Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche - Dietmar Pieper - E-Book

Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche E-Book

Dietmar Pieper

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Beschreibung

Der deutsche Kolonialismus entstand im Zusammenspiel von Kaufleuten, Bankiers und Reedern, für die der außereuropäische Handel seit Langem eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen war. Gerade Hamburg und Bremen spielten eine bedeutende Rolle: Ohne die hanseatischen Unternehmer hätte es die deutschen Kolonien nicht gegeben, erst auf ihr Drängen reagierte die Politik. Die Deutschen in Afrika waren berüchtigt für ihre Prügelstrafen, Zwangsarbeit war unter ihrem Regime die Regel. Dietmar Pieper beleuchtet ein düsteres Kapitel der deutschen Geschichte, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Einleitung: Deutschland und der Kolonialismus

Vom Fernhandel zur europäischen Expansion

Verdrängung und neu erwachtes Interesse

Editorische Notiz

1 Der bittere Zucker des Herrn Schimmelmann

Schimmelmanns Aufstieg

Wie der Zucker in den Kaffee kommt

Schimmelmann errichtet sein Geschäftsimperium

Wie auch Deutsche an der Sklaverei verdienen

Schimmelmann steigt in den transatlantischen Dreieckshandel ein

Was den Versklavten widerfährt

Schimmelmann bekommt den Elefantenorden und die Grafenwürde

Warum Hamburg die Zuckerhauptstadt wird

Schimmelmanns Erbe

2 »Hamburg hat Kolonien erhalten«

Hamburgs Oligarchen und was es im Zeitalter der Aufklärung bedeutet, ein Menschenfreund zu sein

Verhandlungen in Rio de Janeiro

Sievekings »Deutsche Antipoden-Kolonie«

3 Ein Südseekönig, der niemals in der Südsee ist

»Mit dankbarem Herzen gegen Gott«

»Stehen bleiben dürfen wir nicht«

»Auf denn erstehe, junge Marine!«

»Ein bedeutendes Geschäft auf diesen Inseln«

»Der Nimmersatt der Südsee«

»Skelette und Schädel von den Eingeborenen«

»Im Namen des Reiches«

»Diese Verlegenheiten«

»Also kein Kolonial-Unsinn, kein Samoa-Schwindel!«

4 »Eine fröhliche Conquista«

November 1882

Februar/März 1883

April 1883

April/Mai 1883

Juni 1883

August 1883

Oktober/November 1883

9. Januar 1884

24. Januar

3. Februar

7. Februar

12. März

21. März

29. März

8. April

10. April

19. April

22. April

24. April

25. April

28. April

29. April

2. Mai

9. Mai

12. Mai

19. Mai

1. Juni

9. Juni

12. Juni

14. Juni

16. Juni

17. Juni

21. Juni

26. Juni

4. Juli

6. Juli

8. Juli

9. Juli

10. Juli

11. Juli

12. Juli

14. Juli

19. Juli

20. Juli

29. Juli

7. August

17. August

28. August

29. August

3. September

6. September

15. September

21. September

22. September

25. September

6. Oktober

7. Oktober

8. Oktober

9. Oktober

13. Oktober

28. Oktober

7. November

15. November

19. November

25. November

30. November

1. Dezember

6. Dezember

9. Dezember

16. Dezember

19. Dezember

20. Dezember

22. Dezember

24. Dezember

31. Dezember

1. Januar 1885

13. Januar

19. Januar

1. Februar

4. Februar

13. Februar

26. Februar

21. März

1. April

8. April

10. April

11. April

20. April

30. April

18. Mai

26. Juni

3. Juli

8. Juli

Oktober 1886

Dezember 1886

1887/1888

5 Regime der Gnadenlosen

Duala-Region

Aalen und Ulm

Eine Zwischenfrage

Berlin, Südkamerun, Dahomey

Südkamerun

Berlin

Kamerun, Hamburg

Berlin

Duala

Hamburg, Duala

Berlin

Duala

6 Im deutschen Inselreich

Eduard Hernsheim: sein Aufstieg und die Ereignisse auf der Insel Luf

Queen Emma, die Frau im gesellschaftlichen Mittelpunkt der Kolonie

Wilhelm Solf und die etwas sanftere Art, ein herrischer Rassist zu sein

7 Das Heimweh einer arabischen Prinzessin

Das multikulturelle Reich der Sklaverei

Der Skandal und seine Vorgeschichte

Als Ehefrau und Witwe in Deutschland

Wer interessiert sich für Ostafrika?

Das deutsche Kreuzergeschwader vor Sansibar

Jahre der Enttäuschung

Schwierigkeiten des Gedenkens

8 »Solang Brasilien Kaffee hat«

»Coffee, Coffee muss ich haben«

»Kaufmann, Kleinbürger«

»Dem Welthandel keine Hindernisse«

»Der reichste Mann Hamburgs«

9 Krieg in Südwestafrika

Krieg

Vernichtung

Völkermord

Nachspiel

10 Das Erbe einer Epoche

Rathaus und Handelskammer

Museen

Chilehaus

HafenCity

Lettow-Vorbeck-Kaserne

Bismarck-Denkmal

Ausblick: Die Zukunft des Erinnerns

Expansion ohne Ende

Gesucht: das Positive

Kolonialverbrechen und Holocaust

Die Erinnerung teilen

Dank

Bildnachweis

Bildteil

Stichwortverzeichnis

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Register

Einleitung: Deutschland und der Kolonialismus

»Es gibt einen dunklen Weltteil, der Entdecker aussendet.«

Karl Kraus, Die Fackel (1909)

 

Lange bevor die Deutschen ein eigenes Kolonialreich gründeten, hatten sie sich an den Kolonialismus gewöhnt. Sie nannten ihn nicht so, sie brauchten überhaupt kein Wort dafür, denn es war eine schleichende Gewöhnung, die vor mehr als 300 Jahren anfing und ihren Alltag für immer veränderte – erst in der Küche oder bei geselligen Zusammenkünften, dann in ihren Kleiderschränken und Kommoden und schließlich überall. Der Kolonialismus kam langsam und freundlich zu den Deutschen; das Neue war angenehm wie weich fließende Baumwolle, es stammte von weither und war doch bald vertraut, sogar unentbehrlich. Welchen Grund hätte es geben sollen, etwas davon abzulehnen?

Zucker und Kaffee, Tee und Kakao, Tabak und Baumwolle fanden einen Platz im Leben der Menschen, als hätten sie immer dazugehört. Was gestern noch selten und kostbar oder völlig unbekannt war, erschien auf einmal schon als Selbstverständlichkeit.

Es dauerte nicht allzu lange, dann folgten Kokos- und Palmöl, Gummi und Kautschuk als Rohstoffe für Fabriken, in denen Seife, Kerzen, Margarine, Bratfett, Süßigkeiten, Klebstoff, Kämme oder Reifen hergestellt wurden. Nicht viel anders als heute gehorchte die Ökonomie kolonialer Produkte zumeist den Regeln von Angebot und Nachfrage: Kaufleute aus traditionsreichen Handelsstädten, allen voran Hamburg und Bremen, sorgten dafür, dass ihre Ware auf möglichst effiziente Weise nach Deutschland gelangte. Gerade unter den Hanseaten verstand es eine Händlergeneration nach der anderen, aus dem wirtschaftlichen und machtpolitischen Gefälle zwischen Europa und den übrigen Kontinenten ihren Nutzen zu ziehen, so wie sie den Gezeitenstrom nutzten, der ihre Schiffe die Flüsse hinab zum Meer trug.

Aus dieser Beobachtung leitet sich die These ab, die dem Buch zugrunde liegt und im Folgenden erläutert und belegt werden soll: Die deutsche Kolonialgeschichte wurde in erster Linie – und viel stärker als bisher zusammenhängend beschrieben – von hanseatischen Unternehmern geprägt. Durch ihre Geschäfte wirkten sie intensiv auf das alltägliche Leben ein, sie beeinflussten politische Entscheidungen und gründeten schließlich, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die ersten Kolonien des Deutschen Reichs.

Manche der Unternehmer stiegen aus kleinen Anfängen zu Beherrschern weltumspannender Handelsimperien auf. Der Reichtum fiel ihnen nicht in den Schoß, denn die Konkurrenz war groß und das Geschäft steckte voller Unwägbarkeiten. Aber sie alle nutzten die Tatsache aus, dass Menschen in weit entfernten Ländern für wenig oder gar kein Geld ihre Arbeitskraft hergeben mussten. In jeder Warenlieferung, die nach Europa verladen wurde, gingen der Schweiß, die Tränen und das Blut der Namenlosen mit auf die Reise. Doch davon blieb nach dem Ausladen, Weiterverarbeiten und Verkaufen scheinbar nichts mehr übrig. Am Ende der Lieferkette sah alles blitzblank aus.

Häufig verdienten die Händler auch an Geschäften in umgekehrter Richtung, durch den Export deutscher Erzeugnisse in die Kolonialgebiete – beliebt waren Textilien, Waffen, Schießpulver, Bier, scharfer Alkohol. Der Reichtum Schlesiens und Westfalens im 18. Jahrhundert beruhte zu einem großen Teil darauf, dass hanseatische Firmen die von den dortigen Webern hergestellten Leinenballen nach Südamerika und in die Karibik verschifften, wo aus dem Tuch billige Kleidung für die Frauen und Männer geschneidert wurde, die als Versklavte auf den Plantagen schufteten. Unter den portugiesischen, spanischen, englischen und anderen Sklavenhaltern hatten die robusten »Sletias« und »Osnabrughs« einen ausgezeichneten Ruf.

Aber rechtfertigt es tatsächlich die Bezeichnung Kolonialismus, wenn ein Hamburger Kaufmann im Jahr 1770 bei seinem Geschäftspartner in Breslau eine Ladung Leinen bestellte, um sie in Havanna gewinnbringend an einen Plantagenbesitzer zu verkaufen? In diesem Buch wird die Frage mit einem klaren Ja beantwortet. Es wäre viel zu kurz gedacht, wollte man den Begriff des Kolonialismus so stark einschränken, dass er nur den direkten Austausch zwischen Kolonialmacht und Kolonie umfasst. In der langen Epoche der europäischen Vorherrschaft über die Erde hatte die Dominanz viele Gesichter. Der Globalhistoriker Jürgen Osterhammel sieht im Kolonialismus darum ein »Phänomen von kolossaler Uneindeutigkeit«, das sich einer scharf umrissenen Definition entzieht.[1] In den folgenden Kapiteln wird das »Phänomen« von vielen Seiten beleuchtet, sodass seine Konturen hoffentlich deutlich hervortreten.

