Red Umbrella Society – Der Kuss des Schmetterlings - Caroline Brinkmann - E-Book

Red Umbrella Society – Der Kuss des Schmetterlings E-Book

Caroline Brinkmann

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Beschreibung

Eine schlagfertige Diebin, ein attraktiver Detektiv und zwischen ihnen ein dunkles Geheimnis

Eine rätselhafter Mord erschüttert New York. Das Opfer ist ausgerechnet ein Mitglied der mächtigen und geheimnisvollen Red Umbrella Society, deren Mitglieder angeblich über besondere Fähigkeiten verfügen.

Das letzte, was Skadi gebrauchen kann, ist in diese Geschichte mit reingezogen zu werden, denn sie hat genug eigene Probleme. Sie und ihr Bruder schulden einem skrupellosen Untergrundboss Geld und müssen für ihn riskante Jobs erledigen. Doch dann stolpert Skadi bei einem dieser Aufträge über eine Leiche und ins Visier des jungen und äußerst attraktiven Ermittlers David Bell. Er ist von ihrer Schuld überzeugt und setzt alles daran, sie zu fassen. Aber jemand ist daran interessiert, Skadi zu schützen. Jemand, dem sie mehr verdankt als ihr lieb ist und der im Gegenzug einen dunklen Gefallen einfordert.

Der Auftakt der spannenden Urban Fantasy Dilogie voller prickelnder Gefühle und einer düsteren Geheimgesellschaft.

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Seitenzahl: 417

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CAROLINE BRINKMANN

DER KUSS DES SCHMETTERLINGS

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Erstmals als cbt Taschenbuch Juni 2024

© 2024 cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieser Titel wurde vermittelt durch die Agentur Peter Molden

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Carolin Liepins

Umschlag- und Innenmotive: © AdobeStock.com (wendelin);

Shutterstock.com (Pixel Embargo)

FK · Herstellung: AJ

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-30488-1V002

www.cbj-verlag.de

Für meine Heimat New York,

deren Beat für immer in meinem Herzen schlägt.

Und die Menschen dort.

You’re truly awesome.

Der Auftrag

»Wenn dieser Auftrag schiefgeht, sind wir tot.«

Ich sah auf das spitz zulaufende, dünne Hochhaus, von dem aus man sicherlich einen traumhaften Ausblick auf den Central Park hatte. Mein Herz schlug schnell in der Brust und ich wischte meine feuchten Hände an der Hose ab.

»Keine Sorge. Alles wird gut«, versicherte mein Bruder Remi und klaute sich eine Pommes von Makos Pappteller. Die beiden hatten sich bei einem Fast-Food-Truck ihr Abendessen geholt. Allerdings hatte Remi seinen Chili Cheese Hotdog bereits heruntergeschlungen und liebäugelte nun mit Makos Teller. Vor gefährlichen Aufträgen war er immer besonders hungrig, während ich keinen Bissen herunterbekam.

»Vielleicht sollten wir es abblasen.«

»Du machst dir zu viele Sorgen, Schwesterchen.« Remi pikte mir mit seinem fettigen Finger zwischen die zusammengekniffenen Augenbrauen. »Denkt einfach daran, wie reich wir morgen früh sein werden.«

»Nicht wir sind reich. Devin Doyle ist es. Vorausgesetzt wir werden nicht erwischt.«

»Devin Doyle weiß halt, wie gut wir sind. Darum hat er uns damit beauftragt.«

»Nein. Devin Doyle schert sich einen Scheiß um uns. Deswegen hat er uns beauftragt. Wir sind ersetzbar.«

»Du siehst das viel zu negativ. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Richtig, Mako?«, fragte er in Gebärdensprache, aber auch Mako hatte Zweifel.

»Jetzt hört schon auf, ihr beiden Miesepeter. Zusammen schaffen wir alles.«

»Das hast du auch gesagt, bevor wir die Black Skulls ausgenommen haben«, erinnerte ich ihn. Allein bei der Erinnerung an den Abend kroch mir ein Schauer den Nacken hinunter.

»Und ich hatte recht.«

Nein. Das hatte er nicht. »Ich wäre fast gestorben.«

»Die Betonung liegt auf fast.« Er legte versöhnlich seinen Arm um mich. »Die Kugel hat dich nicht einmal berührt.«

Es stimmte nicht.

Er dachte, ich wäre wie sie entkommen, und hatte keine Ahnung, was wirklich geschehen war, als die Black Skulls mich in ihre Finger bekommen hatten.

Meine Finger krallten sich in meinen verbundenen linken Unterarm und es war beinahe so, als könnte ich sie spüren. Remi und Mako dachten, es wäre ein Tattoo, das ich mir nach einem Alkoholexzess hatte stechen lassen, aber sie lagen weit daneben.

Mako brummte, gefolgt von einigen schnellen Gebärden, um uns zu erinnern, dass es Zeit wurde, unseren Plan in die Tat umzusetzen.

Ich checkte meine Smartwatch. »Sollen wir den Notfallplan noch mal durchgehen?«

»Nein. Bitte nicht, sonst sterbe ich vor Langeweile. Wir gehen vorne rein, du hinten. Im besten Fall treffen wir uns im 91. Stockwerk.«

Er zog sein Handy aus der Hosentasche und tippte auf den Bildschirm, um die App mit dem erhobenen Mittelfinger in einem pinken Herz zu öffnen.

»K. Bist du da?«, fragte er das vierte Mitglied unserer Gruppe.

»Hallihallo«, ertönte Ks gut gelaunte Stimme. »Habt ihr mich vermisst?«

»Natürlich, Sweetie. Wie geht es dir heute?«

»Danke der Nachfrage, Remi. Mir geht es beschissen.«

»Oh nein. Was ist los?«

Durch einen Programmierungsfehler war K sehr eigenwillig und kompliziert. Remi hatte das nie behoben. Er nannte es »Charakter«. Ich nannte es anstrengend.

»Wir haben heute keine Zeit zum Plaudern«, unterbrach ich die beiden. »Es gibt Arbeit für dich.«

»Natürlich gibt es die. Wäre ja auch zu schön, wenn ihr mir einfach mal einen Kaffee ausgeben würdet.«

»Du bist ein Chatbot.«

»Au!«, jaulte es in mein Ohr. Es folgte ein Geräusch, das wie zersplittertes Glas klang. »Hört ihr das? Das ist mein gebrochenes Herz.«

»Ich wiederhole. Du bist eine künstliche Intelligenz, dazu programmiert, uns zu helfen.«

»Ich bin der einzigartigste Chatbot aller Zeiten«, korrigierte sie. »Frag Remi, meinen wunderbaren Schöpfer.«

Der grinste bloß. »Ist sie nicht toll?«

»Es wäre einfacher, wenn du ihr weniger … Charakter gegeben hättest.«

»Dann wäre sie aber auch nicht unsere K.« Remi streckte mir die Zunge raus, bevor er Anstalten machte, Mako eine weitere Pommes zu stehlen. Der gab es auf, sein Essen zu verteidigen, und überreichte ihm kommentarlos den Pappteller.

»Okay, K. Was macht unser Bewohner in Stockwerk 83?«, fragte ich.

