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Wo ist das Happy End, wenn man es braucht? Was tun, wenn man nach zwei Jahren Beziehung über Facebook abserviert wird und 148 Freunden gefällt das? Emmas große Liebe Leon hat sie für die heiße Influencerin Larissa sitzen gelassen. Ausgerechnet an dem Tag, an dem die beiden zusammenziehen wollten. Eine neue Bleibe muss her. Glücklicherweise sucht Dirk, ein Bekannter ihrer besten Freundin, eine neue Mitbewohnerin. Das Problem: Er ist ein eigensinniger Computernerd, der im echten Leben mit Menschen nicht viel anfangen kann. Und erst recht nicht mit Liebeskummer. Aus Mangel an Alternativen zieht Emma bei ihm ein. Das Chaos ist vorprogrammiert. »Witzig, spritzig, sexy. Ich habe nicht nur gelacht, ich lag grunzend unterm Sofa. Habe schon lange kein Buch mehr gelesen, bei dem ich so durch die Seiten geflogen bin. Mit ›Emmas Disaster-Diary‹ hat Caroline Brinkmann definitiv eines der witzigsten Bücher des Jahres geschrieben. Absolute Buchliebe.« Stella Tack, Spiegel-Beststeller-Autorin
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Seitenzahl: 385
Caroline Brinkmann
Zimmer gesucht, Liebe gefunden
Emmas Disaster-Diary
Roman
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Für Katharina, die »Pepper« in meinem Leben, weil es ein unglaublich großes Geschenk ist, eine beste Freundin wie dich zu haben.
Vor drei Minuten hat Leon seinen Beziehungsstatus in »Single« geändert.
Bereits über 148 Leuten gefällt das.
»Oh, du Armer«, schreibt Anna. 56.
»Wieso das denn?«, will Juststalking300 wissen.
»Ach. Ihr habt eh nicht zusammengepasst«, findet Miss_Sunshine. »Kein Hate oder so. Nur meine Meinung.«
»Was? Die beiden waren ein totales Traumpaar!«, protestiert Sarah. »Denk doch an den legendären Winterball.«
»Wir lenken dich ab. Whirlpoolpaaaarty bei dir?«, schreibt Leons bester Freund Alex.
»Weiß Emma schon davon?«, fragt Pepper.knows.best.
Ich starre auf den herzchenförmigen Bilderrahmen in meinen Händen. Leon und Emma für immer, steht darauf. Auf dem Foto hat Leon seinen Arm um mich gelegt. Es war der Abend, an dem wir offiziell ein Paar wurden. Als ich zu ihm kam – nass und durchgefroren, weil es draußen stürmte –, erwartete mich ein loderndes Kaminfeuer im Wohnzimmer. Zwischen Erdbeeren und Sekt küsste ich ihn das erste Mal, während der Regen gegen die Scheiben prasselte. Es war so kitschig, wie es nur sein konnte, und mein Magen kribbelte vor Aufregung – und Sekt. Danach posteten wir eines dieser spontan aus dem Leben gegriffenen, verliebten Pärchenfotos, für das wir über eine Stunde brauchten, bis die Beleuchtung stimmte.
Also, nein.
Ich wusste bis vor drei Minuten noch nicht, dass unser »Leon und Emma für immer« eher »Leon und Emma für sieben Monate« heißen sollte.
Mit einem dumpfen Gefühl im Bauch und einer plötzlichen Leere im Kopf setze mich auf einen der Umzugskartons und drücke Pamela, meine Schirmpalme, an mich.
Vielleicht war es ein Versehen. Oder ein nachträglicher Aprilscherz.
Wir haben Juni, Emma …
Ein paar Minuten hocke ich einfach nur da und warte.
Nichts passiert.
Was macht man, wenn man nach sieben Monaten auf diese billige Weise abserviert wird. Heulen? Schreien? Hassnachrichten verschicken? Frustpflanzen shoppen? In meinen Augen alles sehr verständliche Reaktionen. Allerdings will ich es zuerst auf die vernünftige Art und Weise versuchen.
Mit Reden.
Ich wähle seine Nummer. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als es klingelt. Was sage ich, wenn er abnimmt? Was mache ich, wenn er nicht abnimmt? Die Option mit dem Heulen und Frustpflanzenshoppen (ich habe einen kleinen Pflanzentick) steht noch.
Mir wird übel und ich klammere mich fester an Pamela. Gerade will ich auflegen, da wird das monotone Tuten an meinem Ohr von einem »Hey« unterbrochen.
»Hey«, antwortete ich und fahre mir über die trockenen Lippen.
»Alles klar bei dir?«, fragt Leon leichthin. Er wirkt abgelenkt, so als hätte er nicht wirklich mit meinem Anruf gerechnet.
Ich hole tief Luft und komme direkt zum Punkt. »Willst du mit mir Schluss machen?«
»Nein. Wie kommst du darauf?«, fragt er irritiert.
»Na ja … Du hast deinen Beziehungsstatus auf Facebook geändert.«
»Ich habe was?«, hakt Leon nach. Schlagartig gilt alle Aufmerksamkeit mir und unserem Telefongespräch.
»Da steht jetzt Single«, informiere ich ihn.
»Moment.« Ich höre, wie Leon sich vom Telefon abwendet und aufgebracht »Alex!« brüllt. »Hast du wieder mein Handy genommen?«
Ich höre, wie er seinen besten Freund zur Rede stellt, und atme erleichtert auf.
Da ist sie!
Die gute Erklärung, die ich mir erhofft habe. Und so eine Aktion würde zu Alex passen. Zumindest ist das seine Art von Humor, wenn es um mich geht. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber er kann mich nicht leiden und liebt es, Scherze auf meine Kosten zu machen.
»Ich weiß nicht, warum du dich so aufregst«, höre ich Alex sagen. »Wenn du mich fragst, ist das längst überfällig.«
»Das hast du nicht zu entscheiden«, ruft Leon erbost.
»Doch, weil du absolut unfähig bist, Entscheidungen zu treffen«, widerspricht sein Freund.
Da hat er recht. Leon ist ein wahrer Meister darin, unangenehme Themen so lange hinauszuzögern, bis sie sich von selbst erledigen.
»Alex, du …« Plötzlich sind die Stimmen am anderen Ende der Leitung nur noch gedämpft zu hören, so als würde jemand den Lautsprecher zuhalten. Ich presse mein Ohr fester ans Handy, kann aber trotzdem nichts verstehen.
»Hallo?«, frage ich unruhig.
Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich schließlich wieder Leons Stimme höre. Klar und deutlich.
»Emma?«
»Ja?«
Er macht eine Pause, in der ich nur sein Atmen höre.
»Was?«, hake ich nach.
»Ich will nicht Schluss machen. Es … es wäre dumm, etwas zu überstürzen, aber …«
»Überstürzen? Ich sag doch, du kannst keine Entscheidungen treffen«, murrt es im Hintergrund und ich habe das Gefühl, dass es da etwas gibt, was ich nicht weiß.
»Halt die Klappe, Alex!« Leon hält inne und für einen Moment herrscht wieder Stille. Sie zieht sich ins Unerträgliche und ich befürchte, dass die Verbindung abgebrochen ist.