Mehrmals stehen einzelne Personen im Mittelpunkt. Liegt darin nicht eine unzulässige Vereinfachung? Sie ist jedenfalls nicht beabsichtigt. Menschen und ihre Handlungen können ähnlich vielschichtig sein wie die Strukturen, in denen sie sich bewegen und die sie mitgestalten. Und vermutlich lassen sich komplexe Ereignisse leichter erfassen, wenn ihre Darstellung dem roten Faden einer biografischen Erzählung folgt. Der sorgfältige Blick auf historische Vorgänge, ihre Hintergründe und Folgen ist in jedem Fall das wichtigste Anliegen, das hier verfolgt wird.

Dass der Kolonialismus bis heute nachwirkt, liegt auf der Hand; dieses Buch, das einen anderen Schwerpunkt hat, weist an manchen Stellen darauf hin. Um es mit einem Satz von William Faulkner zu sagen, dem Literaturnobelpreisträger aus dem US-amerikanischen Süden: »Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist nicht einmal vergangen.« Debatten von anhaltender Aktualität, wie sie etwa um die Rückgabe von Kunstwerken aus kolonialen Kontexten geführt werden, machen dies genauso deutlich wie geplante, geforderte oder bereits vollzogene Umbenennungen von Straßen und Institutionen. Museen, die bis vor wenigen Jahren den Begriff Völkerkunde im Namen trugen, heißen heute anders. Eine veränderte Haltung den eigenen Exponaten gegenüber ist allerdings noch nicht überall erkennbar; einen verblüffenden Fall von Ignoranz kann man in München besichtigen (siehe dazu Kapitel 4).[2]

Was haben die Commerzbank, Douglas, Edeka, Unilever und Aurubis gemeinsam? Alle diese bekannten und international tätigen Unternehmen haben ihre Wurzeln im Kolonialismus des 19. Jahrhunderts, vier von ihnen gehen auf Firmengründungen in Hamburg zurück. Und das fünfte, die 1898 als Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin (E. d. K.) gegründete Handelskette, bezog einen wichtigen Teil des Sortiments über den Hamburger Hafen. Das Geschichtsbewusstsein der Unternehmen geht allerdings bei allem Stolz auf die weit zurückreichende Historie nicht so weit, diesen Teil der eigenen Vergangenheit auszuleuchten.

Als die Deutschen schließlich in den Kreis der Kolonialmächte eintraten, konnten sie dies nur tun, weil der Kolonialismus in ihrem Land bereits tiefe Wurzeln geschlagen hatte. Auf dem Weg dorthin ging die Wirtschaft voran, begleitet vom Trommelschlag der Propagandisten, die von einem deutschen Imperium träumten. Dann erst trat der Staat in Aktion.

Es waren willensstarke Kaufleute aus Hamburg und Bremen, die das Land zur Kolonialherrschaft trieben. In Afrika fing es an: Durch Landerwerbungen und Verträge mit regionalen Anführern etablierten sie zunächst ihre eigenen Gebiete, deren Verwaltung sie dann dem Deutschen Reich zuschoben, das auch für den militärischen Schutz sorgte. So entstanden 1884 die damals »Schutzgebiete« genannten Territorien Deutsch-Südwestafrika und Kamerun, die ersten großen Besitzungen Deutschlands jenseits der europäischen Grenzen. Reichskanzler Otto von Bismarck, der staatliche Kolonien bis dahin abgelehnt hatte, war auf einmal der führende Kolonialherr der Nation. Wie es zu dieser spektakulären und für die Geschichte der deutschen Kolonialzeit entscheidenden Wendung kam, wird im vierten Kapitel so genau wie möglich nachgezeichnet.

Vom Fernhandel zur europäischen Expansion

Die koloniale Landnahme – meistens ein Raub, dem die Räuber mit einheimischer Hilfe einen legalen Anstrich gaben – hatte eine lange Vorgeschichte. Ohne den bis ins Mittelalter zurückreichenden Expansionsdrang der Europäer hätten die Deutschen niemals nach weit entfernten Territorien greifen können. Neben der Gewöhnung an den Kolonialismus im alltäglichen Umgang mit seinen Produkten war dies eine weitere Voraussetzung dafür, dass ab 1884 in Afrika, danach auch in der Südsee und über einem kleinen Teil Chinas die schwarz-weiß-rote Flagge des Kaiserreichs wehen konnte.

Der Austausch von Waren über große Entfernungen hatte seit jeher starke Kräfte freigesetzt. Dann kam es zu einer Zäsur: Durch den Niedergang des Mongolenreiches sowie den Aufstieg der Osmanen, die 1453 das christliche Konstantinopel eroberten, verschlossen sich die Handelswege in den Osten – die Seidenstraßen, die bis nach China führten. Doch auf den seit der Antike eingespielten Fernhandel, der ihnen Stoffe, Gewürze und Luxusartikel wie Porzellan lieferte, wollten die Europäer nicht verzichten. Portugiesische Seefahrer verfolgten mit neuer Entschlossenheit die schon ältere Idee, Afrika südlich zu umrunden, um dann quer über den Ozean zu segeln. Schließlich gelangte Vasco da Gama mithilfe eines arabischen Navigators von Lissabon nach Kalikut im Süden Indiens (heute Kozhikode). Den anderen, riskanteren Weg nach Asien suchte Christoph Kolumbus in spanischen Diensten: Er wollte so lange Richtung Westen fahren, bis er China oder Indien erreichen würde.

Als er 1492 von La Gomera kommend auf eine Küste stieß, glaubte Kolumbus, eine Insel gefunden zu haben, die vor dem indischen Festland liegt. In Bezeichnungen wie Indianer, Indios oder Westindien ist der welthistorische Irrtum sprachlich überliefert. Aber anders als dem Seefahrer, der stur an seiner Meinung festhielt, war vielen Europäern schnell klar, dass sie in ihre Weltkarten einen weiteren Kontinent einzeichnen mussten. Ein Schiff nach dem anderen segelte nun über den Ozean, auf einmal herrschte ein Entdeckungsfieber, Eroberungsfieber, Expansionsfieber, das gar nicht mehr aufhörte. In verschiedenen Varianten setzte sich der Rausch der Kolonisierung jahrhundertelang fort, kein Erdteil blieb davon verschont.

Da der Atlantik seinen alten Schrecken mit einem Schlag verloren hatte und – wie zuvor bloß das Mittelmeer – als maritimes Drehkreuz diente, begann die große Zeit der westeuropäischen See- und Kolonialmächte. Portugal und Spanien, die Niederlande, England, Frankreich, alles Länder mit ozeanischen Küsten, hatten ihre bedeutendsten Jahre vor sich. Dagegen kehrte der einstige Glanz der nach Osten orientierten Mächte nie mehr wieder; die kriegerische Handelsrepublik Venedig konnte nach Jahrhunderten weitgespannter Herrschaft bloß noch ihren Niedergang verlangsamen. In Deutschland büßte Lübeck seine alte Vorrangstellung unter den Hansestädten ein, denn nach der epochalen Wende hin zum Westen (die durch Passagen um das Kap der Guten Hoffnung und Kap Hoorn auch nach Asien und Ozeanien führte) war die Lage an der Ostsee ein Nachteil, der sich durch nichts ausgleichen ließ.

Hamburg und Bremen mit ihren Flusshäfen, die auf natürliche Weise durch die Nordsee mit dem Atlantik verbunden sind, etablierten sich stattdessen als führende Zentren des deutschen und europäischen Fernhandels. Ihr Weg zu Kolonialmetropolen war vorgezeichnet. Die Hanse löste sich als relevante Größe auf und wurde zu Folklore.

Die Triebkräfte der Expansion veränderten sich jahrhundertelang kaum. Schon bei Kolumbus war alles zusammengekommen, was territoriale und ökonomische Eroberer seitdem anspornte: die Suche nach Gold und anderen Reichtümern; der Wille, Menschen zu versklaven, also ihre Arbeitskraft so billig wie möglich zu nutzen; der Glaube an eine ideologische Rechtfertigung, sei es die christliche Mission oder, in späterer Zeit, ein vermeintlicher zivilisatorischer Auftrag.

Sogar die Abschaffung der Sklaverei im Lauf des 19. Jahrhunderts hat an der Härte, mit der viele Europäer ihre Interessen durchsetzten, nur wenig geändert. Die deutschen Kolonialherren in Afrika waren berüchtigt für ihre Prügelstrafen mit der Nilpferdpeitsche, ihr Wirtschaftssystem beruhte auf Zwangsarbeit. Verschleiert wurde die brutale Behandlung der Einheimischen oft durch pädagogisierende Betrachtungen: »Erziehung durch Arbeit« galt als wegweisende Idee, nützlich für Kolonisierer und Kolonisierte. So wurde die Zwangsarbeit in vollendeter Perversion zur zivilisationsfördernden Wohltat verklärt. In einer Zeit, in der ein Rohrstock zur Grundausstattung vieler Eltern und Lehrer gehörte, dürfte es den meisten daheim im Reich nicht schwergefallen sein, so etwas zu glauben. Ein Übriges tat der Rassismus, von dem die Gesellschaft durchdrungen war. Wissenschaftliche und philosophische Theorien über die Ungleichheit verschiedener »Menschenrassen« gingen mit der radikalen Unterdrückung von Nichteuropäern seit Langem Hand in Hand.

