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Das Unsichtbare sehen und das Unmögliche tun In diesem Buch beschreibt Burrus anhand zahlreicher Fallbeispiele, auf welche Weise seine sieben Zukunftsflash-Impulse kleinen Firmen und internationalen Konzernen, Einzelpersonen und ganzen Branchen zu traumhaften Karrieresprüngen und Erfolg verhalfen. "Wäre es nicht großartig, wenn Sie die Zukunft vorhersagen könnten - und Recht behielten?", fragt Burrus. Und weiter: "Sie können es. Sie müssen dabei nur die Punkte ausklammern, in denen Sie sich täuschen könnten. Das Erstaunliche ist nämlich: Selbst dann bleibt immer noch mehr als genug übrig, um absolut korrekte Prognosen erstellen zu können, die für Sie den Unterschied zwischen einer sicheren, erfolgreichen oder einer ungewissen, riskanten Zukunft bedeuten". US-Bestseller The New York Times, The Wall Street Journal, US Today, Amazon.com
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Seitenzahl: 512
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Für Sharon – meine Frau, Seelenverwandte, beste Freundin und mein treuester Fan. Aus deiner Liebe schöpfe ich Kraft und Inspiration.
Und für die unzähligen Menschen rund um den Erdball, die meine Vorträge besuchen, meine Bücher lesen und meine Ideen aufgreifen und umsetzen. Die unglaublich positive Resonanz meiner Zuhörer und Leser spornt mich dazu an, beständig nach kreativen Möglichkeiten zu suchen, wie wir gemeinsam eine bessere Zukunft gestalten können.
Daniel Burrus
mit John David Mann
7 radikale Impulse, um IhrUnternehmen zukunftstauglichzu machen
Aus dem Amerikanischenvon Birgit Hofmann
Die amerikanische Originalausgabe »Flash Foresight: How to See the Invisible and Do the Impossible: Seven radical principles that will transform your business« erschien 2011 bei Harper Business.
Copyright © by Daniel Burrus
All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.
Published by arrangement with Harper Business, an imprint of Harper Collins Publishers, LLC.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Lektorat: Friederike Mannsperger, Offenbach
Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de
© 2015 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Das E-Book basiert auf dem 2012 erschienenen Buchtitel „Zukunftsflashs“ von Daniel Burrus mit John David Mann, ©2012 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.
ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-431-5
ISBN epub: 978-3-86200-971-8
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.
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Flash:ein Lichtblitz, ein Lichtstrahl, eine Einblendung; im übertragenen Sinn eine Eingebung oder ein Geistesblitz – a flash of inspiration.
Foresight:die Voraussicht, die Erkenntnis, der Weitblick; Wahrnehmung der Eigenschaften von Ereignissen, bevor sie eintreten.
Flash Foresight:ein Zukunftsflash – eine plötzliche Erkenntnis über zukünftige Entwicklungen, aus der sich eine radikal andersartige Sicht auf die Gegenwart ergibt, was verborgene Chancen sichtbar macht und unlösbar erscheinende Probleme überwinden hilft, bevor sie auftreten.
Irgendetwas brachte Dale Morgen auf eine geniale Idee.
Wie die meisten Menschen machte sich auch Dale Sorgen über die steigenden Energiekosten, die Umweltverschmutzung, den Klimawandel und die globale Erdölpolitik. Wie den meisten Menschen war auch Dale klar, dass die Erzeugung von Kernenergie mit erheblichen Problemen und Risiken verbunden ist, zu denen unter anderem die Lagerung radioaktiver Abfälle sowie die permanente Gefahr katastrophaler Atomunfälle gehören, ganz zu schweigen von dem Risiko, dass nukleares Material gestohlen und in die Hände von Terroristen gelangen könnte.
Anders als die meisten Menschen ist Dale jedoch ein renommierter Erfinder, der bereits mehr als 30 überaus erfolgreiche Patente angemeldet hat.1 Im Zuge seiner Tätigkeit verfeinerte Dale eine ganz bestimmte Begabung – das gewisse Etwas, das ihn auf die geniale Idee brachte, um die es hier geht. Ich bezeichne dieses Etwas als Zukunftsflash und möchte Ihnen in diesem Buch erklären, was es ist und wie es funktioniert, sodass auch Sie einen Blick vorauswerfen und Ihre berufliche und private Zukunft entsprechend gestalten können.
Sie haben bereits alles, was Sie hierfür benötigen: Ihre fünf Sinne, die Ihnen die »Daten« liefern, und Ihre Intuition – den sechsten Sinn, über den jeder Mensch verfügt, auch wenn ihn viele vielleicht lieber als Bauchgefühl bezeichnen. In diesem Buch geht es nun darum, wie diese sensorischen und intuitiven Fähigkeiten aufeinander abgestimmt und die gewonnenen Einsichten in die Zukunft projiziert werden können. Ein Zukunftsflash ist ein Augenblick der Erleuchtung, in dem Sie künftige Entwicklungen klar und deutlich erkennen können. Die intuitive Erkenntnis dessen, was kommt, ermöglicht es Ihnen, verborgene Chancen zu erkennen und Ihre größten Probleme zu lösen, bevor sie auftreten. Jeder Mensch ist in der Lage, einen Blick in die Zukunft zu werfen und sie nach seinen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.
Ich bin mir sicher, Sie wissen, wovon die Rede ist. Wir alle erleben hin und wieder diese Momente der intuitiven Vorahnung, in denen wir erkennen, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln. Haben Sie sich auch schon des Öfteren gedacht: »Ich wusste, dass es darauf hinausläuft; hätte ich doch nur dieses oder jenes getan«? Im Nachhinein zeigt sich, dass das eigene Bauchgefühl richtig war, dem man aber oft nicht vertraut, weil man natürlich nicht wissen kann, wie gut man sich auf die eigene Intuition verlassen kann. Um genau diese Einschätzung – woher kommt die Eingebung und wie zuverlässig ist sie? – geht es in diesem Buch. Zu erkennen was kommt, ist eine Fähigkeit, die jeder entwickeln, verfeinern und stärken kann. Ich werde Ihnen erklären, wie es geht und wie Sie sich diese in Ihnen schlummernde Fähigkeit zunutze machen können.
Die in diesem Buch enthaltenen Beispiele von Zukunftsflashs beziehen sich auf reale Probleme und ebenso reale Problemlösungen. Sie werden zum Beispiel erfahren, wie es Hunderten von überarbeiteten Mitarbeitern in der medizinischen Intensivpflege gelang, ihre langen, anstrengenden Arbeitstage um drei Stunden zu verkürzen, wie ein städtischer Schulbezirk das Geld für seine Bildungsinitiativen auftrieb, ohne dafür selbst in die Tasche greifen zu müssen, und wie eine Telefongesellschaft Afrika den sozialen und wirtschaftlichen Wandel bringt, indem sie etwas tut, auf das ihre US-amerikanischen Mitbewerber nie gekommen wären. Wir werden an Dutzenden von Beispielen untersuchen, wie die auf Fakten beruhende intuitive Erkenntnis es ganz normalen Menschen ermöglicht, das Unsichtbare zu sehen und das Unmögliche zu tun.
Sehen wir uns als Erstes den Erfinder Dale an, um herauszufinden, wie er sich dieses Prinzip zunutze gemacht hat, um auf seine geniale Idee zu kommen. Dale wusste, dass zur Lösung der sich zuspitzenden Energiekrise schon seit Längerem an einer Alternative geforscht wird, die ohne fossile Brennstoffe auskommt, weder Treibhausgase noch radioaktive Abfälle produziert und die Umwelt nicht belastet. Diese Methode der Energieerzeugung, die sich nach Meinung vieler Wissenschaftler zur wichtigsten Energiequelle des 21. Jahrhunderts und darüber hinaus entwickeln wird, ist die Kernfusion.