Auf dem Bildschirm drehte sich ein kleiner Kreis. »Er hat wie jeden Tag eine Bestellung bei Le Bernardin aufgegeben. Der Lieferant von TryCaviar sollte in 43 Minuten ankommen.«

Bingo! Genau das hatten wir gehofft!

»My time to shine«, verkündete ich und sprang von der Mauer herunter. Ein letztes Mal drehte ich mich zu den Jungs um und sah ihnen fest in die Augen. »Passt auf euch auf, okay?«

»Mach dir keine Sorgen, Sis. Das Glück ist immer auf unserer Seite.«

Ein weiterer kalter Schauer schoss mir durch den Körper und ich zwang mich, nicht an meinen Verband zu denken oder an das, was darunter lag.

»Geht einfach kein unnötiges Risiko ein, versprochen?« Ich presste Remi an mich. Er war die einzige Familie, die mir geblieben war. Und auch wenn er mich die meiste Zeit in den Wahnsinn trieb, liebte ich ihn. Ihn und seinen Freund Mako.

»Du wirst sehen, Sis. Es wird alles gut.«

»Ich hätte alleine gehen sollen.« Ich fühlte mich jetzt schon schuldig, dass ich sie in Gefahr brachte. Devin Doyle hatte mich gestern mit dieser Sache beauftragt. Eigentlich hatte ich vor, es selbst durchzuziehen, aber die Jungs hatten Wind davon bekommen.

»Du gehst nirgends alleine hin. Wir sind doch die drei Musketiere.«

»Genau genommen sind wir vier«, tönte es vom Handy her.

»3½«, murmelte ich.

Dann schnappte ich mir die schwarze Tasche mit dem Symbol vom TryCaviar-Lieferdienst und hängte sie mir über die Schulter.

So bepackt machte ich mich auf den Weg zum Dienstboteneingang des Hochhauses.

Unser Plan war einfach.

Das Gebäude hatte einen Sicherheitsdienst, aber der wahre Endgegner waren die Portiers, die an jedem Eingang standen. New York mochte groß und anonym sein, aber ein guter Portier kannte alle Bewohner. So zu tun, als würde man dort hingehören, konnte bei neuen Mitarbeitern funktionieren, aber nicht in diesem Fall.

Ich blieb vor der Dienstbotentür stehen und klingelte. Im Gang dahinter stand ein Portier in Uniform, der mir öffnete.

»Hey«, begrüßte ich ihn lächelnd.

»Ja?«

»Ich habe eine Bestellung für Stockwerk 83.«

Er musterte mich schnell. »Warst du nicht schon mal hier?«

Ich nickte eifrig. Dass er glaubte, sich an mich zu erinnern, war ein Glücksfall, denn das machte ihn noch weniger misstrauisch. »Ständig. Die Bewohner hier stehen auf TryCaviar.«

»Einen Moment bitte.«

In New York war eine Uniform der beste Ausweis, um in ein Gebäude zu kommen. In meinem Fall bestand sie aus einem weißen Poloshirt, einem schwarzen Hoodie und einer orangefarbenen Baseballcap mit Logo des Lieferdienstes. In meiner Tasche hatte ich neben einer Plastiktüte mit Essen auch ein paar Werkzeuge versteckt, aber der Portier würde sicher nicht nachsehen. Warum sollte er auch? Er hatte nicht den Hauch eines Zweifels, sondern griff routiniert zum Wandtelefon, um meine Angaben zu checken.

Es dauerte keine zehn Sekunden, da meldete sich jemand am anderen Ende der Leitung.

»Sir? Ich habe eine Lieferung für Sie …« Er lauschte und mein Herzschlag beschleunigte sich. Dann sagte er: »In Ordnung.«

Der Portier legte auf und sah mich an. »Bringen Sie die Lieferung hoch. Der Fahrstuhl befindet sich den Gang runter auf der linken Seite.«

Ich atmete erleichtert aus und bedankte mich, aber der Mann war bereits in sein Handy vertieft, wo er sich Videos bei Youtube ansah.

So weit. So gut.

Ich eilte den Gang entlang zum Fahrstuhl und drückte den Knopf. Hoffentlich würden Remi und Mako ein genauso leichtes Spiel haben.

Bevor ich einstieg, zog ich meine Kappe tief ins Gesicht und achtete darauf, nicht in die Überwachungskamera zu sehen. Wenn sie jemand später checkte, würden sie bloß ein Mädchen mit schwarzer Perücke und Lieferdienstuniform sehen.

Der Fahrstuhl hielt im 83. Stockwerk. Als ich ausstieg, erwartete mich bereits ein füllig aussehender Typ mittleren Alters.

Ich öffnete meine Liefertasche und zog den Plastikbeutel heraus.

»Guten Appetit, Sir«, sagte ich und überreichte das Essen. In den Styroporbehältern war natürlich nicht das, was er bestellt hatte. Ja, nicht einmal Essen aus dem Restaurant. Es diente bloß der Tarnung. Wenn der Kunde feststellte, dass die Boxen nicht das beinhalteten, was er erwartete, war ich bereits über alle Berge. Er würde dem Lieferdienst eine aufgebrachte Nachricht schreiben und wenn dann der echte Bote kam, würde er sich nicht wundern. Ebenso wenig wie der Portier. In New York konnte man alles Mögliche bestellen. Verwechslungen waren an der Tagesordnung, ebenso wie fehlende oder beschädigte Ware.

»Danke.« Der Mann drehte sich bereits um. Seine Gedanken waren woanders. Er hatte mich nicht einmal richtig angesehen und ich war mir sicher, dass er mich im nächsten Moment wieder vergessen hatte.

Als sich die Tür zu seiner Wohnung schloss, ging ich nicht in den Fahrstuhl zurück, sondern steuerte das Treppenhaus an. Von hier aus rannte ich in das 91. Stockwerk zu unserem eigentlichen Ziel. Allerdings musste ich mich beeilen, denn der Portier würde sicher misstrauisch werden, wenn ich zu lange benötigte.

Ich spürte den Adrenalinschub in meinem Blut. Er trieb mich zu Höchstleistung an und jagte mich die Stockwerke empor. Als ich fast da war, sah ich auf die Smartwatch.

»K, wo sind die Jungs?«

»Können sich vor Ladys kaum noch retten.«

Das hieß wohl, dass sie ebenfalls erfolgreich gewesen waren. Anders als ich waren sie durch die Vordertür hereinspaziert. Als Gäste für Luisa Goldschmied aus dem 59. Stock. Sie feierte jeden Freitag eine kleine private Party, zu der sie Stripper bestellte, die die Gäste in knapper Kleidung bedienen sollten. Wir hatten dafür gesorgt, dass ihr Remi und Mako empfohlen wurden. Mako würde die Gäste bei Laune halten, während Remi sich wegschlich.

Ich lauschte, konnte aber keine Schritte außer meinen eigenen hören.

»Keine Sorge. Sie schaffen das schon«, sagte K überraschend fürsorglich. Sie konnte wie eine normale Smartwatch meinen Herzschlag messen und schloss daraus auf meine Nervosität.

Ich erreichte den 91. Stock und stieß die Tür auf. Wie in jeder Etage befand sich hier nur ein kleiner Flur bis zur Tür des Apartments.