Nach der streng kommerziellen Logik mancher Geschäftsleute ließ sich eine Zwangslage allerdings auch einfach so ausnutzen, ganz ohne Rassismus. Abertausende Auswanderer aus Deutschland und anderen europäischen Ländern bekamen zu spüren, was das bedeuten konnte: Hart kalkulierende Reeder sperrten die Menschen auf den wochen- und monatelangen Überfahrten in Zwischendecks ohne Licht und Luft, bei grauenhaften hygienischen Verhältnissen. Waschwasser gab es so gut wie gar nicht, das Trinkwasser war faulig, das Essen karg und häufig verdorben. Bei der Ankunft litten viele der malträtierten Passagiere an Skorbut, obwohl es längst einfache Mittel gab, der altbekannten Mangelkrankheit vorzubeugen, etwa durch Sauerkraut oder Zitronensaft. Aber bis hinein in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hielten es führende hanseatische Unternehmer nicht für nötig, diese Lebensmittel für die Masse ihrer Kunden mit an Bord zu nehmen. Ihr Profit ging vor. Die Misshandlung vieler Auswanderer zeigt ein weiteres Mal, wie eng Kolonialismus und kaufmännisches Gewinnstreben miteinander verbunden waren.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts endeten die Verteilungskämpfe der expansiven Staaten. Voller Stolz erklärte der Chef des Reichskolonialamts in Berlin: »Deutschland hat das drittgrößte Kolonialreich der Welt«.[3] Den Höhepunkt erreichte die Dominanz der Kolonialmächte nach dem Ersten Weltkrieg, einige wenige Staaten beherrschten nun die Hälfte der gesamten Landfläche (die unbewohnte Antarktis nicht mitgerechnet): Großbritannien, Frankreich, Portugal, Belgien, die Niederlande, Italien, Russland, Japan, die USA.[4]

Das Deutsche Reich gehörte als Verlierer des Krieges nicht mehr zu diesem Kreis. Der Versailler Vertrag besiegelte die Gebietsabtretungen mit der bewusst demütigenden Begründung, die Deutschen seien als Kolonialherrscher ungeeignet. Da es keine stichhaltigen Argumente gab, warum das Regime der Engländer, Franzosen oder Belgier effizienter und humaner sein sollte, ließ sich die Versailler »Koloniallüge« propagandistisch gut ausschlachten. Am Ende nutzte die leichtsinnige Demütigung den Nationalsozialisten, die während der Weimarer Republik große Energie aus dem Hass auf den »Diktatfrieden« von 1919 zogen.

Verdrängung und neu erwachtes Interesse

Nach dem Untergang des Nazireichs kehrten sich die Vorzeichen um. Hatten die Deutschen die Jahre ihrer Kolonialherrschaft gerade noch für sehr bedeutend gehalten, redeten sie jene Ära nun konsequent kleiner, als sie tatsächlich gewesen war (vor allem in der Bundesrepublik). Aus der relativ kurzen Zeit der formalen Machtausübung ließ sich mühelos ein Entlastungsargument ableiten – was nicht lange gedauert hatte, konnte keine tiefen Spuren hinterlassen haben. Und die (westlichen) Siegermächte hatten genug damit zu tun, die Bundesbürger an ihre Verantwortung für die NS-Verbrechen zu erinnern. Außerdem wurden Franzosen und Briten durch die Dekolonisierung mit ihrer eigenen Gewaltgeschichte konfrontiert.

Während die DDR sich nur auf politisch genehme Traditionslinien stützte und alles Übrige, auch den Kolonialismus, dem Westen zuschob, gelang dem kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik eine andere Verdrängungsleistung: Die deutsche Kolonialvergangenheit wurde bei den harmlosen Kuriositäten der älteren Geschichte abgespeichert. Ausnahmen gab es, etwa in der Studentenbewegung, was sich dann zum Beispiel in Uwe Timms Roman Morenga niederschlug.

Erst nach der Jahrtausendwende erwachte ein etwas breiteres Interesse, das durch antirassistische Gruppen im Umfeld von Black Lives Matter beflügelt wurde und bis heute anhält. Dennoch sind wesentliche Ereignisse, Personen und Zusammenhänge aus der Kolonialzeit weiterhin so gut wie unbekannt. Die Schulen tun wenig, um daran etwas zu ändern.[5] Aus den Lehrplänen für die Klassen 7 bis 10 geht hervor, dass die Schülerinnen und Schüler nur in vier Bundesländern (Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt) beim Thema Kolonialismus auch etwas über die deutsche Beteiligung erfahren sollen.

Das folgende erste Kapitel beschreibt die Zeit, als sich der Kolonialismus in Deutschland tief zu verankern begann. Im Mittelpunkt steht ein Produkt, der Zucker, sowie ein Unternehmer, der als Eigentümer von Zuckerplantagen und versklavten Frauen und Männern von einem reichen zu einem sehr reichen Mann wurde.

In Kapitel 2 wollen einige Hamburger Kaufleute das Beste für sich, ihre Stadt und die gesamte Menschheit. Allerdings bleiben sie gefangen im Rassismus der aufgeklärten Bürger ihrer Zeit.

In Kapitel 3 segeln die Schiffe von der Elbe bis in die Südsee. Ein allzu gieriger Unternehmer gerät nach großen Erfolgen in Schwierigkeiten, auch der Reichskanzler kann nicht mehr viel für ihn tun.

In Kapitel 4 gründen ein Bremer Tabakhändler und ein Hamburger Großkaufmann die ersten deutschen Kolonien. Der Reichskanzler erfüllt ihnen fast jeden Wunsch.

In Kapitel 5 erinnern rechtskundige Afrikaner die deutschen Kolonialherren daran, welche Zusagen beide Seiten einmal unterschrieben haben. Das geht für die Afrikaner nicht gut aus.

In Kapitel 6 konkurrieren deutsche Unternehmer um die Vorherrschaft in der Südsee. Der Traum von einem sanften Kolonialregime bleibt eine Illusion.

In Kapitel 7 heiratet eine sansibarische Prinzessin einen Hamburger Kaufmann. Das Deutsche Reich spannt sie für die Kolonialpolitik in Ostafrika ein.

In Kapitel 8 steigt Deutschland zu einem Weltzentrum des Kaffeehandels auf. Aus dem Hamburger Freihafen wächst die prächtige Speicherstadt, die vom Kaiser eingeweiht wird.

In Kapitel 9 führen die Deutschen Krieg und begehen ihren ersten Völkermord. Ein bedeutender Reeder verdient daran, weil er das Monopol für die Truppentransporte nach Südwestafrika hat.

In Kapitel 10 kommt in Hamburg, der Hauptstadt des deutschen Kolonialismus, das Erbe jener Zeit in den Blick, auch der Zoo gehört dazu. Was wird an den geschichtsträchtigen Orten gezeigt und erklärt?

Mit der Gegenwart der Vergangenheit befasst sich der abschließende Ausblick. Die seit einigen Jahren viel diskutierte Frage, ob die Beschäftigung mit der Kolonialzeit unsere Perspektive auf den Holocaust verändert, soll dort analysiert und vorsichtig beantwortet werden.

Mit diesem Buch schließt sich für mich ein Kreis. Immer wenn ich mich als junger Redakteur im früheren Hamburger Spiegel-Haus an meinen Schreibtisch setzte, fiel mein Blick aus dem Fenster im 9. Stock auf die Speicherstadt. Mittags ging ich manchmal hinüber, lief ohne besonderes Ziel an den Backsteinfassaden vorbei, sah die Hafenarbeiter, die aus flachen Schuten Säcke und Kisten nach oben in die Speicher hievten. Aus manchen Gebäuden duftete es nach Gewürzen und Kaffee, sodass ich mich in eine andere Welt, eine andere Zeit versetzt fühlte, ehe ich auf dem Rückweg wieder die mit Stacheldraht gesicherte Zollgrenze des Freihafens passierte.

Ich sah viel, damals vor mehr als dreißig Jahren, aber inzwischen weiß ich, dass ich nur wenig verstanden habe. Erst lange Zeit danach, als die Grenzanlage längst abmontiert war, fing ich an zu begreifen, welche Kräfte zum Bau des prachtvollen Ensembles geführt hatten. Seit 2015 zählt es zum UNESCO-Weltkulturerbe und ist der Stolz der Stadt. Doch ohne den Import von Kolonialwaren, die von unfreien Menschen angebaut, geerntet und abtransportiert wurden, hätte es all das wohl nicht gegeben. Die Hamburger Speicherstadt dürfte das größte und bedeutendste Denkmal des Kolonialismus in Deutschland sein. Vielleicht wird darüber eines Tages auch in der Stadt gesprochen, die von diesem Aspekt ihres bewunderten Erbes bisher kaum Notiz genommen hat.

Editorische Notiz

Eine Bemerkung zum Umgang mit der Sprache, die wir in den Quellen aus früheren Jahrhunderten vorfinden. Die schriftlichen Dokumente aus der Kolonialgeschichte sind voll von rassistischen Formulierungen, die heute nur noch schwer erträglich sind. Dies lässt sich oft dadurch abmildern, dass die dargestellten Sachverhalte ohne wörtliche Zitate referiert werden. Allerdings gibt es auch Aussagen, die gerade in ihrer Härte einen relevanten Beitrag zum Verständnis des damaligen Denkens und Handelns leisten.

Nach sorgfältiger Abwägung habe ich mich dafür entschieden, den Leserinnen und Lesern einige wenige Quellen dieser Art im Original zuzumuten, ohne mit Umschreibungen wie N-Wort in das Vokabular einzugreifen. Ausschlaggebend war für mich, dass diese Passagen im vorliegenden Buch doppelt kontextualisiert sind: Es handelt sich um historische Zitate, die zudem von mir eindeutig als rassistisch charakterisiert werden.

Angepasst an heutige Lesegewohnheiten habe ich die Rechtschreibung, die nun überall den aktuellen Schreibweisen folgt (z. B. »dass« statt »daß«, »Sansibar« statt »Zanzibar«, »Träne« statt »Thräne«). Ausgenommen davon sind Eigennamen und Buchtitel.

1 Der bittere Zucker des Herrn Schimmelmann

Von Hamburg und Kopenhagen aus steuert der reichste Unternehmer Europas seine transatlantischen Geschäfte.

