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Hubert Wolf

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Beschreibung

Der Zölibat verpflichtet katholische Priester zur Ehelosigkeit. Trotz sexuellem Missbrauch durch Priester wird er bis heute als ein Grundpfeiler der Kirche verteidigt. Hubert Wolf zeigt dagegen, dass der Zölibat gar nicht so alt ist und es heute bereits verheiratete Priester gibt. Er hinterfragt die diversen Begründungen und findet gute Gründe dafür, den Zölibat endlich abzuschaffen. Sein kirchenhistorisch profunder, glasklar argumentierender Weckruf sollte auch im Vatikan gehört werden.

Die Ehelosigkeit der Priester wurde mit ihrer kultischen Reinheit begründet. Sie diente dem Schutz der Kirche vor Erbansprüchen legitimer Söhne und später zur Abgrenzung von den Protestanten. Noch von Johannes Paul II. wurde der Zölibat mit Verweis auf Jesus spirituell verklärt. Doch gehäufte Missbrauchsfälle lassen fragen, ob die priesterliche Ehelosigkeit immer heilsam ist. Hubert Wolf stellt die umstrittene Einrichtung rigoros auf den kirchenhistorischen Prüfstand. Er erklärt, wie es zum Zölibat kam, warum die alten Argumente nicht mehr ziehen und welche guten Gründe es heute dagegen gibt: Ausnahmen vom Zölibat haben sich bewährt, der Priestermangel könnte behoben und die Gefahr des Missbrauchs eingedämmt werden. In einem gibt Hubert Wolf den Fürsprechern des Zölibats allerdings recht: Mit seinem Wegfall könnte das klerikale System mit seiner Geringschätzung von «Laien» und Frauen insgesamt zur Disposition stehen. Und das wäre auch gut so.

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Hubert Wolf

ZÖLIBAT

16 Thesen

C.H.Beck

ZUM BUCH

Der Zölibat verpflichtet katholische Priester zur Ehelosigkeit. Trotz sexuellem Missbrauch durch Priester wird er bis heute als ein Grundpfeiler der Kirche verteidigt. Hubert Wolf zeigt dagegen, dass der Zölibat gar nicht so alt ist und es heute bereits verheiratete Priester gibt. Er hinterfragt die diversen Begründungen und findet gute Gründe dafür, den Zölibat endlich abzuschaffen. Sein kirchenhistorisch profunder, glasklar argumentierender Weckruf sollte auch im Vatikan gehört werden.

ÜBER DEN AUTOR

Hubert Wolf ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster. Er wurde mit dem Leibnizpreis der DFG, dem Communicator-Preis und dem Gutenberg-Preis ausgezeichnet. Bei C. H.Beck erschienen von ihm zuletzt die Bestseller «Die Nonnen von Sant’Ambrogio» (42013), «Krypta. Unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte» (2015) sowie «Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl» (22017).

INHALT

1.: DAS TABU IST GEFALLEN

Priestermangel und Missbrauchsvorwürfe zwingen den Vatikan, über den Zölibat zu reden.

2.: DIE SCHWIEGERMUTTER DES PETRUS

Der Zölibat lässt sich biblisch nicht begründen, denn im Neuen Testament gibt es selbstverständlich verheiratete Bischöfe, Priester und Diakone.

3.: ZÖLIBAT IST NICHT GLEICH ZÖLIBAT

Es wurde zu verschiedenen Zeiten nicht nur ganz Unterschiedliches darunter verstanden, die Vorschriften mussten immer wieder erneuert, modifiziert und gegen große Widerstände durchgesetzt werden.

4.: VORCHRISTLICHE URSPRÜNGE

Die Vorstellung von der kultischen Reinheit des Priesters stammt aus der jüdischen und heidnischen Antike und ist nicht mehr zeitgemäß.

5.: JESUS WAR KEIN STOIKER

Das Ideal des asketischen Priesters geht auf antike Vorstellungen von einem philosophischen Leben zurück und entspricht nicht dem Vorbild Jesu.

6.: ÖKONOMISCHE WURZELN

Die Ehelosigkeit stellte im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit sicher, dass Geistliche die ihnen unterstellten Kirchengüter nicht an ihre Kinder vererben konnten.

7.: FLAGGE ZEIGEN IM GLAUBENSSTREIT

Der Zölibat diente im konfessionellen Zeitalter zur Abgrenzung von den Protestanten.

8.: AUCH PRIESTER HABEN MENSCHENRECHTE

Die Kritik am Zölibat als Verstoß gegen die Natur radikalisierte die Zölibatsbefürworter seit der Aufklärung.

9.: SPRUNG IN ANDERE SPHÄREN

Weil andere Begründungen nicht mehr zogen, überhöhte Paul VI. den Zölibat spirituell.

