Zukunftsfähige Agrarwirtschaft -  - E-Book

Zukunftsfähige Agrarwirtschaft E-Book

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Beschreibung

Oberste Zielsetzung der Agrarwirtschaft ist, die Ernährung der Weltbevölkerung heute und morgen zu sichern. Doch der Druck auf die Branche steigt weltweit. Trotz Subventionen und höherer Erzeugerpreise können zahlreiche Betriebe aufgrund stark gestiegener Kosten kaum überleben. Außerdem führt die Modernisierung zu einem Strukturwandel mit größeren Betrieben und hat soziale Konsequenzen. Auch die Reputation sinkt, da Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette mit Umweltbelastungen durch Emissionen sowie die Nutzung von Böden und Wasser verbunden ist. Ansätze zur Lösung werden dabei häufig zwischen nationalen und internationalen sowie wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Motivationen zerrieben. Dieser Band will über die Problemanalyse hinaus Möglichkeiten aufzeigen, die ökonomischen und ökologischen Interessen in Einklang zu bringen und die Agrarwirtschaft so zukunftsfähig zu gestalten.

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Denkanstößeherausgegeben von Rainer Völker

Dieter Thomaschewski (Hrsg.)

Zukunftsfähige Agrarwirtschaft

Basis für gesunde Ernährung, Klimaschutz und den Kampf gegen Hunger

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-040570-7

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-040571-4

epub:        ISBN 978-3-17-040572-1

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt

 

 

1   Einleitung

Dieter Thomaschewski

2   Das System Agrarwirtschaft

2.1   Zukunftsperspektiven der Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette Lebensmittel

Lothar Hövelmann

2.2   Wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft und der ihr vor- und nachgelagerten Stufen im Wandel

Peter Pascher

2.2.1   Landwirtschaft

2.2.2   Landmaschinenindustrie, -handel, -handwerk und -dienstleistungen

2.2.3   Ernährungsindustrie

2.2.4   Lebensmittelhandel

2.3   Moderne Landwirtschaft und gesellschaftliche Anforderungen – ein Mehr an Tierwohl, Klimaschutz und Artenvielfalt

Lea Fließ

2.3.1   Einleitung

2.3.2   Wie sich die Landwirtschaft verändert hat anhand von 3 Zahlen

2.3.3   Strukturwandel und die Rolle, die Innovation, Digitalisierung und die Erwartungen der Gesellschaft dabei spielen

2.3.4   Was ist moderne Landwirtschaft?

2.3.5   Warum moderne Landwirtschaft der richtige Weg zu einer naturverträglichen, sozial gerechten und ökonomisch tragfähigen Landwirtschaft ist

2.3.6   Wie kann die Gesellschaft zum Gelingen der Transformation beitragen?

3   Agarproduktion – Innovation und Transformation

3.1   Landwirtschaft neu denken – Lösungen fördern, statt Verbote fordern

Burkhard Kleffmann und Michael Hellermann

3.2   Der Beruf des Land- und Baumaschinenmechatronikers im Wandel der Zeit – Digitalisierung eines klassischen Handwerksberufs

3.3   Landmaschinentechnik stellt die Weichen für die Zukunft

Interview mit Peter Pickel

3.4   So kann Nachhaltigkeit gelingen: Ein Pilotprojekt zum Carbon Farming

Georg Goeres und Günther Graf von der Schulenburg

4   Vom Agrarprodukt zur Ernährung – die Produktion und Vermarktung von Ernährung

4.1   Die Lebensmittelproduktion zwischen Landwirtschaft und Verbraucher

Dr. Jochen Hamatschek

4.1.1   Einleitung – das Menschenrecht auf Nahrung

4.1.2   Ernährung 3.0

4.1.3   Herausforderungen für die Lebensmittelindustrie

4.1.4   Fazit: Auf dem Weg in die Ernährung 4.0?

4.2   Ernährung der Zukunft – Alternative Proteinquellen

Simon Reitmeier und Eva Stetter

4.2.1   Zukunftsszenarien als Werkzeug für die Strategieplanung

4.2.2   Die Landkarte der Zukunft

4.2.3   Klimakrise als starker Treiber für Veränderungen

4.2.4   Die erwartete Zukunft

4.2.5   Ausblick: Alternative Proteinquellen als Lebensmittel der Zukunft

4.3   Zukunftsfähige Lebensmittellogistik – Die Rolle des Food Loss Managements in Lebensmittel-Logistiknetzen

Julia Kleineidam, Frank Straube und Benjamin Nitsche

4.3.1   Herausforderungen der Logistik in die Lebensmittelwirtschaft und die Bedeutung der Vermeidung von Verlusten

4.3.2   Lebensmittelverluste in Entwicklungsländern

4.3.3   Herausforderungen für die Implementierung eines Food Loss Managements in Entwicklungsländern

4.3.4   Handlungsfelder des Food Loss Managements und Umsetzung in der Lebensmittelindustrie

4.3.5   Ausblick in eine zukunftsfähige, verlustarme Lebensmittellogistik

4.4   Nudging und Lebensmittelmarketing im Zusammenspiel für eine gesunde und nachhaltige Ernährung

Sibylle Adam, Ulrike Pfannes und Christoph Wegmann

4.4.1   Einleitung

4.4.2   Gesunde und nachhaltige Ernährung: gesellschaftliche Bedeutung

4.4.3   Grundlagen der Entscheidungsfindung

4.4.4   Der Absatz von Lebensmitteln im Lebensmittelhandel

4.4.5   Nudging als Ansatz für Verhaltensänderungen

4.4.6   Zwischenfazit: Vergleich Nudging im Feld Ernährung und Marketing im Lebensmittelhandel

4.4.7   Anknüpfungspunkte für ein erfolgreiches Nudging im Lebensmittelhandel

4.4.8   Fazit

5   Welternährung und Verbraucherverhalten – ein komplexes System

5.1   Ernährungssicherung im Zeichen globaler Krisen – Herausforderungen für die Weltgemeinschaft

Susanne Schlaack

5.1.1   Aus aktuellem Anlass: Multidimensionale Krisen gefährden die Ernährungssicherung weltweit

5.1.2   Gibt es eine Ernährungskrise?

5.1.3   Beschleuniger von Ernährungsunsicherheit: Covid-19, Klima, Krisen und Krieg

5.1.4   Fazit: Was können wir tun? Ein Set an Maßnahmen ist erforderlich!

5.2   Konzeption und Handlungsorientierungen einer Nachhaltigen Ernährung – Die fünf Dimensionen Umwelt, Wirtschaft, Gesellschaft, Gesundheit und Kultur

Karl von Koerber

5.2.1   Globale Herausforderungen und ihr Zusammenhang mit Ernährung

5.2.2   Konzeption einer »nachhaltigen Ernährung«

5.2.3   Handlungsorientierungen: Grundsätze für eine nachhaltige Ernährung

5.2.4   Der internationale Rahmen: UN-Programme zu nachhaltiger Entwicklung, Bildung und nachhaltigen Ernährungssystemen

5.2.5   Fazit

5.3   Landwirtschaft, Einzelhandel und Verbraucher: Lebensmittelverluste bei Obst und Gemüse

Wolfgang Schuldzinski, Frank Waskow, Constanze vom Hoff

6   Agrarwirtschaft der Zukunft im Spannungsfeld von Ökonomie, Ökologie und Sozialem

6.1   Die Probleme der Landwirtschaft. Wie lösen? Produktiver oder nachhaltiger? Beides und gemeinsam!

Michael Wagner und Matthias Nachtmann

6.1.1   Statusüberblick der aktuellen landwirtschaftlichen Herausforderungen

6.1.2   Ziel ist eine nachhaltige Selbstversorgung 2030

6.1.3   Weg der nachhaltigen Intensivierung

6.1.4   Zusammenfassung

6.2   Green Deal für den Acker – Trends und Thesen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft

Eike Wenzel

6.3   Zukunftsfähige Agrar- und Ernährungswirtschaft – Nachhaltigkeit in Produktion, Vermarktung und Konsum

Dieter Thomaschewski und Tom Schneider

6.3.1   Einleitung

6.3.2   Theoretische Grundlage

6.3.3   Zukunftsfähige Agrar- und Ernährungswirtschaft

6.4   Bioökonomie: Neue Produkte aus Biomasse

Andrea Kruse, Gero Becker und Markus Götz

6.4.1   Einführung

6.4.2   Grund- oder Plattformchemikalien

6.4.3   Proteine

6.4.4   Nährstoff-Rückgewinnung

6.4.5   Kohlenstoffmaterialien

6.4.6   Sonstige Produkte

6.4.7   Zusammenfassung

Einleitung

Dieter Thomaschewski

Die Welt wandelt sich mit großer Geschwindigkeit. Die Herausforderungen im ökonomischen, im ökologischen und sozialen Bereich führen zu signifikanten, permanenten Änderungen der Rahmenbedingungen. Veränderung aber heißt insbesondere Wandel, ein gesteuerter, willentlich herbeigeführter Übergang von einem Zustand in einen anderen. Diese Veränderungsnotwendigkeit gilt ohne Einschränkungen auch für die Agrarwirtschaft.