»Die derzeit modernste und effizienteste Brennstoffzelle liefert bei der Verbrennung einer bestimmten Menge Wasserstoff und Sauerstoff eine Energieausbeute von zehn Elektronenvolt«, erklärt Morgen. »Die Fusion zweier Wasserstoffisotope liefert dagegen eine Energieausbeute von 16,7 Millionen Elektronenvolt. Für die Energie, die durch die Fusion der Wasserstoffisotope in einer vollen Badewanne gewonnen werden kann, müsste man 40 Zugladungen Kohle verbrennen. Aus einer relativ geringen Menge an Meerwasser könnte man mehr als genug Energie gewinnen, um den Energiebedarf der nächsten 50 000 Jahre zu decken. Und das einzige Nebenprodukt, das bei der Kernfusion entsteht, ist unschädliches, nicht radioaktives Helium.«
Verständlicherweise weckt diese Perspektive immenses Interesse bei zahlreichen internationalen Investoren und Verbänden aus Forschung und Wissenschaft. So haben sich beispielsweise 20 Länder – unter anderem die USA, China, Japan, Korea, Russland und sechs EU-Länder – zu einem Konsortium zusammengeschlossen, um den mehrere Milliarden US-Dollar teuren Bau des weltweit ersten Kernfusions-Versuchsreaktors zu finanzieren, der derzeit in Südfrankreich entsteht. Das Projekt ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) ist das größte und teuerste wissenschaftliche Forschungsvorhaben, das jemals für die Suche nach diesem Heiligen Gral ins Leben gerufen wurde. Auch in dem renommierten Lawrence Livermore Laboratory in Kalifornien wurde eine Versuchsanlage gebaut, in der auf einer Länge von drei Fußballfeldern zwei Millimeter kleine Kügelchen aus gefrorenem Wasserstoffisotopen-Gemisch mit Laserstrahlen beschossen werden.
Leider hat das Ganze aber einen Haken. Trotz der astronomischen Summen, die in diese hochmodernen, fortschrittlichen Versuchsanlagen investiert werden, übersteigt ihr Energieverbrauch noch immer die Energieausbeute. Vergleichbar mit einer Investition, bei der der Anleger ständig Kapital verliert statt Gewinne einzustreichen, wird in den heutigen Kernfusionsreaktoren weniger nutzbare Energie erzeugt als verbraucht. Der zurzeit größte in Betrieb befindliche Kernfusionsreaktor ist der britische Joint European Torus (JET); doch selbst hier beträgt die Energieausbeute maximal zwei Drittel des Energieverbrauchs – was einer schlechten Geldanlage entspricht, bei der Sie 100 Dollar investieren und weniger als 65 Dollar zurückbekommen.
Und genau an diesem Punkt kommt Dales Geistesblitz ins Spiel: Was wäre, wenn man diese Anlagen radikal verkleinern würde, anstatt immer größere zu errichten? Ja, warum sollte man den Fusionsreaktor eigentlich nicht sogar so radikal verkleinern, dass man ihn mit bloßem Auge nicht einmal mehr erkennen kann? Auf die Größe eines einzigen Moleküls, zum Beispiel. Mit anderen Worten: Nano-Kernfusion.
Nicht nur Dale kam auf diese Idee. Außer ihm ist noch eine Handvoll anderer Visionäre auf diesem neuen Forschungsfeld tätig. Vom Konzept her ähnelt Dales Modell dem des Lawrence Livermore Laboratory. Doch anstatt wie dort mit dem stärksten Laser der Welt über große Entfernungen auf winzige Kügelchen zu schießen, würde in seinem Reaktor mit einem Nanolaser aus einem einzigen Kohlenstoffmolekül – eine sogenannte Kohlenstoff-Nanoröhre – auf Wasserstoffisotope in einem als »Fulleren«, »Fußballmolekül« oder »Buckyball« bezeichneten Kohlenstoffmolekül geschossen. Und siehe da: Aufgrund der höheren Reinheit und Dichte bietet dieses Material eine positive Energieausbeute. Es wird mehr Energie erzeugt, als für die Reaktion benötigt wird. Potenziell extrem viel mehr, so Dale.
Eine solche Technologie würde unser aller Leben von Grund auf verändern. Die Energiekrise wäre praktisch mit einem Schlag beendet. Den Öl produzierenden Ländern käme keine Sonderstellung mehr zu. Sie produzierten nach wie vor Öl, doch kein anderes Land wäre mehr davon abhängig, den Großteil seines Erdölbedarfs über sie decken zu müssen. Der Menschheit stünde über Jahrhunderte – wahrscheinlich für alle Zeiten – genügend Energie zur Verfügung, um Wirtschaft und Handel global voranzutreiben. Und all das, ohne Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen und radioaktiven Müll zu produzieren.
»Viele Kernfusions-Experten winkten erst einmal ab, als ich ihnen von meiner Idee erzählte«, berichtet Dale. »Sie hielten sie für völlig verrückt – aber das behaupteten sie ja auch von meinen anderen Erfindungen.« Zu den »völlig verrückten« Erfindungen, die Dale im Lauf der Zeit dank seines sicheren Gespürs für zukünftige Entwicklungen patentieren ließ, gehören unter anderem der kompakte, tragbare Kleincomputer, der als PDA (Personal Digital Assistant) bekannt wurde, sowie die Matrixsteuerung für LCD- und Plasmafernseher.
»Die meisten Wissenschaftler glauben, die kommerzielle Nutzung der Kernfusion sei erst in 50 bis 100 Jahren möglich«, ergänzt Dale. »Wir sind davon überzeugt, dass es nicht mehr so lange dauert.«
Der Umsetzung von Dales radikaler Idee stehen allerdings noch beträchtliche technologische Hürden im Weg. Zum einen fehlt es den Pionieren noch an einem für die Nanotechnologie geeigneten Supraleiter. Darin erkennt Dale eine »immense Herausforderung«. Auf die Frage, wie lange es nach Dales Ansicht dauert, bis die diversen Hürden überwunden sind und erste Versuche an einem funktionierenden Modell erfolgen können, antwortet er: »Ich schätze mal, zehn bis 15 Jahre. Höchstens!«
Es geht in diesem Buch aber nicht um die Nano-Kernfusion und ihr Für und Wider und auch nicht darum, wie sich die Energiekrise ein für alle Mal lösen lässt. Wir wollen uns mit diesem Etwas befassen, das Dale auf seine Idee brachte. War es eine Eingebung, ein Bauchgefühl, eine Ahnung, Intuition? Nein, es war noch viel mehr als das: Es war ein Zukunftsflash.
Dales Geistesblitz war ein klassisches Aha-Erlebnis – einer dieser erleuchtenden Momente, in dem Intuition und vorhandenes Wissen Zusammenhänge erkennen lassen, die einen Quantensprung ermöglichen. So einen Moment erlebte Newton, als er einen vom Baum fallenden Apfel beobachtete und daraufhin das Gesetz der Schwerkraft formulierte. Und Kekulé wurde sozusagen im Schlaf erleuchtet: Sein Traum von der Schlange, die sich in den eigenen Schwanz biss, ließ ihn den Kohlenstoffring entdecken, und mit dieser Entdeckung legte er den Grundstein für die organische Chemie. Solche Geistesblitze werden gemeinhin als Zeichen außergewöhnlicher Genialität betrachtet – als eine Art göttliche Eingebung, die sich jeder logischen Erklärung entzieht. Doch es war ein sehr simples Prinzip, das Dale zu seinem intuitiven Quantensprung befähigte.
Bevor wir das Geheimnis um dieses simple Prinzip lüften, möchte ich es an einem weiteren Beispiel verdeutlichen, bei dem es auch um Energie, aber um eine andere Quelle und ein anderes Verfahren geht.