10.: ES GEHT AUCH OHNE ZÖLIBAT

In den katholischen Ostkirchen gibt es selbstverständlich verheiratete katholische Priester.

11.: IMMER MEHR AUSNAHMEN

Zum Katholizismus konvertierte verheiratete evangelische und anglikanische Pfarrer empfangen mit päpstlicher Dispens die Priesterweihe.

12.: NEUES ZUR SEXUALITÄT

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gilt die Ehe als Abbild des Bundes zwischen Christus und seiner Kirche und kann kein Hindernisgrund für den priesterlichen Dienst sein.

13.: KEIN DOGMA

Die Lehre der katholischen Kirche ermöglicht jederzeit die Aufhebung des Zölibats.

14.: GEFÄHRLICHES VERSPRECHEN

Die verpflichtende Ehelosigkeit ist ein Risikofaktor im Hinblick auf den sexuellen Missbrauch durch Priester.

15.: GÜTERABWÄGUNG

Vor die Wahl gestellt, dem Priestermangel abzuhelfen oder den Zölibat beizubehalten, muss sich die Kirche im Interesse der heilsnotwendigen Eucharistie gegen den nicht heilsnotwendigen Zölibat entscheiden.

16.: DAS ALTE SYSTEM IST AM ENDE

Die Abschaffung des Zölibats als Instrument des Machterhalts muss Teil einer grundlegenden Reform des hierarchisch klerikalen Systems sein.

ANMERKUNGEN

1.Das Tabu ist gefallen

2.Die Schwiegermutter des Petrus

3.Zölibat ist nicht gleich Zölibat

4.Vorchristliche Ursprünge

5.Jesus war kein Stoiker

6.Ökonomische Wurzeln

7.Flagge zeigen im Glaubensstreit

8.Auch Priester haben Menschenrechte

9.Sprung in andere Sphären

10.Es geht auch ohne Zölibat

11.Immer mehr Ausnahmen

12.Neues zur Sexualität

13.Kein Dogma

14.Gefährliches Versprechen

15.Güterabwägung

16.Das alte System ist am Ende

ZUM NACHLESEN

Quellen

Literatur

PERSONENREGISTER

1.

DAS TABU IST GEFALLEN

Priestermangel und Missbrauchsvorwürfe zwingen den Vatikan, über den Zölibat zu reden.

Rom, 4. April 2014. Der Bischof der brasilianischen Diözese Xingu, Erwin Kräutler, wird von Papst Franziskus zu einer Privataudienz empfangen.[1] Beide Männer küssen sich gegenseitig Hand und Ring, wie es in Lateinamerika bei einer Begrüßung üblich ist. Die Atmosphäre ist äußerst entspannt, und der Bischof berichtet dem Papst von der Situation der indigenen Bevölkerung im Amazonasgebiet: Neunzig Prozent der Gemeinden seiner Diözese können am Sonntag nicht regelmäßig Eucharistie feiern, siebzig Prozent sogar nur drei Mal im Jahr, weil es so gut wie keine Priester gibt. Dann erzählt Kräutler Franziskus von der Einweihung einer Kapelle in einer abgelegenen Pfarrei, zu der er als Bischof eigens angereist war. Als die Tür der kleinen Kirche geöffnet wurde, war Kräutler schockiert, denn es fehlte der Altar. Er habe sofort darauf hingewiesen, dass die Feier der Eucharistie doch das Zentrum des Glaubens und katholischen Gemeindelebens sei, darauf habe ihm die Gemeindeleiterin geantwortet, das sei auch ihr klar. «Aber wir haben ja nur zwei bis drei Mal im Jahr Eucharistiefeier, … also brauchen wir keinen Altar.»[2] Für die paar Mal könne man einen Tisch hereintragen.

Bischof und Papst sind sich einig, «da läuft etwas auseinander», es kommt im Amazonasgebiet zu einer «fatalen Entwöhnung von der Eucharistie».[3] Einunddreißig Priester können unmöglich achthundert Gemeinden in einem Gebiet größer als die Bundesrepublik Deutschland betreuen. Franziskus und der Bischof erörtern Lösungsmöglichkeiten. Kräutler erinnert an den Vorschlag des südafrikanischen Bischofs Fritz Lobinger, Gemeinden ohne Priester künftig durch «Teams of Elders», eine Art Ältestenrat, kollektiv leiten zu lassen und diese Männer und Frauen «dann auch zu ordinieren, damit sie mit ihren Gemeinden auch die Eucharistie feiern können».[4] Das Thema der Viri probati – also verheirateter, in Ehe und Beruf bewährter Männer, die zu Priestern geweiht werden sollen – kommt ebenfalls zur Sprache. Die Audienz endet mit dem berühmt gewordenen Satz des Papstes, die Bischofskonferenzen sollten ihm «mutige» Vorschläge machen.[5]