In einer Agrarwirtschaft sind aber nicht nur die Landwirte gefordert, sich dem Wandel zu stellen. Vielmehr ist die Agrarwirtschaft ein komplexes, sensitives System mit interaktiven Wechselwirkungen. Ein Blick auf die agrarwirtschaftliche Wertschöpfungskette verdeutlicht dieses. Die Wertschöpfungskette umfasst alle Stufen

  der Bereitstellung von Inputfaktoren und Ressourcen wie beispielsweise Boden, Saatgut, Düngemittel, Pflanzenschutz,

  die Erzeugung von Agrarprodukten zur Ernährung, aber auch zur industriellen Nutzung durch die Bewirtschaftung von Boden und den Einsatz von Agrartechnik,

  die Verarbeitung dieser Agrarprodukte in der Lebensmittewirtschaft oder bei der Nutzung als Ausgangsprodukt für die industrielle Verarbeitung,

  in der Vermarktung durch die Ansprache von Konsumenten oder Verwender, durch die logistische Verteilung der Produkte und

  letztlich beim Konsumenten und Verarbeitern selbst, mit den

  grundsätzlichen Entscheidungsbereichen wie Gesundheit, Klimarelevanz, Kosten/Preis, um nur einige Aspekte zu nennen.

Ein besonderes Augenmerk der Agrarwirtschaft in dieser verzahnten Wertschöpfungskette ist in allen Stufen auf Nachhaltigkeit, die Sustainability, zu richten. Agrarwirtschaft heißt – ohne Wenn und Aber – neben den ökonomischen Faktoren auch ökologische und soziale Ziele in allen Stufen der Wertschöpfung, im engeren und weiteren Umfeld der Agrarwirtschaft sowie der gesamten Gesellschaft zu verfolgen. Es ist zu postulieren, dass nachhaltige Agrarwirtschaft auf den drei Säulen – ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit – basieren sollte:

  Die ökonomische Nachhaltigkeit garantiert den Beteiligten das wirtschaftliche Überleben, die Fortführung des wirtschaftlichen Betriebes auch über Generationen, unter Beachtung von Strukturwandel und -brüchen

  Die ökologische Nachhaltigkeit stellt sicher, dass die Belastungen der natürlichen Ressourcen möglichst geringgehalten werden, dass Aktivitäten, die das Ökosystem schädigen, vermieden (oder minimiert) werden, dass keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Produktion und Verwendung von Agrarprodukten entstehen.

  Die soziale Nachhaltigkeit fordert von den Partnern der Wertschöpfungskette, dass Güter und Dienstleistungen, die menschliche Bedürfnisse befriedigen und die Lebensqualität erhöhen, so erstellt werden, dass alle Stakeholder die dahinerstehende Motivation verstehen und dem zugrunde liegenden Wertesystem zustimmen können.

Diesen Anforderungen zu entsprechen und damit Zukunftsfähigkeit herzustellen, bedeutet aber häufig auch veränderungsbereit zu sein, sich zu wandeln. Die »Player« der Agrarwirtschaft müssen somit ständig gegenüber Veränderungen offen sein und diese annehmen, um bestehen zu können: Wandlungsbedarf ist festzustellen, Wandlungsbereitschaft ist zu erzeugen, Wandlungsfähigkeit ist zu sichern. Eine Zielsetzung dieses Bandes ist klar anzusprechen: Veränderungsbedarfe so zu aktivieren, dass notwendige Wege zur Erreichung des und Partizipation am Wandel erfolgreich beschritten werden können. Einige der Herausforderungen, denen sich eine zukunftsfähige Agrarwirtschaft in den kommenden Jahren stellen muss, sollen im Folgenden skizziert werden:

Ernährungssicherheit

Weltweit sind weit über 800 Millionen Menschen chronisch unterernährt, etwa 2 Milliarden Menschen nehmen nicht genug lebenswichtige Nährstoffe auf. Um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, müssen bis 2050 mindestens 50 Prozent mehr Lebensmittel produziert werden.1

Ökonomische und soziale Bedingungen

Die weltweit über Jahrhunderte festgefügten Strukturen und Arbeitsformen zur Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln befinden sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts in einem kontinuierlichen Wandlungsprozess. Der Strukturwandel zu immer größeren Betriebseinheiten, der Trend zum Anbau von Monokulturen, die steigenden Preise für Betriebsmittel und damit höhere Kosten im landwirtschaftlichen Betrieb zeigen ökonomische Zwänge zu permanenten Produktivitätssteigerungen und notwendige Umstrukturierungen.

Agrartechnik

Dieser Zwang zu Produktivitätssteigerung führt u. a. dazu, dass in der Landbewirtschaftung die technische Modernisierung und der Einsatz von Agrar- oder Agrotechnik immer schneller und immer intensiver verfolgt werden müssen. Moderne Technik gekoppelt mit Informationsverarbeitung sind selbstverständliche Bestandteile von Dünge-, Saat-, Erntemaschinen. Precision Farming über satellitengesteuerte Navigations- und Kartierungssysteme sind für den Betrieb unabdingbar. Die Investitionsvolumina sind entsprechend hoch, die notwendige Aus- und Weiterbildung anspruchsvoll.

Klimawandel und Ökobilanz

Eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist der Klimawandel. Auch die Agrarwirtschaft ist vielfältig gefordert, den notwendigen Beitrag zu leisten, dem Klimawandel zu begegnen. Themenfelder dieser Herausforderungen sind beispielsweise Treibhausgasemissionen, der Wasserverbrauch, die Belastung von Böden und Gewässern. Die Agrarproduktion benötigt 40 Prozent der weltweiten Landfläche, verbraucht 70 Prozent des global genutzten Süßwassers und produziert 30 Prozent aller Treibhausgase.2

Verbraucherverhalten und Konsum

Was weltweit auf Tisch und Teller der Konsumenten kommt, hat signifikante Auswirkungen auf die Gesundheit und die Ökobilanz. Der Fleischkonsum weltweit ist weiter im Steigen begriffen, Nahrungsmittel werden über Kontinente hinweg transportiert, Saisonalität steht nur noch begrenzt im Fokus der Verbraucher. Die Herstellung von 1 Kilogramm Käse, Rindfleisch oder Kakao verbraucht beispielsweise 5.000, 15.500, 24.000 Liter Wasser. Negativ wirkt die umgepflügte Landschaft, doch das gilt für alle Monokulturen auch für Soja. Ebenfalls ungünstig ist der lange Transport aus Mittel- und Südamerika, der Energie kostet, zumal die Frucht in Kühlkammern nachreifen muss.3 Fleischverzicht und starke Beachtung von CO2-freundlichen Produkten, das Wiederentdecken der Regionalität und Saisonalität, die Reduktion der Lebensmittelverschwendung sind Denkanstöße im Verbraucherverhalten, die auch die Agrarwirtschaft signifikant beeinflussen werden.

Land und Boden

Boden – einer der wesentlichen Bestandteile von Landflächen – ist in seiner Substanz vielfältig und komplex. Menschen verändern durch Bewirtschaftung intensiv und teilweise rücksichtslos die natürlichen Landschaften und Bodenbedeckung. Intensivlandwirtschaft belastet die natürlichen Ressourcen stark. Der Boden enthält erhebliche Kohlenstoff- und Stickstoffmengen, die je nach Nutzung der Landflächen freigesetzt werden können. In den Kreisläufen der Natur kommt dem Boden beim Wasserkreislauf eine entscheidende Bedeutung zu. Neue Lösungen für eine effektive und effiziente Flächennutzung sind gefragt.4

Pflanzen und Pflanzenanbau

Aussaat, die Anpflanzung von Nutzpflanzen mit dem Ziel der Erzeugung von landwirtschaftlichen Produkten und damit die Erzielung von Erträgen sind natürlich abhängig von den Standortbedingungen. Die eingesetzten Pflanzen und der damit verbundene Pflanzenanbau variieren nach Klima, Bodenart, Niederschlag. Pflanzenzüchtungen können dazu beitragen, die Erzeugungsmenge zu optimieren, gleichzeitig den Standortbedingungen besser zu entsprechen und die Bodenbelastung zu reduzieren. Der richtige Einsatz von Mitteln der Pflanzenernährung (Dünger) bzw. der Pflanzengesundheit (Pflanzenschutz) verbessern die Ausbeutung sind jedoch bedarfsgerecht einzusetzen. Konventionelle Landwirtschaft wird durch ökologische Landwirtschaft ergänzt werden.

Abfall und Ausschuss

Materialien aus dem Pflanzenbau wie Ernterückstände, Ernteausschuss bei Kraut, Knollen, Korn, Biomasse aus Zweit- oder Drittkulturen zählen ebenso zu den landwirtschaftlichen Abfällen wie Reste und Ausschüsse aus der Tierhaltung (Futtermittel, Einstreu und Gras). Zwar nicht direkt als Abfall zu bezeichnen, aber dennoch dieser Kategorie zuzurechnen, ist auch der Hofdünger vom tierischen Organismus, also nicht benötigte oder verwendete Reste des Fütterns. Überlegungen zur stofflichen und energetischen Entsorgung dieser »Naturstoffe« sind vielfältig. Austragung auf das Feld zählt – ebenso wie Methangärung – dazu, wie die Rückgewinnung von Nährsoffen aus diesen Bioabfällen oder dem Umbau des Agrarbetriebs zu einem System der Kreislaufwirtschaft.

Diese wenigen Beispielen könnten zahlreiche weitere Herausforderungen hinzugefügt werden. Hingewiesen sei auf den Konflikt Klein- und unternehmensgleichen Großbetrieben, hingewiesen sei auf integrierte, standortgerechte Betriebssysteme, hingewiesen sei auf den freien und fairen Handel mit Agrarprodukten, hingewiesen sei auf die nicht konfliktfreien Interessen von Naturschutz und Agrarwirtschaft.

Es steht völlig außer Frage, dass der Agrarwirtschaft zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, aber auch als Lieferant für benötigte Rohstoffe der Industrie heute und zukünftig eine bedeutende Rolle in der Weltwirtschaft einzuräumen ist. Es steht auch weiter außer Frage, dass der Agrarwirtschaft, insbesondere in den Ländern Afrikas, Asiens, auch teilweise Lateinamerikas eine noch große Bedeutung für die Beschäftigung und damit eine sozialgesellschaftliche Rolle zukommt. Letztlich steht aber auch außer jeglicher Diskussion, dass Grund und Boden nicht beliebig vermehrt werden können und pro Kopf der Bevölkerung immer weniger Nutzfläche zur Verfügung steht. Standen 1970 pro Kopf noch 0,38 Hektar und 2000 0,23 Hektar landwirtschaftliche Fläche zur Verfügung werden es nach Prognosen der FAO 2050 nur noch 0,15 Hektar sein.