»Leon?«
»Ich bin noch dran.« Seine Stimme klingt vorsichtig, so als würde er jedes Wort mit Bedacht wählen. »Ems … Wie wäre es mit einer Pause?«
»Einer Pause?«
»Ja. Wir machen eine Pause, um über alles nachzudenken.«
»Worüber sollen wir denn nachdenken?«
»Über uns. Du weißt, was ich für dich empfinde, aber …« Er klingt rau, so als wäre sein Hals trocken. Nach einem Räuspern fährt er fort. »Meinst du nicht, der Umzug kommt etwas zu schnell? Vielleicht sind wir noch gar nicht bereit dafür.«
»Du machst Schluss, weil du nicht mit mir zusammenziehen willst?«
»Genauso ist es«, tönt es im Hintergrund. »Außerdem muss er sich über viele Dinge klar werden, wie zum Beispiel …« Es folgen Klirren und Fluchen. »Hör auf, mich zu bewerfen!«
»Dann hör auf, Mist zu reden!« Es rauscht, dann höre ich Leon wieder laut und deutlich.
»Nein! Ems … Guck mal, wir sind noch jung und lernen uns gerade erst kennen. Ich will einfach sichergehen, dass wir … das Richtige tun.«
»Ich …« Ich weiß nicht, was ich sagen soll. »Meine Kisten sind schon gepackt.«
Und mit jeder Menge Vorfreude-Emojis auf meiner Insta-Story gepostet, wo gefühlt die halbe Uni unsere Liebesgeschichte verfolgt.
»Jaaa«, antwortet Leon gedehnt und ich kann förmlich hören, wie er sich windet. »Das …«
»Ja. Das.« Jetzt schießen mir doch Tränen in die Augen, aber ich wische sie wütend beiseite.
Nicht weinen, Emma! Bloß nicht weinen!
»Idioten verdienen unsere Tränen nicht«, sagt Pepper immer und Leon hatte es geschafft, sich innerhalb der letzten zehn Minuten vom Traumprinzen zum Vollidioten zu mausern.
»Na ja«, sagt er. »Um es positiv zu sehen. Immerhin wohnst du noch bei deinen Eltern. Also bist du jetzt nicht obdachlos oder so.«
»Ein Glück …«
»Nur fürs Protokoll. Wenn das so wäre, hätte ich dir natürlich Unterschlupf gewährt. Ich bin ja kein Unmensch.«
»Wie unglaublich nett.« Meine Stimme ist heiser, als würde sie langsam verstehen, was hier gerade passiert, und bei jedem weiteren Wort habe ich mehr Angst, dass sie ganz bricht. »Also ist es vorbei?«
»Nein, wir machen eine Pause.«
»Aha.« Ich drücke Pamela etwas fester an mich. Meine Kehle zieht sich unangenehm zusammen und ich hab das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Am liebsten würde ich heulen, aber ich reiße mich zusammen. »Du kennst doch den Spruch, der bei mir im Badezimmer hängt?«
»Der überm Klo?«
»Genau der«, bestätigt er. »Wenn du etwas liebst, musst du es loslassen. Wenn es zu dir zurückkommt, gehört es dir. Wenn nicht …«
»… war es niemals dein«, vervollständige ich.
»Wir lassen uns los, um wieder zueinanderzufinden, Ems.«
So ein Quatsch!
»Sieh es als Test.« Er bemüht sich, so viel Elan und Zuversicht wie möglich hineinzupacken. »Wenn unsere Liebe stark genug ist, wird sie den nächsten Monat überstehen und uns wieder zusammenführen.«
Leon hat eine Gabe darin, Sachen schönzureden und selbst etwas wie das Schlussmachen in so viel Zuckerwatte zu packen, dass es sich am Ende nach etwas Positiven anhört. Um dieses Talent bestmöglich zu fördern, studiert er Jura. »Eine Pause ist etwas Gutes, Ems«, schließt er seine Ansprache.
Ich will schreien: »Schieb dir deinen Monat sonst wohin«.
Stattdessen sage ich: »Okay.« Denn das ist mein Problem. Ich sage »Okay«, wenn ich eigentlich »Du kannst mich mal!« meine.
»Super«, erwidert Leon dankbar. »Ich wusste, du würdest es verstehen, Ems. Dafür lieb …«
Er hält mitten im Satz inne und schluckt die letzten Wörter erschrocken herunter. Wir wissen beide, was er sagen wollte, aber nicht, weil er es so meint, sondern aus Gewohnheit. Ob er mich je geliebt hat? Und wenn ja, wann hat es aufgehört?
»Dafür … schätze ich dich«, korrigiert er etwas kleinlaut.
»Okay«, erwidere ich immer noch benommen.
»Okay.«
Es entsteht eine unangenehme Stille, die angefüllt ist mit dem, was ich gerne herausschreien würde, stattdessen aber herunterschlucke.
»Na dann …«
»Na dann«, echot er.
»Ich lege jetzt auf?« Es ist mehr eine Frage als eine Feststellung. Eine Frage, weil ich hoffe, dass er mich davon abhält. Mich nicht einfach so gehen lässt, sondern es sich anders überlegt. Diese Hoffnung wird aber sogleich zunichtegemacht.
»Mach das. Und … Emma?«
»Ja?« Mein Herzschlag setzt aus.
»Mach’s gut.«
Mach’s gut? Ernsthaft? Okay, Emma, sag ihm, dass er ein verdammter Scheißkerl ist!
»Du auch.« Als ich auflege, schlägt mir mein Herz bis zum Hals. Es pocht so heftig, dass mir schwindelig wird. Ausgestreckt lasse ich mich auf den Boden fallen und klammere mich an Pamela.
»Wir ziehen doch nicht um«, informiere ich sie.
Ja, ich rede mit Pflanzen. Mein zweites Problem, wenn es denn eins ist, denn eigentlich fühle ich mich gut damit.
Pepper sagt immer, ich soll ruhig mit meiner Palme reden, nur wenn sie anfängt zu antworten, soll ich mir einen Therapeuten suchen. »Leon und ich machen eine Pause. Das ist etwas anderes als Schluss machen, oder?«
Warum fühlt es sich dann so an? Seine traurige, mitleidige Stimme, die Art, wie er sich verabschiedet hat. All das klang so endgültig.
Auch die Schirmpflanze schweigt und ich kann mir denken, was sie davon hält.
»Du hältst mich für ein Weichei, weil ich ihm nicht die Meinung gegeigt hab.«
Stille Zustimmung.
»Ich weiß. Ich …«
Ich hab einfach nicht die richtigen Worte gefunden. Das ist nichts Neues. Wenn ich überrumpelt werde, habe ich einen regelrechten Knoten im Kopf, der sich erst löst, wenn ich etwas Zeit zum Nachdenken habe.
Ich drehe mich auf den Bauch und angle mir meinen Laptop, der neben den Umzugskisten liegt. Langsam fährt die Spitze meines Zeigefingers über die silberne Hülle, die ich mit vier Stickern verziert habe. Einer Pflanze (aus bereits genannten Gründen). Einem Milchshake (mit Milchshakes ist alles besser). Einem Wikipedia-Symbol (ich liebe es, mir dort unnützes Wissen anzueignen). Und einem Glühwürmchen (die hielt ich einmal für romantisch. Spoiler: Sind sie nicht).
Ich klappe den Laptop auf und öffne das Dokument »Disaster-Diary«, eine Art Tagebuch, in dem ich versuche, meine Gedanken zu sortieren. Sie niederzuschreiben hilft mir, Ordnung in meinem Kopf zu schaffen und den Sturm, der manchmal in mir tobt, zu beruhigen.
Dear Disaster-Diary,
ich erinnere mich noch genau an den Moment, an dem ich aufgehört habe zu glauben, dass Glühwürmchen romantisch sind. Sicher. In der Nacht sind sie wunderschön. Wer schon einmal eines gesehen hat, kennt den magischen Moment, in dem man den glühenden Punkt entdeckt, der durch die Dunkelheit tanzt. Wie eine kleine Fee. Aber wenn man das Licht anschaltet, sieht man, dass sich hinter dieser kleinen Fee ein hässlicher Käfer versteckt.