Eine Privataudienz in dieser Atmosphäre und mit einer derartig offenen Aussprache über die Themen Priestermangel, Zölibat und Weihe von verheirateten Männern und Frauen wäre unter den Vorgängern von Papst Franziskus kaum möglich gewesen. Der Zölibat galt als «strahlender Edelstein» in der Krone der Kirche, der grundsätzlich nicht infrage gestellt werden durfte.[6] Gute Katholiken sprachen nicht darüber. Und im Gespräch zwischen den Hirten und dem obersten Hirten war er ohnehin kein Thema. Wer es wagte, über die Zölibatsverpflichtung für Priester auch nur zu reden, dem wurde rasch die Rechtgläubigkeit abgesprochen. Das war ein Thema für kritische Theologen,[7] für die «Kirche von unten»,[8] für «abgefallene» Priester, die ihr Amt wegen einer Frau aufgegeben hatten,[9] für Priesterfrauen,[10] für Priesterkinder[11] und nicht zuletzt für Romane und Filme.[12]

Intime Einsichten in das Sexualleben der Engel mit Priesterkragen und Soutane sind eine Garantie für Schlagzeilen, nicht nur in der Boulevardpresse. Spielfilme und Serien über Priester, die sich zwischen der Liebe zu einer Frau und der Liebe zu Gott entscheiden müssen, werden zum Kassenschlager. Die katholische Kirche würde das Problem gerne verschweigen, Tatsache ist aber, dass viele Tausende von Priestern weltweit ihr Amt wegen des Zwangszölibats aufgegeben haben. Dabei nahmen nur die wenigsten ein entwürdigendes Laisierungsverfahren auf sich. Nur durch einen solchen Prozess, eröffnet auf Diözesanebene, verhandelt von der römischen Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, die ihre Empfehlung schließlich dem Papst zur offiziellen Entscheidung vorlegt, kann die Ungültigkeit der Weihe festgestellt und ein Priester in den Laienstand zurückversetzt werden.[13] Erst danach ist der laisierte Priester in der Lage, eine gültige kirchliche Ehe einzugehen.

Man rechnet damit, dass seit den 1960er-Jahren weltweit etwa zwanzig Prozent der Priester ihr Amt wegen des Zölibats aufgegeben haben. Allein in Deutschland wären demnach, wenn man von insgesamt knapp 14.000 Priestern ausgeht, mehrere Tausend betroffen. Offizielle Zahlen liegen bezeichnenderweise nicht vor.[14] Der Priesternachwuchs geht seit Jahrzehnten massiv zurück, die Priesterseminare sterben regelrecht aus, manche Diözesen hatten sogar mehrere Jahre in Folge keine einzige Priesterweihe. Theologiestudenten geben als Grund, warum sie nicht ins Priesterseminar eintreten, häufig den Zölibat an.[15] Die pastorale Situation hat sich unterdessen drastisch verschlechtert, immer mehr Pfarreien haben keinen eigenen Pfarrer mehr. Die wenigen übrig gebliebenen Seelsorger fühlen sich immer mehr als «pastorale Großunternehmer, reisende Sakramentenspender und Zölibatshalter».[16] Anstatt über die Zulassungsbedingungen zum Amt nachzudenken, suchen die Bischöfe ihr Heil in immer größeren Seelsorgeeinheiten, pastoralen Räumen und katholischen Clustern – oder in Priestern aus Indien, Polen und Afrika, die aus einem völlig anderen Kulturkreis kommen und selten der deutschen Sprache ausreichend mächtig sind.

Das war auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das von 1962 bis 1965 tagte, noch ganz anders gewesen.[17] Damals hatten die Bischöfe wenigstens bei den nichtöffentlichen Diskussionen in der zuständigen Kommission ausgiebig über das Junktim zwischen Zölibat und Priesteramt gestritten und eine flexiblere Handhabung des Zölibatsgesetzes in Erwägung gezogen. Als sie dann aber den Zölibat im Konzilsplenum selbst thematisieren wollten, intervenierte Papst Paul VI. und machte deutlich, dass er es für inopportun halte, öffentlich darüber zu reden.[18] Mit diesem Schritt entzog der Papst den im Konzil versammelten Bischöfen die Entscheidung über das Thema und riss sie an sich. Anderthalb Jahre nach Konzilsende stellte Paul VI. in Ausübung seines ordentlichen Lehramtes lapidar fest, «dass das bestehende Gebot des Zölibats auch jetzt noch mit dem priesterlichen Amt verbunden sein muss».[19]