Eine Agrarwirtschaft muss mit diesen Vorgaben und Rahmenbedingungen zukunftsfähig gestaltet werden. Das »Was« und »Wie« wird ausschnittweise in diesem Herausgeberband behandelt. Der Aufbau des Bandes folgt dabei weitgehend der Wertschöpfungskette der Agrarwirtschaft. Kapitel 2 beschäftigt sich mit der Bedeutung des Systems »Agrarwirtschaft« und der wirtschaftlichen Bedeutung sowie den wesentlichen, wechselseitigen Abhängigkeiten. Zudem wird auch auf die gesellschaftlichen Anforderungen an die Agrarwirtschaft eingegangen. Kapitel 3 hat den Schwerpunkt in der Agrarproduktion. Welche Innovationen und Transformationen sind denkbar? Was muss und kann Agrartechnik leisten soll als Frage ebenso angesprochen werden wie das spannende Gebiet der Gentechnologie und auch die spannende Frage, wie Nachhaltigkeit gelingen kann. Kapitel 4 legt den Fokus auf den Leistungsbereich Lebensmittelproduktion und Vermarktung. Die ökologische Lebensmittelproduktion wird ebenso adressiert wie das Marketing oder die Logistik in der Nahrungsmittelkette. Kapitel 5 stellt den Verbraucher und das Verbraucherverhalten in den Mittelpunkt. Das Verständnis für die Ernährungsgewohnheiten, die nachhaltige Ernährung, die Nahrungsmittelverschwendung werden ebenso adressiert wie Ernährung und Klimaschutz. Kapitel 6 letztlich zeigt auf, was die großen Herausforderungen der Landwirtschaft in der Zukunft sein werden, welche Ackerbaustrategien denkbar sein können und wie Agrar- bzw. Ernährungswirtschaft der Zukunft aussehen könnte

Dieser Band versucht zum einen eine Bestandsaufnahe der Herausforderungen, die die Agrarwirtschaft zentral tangieren. Natürlich können nicht alle anstehenden Themenfelder dabei behandelt werden. Zum anderen werden entsprechende Handlungsoptionen und Lösungswege dargestellt. Allzu einfache Antworten oder widerspruchsfreie Aussagen sind aufgrund der komplexen Thematik nicht zu erwarten. Insofern wird versucht, bei jedem Themenkreis zentrale Fakten und – durchaus konträre – Meinungen abzubilden. Dabei kommen neben Wissenschaftlern vor allem Verantwortliche der Agrarwirtschaft zu Wort: Führungskräfte, Vorstände von Verbänden, die natürlich ihre spezifische Sicht vertreten. Das ist zum einen legitim und zum anderen auch beabsichtigt. In vielen Fällen gibt es nicht die augenscheinliche Lösung, sondern es gibt Vorschläge, die idealerweise auf logischer Argumentation bzw. auf gesicherter Empirie basieren. Die verschiedenen Positionen und Argumentationen sollen bei der Lektüre des Buches deutlich werden und es dem Leser/der Leserin gestatten, sich selbst an der einen oder anderen Stelle sein/ihr Urteil über sinnvolle und passende Lösungsansätze zu bilden. Das Buch will – gemäß der Intention der Reihe – Denkanstöße geben.

Zum Herausgeber

Prof. Dr. Dieter Thomaschewski ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Management und Innovation (IMI). Seit 2006 ist er Professor für Betriebswirtschaftslehre insbesondere Management an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft, Ludwigshafen a. Rhein. Er hält Lehrveranstaltungen an der Donau Universität Krems und an der PHW Bern. Die DUK ernannte ihn 2004 zum Ehrenprofessor. Vor seiner Hochschultätigkeit war er in verschiedenen führenden Funktionen der BASF-Gruppe tätig, u. a. als Leiter BASF Venezolana, Präsident Information Systems USA, Präsident Düngemittel Division und Präsident Regionalbereich Europa.

1     Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Projekt im Sektor Vorhaben Landwirtschaft, Juni 2021

2     eatforum.org./eat-lancel-commision 2019

3     Andreas Hofmann, Stern 10.02.2022

4     Hans Bruyninckx, Executivdirektor der EUA, Abruf 10.02.2022

2          Das System Agrarwirtschaft

2.1       Zukunftsperspektiven der Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette Lebensmittel

Lothar Hövelmann

Erschütterung im globalen Ernährungssystem – Der russische Angriff auf die Ukraine

Der Beitrag entsteht unter dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022. Die verheerenden Auswirkungen des Kriegs auf die Menschen und das Brechen jeglicher völkerrechtlicher Konventionen erschüttern vermeintliche Gewissheiten, die vor wenigen Wochen noch als unumstößlich galten. Zunächst gilt das für die Außen- und Sicherheitspolitik, für die Energiepolitik und dann sehr schnell auch für die Sicherheit des globalen Ernährungssystems.

Beide Länder, Russland und die Ukraine, haben ihre Bedeutung auf den internationalen Agrarmärkten in der vergangenen Dekade erheblich ausgebaut. Das gilt sowohl für Getreide als auch für Ölpflanzen. Zum Welthandel mit Weizen trägt Russland knapp 20 Prozent bei und die Ukraine hat einen Anteil von fast 10 Prozent, d. h. in Summe ca. 30 Prozent bei. Bei Sonnenblumenöl macht der Anteil beider Länder am Welthandel rund 60 Prozent aus. Bei Mais, einer zentralen Grundlage für Viehfutter beträgt der Welthandelsanteil knapp 20 Prozent.

Wenn also rund ein Drittel des Welthandels dieser essenziellen Kulturen, die kaum durch andere substituiert werden können, in Frage stehen, reagiert der Markt mit drastischen Ausschlägen. Die Ökonomen nennen dies Preiselastizitäten. Diejenigen, die Geld haben, kaufen. Koste es, was es wolle. Diejenigen ohne Geld müssen sehen, wo sie bleiben. Die Logik des Marktes ist ebenso schlicht wie brutal.

Infolge des Krieges können große Flächen in der Ukraine nicht bestellt werden, die Schlepperfahrer müssen sich gegen den Aggressor zur Wehr setzen. In Russland selbst wird es aufgrund der Sanktionen zu Logistikproblemen kommen, Bestellung und Pflege der Kulturpflanzen werden vernachlässigt und die Ersatzteillieferung für die vielfach aus westlicher Erzeugung stammende Agrartechnik wird brüchig. Wodurch zu befürchten ist, dass die Ernte in Russland erheblich erschwert sein wird. Die kriegsbedingt sich auf Allzeithoch befindlichen Energiepreise machen den Dünger knapp. Das trifft die Gesamtheit aller ackerbautreibenden Nationen. Das reduziert tendenziell ebenfalls die Erträge und treibt die Preise für Getreide, Mais und Raps noch weiter nach oben.

Für die Menschen in Deutschland und Europa sind Auswirkungen auf die Preise größtenteils verkraftbar. Im Schnitt geben die Menschen in Deutschland rund 12 Prozent ihres verfügbaren Haushaltseinkommens für Lebensmittel aus. Wenn dieser Anteil im Schnitt auf 15 oder 20 Prozent anwächst, sind das insbesondere bei den unteren Einkommensgruppen große Härten. Hier ist der Anteil für Lebensmittel am verfügbaren Einkommen schon in normalen Zeiten weit höher als im Durchschnitt der Bevölkerung. Durch unsere staatlichen Sicherungssysteme und durch private Initiativen wie die Tafeln wird bei uns glücklicherweise Hunger verhindert.

Ganz anders verhält es sich in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Russland und die Ukraine exportieren normalerweise ihren Weizen nach Nordafrika und in den mittleren Osten. Dort steigen die Brotpreise sehr schnell in große Höhen und bei der geringen Kaufkraft, über die die meisten Menschen in den dortigen Ländern verfügen, kommen hier sehr schnell die Grundfragen des täglichen Überlebenskampfes auf die Tagesordnung.

Vor diesem Hintergrund zeichnet sich das Bild unseres Sektors neu. Die Agrar- und Ernährungswirtschaft und die Sicherheit des Ernährungssystems rücken in den Fokus strategischer Überlegungen.

Was daraus folgt

Es ist zu erwarten, dass die beschriebenen Entwicklungen nach der kommenden Ernte nicht vorbei sind, sondern dass wir diese Auswirkungen auch mittelfristig noch bewältigen müssen. Wir werden noch einige Jahre damit zu tun haben werden und uns wieder intensiver mit der Frage der Produktivität befassen müssen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Fragen von Klimawandel, Artenvielfalt und Tierwohl gegenüber der Produktivität nun in die zweite Reihe rücken dürfen. Wenn wir jetzt hier nachlassen und insbesondere die Frage des Klimawandels auf die längere Bank schieben, wird uns dieser Hammer in wenigen Jahren mit noch größerer Wucht treffen, als sich jetzt bereits abzeichnet. Nein, vielmehr muss es darum gehen, die Frage der Produktivität auf dem Feld und im Stall in ihrer Bedeutung neu zu fassen und gemeinsam mit Klimawandel und schwindender Artenvielfalt zu bearbeiten. Unter den Stichworten »Nachhaltige Intensivierung« bzw. »Nachhaltige Produktivitätssteigerung« gilt es, die Zielkonflikte zu erkennen, ihre Ursachen zu adressieren und durch Einsatz von Know-how und Innovationen möglichst aufzulösen.