Ich habe das Gefühl, dass in meiner Beziehung soeben das Licht angeschaltet wurde …
»OKAY?«, echot Pepper aufgebracht. Sie baut sich vor mir auf und mit ihren 12-cm-High-Heels sieht sie größer aus als sonst. »Du hast nicht im Ernst Okay gesagt?«
»Was hätte ich denn sonst sagen sollen?«
»Keine Ahnung!«, ruft sie und fuchtelt mit den Armen in der Luft herum. »So was wie ›Ich dreh dir den Hals um, du Arsch!‹.«
Pepper ist jemand, die sofort alle Blicke auf sich zieht, wenn sie den Raum betritt. Das liegt daran, dass sie nicht nur aussieht wie ein Model, sondern auch weiß, wie sie sich kleiden muss, um ihre Vorzüge perfekt in Szene zu setzen. Nicht, dass sie nicht auch in einem Kartoffelsack umwerfend aussehen würde.
Ihr heller Pony fällt ihr ins Gesicht. Der Rest ist zum Dutt gebunden, wodurch sie wirkt wie eine sexy Version von Tinkerbell mit kurzem Jeansrock und High Heels. (Im Moment eine sehr wütende und fluchende Version von Tinkerbell.)
»Manchmal braucht man eine Pause«, zitiere ich. »Um wieder zueinanderzufinden …«
»Bullshit! Das ist ein Freifahrtschein zum Fremdgehen. Du glaubst seinem Gefasel doch nicht etwa?«
»Ich glaube nicht, dass Leon fremdgehen will.«
»Zeit für einen Realitätscheck.« Pepper hält mir ihr Handy unter die Nase. »Dein Traumprinz lädt heute auf eine kleine Party auf seiner Terrasse ein.« Sie räuspert sich und liest vor. »Hey Mädels, denkt an eure Bikinis. Irgendwie muss der Whirlpool ja beheizt werden.« Hört sich das für dich nach einem keuschen Monat der Selbstreflexion an?«
»Das hat er gepostet?« Ich versuche den wachsenden Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, aber es funktioniert nicht und er platzt mit einem Schluchzen. »Pepper … Was soll ich denn jetzt machen?«
»Oh Süße.« Sie streift ihre High Heels ab und setzt sich zu mir auf den Boden. Sanft, aber bestimmt nimmt sie mir Pamela aus der Hand und schlingt ihre Arme um mich. Peppers Umarmungen sind die besten. Sie sind warm, fest und fühlen sich an wie heißer Kakao mit Marshmallows im Winter. Eine ganz spezielle Superkraft, die nur beste Freundinnen haben.
»Ich hab nie verstanden, was du in ihm siehst. Außer vielleicht seinen Bizeps. Und sein Geld natürlich. Auch kein unwesentlicher Punkt, wenn ich so drüber nachdenke.«
»Mit dem Geld hat das nichts zu tun«, schniefe ich und vergrabe mein Gesicht ganz fest in ihrer Schulter.
»Dann doch der Bizeps?«
»Er ist … er ist … einfach Leonard von Herzog«, versuche ich. »Meine erste große Liebe.«
Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem ich Leon das erste Mal traf. Es war umwerfend. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich war wieder einmal spät dran. Die Mikrobiologie-Vorlesung hatte bereits begonnen und ich legte einen Sprint hin. Als ich um die Ecke rannte, krachte ich in ihn hinein. Wie die erste Begegnung in einem kitschigen Film. In meiner Erinnerung stürzt er in Slow Motion samt seinem Starbucksbecher zu Boden und ich auf ihn drauf. Dazu spielt mein Kopf kitschige Musik ab und legt einen Filter darüber, so einen, der glitzernde Sternchen um uns aufblinken lässt.
»Oh! Tut mir leid!«, rief ich und richtete mich auf, so dass ich rittlings auf ihm saß. Ebenfalls ein absolutes Klischee.
»Nichts passiert«, erwiderte er und schenkte mir ein schiefes Zahnpasta-Lächeln.
»Deine Jacke«, stotterte ich.
»Keine Sorge. Ich verklag dich nicht«, winkte er ab.
»Was?«
»Jurastudent«, erklärte er. »Okay, ich geb es zu. Der Witz ist dumm.«
Er sah mich erwartungsvoll an und hob seine perfekt geformte Augenbraue. »Ähm. Willst du von mir runtergehen?«
»Oh.« Ich bemerkte, dass ich immer noch in einer höchst unangemessenen Pose auf ihm saß, und sprang erschrocken auf.
»Ich bin Leon«, stellte er sich vor, als ob ich das nicht wüsste. Jeder in der Uni kannte ihn, den gut aussehenden, reichen Kerl, der von keiner Party allein nach Hause ging. Ich hatte ihn immer für arrogant gehalten und ein Stück weit für unerreichbar, denn die Leute, mit denen er unterwegs war, wirkten wie eine geschlossene Gesellschaft. Doch plötzlich war er mir so nah, dass ich ihn riechen konnte, und er roch verdammt gut. Nach Seife und dezent nach Aftershave.
»Emma«, murmelte ich mit hochrotem Kopf.
Er reichte mir den Rest vom Kaffee. »Du siehst so aus, als könntest du ihn besser gebrauchen als ich.«
»Danke.« Ich versuchte, lässig am Becher zu nippen, und verschluckte mich vor Aufregung. Er klopfte mir auf den Rücken, während ich mich bemühte, nicht in seinen Armen zu verrecken.
»Sorry«, nuschelte ich.
»Ach. Nicht schlimm«, lachte er. »Ich finde das süß.«
»Wenn jemand erstickt?«
»Wenn jemand so verpeilt ist«, korrigierte er.
Süß.
Er fand mich süß …
Das war der magische Moment, in dem mir der beliebteste Kerl der Uni seinen Kaffee schenkte. Und einen Monat später auch sein Herz. Es war wie eine dieser Geschichten, wo der reiche Bad Boy sich in das normale Mädchen von nebenan verliebt und sich um hundertachtzig Grad ändert. Nur dass Bad Boys sich in der Realität nicht ändern und ich kein normales Mädchen von nebenan bin.
»Erste große Liebe?«, hakt Pepper mit funkelnden Augen nach. »Du weißt, was ich darüber denke!«
Ich nicke. »Die erste große Liebe ist wie ein Wirbelsturm, der einen von den Füßen haut. Meistens reibt man sich hinterher den Kopf und wundert sich, ob man eine Gehirnerschütterung hatte oder warum sonst man den Idioten so lange ertragen hat.«
»Genau!« Sie schnipst mir mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. »Du hattest ganz klar eine Gehirnerschütterung.«
»Sieben Monate lang?«
»Es war ein verdammt großer Wirbelsturm! Ich meine, wir reden hier von Leon. Heiß, reich, aber komplett unfähig, sich zu binden. Er ist dafür bekannt, jede Woche eine Neue zu haben.«
Ich lehne meine Stirn an Pamelas kühlen Topf. »Für mich hat er sich geändert.«
»Süße. Niemand ändert sich von einem Tag auf den anderen um hundertachtzig Grad. Nicht mal für die Liebe. Auch wenn ich zugeben muss, dass ihr länger zusammen wart als gedacht.«
»Er war so romantisch. Zu jedem Monatsjubiläum hat er mir Rosen mitgebracht, um mir zu versichern, wie glücklich er ist. Darum versteh ich einfach nicht, warum er jetzt diese Pause will.«
»Vertraue niemals jemandem, der dir Rosen schenkt«, winkt Pepper ab. »Ihr ganzer Zweck besteht darin, hübsch auszusehen und nach wenigen Tagen qualvoll und einsam zu vergammeln. Welcher Vollpfosten hat jemals entschieden, dass das romantisch ist? Wenn es jemand ernst mit dir meint, soll er dir einen Baum schenken.«
»Aber, Peps. Wir waren wirklich glücklich.« Ich schüttele den Kopf. »Weißt du noch der Wintersemester-Ball?«
»Wie könnte ich das vergessen?« Pepper verdreht die Augen. »Ihr habt ungefähr eine Million Storys über eure Knutschaktion im Pool gepostet.«
»Eigentlich bin ich gefallen …«, korrigiere ich. »Leon ist hinterhergesprungen, um mich zu retten.«
Pepper macht Würggeräusche.