Die deutschen Bischöfe sollten sich weitgehend an diese Marschroute halten. Bezeichnend dafür ist ihr Verhalten auf der Würzburger Synode, die zur Umsetzung der Beschlüsse des Zweiten Vatikanums als «Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland» von 1971 bis 1975 stattfand. Nachdem es auf dem Katholikentag in Essen 1968 zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen katholischen Laien und deutschen Bischöfen über die dringend notwendigen Reformen besonders im Hinblick auf die Zulassung der Pille zur Empfängnisregelung sowie die Abschaffung des Zölibatsgesetzes gekommen war, wollten die Bischöfe auf der Würzburger Synode wieder alles in den Griff bekommen.[20]

Als die Synode einen Beschluss über die pastoralen Dienste in der Gemeinde vorbereitete, kam es zu einem unüberbrückbaren Dissens zwischen der Mehrheit der Synode und den deutschen Bischöfen. Die Laien argumentierten, dass sich die katholische Kirche in Deutschland in einer pastoralen Notsituation befinde, weil es zu wenig Priester gebe und viele Geistliche «menschliche Probleme» mit dem Zölibat hätten. Sie verlangten deshalb die Weihe von Viri probati. Die Deutsche Bischofskonferenz machte daraufhin ihre Erlaubnis, über den beabsichtigten Beschluss überhaupt weiter diskutieren zu dürfen, «davon abhängig, dass die Frage der Zulassung verheirateter Männer zum Priestertum» ausgeklammert würde.[21] Im Beschlusstext selbst musste die Synode deshalb erklären, dass sie aufgrund der Weisung der deutschen Bischöfe vom 13. April 1972 «in dieser Frage keine Entscheidung treffen» dürfe. Dort wurde daher nur ganz allgemein von einer Prüfung neuer Zugangswege zum Priestertum gesprochen und formuliert: «Es wird deshalb allgemein anerkannt, dass außerordentliche pastorale Notsituationen die Weihe von in Ehe und Beruf bewährten Männern erfordern können.»[22]

Und so hatten die deutschen Bischöfe den ihnen von Paul VI. verordneten Maulkorb erfolgreich auch den Laien umgebunden. Sogar auf den großen Selbstdarstellungen des deutschen Laienkatholizismus, den Katholikentagen, kam das Thema nach der Würzburger Synode kaum noch vor. Wenn es überhaupt angesprochen wurde, dann eher beim «Katholikentag von unten».[23]

Aber der Zölibat war nicht nur in Deutschland ein Thema. Auf nahezu allen Nationalsynoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde die Weihe verheirateter Männer zu Priestern gefordert, von Lateinamerika über die Schweiz und Österreich bis in die Niederlande.[24] Anders als in Deutschland sprachen sich die niederländischen Bischöfe um Kardinal Bernard Jan Alfrink nachdrücklich dafür aus, «Verheiratete zum Priesteramt zuzulassen und Priester, die wegen Heirat ausgeschieden sind, wieder in ihr Amt einzusetzen».[25] Rom reagierte scharf, pfiff die niederländischen Bischöfe zurück, wechselte nach und nach den ganzen Episkopat des Landes aus und ersetzte ihn durch Zölibatsanhänger. Die römische Strategie ging am Ende auf.

Denn die überwiegende Mehrzahl der Bischöfe hielt sich auch in den folgenden Jahrzehnten an die von der Römischen Kurie vorgegebene Linie, wie eine große Zahl von Hirtenbriefen, Verlautbarungen und Interviews belegt.[26] Unterstützung erhielten sie dabei vor allem von Johannes Paul II., der immer wieder unterstrich, dass die Kirche am «Schatz» des Zölibats festhalten werde, und alle Einwände gegen die Ehelosigkeit der Priester einfach mit dem Argument zurückwies, diese seien «dem Evangelium, der Überlieferung und dem Lehramt der Kirche fremd».[27] Es gab nur vereinzelte Ausnahmen, so etwa den Rottenburger Bischof Georg Moser, der ein Votum seiner Diözesansynode aus den Jahren 1985/86 zuließ, in dem die Deutsche Bischofskonferenz gebeten wurde, «die Frage der Priesterweihe von in Ehe und Beruf bewährten Männern neu zu überdenken und die nötigen Schritte zu unternehmen».[28] Eine Antwort darauf ist nicht bekannt.