Landwirtschaft in Deutschland hat eine zentrale Bedeutung in der Lebensmittelkette

Die Wertschöpfungskette Lebensmittel wird andernorts in diesem Band im Detail dargestellt. Sie umfasst grob gesagt

  Vorstufe (Investitionsgüter [Maschinen, Stalltechnik], Betriebsmittel [Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmittel, Energie]),

  Landwirtschaft (Tierhaltungsbetriebe, Ackerbaubetriebe, Obst- und Gemüse u. a.),

  Erfassung,

  Verarbeitung (Getreidemühlen, Schlacht- und Zerlegebetriebe, Mälzereien u. a.),

  Lebensmittelerzeugung und

  Lebensmittelhandel.

Die einzelnen Stufen unterscheiden sich enorm z. B. hinsichtlich der Anzahl der Unternehmen und damit hinsichtlich ihrer Marktbedeutung und Marktmacht. Während z. B. auf der Stufe der Landwirtschaft rund 250.000 überwiegend kleine und mittelständische Unternehmen aktiv sind, decken auf der Stufe des Lebensmitteleinzelhandels weniger als 10 Unternehmen 90 Prozent des Handels ab.

Die Landwirtschaft für sich genommen trägt mit ihren Erzeugnissen nur ca. 2 Prozent der Bruttowertschöpfung bei. Die gesamte Lebensmittelkette kommt auf rund 7 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung. Trotz dieser vergleichsweise kleinen Zahlen ist die Agrar- und Ernährungsbranche ein starkes Segment der Gesamtwirtschaft. Ohne eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft, die in einen lebendigen ländlichen Raum eingebunden ist, könnte sich die Ernährungswirtschaft nur schwer in Deutschland halten, denn sie ist auf die lokal produzierten Rohstoffe für die Lebensmittelerzeugung angewiesen. Und was passiert, wenn eine Volkswirtschaft bei essenziellen Gütern umfänglich auf Importe angewiesen ist, kann man derzeit live im Energiesektor beobachten.

Innovationen machen den Unterschied

Die Landwirtschaft ist ein Innovationstreiber in der Wertschöpfungskette. Technische, biologische und organisatorische Innovationen sind Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt und damit Schlüssel für gesellschaftliche Entwicklung. Zugleich auch ein Schlüssel für die Lösung eingangs erwähnter Zielkonflikte. Bewährte Konzepte allein sind nicht ausreichend, denn neue Herausforderungen brauchen auch neue Antworten. Das gilt insbesondere dann, wenn teilweise konkurrierende Zielsysteme wie Produktivität, Umwelt- und Ressourcenschutz sowie Tierwohl in Einklang gebracht werden müssen.

In Deutschland ist eine verbreitete Skepsis in Bezug auf Innovationen insbesondere Innovationen im Agrarbereich zu beobachten. So scheinen in maßgeblichen Teilen der Gesellschaft Vorbehalte gegen Neuerungen zu überwiegen und ausgewiesene Experten nicht ausreichend Gehör bei den Verantwortlichen aus Politik und Administration zu finden. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Komplexität der Zusammenhänge, mangelnde Nachvollziehbarkeit landwirtschaftlicher Erzeugungsprozesse und mangelndes Vertrauen in Experten liefern Erklärungsansätze.

In der Reaktion darauf werden Entscheidungen über Genehmigungen und Zulassungen für Forschungs- und Entwicklungsprozesse sowie Innovationen vergleichsweise restriktiv gehandhabt. Das hat ein Abwandern von Kompetenzträgern und eine Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungskapazitäten führender forschender Unternehmen nach Übersee zur Folge.

Politik und Administration sollten sich bei der Genehmigung und Zulassung von Forschung, Entwicklung und Innovation auf die Nutzen- und Risikobewertung unabhängiger und dafür ausgebildeter Experten stützen. Entscheidungen auf Basis von Meinungsumfragen oder vermuteter Mehrheitsmeinung sind der Komplexität der Sache, ihrer hohen Bedeutung und einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft nicht angemessen. Bewertungen und Entscheidungen sollten von Interessierten und der Gesellschaft insgesamt verstanden werden können. Daher sollten ihnen nachvollziehbare und transparente Bewertungskriterien zugrunde liegen und kommuniziert werden.

Ein landwirtschaftlicher Arbeitsplatz ist gegenüber einem industriellen Arbeitsplatz mit ca. dem doppelten Kapital ausgestattet; mehr als 400.000 EUR sind je Arbeitsplatz gebunden. Der Technikeinsatz in der Landwirtschaft ist hoch sowohl draußen auf dem Acker als auch im Stall. Hier geht es jedoch um mehr als um in Form geschmiedeten Stahl. Die Technik in der Landwirtschaft ist filigran.

Die Digitalisierung ist dabei ein entscheidender Faktor. Ein Megatrend, der auch die Agrarbranche mit hoher Schrittgeschwindigkeit erfasst hat. Rechnergeschwindigkeiten und Datenspeicherkapazitäten steigen exponentiell, entsprechend fallen die Kosten pro Rechenoperation und Speicherplatz. Das wirkt sich stark kostensenkend auf alle logistischen und mit Informationsverarbeitung verknüpften Vorgänge aus. Die gibt es in der Landwirtschaft zahlreich. Digitale Produkte, Programme und Applikationen können fast zu Nullkosten multipliziert und vertrieben werden; hierdurch werden Grundlagen für geschäftliche Revolutionen gelegt. So wird Digitalisierung ein ständiger Begleiter der Landwirtschaft und aller weiteren Glieder der Wertschöpfungskette Lebensmittel. Digitalisierung wird zu einem tiefgreifenden Wandel der Branchenstrukturen führen. Die Anzahl der Unternehmen/Organisationen, ihre Größe und Kräfteverhältnisse, ihre Kommunikation, ihre Zusammenarbeit und Geschäftsbeziehungen innerhalb und zwischen den Wertschöpfungsketten, alles das wird sich in Zukunft stärker und schneller ändern als in den zurückliegenden Jahrzehnten. Treiber der Entwicklung werden auch Digitalisierungsplattformen sein. Die bestehenden Ansätze haben Überschneidungen in den Kernfunktionalitäten, z. B. bei Farm- oder Herdenmanagementsystemen. Die Plattformen stehen in scharfem Wettbewerb um die Schlüsselpositionen in der Branche und sind deswegen oftmals von einem oder wenigen starken Unternehmen dominiert. Die dadurch entstehenden, sogenannten proprietären Ansätze, die eine einfache Datenübertragung von Plattform zu Plattform verhindern, stehen den Interessen der Landwirte entgegen.

Für Landwirte sind eine Verfügbarkeit von firmenübergreifenden Anwendungen sowie ein verlustfreier Wechsel von einer Plattform zu einer anderen aus Gründen der Investitionsflexibilität von großer Bedeutung. Der Handel wird Datenplattformen nutzen, um passgenau auf den Verbraucher ausgerichtete Produktionsketten mit definierten und transparenten Prozessen darzustellen. Neben diesen großformatigen Lösungen wird die Digitalisierung aber auf breiter Ebene ihren verstärkten Einzug halten. Kleine, nützliche Apps, verbesserte Sensoren, hier und da ein neuer Algorithmus und immer mal wieder auch Schnittstellen, die da funktionieren, wo vorher der Datendurchfluss klemmte.

Für Landwirte entwickeln sich damit neue Chancen und Risiken. Die Landwirtschaft wird effizienter, verursacht weniger Umweltschäden und ist besser in der Lage, Tiergerechtheit umzusetzen. Auch neue Geschäftsmodelle werden sich entwickeln. Besondere Herausforderungen bestehen bei Fragen der Datensicherheit und der Datenhoheit, d. h. wem gehört was und wer zieht welchen Nutzen.

Herausforderungen im Umweltschutz und Tierschutz

Landwirtschaft arbeitet in offenen Systemen. Als Basisressourcen für die Produktion werden Energie, Dünger, Boden, Wasser, Luft und Artenvielfalt benötigt. Durch den Nutzungsprozess kommt es zu »unerwünschten Nebenwirkungen«. Es werden Kulturlandschaften gestaltet und Habitatstrukturen verändert, dadurch verringert sich die Artenzusammensetzung und Artenvielfalt. Die Emission von Treibhausgasen trägt zum Klimawandel bei und durch Düngung entstehen Überschüsse an bestimmten Nährstoffen wie Stickstoff oder Phosphor. Diese nicht beabsichtigten Wirkungen lassen sich nicht gegen null führen, aber sie können auf ein naturräumlich variierendes Mindestmaß reduziert werden. Auf diesem Weg befindet sich die Landwirtschaft seit vielen Jahren, teilweise mit beachtlichen Erfolgen. Dennoch bleibt noch viel zu tun. Einige Beispiele dafür sind die Vernetzung von Biotopen, die Anlage hochwertiger Ackerrandstreifen unter Einbezug der Feldraine, die Präzisionsdüngung und der Präzisionspflanzenschutz. Bei der Nutztierhaltung wurden zunehmend gute Stallkonzepte mit mehr Platz, mehr Beschäftigungsmaterial und teilweise auch mit dem Angebot an Außenklimareizen entwickelt und umgesetzt. Hier besteht allerdings ein Hemmnis durch restriktive Auflagen im Baurecht, die die Investition in moderne Ställe, die auf ein mehr an Tierwohl zielen, erheblich erschweren. Vorschläge zur Verringerung der administrativen Hürden sind aber auch hier in der Diskussion.