Anfang 2006 nahm ich als Gastredner an einer Konferenz internationaler Versicherer teil. Ein Thema, das die Führungskräfte der Mineralölkonzerne immer wieder aufgriffen, war das Ausmaß der Schäden, die die Wirbelstürme der letzten Hurrikansaison an den Förderanlagen im Golf von Mexiko angerichtet hatten. Im Golf von Mexiko werden nahezu ein Drittel des Erdöls sowie ein Viertel des Erdgases für den US-amerikanischen Markt gefördert. Dummerweise wird ausgerechnet der Golf von Mexiko weltweit am häufigsten von tropischen Wirbelstürmen heimgesucht, was die mit der Ölförderung einhergehenden Risiken für die Umwelt weiter verschärft.
Wie die meisten Menschen machten sich auch diese Führungskräfte Sorgen um die steigenden Energiekosten – in Anbetracht der Höhe ihrer Investitionen sogar sehr große Sorgen. Offshore-Ölbohrplattformen zählen zu den größten mobilen Bauwerken der Welt. Es kostet zum Beispiel fünf Milliarden US-Dollar, eine Bohrplattform wie die Thunder Horse zu bauen, an das Zielgebiet zu schleppen und sie auf dem Meeresboden zu verankern. Allein der Bohrturm der Bohrplattform Mars wiegt gut 1000 Tonnen. Eigentlich ist so eine Plattform (die auch als »Flotel« – also als »schwimmendes Hotel« – bezeichnet wird) eine kleine Stadt mitten im Meer, in der Tausende von Menschen leben und arbeiten.
Bohrplattformen sind bautechnisch darauf ausgelegt, einem »Jahrhundertsturm« standzuhalten, das heißt, Naturgewalten eines Ausmaßes, mit dem im Schnitt nur einmal in hundert Jahren gerechnet werden muss. Unglücklicherweise gab es in den vergangenen Jahren gleich mehrere dieser Jahrhundertstürme. Hurrikan Ivan tobte sich im Herbst 2004 im Golf von Mexiko aus und löste die höchsten bis dahin verzeichneten Wellen aus. Mit einem derart verheerenden Hurrikan, der an sieben Bohrplattformen so große Schäden anrichtete, dass die Produktion für sechs Monate ausgesetzt werden musste, war nach Expertenmeinung nur alle 2500 Jahre zu rechnen.
Im nächsten Jahr kam Katrina. Im Golf von Mexiko gibt es insgesamt rund 800 bemannte Bohrplattformen von US-amerikanischen Konzernen, auf denen mehr als 50 000 Menschen arbeiten. Den Großteil des Öls fördern ungefähr zwei Dutzend der Anlagen, für deren Inbetriebnahme jeweils ein bis zwei Milliarden US-Dollar oder mehr investiert wurden. Die Bilanz nach Katrina lautete: 50 zerstörte oder versenkte Plattformen und ein Produktionsausfall von 95 Prozent.
Wie die Vortragsredner auf der Konferenz erklärten, sahen sich die Ingenieure nun mit der schwierigen Frage konfrontiert, wie die »Hurrikansicherheit« der milliardenschweren Giganten um das 25-fache erhöht werden könnte.
»Und das ist noch nicht einmal das größte Problem«, flüsterte mir mein Sitznachbar zu, der eine leitende Funktion bei einem Ölkonzern bekleidete. »Hurrikans sind furchtbar, das stimmt, aber sie sind nicht unbedingt unsere größte Sorge. Noch ist nichts dergleichen passiert, aber wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, Ziel eines Terroranschlags zu werden. Darauf sollten wir uns vorbereiten, die Frage ist nur, wie? Es ist ja schon schwierig genug, unsere Leute dort draußen vor den Naturgewalten zu schützen. Doch wie soll man sich auf offener See gegen gezielte Anschläge schützen?«
Eine heikle Frage, die bis zu diesem Zeitpunkt der Konferenz unausgesprochen im Raum stand. Der nächste Redner müsste dieses Thema endlich einmal auf den Tisch bringen. Wie der Zufall so spielte, war ich der nächste Redner, und meine Aufgabe bestand darin, den Leitvortrag der Konferenz zu halten. Ich beschäftige mich seit über 25 Jahren intensiv mit der strategischen Analyse und Nachverfolgung von wissenschaftlichen und technologischen Innovationen, um Trends zuverlässig zu prognostizieren und Unternehmen und andere Organisationen weltweit bei der Entwicklung kreativer, produktiver und zukunftsorientierte Strategien zu unterstützen.
Ich betrat die Bühne, ließ meinen Blick über das Publikum schweifen und verkündete: »Es gibt hier eindeutig ein Problem und ich möchte Ihnen eine Lösung vorschlagen: Senken wir die Bohrplattformen auf den Meeresgrund ab.«
Es war nicht weiter schwer, die Gedanken meiner Zuhörer zu erraten: Das Unmöglich! stand ihnen auf die Stirn geschrieben. Und ich konnte es ihnen nicht verübeln. Es klingt wirklich utopisch und vor zehn Jahren wäre es genau das gewesen. Der technologische Fortschritt macht jedoch möglich, was noch vor wenigen Jahren unmöglich war. Wir setzen heute Roboter ein, um im Weltall Reparaturen an Raumschiffen und im menschlichen Körper komplizierte, operative Eingriffe vorzunehmen. Auch auf dem Meeresboden werden Tiefseeroboter bereits für Forschungs- und Reparaturzwecke und verschiedene andere Arbeiten eingesetzt. Roboterbetriebene Unterwasser-Bohranlagen sind heute durchaus machbar – und wären effizienter, sicherer und unweltfreundlicher als die konventionellen Bohrplattformen.
Der grobe Plan, den ich mehr oder weniger spontan auf der Konferenz vorstellte, lautete wie folgt:
»Wie bisher wird die Bohrinsel oberhalb des Wasserspiegels errichtet und am Meeresgrund verankert. Im Unterschied zu jetzt könnte die Gesamtstruktur, vergleichbar mit einem Raketenträger, jedoch aus lösbaren Segmenten bestehen, sodass die Bohrvorrichtung mobil bleibt und von der Insel gelöst werden kann. Ist das Ölfeld erst einmal erschlossen, kann die mobile Bohrvorrichtung abgekoppelt und die Anlage auf den Meeresgrund abgesenkt werden. Die Mannschaft wird mitsamt der Bohrvorrichtung zum nächsten Ölfeld oder in den Hafen gebracht, zurück bleibt eine automatisierte, von Robotern betriebene und gewartete Förderanlage auf dem Meeresgrund.
Bekanntlich muss man aber erst Laufen lernen, bevor man größere Sprünge unternehmen kann. Daher wäre es natürlich sinnvoll, dies zuerst in flacheren Gewässern auszuprobieren, aber die meisten Ölfelder befinden sich ja sowieso in vergleichsweise geringer Tiefe. Und wenn der Prozess sicher und ausgereift ist, ließe er sich auch in der Tiefsee realisieren, sofern das dann überhaupt noch notwendig ist.
Die Belegschaft einer Bohrplattform besteht heutzutage größtenteils aus Hilfskräften, die zur Unterstützung der produktiv arbeitenden Minderheit angeheuert werden und dafür die monatelange Trennung von ihren Familien sowie unglaublich harte Arbeitsbedingungen auf sich nehmen. Im Lauf der Jahre haben Naturgewalten und Unfälle Hunderten von Arbeitern das Leben gekostet. Ein solches Flotel zu unterhalten ist mit astronomischen Summen und immensen persönlichen Opfern verbunden. Mit Robotern ließe sich die Belegschaft innerhalb kürzester Zeit auf ein absolutes Minimum beschränken, wodurch sich nicht nur die finanziellen Ausgaben, sondern auch das Risiko tödlicher Unfälle drastisch reduzierten.