 

Früh am Morgen des 15. August 2008 machen sich zwei Männer vor dem Rathaus von Hamburg-Wandsbek an einer Bronzebüste zu schaffen. Unangekündigt und in aller Stille demontieren sie das Porträt von Heinrich Carl Schimmelmann und schaffen es weg – wohin, sagen sie nicht.[6]

Damit endet eine harte Auseinandersetzung, die fast zwei Jahre zuvor begonnen hat. Im September 2006 wurde das Schimmelmann-Denkmal eingeweiht, die Hamburger Kultursenatorin verlieh dem Festakt etwas politischen Glanz. Gefeiert wurde ein Wohltäter, ein genialer Unternehmer und »Begründer der wirtschaftlichen Stärke Wandsbeks«, wie es auf der Texttafel zum Porträt hieß. Irgendwelche Schattenseiten? Ach ja, in einer eingeklammerten Nebenbemerkung war auch von »Sklaven« die Rede.

Gleich danach begannen die Proteste. Angeführt von der Hamburger Black Community und den Grünen im Wandsbeker Rathaus wurden Stimmen laut, die sich gegen die Aufstellung der Büste und die blumige Darstellung im Text aussprachen. Zweimal schütteten Unbekannte rote Acrylfarbe über die Bronzeplastik, die beide Male mühsam gereinigt wurde. Schließlich verschwand das Denkmal für immer aus der Öffentlichkeit.

Wer war der Mann, dessen Andenken mehr als zwei Jahrhunderte nach seinem Tod für erbitterten Streit sorgte? Es lohnt sich, dieser Frage ausführlich nachzugehen. Zu entdecken ist eine ganz und gar ungewöhnliche Lebensgeschichte, die wie nur wenige andere hineinführt in die Verflechtungen deutscher Städte und Länder mit der Welt des Kolonialismus im 18. Jahrhundert – lange bevor das geeinte Kaiserreich begann, mit staatlichen Machtmitteln auf andere Kontinente auszugreifen. Es waren Kaufleute wie Schimmelmann, die Deutschland an die wirtschaftliche Logik kolonialer Herrschaft gewöhnten.

Schimmelmanns Aufstieg

Eine erste Pleite als blutjunger Firmengründer in Hamburg hat Heinrich Carl Schimmelmann bereits hinter sich, als er ein paar Tagesreisen elbaufwärts, in Dresden, den Grund zu seinem gewaltigen Vermögen legt. In der Residenzstadt des sächsischen Kurfürsten handelt er mit Kolonialwaren – Zucker, Kaffee, Tabak – und erwirbt in Windeseile das Bürgerrecht. Kein Geringerer als der in Sachsen allmächtige Minister Heinrich Graf von Brühl, der über einen Hofstaat von 300 Personen gebietet,[7] hält seine Hand über den jungen Norddeutschen mit dem erstaunlichen Geschäftssinn. Schimmelmann ist 21 Jahre alt und schon ein erfahrener Kaufmann.[8]

Seine Eltern hätten es kaum für möglich halten können, wäre ihnen vorhergesagt worden, dass ihr jüngster, am 13. Juli 1724 geborener Sohn einmal der wohl reichste Geschäftsmann Europas werden würde, ein Unternehmer, der Landgüter, Schlösser und eine Waffenfabrik besitzt, Plantagen in der Karibik betreibt, Menschen in Sklavenschiffe sperrt und sich mit Adelstiteln und Orden schmücken darf.[9] Schimmelmanns Vater ist Ratsherr und Getreidehändler in der alten pommerschen Hansestadt Demmin, ein ehrbarer Bürger ohne weiterreichende Ambitionen. Weil Heinrich Carl einmal das Geschäft übernehmen soll, wird er zu einem Stettiner Seidenhändler in die Lehre geschickt. Dort hält er es jedoch nicht lange aus, offensichtlich hat er Größeres im Sinn und macht sich als Warentransporteur in Hamburg selbstständig. Nach seiner Pleite – einem »beträchtlichen Bankrott«, wie ein Zeitgenosse notiert – kehrt er Hamburg erst einmal den Rücken.

Genaueres ist von dem leidigen »Falliment« ebenso wenig bekannt wie von Schimmelmanns nächsten Unternehmungen. Ehe er sich in Dresden niederlässt, hat er anscheinend als Heereslieferant gute Geschäfte mit den Preußen gemacht. König FriedrichII. ist wieder einmal auf den Schlachtfeldern unterwegs, im Zweiten Schlesischen Krieg ringt er seine österreichische Kontrahentin Maria Theresia und die mit ihr verbündeten Sachsen nieder. Große Teile Schlesiens werden nach dem Dresdner Friedensschluss dauerhaft preußisch, die Bergleute und Leinweber der Region tragen nun dazu bei, die Kassen des kriegerischen Monarchen zu füllen. Schimmelmann gelingt das Kunststück, sowohl die preußischen Sieger als auch die sächsischen Besiegten für sich einzunehmen. Zu seinen Begabungen gehört die besondere Fähigkeit, vielen Herren zu dienen und dabei immer an sich selbst zu denken.

Mit 22 Jahren heiratet er in Dresden die fünf Jahre jüngere Caroline Tugendreich Friedeborn, Tochter eines preußischen Offiziers; bald kommt der erste Sohn zur Welt, Ernst Heinrich. Geschäftlich geht es weiter aufwärts. Schimmelmann unterhält gute Kontakte zum Berliner Bank- und Handelshaus Splitgerber & Daum, dem größten Privatunternehmen in Friedrichs Reich, das vor allem mit Waffen und Kolonialwaren handelt und fünf königlich privilegierte Zuckerraffinerien betreibt.[10] Bei einer der Berliner Raffinerien nimmt Schimmelmann einen größeren Kredit auf, den er mit äußerst günstig erworbenen sächsischen Schatzanweisungen zurückzahlt. Geschäfte dieser Art sind zwar nicht legal, aber hochprofitabel.

Dass er es sich erlauben kann, an die Grenzen und darüber hinaus zu gehen, zeigt sich auch in seiner neuen Position als Steuereintreiber. Für 8800 Taler jährlich pachtet Schimmelmann die Akzise auf Kaffee, eine frühe Form der Umsatzsteuer. Bald darauf erweitert er seinen Radius, indem er gemeinsam mit dem Geheimen Kriegsrat Joseph Graf von Bolza die sächsische Generalakzise auf Kaffee, Tabak, Wein und Branntwein übernimmt. Offenkundig legen die beiden Steuerpächter ihre Befugnisse sehr weit aus. Jedenfalls werden im Land Klagen laut, dass sie sich aus internen Firmenpapieren ein genaues Bild von den Geschäften der Importkaufleute machen und diese Informationen für den eigenen Handel nutzen. Minister Brühl lässt sich durch die Anschuldigungen allerdings nicht davon abhalten, Schimmelmann und Bolza zu Verwaltern und Teilhabern seiner Manufakturen einzusetzen; ein späterer Historiker bezeichnet die beiden in diesem Zusammenhang ebenso merkwürdig wie treffend als »dunkle Ehrenmänner«.[11]

Zucker gelangt Mitte des 18. Jahrhunderts ausschließlich von Hamburg nach Dresden. Was sollte dagegen sprechen, das Monopol der Hanseaten zu brechen, so wie es Preußen und andere vorgemacht haben? Im Februar 1756 schlägt Schimmelmann seine neue Geschäftsidee vor, die Errichtung einer Zuckerraffinerie in Dresden.[12] Die Dimensionen seines Projekts rufen Staunen und Kopfschütteln hervor: mehr als 100 000 Reichstaler Startkapital und dann jährliche Investitionen von 300 000 Taler, weil hochwertige Gerätschaften und gut geschulte Spezialisten benötigt würden. Dass der sächsische Kurfürst am Ende der Beratungen den Daumen senkt, liegt wohl nicht zuletzt daran, dass Schimmelmann unlautere Absichten unterstellt werden: Ministerialbeamte vermuten, dass er seine guten Beziehungen zu Splitgerber & Daum dazu nutzen wolle, fertigen Zucker aus Preußen einzuschmuggeln – zum Nachteil sächsischer Geschäftsleute.

Schimmelmann hält sich nicht lange mit seiner Niederlage auf, und bald bieten sich neue Gelegenheiten. FriedrichII. hat wieder einen Krieg vom Zaun gebrochen und marschiert als Sieger in Dresden ein. Im November 1756 lässt der König, der sich im Brühlschen Palais einquartiert hat, Schimmelmann zu sich rufen. Anschließend erhält der Unternehmer und sächsische Steuereintreiber den Titel eines Preußischen Geheimrats und darf Friedrichs Armee mit Getreide beliefern – offensichtlich ist es Schimmelmann gelungen, den strengen Herrscher zu beeindrucken.

Da ist es kein Wunder, dass die nächste lukrative Abmachung nicht lange auf sich warten lässt. Der Preußenkönig hat bei seinem Einmarsch ins Nachbarland den Lagerbestand der Meißener Porzellanmanufaktur erbeutet: Meisterwerke handwerklicher Kunst, das sächsische »weiße Gold«. Für 120 000 Taler überträgt er Schimmelmann nicht nur das gesamte Porzellan mit dem blauen Signet der gekreuzten Schwerter, sondern auch das Recht, fehlende Stücke »gegen Bezahlung der Arbeitskosten« in Meißen anfertigen zu lassen.

Wie gewohnt versucht Schimmelmann weiterhin, zwischen sächsischen und preußischen Interessen zu lavieren, aber selbst er ist davon nun überfordert. FriedrichII. will ihn ganz für sich gewinnen, zunächst wägt der Geschäftsmann jedoch die Vor- und Nachteile ab. Im Sommer 1757 steht der Umzug an. Sein Meißener Porzellan ist sorgfältig in mehr als hundert Kisten verpackt. Begleitet von seiner Frau Caroline, den inzwischen fünf gemeinsamen Kindern und einem Tross von Bediensteten und Handelsgehilfen lässt er Dresden für immer hinter sich. Doch sein Reiseziel liegt nicht auf preußischem Boden. Schimmelmann zieht nun dorthin, wo die Erinnerung an seinen früheren Bankrott längst verblasst ist, den Ort, der weite Teile Deutschlands mit Kolonialwaren versorgt: die prosperierende Hafenmetropole Hamburg.