»Das war wie in einem Märchen.« Tatsächlich war das der Moment, an dem mir an der Uni der Spitznamen Cinderemma verpasst wurde. Unter anderem deshalb, weil ich bei der Poolaktion einen meiner High Heels verloren hab. Nach zehn Minuten war der Schuh zwar wiedergefunden, aber es reichte aus, um aus der unscheinbaren Emma eine Prinzessin zu machen. Die Prinzessin, die es schaffte, das Herz des unentschlossenen Prinzen zu erweichen und ihn für ewig an sich zu binden. (Nun ja, für sieben Monate.)
»Märchen sind ziemlich grausam. Wenn du nicht die Walt-Disney-Version meinst«, entgegnet Pepper und kramt in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch.
»Ich meine unbedingt die Walt-Disney-Version.«
»Nun, Zeit aufzuwachen, Dornröschen. Dein Prinz feiert heute eine ziemlich heiße Party mit den Prinzessinnen des Nachbarreiches.« Sie hält mir das Taschentuch hin und ich vergrabe mein Gesicht darin. »Wenn du willst, spielen wir ein bisschen böse Königin und mischen ihn auf. Ich kenn da ein paar gefährliche Typen. Nur ein Wort von dir und ich organisiere, dass sie sein Auto beschmieren. Niemand wird je erfahren, wer es war …«
Das glaube ich ihr sogar. Sie ist jemand, der nicht nur Dinge verspricht, sondern diese auch, komme, was wolle, durchzieht. Im Gegensatz zu gewissen unentschlossenen Prinzen …
»Alternativ könnten wir auch Stinkbomben auf seine Terrasse werfen. Ich hab noch welche gelagert.«
»Warum zur Hölle lagerst du Stinkbomben?«
»Für Leute, die es verdienen.«
»Sind wir dafür nicht zu alt?«
Pepper fasst sich an die Brust und sieht mich mit gespieltem Entsetzen an. »Man ist nie zu alt für Stinkbomben.«
Das bewundere ich an ihr. Sie macht sich keine Gedanken, was andere von ihr halten.
»Im Moment ist mir nicht danach.«
»Sag Bescheid, wenn sich das ändert.«
Seufzend sehe ich mich in meinem alten Kinderzimmer um, in dem sich mein gesamtes Hab und Gut fein säuberlich verpackt in Umzugskisten stapelt.
»Wir können wohl wieder auspacken. Offenbar werde ich noch eine Weile bei meinen Eltern wohnen bleiben.«
Das auszusprechen fühlt sich härter an als gedacht, denn mit meinen vierundzwanzig Jahren fühle ich mich mittlerweile mehr als bereit auszuziehen.
»Wie werden sie es aufnehmen?«, fragt Pepper.
»Ich glaube, sie werden sich freuen, dass sich nichts ändert. Du kennst sie doch. Wenn es nach ihnen geht, wohne ich hier, bis ich alt und grau bin.«
Die Tür geht auf und eine Konfettikanone explodiert. Bunte und glitzernde Papierschnipsel regnen auf Pepper, mich und die Umzugskisten nieder.
»Juchhu! Emma zieht endlich aus!«, ruft mein Vater. Meine Mutter folgt ihm mit einem großen Kuchentablett in der Hand.
»Wir hätten nicht mehr damit gerechnet«, verkündet sie strahlend. »Aber der Tag ist gekommen. Nach vierundzwanzig Jahren hat es unser Mädchen endlich geschafft.«
»Moment! Ich dachte, ihr seid froh, wenn ich bleibe«, stelle ich zerknirscht fest.
»Um Gottes willen. Nein. Wir freuen uns über deine neue Selbstständigkeit.«
»Und unsere neue Unabhängigkeit«, fügt mein Vater hinzu. »Aber natürlich werden wir dich schrecklich vermissen, Hase. Schrecklich!«
»Oder auch nicht«, brumme ich, während ich mir bunte Konfettistreusel aus den Haaren zupfe.
»Was meinst du?« Erst jetzt bemerkt meine Mutter mein verquollenes Gesicht. »Oh, Hase! Was ist los?«
Ich ringe mit den Worten, aber glücklicherweise hat Pepper die richtigen längst gefunden und übernimmt es auf ihre charmant subtile Art, meinen Eltern die Situation zu erklären.
»Emma geht es beschissen.«
»Ach. Bestimmt die Umzugsnervosität«, winkt meine Mutter ab. »Das ist normal. Gönn dir ein Stück Kuchen. Zur Feier des Tages dürfen wir ein paar Kalorien sündigen und dann lasst uns endlich loslegen.«
Seit einigen Monaten ernährt sich meine Mutter mit ihren Freundinnen nur noch von Superfood. Allerdings findet sie nur allzu gerne Ausreden, um davon eine Ausnahme zu machen.
Jetzt balanciert sie das Tablett auf der einen Hand, während sie mit der anderen ein besonders großes Stück angelt und es mir reicht.
Bienenstich.
Leons Lieblingskuchen.
»Nein danke, Mama.«
»Du siehst ganz blass aus.« Meine Mutter runzelt besorgt die Stirn. »Iss etwas. Dann geht es dir besser. Ich habe ihn probiert und muss ganz unbescheiden festhalten, dass ich mich selbst übertroffen habe.«
»Ich will keinen Kuchen.«
»Bist du etwa krank?«
»Mama … Ich muss euch etwas sagen. Ich …« Ich habe keine Ahnung, wie ich es ihnen vermitteln soll, ohne ihre Herzen zu brechen. Im Gegensatz zu Pepper sind sie große Leon-Fans und hören, seitdem ich ihnen von unseren Plänen zusammenzuziehen erzählt habe, schon die Hochzeitsglocken läuten. »Leon und ich … Wir …«
»Oh mein Gott«, unterbricht mich meine Mutter und fasst sich ans Herz. Sie holt tief Luft und macht eine dramatische Pause, um sich zu sammeln. Offenbar befürchtet sie das Schlimmste und sieht die perfekte Zukunftsvision vor ihren Augen zerfallen. Ich will nach ihrem Arm greifen, um sie zu halten, da bricht es aus ihr heraus: »Du bist schwanger?«
»Was? Wie? Okay, ich weiß, wie …«, Mein Vater wird ganz blass und setzt sich auf eine Umzugskiste. »Okay … Okay. Ganz ruhig, Bernhard.« Er hebt den Blick und sieht mich direkt an. »Du kannst uns alles sagen, Hase. Wir sind für dich da.«
»Ich bin nicht schwanger.«
»Gott sei Dank.« Mein Vater atmet erleichtert auf.