Außerdem wäre es wesentlich sicherer für die Umwelt. Im Zuge des Hurrikans Katrina liefen etwa 30 bis 35 Tausend Tonnen Roh-öl ins Meer, fast ebenso viel wie aus der havarierten Exxon Valdez. So katastrophal die Umweltschäden eines solchen sichtbaren Ölteppichs natürlich sind, darf man nicht vergessen, dass auch unter Wasser Pipelines verlegt sind, die zusammengenommen eine Länge von 50 000 Kilometer ergeben, und dieses weitläufige Netz ist ebenfalls ein kritischer wunder Punkt. Durch die beträchtlichen Schäden, die Hurrikan Ivan 2004 an den Unterwasser-Pipelines anrichtete, liefen ungeheure Mengen an Öl ins Meer, die nicht an die Oberfläche gelangten. Mit unseren heutigen Mitteln sind Reparaturarbeiten an Unterwasser-Pipelines schwierig und kostspielig. Doch wenn wir in fortschrittliche Robotertechnik und tiefseetaugliche Elektronik investieren, um Ölbohranlagen auf dem Meeresboden zu betreiben, ist es nur noch ein kleiner Schritt, um auch die Unterwasser-Pipelines besser zu warten und somit sicherer zu machen.«
Das Interesse an dieser Idee nahm schlagartig zu, als es vier Jahre nach dieser Konferenz erneut zu einer verheerenden Katastrophe im Golf von Mexiko kam. Ausgelöst wurde sie weder von einem Hurrikan noch von Terroristen, sondern von der schlimmsten aller möglichen Ursachen: menschliches Versagen. Am 20. April 2010 kam es auf der Ölbohrplattform Deepwater Horizon zu einem sogenannten »Blowout« – dem unkontrollierten Austritt von Erdöl – und infolge dessen zu einer gewaltigen Explosion. Die Plattform geriet in Brand und da das Feuer nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte, versank sie nach zwei Tagen in einem Gewirr aus Leitungen, gebrochenen Rohren und Ventilen. Die durch den Untergang der Deepwater Horizon verursachte Ölpest gilt als die schwerste Umweltkatastrophe dieser Art und übertraf die Schäden der Exxon Valdez um ein Vielfaches.
Die Betreiber und Ingenieure suchten verzweifelt nach einer Lösung, um in 1500 Metern Tiefe das Hauptleck im abgeknickten Steigrohr abzudichten, aus dem das Rohöl austrat. Die tragische Katastrophe ist einer dieser klassischen Fälle, in denen man den mangelnden Weitblick im Nachhinein bitter bereut: Man hat es zugelassen, im Angesicht einer sich zuspitzenden Krise immer stärker in Zugzwang zu geraten, anstatt vorausschauend Maßnahmen zu ergreifen, mit denen sie sich verhindern oder doch zumindest unter Kontrolle hätte bringen lassen.
Im Zuge der späteren Untersuchungen wurden dem Mineralölkonzern BP, dem Betreiber der Deepwater Horizon, grobe Fahrlässigkeiten vorgeworfen. Zudem stellte sich heraus, dass die Nationale Aufsichtsbehörde auf die Ausarbeitung eines Notfallplans seitens BP verzichtet hatte, weil der Konzern angegeben hatte, ein »katastrophaler Blowout sei unmöglich«. Aber: Nichts ist unmöglich. Wie rückblickend klar wird, führte die Entscheidung, an allen Ecken und Enden Kosten einzusparen, zu einer Reihe folgenschwerer Fehler. Welche Faktoren spielten zusammen, dass sich dieses Unglück ereignen konnte?
Die Explosion und der anschließende Brand auf der Deepwater Horizon konnten sich nur oberhalb des Meeresspiegels ereignen; unter Wasser, auf dem Meeresgrund, wäre es nie dazu gekommen. Fakt ist, dass nahezu jede Ölpest auf Unfälle zurückzuführen ist, die sich über Wasser ereignen. Stellen wir uns einmal vor, die Deepwater Horizon wäre für den Unterwasserbetrieb auf dem Meeresgrund konzipiert gewesen. In diesem Fall wäre es sehr wahrscheinlich weder zu einer Explosion noch zu gebrochenen Rohren gekommen. Hätte man zudem rechtzeitig in wirkungsvolle Eindämmungs- und Säuberungsmethoden zur Bekämpfung von Ölteppichen sowie in geeignete Robotertechnik investiert (wie es beispielsweise in der Chirurgie und der Raumfahrttechnik der Fall ist), könnten die technischen Gerätsschaften zur Abdichtung eines Lecks – sollte sich ein derartiger Unfall tatsächlich ereignen – innerhalb weniger Tage vor Ort sein, bevor es zu einer Umweltkatastrophe gewaltigen Ausmaßes kommt. So aber dauerte es Monate, bis den Ingenieuren die Abdichtung gelang.
Ob diese Idee die Zukunft der Offshore-Ölförderung darstellt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber sie eröffnet auf alle Fälle eine interessante Perspektive. Die tragischen Ereignisse auf der Deepwater Horizon lassen sich nicht mehr rückgängig machen, doch der Ausblick, den ich 2006 den Teilnehmern der Konferenz bot, trägt mittlerweile Früchte. Einige Konzerne haben das Konzept aufgegriffen und treiben es ernsthaft voran. Meiner Einschätzung nach wird die Ölförderung in absehbarer Zukunft wesentlich sicherer, wirtschaftlicher und umweltfreundlicher werden.
Ahnen Sie schon, woraus der Impuls besteht, der Dale Morgen auf die Idee der Nano-Kernfusion und mich auf die Idee der roboterbetriebenen Bohrplattformen brachte? Ich verrate es Ihnen: aus einer Richtungsumkehr. Während der allgemeine Trend in der Kernfusion zu gigantischen Reaktoranlagen ging, die eine Fläche von mehreren Fußballfeldern einnahmen, vollzogen Dale und seine Mitstreiter eine Kehrtwende und entwickelten ein winziges Modell, das auf der Spitze einer Nähnadel Platz hätte.
Offshore-Förderanlagen werden üblicherweise als Bohrinseln konzipiert, das heißt, die Anlage befindet sich über Wasser. Wir schlugen vor, in die entgegengesetzte Richtung zu denken und sie stattdessen auf den Meeresgrund abzusenken.
Ebenso simpel wie das Prinzip selbst ist der Grund, weshalb es funktioniert: Wer in die der allgemeinen Blickrichtung entgegengesetzte Richtung blickt, kann Dinge sehen, die anderen verborgen bleiben. So zeigen sich Chancen, Ressourcen und Möglichkeiten, die bislang schlichtweg übersehen wurden, und diese können der Funke für eine zündende Idee – für einen Zukunftsflash – sein. Eine Richtungsumkehr öffnet Ihnen die Augen für Dinge, die bis zu diesem Augenblick nicht im Blickfeld waren und den meisten anderen aus diesem Grund unmöglich erscheinen.
In meinem Unternehmen verfolgen wir seit über 25 Jahren aufmerksam die neuesten technologischen und wissenschaftlichen Entwicklungen weltweit in allen nur erdenklichen Fachrichtungen – ob Laser-, Roboter-, Gentechnik oder faseroptische Systeme, wir interessieren uns für alles. Ich habe in all diesen Jahren vor allem versucht, in die nahe Zukunft zu blicken, und dabei bestätigte sich immer wieder: Je genauer man hinsieht, umso klarer wird das Bild. Die Frage ist nur, wohin man den Blick richten soll. Die Antwort ist: in eine völlig andere Richtung als alle anderen. Wenn Sie lange genug hinsehen, zeichnen sich Möglichkeiten ab, die nur Sie allein sehen und nutzen können. Und dann sind Sie in der Lage, etwas völlig Neues und Andersartiges zu vollbringen.
Nachfolgend einige Beispiele erfolgreicher Unternehmen, die bewusst oder intuitiv dem Impuls der Richtungsumkehr nachgaben und auf diese Weise auf verschiedenen Gebieten eine zündende, zukunftsorientierte Geschäftsidee entwickelten (mit denen wir uns in Kapitel 5 ausführlich befassen werden, um den Beweis zweifelsfrei anzutreten):
➤Amazon.com
➤ Crocs
➤ Dell
➤ JetBlue und Southwest Airlines
➤ Kiva
➤ Netflix
➤ Starbucks
➤ Volkswagen
➤ Zappos
Auf die Frage, wie er sein schon fast unheimliches Gespür für lukrative Geldanlagen erklärt, meinte der weltberühmte Investor Warren Buffett, er hielte sich an folgende Regel: »Sei gierig, wenn andere ängstlich sind, sei ängstlich, wenn andere gierig sind.« Einfacher kann man das Prinzip der Richtungsumkehr kaum ausdrücken – und wohl auch nicht überzeugender, denn immerhin ist Buffet Multimilliardär.