Wie der Zucker in den Kaffee kommt

Dass Hamburg für den europäischen Handel so bedeutend ist, verdankt die Stadt ihrem direkten Anschluss an den Atlantik via Elbe und Nordsee. Immer mehr Menschen leisten sich im 18. Jahrhundert den regelmäßigen Genuss tropischer und subtropischer Produkte. Eines ragt heraus: der Zucker. Er dürfte neben der Baumwolle die umsatzstärkste Handelsware der gesamten Kolonialzeit sein.[13]

In der Geschichte der Menschheit ist der Zucker eine jener unauffälligen, aber gewaltigen Mächte, die tief in das Leben der Einzelnen und der Nationen eingreifen. Zu Schimmelmanns Lebzeiten sind die außergewöhnlich harten Konditionen seiner Herstellung kein Geheimnis (dazu unten mehr). Manche mögen damals schon erkannt haben, dass die Gier nach dem Extrakt pflanzlicher Süße ganze Landstriche groß und wieder klein machen kann. Auch die zersetzende Wirkung auf Abermillionen Zähne hätte vielleicht nicht jeden überrascht. Aber dass der Siegeszug des Zuckers eines Tages eine globale Epidemie ganz wesentlich verursachen würde, die Fettleibigkeit – dies vermochten wohl selbst dystopisch gestimmte Fantasten nicht vorauszuahnen.

Im atlantischen Raum sind es gegen Ende des Mittelalters Portugiesen und Spanier, die auf Madeira, São Tomé und den Kanarischen Inseln umfangreiche Zuckerpflanzungen anlegen.[14] Von den Kanaren nimmt Kolumbus 1493, bei seiner zweiten Ozeanüberquerung, einige Setzlinge mit nach Amerika. Rund zwei Jahrzehnte später gelangt der erste Rohzucker aus der Karibik nach Europa. Auch in Brasilien entstehen große Plantagen, der europäische Zuckermarkt ist zunächst fest in portugiesischer Hand. Das ändert sich, als die Engländer Mitte des 17. Jahrhunderts auf Barbados und Jamaika ihr Kolonialregime etablieren und Pflanzer anwerben.

Bis dahin ist Zucker eine Kostbarkeit für Adlige und reiche Bürger. Sie können sich nicht nur Bonbons, Karamell, Marzipan, eingelegtes Obst, gebrannte Mandeln oder süße Biskuits leisten, sondern ihre Festtafeln mit ganzen Skulpturen aus Zucker dekorieren.[15] Alle anderen verkosten die pflanzlichen Kristalle höchstens als Medizin – je weißer und feiner, desto besser. Helfen soll das Mittel gegen Fieber, Erkältungen und Schmerzen aller Art. Ein französisches Lehrbuch von 1615 schreibt den Apothekern vor, dass sie stets einen besonderen Schrank für Zuckerwerk und Konfekt besitzen müssen.[16] Aus dem lateinischen Namen lässt sich die alte Geschichte noch herauslesen: Saccharum officinarum, Apothekerzucker, so heißt die ökonomisch bedeutendste Art des Zuckerrohrs. Seine Setzlinge wachsen zu weichen, saftigen Stängeln heran, die geerntet werden, wenn sie ungefähr fünf Zentimeter dick und vier bis fünf Meter hoch sind.[17] Damit der süße Pflanzensaft nicht verdirbt, muss die Ernte sofort verarbeitet werden.

Nach einer Aufzeichnung von 1593 liegt der Verkaufspreis für ein Pfund Zucker bei 12 Schillingen, ein Pfund Honig kostet bloß 2 Schillinge.[18] Im Lauf eines Jahrhunderts wandelt sich der Zucker jedoch zu einem gewöhnlichen Lebensmittel, das sich auch die einfachen Leute in weiten Teilen Europas zunehmend leisten können. Angefacht wird die Nachfrage durch die Wechselwirkung mehrerer Produkte, die aus den Kolonien und China auf den Kontinent gelangen: Neben dem Zucker sind dies Kaffee und Tee, später kommt noch der Kakao hinzu. Es handelt sich um Genussmittel, die reich an Bitterstoffen sind und von den meisten Europäern, anders als in ihren Ursprungsländern, am liebsten mit etwas Zucker konsumiert werden.

Für seine 1723 verfasste Komödie Die Wochenstube schreibt der norwegisch-dänische Schriftsteller Ludvig Holberg einen Dialog, der den Umgang mit Zucker in einem bürgerlichen Haushalt zeigt: »Ich muss auch gleich noch Geld zu einem Hut Zucker haben, es ist kein feiner Zucker mehr im Hause.« – »Der Zucker schon alle? Na, das ist doch, um einen armen Mann auf einmal zu ruinieren! Für Zucker geb’ ich kein Geld mehr, sie können braunen Zucker nehmen, der ist lange gut.« – »Ei Meister, man kann doch nicht braunen Zucker zum Kaffee nehmen, wenn solche Fremde da sind?«

Lange Zeit ist der Zucker zu teuer, um ihn in großen Mengen als Konservierungsmittel zu nutzen. Kandierte Früchte und Ähnliches bleiben für die meisten eine seltene Leckerei. Als der süße Stoff dann im 19. Jahrhundert abermals billiger wird, entwickelt sich eingekochtes Obst in Form von Marmelade, Konfitüre, Gelée, Mus, Kompott zu einem Volksnahrungsmittel. Das Marmeladenbrot, das zwei oder drei Generationen vorher noch als Delikatesse betrachtet worden wäre, wird zum gewöhnlichen Frühstück vieler Arbeiterfamilien.

Gleichzeitig nimmt der Konsum von Schokolade und gesüßten Brausen in der industrialisierten Welt enorm zu. Zwischen 1870 und 1945 verzehnfacht sich die weltweite Zuckerproduktion, der Anstieg übertrifft das Bevölkerungswachstum um das Vierfache.[19] Der gesundheitsgefährdende Siegeszug des Zuckers ist nicht mehr aufzuhalten.

Schimmelmann errichtet sein Geschäftsimperium

1757 erregt Schimmelmanns Ankunft in Hamburg große Aufmerksamkeit – begleitet von ausgeprägtem Misstrauen. Wie kann es sein, wundern sich viele an der Elbe, dass dieser vermögende und erfolgreiche Mann den Preußenkönig düpiert und seinen Sitz in einer Stadt nimmt, die sich seit Langem als frei und unabhängig versteht, keinem Landesfürsten untertan? Welche verborgenen Absichten stecken womöglich dahinter, zum Schaden der eingesessenen Kaufmannsfamilien?

Darum muss Schimmelmanns Ansinnen, das Hamburger Bürgerrecht zu erlangen, mit besonderer Sorgfalt geprüft werden. Senatssyndikus Peter Amsinck, verantwortlicher Jurist der Stadtregierung, trägt alle Argumente in einem Gutachten zusammen und kommt am entscheidenden Punkt trotzdem nicht weiter. Über Friedrich II. und sein Verhältnis zu Schimmelmann schreibt er, es sei ihm »unbegreiflich, wie dieser Herr, welcher bekanntermaßen so geneigt ist, aus fremden Landen begüterte Personen in seine Reiche und an sich zu ziehen, einem, der durch Ihn selbst zu Reichtümern gelanget ist, erlauben sollte, anderswo sich niederzulassen«. Eine konkrete Befürchtung Amsincks besteht darin, dass Schimmelmann das solide Finanzsystem des Stadtstaats in Turbulenzen stürzen könnte. Als Währung für ihre Geschäfte haben die Hamburger schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Mark Banco etabliert, die durch eingelagerte Silberbarren gedeckt ist, aber nicht in Münzgeld ausgeprägt wird.[20] Das sorgt für außerordentliche Stabilität auch in Zeiten der Münzverschlechterung, wie sie immer wieder betrieben wird – vor allem dann, wenn es gilt, Kriegszüge zu finanzieren. Dass der Preußenkönig nicht davor zurückscheut, am Silber für seine Münzen zu sparen und dadurch das Geld zu entwerten, ist bekannt; später stellt sich tatsächlich heraus, dass Schimmelmann an den Machenschaften intensiv mitwirkt und mitverdient. Amsinck warnt also nicht ohne Grund: Der ebenso reiche wie raffinierte Unternehmer könne die Inflation nach Hamburg einschleppen, sollte er das mit dem Bürgerrecht verbundene Recht erhalten, ein Konto bei der städtischen Bank zu eröffnen. Darum erhält der Zuzügler nur das Fremdenrecht, aber nicht das Bürgerrecht.

Diese Art der Zurückweisung hätte empfindlichere Gemüter sicherlich schwer getroffen, Schimmelmann zuckt jedoch nur mit den Schultern. Vorsorglich hat er bereits einen seiner Handelsvertreter dazu verpflichtet, sich als Hamburger Bürger eintragen zu lassen. Den treu ergebenen Gottlieb David Lehmann wird er gelegentlich als Strohmann benutzen, manchmal unterzeichnet er Briefe einfach selbst mit Lehmanns Namen, nur die Handschrift verrät ihn. Für 15 000 Taler erwirbt Schimmelmann ein herrschaftliches Stadtpalais am Fuß der St. Michaeliskirche, einem der Hamburger Wahrzeichen (»Michel«). Da er diesen Wohn- und Geschäftssitz, den er prunkvoll ausbauen lässt, aus rechtlichen Gründen nicht auf seinen Namen eintragen lassen kann, schiebt er auch hier in bewährter Weise Strohmänner vor. Ein weiteres Stadthaus lässt er sich 10 000 Taler kosten. In sein Palais am Michel lädt Schimmelmann nun zu glanzvollen Diners und Bällen ein, mit denen er weit über Hamburg hinaus für Gesprächsstoff sorgt; bis zu seinem Tod wird dort einer seiner bevorzugten Aufenthaltsorte sein.

Im Sommer 1758 erscheinen im Hamburgischen Correspondenten Annoncen, die den Verkauf »einer ansehnlichen Partie sächsischen Porzellans« ankündigen, »bestehend in Tee-, Kaffee- und Tafel-Servicen, Schrank- und Kamin-Aufsätzen, Plat de Menagen, Terrinen, allerhand Figuren, Tiere und Vögel«. Zwei Makler zeichnen verantwortlich, Schimmelmanns Name bleibt ungenannt. Bei denen, die es sich leisten können, sind die Erzeugnisse der Meißener Manufaktur überaus beliebt, unter den Käufern befinden sich auch Adlige und Gutsbesitzer aus Holstein. Einige der Porzellankisten gehen bis nach England. Die Investition während der Dresdner Zeit hat sich für den Verkäufer gelohnt.