Fünfzig Jahre war das Thema der Aufhebung des Zölibatsgesetzes und der alternativen Zugänge zum Priestertum wenigstens für die Hierarchen der katholischen Kirche ein Tabu. Wenn man nun jedoch nur einige wenige, zufällig ausgewählte Äußerungen katholischer Oberhirten vom Oktober 2018 anschaut, glaubt man, im falschen Film zu sein: Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der zweite Mann im Vatikan, machte in einem Interview vom 2. Oktober 2018 klar, dass «der Zölibat der Priester … sehr wohl infrage gestellt werden» könne. Parolin betonte, die kirchliche Lehre sei nicht monolithisch, sondern ein «lebender Organismus, der wächst und sich entwickelt». Bereits 2013 hatte er bekräftigt, dass der Zölibat der Priester «kein Dogma», sondern eine «Tradition der Kirche» darstelle, weshalb eine Diskussion über diesen durchaus möglich sei.[29] Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, forderte am 5. Oktober 2018 in Rom bei der Eröffnung des Master-Studiengangs «Safeguarding of Minors» eine offene Debatte über den Zölibat. Der Erzbischof von München und Freising benannte den Missbrauchsskandal als Ursache dafür, dass sich die Kirche in einer ehrlichen Diskussion vielen Fragen stellen müsse, wozu «Machtmissbrauch und Klerikalismus, Sexualität und Sexualmoral, Zölibat und Ausbildung der Priester» gehörten.[30] Der Erzbischof von Bamberg, Ludwig Schick, brachte am 8. Oktober 2018 die Möglichkeit einer Dispens vom Zölibat ins Gespräch, bewährte Männer könnten vom Weihehindernis der Ehe auf diese Weise befreit werden.[31] Und sogar der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterović, erklärte in einem Interview mit der Herder Korrespondenz: «Der Zölibat ist kein Tabu.» Er persönlich sei zwar gegen die Abschaffung des Zölibatsgesetzes, aber es gebe «keine Patentlösung in dieser Frage. Wir müssen einfach darüber diskutieren, was das Beste für die Kirche ist.»[32]

Was die Gründe angeht, warum nun auf einmal über das Thema diskutiert werden soll, lassen sich aus den Äußerungen von Kardinälen und Bischöfen vor allem drei Motive namhaft machen: die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals, die Behebung des grassierenden Priestermangels und die Abmilderung einer System- und Strukturkrise der katholischen Kirche.

Zumindest die lateinamerikanischen Bischöfe des Amazonasgebietes haben die Aufforderung von Papst Franziskus zu mutigen Vorschlägen aufgegriffen. In Rom wird es auf der Bischofssynode mit dem Titel «Amazonien – neue Wege für Kirche und eine ganzheitliche Ökologie» im Herbst 2019 auch um den katastrophalen Priestermangel im Norden Brasiliens gehen. Die Bischöfe sollen zumindest die Weihe verheirateter Männer zu Priestern vorgeschlagen haben. Ob auch die Zulassung von Frauen zu kirchlichen Ämtern diskutiert werden wird, steht dahin.[33]

Das Tabu ist gefallen. Es soll in der katholischen Kirche wieder offen und ohne Vorurteile über die Ehelosigkeit der Priester und auch über die Abschaffung des Zölibatsgesetzes diskutiert werden – und zwar in der ganzen Kirche, angefangen vom Papst über die Kardinäle, Bischöfe, Theologinnen und Theologen bis hin zu den Gläubigen. In diesem Sinn verstehen sich die folgenden Thesen aus kirchenhistorischer Perspektive als ein Beitrag zu der angemahnten ehrlichen Diskussion, im Sinne der «platonisch-aristotelischen und scholastischen Argumentationspraxis», wonach «man eine Meinung nur dann als ‹These› bezeichnet, wenn sie von jemandem vertreten wird, der sie rational zu verteidigen bereit ist».[34]

2.

DIE SCHWIEGERMUTTER DES PETRUS

Der Zölibat lässt sich biblisch nicht begründen, denn im Neuen Testament gibt es selbstverständlich verheiratete Bischöfe, Priester und Diakone.

In den Jahren 1878 bis 1880 kam es zu einer heftigen Kontroverse zwischen dem Innsbrucker Orientalisten Gustav Bickell und dem Tübinger Kirchenhistoriker Franz Xaver Funk. Worum es bei diesem wissenschaftlichen Schlagabtausch ging, zeigen die Titel der damaligen Beiträge: Gustav Bickell, Der Cölibat eine apostolische Anordnung (1878) – Franz Xaver Funk, Der Cölibat keine apostolische Anordnung (1879) – Gustav Bickell, Der Cölibat dennoch eine apostolische Anordnung (1879) – Franz Xaver Funk, Der Cölibat noch lange keine apostolische Anordnung (1880).[1]

Gustav Bickell versuchte mit großem Aufwand nachzuweisen, dass die Verpflichtung der Kleriker zum Zölibat keine Erfindung von Päpsten oder Synoden des vierten Jahrhunderts sei, sondern auf eine entsprechende Praxis der Apostel und ihrer Nachfolger zurückgehe. Nach der Berufung durch Jesus hätten Petrus, von dessen Schwiegermutter[2] das Neue Testament berichtet, und andere Apostel Frau und Kinder verlassen, um sich ganz der Nachfolge Christi und der Verkündigung des Evangeliums vom Reich Gottes widmen zu können. Bickell stützt sich dabei auf Zeugnisse der Heiligen Schrift und auf die mündlich weitergegebene Überlieferung der Apostel.