Kann es denn wirklich so einfach sein? Offenbart sich die Lösung unlösbar erscheinender Probleme tatsächlich, wenn man sich um 180 Grad dreht? Nein, ganz so einfach ist es natürlich nicht. Aber fast. Die Richtungsumkehr ist nur einer der Impulse, die einen Zukunftsflash auslösen können. In den 25 Jahren, in denen ich mich theoretisch, praktisch und systematisch mit Zukunftsprognosen beschäftigt habe, entdeckte ich sieben dieser Auslöser.
1.Von sicheren Fakten ausgehen (mithilfe harter Trends wissen Sie, was auf Sie zukommt)
2.Antizipieren (entwickeln Sie Ihre Strategie auf der Basis dessen, was Sie vorhersehen können)
3.Transformieren (nutzen Sie den technologiegetriebenen Wandel zu Ihrem Vorteil)
4.Das größte Problem überspringen (in der Regel hakt es sowieso an etwas anderem)
5.Die Richtung umkehren (damit Sie sehen können, was sonst niemand sieht und etwas tun können, was außer Ihnen niemand kann)
6.Umdefinieren und neu erfinden (stellen Sie Ihr Alleinstellungsmerkmal auf immer wieder neue und innovative Weise heraus)
7.Regisseur der eigenen Zukunft werden (schreiben Sie das Drehbuch für Ihre Zukunft selbst, sonst tut es ein anderer für Sie).
Für einen Zukunftsflash sind nicht immer alle sieben Impulse, aber doch zumindest ein paar erforderlich. Stellen Sie sich diese Impulse als die sieben Noten der Tonleiter vor. Nicht in jeder Melodie kommen alle sieben Noten zum Einsatz, aber wer ein Musikstück komponieren möchte, sollte sie alle kennen, denn irgendwann braucht er sie bestimmt.
Könnte man Dale Morgens Gedankengänge als Standbilder festhalten, um zu untersuchen, welche Überlegungen zu welchen Ergebnissen führten, sähe man sicherlich das Zusammenspiel der Impulse, die den Funken seines Zukunftsflashs zündeten. Das Gleiche gilt auch für die Idee der Unterwasser-Bohrplattformen. Eigentlich ist es nicht weiter schwierig, diese Impulse nachzuverfolgen. Auch wenn Dale als Erfinder und ich als Technologieprophet einen kleinen Vorteil genießen, werden Sie feststellen, dass es sich um nachvollziehbare Vorgänge handelt, die auch Sie problemlos umsetzen können.
➤ Wie schon gesagt, verfolgt mein Unternehmen seit über 25 Jahren aufmerksam die aktuellen Entwicklungen und Trends in den unterschiedlichsten Branchen. Die Besonderheiten und Herausforderungen der Ölförderung waren uns daher bekannt (Chevron, ExxonMobile und Shell gehören zu unseren Kunden), ebenso der aktuelle Stand der Roboter- und Automatisierungstechnik und so weiter. Den ersten Funken zu der zündenden Idee lieferte in diesem Fall Impuls 1: Von sicheren Fakten ausgehen.
➤Da ich mit den Trends bestens vertraut bin, weiß ich, was technisch heute möglich ist, welche Veränderungen im Gange sind und – was das Wichtigste ist – was in naher Zukunft möglich sein wird. Mit anderen Worten: Ich kann antizipieren – Impuls 2.
➤ Da ich weiß, dass innerhalb weniger Jahre mit radikalen Innovationen zu rechnen ist, kann ich nach völlig andersartigen Lösungen und Methoden Ausschau halten, die momentan noch undenkbar erscheinen, anstatt in gewohnten Bahnen zu denken und mich mit kleinen, schrittweisen Veränderungen zu begnügen: Impuls 3, Transformieren.
➤ Das große Problem der Mineralölkonzerne war, dass die Bohranlagen über Wasser exponiert und den Naturgewalten oder gezielten Angriffen relativ schutzlos ausgeliefert waren. Anstatt zu versuchen, dieses Problem zu lösen, haben wir uns dafür entschieden, das größte Problem zuüberspringen – Impuls 4 – und die Anlagen von der Bild-, beziehungsweise der Oberfläche verschwinden zu lassen.
➤ Und wohin? Die Richtungsumkehr weist nach unten, auf den Meeresgrund: Impuls 5.
➤ Wie kann das realisiert werden? Mithilfe von Impuls 6, Umdefinieren und neu erfinden. Man mache sich die Robotertechnik zunutze, die sich bei operativen Eingriffen in der Medizin sowie bei Außenbordarbeiten in der Raumfahrt bereits bewährt hat, um die Offshore-Ölförderung komplett neu zu erfinden.
In nur wenigen Zeilen haben Sie soeben das Ineinandergreifen von sechs der sieben Impulse nachvollziehen können. Wenn man die Idee nachträglich in die einzelnen Gedankengänge zerlegt, scheint sie das Ergebnis methodischer und folgerichtiger Überlegungen zu sein. Doch in den wenigen Minuten vor meinem Auftritt am Rednerpult hatte ich die Erkenntnis innerhalb von Sekunden, intuitiv und blitzartig. Aber das ist einfach eine Sache der Übung und Gewohnheit.
Zu lernen, sich für diese Impulse zu öffnen, ist nicht schwieriger als Laufen zu lernen. Wenn Sie den Vorgang des Laufens in seine Einzelteile zerlegen, klingt er auch kompliziert: Man muss das Körpergewicht in einer Abrollbewegung vom Fußballen zu den Zehen und abwechselnd von rechts nach links verlagern und dabei koordiniert mit den Armen schwingen, um die Gewichtsverlagerung auszugleichen. Wenn Sie vor jedem Schritt erst einmal darüber nachdenken müssten, wie Ihr Bewegungsapparat funktioniert, wären Sie völlig überfordert. Als Sie als Kleinkind das Laufen lernten, waren Sie das auch, doch mit etwas Übung klappte es doch schon bald von ganz allein, nicht wahr?
Dasselbe trifft auf die sieben Impulse zu. Die mentalen Abläufe müssen auch zuerst einmal geübt werden – bewusst, konzentriert und jeder für sich. Zu Beginn werden Sie vielleicht nur langsam vorankommen, doch mit etwas Übung und Geduld richten sich Ihre Antennen für Geistesblitze wie von selbst aus, damit der Funke zu zündenden Ideen überspringt, ohne dass Sie bewusst darüber nachdenken müssen.
Manchmal geht es bei einem Zukunftsflash darum, ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten innovativer Technologien zu nutzen. Oft genügt es aber auch, den eigenen Augen zu vertrauen, um Dinge in einem völlig neuen Licht zu sehen.
Vor einigen Jahren eröffnete eine Freundin von mir in Chicago eine Zahnarztpraxis speziell für Kinder. Kurz nach der Eröffnung trafen wir uns zum Mittagessen, und ich erkundigte mich bei ihr, wie es lief.