Trotz der Vorbehalte, die ihm nach seiner Ankunft entgegenschlugen, hat sich Schimmelmann in Hamburg fest etabliert. Wieder einmal erweitert er nun seinen Wirkungskreis. Für 180 000 Taler erwirbt er das nördlich der Hafenstadt gelegene Gut Ahrensburg, auf dem das prächtigste Schloss des holsteinischen Landadels steht. Der Kaufvertrag listet neben 16 Pferden, 17 Ochsen, 27 Schweinen und 486 Schafen auch 319 schollengebundene und frondienstpflichtige Leibeigene auf, mitsamt ihren Kindern. Während in Ahrensburg noch umfangreiche Aus- und Umbauten im Gange sind, legt er sich einen weiteren Herrensitz zu, Wandsbek im Osten Hamburgs. Das Herzogtum Holstein, in dem beide Güter liegen, untersteht dem dänischen König.

Die sich nun eröffnende Verbindung zu Dänemark wird sich für Schimmelmann als enorm lukrativ und prestigeträchtig erweisen. Mit Familie und Gefolge quartiert er sich 1761 in einem Kopenhagener Stadtpalais ein. Mehrere führende Männer am Königshof stammen aus deutschem Adel; sie können es kaum erwarten, ihn kennenzulernen, »diesen berühmten Unternehmer, der im gegenwärtigen Krieg etwa anderthalb Millionen gewonnen hat«, wie Andreas Peter Graf von Bernstorff schreibt. Der spätere dänische Außenminister sieht in dem bürgerlichen Aufsteiger »einen Mann voller Feuer und Ideen, der von seinem immensen Vermögen sehr guten Gebrauch macht«.

Die Dänen wollen sich die Expertise des so Gelobten verständlicherweise zunutze machen und bieten ihm den Titel eines Kammerherrn an, der für jährlich 6000 Taler gelegentlich die Regierung beraten soll. Aber Schimmelmann findet den offerierten Titel zu dürftig. Königlich Dänischer Generalkommerzintendant, das hört sich schon besser an. Außerdem wird ihm die Nachfolge des dänischen Gesandten in Hamburg in Aussicht gestellt. Nun willigt er ein. Wenn er fortan in seinem Sechs- oder Achtspänner, umgeben von livrierten Dienern, die Hamburger Stadttore passiert, muss die Torwache heraustreten und strammstehen.

Noch im selben Jahr erwirbt er für 40 000 Taler das bislang gemietete Stadtpalais in Kopenhagen und richtet dort bald seinen zweiten Geschäftssitz ein. Rasch ist auch ein passendes Landgut gefunden, Lindenborg im nördlichen Jütland. Seiner Erhebung in den Adelsstand steht jetzt nichts mehr im Weg: Im Februar 1762 wird aus dem Kaufmannssohn der hochmögende Baron von Schimmelmann. Als Ritter des Dannebrogordens (Großkreuz) darf er sich auch gleich ein kleidsames Schmuckstück an die Brust heften.

Seinem Ruf als zupackender Macher wird Schimmelmann vollauf gerecht. Für die desolaten Staatsfinanzen entwirft er ein Sanierungsprogramm, das unter anderem eine Kopfsteuer in Höhe eines Reichstalers vorsieht – für Wohlhabende eine Kleinigkeit, für die Masse der Armen aber eine schwere Belastung. Außerdem sollen die Städte in den von Dänemark beherrschten Herzogtümern eine Zwangsanleihe aufnehmen. Nach alter dänischer Auffassung gehört auch Hamburg zu Holstein, was an der Elbe vehement bestritten wird. Die Hamburger sollen eine Million Reichstaler auf mehrere Jahre abgeben, und weil sie das nicht wollen, lässt der König seine Armee so lange bedrohlich vorrücken, bis die Stadtregierung einlenkt. Später kommt es zu einem Kompromiss, den Schimmelmann vermittelt und der im Mai 1768 in dessen Palais am Hamburger Michel unterzeichnet wird.[21] Die Dänen dürfen die geliehene Million behalten, dafür erkennen sie in aller Form die hamburgische Unabhängigkeit an.

Die Herren in Kopenhagen sind mit Schimmelmanns Leistungen hochzufrieden, umso mehr, als er es versteht, nicht nur König Frederik V. für sich einzunehmen, sondern auch dessen wirren Nachfolger ChristianVII., dessen persönliche Finanzen er ordnet. De facto ist der Unternehmer längst dänischer Finanzminister, ehe er schließlich offiziell zum Schatzmeister der Monarchie ernannt wird.

Sein langjähriger Förderer FriedrichII. verwindet es nur schwer, dass sich Schimmelmann so sehr am dänischen Hof engagiert. Gelegentlich schickt er ihm aus Potsdam Briefe und lässt nichts unversucht, den Unternehmer zur Rückkehr in preußische Dienste zu bewegen. Schimmelmann antwortet mit den »untertänigsten Versicherungen der tiefsten Ehrfurcht und Devotion, mit welcher ich ersterbe«, lässt sich aber nicht erweichen. Die Bewunderung des Königs, der solche Zurückweisungen nicht gewohnt ist, soll sich danach in Hass verkehrt haben.[22]

Das wohl bedeutendste – und abgründigste – Geschäft seines Lebens schließt Schimmelmann mit achtunddreißig Jahren ab: Am 22. März 1763 erwirbt er vier Zuckerplantagen in der Karibik und die größte Kopenhagener Zuckerraffinerie, womit er an einige seiner früheren Unternehmungen und Pläne anknüpft. Noch nie hat er einen höheren Kaufpreis gezahlt, 400 000 Reichstaler, die er in acht Jahresraten entrichten kann. Wie kommt es zu diesem Vertrag?

Dänemark ist seit hundert Jahren Kolonialmacht in der Weltregion, die damals Westindien heißt, weil Kolumbus glaubte, er habe den Seeweg nach Indien entdeckt. Maritimes Zentrum der dänischen Karibik-Besitzungen ist die Insel St. Thomas, die über einen gut geschützten Naturhafen verfügt. An den Fahnenmasten der Nachbarinseln St. Jan und St. Croix weht ebenfalls der rot-weiße Dannebrog.

Das ausgedehnte Tiefland von St. Croix eignet sich besonders gut für die Anlage von Plantagen, auf denen zunächst auch Baumwolle, bald aber nur noch Zuckerrohr angepflanzt wird. Landvermesser haben das Gelände im Auftrag der Westindisch-Guineischen Kompanie, der alles gehört, in 300 Parzellen eingeteilt und diese Flächen weitgehend an Europäer verkauft: neben Dänen unter anderem Engländer, Holländer, Franzosen und Deutsche.

1754 wird die in Kopenhagen ansässige Kompanie verstaatlicht. Über zwei besonders große Plantagen auf St. Croix sowie je eine auf St. Thomas und St. Jan verfügt das Unternehmen da noch selbst. Um deren Bewirtschaftung kümmert sich nun die königliche Regierung.

Zu den beiden umfangreichen Besitzungen auf St. Croix fertigen Wirtschaftsprüfer ein Gutachten an: Was muss geschehen, damit die zum Teil kaum genutzten Ländereien Profite abwerfen? Für die Staatskasse würden sich die fälligen Investitionen lohnen, so das Resümee der Sachverständigen. Von einem Verkauf oder einer Verpachtung – Interessenten gibt es mehr als genug – raten die Gutachter indes ab.

Dennoch kommt Schimmelmann schließlich als Käufer zum Zug. Neben dem Grund und Boden, drei Zuckermühlen, Fabrikationsanlagen, Wohngebäuden und Nutztieren gehören ihm nun mehrere Hundert versklavte Menschen. Im Gutachten wird ihre Zahl mit 386 angegeben, davon 178 voll arbeitsfähig, 70 alt, schwach oder krank, 138 noch Kinder.

Die Analyse solcher Daten hat die königlichen Wirtschaftsprüfer zu dem Schluss geführt, dass für einen rentablen Betrieb der Plantagen Arbeitskräfte hinzugekauft werden müssen. Wohl auch deshalb veranschlagt Schimmelmann Investitionskosten von 100 000 Reichstalern für die kolonialen Landwirtschaftsbetriebe, die nun sein Eigentum sind. Wie üblich zögert er nicht, das ökonomisch Gebotene zügig anzupacken.

Wie auch Deutsche an der Sklaverei verdienen

Der Handel mit Versklavten und ihre Ausbeutung als Plantagenarbeiter trägt über Jahrhunderte erheblich zum Wohlstand vieler Europäer und Amerikaner bei. Sicher, es gab die Sklaverei schon in der Antike. Es gab sie in Afrika, auch ohne dass weiße Geschäftsleute sich daran beteiligten. Aber erst mit der europäischen Expansion seit der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit wächst sie zu einem Wirtschaftsfaktor von globaler Bedeutung. Mehr als zwölf Millionen Frauen, Männer und Kinder werden in der Ära des transatlantischen Sklavenhandels, die 1514 beginnt und 1866 endet, von afrikanischen Küsten nach Amerika verschleppt.[23]

Wie nie zuvor gehen ökonomische Interessen mit rassistischem Denken Hand in Hand: Europäer, Kolonisten und die Oberschicht einiger Nachfolgestaaten, etwa in Brasilien und im US-amerikanischen Süden, ernten die Früchte erzwungener und kostenloser Arbeit. Damit es kein moralisches Problem gibt, erklären sie die Menschen, die sie nach Belieben ausbeuten, für minderwertig. Die Kirchenführer geben ihren Segen dazu, Philosophen und Wissenschaftler helfen mit ausgefeilten Theorien über die Verschiedenheit »menschlicher Rassen«.

Könnten sie es besser wissen? Eine schwierige Frage. Denn einerseits sind alle, auch die Klügsten, den Sichtweisen ihrer Zeit verhaftet. Andererseits wird in den europäischen Gesellschaften permanent um Weltbilder und Wertungen gerungen; zu jeder Auffassung, zu jedem Lehrsatz findet sich jemand, der die Dinge infrage stellt und anders sieht. Schon im Mittelalter, erst recht nach der Epochenwende zur Moderne, mit der die Kolonialzeit beginnt, ist das Denken in Alternativen ein Wesensmerkmal des geistigen Lebens auf dem Kontinent. Warum nur äußert niemand laute Kritik an der Gewalt, die Afrikanern angetan wird? Schon die wochen-, manchmal monatelangen Transporte über den Atlantik sind grauenvoll, der Tod fährt immer mit. Wie viele Hunderttausende oder Millionen die Schiffspassage nicht überleben, ist unbekannt.