»Was heißt hier Gott sei Dank, Bernhard?«, fragt meine Mutter empört. »Mit vierundzwanzig ist das jetzt nicht so ungewöhnlich.«
»Aber sie ist doch selbst noch unser Baby!«
»Ein sehr erwachsenes Baby, Bernhard. Wir haben darüber gesprochen. Außerdem werden wir nicht jünger. Ich will noch fit genug für meine Enkelkinder sein.«
»Enkelkinder? Plural?«, frage ich erschrocken.
»Ja, ich hätte gerne vier.«
»Dann hätte ich vielleicht kein Einzelkind bleiben sollen.«
»Kein Stress. Wenn Leon und du jetzt loslegt, dann …«
»Wir legen aber nicht los, Mama!« Ich kämpfe wieder mit den Tränen. Meine Finger schlingen sich auf der Suche nach Halt wieder fester um Pamelas Topf, was Pepper nicht entgeht. Wortlos tritt sie näher an mich heran, so dass sich unsere Schultern berühren. Das gibt mir Kraft für die nächsten Worte. »Ich werde vorläufig nicht ausziehen.«
»Aber Leon und du, ihr …«
Pepper lässt die Bombe platzen. »Leon hat Schluss gemacht.«
Das Gesicht meiner Mutter erschlafft wie ein Ballon, bei dem man die Luft herausgelassen hat.
»Nein, Leon und ich haben uns für einen Monat Beziehungspause entschieden«, verbessere ich sie.
»Er hat sich entschieden«, murmelt sie, bevor ich sie mit einem Knuff zum Schweigen bringe.
Nach diesem Geständnis muss sich meine Mutter wenig überraschend setzen. Fassungslos schüttelt sie den Kopf. »Oh nein. Hat er mitbekommen, dass du mit Pflanzen sprichst?«
»Mama! Ich glaube, daran liegt es nicht.«
»Viele Menschen sprechen mit Pflanzen. Das kann tatsächlich einen positiven Einfluss auf ihr Wachstum haben. Ich selbst habe unserer Orchidee letzte Woche erst Mozart vorgespielt«, eilt mir mein Vater zu Hilfe.
»Und danach hatte sie einen Pilzbefall.«
»Sie war offenbar keine Liebhaberin klassischer Musik.« Mein Vater ist Biologe mit Leib und Seele. Auch wenn er schon lange nicht mehr in der Forschung tätig ist, habe ich manchmal das Gefühl, dass er den Wissenschaftler in sich nie abgelegt hat. »Morgen werde ich es mit Rock probieren.«
»Wenn es nicht dein Pflanzentick war, was hat ihn dann vergrault?«, bohrt meine Mutter nach. »Haben seine Eltern das veranlasst?«
Leons Eltern sind reich. Verdammt reich. Seine Mutter fragte mich bei dem ersten Treffen, was mein Lieblingsdesigner sei. »Converse«, hatte ich geantwortet und auf meine Chucks gedeutet. Von diesem Schock hat sie sich nie erholt. »Ich glaub nicht. Auch wenn sie sich eine passendere Schwiegertochter für die von Herzogs wünschen würden.«
»Das können wir nicht akzeptieren«, verkündet meine Mutter, weiter um Fassung ringend. »Du musst mit ihm reden.«
»Aber …«
»Kein Aber.« Sie steht auf. »Ich habe dein Zimmer schon verplant.«
»Du hast was?«
»Das wird unser neuer Yogaraum. Du weißt doch, dass wir seit Monaten nach einem Treffpunkt für unsere Seminare suchen, und ich habe vorgeschlagen, dass wir es einfach hier machen.«
»Du hast mein Zimmer verplant? Mein Zimmer?«, quieke ich entsetzt.
»Du wolltest ausziehen. Was sollen wir sonst damit machen? Es leer stehen lassen?«
»JA!«
»Ach, Emma.«
»Aber wir sollten nichts überstürzen, Charlotte«, mischt sich mein Vater ein. »Dein Yoga kann warten. Emma braucht jetzt eine unterstützende Umgebung und mir gefällt der Gedanke, dass sie noch ein klein bisschen länger bei uns bleibt.«
»Sie ist vierundzwanzig, Bernhard.«
»Ich habe zu dem Zeitpunkt auch noch bei meinen Eltern gewohnt und es hat mir nicht geschadet.«
»Du weißt nicht einmal, wie man den Steuerbescheid ausfüllt«, seufzt meine Mutter.
»Warum auch? Wir haben einen sehr kompetenten Steuerberater.«
Meine Mutter verdreht die Augen und wendet sich an mich. »Emma, Schatz. Natürlich werfen wir dich nicht raus, aber in zwei Tagen geht mein Yogaseminar los und wir brauchen diesen Raum. Du müsstest also deine Kisten in den Keller bringen.«
»Und wo schlafe ich dann?«, frage ich fassungslos.
»Auf einer Yogamatte?« Sie versucht, mir den Vorschlag mit einem weiteren Stück Bienenstich schmackhafter zu machen.
»Du musst nicht auf der Yogamatte schlafen«, verkündet Pepper. »Wir finden eine Wohnung für dich. Du brauchst ja wohl keinen Freund, um auszuziehen. Du bist eine selbstständige Frau und kannst alleine wohnen.«
»Alleine?«, hake ich skeptisch nach. Und auch mein Vater ist unsicher.
»Ich weiß nicht. Das letzte Mal, als Emma zwei Wochen allein zu Hause war, hat sich unser Pflanzenbestand verdreifacht. Selbst in der Badewanne stand ein Buchsbäumchen, weil sie sich einsam gefühlt hat.«
»Ich finde Pflanzen sehr beruhigend«, verteidige ich mich. Und in Stresssituationen neige ich dazu, sie zu horten …
Pepper stöhnt. »Wie wäre es mit einer WG?«
»Oh. Das ist eine fantastische Idee. Am besten eine mit einem netten jungen Mann.« Meine Mutter nickt. »Wenn der Leon sieht, wie begehrenswert du bist, kommt er schneller zurück, als du gucken kannst. Das weiß jeder. Männer sind Jäger. Du hast es dem Leon von Anfang an zu leicht gemacht, indem du ihn angehimmelt hast wie einen Superstar.«
Pepper versucht einzuschreiten, aber es ist zu spät. Meine Mutter und ihre Freundin Trude lesen zu viele Frauenzeitschriften mit fragwürdigen Dating-Tipps, die sie dann umfassend zusammen diskutieren. Für gewöhnlich lachen Pepper und ich über ihre Ratschläge, aber heute treffen mich ihre Worte tiefer, als ich geglaubt hätte, und leiser Zweifel macht sich breit. Ist da doch etwas Wahres dran? Bin ich möglicherweise selbst schuld, dass Leon das Interesse verloren hat?
Ich schlucke, woraufhin Pepper mich in die Seite kneift, als hätte sie meine Gedanken gelesen und wollte nun verhindern, dass ich den Worten meiner Mutter auch nur eine Sekunde Glauben schenke.
»Männer lieben die Herausforderung!«, fährt die unbeeindruckt fort. »Kein Star heiratet ein Groupie. Das ist zu einfach, zu langweilig. Du musst dich interessanter machen, seinen Jagdinstinkt wecken, und eh du dich versiehst, will er dich zurückerobern.«
Mein Vater lacht schallend los. »Also, ich bin froh, dass du mich damals auf ein Date eingeladen hast. Von mir aus hätte ich mich das nie getraut.«
»Bernhard. Du bist auch der faulste Jäger, den ich kenne. Ich musste sogar meinen Hochzeitsantrag selbst organisieren.«
»Und trotzdem habe ich das klügste und entzückendste Reh an meiner Seite.«
Man mag es nicht gleich erkennen, aber das, was meine Eltern haben, ist Liebe. Liebe in ihrer kitschigsten und nervtötendsten Form. Auch wenn sich meine Mutter regelmäßig aufregt, dass er schnarcht, ihren Hochzeitstag vergisst und ihr die schlimmsten Geburtstagsgeschenke macht (das letzte Mal war es ein Rasenmäher). Aber am Ende des Tages sind sie zwei Gegensätze, die sich perfekt ergänzen, eine unzerstörbare Einheit. Sie lieben sich und sie lieben mich.