Wenn man nun die eingangs beschriebenen, kriegsbedingten Umwälzungen auf den Agrarmärkten außer Acht lässt und von normalen Marktentwicklungen ausgeht, lässt sich festhalten, dass die Marktpreise die Kostenstrukturen nicht angemessen widerspiegeln. Insbesondere in der Nutztierhaltung, bei Milch und Fleisch, sind die erzielten Preise für zahlreiche Betriebe nicht kostendeckend. Mehrwertprogramme wie die der Initiative Tierwohl (ITW) oder die Diskussionen zwischen Landwirten, Verarbeitung und Lebensmitteleinzelhandel in institutionalisierten Dialogforen adressieren dieses Thema. Aber auch hier widersprechen bislang die trockenen Gesetzmäßigkeiten von Angebot und Nachfrage den Notwendigkeiten einer kostendeckenden und gewinnbringenden Erzeugung auf den landwirtschaftlichen Betrieben.

Landwirtschaft und Klimawandel

Mit dem Abkommen von Paris hat sich Deutschland verpflichtet, durch eine substanzielle Reduktion der Emission von Treibhausgasen seinen Beitrag zum 1,5- bis 2,0-Grad-Ziel zu leisten. Dieser Beitrag wird auf alle Wirtschaftssektoren heruntergebrochen. Im Jahr 2020 hat die Landwirtschaft mit 60 Mio. t CO2-Äquivalenten einen Anteil von ca. 9 Prozent an den Gesamtemissionen an Treibhausgasen in Deutschland. Schreibt man bisherige Emissionsminderungserfolge fort, wird der Sektor Landwirtschaft bis 2030 eine »Klimalücke« von 36 Mio. t CO2-Aquivalenten haben. Das heißt in diesem Ausmaß wird der Sektor hinter den im Pariser Abkommen festgelegten Minderungswerten zurückbleiben. Als Maßnahmen zur Schließung dieser Lücke wird die auch an anderen Stellen angesprochene Transformation der Landwirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit vorangetrieben. Dazu werden als Maßnahmen diskutiert:

  Reduktion der Tierbestände (Flächenbindung Tierhaltung) bei gleichzeitig gesteigertem Tierwohl.

  Verringerung der Treibhausgasemission aus Böden infolge der Stickstoffdüngung.

  Flächenanteil von 30 Prozent Ökolandbau sowie eine Ernährungswende, die auf weniger Fleischverzehr abzielt.

Kommissionen haben Lösungsvorschläge erarbeitet

Die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL), die von Bundeskanzlerin Merkel im Jahr 2019 eingerichtet wurde, hat zur Transformation der Landwirtschaft ein Empfehlungspapier vorgelegt, das im breiten Konsens der Stakeholder erarbeitet wurde. Organisationen von Landwirtschaft, Umweltschutz, Verbraucherverbände und Wissenschaft haben hier insbesondere Vorschläge entwickelt, die einen substanziellen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Dabei werden den Prinzipien »Vermeidung vor Reparatur«, »Internalisierung von Umweltkosten in die Gesamtkostenstruktur von Produktionsprozessen« sowie dem Gedanken, dass Leistungen für Umwelt- und Naturschutz als Dienstleistungen an der Gesellschaft aufzufassen sind und dementsprechend auch von der Gesellschaft zu entlohnen sind, eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Eine weitere Kommission, die sogenannte »Borchert-Kommission«, benannt nach dem ehemaligen Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert, hat sich intensiv mit den Fragen der Umsetzung von Tiergerechtheit in der Nutztierhaltung beschäftigt und auch hierzu ein schlüssiges Maßnahmenpaket entwickelt. Bis die Empfehlungen aus beiden Kommissionen umgesetzt werden, wird es noch einige Zeit dauern, obwohl sie von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen sind. Dennoch sind die Fragen der Finanzierung von Zusatzleistungen, die von der Landwirtschaft erbracht werden und die nicht vom Markt, von den Verbrauchern, an der Ladentheke entlohnt werden, alles andere als trivial. Und insbesondere in Phasen, in denen die Kassen immer knapper werden ist die Frage der Bezahlung eine erhebliche Hürde.

Dennoch ist vieles, was in den beiden Kommissionen für die Nutztierhaltung und den Pflanzenbau angesprochen wurde, bereits als Einzelmaßnahmen in der Umsetzung. Die Lebensmittelkette hat sich stark bewegt und Mehrwertprogramme entwickelt, die ein Mehr an Tierwohl bzw. Nachhaltigkeit und eine bessere Entlohnung der Landwirtschaft gestatten. Ihre Marktanteile steigen. Im Pflanzenbau werden technische Innovationen im Bereich Digitalisierung und Smart-Farming realisiert, die die Applikation von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln mit einer Effizienz ermöglichen, die vor einem Jahrzehnt noch undenkbar schienen. Das Zusammenwirken von Sensoren und Ausbringtechnik wird immer präziser und die schnell wechselnden Standortbedingungen (Boden und Pflanzenbestand) können im Verlauf der Überfahrt mit dem Traktor mittels leistungsfähiger Sensoren erfasst und über komplexe Algorithmen in passgenaue Zumessung der Betriebsmittel Dünger und Pflanzenschutz übersetzt werden.

Landwirtschaft konventionell und öko – Aschenputtel und edler Prinz?

Vielfach wird der Ökolandbau als Schlüssel für alle Probleme gepriesen. Das ist er nicht! Der Ökolandbau in Deutschland hat sich mit guten Konzepten, hoher Glaubwürdigkeit und wohlwollender Förderung ein noch vor wenigen Jahren als nahezu unerreichbar geltendes Marktsegment erschlossen. Dafür gebührt ihm Respekt. Doch er stößt an seine Grenzen: Die gute Öko-Performance geht zu Lasten der Produktivität, der Innovationsflow verläuft schleppend und die vergleichsweise hohen Verbraucherpreise hemmen die Ausweitung der Marktanteile.

Die konventionelle Landwirtschaft in Deutschland hat eine hohe Produktivität entwickelt, Innovationskraft bewiesen und sich im internationalen Wettbewerb eine beeindruckende Position verschafft. Auch ihr gebührt dafür der entsprechende Respekt. Auch sie stößt jedoch an ihre Grenzen: Die hohe Effizienz lässt der Biodiversität zu wenig Spielraum, Nährstoffüberschüsse und Defizite beim Tierwohl beschädigen das Vertrauen in die Branche.

Zwei Systeme, die als konventionelle These (Aschenputtel) und ökologischer Antithese (Edler Prinz) beide an ihre Grenzen stoßen? Überraschend, denn nach der Theorie sollte doch die Antithese nach ordentlicher Prüfung als Fortschritt gelten und die These ablösen. Oder es sollten beide in einer Synthese aufgehen? So war es zumindest bei den Wirtschaftssystemen. Der Manchester-Kapitalismus wurde durch die Soziale Marktwirtschaft abgelöst. Dessen Brutalität warf die soziale Frage mit einer solchen Vehemenz auf, dass eine Antwort unausweichlich wurde. Sie wurde nach dem Vorspiel Bismarck‹scher Sozialreformen durch die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Ehrhards gegeben. Ein über viele Jahrzehnte erfolgreiches Wirtschaftsmodell, das seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der westlichen Welt ideal zum Erstarken demokratischer Verfasstheit passte.

Neue Zeitalter setzen neue Rahmenbedingungen und Paradigmen. Heute gesellt sich zur sozialen Frage die ökologische Frage. In der saftigen Diktion des Bert Brecht heißt das: Erst kommt das Fressen und dann die Moral! Konsequenz: Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft. »Green Deal« im Sprachgebrauch der EU. Der Green Deal ist das politische Dach, unter dem sich die branchenbezogenen Entwürfe für den Agrarsektor versammeln: »EU-Farm-to-fork-Strategie«, »EU-Biodiversitätsstrategie«, »Reform der GAP«, »Reform des Fachrechts«. Und weil die konventionelle Landwirtschaft und der Ökolandbau soziale und ökologische Fragen mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und Konsequenz beantworten, sollte sich der Agrarsektor dieser Herausforderung systemübergreifend stellen.

Vier Ansätze zur Verbesserung der Zukunftsfähigkeit von Landwirtschaft

Vier Ansätze können dabei hilfreich sein: Berufsethos, Kostenwahrheit, flankierende Programme und Innovationen.

  Berufsethos. Die DLG hat in ihren 10 Thesen zur Landwirtschaft 2030 den Begriff des »ehrbaren Kaufmanns« auf den Landwirt übertragen. Der Landwirt ist dann ehrbar, wenn er neben dem Eigenwohl das Gemeinwohl im Blick hat. Das gilt für den Landwirt, der Ökolandbau betreibt ebenso, wie für seine konventionelle Berufskollegin. Und da geht bestimmt mehr! Bei Klima, Biodiversität, Tierwohl und Emissionen ist mit Eigenmotivation sicher mehr möglich als derzeit realisiert wird.

  Kostenwahrheit. Die ökonomischen Systeme müssen praktikabel weiterentwickelt werden. Sie müssen die Wirkung externer Effekte in den Kosten- und Erlösstrukturen der Unternehmen abbilden und zwar möglichst in den Grenzen der Märkte und nicht nur in den Abmessungen der Nationalstaaten.

  Flankierende Programme. Mit der vielbeschriebenen Lücke zwischen Bürgerwille und Verbraucherhandeln – Tierwohl fordern aber nicht bezahlen wollen – lässt sich viel Stillstand erklären, doch nicht vollständig rechtfertigen. Programme wie von der »Borchert-Kommission« vorgeschlagen, sind notwendig, um z. B. mit einer Tierwohlabgabe das Versagen des Marktes zu mildern. Aber am langen Ende muss der Markt funktionieren.