»Nicht so gut, wie ich gehofft hatte«, gestand sie ein. Sie hatte zwar einen kleinen Patientenstamm, doch der erwartete Zulauf, mit dem sie durch Empfehlungen gerechnet hatte, blieb aus. Sie war auf Mundpropaganda angewiesen, die jedoch nicht in Schwung kommen wollte. Sie fragte mich, ob ich mir ihre Praxis einmal ansehen würde, vielleicht hätte ich ja eine Idee, woran es hapern könnte. Nach dem Mittagessen begleitete ich sie in ihre Praxis und sah mich um. Nach etwa zehn Minuten hatte ich genug gesehen, bat sie, mit mir vor die Tür zu gehen und sagte:
»Dies ist eine Kinderzahnarztpraxis, oder? Ich schlage vor, wir betrachten sie jetzt einmal gemeinsam aus den Augen eines Kindes.«
Und genau das taten wir dann auch. Auf allen vieren krabbelten wir ins Wartezimmer und sahen uns um. »Was siehst du?«, fragte ich meine Freundin. Erstaunt blickte sie mich an und meinte dann, »Hm, wenig bis gar nichts.«
Und wirklich: Alles befand sich auf Augenhöhe eines Erwachsenen. Die Dame am Empfang war überaus liebenswert und freundlich, aber hinter dem hohen Empfangstresen für Kinder praktisch unsichtbar.
»Was hältst du davon, den Empfangstresen niedriger zu machen, damit deine kleinen Patienten sehen, dass dahinter eine sehr nette Frau sitzt? Als nächstes achte einmal darauf, was du gerade hörst. Wie klingt das für dich?«
Wir lauschten. Es klang, als ob irgendein bösartiger Mensch im Behandlungszimmer hilflose Mäuse folterte. Solche Hintergrundgeräusche will kein Kind hören, das zum Zahnarzt muss. Ich schlug meiner Freundin vor, über Lautsprecher eine entspannende Hintergrundmusik laufen zu lassen, deren Takt in etwa dem menschlichen Herzschlag entsprach. Das hätte zum einen eine beruhigende Wirkung auf die Patienten und würde zum anderen die Geräusche aus den Behandlungszimmern übertönen. Ein bisschen schalldämpfendes Material in den Räumen wäre sicherlich auch nicht verkehrt.
Als ich meine Freundin fragte, wie sie den Praxisgeruch empfand, rümpfte sie spontan die Nase. Kein Wunder, denn es roch, wie es in einer Arztpraxis nun eben einmal so riecht. Bei einem Kind löst dieser Geruch panische Angst aus. Sobald es über die Schwelle tritt und ihn riecht, denkt es sofort an die letzte Spritze, die es bekommen hat, und bekommt Angst.
Meine Freundin sah mich nachdenklich an. »Wir sollten das Ganze komplett anders aufziehen, oder?«, fragte sie mich.
»Das sehe ich auch so«, stimmte ich ihr zu.
Das Problem war, dass meine Freundin ihre Praxis aus Zahnarztsicht statt aus Kindersicht gestaltet hatte. Die Lösung war, eine andere Perspektive einzunehmen, die sich durch die Richtungsumkehr eröffnete, sich als Erwachsener in die Wahrnehmung und Gedankenwelt eines Kindes zu versetzen. Als ich sie das nächste Mal in ihrer Praxis besuchte, bot sich mir ein vollkommen anderes Bild. Sie hatte tatsächlich jeden meiner Vorschläge umgesetzt und seitdem kann sie sich nicht mehr über mangelnden Zulauf beschweren.
Zündende Ideen lassen selten lange auf sich warten, wenn Sie bereit sind, notfalls auch auf Händen und Knien herumzukrabbeln, um die Dinge aus einer völlig neuen Perspektive zu betrachten und sich vorstellen können, wohin die aktuellen Trends uns in Zukunft treiben könnten. Der ganze Trick besteht darin, mit dem Blick auf das gegenwärtig Machbare schon heute zu vollbringen, was noch als unmöglich erscheint.
Dass Sie sich Gedanken über Sicherheitsverbesserungen an Bohrplattformen machen oder sich dazu berufen fühlen, die Lösung für die Energiekrise aus dem Ärmel zu schütteln, halte ich für eher unwahrscheinlich. Sie haben sicherlich genug damit zu tun, die Herausforderungen zu meistern, die Ihr Leben für Sie bereithält. Vielleicht sind Sie in einer ähnlichen Situation wie meine Freundin, die Kinderzahnärztin, und möchten Ihr Geschäft ankurbeln. Möglicherweise brauchen Sie dringend eine zündende Idee, um Ihre Firma vor dem Untergang zu bewahren, oder Sie fragen sich, wie Sie trotz der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt Ihrer Karriere auf die Sprünge helfen können. Auch wenn Ihre Probleme vermutlich weniger weltbewegend sind wie Ölteppiche und Umweltkatastrophen, ist ihre Lösung für Sie persönlich sicherlich eine dringliche und vielleicht ebenso unmöglich erscheinende Aufgabe. Die gute Nachricht ist: Egal, ob Sie permanent unter immensem Zeitdruck stehen, die Finanzen knapp werden, Ihr Absatzmarkt schrumpft, Sie sich vor Arbeit kaum retten können oder vor einem scheinbar unüberwindbaren Hindernis stehen, es gibt für jedes Problem die perfekte Lösung – man muss sie lediglich sichtbar werden lassen.
In die Zukunft zu blicken, war schon immer praktisch, aber noch nie so essenziell wichtig wie heute. Der Wandel vollzog sich früher viel langsamer und in so kleinen Schritten, dass wir relativ mühelos mit ihm mithalten konnten. Bei dem Schwindel erregenden Tempo, mit dem sich der technologische Fortschritt mittlerweile vollzieht, ist es jedoch überlebenswichtig, schon heute zu wissen, was morgen möglich und machbar ist.
Es gab einmal eine Zeit, in der nur einige Auserwählte – Geistliche, Gelehrte und Kaufleute – lesen und schreiben konnten. Es gab einmal eine Zeit, in der kaum ein Mensch Autofahren konnte oder wollte. Es gab auch einmal eine Zeit, in der nur eine Handvoll Wissenschaftler und Militärstrategen wussten, was das Internet ist und was man damit machen kann. Und bis heute gibt es nur eine Handvoll Menschen, die ganz ohne Kristallkugel in die Zukunft blicken und treffsichere Prognosen erstellen können. Es ist höchste Zeit, dass jeder erfährt, wie das geht.
Am 10. März 1986 marschierte ich über das weitläufige Werksgelände einer großen Firma am Stadtrand von Kansas City in die Fabrikhalle, betrat die Rednerbühne, trat an das Mikrofon und räusperte mich, während ich meinen Blick über die Massen schweifen ließ. Mehrere Tausend Männer und Frauen saßen vor mir und warteten schweigend darauf, was ich ihnen wohl zu sagen hatte. Sie sahen ganz und gar nicht glücklich aus, im Gegenteil. Die Stimmung war miserabel.
Grund dafür war ein heftiger Disput zwischen dem Management und der Belegschaft der Folgers Coffee Company, der zum Abbruch der Lohnverhandlungen geführt hatte. Zum ersten Mal in der 78-jährigen Firmengeschichte standen alle Maschinen still, damit die gesamte Belegschaft an der Versammlung teilnehmen konnte.
Einige Wochen vorher hatte mich einer der Manager nach einer Veranstaltung angesprochen und gefragt, ob ich bereit wäre, vor den Angestellten von Folgers zu sprechen, um die ins Stocken geratenen Verhandlungen vielleicht auf diese Weise wieder in Gang zu bringen. Ich wies ihn darauf hin, dass ich als Zukunftsforscher nicht unbedingt der Richtige wäre, um einen Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Disput zu schlichten. Das sei ihm schon klar, meinte er, doch er habe mich über das Thema »Von sicheren Fakten ausgehen« sprechen gehört und das Gefühl, dass sich auf der Basis dieser Idee die Gespräche vielleicht wieder aufnehmen ließen. Einen Versuch war es ihm auf alle Fälle wert.
Tja, und da stand ich nun, mit trockenem Mund und einem knackenden Mikrofon.
»Mein Name ist Dan Burrus«, stellte ich mich vor. »Ich bin hier, weil mich Ihr Management darum gebeten hat, mit Ihnen zu sprechen. Ich möchte vorausschicken, dass ich mein Honorar bereits erhalten habe, daher kann ich jetzt eigentlich sagen, was ich will.«
Angespanntes Gelächter raunte durch die Menge.