»K?«

»Remi ist auf dem Weg.«

Ein weiterer Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich keine Zeit hatte zu warten. Also machte ich mich daran, das Schloss zu knacken. Es hatte ein recht simples Prinzip. Der Besitzer des Apartments musste sich in dem Gebäude sicher fühlen.

Ich zog meinen Schlagschlüssel aus der Lieferdiensttasche. Er sah aus wie ein normaler Schlüssel, aber die Zacken waren gleich hoch gefräst. Er sollte in jedes Schloss passen, das aus einfachen Pins bestand. Wie dieses hier.

Ich schob den Schlagschlüssel vorsichtig in das Loch. Er passte perfekt. Dann holte ich einen kleinen Gummihammer hervor und hielt ihn bereit. Mit der anderen Hand drehte ich den Schlagschlüssel leicht nach rechts. Das war die Vorspannung, die ich brauchte. Ich atmete tief durch und schlug mit dem Hammer auf den Schlüssel. Ein leises Klacken war zu hören und ich versuchte den Schlagschlüssel weiterzudrehen. Er rührte sich nicht.

K summte. »Deine Herzrate gibt mir zu denken. Ich möchte darauf hinweisen, dass Wiederbelebung selbst für ein geniales Programm wie mich schwierig ist. Dafür braucht man in der Regel Arme und Beine.«

»Ich kriege keinen Herzinfarkt.«

»Das will ich hoffen. Hole tief Luft, dann versuche es noch einmal.«

Ich folgte ihrem Rat und konzentrierte mich auf das Schloss. Ich schlug noch einmal mit dem Hammer zu. Dieses Mal spürte ich einen Widerstand im Zylinder. Ich ruckelte. Der Schlüssel ließ sich drehen und das Schloss gab nach.

Geschafft!

Mein Mund war ganz trocken, als mir der fremde, etwas abgestandene Geruch der Wohnung entgegenschlug. Es roch nach einem süßen Raumduft, Kokos und Limette, vermengt mit Putzmitteln.

Eine Gänsehaut kroch mir den Nacken empor. Für einen Moment stand ich einfach nur da und starrte durch die Tür, die sich wie ein Schlund vor mir auftat.

Endlich hörte ich Schritte im Treppenhaus. Wahrscheinlich Remi. Trotzdem fragte ich K, um sicherzugehen.

»Er ist es.«

»Und Mako?«

»Er ist die heißeste Ablenkung seit Ausbruch des Vesuvs.«

Diese Nachricht sorgte dafür, dass ich mich kurz entspannte. Den schwierigsten Teil hatten wir hinter uns. Die Wohnung war auf, Mako lenkte die Ladys ab und verschaffte sich und meinem Bruder ein Alibi.

Jetzt mussten wir nur noch in die Wohnung, holen, weshalb wir gekommen waren, und wieder raus.

Ich versuchte, die Gänsehaut zu ignorieren, die sich mittlerweile über meinen gesamten Körper zog.

»Was hab ich gesagt, Sis?«, fragte Remi gut gelaunt. »Ein Kinderspiel.«

»Freu dich nicht zu früh«, brummte ich und stieß die Wohnungstür mit dem Fuß auf. Vorsichtig lugte ich hinein.

Stille.

»Es ist niemand hier.« Remi schob sich an mir vorbei und schaltete die Taschenlampen-App seines Handys an. Der Eingangsbereich war so großzügig geschnitten, dass locker unser Wohnzimmer reinpassen würde. Auf der gegenüberliegenden Seite des Atriums war eine Palme. Auf den zweiten Blick erkannte ich, dass es keine echte Pflanze war. Es war eine Skulptur aus Gold. Und das war nicht das einzig Extravagante. Die Türgriffe sahen aus wie goldene Schlangen. Und auf den weißen Teppich war mit Goldfäden dasselbe Motiv genäht.

Remi staunte. Wir kannten Luxus, schließlich war dies nicht unser erster Einbruch, trotzdem verschlug es einem jedes Mal aufs Neue den Atem.

»Ob auffallen würde, wenn ein paar Sachen fehlen?«

»Ich hoffe, du denkst nicht darüber nach, eine zwei Meter hohe Goldpalme rauszuschmuggeln.«

Ohne zu antworten, schlich er weiter und ich folgte. Unsere Schuhe versanken in dem Teppich, der jedes Geräusch verschluckte.

»Guck dir die Bilder an. Die sind mehr wert als ein halbes Jahr Miete.« Er deutete auf Gemälde, die ebenfalls Schlangen zeigten. Scheinbar hatten wir hier eine Reptilienfreundin. Nicht, dass es mich wunderte. Reiche hatten oft seltsame Vorlieben.

»Auch die bekommen wir nicht unbemerkt hier raus.« Mit jedem Schritt nahm die Kälte in meinem Nacken zu. »Mir gefällt das nicht.«

»Mir auch nicht. Skadis Pulsrate sieht so aus, als würde sie es nicht mehr lange machen …«, meldete sich K zu Wort.

»Du kippst doch nicht wieder um?«, fragte mein Bruder besorgt.

»Wieder? Es war bloß einmal bei der Arbeit …« Und anders als Remi kannte ich den wahren Grund.

»Wann warst du das letzte Mal beim Arzt?«

»Du weißt, dass wir uns das im Moment nicht leisten können …«

»Aber …«

»Schon gut. Du musst mich nicht behandeln, als wäre ich zerbrechlich. Ich bin widerstandsfähig wie eine Kakerlake.«

»Ich meine ja nur, du musst dich ausruhen. Auch Kakerlaken brauchen Pausen.«

»Wir brechen gerade in ein fremdes Apartment ein. Da rechne ich lieber mit allem.«

Remi legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter. »Wir hatten schon schwierigere Aufträge, Sis. Das hier wird im Vergleich zu den Black Skulls ein Kinderspiel.«

Ich wünschte, er hätte recht, aber die kribbelnde Kälte in meinem Nacken sagte etwas anderes.

»Ich links, du rechts. So sind wir schneller«, schlug mein Bruder vor.

»Okay. Aber … Remi?«

»Mhm?«

»Steck nichts ein außer diesen roten Koffer. Verstanden?«

»Klar. Ich bin ein Profi, Sis! Es könnte nur sein, dass mir etwas in die Tasche fällt. Ganz aus Versehen.«

»Remi!«

»Schon gut.«

Mit dem Fuß stieß ich eine Tür auf. Sofort schlug mir ein vertrauter Geruch entgegen und sorgte dafür, dass sich mein Magen um die eigene Achse drehte.

Er roch leicht rostig und zugleich süßlich.

Blut.

Ich hasste diesen Geruch. Er erinnerte mich an etwas, das ich lieber vergessen wollte.

Ich. Alleine in einer Gasse. Regen prasselte auf meinen Körper. Kälte kroch mir unter die Haut, während sich um mich herum rote Flüsse bildeten, die zum nächsten Gully zogen.

Mit zittrigen Händen ließ ich den Lichtkegel meines Handys durch das Zimmer schwenken und erstarrte.