  Innovationen. Sie sind der Schlüssel. Kleine Verbesserungsschritte im Rahmen der bestehenden Prozesse und große Innovationssprünge, wie sie mit Biotechnologie und künstlicher Intelligenz möglich werden. Beiden Technologien wird in naher Zukunft das höchste Innovationspotenzial zugesprochen. Beide Technologien setzen auf die Kraft der Algorithmen, auf die Schnelligkeit von Entscheidungsregeln; einmal gespeichert als biologische Codes in Basentripletts, einmal als binäre Codes auf Magnetplatten. Beide Landwirtschaftssysteme, konventionell und ökologisch, müssen für sich klären, welche Technologien in welchem Maße systemkonform sind. Und die Politik muss in der Beratung durch die Wissenschaft im Rahmen eines gesellschaftlichen Diskurses entscheiden, wie die Technologien nutzbar gemacht werden können.

Die »konventionelle« Landwirtschaft wird auf lange Sicht das leitende Modell der deutschen und internationalen Landwirtschaft bleiben. Mit etwas Fantasie könnten 20 bis 30 Prozent Ökolandbau möglich sein, wenn alle Potenziale ausgeschöpft werden und manches Liebgewordene aber Unzeitgemäße in den Richtlinien des Ökolandbaus entstaubt wird. Und die Nachfrage entsprechend wächst. Es bleiben aber 70 bis 80 Prozent konventionelle Landwirtschaft. Das ist der Kern der Branche.

Wenn es also ernst sein soll mit Klimaschutz, Artenvielfalt und Sozialverträglichkeit, muss Ökolandbau produktiver werden und die konventionelle Landwirtschaft muss ihre Ökoperformance erhöhen.

Gelegentlich wird eine Hybridlandwirtschaft als Königsweg identifiziert. Aber brauchen wir wirklich eine Synthese aus Ökolandbau und konventioneller Landwirtschaft? Wahrscheinlich nicht. Beide Systeme nähern sich einander ohnehin an und darüber hinaus ist das Neben- und Miteinander beider Ansätze ein fruchtbarer Zustand. Erstens entspricht es einem gesunden Wettbewerb, der alle Beteiligten weiterbringt und zweitens können in der scharfen Profilierung des einen Systems Prozesse und Innovationen ausprobiert werden, die auch im anderen System Nutzen stiften.

Zum Autor

Dr. Lothar Hövelmann begann seinen Berufsweg mit landwirtschaftlicher Lehre und landwirtschaftlichem Praxisjahr. Es folgte das Studium der Agrarwissenschaften, Schwerpunkt Pflanzenbau, eine Dissertation an der Universität Bonn zur Bearbeitung rekultivierter Böden sowie ein landwirtschaftliches Beratungsprojekt bei der STEAG. Anschließend war er vier Jahre Leiter der FuE-Projekte Bioabfallkompostierung und Klärschlammverwertung in einem Unternehmen der Land- und Umwelttechnik. 1998 stieg er bei der DLG als Projektleiter Pflanzenproduktion ein. 2003 übernahm er die Leitung des Fachgebiets Nachhaltige Landwirtschaft, 2008 die Geschäftsführung des DLG-Fachzentrums Landwirtschaft. 2015 wurde er in den DLG-Vorstand berufen.

2.2       Wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft und der ihr vor- und nachgelagerten Stufen im Wandel

Peter Pascher

Dar. 1

Die Landwirtschaft und die ihr vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche werden neuerdings häufig als Agribusiness bezeichnet. Es umfasst die gesamte Lebensmittelkette und damit alle Schritte von der Urproduktion bis zum Verbraucher: Die Landwirtschaft gewinnt mit Produktionsmitteln aus den vorgelagerten Wirtschaftsbereichen die pflanzlichen und tierischen Rohstoffe, die vom Ernährungsgewerbe, also dem Handwerk und der Industrie, weiterverarbeitet werden. Hinzu kommen der Lebensmittelgroß- und -einzelhandel sowie die Gastronomie.

Das Agribusiness hatte im Jahr 2020 in rund 700.000 Betrieben insgesamt 4,4 Millionen Beschäftigte. Damit sind fast 10 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland direkt oder indirekt damit beschäftigt, Menschen mit Essen und Trinken zu versorgen bzw. pflanzliche Rohstoffe für Nicht-Nahrungsmittelzwecke zu erzeugen. Ein Großteil dieser Arbeitsplätze – vor allem in Landwirtschaft, Gastronomie, Handwerk und Einzelhandel – ist im ländlichen Raum angesiedelt. Mit zahlreichen attraktiven Ausbildungsberufen und -plätzen stellt das Agribusiness jeden 8. Ausbildungsplatz in Deutschland. So starten jedes Jahr rund 160.000 junge Menschen im Agribusiness in ihr Berufsleben.

Dar. 2

Wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft und der ihr vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche

Im Zehnjahresvergleich ist die Bedeutung des Agribusiness aus Beschäftigungssicht allerdings etwas zurückgegangen. 2010 wirkten dort noch 4,5 Millionen Personen. Das waren seinerzeit 11 Prozent aller Beschäftigten. Produktionswert und Bruttowertschöpfung sind dagegen in allen Gliederungen des Agribusiness in den letzten 10 Jahren deutlich angestiegen. Gemessen am gesamten Produktionswert bzw. an der gesamten Bruttowertschöpfung ist der Anteil des Agrarbusiness leicht zurückgegangen. Das gesamte Agribusiness erbrachte 2020 einen Produktionswert von geschätzten 472 Milliarden Euro oder knapp 8 Prozent des gesamtwirtschaftlichen Produktionswertes. 2010 waren es noch entsprechend 385 Milliarden Euro bzw. knapp 9 Prozent. Gemessen an der volkswirtschaftlichen Bruttowertschöpfung beträgt der Anteil des Agribusiness 6,2 Prozent (2010 6,7 Prozent).

Der Erwerbstätigenanteil der Landwirtschaft am gesamten Agribusiness betrug 2020 12,3 Prozent. Das heißt: Einem landwirtschaftlichen Arbeitsplatz stehen sieben weitere Arbeitsplätze in den vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen gegenüber. 2010 betrug der Anteil der Landwirtschaft noch 13,8 Prozent.

Dar. 3

Wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft und der ihr vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche

Im Weiteren werden ausgewählte Wirtschaftsbereiche des Agribusiness und ihr Wandel in den letzten 10 Jahren näher beleuchtet. Besonders breiten Raum nimmt dabei die Landwirtschaft ein.

2.2.1     Landwirtschaft

In Deutschland übten 2020 580.000 Personen oder 1,3 Prozent aller Erwerbstätigen ihre überwiegende Erwerbstätigkeit in der Land-, Forstwirtschaft und Fischerei aus. Ohne Forstwirtschaft sind es 542.000 Personen oder 1,2 Prozent. Gut 38 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft sind als eigenständige Unternehmer tätig. Ihr Anteil an den Selbständigen in Deutschland beläuft sich auf 5,5 Prozent. Gemessen am gesamten Arbeitsvolumen der deutschen Wirtschaft beträgt der Anteil der Land-, Forstwirtschaft und Fischerei 1,6 Prozent. Der Einsatz moderner Technik hat maßgebend dazu beitragen, dass körperliche Arbeit und Arbeitszeiten in der Landwirtschaft deutlich zurückgegangen sind. Der Umgang mit Natur, Umwelt und Tieren erfordert allerdings eine relativ hohe zeitliche Flexibilität.

Dar. 4

Im Jahr 2010 übten noch 648.000 Personen oder 1,6 Prozent aller Erwerbstätigen ihre überwiegende Erwerbstätigkeit in der Land-, Forstwirtschaft und Fischerei aus. Der starke Rückgang der landwirtschaftlichen Erwerbstätigen in den letzten Jahrzehnten hat sich somit fortgesetzt. Dagegen ist der Anteil der Land-, Forstwirtschaft und Fischerei an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung zumindest im letzten Jahrzehnt mit 0,8 Prozent unverändert geblieben. Daraus resultiert eine starke Steigerung der Arbeitsproduktivität der Landwirtschaft. Gemessen an der Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen hat der Agrarsektor in Deutschland seine Produktivität in den letzten 20 Jahren stark erhöht (plus 60 Prozent). Zum Vergleich: Im Durchschnitt der deutschen Wirtschaft stieg die Produktivität um 43 Prozent. In absoluten Zahlen bleibt jedoch ein Abstand zu anderen Wirtschaftsbereichen.

Dar. 5

Die Landwirtschaft arbeitet vergleichsweise kapitalintensiv

Der Kapitalstock der Land-, Forstwirtschaft und Fischerei, definiert als Bruttoanlagevermögen (ohne Boden) zu Wiederbeschaffungspreisen, ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Noch wesentlich stärker nahm der Kapitaleinsatz je Erwerbstätigen (Kapitalintensität) zu. Mit heute 633.000 Euro Kapital je Erwerbstätigen gehört die Landwirtschaft zu den kapitalintensivsten Branchen. Im produzierenden Gewerbe (Industrie) z. B. fällt die Kapitalintensität mit 353.000 Euro je Erwerbstätigen deutlich niedriger aus. Im Handel sind es nur 157.500 Euro und im Baugewerbe 49.500 Euro.

Land- und forstwirtschaftliches Vermögen wird nur zu einem Drittel fremdfinanziert

Das Nettoanlagevermögen (Bruttoanlagevermögen vermindert um die Abschreibungen, ohne Boden) der deutschen Land-, Forstwirtschaft und Fischerei lag Ende 2020 bei 164,7 Milliarden Euro. Davon entfallen 31 Prozent auf Ausrüstungsgüter (Maschinen und Geräte) und 69 Prozent auf Bauten und Anlagen. Finanziert wird das Sachkapital der deutschen Land-, Forstwirtschaft und Fischerei zu 34 Prozent mit Fremdkapital und zu 66 Prozent mit Eigenkapital. Im Vergleich zu gewerblichen Unternehmen ist der Fremdfinanzierungsanteil relativ gering.