»Bevor wir über irgendetwas sprechen, möchte ich zunächst abklären, ob es Punkte gibt, über die Sie einer Meinung sind«, fuhr ich fort. »Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, dass Sie alle Ihre Arbeitsplätze behalten möchten?«
Einige Dutzend nickten grimmig, und ich hakte den ersten Punkt auf der Checkliste ab, die ich an diesem Morgen noch schnell entworfen hatte: Arbeitsplatz behalten.
»Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, dass Sie und Ihre Familien nicht umziehen, sondern in Kansas City bleiben möchten?«
Dieses Mal nickten einige Hundert, und ich hörte das eine oder andere »Verdammt richtig« und »Auf jeden Fall«. Ich hakte den nächsten Punkt ab: in Kansas City bleiben.
»Gut, was noch? Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, dass keiner von Ihnen möchte, dass das Unternehmen den Bach hinuntergeht?«
Das ging noch eine ganze Weile so weiter, bis wir schließlich eine Liste von 40 Punkten hatten, über die sich alle einig waren. Ich las sie noch einmal im Zusammenhang vor, ließ meinen Blick über die Masse der Angestellten und das kleine Grüppchen der Führungskräfte schweifen und verkündete dann: »Sie haben sich auf 40 Punkte geeinigt. Jetzt müssen Sie nur noch gemeinsam einen Weg finden, wie Sie sie umsetzen können.«
Das Verblüffende war: Es klappte. Der Disput war innerhalb kürzester Zeit beigelegt und die Produktion wurde wieder aufgenommen.
Was war passiert? Nichts von dem, was ich auf der Bühne sagte, war etwas Neues. Durch meine Fragen habe ich lediglich einige Fakten in den Vordergrund gerückt, die allen bereits bekannt waren. Doch das reichte schon, um die Pattsituation aufzulösen, sich auf neue Arbeitsverträge zu einigen und den produktiven Betrieb wieder aufzunehmen. Die Arbeitnehmer von Folgers hatten die Lösung ihrer Probleme vor der Nase liegen, konnten sie aber nicht erkennen, weil sie sich nur auf die Punkte konzentrierten, über die keine Einigkeit herrschte.
Genau daran scheitern häufig auch diplomatische Verhandlungen zwischen Nationen oder Versöhnungsgespräche zwischen Ehepaaren. Wir alle sind gelegentlich mit Blindheit für das, was vor uns liegt, geschlagen. Es ist ja auch viel einfacher, sich auf das zu konzentrieren, was nicht klappt, was nicht möglich ist, was nicht offensichtlich und was nicht bekannt ist. Doch dieser Tunnelblick macht es nahezu unmöglich, sich auf etwas zu verständigen und eine gemeinsame Linie zu finden.
Mit einer ähnlich negativen Einstellung stehen wir für gewöhnlich der Zukunft gegenüber: Es ist doch sowieso alles unsicher und ungewiss! Noch nie zuvor drehte sich die Welt so schnell wie heute. Noch nie zuvor vollzogen sich Veränderungen so rasant und in so vielen Bereichen gleichzeitig. Unter diesen Umständen ist es doch ein Ding der Unmöglichkeit zu wissen, was die Zukunft mit sich bringt!
Das stimmt jedoch nicht. Es mag uns zwar so vorkommen, aber der Schein trügt. Fakt ist: Noch nie zuvor waren treffsichere Zukunftsprognosen so einfach wie heute. Wir wissen viel mehr über die Zukunft, als uns bewusst ist. Wir müssen nur an der richtigen Stelle suchen, um die Zeichen zu erkennen und richtig zu deuten. Ähnlich wie die streikenden Arbeiter bei Folgers lassen wir uns von den scheinbar unzähligen Ungewissheiten blenden und irritieren. Und je mehr wir uns auf das konzentrieren, was ungewiss und unabwägbar ist, umso mehr verfallen wir in eine Art Schreckstarre, die uns handlungsunfähig werden lässt. Als Beispiel möchte ich auf die USamerikanische Automobilbranche verweisen.
Im Herbst 2004 war ich zu einer Festveranstaltung des amerikanischen Verbands für öffentliches Verkehrswesen eingeladen und saß an einem Tisch mit Rick Wagoner, dem damaligen Chairman und Chief Executive Officer (CEO) von General Motors (GM).
Als wir uns nach dem offiziellen Teil entspannt unterhielten, rutschten Rick einige Bemerkungen über die Zukunft der Automobilbranche und der amerikanischen Wirtschaft heraus, die ich in ähnlicher Form auch schon von Präsidenten, Premierministern, Wirtschaftsbossen und Topmanagern weltweit gehört hatte:
»Na ja, wir wissen es einfach nicht … Wir bemühen uns um gute Prognosen, aber wer weiß schon, wie sich die Dinge wirklich entwickeln? Die Wahrheit ist: Wir können noch so viele Daten erheben und Prognosen erstellen, doch die Zukunft ist und bleibt unvorhersehbar.«
Wenn das der Fall wäre, gäbe es tatsächlich gute Gründe, der Zukunft mit all ihren lauernden Gefahren mit Angst und Sorge entgegenzusehen. Wenn das der Fall wäre, befänden wir uns tatsächlich in einer hoffungslosen Lage. Und wenn das der Fall wäre, hätte ich dieses Buch nicht zu schreiben brauchen.
Glücklicherweise ist es aber nicht der Fall. Die Zukunft hat reichlich Vorhersehbares zu bieten. Ricks Unsicherheit und Zweifel sind jedoch durchaus verständlich, wenn man sich die Entwicklungen klar macht, die GM, die Automobilindustrie und die USA durchlaufen haben.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Amerika das Land mit dem weltweit größten Wachstumspotenzial und keiner Erfindung wurde eine rosigere Zukunft vorhergesagt als dem Automobil. Das Kraftfahrzeug war das Sinnbild amerikanischer Spitzentechnologie, in der sich Ingenieursleistung und Innovationsfreude in Perfektion vereinten. Im Lauf der Jahrzehnte veränderte das Auto die Lebens- und Denkweise, das Einkaufsverhalten und Liebesleben der Amerikaner sowie die Art der Kriegsführung und Friedensstiftung der Nation. Mitte des 20. Jahrhunderts, genauer gesagt 1953, gab der damalige Präsident von GM eine Erklärung ab, die noch Jahrzehnte nachhallte: »Was gut für GM ist, ist auch gut für unser Land.« Eine Abwandlung dieses Zitats wurde zu einem der geläufigsten amerikanischen Slogans des Jahrhunderts: »As GM goes, so goes the nation« – soll heißen, in der Entwicklung von GM spiegelt sich die Entwicklung der Nation wider.
Wie war es nun 2004 um GM bestellt? Nun, als ich in dem Jahr mit Rick Wagoner zu Tisch saß, ging es dem Unternehmen nicht gut. Nach Jahrzehnten der Spitzenerfolge und Spitzengewinne hatte der einst größte Industriekonzern der Welt gerade Milliardenverluste geschrieben, über ein Dutzend Fabriken geschlossen und Zehntausende Arbeiter entlassen. Und es sollte noch schlimmer kommen. Im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2007 musste GM seinen Titel des international führenden Automobilherstellers an Toyota abtreten. Im Sommer 2009 wurden Rick und mit ihm Hunderte weiterer Führungskräfte zum Rücktritt gezwungen – von der Obama-Regierung, die astronomisch hohe Summen in das marode Unternehmen pumpte, um es vor dem endgültigen Bankrott zu bewahren. Der einst weltweit führende Automobilkonzern, Prestigeobjekt und Stolz der ganzen Nation, ging als größter unternehmerischer Misserfolg in die Geschichte des Landes ein.