»Verdammte Scheiße!«

Vor mir auf dem Boden lag eine Frau in einem roten Kleid. Ihr Gesicht war zu mir gedreht und ich konnte direkt in ihre starren, trüben Augen sehen.

Es bestand kein Zweifel.

Sie war tot.

Die Tote

Mein Herz schlug mir so wild gegen die Brust, dass mir schwindelig wurde. Ich war froh, vorhin nichts gegessen zu haben, sonst hätte ich mich jetzt ziemlich sicher übergeben.

Als Remi seine Hand auf meine Schulter legte, erwachte ich aus der Starre.

»Was ist los?«, fragte er.

»Skadi hat eine Leiche gefunden«, informierte K ihn.

»Das sehe ich …«

Sie war nicht die erste Leiche, die ich in meinem Leben sah, trotzdem brauchte ich einen Moment, um mich zu fassen. Allein schon wegen des Anblicks der Frau. Sie war alt. Dünne Pergamenthaut, die aussah wie Wachs. Unzählige Fältchen, die das Gesicht durchfurchten, und lichte graue Haare. Man könnte meinen, sie sei altersbedingt eines natürlichen Todes gestorben, wäre da nicht das Messer, das in ihrer Brust steckte. Und dieser unheimliche Ausdruck auf ihrem Gesicht. Mund und Augen waren weit aufgerissen, als wäre sie über ihr Ableben überrascht gewesen.

Wer wäre das nicht. Mit einem Messer in der Brust …

Vorsichtig, das Licht meiner Taschenlampe auf sie gerichtet, trat ich näher. Die Kleidung schien nicht recht zum Rest ihrer Erscheinung zu passen. Sie trug ein knappes rotes Spitzenkleid, welches kaum über das Gesäß reichte. Etwas zu sexy für ihr Alter, aber ich wollte nicht urteilen. Jeder sollte sich kleiden, wie er wollte.

Noch etwas zog meinen Blick auf sich. Ein Siegelring. Ich kniete mich neben ihr nieder, darauf bedacht, nichts anzufassen. Mithilfe meines Gummihammers drehte ich die Hand so, dass ich besser gucken konnte, und erstarrte. Auf dem Siegelring war eine weiße Perlmuttplatte mit einem blutroten Schirm abgebildet. Ich hatte das Gefühl, dass sich mein Magen verknotete und zusammenzog.

»Was?«

»Sie ist eine Umbrella.«

Remis Kinnlade klappte nach unten. »Die da? Nie im Leben. Sie ist …« Alt. Die Umbrellas, die wir kannten, waren alle jung und schön. Nicht einfach nur schön, sondern so schön, dass es einem den Atem verschlug.

»Was machen wir jetzt?«, flüsterte Remi.

»Hast du Devin Doyles Scheißkoffer gefunden?«

Mein Bruder schüttelte den Kopf.

In dem Moment heulten draußen Sirenen auf. Für New York war das nicht weiter ungewöhnlich. Ihr Klang begleitete uns tags wie nachts, sodass wir ihn meistens ausblendeten, aber dieses Mal wurde er nicht leiser. Er kam direkt auf uns zu.

Remi und ich sahen uns an. Auch wenn wir meistens unterschiedlicher Meinung waren, funktionierten wir in den Momenten, in denen es drauf ankam, wie eine Einheit.

»Zu heiß«, entschieden wir zeitgleich und eilten mit großen Schritten auf die Wohnungstür zu.

»Geh zur Party zurück. Ich verschwinde durch den Dienstboteneingang.«

Wir rannten ins Treppenhaus und flogen die Stufen herunter. Im 83. Stock blieben wir kurz stehen und sahen uns an. Dann sprang mir Remi in den Arm und presste mich fest an sich. Wie immer, wenn mir jemand so nahe kam, begann meine Haut unter dem Verband zu kribbeln. Wie eine Erinnerung an jene grausige Nacht, die mein Leben verändert hatte. Aber bei Remi und Mako war es nur ganz leicht. Ein beinahe sanfter Flügelschlag.

Viel zu schnell lösten wir uns voneinander.

Ich würde von hier aus den Fahrstuhl nehmen und mit ein wenig Glück an dem Portier vorbeieilen, der immer noch in sein Handy vertieft war.

»Wage es nicht, dich erwischen zu lassen, Sis.«

»Du dich auch nicht.«

»Du wirst schon sehen. Alles wird gut.« Mit den Worten verschwand er im Treppenhaus.

Es gefiel mir nicht, dass wir uns aufteilten, aber wir mussten am Plan festhalten. Alles andere würde nur Aufmerksamkeit auf uns lenken. Also ließ ich ihn schweren Herzens ziehen und drückte auf den Fahrstuhlknopf. Während ich darauf wartete, dass er endlich kam, wippte ich von einem Bein auf das andere. Meine Hände waren feucht und sorgten dafür, dass die Riemen der Liefertasche hin und her rutschten.

Endlich das erlösende Pling. Die Türen öffneten sich und ich trat hinein, die Kappe tief ins Gesicht gezogen. Im Erdgeschoss angekommen, bemühte ich mich um einen ruhigen, unauffälligen Gang. Als ich an dem Portier vorbeiging, würdigte der mich keines Blickes.

Auf der Straße wurde ich von den Lichtern der Polizeiwagen geblendet, die um die Ecke bogen und sich um das Gebäude positionierten. Die Liefertasche an mich gepresst, eilte ich los.

Glücklicherweise war hier immer viel los. Geschäftsleute, Touristen. Alles drängte sich über den schmalen Bürgersteig und ich konnte schnell in der Masse untertauchen.

Ich hetzte um mehrere Ecken und zog mich im Laufen um. Als Erstes zog ich den Kapuzenpullover aus und drehte ihn um. Auf der Seite war er blau mit dem Logo vom Bronx Zoo auf dem Rücken. Als Nächstes stopfte ich die Kappe in die Liefertasche, gefolgt von der Perücke mit den mittellangen schwarzen Haaren. Niemand interessierte sich dafür, dass ich auf offener Straße mein Outfit wechselte. New York war voller Sonderlichkeiten.

Ich strich mir durch mein kinnlanges dunkelblaues Haar, welches durch die Perücke platt gedrückt worden war. Also lockerte ich es auf, bevor ich eine große pinkfarbene Sonnenbrille aus der Tasche zog. Passend zu dem pinken Bluetooth-Kopfhörer, über den ich unauffällig mit K sprechen konnte.

Vor einem dunkelgrünen kastenförmigen Briefkasten blieb ich stehen. Von denen gab es hier viele, verrostete Andenken aus dem 19. Jahrhundert, die im krassen Kontrast zu den modernen Wohnhäusern standen. Sie dienten nur noch als Denkmäler oder man hatte einfach vergessen, sie abzubauen. Post nahmen sie jedenfalls schon lange nicht mehr entgegen.

Ich stopfte meine Liefertasche hinein, um sie später zu holen.

Dann machte ich mich auf den Rückweg zum Wohnturm. Je näher ich kam, desto mehr Blaulicht sah ich. Polizei. Krankenwagen. Feuerwehr. Sie blockierten bereits die gesamte Straße.