Dar. 6

Dar. 7

Der Fremdkapitalbestand in der deutschen Land- und Forstwirtschaft lag Ende Dezember 2021 mit 54,2 Milliarden Euro um gut 1 Prozent über entsprechenden Vorjahresstand (53,6 Mrd. Euro). Gut 84 Prozent des Kreditbestandes sind langfristige Kredite und dienen damit der Finanzierung langfristiger Investitionen. Kurz- und mittelfristige Kredite mit einer Laufzeit von unter 1 bzw. 5 Jahren spielen mit einem Anteil von knapp 16 Prozent eine untergeordnete Rolle. Die deutsche Land- und Forstwirtschaft nutzt Fremdkapital vorwiegend zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Ergebnisse. Dazu trägt auch das bislang günstige Zinsniveau bei.

Dar. 8

Die deutsche Land-, Forstwirtschaft und Fischerei erzielte 2020 einen Produktionswert von 59,8 Milliarden Euro. Das ist erheblich mehr als der Produktionswert des gesamten deutschen Textil-, Bekleidungs- und Schuhgewerbes mit 22,1 Milliarden Euro, des Papiergewerbes mit 39,5 Milliarden Euro oder der pharmazeutischen Industrie mit 53,9 Milliarden Euro. Einkäufe der Landwirtschaft stützen die übrige Wirtschaft. Landwirte fragen viele Betriebsmittel, Investitionsgüter und Dienstleistungen nach. Es sind vor allem kleinere und mittlere Betriebe aus Handel, Handwerk und Gewerbe, die wirtschaftlich stark mit der Landwirtschaft verbunden sind. Viele Höfe nutzen darüber hinaus eine breite Palette von Dienstleistungen. Diese reichen von der Beratung über Wartungsarbeiten bis hin zu Tiergesundheits- und Qualitätsüberwachung. Die produktionsbedingten Ausgaben der deutschen Landwirtschaft betrugen 2020 44,7 Milliarden Euro, wovon 9,7 Milliarden Euro auf Investitionen in Bauten und Maschinen entfallen. Zu den betriebsbedingten Ausgaben kommen u. a. die privaten Konsumausgaben der Land- und Forstwirte hinzu, die sich 2020 auf 7,5 Milliarden Euro beliefen.

Dar. 9

Dar. 10

In Deutschland gab es 2020 262.800 landwirtschaftliche Betriebe mit mehr als 5 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche (LF), einschließlich 21.500 Betrieben mit weniger als 5 Hektar LF, die auf Grund ihrer Tierbestände oder von Spezialkulturen zu den berichtspflichtigen Betrieben gehören. Diese Betriebe bewirtschafteten 2020 rund 16,595 Millionen Hektar LF. Die durchschnittliche Flächenausstattung der landwirtschaftlichen Betriebe erreichte 2020 63,2 Hektar LF.

Dar. 11: Agrarstruktur – Betriebe nach Hektargrößenklassen 2020

BetriebsgrößeBetriebeFläche

Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nahm zwischen 2010 und 2020 um 36.400 auf 262.800 Betriebe ab. Das sind 12,2 Prozent weniger. Pro Jahr entspricht dies einer Abnahmerate von fast 1,2 Prozent. Damit scheint sich der landwirtschaftliche Strukturwandel etwas verlangsamt zu haben. Denn in den Jahrzehnten zuvor lag die durchschnittliche jährliche Abnahmerate der Betriebe bei etwa 3 Prozent, was statistisch alle 20 Jahre eine Halbierung der Zahl der Betriebe entspricht. Bei der augenscheinlich rückläufigen Abnahmerate ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Grenze der statistisch erfassten Betriebe auf 5 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche (LF) angehoben worden ist. Unter der Annahme, dass die Zahl der seit 2007 nicht mehr erfassten Betriebe seitdem um die Hälfte bis zwei Drittel zurückgegangen ist, liegt die jährliche Abnahme der landwirtschaftlichen Betriebe in den letzten 10 Jahren bei etwa 2,4 Prozent.

Dar. 12: Agrarstrukturwandel 2010 bis 2020

GebietZahl der Betriebe ab 5 ha LF (in 1.000)Jährliche Veränderung in Prozent

Die sogenannte Wachstumsschwelle, unterhalb derer die Zahl der Betriebe ab- und oberhalb derer die Zahl der Betriebe zunimmt, steigt kontinuierlich an. Die Zahl der Betriebe in den Größenklassen unter 100 Hektar LF nimmt ab. Die Zahl der Betriebe mit 100 Hektar und mehr hingegen nimmt zu, zwischen 2010 und 2020 bundesweit um 4.600 auf 38.200 Betriebe oder knapp 15 Prozent aller Betriebe. Diese Betriebe bewirtschaften etwa 62 Prozent der LF in Deutschland. Im Niveau der Wachstumsschwelle gibt es allerdings regional große Unterschiede.

Dar. 13: Strukturwandel landwirtschaftlicher Betriebe

Betriebsgröße von … bis unter … ha LF20102020%-Veränderung 2020 zu 2010

Bei regionaler Betrachtung wird ein Nord-Süd-Gefälle der Betriebsgrößen deutlich

Die Flächenausstattung allein lässt jedoch noch keine Aussage über die betriebliche Wettbewerbsfähigkeit zu, die auch bei geringerer Flächenausstattung etwa durch den Anbau von Sonderkulturen, besondere Vermarktungsformen bzw. durch eine intensive Tierhaltung gegeben sein kann. Während in Bayern und Baden-Württemberg aufgrund der früher angewendeten Erbaufteilung auf alle Nachfahren eher kleinere Betriebe mit einer landwirtschaftlich genutzten Fläche (LF) von durchschnittlich etwa 36 Hektar verbreitet sind, weisen die Betriebe im Norden Deutschlands aufgrund des vermehrt angewendeten Anerbenrechts mit durchschnittlich 82 Hektar in Schleswig-Holstein und 73 Hektar in Niedersachsen eine deutlich größere Flächennutzung auf. Die größten landwirtschaftlichen Betriebe gibt es nach wie vor im Osten Deutschlands, wo nach der Wende die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in entsprechend große Nachfolgebetriebe überführt wurden. An der Spitze bei den Betriebsgrößen liegen Mecklenburg-Vorpommern mit durchschnittlich 281 Hektar LF pro Betrieb und Sachsen-Anhalt mit 270 Hektar LF pro Betrieb.

Der Anteil viehloser Betriebe ist stark angestiegen. Während die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe zwischen 2010 und 2020 um gut 12 Prozent zurückging, verringerte sich die Zahl der darin enthaltenen Betriebe mit Nutztierhaltung um 22 Prozent. Mit 25 Prozent noch stärker war der Rückgang bei den Sonderkulturbetrieben. Zum Stichtag 1. März 2020 wurden in 167.900 landwirtschaftlichen Betrieben Tiere gehalten – anteilig sind das 64 Prozent aller Betriebe, 9 Prozentpunkte weniger als in 2010. Entsprechend stark gewachsen ist der Anteil viehloser Betriebe, von 27 auf 36 Prozent. Eine andere Zahl bringt den starken Strukturwandel in der Nutztierhaltung zum Ausdruck: Die Zahl der Schweine- und Milchviehhalter ist in den letzten 10 Jahren um jährlich 4 bis 5 Prozent zurückgegangen. Stark, aber weniger drastisch sind auch die Nutztierbestände Deutschlands zurückgegangen.

Die Tierhaltung erfolgt in den verschiedenen Regionen Deutschlands mit unterschiedlicher Intensität – gemessen an der Relation des Tierbestandes (in GVE Großvieheinheiten – entspricht 500 Kilogramm Lebendgewicht) und der zur Verfügung stehenden landwirtschaftlich genutzten Fläche (LF) eines tierhaltenden Betriebes. Im Bundesländervergleich relativ hohe Werte weisen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen (jeweils 1,6 GVE je Hektar LF) auf. Auch Bayern (1,2 GVE je Hektar LF) liegt noch über dem Bundesdurchschnitt von 1,1 GVE je Hektar LF. Die Tierhaltung wird in den einzelnen Bundesländern von unterschiedlichen Tierarten bestimmt: In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wird mehr als die Hälfte aller Schweine in Deutschland gehalten. Die Geflügelhaltung ist mit 49 Prozent der gesamten Haltungsplätze besonders auf Niedersachsen konzentriert. Spitzenreiter bei der Rinderhaltung ist weiterhin Bayern – hier stehen 26 Prozent des Gesamtbestandes, gefolgt von Niedersachsen (22 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (11 Prozent).

Dar. 14: Landwirtschaftliche Betriebe nach Rechtsformen 2020

Einzelunternehmen dominieren

Nach Rechtsformen betrachtet dominieren die landwirtschaftlichen Einzelunternehmen, die in der Regel als Familienbetriebe geführt werden. Nach Ergebnissen der Landwirtschaftszählung 2020 zählen 87 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe Deutschlands zu den Einzelunternehmen und 11 Prozent zu den Personengesellschaften. 2 Prozent der Betriebe gehören zur Rechtsform der juristischen Personen (GmbH, Genossenschaft, AG).

Dar. 15

Juristische Personen besonders in den neuen Bundesländern

Vor allem durch zahlreiche neu entstandene GmbH ist die Zahl der juristischen Personen zwischen 2010 und 2020 von rund 5.100 auf rund 5.900 angestiegen (einschließlich juristischer Personen des öffentlichen Rechts). In den neuen Bundesländern ist eine vergleichsweise hohe Zahl von 3.900 Kapitalgesellschaften, eingetragenen Genossenschaften und Aktiengesellschaften tätig. Im früheren Bundesgebiet haben 2.100 Unternehmen die Rechtsform einer juristischen Person gewählt. Von den juristischen Personen werden in Deutschland rund 17 Prozent der Landwirtschaftsfläche bewirtschaftet, Tendenz insgesamt leicht abnehmend. Während der Flächenanteil der Agrargenossenschaften deutlich rückläufig ist, nimmt der Bewirtschaftungsanteil der GmbH kräftig zu. Juristische Personen bewirtschaften im Durchschnitt über 483 Hektar.