Die organisierte und als legitim geltende Versklavung während der Jahrhunderte, in denen Europa seine globale Dominanz behauptet, ist der wohl umfassendste Raub von Leben, Arbeitskraft und Identität, der sich jemals in aller Offenheit ereignet hat. Die Händler und Plantagenbesitzer aus Portugal, Spanien, Holland, England, Frankreich, den USA, Dänemark, Schweden oder Deutschland haben die Sklaverei zwar nicht erfunden, aber sie haben sie auf radikal unmenschliche Weise perfektioniert. Lange Zeit ist ihnen niemand in den Arm gefallen, kein Christ, kein Humanist, kein Aufklärer.

Ausgerechnet ein Mann, der als Verfechter der Menschlichkeit in die Geschichte eingegangen ist, steht mit am Anfang der massenhaften Verschleppung von Afrikanern in die Karibik. Der aus Sevilla stammende Dominikanermönch Bartolomé de Las Casas, der sich 1502 auf der Insel Hispaniola (heute Haiti und Dominikanische Republik) niederlässt, beteiligt sich zunächst an der Versklavung und Verfolgung der einheimischen Inselbewohner – ehe er umdenkt und zum berühmtesten Ankläger der spanischen Grausamkeiten wird, die einem Völkermord gleichkommen. Um die als Indianer bezeichneten Menschen zu verschonen, empfiehlt Las Casas, sie durch versklavte Afrikaner zu ersetzen. Später im Leben bereut er es.

Der spanische König Carlos I. (der als Karl V. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gekrönt wird) kümmert sich persönlich um den Menschenhandel. 1518 erhält ein von ihm favorisierter Höfling erstmals die offizielle Lizenz: Acht Jahre lang darf er Sklavinnen und Sklaven in die von Spanien kolonisierte Karibik bringen, unter der Bedingung, dass sie gleich nach der Ankunft die christliche Taufe erhalten.[24] Diesem »Asiento de Negros« genannten Vertrag folgen viele weitere »Asientos«, um die sich Kaufleute und Handelsgesellschaften aus ganz Europa bewerben. Für jeweils einige Jahre oder Jahrzehnte erhalten den Zuschlag des spanischen Hofes: Portugiesen, Genueser, Holländer, Franzosen, Engländer und Basken.

Der expandierende Plantagenbetrieb in den Kolonien der Europäer führt dazu, dass versklavte Afrikaner im 17. und 18. Jahrhundert zur wichtigsten Ressource der Weltwirtschaft werden. Aufgrund der anhaltend starken Nachfrage steigen die Preise auf den Sklavenmärkten. Gleichzeitig sinken die Preise für Kolonialwaren wie Zucker, Kaffee, Tabak, Reis oder Baumwolle, weil ihre Anbauflächen beständig wachsen.[25]

Von Anfang an schalten sich auch Deutsche in dieses Geschäft ein. Zunächst, nach der atlantischen Öffnung um 1500, sind es die großen süddeutschen Kaufmannsfamilien, die Fugger und Welser, die am Menschenhandel mitverdienen, sei es indirekt als Geldgeber oder unmittelbar durch Transporte und Verkäufe.

Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der Große Kurfürst, lässt sich im 17. Jahrhundert seine überseeische Expansion von niederländischen Kaufleuten finanzieren. An der westafrikanischen Küste im heutigen Ghana errichten seine Beauftragten eine Festung, die sie Groß-Friedrichsburg nennen. Unter der Ägide der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie werden mindestens 17 000, nach anderen Angaben 30 000 versklavte Afrikaner in die Karibik verfrachtet.

An der Küste finden sich dafür genügend schwarze Geschäftspartner, die ebenso wenig Skrupel haben wie die Weißen. Mit den lokalen Herrschern von Accada, Taccarary und Tres Puntas schließt der Kurfürst im September 1684 ein Abkommen, in dem er ihnen für ihre Dienste »Schutz, Schirm und Protektion … wider Ihre Feinde und Aggressores« verspricht.[26] Einer der Anführer, den die Europäer Jan Jancke nennen, reist nach Berlin und wird zur Audienz bei Friedrich Wilhelm vorgelassen, dem er seine Ehrerbietung bezeugt.

Um ihren Menschenhandel in der Karibik anzukurbeln, schließt die kurfürstliche Compagnie auch noch einen Vertrag mit den Dänen, die einen Teil ihrer Insel St. Thomas vermieten. Allerdings laufen die Geschäfte unter Friedrich Wilhelms Nachfolgern schlecht. Die Brandenburger veräußern oder verlieren ihren Kolonialbesitz, und auch FriedrichII. hat kein Interesse an einer Wiederbelebung kolonialer Projekte.

Einzelne Geschäftsleute haben mitunter mehr Erfolg, so wie der Hamburger Kaufmann Peter Meyer, der sich 1690 in London niederlässt. Meyer kauft eine Plantage auf Barbados, Anteile an einer Londoner Zuckerraffinerie und wird schließlich zu einem der Direktoren der Royal African Company ernannt und in den Adelsstand erhoben.[27] Das wichtigste Geschäft dieser Afrika-Gesellschaft ist der Menschenhandel: 1714 geht der »Asiento de Negros« von französischen in englische Hände über, im Lauf von dreißig Jahren sollen 144 000 Sklavinnen und Sklaven an die spanischen Kolonien geliefert werden.

Zu den prominentesten Familien der Londoner Geschäftswelt gehören die Barings, die um 1720 aus Bremen an die Themse kommen. Sie steigen ebenfalls in den Sklavenhandel ein und beteiligen sich an der Company of Merchants Trading to Africa.[28] (Die 1762 gegründete Barings Bank geht nach einer langen Erfolgsgeschichte 1995 spektakulär pleite.) Zum deutsch-englischen Establishment jener Zeit zählt auch die Familie Schröder, sie engagiert sich im Zuckergeschäft und finanziert Sklavenhalter in den US-Südstaaten. In Hamburg machen sich Mitglieder der Familie einen Namen als Wohltäter, etwa durch Schröders Elbpark, eine öffentliche Grünanlage, oder das Schröderstift.

Der aus dem heute polnischen Kolberg stammende Seemann Joachim Nettelbeck dient einige Jahre als Obersteuermann auf Sklavenschiffen. In seinen Lebenserinnerungen, die von 1820 an erscheinen, schreibt er darüber: »Vor 50 Jahren war und galt dieser böse Menschenhandel als ein Gewerbe, wie andere, ohne dass man viel über seine Recht- oder Unrechtmäßigkeit grübelte.«

Selber Sklaven zu besitzen ist für Deutsche zwar ungewöhnlich, aber kein Grund, den Halter sozial zu ächten. Mehrere Kaufleute, die in der spanischen Hafenstadt Cádiz residieren, lassen sich in ihren Häusern von Versklavten bedienen, darunter der Hamburger Konsul: Neben einem Koch und einem angestellten Diener lebt unter seinem Dach »Benito, color negro, esclavo«.[29]

Im holsteinischen Altona, das Dänemark untersteht, rüsten Reeder ihre Schiffe für Sklavenfahrten aus. Dem Hamburger Kaufmann Georg Heinrich Sieveking wird 1783 »ein Schiff von 120 Last zu 3500 Mark Banco per Monat angeboten ohne die inwendige Ausrüstung, die Bretter, eisernen Schlösser und was mehr dazu gehörte«[30]. Der Auftragnehmer soll »neutrale Waren« von Bordeaux nach Guinea bringen, dort Versklavte an Bord nehmen und sie nach Santo Domingo schaffen, ehe es mit karibischen Produkten nach Hamburg zurückgeht. Anscheinend scheitert die Fahrt daran, dass Sieveking keinen Versicherer findet, der ihm die passenden Prämien offeriert (mehr zu Sieveking in Kapitel 2). Die Häfen der beiden Nachbarstädte an der Elbe sind de facto seit Jahrzehnten miteinander verbunden, eine »Abfahrt von Altona« beginnt häufig an den Docks von Hamburg.[31]

Über lange Zeit sind Textilien eine der wichtigsten Handelswaren der Deutschen. Leinen aus Schlesien und Westfalen ist international begehrt, um daraus einfache und robuste Kleidungsstücke für Versklavte zu schneidern. Auch die Schwarzen auf Schimmelmanns Plantagen erhalten »Osnabrügge Kleider«. Im englischen Sprachraum ist von »Osnabrughs« oder »Sletias« die Rede, gemeint ist immer dasselbe: Leinenzeug aus deutscher Fabrikation.[32] Weil die Ware auch in den spanischen Kolonien stark nachgefragt wird, gelangen große Mengen lateinamerikanisches Münzgeld nach Deutschland. Ende des 18. Jahrhunderts spielen die Schlesier darum mit dem Gedanken, den mexikanischen Silberpeso als Landeswährung zuzulassen.[33]

Dank bestehender Schiffsverbindungen bis zur Weser ist Bremen der bevorzugte Umschlagplatz für das westfälische Leinen. Schlesien hingegen wird 1668 durch den Friedrich-Wilhelm-Kanal via Oder, Spree, Havel und Elbe an den Hamburger Hafen angeschlossen.

Als ihr Land später nicht mehr von Österreich, sondern von Preußen beherrscht wird, passen sich die schlesischen Geschäftsleute den neuen Verhältnissen an und liefern weniger Ware ins Habsburgerreich, verkaufen aber dafür größere Posten via Hamburg. Zwischen 1748 und 1790 gehen drei Viertel ihrer Textilproduktion in den Export; der weitaus größte Teil davon verbleibt nicht auf dem Territorium des Alten Reichs, sondern ist für die westlichen Seemächte und ihre Kolonien bestimmt.[34] Ungefähr 600 000 Schlesierinnen und Schlesier, rund ein Drittel der Bevölkerung, verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem Anbau, der Verarbeitung oder dem Verkauf von Leinen.[35] Auch auf diese Weise wirkt die Versklavung in Afrika und Amerika unmittelbar hinein nach Deutschland.