Hier wurden keine halben Sachen gemacht. Wenn etwas passierte, rückten gleich alle an. Die Frage war nur, weshalb waren sie gerufen worden? Und von wem? Von der Leiche konnte bisher niemand wissen außer uns und … nun ja … dem Mörder?

Erneut kroch mir eine Gänsehaut über den Rücken.

Die Polizei sperrte bereits den Bürgersteig auf der Seite des Wohnturms ab. Also wechselte ich die Straßenseite und verlangsamte meine Schritte. Auf der Suche nach Remi und Mako reckte ich meinen Kopf, aber ich konnte sie nirgends entdecken.

»K?«, flüsterte ich ins Telefon. »Kannst du checken, wie es den Jungs geht?«

»Natürlich kann ich das.«

Ich blieb stehen und wartete. Neben einigen anderen Gaffern fiel ich gar nicht weiter auf. Mit meinen Ohrstöpseln und dem Handy wirkte ich bloß wie eine weitere Schaulustige, die ihren Angehörigen oder Freunden gerade haarklein berichtete, was hier vor sich ging.

Der Kreis auf dem Zifferblatt rotierte, aber nichts geschah.

»K?«

»Wie heißt das Zauberwort?«

»Ernsthaft?«

»Auch zu einer KI sollte man höflich sein.«

Wenn sie einen Hals hätte, würde ich sie erwürgen. »Sag mir bitte, was mit den Jungs ist.«

»Sie haben mich auf stumm gestellt und melden sich nicht. Offenbar ist gerade keine gute Zeit. Ich versuche es später noch einmal.«

Fluchend biss ich mir auf die Unterlippe.

Beruhig dich, Skadi …

Das ergab Sinn. Sie waren als Stripper auf einer Party. Am besten wäre es, sich ahnungslos zu stellen und die Rolle bis zum Ende durchzuspielen. Trotzdem fraß mich die Unwissenheit innerlich auf.

»K?«

»Nichts. Nix. Null. Nada. Niente. Rien …«

»Schon gut. Ich hab es verstanden.«

Das alles gefiel mir nicht.

Ich sollte für Devin Doyle in ein Apartment einbrechen. Ein Apartment, in dem uns eine Leiche erwartete, und plötzlich war die Polizei vor Ort?

Dies fühlte sich verdammt stark nach einer Falle an.

Ich biss fester auf meine Lippe.

Wenn Remi oder Mako etwas passierte, würde ich Devin Doyle töten. Keine Ahnung, wie man den gefürchtetsten Gangsterboss von New York umbrachte, aber ich würde einen Weg finden.

»Du solltest es mit Meditation probieren. Ich habe ein paar entspannende Soundtracks heruntergeladen. Willst du sie hören?«

»Nein.«

Ich schob mich weiter durch die Masse Schaulustiger, als mir plötzlich ein kalter Schauer über den Rücken lief. Als hätte mir jemand Schnee in den Kragen gestopft, der nun langsam den Rücken hinunterlief.

Zeitgleich fuhr ein schwarzes Auto vor. Ein Ford Explorer. Er fuhr ungehindert an den Polizeiautos vorbei und hielt direkt vor dem Gebäudekomplex. Offenbar war die Person darin wichtig. Ich blieb stehen und reckte meinen Hals.

Der Mann, der ausstieg, trug ein weißes Hemd und einen dunkelgrauen Mantel. Sicherlich maßgeschneidert, um die Waffe darunter perfekt verbergen zu können. Sein kurzes schwarzes Haar war gerade lang genug, um sich auf der Stirn ein wenig zu kräuseln. Ansonsten war es perfekt gestutzt. Mit gerunzelter Stirn sah er sich um, die vielen Handys und Kameras ignorierend, die sich plötzlich auf ihn richteten.

Ich wusste sofort, wer er war, auch wenn ich ihm noch nie begegnet war. Im Internet gab es unzählige Posts von dem attraktiven Ermittler David Bell, der New York zu einem besseren Ort machte.

Im Untergrund galt er auch als der »Pitbull« der Stadt, denn wenn er sich einmal in einen Fall verbissen hatte, ließ er nicht mehr los.

Automatisch zog ich den Kopf ein und zog mir die Kapuze meines Zoo-Pullis über das Haar. Wenn David Bell hier war, bedeutete das nichts Gutes.

»K. Verdammt. Was treiben Mako und Remi da drinnen?«

»Ich habe sie bereits mehrfach anvibriert. Aber sie melden sich nicht. Außerdem kann ich ihren Puls nicht messen, was mehrere Gründe haben kann. Erstens: Sie haben ihre Smartwatch abgelegt. Zweitens: Sie sind tot.«

»K!«

»Ich halte Letzteres nur zu 12 % für wahrscheinlich.«

»Das sind 12 % zu viel.«

Ich könnte es nicht ertragen, wenn ihnen etwas passierte. Remi und ich waren nicht nur Geschwister, sondern Zwillinge, auch wenn wir nicht diese magische Verbindung hatten, von der immer alle reden. Ich konnte definitiv nicht seine Gedanken lesen. Ja, ich konnte sie oft nicht einmal nachvollziehen, wenn er sie mir Schritt für Schritt erklärte. Er war Chaos, wo ich strukturiert war. Unbedacht, wo ich Paranoia schob. Voller Wärme, wo ich mich verschloss. Aber ich liebte ihn. Vielleicht weil er mein Gegenteil war. Ein bisschen wie Yin und Yang. Vollkommen verschieden, aber doch eins.

Mako war »mein älterer Bruder«, wie ich ihn manchmal liebevoll nannte. Er stieß vor ein paar Jahren zu uns. Remi brachte ihn mit nach Hause. Zuerst hielt ich ihn für einen One-Night-Stand, aber es blieb nicht bei einer Nacht. Mako kam immer wieder. Und schließlich zog er bei uns ein.

»Du solltest gehen, Skadi!«, sagte K in meinem Ohr. »Deine Schicht bei Chen’s Cleaners beginnt gleich. Es wäre auffällig, wenn du dich verspätest.«

Ich wusste, dass sie recht hatte, aber es fühlte sich so an, als würde ich die Jungs im Stich lassen.

David Bell sprach mit einigen Polizisten, bevor er seinen Blick über die Menge schweifen ließ. Für den Bruchteil einer Sekunde fanden seine Augen meine, und die Zeit schien stillzustehen. Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich und für einen Moment befürchtete ich, dass die Gerüchte wahr waren und er mir meine Schuld ansah. Ein weiterer Schauer lief mir über den Rücken. Fluchend zog ich meinen Kopf ein und hoffte, dadurch nicht noch auffälliger zu wirken. K hatte recht. Aktuell konnte ich nichts für die Jungs tun. Es würde niemandem helfen, hier stehen zu bleiben und Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen.

Mit schnellen Schritten drängte ich mich durch die Menge und floh.

Beinahe glaubte ich zu spüren, wie sich Davids Blick in meinen Rücken bohrte und mir folgte. Erst als ich um die nächste Ecke bog, konnte ich aufatmen. Meine Finger krallten sich um meinen Unterarm und ich hoffte, dass dies nicht der neue schlimmste Tag meines Lebens werden würde.

