesen. Allerdings hatte er auch geglaubt, das Glück-und-Gesundheit-Müsli nicht zu mögen, bevor er es probiert hatte.
„Damit du den Geschmack der Komposition richtig erfahren kannst“, fuhr Frankie fort, „musst du alles zusammen im Mund haben: ein Stück Neuburger, ein Stückchen Orange und ein Scheibchen Fenchel.“ Piet musste wohl ein sehr skeptisches Gesicht gemacht haben, denn sie fügte hinzu: „Wenn es dir nicht schmeckt, bekommst du etwas anderes.“
Er nahm das Besteck, schnitt ein Stück von der Neuburgerrose ab, die Spitze einer Orangenspelze und ein fingerlanges Fenchelblatt, spießte alles auf die Gabel und schob es sich in den Mund. Der intensive Anisgeschmack des Fenchels überwog, wurde aber vom Fleischgeschmack und der säuerlichen Süße der Orange gemildert. Die Soße auf dem Fenchel schmeckte ebenfalls fruchtig süß, wenn auch nicht zu sehr. Das Ganze war tatsächlich ein außergewöhnliches Geschmackserlebnis.
„Wie immer servierst du mir nichts, was mir nicht schmeckt“, stellte er fest und wurde mit einem glücklichen Lächeln belohnt. Wären doch alle Menschen so leicht glücklich zu machen wie Frankie.
Sie schob ihm den Teller mit den verknoteten Wurststücken hin. „Luculls Fruchtknoten.“
Die Dinger sahen nicht so aus, als wären sie fruchtig, sondern wirkten wie Wurstscheiben – Neuburgerscheiben –, die zusammengerollt und deren Enden übereinandergeschlagen waren. Piet spießte einen ,Knoten’ auf und schob ihn in den Mund. Der Fleischgeschmack wurde von einem milchigen Aroma abgelöst, in das sich Apfelmus mischte, allerdings ungesüßt. Eine weitere Komposition, die in ihrer Komplexität einen Genuss für sich darstellte.
„Genieße dein Frühstück, Commissario. Wenn du fertig bist, bekommst du noch einen besonderen Kaffee. Du wirst staunen.“
Bevor er noch etwas sagen konnte, ging sie in die Backstube zurück. Piet widmete sich seinem Frühstück und verputzte alles bis auf den letzten Krümel. Den Wasabi-Ziegenkäse klemmte er zwischen die beiden Hälften seines Haferbrötchens, denn der war wirklich sehr scharf und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Lecker war er natürlich auch.
Frankie kam, als er den Teller zurückschob, und brachte ihm eine neue Tasse Kaffee. „Das ist ein Maragogype aus Chiapas in Mexiko. Ich habe ihn neu ins Sortiment genommen. Er ist eine Kreuzung aus Arabica- und Liberica-Kaffee und schmeckt ...“ Sie lächelte verschmitzt. „Probier selbst.“
Das ließ sich Piet nicht zweimal sagen. Schon der erste Schluck war eine Offenbarung: weich, mild und dennoch intensiv nach Kaffee, aber nicht bitter. „Also, der schmeckt mir von allen deinen bisherigen Kaffeesorten am besten“, entschied er und wurde wieder mit einem Lächeln belohnt.
„Das sagen bisher alle, die ihn probiert haben. Deshalb gehört er seit diesem Monat zum festen Programm. Apropos Programm. Morgen Abend findet hier ein Jazzkonzert statt. Magst du kommen? Ich habe dir für alle Fälle einen Platz reserviert.“
Luculls Paradies bot nicht nur kulinarische Köstlichkeiten, sondern veranstaltete an den Wochenenden auch Lesungen, Konzerte und ab und zu kleine Ausstellungen.
„Ich überlege es mir“, antwortete Piet. Er mochte Jazz, aber er hatte eine anstrengende Woche hinter sich und dieses Wochenende auch Bereitschaft. Deshalb hatte er eigentlich geplant, den Sonntag auszuspannen und keinen Fuß vor die Tür zu setzen; außer um bei Frankie zu frühstücken, die ihr Café auch am Sonntag geöffnet hatte. „Wie war dein Urlaub?“, wechselte er das Thema. „Warst du in Italien?“ Er bereute die Frage sofort, denn ihr Gesicht wurde traurig.
Sie nickte. „Ich habe in der Pension meiner Großeltern ein paar Tage gewohnt.“