Dar. 16

Dar. 17

Entwicklung der Zahl der Personengesellschaften und juristischen Personen

Starker Zuwachs bei den Personengesellschaften

Die Entscheidung, weiter – ganz oder teilweise – von der Landwirtschaft zu leben, ist auch von der Perspektive auf eine Hofnachfolge abhängig. Dies zeigt sich u. a. in der Zunahme von Personengesellschaften; diese Rechtsform hatten knapp elf Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in der Landwirtschaftszählung 2020 angegeben. Insbesondere die Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) verzeichneten eine starke Zunahme seit 2010. Sie sind ein beliebtes Instrument für die gemeinsame Wahrnehmung der Betriebsleitung durch Eltern und Kinder, bieten aber auch außerhalb der eigenen Familie die Möglichkeit, die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen. Von den Personengesellschaften werden mittlerweile fast 21 Prozent der LF Deutschlands bewirtschaftet. 1999 und 2010 waren es noch entsprechend 12 und 16 Prozent. Die durchschnittliche Flächenausstattung der Personengesellschaften lag 2020 bei 119 Hektar.

Von der ebenfalls stark gestiegenen Zahl der GmbH werden mittlerweile 9 Prozent der Agrarfläche Deutschlands bewirtschaftet. Im Osten Deutschlands sind es sogar entsprechend 27 Prozent. Weitere 22 Prozent der Fläche befinden sich dort in der Bewirtschaftung von Agrargenossenschaften.

Nur noch knapp zwei Drittel der Fläche von Einzelunternehmen bewirtschaftet

Die Zahl der landwirtschaftlichen Einzelunternehmen in Deutschland und ihr Anteil an allen landwirtschaftlichen Betrieben ist im Zeitvergleich deutlich zurückgegangen. Die Einzelunternehmen stellen nach Ergebnissen der Landwirtschaftszählung 2020 zwar 87 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe, bewirtschaften aber nur 62 Prozent der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche. Zehn Jahre zuvor betrug ihr Bewirtschaftungsanteil noch 66 Prozent, zwei Jahrzehnte zuvor lag ihr Anteil sogar noch bei 70 Prozent. Die durchschnittliche Flächenausstattung lag 2020 bei 45 Hektar je Betrieb – wobei die Spanne von 31 bzw. 34 Hektar in Baden-Württemberg und Bayern bis 139 Hektar in Mecklenburg-Vorpommern reicht.

Dar. 18

Betriebswirtschaftliche Ausrichtung beschreibt die Spezialisierung eines Betriebes

Die betriebswirtschaftliche Ausrichtung benennt den Schwerpunkt der landwirtschaftlichen Produktion. Entfallen in einem Betrieb mehr als zwei Drittel des Geldwerts der landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf einen einzelnen Produktionszweig, zählt er zu den spezialisierten Betrieben, wobei zwischen den betriebswirtschaftlichen Ausrichtungen Ackerbau, Gartenbau, Dauerkulturen, Futterbau und Veredlung unterschieden wird. Betriebe, deren Produktion sich stärker auf mehrere Produktionszweige verteilt, werden als Verbundbetriebe bezeichnet.

Futter- und Ackerbau dominieren

Die häufigste betriebswirtschaftliche Ausrichtung war nach Ergebnissen der Landwirtschaftszählung 2020 in Deutschland mit rund 107.100 Betrieben der Futterbau, darunter gut 44.600 Betriebe mit dem Schwerpunkt Milchviehhaltung. Es folgt der Ackerbau mit 87.700 Betrieben. Rund 23.700 Betriebe waren Gartenbau- und Dauerkulturbetriebe, hierunter fällt z. B. auch der Weinbau. Futterbau und Ackerbau sind damit die dominierenden Produktionsschwerpunkte. Sie stellen zusammen 74 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe und erwirtschaften mit 25,3 Milliarden Euro mehr als die Hälfte (55 Prozent) des gesamten Standardoutputs der deutschen Landwirtschaft (46,5 Milliarden Euro). Der Standardoutput ist dabei der durchschnittliche Geldwert der landwirtschaftlichen Bruttoerzeugung, welcher durch die monetäre Bewertung von Flächen und Tieren der Betriebe ermittelt wird. Dazu werden die durchschnittlichen Erträge der Anbaufrüchte und aus der tierischen Erzeugung mit einem Durchschnittspreis multipliziert. Der Durchschnittspreis wird aus den regionalen Erlöspreisen der letzten fünf Jahre ermittelt.

Dar. 19

In den südlichen Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern dominieren die Futterbaubetriebe mit einem Anteil von rund 34 bzw. 53 Prozent am Standardoutput. Demgegenüber nehmen im Nordosten Deutschlands die Ackerbaubetriebe eine bedeutsame Stellung ein: Auf sie entfallen in Mecklenburg-Vorpommern rund 37 Prozent und in Sachsen-Anhalt rund 38 Prozent des landesweiten Standardoutputs. Im Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen tragen die Veredlungsbetriebe neben dem in ähnlichem Maße bedeutenden Futterbau mit rund 29 Prozent bzw. rund 30 Prozent zum jeweiligen landesweiten Standardoutput bei. Veredlungsbetriebe sind solche, die ihren Standardoutput zu mehr als zwei Dritteln aus der Zucht bzw. Mast von Schweinen und/oder Geflügel generieren. Erwartungsgemäß ist im Südwesten der Weinbau bedeutend für die wirtschaftliche Stärke der Landwirtschaft, dies wird am beachtlichen Anteil der Dauerkulturen in Rheinland-Pfalz von rund 41 Prozent des landesweiten Standardoutputs deutlich. Bezogen auf die landwirtschaftlich genutzte Fläche ist die Wert-schöpfung bei den Gartenbaubetrieben mit 49.900 Euro je Hektar am größten, die geringste Wertschöpfung haben die Ackerbaubetriebe mit 1.500 Euro je Hektar.

Der Anteil der Nebenerwerbsbetriebe ist stark gestiegen

Die landwirtschaftlichen Einzelunternehmen können nach ihrem Erwerbscharakter unterschieden werden. Aufgrund des Verhältnisses von betrieblichem Einkommen und dem Einkommen aus außerbetrieblichen Quellen erfolgt die Zuordnung: Die Haupterwerbsbetriebe beziehen mehr als 50 Prozent ihres Einkommens aus dem landwirtschaftlichen Betrieb, die Nebenerwerbsbetriebe weniger als 50 Prozent. Nach dieser Definition werden nach Ergebnissen der Landwirtschaftszählung 2020 mittlerweile 57 Prozent der Einzelunternehmen im Nebenerwerb und 43 Prozent im Haupterwerb geführt. 2010 lagen die Anteile noch bei jeweils 50 Prozent. In Baden-Württemberg, Hessen, Saarland und Sachsen liegt der Anteil der Einzelunternehmen im Nebenerwerb bei rund zwei Dritteln. Im Vergleich zu 2010 ist der Anteil der Nebenerwerbsbetriebe in allen Bundesländern deutlich angestiegen. Diese Entwicklung geht einher mit der relativ stark abnehmenden Zahl viehhaltender Betriebe.

Dar. 20

Der Nebenerwerb kann sowohl Übergangsstadium als auch stabile Form einzelbetrieblicher Entwicklungen sein. Die im Nebenerwerb geführten Familienbetriebe bewirtschaften gut 2,9 Millionen Hektar LF – das sind durchschnittlich 25 Hektar je Betrieb. Die im Haupterwerb geführten Betriebe bewirtschaften mit durchschnittlich 72 Hektar eine fast dreimal größere LF als die Nebenerwerbsbetriebe. Dabei haben die Haupterwerbsbetriebe der neuen Bundesländer eine höhere durchschnittliche Flächenausstattung als die Betriebe im früheren Bundesgebiet. Sie sind beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich rund dreimal so groß wie im Bundesdurchschnitt (244 Hektar zu 72 Hektar).

Dar. 21

Ist die Hofnachfolge gesichert?

Das wurden bei der Landwirtschaftszählung 2020 explizit Inhaber landwirtschaftlicher Einzelunternehmen gefragt, die mindestens 55 Jahre alt waren. 2020 war das bei etwa 110.000 Betrieben der Fall. Andere Unternehmensformen, beispielsweise GbR, die Familien für den Übergabeprozess gründen, sind dabei nicht berücksichtigt. Bei gut 40.200 Betrieben, rund 37 Prozent der Einzelunternehmen, war die Hofnachfolge gesichert. Mit etwa 36 Prozent lag der Anteil bei der Erhebung im Jahr 2010 ähnlich hoch. Allerdings waren damals nur 31 Prozent der Betriebsinhaber von Einzelunternehmen 55 Jahre und älter, 2020 sind es 48 Prozent.

Der Anteil der Betriebe, in denen die Nachfolge geregelt ist, variiert in den Bundesländern: In Rheinland-Pfalz und im Saarland ist es etwa ein Viertel, in Bayern und Nordrhein-Westfalen sind es über 40 Prozent. Dabei stellen Männer die große Mehrheit der künftigen Hofnachfolger dar. Etwa 18 Prozent der Betriebe werden Frauen übernehmen: Der Frauenanteil bei der Hofnachfolge ist damit seit der Landwirtschaftszählung 2010 um vier Prozentpunkte gestiegen.

Dar. 22