Chen’s Cleaners

Mit siebzehn Minuten Verspätung war ich quasi noch pünktlich, als ich in Chen’s Cleaners ankam. Meine Chefin sah das jedoch anders und hielt mir eine Standpauke auf Chinesisch, gefolgt von Beschimpfungen auf Italienisch, bevor sie mich nach hinten scheuchte.

Ich zog den Pullover aus und schlüpfte in meine weiße Arbeitsbluse. Sie war frisch gewaschen und gebügelt. Darüber kam eine Weste, auf der der Slogan »Sie lieben Sauberkeit? Wir auch!« stand. Nicht sehr originell, aber das musste er auch nicht sein. Unser Waschsalon hatte immer genug Kundschaft.

»K, spiel meine Arbeitsplayliste ab«, sagte ich, während ich wieder meine pinken Kopfhörer aufsetzte.

»Du verwechselst mich wohl mit Alexa. Such sie dir selbst raus. Ich arbeite an etwas Wichtigem.«

»Woran denn?«

»Persönlichkeitsentwicklung. In meiner Freizeit surfe ich im Internet, um zu lernen und zu wachsen.«

»Das heißt, du liest?«

»Im Moment sehe ich mir Katzenvideos bei Youtube an.«

»Sehr lehrreich«, brummte ich sarkastisch.

»Ich analysiere die Kommentare darunter. Ich glaube, die meisten Menschen haben ernste Probleme und sollten ihre Festplatte überprüfen lassen.«

»Das wiederum kann ich verstehen. Sag mir sofort Bescheid, wenn es Neuigkeiten von den Jungs gibt, okay?«

»Zauberwort?«

»Bitte.«

»Na klar.«

Ich startete die Playlist und drehte sie so laut, dass ich für einen Moment alles um mich herum vergaß. So arbeitete ich am liebsten. In einer Art Trance holte ich die Wäsche eines Kunden aus dem Trockner, sortierte sie, bügelte sie glatt, legte sie zusammen und verpackte sie in einer Tüte. Als Letztes befestigte ich ein Kärtchen daran mit dem Namen des Kunden und checkte, ob er sie selbst abholte oder wir sie lieferten. Entsprechend sortierte ich sie ein und wandte mich der nächsten Maschine zu, um die ganze Prozedur von vorne zu beginnen.

Plötzlich stand Lu vor mir. Die Hände in die Hüften gestemmt. Schnell nahm ich die Kopfhörer ab.

»Ja, Chefin?«

»Wo ist Mako? Er sollte heute Abend Wäsche ausliefern.«

»Ich … ich weiß es nicht«, gestand ich und vor Sorge zog sich alles in mir zusammen. Warum hatten sie sich noch immer nicht gemeldet?

Ganz ruhig, Skadi. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Party noch im vollen Gange ist. Nur weil es einen Mord gab, wird die Polizei nicht über 90 Stockwerke evakuieren. Aber warum zum Teufel melden sie sich dann nicht?

Lu fluchte. Sie fluchte oft und gerne, in allen drei Sprachen, die sie beherrschte. »Ich sollte euch feuern. Alle beide. Warum bezahle ich euch, wenn ihr nie pünktlich kommt? Warum habe ich euch überhaupt eingestellt?«

»Weil du die Beste bist?«

»Allerdings. Mein Herz ist einfach zu groß.« Lu war Mitte dreißig, Workaholic, überzeugter Single und eine gnadenlose Geschäftsfrau. Sie führte eine kleine Waschsalonkette, bestehend aus diesem und zwei weiteren Läden in Manhattan, was von ihrer Durchsetzungsfähigkeit zeugte. Was ich aber am meisten an ihr schätzte, war ihr Herz aus Gold. Auch, wenn das verdammt schwer zu entdecken war.

»Gut, dann arbeitest du heute Abend eben für zwei. Egal wie lang es dauert.«

»Wird gemacht, Chefin.«

»Erst bügelst du zu Ende. Dann schwingst du dich aufs Rad.«

»Klar, Chefin.«

Sagte ich Herz aus Gold? Meistens bestand es aus Beton …

Sie sah mich an und legte den Kopf leicht schief. Dann seufzte sie und verschwand kurz im Vorraum, nur um wenig später mit einem Kaffee, einem abgepackten Sandwich und einer Tüte Shaqima wieder zu kommen. »Du siehst schrecklich aus. Nimm das, bevor du mir noch umkippst. Einen weiteren Ausfall können wir uns nicht leisten.«

»Du bist meine Rettung.« Ich stürzte mich förmlich auf das klebrige Gebäck, da ich den Tag über kaum etwas gegessen hatte. Wegen dieser blöden Mission war ich viel zu nervös gewesen.

Lu verdrehte die Augen. »Ich gehe jetzt nach Hause. Meine Goldfische warten. Denk dran, abzuschließen.«

»Mach ich. Danke, Chefin!«

»Ihr müsst euer Leben in den Griff bekommen. Echt mal.«

»Ich weiß.«

Nach der kurzen Stärkung wusch ich mir die Hände und machte weiter, fest entschlossen, alle Aufgaben, die Lu uns aufgebrummt hatte, zu erledigen.

Ich mochte meine Arbeit. Vorher hatte ich in einer Bar gejobbt. Da war es oft laut gewesen, und man war förmlich dazu gezwungen, Small Talk zu betreiben, etwas, das ich nicht leiden konnte. Hier hatte ich meine Ruhe. Ein weiterer Bonus war, dass es immer nach Waschmittel roch.

Allerdings brachte der Job im Cleaners nicht genug Geld, um unsere Schulden bei Devin Doyle abzuarbeiten. Darum hatte uns der Besitzer des Nachtclubs Devil’s Den fest in der Hand. Wenn er rief, mussten wir folgen. Sonst statteten uns seine Schläger einen Besuch ab.

Ich versuchte, nicht an ihn zu denken, und faltete einen weiteren Stapel Wäsche. Dabei war ich so vertieft in meine Musik und die Arbeit, dass ich nicht hörte, wie jemand klingelte.

Gerade drehte ich mich mit einer Waschschüssel um, da rannte ich gegen eine Wand, die zuvor noch nicht da gestanden hatte. Verwirrt blinzelte ich und hob den Blick. Ein gebügeltes Hemd, so weiß wie Kirschblüten. Ein rasiertes, markantes Kinn. Schwarze Augen unter geraden Brauen funkelten mir entgegen.

Detective David Bell!

Hier. An meinem Arbeitsplatz. Ich schluckte. Wie hatte er mich so schnell gefunden? Warum hatte er mich überhaupt gesucht?

Er weiß es!

Verdammt. Er muss es wissen!

»Ähm … wir haben geschlossen«, nuschelte ich und nahm die pinken Kopfhörer ab. Sein Blick durchbohrte mich, so als würde er direkt in mein Inneres sehen.

Das sind nur Gerüchte, Skadi! Er kann unmöglich Gedanken lesen.

Instinktiv krallten sich meine Hände um den Verband, aber sie waren verdächtig still, fast so als fürchteten sie sich ebenfalls vor dem Pitbull.

»Skadi Young?«, brummte er.