Ich dachte, ich hätte in Leon etwas Ähnliches gefunden, aber diese Hoffnung wurde heute zerstört.
Nicht zerstört … pausiert.
»Ihr habt recht«, entscheide ich. »Es ist an der Zeit auszuziehen.«
Weil sich mein Hab und Gut in Kisten stapelt und ich wegen der Leon-Sache in einem emotionalen Loch versinke, fahren wir am Abend zu Pepper. Immerhin ist ein gemeinsamer Mädelsabend die beste Medizin gegen gebrochene Herzen.
»Glaubst du, ich sollte noch mal mit Leon reden?«, frage ich, obwohl ich ihre Antwort darauf bereits kenne.
»Auf keinen Fall!« Pepper bleibt hart.
»Aber es muss einen Grund geben, warum er plötzlich diese Pause will.«
»Weil er ein Arschloch ist, Emma. Das reicht als Grund.«
»Ich weiß nicht … Vielleicht hat meine Mutter recht. Ich war ein langweiliger Groupie.«
»Deine Mutter vertraut der Psychologie von Klatschblättern, die sie mit Trude beim Friseur liest. Ja, vielleicht wärst du noch mit Leon zusammen, wenn du die mysteriöse Unnahbare gespielt hättest, aber die wahre Liebe hältst du so nicht, denn für die musst du dich nicht verstellen. Für die zählt nur, dass beide echt sind und sich trotzdem und gerade deshalb lieben.«
»Das klingt … weise.«
»Ich bin weise. Darum frag nicht deine Mutter, frag mich. Ich bin Expertin in Sachen Liebe.«
»Du bist Dauersingle.«
»Autsch, Emma. Autsch.«
Seufzend lehne ich den Kopf nach hinten und starre an das Dach des Autos. »Warum klebt da ein Kaugummi?«
»Oh! Das hab ich schon vermisst.« Pepper zupft es ab und steckt es sich in den Mund.
»Bäh! Pepper! Das ist eklig!«
»Das ist Sparen. Im Gegensatz zu gewissen anderen verwöhnten Studentinnen, die vierundzwanzig Jahre Hotel Mama & Papa genießen durften, verdiene ich mein Geld selbst.«
»Und dafür vergöttere ich dich, Miss Ich-steh-auf-meinen-eigenen-Beinen!«, sage ich, während sie übertrieben laut auf ihrem Kaugummi herumschmatzt.
In diesem Moment vibriert mein Handy in der Hosentasche und ich springe förmlich an die Decke. Ein bisschen zu aufgeregt ziehe ich es heraus, und Pepper kennt mich gut genug, um meine Gedanken zu erraten.
»Es ist nicht Leon, Süße.«
Verdammt!
Natürlich hat sie recht.
»Hab ich auch nicht erwartet«, lüge ich. »Holy Fuck!«
Ich starre auf die Flut an Nachrichten, die mein Instagramprofil überschwemmen. Von »Wie geht es dir?« und »Was ist passiert? Habt ihr euch wirklich getrennt?« bis »Melde dich!« ist alles dabei. Seitdem ich mit Leon zusammengekommen bin, ist die Zahl meiner Instagramabonnenten explodiert. Das macht mich nicht zum internationalen Rockstar, aber an der Uni habe ich durch Leon eine gewisse Berühmtheit erlangt. Selbst der Dozent meines Sezierkurses folgt der Seite, die ich in »Cinderemma« umbenannt habe und wo ich überwiegend Beziehungs-Content poste. Auch wenn weder ich noch Leon bekannt genug für Kooperationsanfragen sind, habe ich die Rückmeldungen genossen. Denn für unsere Follower steht fest, wir sind einfach »zuckersüß«, ein wahr gewordener Traum.
»Was mach ich denn jetzt? Soll ich so etwas wie eine Stellungnahme posten?«
»Ja. Schreib ihnen, dass du gerade in einem Stripclub bist, um all deine Sorgen zu vergessen, und keine Zeit zum Antworten hast.«
»Haha.« Besorgt klicke ich mich durch die weiteren Nachrichten.
»Die sind bloß neugierig«, erklärt Pepper. »Alle lieben etwas Drama. Es ist lustig und lenkt einen vom eigenen Leben ab. Lass dich davon nicht stressen. Deine Fans werden das schon verkraften.«
»Eine schreibt: »Bitte lass das ein Prank sein, sonst verliere ich den Glauben an die Liebe.«
Pepper lacht schallend los. »Wenn sie Leon wirklich kennen würde, hätte sie wohl eher den Glauben an deinen Verstand verloren.«
Pepper hält nicht viel von Social Media. Natürlich benutzt sie es, allerdings ist sie eine von denen, die eher beobachten und selbst kaum etwas posten. »Das da draußen ist ein Zirkus, bei dem viel zu viele versuchen, durch die Manege zu tanzen. Ich bleib lieber sitzen und genieße mein Popcorn«, sagt sie immer.
»Irgendwas muss ich posten.« Ich kaue nachdenklich auf meiner Lippe, während ich mir Leons Storys ansehe. In einer zieht er einen Schmollmund und schreibt »Wenn das Leben dir Zitronen schenkt, mach ’ne Limo draus.« In der nächsten umarmt er Alex. »In schweren Zeiten merkt man, wie wichtig Freunde sind.«
»Ja, genau. Mach einen auf Mitleid. Du wolltest doch die Scheißpause«, knurre ich wütend und versenke das Handy vorerst wieder in der Jackentasche.
»Wir finden eine geile WG für dich«, schwört Pepper und reicht mir den kleinen Finger. Ich hake meinen in ihren, wie wir es immer machen, wenn wir uns etwas schwören.
»Der Wohnungsmarkt ist eine Katastrophe«, sage ich wenig optimistisch, aber sie winkt lässig ab.
»Du kennst mich. Wenn ich etwas will, bekomme ich es.«
Das stimmt. Bei ihr wirkt es so, als könnte man das Leben mit frechen Sprüchen und einem Lächeln meistern.
»Ich liebe deine Eltern«, fährt sie fort. »Sie sind wie Bonnie und Clyde in alt, unkriminell und weniger verrückt, aber du musst dein eigenes Leben leben. Du weißt schon. Erwachsen werden.«
»Ich bin erwachsen.«
»Du wäschst nicht mal deine Wäsche selbst.«
»Aber nur, weil meine Mutter meint, es wäre einfacher, wenn …«
Sie unterbricht mich. »Es ist nicht nur das. Irgendwann muss man sich lösen. Du weißt schon. Durchdrehen, Fehler machen. Den ganzen Scheiß mitnehmen, der zum Erwachsenwerden dazu gehört.«
»Du hast ja recht, aber die letzte bezahlbare Wohnung, die ich mir angesehen hab, hätte ich mir mit einer fetten Kakerlake namens Karla geteilt.«
»Das war die Kellerwohnung eurer Nachbarin Trude. Und soweit ich weiß, war das die erste und einzige Wohnung, die du dir je angesehen hast.«
»Wenn Leon in einem Monat vielleicht …«
»Vielleicht was?«, unterbricht mich Pepper. »Der Mistkerl weiß nicht, was er will, und er wird es nie wissen. Glaub mir, wenn du einen Monat wartest, wartest du dein Leben lang.«
Sie lenkt ihren Wagen rückwärts in die kleinste Parklücke der Welt. Für einen Moment befürchte ich, dass sie die Hecke über den Haufen fährt, aber wenn Pepper etwas gut kann, dann ist es einparken.