Franz Xaver Funk kam nach einer minutiösen Analyse der Zeugnisse der ersten drei Jahrhunderte, die ganz selbstverständlich von verheirateten Bischöfen, Priestern und Diakonen sprechen, zum exakt entgegengesetzten Schluss. «Die Zuversichtlichkeit, mit der Bickell seine These für gesichert erklärte», stehe «gerade im umgekehrten Verhältnis zu der Gründlichkeit seiner Beweisführung».[3] Der Zölibat «rührt als gesetzliche Anordnung nicht von den Aposteln her, er kam vielmehr in der abendländischen Kirche erst im Laufe des vierten Jahrhunderts auf, die morgenländische Kirche aber hat ihn nicht seit derselben Zeit allmählich außer Acht gesetzt, sondern ist streng bei dem Herkommen geblieben».[4] Für Funk ging Bickells Argumentation von dem für einen Kirchenhistoriker nicht statthaften Grundsatz aus, dass (historisch) nicht sein kann, was (dogmatisch) nicht sein darf.

Die beiden Gelehrten führten ihren Streit mit einer derartigen Schärfe, dass auch persönliche Verunglimpfungen nicht ausblieben. Schließlich ging es um die entscheidende Frage nach dem Ursprung des Zölibatsgesetzes in der katholischen Kirche sowie seiner Begründung:

Denn wenn der Zölibat tatsächlich – so argumentieren die Anhänger der «Kontinuitätsthese» – auf eine Anweisung Jesu Christi selbst oder auf die Lebenspraxis oder Anordnung der Apostel zurückginge, dann gäbe es diese Lebensform bereits bei den Vorstehern der ersten christlichen Gemeinden. Der Zölibat wäre damit eine unverzichtbare Bedingung für die Übernahme eines kirchlichen Amtes und daher nicht veränderbar.

Wenn aber – und so argumentieren die Anhänger der «Diskontinuitätsthese» – der Zölibat nur eine disziplinäre Vorschrift wäre, die erst im Verlauf der Kirchengeschichte aufgekommen ist, dann würde er nicht zum Wesen des Priestertums gehören, wäre keine notwendige Bedingung für die Ausübung des kirchlichen Amtes und damit jederzeit änderbar.

Es mag auf den ersten Blick verwundern, warum die Frage nach Kontinuität und Diskontinuität in diesem Zusammenhang eine derartige Rolle spielt. Dies liegt daran, dass es für die Lehre der Kirche nur zwei Erkenntnisquellen gibt: die Heilige Schrift und die apostolische Tradition. Die erste liegt schriftlich vor, die zweite wurde ursprünglich mündlich überliefert und hat sich später in schriftlichen Zeugnissen niedergeschlagen. Das Konzil von Trient legte im sechzehnten Jahrhundert fest, dass nur das, was in Schrift und Tradition ununterbrochen bezeugt wird, was auf Jesus Christus selbst und die Apostel zurückgeht, eine unveränderliche Glaubenswahrheit sein kann. Alles andere gehört dagegen nicht zum Wesen des christlichen Glaubens, sondern stellt eine zeitbedingte Erscheinung dar, die irgendwann entstanden ist und jederzeit geändert oder abgeschafft werden kann.[5]

Dass Jesus Christus mit seinen Jüngern das Abendmahl gefeiert hat und die christlichen Gemeinden seinen Auftrag, dieses Mahl zu seinem Gedächtnis zu halten, von Anfang an regelmäßig vollzogen haben, steht außer Zweifel. Schrift und Tradition bezeugen dies eindeutig.[6] Daher gehört die Feier der Eucharistie unverzichtbar zum Wesen des Christentums. Die Vorschrift aber, vor dem Empfang der Kommunion nüchtern bleiben zu müssen und für mindestens sechs Stunden überhaupt keine Nahrung zu sich nehmen zu dürfen, ist dagegen erst im Laufe des Mittelalters entstanden.[7] Über viele Jahrhunderte galt diese Vorgabe; noch im Kirchenrecht von 1917 wurde ein strenger Nahrungsverzicht für die Zeit von Mitternacht bis zum Kommunionempfang vorgeschrieben. Erst im Zuge der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils ist das Nüchternheitsgebot faktisch gestrichen worden, indem man es auf eine Stunde vor Empfang der Eucharistie reduzierte. Das war nur möglich, weil es keine entsprechende ununterbrochene Praxis von Jesus und den Aposteln bis ins zwanzigste Jahrhundert gegeben hat.