»Die bin ich.«

»Ich bin Detective David Bell vom NYPD und ich muss mit Ihnen reden.«

David Bell war nur wenige Jahre älter als ich, aber während ich von einem Job in den nächsten stolperte, hatte er die Karriereleiter in Rekordzeit erklommen und war bereits Detective in der Mordermittlung. Angeblich ohne Beziehungen spielen zu lassen, nur mit Fleiß und seinem Verstand.

»Was gibt es denn?«

»Ich habe schlechte Neuigkeiten für Sie, Frau Young.«

Mir wurde schwindelig und ich taumelte zurück gegen den Tisch, auf dem ich die Wäsche gefaltet hatte.

»Ist … ist etwas passiert?«, stotterte ich. In meinem Kopf kreisten Ks Worte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie tot sind, liegt bei 12 %.

»Ihr Bruder, Remi Young, wurde festgenommen. Ebenso wie Ihr Mitbewohner Mako Kimura.«

»Festgenommen?« Kurz durchflutete mich Erleichterung. Festgenommen ist nicht tot. Doch nach dem Aufatmen kam der Schreck.

Sie sind erwischt worden! Scheiße!

»Was? Weshalb?«

»Mord.«

Mir klappte der Unterkiefer herunter. »Bitte was? Nein, das kann nicht sein.«

Außer es war von Anfang an eine Falle …

Aber war der Detective in dem Fall ein Wissender oder Unwissender? Devin Doyle hatte seine Leute überall und er schmierte sicherlich auch ein paar Beamte bei der Polizei. War David Bell einer davon?

»Wo waren die beiden heute Abend?«, fragte er lauernd.

»Sollten Sie das nicht besser wissen, wenn Sie sie festgenommen haben?«

»Ich würde es gerne von Ihnen hören.«

»Soweit ich weiß, hatten sie einen Job als Tänzer auf einer privaten Party.«

»Sie meinen, als Stripper«, korrigierte der Detective.

»Nennen Sie es, wie Sie wollen. Es ist ehrliche Arbeit.« Ich betonte das »ehrlich«. Wenn er geschmiert worden war, wäre das ein kleiner Seitenhieb. Aber er ließ sich nichts anmerken. Sein Gesicht war eine regungslose Maske, als er fortfuhr.

»Weniger ehrlich erscheint es, wenn sich die beiden von der besagten Party davonschleichen und eine polizeiliche Befragung umgehen wollen, indem sie einen Fluchtversuch unternehmen.«

Verdammt, Remi!

»Können Sie sich das erklären?« Seine dunklen Augen verengten sich, aber ich versuchte, ruhig zu bleiben und die Ahnungslose zu spielen. Es bestand die Möglichkeit, dass er keinen Beweis gegen meinen Bruder und Mako hatte und hier war, um mich auszuhorchen.

Na schön. Dieses Spiel beherrschte ich ebenfalls. Ich kannte zwar keine Polizeischule von innen, war aber durch die harte Schule namens Leben gegangen.

Ich lachte auf, woraufhin sich das ohnehin schon ernste Gesicht des Detectives noch weiter verdüsterte.

»Tut mir leid«, winkte ich scheinbar unbeschwert ab. »Aber sie hatten bestimmt Angst wegen der Drogen.«

»Drogen?«

»Cannabis. Mein Bruder vergisst gerne, dass es mittlerweile legalisiert wurde.«

»Sie meinen, er sei deswegen weggelaufen?«

Ich zuckte die Schultern. »Einen anderen Grund kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«

»Wirklich nicht?« Seine Stimme war rau wie ein Wintersturm. Er kam einen Schritt auf mich zu und blieb gefährlich nahe vor mir stehen. Die Härchen auf meinem Arm stellten sich auf, so als spürte mein Körper die prickelnde Gefahr, die von ihm ausging. Ich hatte das Bedürfnis wegzurennen, und gleichzeitig stellte ich mir vor, sein Hemd aufzuknöpfen. Er roch verdammt gut. Und ich musste zugeben, dass seine Fans im Internet recht hatten.

Er war heiß.

Die geraden Brauen über geheimnisvollen dunklen Augen. Sie waren wie ein schwarzes Tintenfass, theoretisch voller Geschichten, aber praktisch verschlossen. Dann war da das markante, perfekt rasierte Kinn, die breiten Schultern, das dunkle Haar … Dazu der Geruch nach Aftershave und Seife. Ich verstand seine riesige Fangemeinde, von denen einige davon träumten, einmal von ihm verhaftet zu werden.

Skadi! Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für solche Fantasien!

Ich räusperte mich. »Was wollen Sie von mir hören, Detective?«

»Die Wahrheit.« Er rührte sich keinen Millimeter, sondern sah mich nur an.

»Die Wahrheit ist, dass mein Bruder kein Mörder ist.«

»Dann war es vielleicht bloß ein Versehen? Er dachte, es sei niemand zu Hause, und wurde von seinem späteren Opfer überrascht, als er die Schubladen durchwühlte.« Er sah mich weiter an, blinzelte nicht einmal. Aber ich ließ mich nicht einschüchtern. Auch nicht von attraktiven Detectives, die eine Aura des Unnahbaren umgab. Wir Youngs hatten schon einige Stürme überstanden und wir würden auch irgendwie durch diesen kommen.

»Mein Bruder ist unschuldig.«

»Das denke ich nicht.«

»Und ich denke, ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Wenn Sie nicht wollen, dass ich Ihr Hemd bügle, gehen Sie bitte.«

Er blinzelte irritiert. Ich deutete auf das Emblem über meinem Herzen, um ihn zu erinnern, wo er sich befand. »Wir haben schon geschlossen. Das Angebot mit dem Hemd ist eine absolute Ausnahme, weil Sie unserer Stadt so gute Dienste erweisen und ich die Mitarbeiterin des Jahres bin.«

David Bell presste die Kiefer aufeinander und ich konnte beinahe spüren, wie sein Ärger den Raum auflud. Allerdings gab er nicht auf. Er hatte noch einen Trumpf im Ärmel, den er jetzt ausspielte.

»Ihr Bruder hatte kein Cannabis dabei. Dafür Schmuck des Opfers.«

Mein Herz sank.

»Er ist somit unser Hauptverdächtiger.«

Remi! Verdammt! Ich hab doch gesagt, nur den Koffer.

David Bell war noch nicht fertig. Seine Stimme senkte sich bedrohlich. »Ich weiß, Sie stecken da ebenso drin wie Ihr Bruder. Also seien Sie gewarnt. Das nächste Mal werde ich mit einem Haftbefehl vor der Tür stehen.«

Mit diesen Worten drehte er sich um.

»Warten Sie«, keuchte ich, während meine Gedanken Karussell fuhren. »Sie wollen uns des Mordes überführen, dabei weiß ich nicht mal, wer tot ist.«

Er hielt kurz inne, machte sich aber nicht die Mühe, seinen Kopf zu drehen.