Eigentlich kann sie alles gut.
Dann quetscht sie sich aus dem Auto und marschiert auf ein Büro zu. Auf einem Schild neben dem Eingang steht klein: »Pepper&Salt – Wir klären auf«.
Eigentlich heißt sie Pepperline Salt. Ihre Mutter kommt aus Massachusetts, einem Bundesstaat in den USA, den kaum ein Deutscher aussprechen kann. Ihr Vater aus Berlin. Bei der Namensgebung konnten sie sich nicht einigen. Ihre Mutter war für Pepper, ihr Vater für Pauline. Da keiner nachgeben wollte, kam es zu diesem Kompromiss.
Die meisten halten Pepper für ein Model oder jemanden, die mit ihrem Aussehen Geld verdient. Die wenigsten würden erwarten, dass sie selbstständige Privatdetektivin ist. Zu ihrer Enttäuschung klärt sie bei ihrer Arbeit allerdings keine Morde oder spektakuläre Raubüberfälle auf, sondern überführt weitestgehend Fremdgänger. Hin und wieder sucht sie auch vermisste Katzen.
Das Büro sieht aus, als hätte der Innenarchitekt mit den Möbeln Tetris gespielt. Allerdings verschwindet der Großteil der Einrichtung unter Aktenordnern und Zetteln. Lediglich der Schreibtisch in der Mitte des Raumes ist aufgeräumt.
Im hinteren Teil befinden sich Peppers Wohnräume. Ein winziges, vollgestelltes Wohnzimmer mit offener Küche, das gleichzeitig auch als Schlafzimmer dient, und ein Badezimmer.
Pepper wirft ihre Schuhe in eine Ecke und deutet aufs Sofa. »Setz dich. Entspann dich! Ich mach uns was zu trinken.«
Gerade versinke ich zwischen weichen Sofakissen, als das Handy erneut vibriert. Dieses Mal ist es meine Kommilitonin Sarah.
Sarah: Oh nein! Ich hab das von dir und Leon gelesen. Das ist ja schrecklich, Emma! Ganz schrecklich! Wie geht es dir? Dumme Frage. Wahrscheinlich bist du am Boden zerstört …
Als ich ihr antworten will, ergänzt sie plötzlich:
Sarah: Wer ist denn die hübsche Brünette auf Leons Party? Ich will dich ja nicht noch mehr stressen, aber die wirken vertraut! Findest du nicht?
In seinen Storys habe ich keine Brünette gesehen, aber Sarah ist mir ein paar Schritte voraus und schickt mir einen Screenshot von Alex’ Posts. Darauf zu sehen ist ein beleuchteter Whirlpool, in dem Leon gerade mit besagter Brünette sitzt und einen Cocktail in die Höhe hält. Ein Stich der Eifersucht jagt mir durchs Herz und ich vergrößere den Abschnitt. Minutenlang starre ich in seine Augen, als würden sie mir verraten, was da gerade vor sich geht.
Sarah: Wow! Jetzt weiß ich, woher sie mir bekannt vorkommt! Das ist Larissa Moreau. DIE Larissa. Ich wusste gar nicht, dass Leon sie kennt.
Ehe ich nachfragen kann, schickt sie mir einen Link, der mich zu einem Instagramprofil leitet. Laut ihrer Biografie ist Larissa erfolgreicher Content-Creator und studiert Psychologie.
»Wer ist das?«, fragt Pepper, die mir über die Schulter guckt.
»Leons Whirlpool-Bekanntschaft.«
»Mit der würde ich auch gerne baden gehen.«
»Pepper!«
»Sie sieht wirklich heiß aus. Das muss man mal so ganz objektiv festhalten.«
»Ja. Ich weiß«, stimme ich zerknirscht zu und scrolle mich weiter durch ihren Feed. Sie hat langes, dunkles Haar. Volle Lippen. Und große Rehaugen, die von dichten Wimpern umsäumt sind. Außerdem macht sie verdächtig oft Werbung für Natural Shine – eine vegane und vollkommen überteuerte Haarpflegeserie. »Peps, glaubst du, sie ist der Grund für unsere Pause?«
Der Gedanke nagt an mir, will mich nicht loslassen und so klicke ich mich immer weiter durch ihr Profil, bis mir Pepper sanft Handy und Weinglas aus der Hand nimmt. Letzteres, weil sie befürchtet, dass ich vor Aufregung das Glas zerdrücke.
»Ich weiß, wie du dich fühlst.«
»Ich weiß selbst nicht, wie ich mich fühle.«
»Ich stalke heute noch Du-weißt-schon-wen«, fährt Pepper fort und legt ihren Arm um mich.
»Vicky?« Überrascht von diesem Geständnis sehe ich auf. Victoria Lin. Das Mädchen, das Pepper das Herz gebrochen hat.
»Sie hat mittlerweile einen Mann und zwei Kinder. Süße Zwillinge.« Pepper gießt sich selbst Wein ein und lässt sich neben mich aufs Sofa fallen. »Es tut weh und trotzdem macht man es. Es ist wie ein kleiner Selbstzerstörungstrieb, der in einem lauert. Eine Sehnsucht. Eine stille Hoffnung. Man will unbedingt ein Zeichen finden, dass diese Person einen vielleicht ein kleines bisschen vermisst. Dass sie ihre Entscheidung bereut, aber … es passiert nicht.«
»Oh, Peps!« Jetzt bin ich diejenige, die sie umarmt. Ich schlinge meine Arme um sie, so fest, dass sie quiekt. So helfen Umarmungen am meisten.
»Glaub mir, ich weiß, wie hart es ist loszulassen. Aber wenn man einen Monat wartet, wartet man für immer«, flüstert sie in mein Ohr. Dann löst sie sich sanft von mir. »Mach nicht denselben Fehler wie ich. Das verdienst du nicht.«
»Vicky ist blöd«, flüstere ich. »Weißt du noch, wie sie in Bio gefragt hat, ob man Gehirne transplantieren könnte.«
Jetzt ist Pepper diejenige, die losprustet.
»Und trotzdem hat sie jetzt einen Mann und Kinder, die zum Kotzen süß sind. Ihr Leben wirkt ziemlich perfekt. Ich hingegen … Ich suche Katzen.«
»Du jagst Fremdgänger«, korrigiere ich sie. »Und nebenher rettest du täglich deine beste Freundin. Du bist der Knaller, Pepperline Salt.«
»Danke. Du auch. Du bist treu, lustig und klug. Außer, was Männer und Wäschewaschen angeht.«
»Ich rede mit Pflanzen und habe mich im Sezierkurs so schrecklich gegruselt, dass ich zweimal durch die Prüfung gefallen bin«, widerspreche ich.
»Hast du nicht versucht, die Ratte wiederzubeleben?«, erinnert sich Pepper kichernd.