Wenn es also gelingen würde, eine ununterbrochene Kontinuität des Zölibats von Jesus Christus beziehungsweise den Aposteln bis heute zu beweisen, dann wäre er als apostolische Anordnung nicht veränderbar und allen Argumenten für eine Aufhebung des Pflichtzölibats von vorneherein die Grundlage entzogen. Aber: Wenn man das Gegenteil beweisen oder sogar zeigen könnte, dass Jesus selbst verheiratet war, was derzeit wieder einmal versucht wird, dann hätte man ein starkes Argument für verheiratete Kleriker.[8] Nach Meinung mancher Exegeten jedenfalls war Ehelosigkeit «im Judentum in neutestamentlicher Zeit … völlig undenkbar».[9]

Es verwundert angesichts der Bedeutung der Frage nicht, dass dieser Streit seit der Kontroverse zwischen Bickell und Funk nie ganz zum Erliegen gekommen ist.[10] Mehr als hundert Jahre später wurde er sogar explizit noch einmal aufgenommen. Der christliche Archäologe Stefan Heid legte 1997 eine Monographie zum Zölibat in der frühen Kirche vor, in der er sein Ziel klar benennt: «Die vorliegende Studie versucht nachzuweisen, dass es in der Tat in der frühen Kirche eine Verpflichtung aller höheren Kleriker zu völliger geschlechtlicher Enthaltsamkeit gab. Erwiese sich dies als richtig, so müsste man den heutigen Zölibat in einer geschichtlichen Kontinuität zur ursprünglichen Disziplin der Klerikerenthaltsamkeit sehen: Ohne die generelle Enthaltsamkeitspflicht der frühen Kirche gäbe es heute keine Verpflichtung der lateinischen Priester zur Ehelosigkeit.»[11] Es geht also um nichts weniger als den historischen Beweis für die generelle Pflicht aller Kleriker zu sexueller Enthaltsamkeit vom Anfang der Kirchengeschichte an – wie der Dogmenhistoriker Hermann Josef Sieben in seiner Rezension zu Heids Werk treffend feststellt: «Wer diesen historischen Ursprung nämlich nicht irgendwie spekulativ ableiten, sondern historisch plausibel machen will, ist gezwungen, dafür Belege, auch aus der Zeit vor der Mitte des vierten Jahrhunderts, vorzulegen.»[12]

Theologen, die wie Stefan Heid die historische Kontinuität des Zölibats für die ersten christlichen Jahrhunderte beweisen wollen, setzen häufig bei den gesetzlichen Bestimmungen zur Enthaltsamkeit der Priester an, die etwa die Synode von Elvira um das Jahr 306 oder die Päpste Siricius und Innozenz I. am Ende des vierten Jahrhunderts erlassen haben. Zur Legitimation ihrer Beschlüsse bezogen sich diese ausdrücklich auf den apostolischen Ursprung der Enthaltsamkeitsvorschrift.

Papst Siricius schrieb am 10. Februar 385 an Bischof Himerius von Tarragona: «Wir Priester und Leviten werden allesamt durch das unauflösliche Gesetz dieser Strafbestimmungen verpflichtet, dass wir vom Tag unserer Ordination an unsere Herzen und Körper der Enthaltsamkeit und Keuschheit hingeben, wenn wir nur in allem unserem Gott bei den Opfern gefallen, die wir täglich darbringen.»[13] Als biblischen Beleg führte der Papst eine Stelle aus dem Epheserbrief an, in der es heißt: «So will er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten und andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos.»[14] Dass sich dieser Vers tatsächlich auf die Keuschheit der Priester bezieht, ist jedoch zu bezweifeln. Er steht vielmehr im Kontext einer von Paulus entworfenen Familienordnung, in der es ausdrücklich um die sexuelle Beziehung von Mann und Frau in der Ehe geht. Hier heißt es unter anderem: «Darum sind die Männer verpflichtet, ihre Frauen so zu lieben wie ihren eigenen Leib.»[15] Damit dürfte der Schriftbeweis, den Siricius für eine angebliche apostolische Anordnung des Zölibats durch Paulus anführt, hinfällig sein.[16]

Deshalb gehen die Anhänger der Kontinuitätsthese auch nicht weiter auf diese Stelle ein. Vielmehr konzentrieren sie sich auf die einschlägigen Amtsprofile für Bischöfe, Priester und Diakone, wie sie sich in den neutestamentlichen «Pastoralbriefen» finden, also den Schreiben an Timotheus und Titus. Stefan Heid spricht davon, dass hier der «Schlüssel» für die ganze Zölibatsfrage liege.[17] Das biblische Anforderungsprofil für einen Bischof findet sich im dritten Kapitel des ersten Briefs an Timotheus: «Wenn einer das Amt eines Bischofs anstrebt, begehrt er eine schöne Aufgabe. Der Bischof muss ein Mann ohne Tadel sein, nur einmal verheiratet, nüchtern, besonnen, ordentlich, gastfreundlich, erfahren in der Lehre, kein Trunkenbold und Schläger, sondern milde, nicht streitsüchtig und nicht geldgierig. Er soll ein guter Familienvater sein und seine Kinder zu Gehorsam und allem Anstand erziehen. Denn wer seinem eigenen Haus nicht vorstehen kann, wie soll der sich um die Kirche Gottes kümmern können?»[18] Und über die Presbyter heißt es im Titusbrief ganz ähnlich, sie müssten «unbescholten» sein, «einer Frau Mann, mit gläubigen Kindern, die nicht im Ruf der Liederlichkeit stehen und nicht unbotmäßig sind».[19]