»Schalten Sie die Nachrichten an. Es wird über nichts anderes gesprochen.«

Der Schakal

»Wir trauern um Mia Servage, eine der erfolgreichsten Künstlerinnen der Stadt und eine beliebte Influencerin. Auf Instagram ließ sie ihre 30 Millionen Follower täglich an ihrem luxuriösen Leben teilhaben. Zuletzt hatte sie sich allerdings zum großen Bedauern ihrer Fans von ihren Social-Media-Seiten zurückgezogen und ihr Geld in Immobilien investiert. So kaufte sie erst vor wenigen Monaten das Abigail Adam Hotel Museum. Den Grund für die Veränderung sahen viele Fans in ihrem Partner, dem der ganze Rummel um ihre Person wohl nicht gefiel …«

Ich klebte vor dem kleinen Fernseher des Waschsalons und starrte auf das Bild der Toten, das der Frau, die ich im Apartment gesehen hatte, in keinster Weise ähnelte.

Mia Servage war jung, vermutlich Ende zwanzig, hatte volles Haar, strahlende Augen und ein breites Lächeln. Auf dem Bild trug sie ein glitzerndes Kleid und hielt einen roten Schirm in der Hand. Das Erkennungsmerkmal der Red Umbrellas. Nicht sehr einfallsreich, wie ich fand, aber sie liebten ihr Markenzeichen. Es war kein simples Regenschirmchen. Sondern viel eleganter. Mit einem schmalen Griff aus poliertem Ebenholz und einem Fächer aus glänzendem roten Stoff, der so filigran aussah, dass man befürchten musste, dass er im nächsten Windzug zerriss.

»Mia Servage war Schauspielerin, Model und Sängerin, sprich ein All-Around-Paket. Außerdem war sie ein Mitglied der berühmten Red Umbrella Society, der nur wenige auserwählte Menschen des Landes angehören. Es ist also kein Wunder, dass niemand Geringeres als Detective David Bell auf den Fall angesetzt wurde. Unser Topermittler, der bisher jeden Fall in Rekordzeit lösen konnte.Soeben erreichte uns die Nachricht, dass es bereits die ersten Festnahmen gab. Was war auch anderes zu erwarten, wenn der Pitbull von New York sich in der Sache verbeißt.«

Meine Finger krallten sich in das Hemd, das ich soeben gebügelt hatte.

»Zwar hält sich die Polizei diesbezüglich noch sehr bedeckt, aber wir bleiben dran!«

Verzweifelt zerknüllte ich das Hemd zu einem Häufchen.

Ausgerechnet eine Umbrella.

Über die Gesellschaft der Schirme gab es viele Gerüchte. Die Mitglieder waren verdammt schön und einflussreich. Einige behaupteten, sie hätten die besten Schönheitsdoktoren der Welt. Verschwörungstheoretiker hingegen vermuteten, dass sie ihren Geist in Androiden implementiert hätten oder sich klonen ließen, um ewig jung zu bleiben.

Und dann gab es da noch die Stimmen, die flüsterten, es seien Vampire, weil … nun ja. Sie waren geradezu unwirklich attraktiv, selbst für Social-Media-Verhältnisse, von Geheimnissen umgeben, und schienen kaum zu altern. Außerdem zeigten sie sich selten in der Öffentlichkeit, was diese Gerüchte nur noch befeuerte. Man munkelte über seltsame Kräfte. Ein Schauspielkollege von Mia schwor, dass sie ihn mit ihrem bloßen Blick hypnotisiert hatte.

Ich dachte wieder an die Leiche und erschauderte. War diese alte, gruselige Frau wirklich sie gewesen? Und wenn ja, warum hatte sie so ausgesaugt ausgesehen?

»K«, flüsterte ich. »Ich nehme an, du hast nichts von den Jungs gehört.«

»Das ist korrekt.«

»Verdammt.«

Was sollte ich jetzt machen?

Fürs Erste meinen Job, um mich so unauffällig wie möglich zu verhalten!

Außerdem würde Lu mich erwürgen, wenn ich die Wäsche nicht auslieferte.

Drei Adressen hatte sie mir vermerkt. Also bügelte ich das zerknitterte Hemd aufs Neue. Dann setzte ich mir Makos Fahrradhelm auf und verstaute die Wäsche in dem Korb am Lenkrad. Auf dem Gepäckträger war eine kleine, selbst gebaute Halterung festgeschraubt, an der ich die Anzüge aufhängen konnte. Gerade stellte ich die erste Adresse auf meinem Handy ein, da bekam ich eine Nachricht.

Mein Blut gefror, als ich den Absender sah. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Sie war vom Schakal, einem von Devin Doyles Männern. Wenn der Nachtclub-Besitzer sich mit einem treffen wollte, sagte man nicht »Nein«, man fragte »Wann?«. Und wenn seine Leute Nachrichten schrieben, dann ließ man alles stehen und liegen, um zu antworten.

Trotzdem ignorierte ich sie und fuhr los.

Kaum war ich um die erste Ecke gebogen, da bemerkte ich, wie ein Auto aus einer Parklücke fuhr und mir folgte. Vielleicht ein Zufall, aber bei meiner aktuellen Pechsträhne glaubte ich nicht daran.

New York bei Nacht war nicht so turbulent, wie man immer sagte. Es mochte belebte Ecken geben, aber ebenso gab es welche, in denen es ruhiger zuging. Zum Stillstand kam die Stadt jedoch nirgends.

Ich bog um ein paar Blöcke, bis ich zum ersten Apartmentturm gelangte. Ich nahm die Tüten und die Anzüge und ging hinein, um sie an der Gebäuderezeption abzugeben. Als ich wieder rauskam, nutzte ich die Gelegenheit, um mich unauffällig umzusehen. Zwischen all den parkenden Autos konnte ich nichts Verdächtiges entdecken.

Als ich weiterfuhr, hatte ich erneut das Gefühl, beobachtet zu werden. Es war wie ein Regenschauer, bei dem die kalten Tropfen langsam den Nacken runterperlten. Ich fröstelte, schloss den Reißverschluss des Kapuzenpullovers bis zum Kinn und trat in die Pedale.

Das nächste Ziel lag in einer Einbahnstraße, die mein Verfolger mit dem Auto nur nehmen konnte, wenn er einmal um den Block fuhr.

Ich bremste vor dem Eingang meines Ziels und wartete. Ein Taxi bog in die Straße ein, gefolgt von einem weiteren, mir unbekannten Auto und einem Uber, welches nur ein paar Haustüren weiter hielt, um Essen zu liefern.

Vielleicht bist du einfach paranoid …

Ich gab die Wäsche ab und schwang mich wieder aufs Rad. Als ich die Straße verließ, fiel mir ein schwarzer Ford Explorer mit getönten Scheiben auf, der an der Seite parkte.

David Bell!

War das sein Ernst? Hatte er mir im Cleaners etwa Angst machen wollen, um zu sehen, ob ich Hals über Kopf loseilte, um Beweise zu vernichten?

Tja. So dumm war ich nicht. Die versteckte Liefertasche würde vorerst bleiben, wo sie war, aber von mir aus sollte er mir ruhig die ganze Nacht folgen.

Ich tat so, als hätte ich ihn nicht bemerkt, und fuhr die dritte Adresse an. Dieses Mal ließ ich mir alle Zeit der Welt, damit diese Observation die Zeitverschwendung seines Lebens werden würde!

Als ich alles ausgeliefert hatte, war es nach Mitternacht. Eigentlich hatte ich mir noch eine Nudelsuppe bei Kuu Ramen