»Ja.«
»Du verdienst jemanden, der dich zu schätzen weiß. Mit all deinen kleinen liebenswerten Macken. Und nicht jemanden wie Leon, der zwar verdammt gut aussieht, aber tief in sich drin immer nur eins sucht. Selbstbestätigung.«
Ich weiß, dass sie recht hat. Dabei hat Leon von Herzog alles. Zumindest alles, was man sich mit Geld kaufen kann, und trotzdem ist er immer auf der Suche nach mehr, denn das ist es, was sein Vater ihm eingebläut hat. »Ein von Herzog gibt sich nur mit dem Besten zufrieden. Merk dir das, Junge.« Ich habe seinen Vater nur einmal getroffen und konnte ihn nicht leiden. Das beruhte auf Gegenseitigkeit, denn in seinen Augen war ich zu laut und hatte zu viele verrückte Ideen. Ich benahm mich einfach nicht, wie junge Damen sich eben benehmen. Genau diese Dinge waren es, die Leon an mir mochte, aber ich weiß, dass er die Vorstellungen seines Vaters nie ganz abgelegt hat und immer noch versucht, die Erwartungen zu erfüllen, auch wenn sie mit seinen eigenen Wünschen unvereinbar sind.
Ich werfe das Handy, auf dem immer noch Larissa zu sehen ist, auf den Tisch. »Ich glaube, wir brauchen Alkohol.«
Pepper wirft mir einen skeptischen Blick zu. »Bist du sicher? Ich erinnere mich an das letzte Mal …«
»Das war lustig«, protestiere ich.
»Du hast mit einer Straßenlaterne geknutscht.«
»Das war eine sehr nette Straßenlaterne.«
»Deine Lippen sind festgefroren.«
»Aber du hast mich gerettet.« Ich versuche, eine Schokopraline aus der Toffifeepackung zu drücken, aber es will einfach nicht klappen. Mit einem Seufzen nimmt Pepper mir die Schachtel aus der Hand und drückt gekonnt drei Stück heraus. Das meinte ich. Bei ihr sieht alles so einfach aus.
»Sicher, dass du dich in diesem Zustand betrinken willst?«
»Ganz sicher!«, verkünde ich optimistisch. »Ab diesem Zeitpunkt kann es nur besser werden.«
Vier Gläser Gin Tonic später kauere ich unter dem Couchtisch und singe »Hello darkness, my old friend«, während ich mir Fotos von Leon ansehe.
»Ich habe es geahnt«, seufzt Pepper, während sie mir über die Haare streicht. »Du verträgst doch nichts.«
»Ich glaube, ich sollte auf diese Party fahren und die Brünette im Pool ertränken«, überlege ich.
»Nein«, sagt Pepper. »Ich fürchte, das ist illegal und moralisch verwerflich.«
»Was soll ich sonst machen? Ich fühle mich schrecklich und ich bin sauer.«
»Ich weiß. Komm. Ich habe eine Idee, die dich nicht ins Gefängnis bringt.« Sie schnappt sich mein Handy und tippt darauf herum.
»Wird Gin und mir das gefallen?«, frage ich misstrauisch.
»Das wird es.« Nach ein paar Minuten verkündet sie triumphierend: »Tadaaa! Während ich etwas koche, kannst du dir ein paar süße Typen ansehen.«
Mit diesen Worten drückt sie mir mein Handy in die Hand. Ein pinkes Werbebanner leuchtet vor mir auf und dort steht mit glitzernden Buchstaben: Happy Ending – Finde deinen Seelenverwandten, denn ein Happy End kann es nur zu zweit geben!
»Du hast eine Flirt-App heruntergeladen? Auf meinem Handy?«
Sie nickt.
»Wie konntest du das entsperren?«
»Ich bin Privatdetektivin, schon vergessen?« Sie zwinkert mir zu. »Außerdem hast du den dümmsten Pin der Welt. 1234. Ist das dein Ernst?«
Plötzlich weiten sich ihre Augen und sie beugt sich über meine Schulter. »Uhhhh! Den kenn ich. Das ist Rick. Der arbeitet für mich. Als Lockvogel. Der ist wirklich heiß. Nichts für eine längere Beziehung, aber definitiv etwas, um die Leons dieser Welt zu vergessen.«
Ich wage einen Blick und der Gin ist sofort begeistert. »Ja, sein Sixpack sieht nett aus.«
Viel mehr sehe ich auf dem Foto auch nicht. »Was muss ich tun?«
»Nach links wischen heißt Nein. Nach rechts wischen Ja.«
»Das krieg ich hin, meint der Gin.« Während ich mir Fotos angucke, geht Pepper in die Küche. Wenig später kommt sie mit Butterbroten, Suppe und einem dampfenden Tee zurück. »Geht es dir jetzt besser?«
»Weiß nicht. Ich will immer noch jemanden killen.«
Sie schnappt sich den Gin aus meiner Hand und schiebt mir stattdessen einen Tee hin. »Wie wäre es statt ungesundem Alkohol mit einer Trash-Party?«
Unsere Vorstellung für den perfekten Abend bestehend aus Gesichtsmasken, gegenseitiger Kopfmassage, gutem Essen, Unmengen an Chips und Schokolade sowie Trash-Filmen.
Ich strahle sie an. Manchmal glaube ich, sie sitzt direkt in meinem Kopf und weiß, was ich brauche, noch bevor ich es selber tue. Betrunken kuschele ich mich an sie und warte ungeduldig, dass sie den Film, Sharknado, einstellt und anfängt, meinen Kopf zu kraulen. Ich stelle mir vor, ein Hai würde Leons Poolparty crashen, und fühle mich ein wenig besser. Es dauert nicht lange, bis ich an Pepper gelehnt eindöse.
Pepper und ich kennen uns schon seit der Schulzeit. Als ich sie das erste Mal gesehen habe, kam sie neu in unsere Klasse. Durch ihr Aussehen hatte sie im Nu alle Jungs verzaubert.
Ich hingegen war nicht begeistert, dass sie ausgerechnet den freien Platz neben mir bekam. »Ich mag sie nicht. Wir passen null zusammen«, hatte ich meiner Mutter erzählt.
Drei Tage später waren wir unzertrennlich.
Jetzt liege ich mit dem Rücken zu ihr, während sie immer noch meine Haare krault. Der Fernseher ist inzwischen aus und Pepper hat uns mit einer Decke zugedeckt.
Durch ihr Parfüm Jil Sander – Style liegt immer ein weicher, blumiger Hauch in der Luft. Wie ein Strauß aus Magnolien und Veilchen.
»Seit wann trägst du bitte schön Spitzentangas?«, fragt Pepper plötzlich und kneift mir in den Po. »Fandest du die nicht einmal – ich zitiere – albern, ungesund und unbequem.«
Ich stöhne. »Sind sie! Sie scheuern und kneifen, aber ich bin davon ausgegangen, dass Leon und ich heute Abend unseren Zusammenzug … feiern.«
»Ja und?«
»Meine 100-Prozent-Baumwollunterwäsche hat ihn nicht vom Hocker gehauen.«
»Weil er ein Arsch ist«, sagt Pepper und zupft an meinem Ohr. »Ich finde, du siehst bezaubernd aus in Baumwolle.«
»Warum kann ich nicht auf Frauen stehen?«, seufze ich. »Dann würde ich was mit dir anfangen.«
Pepper lacht leise in mein Ohr. »Ja, meine Kraultechnik ist die pure Verführung.«
»Würdest du auf mich stehen?«, frage ich neugierig.
»Du meinst, ob Prinzessinnen, die so leidenschaftlich leiden können wie du, mein Beuteschema sind?«
»Du bist doof«, protestiere ich. »In Filmen steht der schwule beste Freund auch immer auf den Protagonisten.«
»Tja, ich muss dich enttäuschen. Außerdem weiß ich, worauf die Frage in Wahrheit abzielt.«
»Was meinst du?«, frage ich unschuldig.
»Du willst hören, dass du gut aussiehst.«
»Das würde meinem gebeutelten Ego ganz guttun. Ja.«
Zur Antwort streckt sie mir ihre Zunge ins Ohr, das mit einem Ploppen zugeht.