Wie ist die biblische Formulierung «einer Frau Mann» zu verstehen? Das ist die alles entscheidende Frage. Zunächst einmal dürfte es überraschend sein, dass in der Bibel schwarz auf weiß steht, ein Bischof beziehungsweise Priester müsse «verheiratet» und «ein guter Familienvater» sein. Damit scheint die Frage auf den ersten Blick klar beantwortet zu sein. Freilich stellt sich das Thema aus bibelwissenschaftlicher Sicht viel komplizierter dar. Hier finden sich nämlich nicht weniger als vier Interpretationen dieser Stelle, die einander keineswegs ausschließen müssen.[20] Erste Deutung: Es handelt sich um ein Verbot von Polygamie. Kirchliche Amtsträger mussten sich demnach von der in der paganen Umwelt vorkommenden Praxis der Vielehe abheben und durften nur mit einer Frau verheiratet sein. Zweite Lesart: Die Weisung ist als Verbot der Wiederverheiratung Geschiedener zu lesen. Nach der Überlieferung der Evangelien verbietet Jesus die Ehescheidung, weshalb die Wiederheirat eines Geschiedenen diesen für das Bischofsamt disqualifiziert. Dritte Interpretation: Das Kriterium ist als direkte Aufforderung zur Ehe zu verstehen; Bischof, Priester und Diakon kann nur werden, wer verheiratet ist und in einer Einehe nach christlichen Vorstellungen lebt. Dabei geht es vor allem um eine Abgrenzung der frühen christlichen Gemeinden gegenüber den asketisch-weltfeindlichen Tendenzen der Gnostiker. Diese waren eine radikale Gruppe, die in ihrer strikt dualistischen Weltsicht alles Körperliche und Materielle für böse und nur das geistige Prinzip für gut hielten. Deshalb verabscheuten diese Asketen die Ehe. Mit der Vorschrift, die Ehe zur Bedingung eines kirchlichen Amtes zu machen, wollte die Kirche dieser Richtung massiv entgegentreten.[21]

Viertens, und das ist die nicht nur in der neutestamentlichen Wissenschaft, sondern auch bereits in der alten Kirche favorisierte Lesart: Bischöfe, Priester und Diakone sind selbstverständlich verheiratet, gerade ihre Erfahrungen als Vorstand eines eigenen Haushalts befähigen sie in besonderer Weise, eine christliche Gemeinde zu leiten. Die einzige Einschränkung, der diese Amtsträger unterliegen, ist das Verbot einer Wiederheirat von Verwitweten. Aus dieser Bestimmung sollte im Laufe der Kirchengeschichte ein generelles Eheverbot für bereits Geweihte entstehen. Wer vor der Weihe verheiratet war, konnte es bleiben, er durfte aber, falls die Ehefrau starb, nicht wieder heiraten. In diese kirchliche Tradition stellte sich auch das Zweite Vatikanische Konzil bei der Wiedereinführung des Ständigen Diakonats. Daher sind verheiratete Diakone nach dem Tod ihrer Ehefrauen ebenfalls von einer zweiten Ehe ausgeschlossen.[22]

All diesen Deutungen widerspricht Stefan Heid und legt eine ganz andere Interpretation der Formulierung «einer Frau Mann» vor. Dazu greift er auf den ersten Korintherbrief zurück, in dem der Apostel Paulus die Ehe als Heilmittel gegen die geschlechtliche Begehrlichkeit interpretiert: «Menschen, die nach sexueller Erfüllung suchen, müssen dies in der Ehe tun.»[23] Heid leitet aus dem Verbot der Zweitehe für Kleriker jedoch eine «Art Verpflichtung auf dauerhafte Enthaltsamkeit» ab.[24] Wenn ein Weihekandidat nach dem Tod seiner ersten Frau eine zweite Ehe eingeht, sieht Heid dies als Beleg dafür, dass er «nicht enthaltsam leben» könne. «Er hat sozusagen den Enthaltsamkeitstest seiner Witwerzeit nicht bestanden.»[25] Heid setzt also einfach voraus, dass verheiratete Bischöfe und Kleriker nach ihrer Weihe prinzipiell enthaltsam leben müssten. Ausgerechnet für dieses entscheidende Argument führt er jedoch keinen Quellenbeweis an. Deshalb ist Hermann Josef Sieben zuzustimmen, der diesen Teil der Studie als «gescheitert» bezeichnet hat.[26]