Bezeichnend ist die Herrscherperspektive des preußischen Königs, der Schlesien sein »Peru« nennt.[36] Damit stellt FriedrichII. seine profitable Eroberung in eine Reihe mit dem Land, aus dem die spanischen Konquistadoren ihrem König einst Schiffsladungen voller Gold geschickt haben. Friedrichs wichtigste Hafenstadt ist das unabhängige Hamburg.

Schimmelmann steigt in den transatlantischen Dreieckshandel ein

Während seines ganzen Lebens wird Schimmelmann niemals eine Plantage betreten. Seine Geschäfte steuert er von Hamburg und Kopenhagen aus; vor allem in den Wintermonaten hält er sich in der dänischen Hauptstadt auf, um am höfischen Leben teilzunehmen, den Bällen, Empfängen und Diners. Was sich auf seinen Pflanzungen, in den Zuckermühlen und -siedereien, auf den Schiffen mit den angeketteten Afrikanern abspielt, sieht er nie mit eigenen Augen; er hört die Schreie und das Stöhnen nicht.

Organisieren kann er wie kaum ein Zweiter. Über sein Eigentum lässt er stets sorgsam Buch führen, in einem der Verzeichnisse findet sich der Eintrag: »1 Brenneisen, um die Zuckerfässer zu brennen / 1 silbernes Instrument, die neuen gekauften Neger mit zu markieren / mit dem Buchstaben BvS.« Das Brandzeichen zeigt bei Fässern wie bei Menschen an, wem sie gehören: dem Baron von Schimmelmann.

1765 beteiligt er sich an der Dänisch-Guineischen Kompanie, die gegründet wird, um »einen besondern Sklavenhandel einzurichten«; auch bei weiteren Kolonial- und Sklavenhandelsgesellschaften steigt er als Großaktionär ein.[37] In die Karibik schickt er Johann Jacob Lobeck, einen der leitenden Angestellten aus seinem Hamburger Kontor. Aus den Briefen, die Lobeck an Schimmelmann schreibt, lässt sich ablesen, welchen Widrigkeiten er sich ausgesetzt sieht: anhaltende Dürre, mangelhafte Ernährung, unzuverlässige Weiße, rebellische Schwarze, die sich – verständlicherweise – der Sklaverei durch Weglaufen zu entziehen suchen. »Wünsche sehr öfters in Europa nur 24 Stunden zu sein«, gibt er einmal zu. Schimmelmanns Ton bleibt geschäftsmäßig, er verlangt »eine ausführliche Spezifikation« der Versklavten, »von jedem Stück das Geschlecht, die Namen und der Wert«.

Um den offenkundig überforderten Lobeck als Verwalter abzulösen, schickt der Eigentümer 1766 einen Verwandten los, seinen Neffen Ludwig Heinrich Schimmelmann, der einige Jahre in Hamburg und Kopenhagen das Geschäft erlernt hat. Als der 23-Jährige ankommt, ist Lobeck tot; es heißt, er habe sich beim vielen Reiten überanstrengt. Umgehend bittet Schimmelmann seinen Onkel, mit dem nächsten Schiff eine Kutsche zu schicken.

Mit seinen neuen Pflichten kommt der junge Schimmelmann gut zurecht. In den folgenden Jahren erwirbt er neben seiner Verwaltertätigkeit eigene Plantagen, später wird er zum Generalgouverneur von Dänisch-Westindien ernannt, eine herausgehobene Position im Königreich. »Die westindischen Inseln kann man mit Fug und Recht als den allerbedeutendsten Zweig des dänischen Handels betrachten«, schreibt ein Kopenhagener Großkaufmann 1770 an den König. Und St. Croix sei »einer der größten Steine in der Krone Eurer Majestät«.[38] Der Zucker, der auf äußerst inhumane Weise produziert wird, macht viele reich im Staate Dänemark.

Eine Hauptaufgabe von Ludwig Heinrich Schimmelmann ist der Zukauf von Arbeitskräften. Ein Jahr nach seiner Ankunft verzeichnet die Inventarliste der beiden Plantagen auf St. Croix 697 Sklavinnen und Sklaven, fast doppelt so viele wie die königlichen Wirtschaftsprüfer dort einmal vorfanden. Ihre Namen bekommen die Schwarzen von den weißen Herren, oft sind es Entlehnungen aus der Antike oder der Bibel: Romulus, Venus, Sokrates, Caesar, Debora, Rebecca. Andere werden mit Ortsnamen gerufen: Plön, Wandsbek, Kopenhagen, Amsterdam.

Zu Lebzeiten des Barons von Schimmelmann liegt die Gesamtzahl der Schwarzen auf seinen kolonialen Gütern nahezu konstant bei rund tausend. Damit ist er der größte Sklavenhalter in Dänisch-Westindien. Auch auf den sogenannten Zuckerinseln der Engländer, Franzosen oder Niederländer gibt es kaum einen Plantagenbesitzer, der so viele Menschen als sein Eigentum bezeichnen kann.

Für die Betreiber der karibischen Pflanzungen ist es eine ständige Sorge, über genügend Arbeitskräfte zu verfügen. Krankheiten und die Folgen von Misshandlungen, Folter und erzwungener Plackerei raffen die Versklavten dahin. Durchschnittlich bleiben sie unter diesen Bedingungen sieben Jahre lang am Leben.[39] Einigen gelingt es, ihrem Elend zu entfliehen, sie »laufen maroon«, wie es heißt, und erleiden schwere körperliche Strafen bis hin zur Amputation von Gliedmaßen, wenn sie eingefangen werden oder freiwillig zurückkehren. Unter den miserablen Umständen kommen nur wenige Kinder zur Welt.

Schimmelmann weiß um den ständigen Bedarf und hat darum nicht nur seine eigenen Plantagen im Blick. Seinem Neffen schreibt er: »Der Sklavenhandel liegt mir sehr am Herzen.« Dass er fernab in Hamburg und Kopenhagen über die Lage in der Karibik gut unterrichtet ist, zeigt seine anschließende Ermahnung an Ludwig Heinrich: »Da die französischen und spanischen Eiländer sehr viele Sklaven nötig haben, so sollte ich glauben, dass man dahin Sklaven verkaufen könnte, wenn die Pflanzer auf St. Croix keinen schicklichen und annehmlichen Preis dafür zahlen wollen. Ich rekommandiere Dir diese mir sehr am Herzen liegende Handlung nochmals auf das Allerbeste.« Wenn er schon Menschenhandel betreibt, dann richtig.

Nach einer von ihm finanzierten Reise, die den als geisteskrank geltenden König ChristianVII. quer durch Europa führt, gelingt Schimmelmann ein weiterer unternehmerischer Coup: Er kauft dem Monarchen die Kronborg Geværfabrik in Hellebek ab, die über das dänische Monopol für die Herstellung von Handfeuerwaffen verfügt. Außerdem stellt die Fabrik Kappmesser für die Zuckerrohrernte her. Der größte Teil der produzierten Gewehre und Pistolen, insgesamt bis zu 8000 Stück im Jahr, geht in den Export – hauptsächlich nach Afrika. Es sind Flinten einfachster Qualität; die Schießeisen für dänische Infanteristen kosten ab Werk dreimal so viel.

Mit dem Kauf der Gewehrfabrik hat Schimmelmann sein wirtschaftliches Imperium komplettiert. Auf perfekte Weise folgen seine Geschäfte nun dem Modell, das als transatlantischer Dreieckshandel in die Geschichtsbücher eingeht:

Die Flinten aus seiner Gewehrfabrik exportiert er nach Westafrika, genauso wie den Schnaps, der in seinem Ahrensburger Landgut gebrannt wird, und die Stoffe aus Leinen oder Baumwolle, die seine Arbeiterinnen und Arbeiter in Wandsbek weben und bunt bedrucken.

An der sogenannten Goldküste und der benachbarten Sklavenküste Westafrikas unterhalten Dänen und andere Europäer seit Langem ihre Forts: massiv befestigte Stützpunkte für den organisierten Menschenhandel. Die weißen Händler können ihre Profite aus der Veräußerung von Waffen, Branntwein und Textilien dort nutzen, um ihren schwarzen Geschäftspartnern versklavte Afrikanerinnen und Afrikaner aus dem Inland abzukaufen. Oder sie betreiben Tauschhandel.

Nach dem Transport zu den karibischen Plantagen werden die Verschleppten dann rücksichtslos in den Dienst der weiteren Gewinnerzielung gestellt. Der von ihnen erzeugte Zucker gelangt nach Europa und wird dort haushaltsfertig zubereitet und verkauft. So schließt sich die Lieferkette, die den einen Reichtum, anderen ihre Konsumgüter und vielen die völlige Verelendung bringt. Ob die Schiffe tatsächlich im Dreieck fahren oder nur auf einer Seite pendeln,[40] spielt für die Effizienz des Wirtschaftsmodells keine Rolle.

Schimmelmann ist nicht der erste und nicht der einzige Unternehmer, der einen europäisch-afrikanisch-amerikanischen Dreieckshandel betreibt. Aber er hat seinen gesamten Geschäftsbetrieb dafür optimiert wie kaum jemand sonst. Alles greift ineinander: in Hamburg, Holstein, Dänemark. An den Küsten Westafrikas. Auf den kolonisierten Karibikinseln. Und an jeder Ecke des Dreiecks fließen ihm Einnahmen zu.

Was den Versklavten widerfährt

Erlebnisberichte der Männer und Frauen, die in die Mühlen des Schimmelmann’schen Plantagensystems geraten sind, liegen nicht vor; wahrscheinlich gab es niemals etwas Schriftliches von ihnen. Kein Kolonialherr hat ein Interesse daran, dass die von ihm Versklavten ihre Stimme erheben. Die Dänen und Deutschen, Engländer und Franzosen, Russen und Italiener, die am Küchentisch Zucker in ihre Kaffee- oder Teetassen löffeln, sollen nicht so genau wissen, unter welchen Umständen der kristalline Süßstoff produziert wird. Oder der Tabak, den sie in ihre Pfeife stopfen. Oder der Reis, den sie kochen.