Das amerikanische Automobil begann seinen Triumphzug einst als strahlend heller Zukunftsflash auf vier Rädern. Was war dann passiert? Die Branche fiel dem nur allzu menschlichen Bedürfnis zum Opfer, den Status quo um jeden Preis bewahren zu wollen. Die Verantwortlichen weigerten sich, mit offenen Augen in die Zukunft zu blicken und sich zu fragen: »Was lässt sich mit absoluter Gewissheit prognostizieren?«
»As GM goes, so goes the nation.« In welche Richtung entwickelt sich die amerikanische Automobilindustrie – und somit Amerika? 2004 sagte Rick dazu: »Wir wissen es einfach nicht«. Das stimmt aber nicht. Wir wissen jedenfalls sehr viel mehr, als uns bewusst ist.
Eine meiner Standardfragen bei Vorträgen lautet: »Wäre es nicht großartig, wenn Sie die Zukunft vorhersagen könnten – und Recht behielten?« Damit ernte ich natürlich jedes Mal Gelächter. Vielleicht, weil den meisten diese Vorstellung einfach nur lächerlich erscheint. (Stand in Ihrer Zeitung etwa schon einmal »Berühmter Wahrsager knackt den Jackpot«?) Vielleicht ist es aber auch ein erfreutes Lachen, weil sich meine Zuhörer vorstellen, welche fantastischen Möglichkeiten sich dadurch auftäten. Stellen Sie sich vor, Sie könnten die Zukunft vorhersagen – und behielten Recht. Überlegen Sie nur einmal, welchen immensen Vorsprung Sie sich dadurch verschaffen könnten. Genau darum geht es in diesem Buch.
In meinen Vorträgen fahre ich üblicherweise damit fort, dass ich behaupte: »Sie können die Zukunft exakt vorhersagen. Sie müssen dabei nur die Punkte ausklammern, in denen Sie sich täuschen könnten.«
Damit ernte ich natürlich auch immer Gelächter, aber das ist kein Witz, sondern mein voller Ernst. Das Erstaunliche ist nämlich: Selbst wenn Sie alles ausklammern, was sich als nicht zutreffend erweisen könnte, bleibt genug übrig, was sich exakt vorhersagen lässt und Sie voranbringt. Doch woher wissen Sie, was auszuklammern ist? Hier kommt der erste der sieben Zukunftsflash-Impulse ins Spiel, mit dem wir uns in diesem Kapitel eingehend befassen.
Im Buch Ecclesiastes schrieb König Salomo: »Windhauch, Windhauch, das alles ist Windhauch.« Jahrhunderte später formulierte der griechische Philosoph Heraklit die Vergänglichkeit allen Seins als »Panta rhei« – alles fließt – und in der Schriftensammlung Daodejing schrieb der chinesische Philosoph Laotse: »Das einzig Beständige ist der Wandel.«
So ist es. Das Einzige, was sich nie ändert, ist, dass sich alles immerzu verändert. Die einzige Konstante in unserem Leben ist, dass alles ständig in Bewegung ist. Ein ziemlich beunruhigender Gedanke, oder? Ist unser Streben nach Sicherheit nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn sich doch alles permanent verändert?
Nein, ganz und gar nicht, denn gerade in der Beständigkeit des Wandels liegt der Schlüssel, ihn vorwegzunehmen. Im Wandel zeichnen sich bestimmte Muster ab, die erkennen lassen, dass sich manche Dinge mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks verändern.
Es gibt zwei Arten des Wandels, die ein hohes Maß an Sicherheit bieten. Die erste ist der zyklische Wandel.
Der zyklische Wandel zeichnet sich durch relativ viele sichere Fakten aus. Während ich diese Zeilen schreibe, ist in der nördlichen Hemisphäre der Welt Herbst. Ich kann also problemlos vorhersagen, dass in etwa sechs Monaten Frühling sein wird. Die Natur bietet uns unzählige Beispiele des zyklischen Wandels, zu denen unter anderem der Wechsel der Jahreszeiten und der jeweiligen klimatischen Bedingungen, der Wachstumszyklus der Pflanzen, zyklische Herdenwanderungen der Tiere, Ebbe und Flut und so weiter gehören. Das Wissen um diese zyklischen Muster war entscheidend für die Entwicklung der ersten Zivilisationen der Menschheit. Die Geschichte der Zivilisation ist untrennbar mit der Beobachtung und Erforschung zyklischer Veränderungen verbunden, die sich die Menschheit zunutze machte, um ihre Überlebenschancen zu verbessern.
Auch die ökonomischen und politischen Verhältnisse verändern sich zyklisch. Fetten Jahren folgen magere Zeiten, den Expansionsbestrebungen folgen Defensivstrategien. Shakespeare schrieb: »Es gibt Gezeiten für der Menschen Treiben; nimmt man die Flut wahr, führt sie uns zum Glück.« Kein Bereich unseres Lebens ist davon ausgeschlossen. Preise und Zinsen steigen und fallen. Einmal verfügen die Demokraten über die Mehrheit im Kongress, das andere Mal die Republikaner. Dem Ruf nach mehr Sicherheit, straffer Führung und staatlicher Regulierung folgt der Ruf nach weniger Einmischung und mehr Liberalisierung. Die gesellschaftlichen Normen werden abwechselnd großzügiger und restriktiver. Das Pendel schwingt bis zum Anschlag mal in die eine, dann wieder in die andere Richtung.
Unser politisches, wirtschaftliches, gesellschaftliches und privates Treiben ist Gezeiten unterworfen, die uns abwechselnd Ebbe und Flut bescheren. Der Puls der Zeit ist der Herzschlag unserer Gesellschaft, in dessen Takt wir uns für Neues öffnen und vor ihm verschließen, sich Stimmungen verbreiten und wieder abebben, sich progressive Weltoffenheit und konservativer Protektionismus abwechseln. Diese zyklischen Trends oder »Stimmungsschwankungen« spiegeln sich in der Mode, der Innenpolitik und in den internationalen und persönlichen Beziehungen wider. Uns sind mehr als 300 konkret unterscheidbare zyklische Prozesse bekannt, die bis zu einem bestimmen Grad präzise Zukunftsprognosen ermöglichen.
Beispiele zyklischer Prozesse
Aussaat und Ernte
Geburt und Tod
Tag und Nacht
Die Gezeiten und Mondphasen
Die Jahreszeiten
Die Migrationszyklen in der Tierwelt
Aktienkurse
Wirtschaftlicher Auf- und Abschwung
Konjunkturen und Flauten in der Bau- und Immobilienbranche
Saisonale Umsatzverläufe
Steigende und fallende Zinsen
Die aufmerksame Beobachtung zyklischer Schwankungen ist eines der Erfolgsgeheimnisse des schwerreichen Investors Warren Buffett. Er ist ein wahrer Meister darin, »die Gezeiten für der Menschen Treiben« wahrzunehmen. Seine oft zitierte Investment-Philosophie – »Sei gierig, wenn andere ängstlich sind, sei ängstlich, wenn andere gierig sind« – haben wir in der Einleitung als treffende Beschreibung für den Impuls der Richtungsumkehr erwähnt, doch genauso treffend beschreibt sie das Prinzip des zyklischen Wandels. Buffets simples Motto veranschaulicht den Wert sicherer Fakten für Zukunftsprognosen. Was lässt sich mit Sicherheit vorhersagen, wenn der Markt schrumpft oder expandiert? Dass zwangsläufig schon bald der Impuls in die Gegenrichtung erfolgt.
2008 wurde die US-amerikanische Wirtschaft von der größten Finanzkrise seit der Großen Depression in den 1930er Jahren erschüttert. Warum konnte es in unserer durchorganisierten, postmodernen Welt überhaupt noch zu einer derartigen Krise kommen? Weil wir die Gesetzmäßigkeiten des zyklischen Wandels hartnäckig ignorierten. Hatten wir wirklich geglaubt, der Immobilienmarkt wachse einfach immer weiter? Hatten wir ernsthaft mit einer kontinuierlichen Steigerung – oder wie in manchen Fällen gar mit einer jährlichen Verdopplung – der Immobilienwerte gerechnet? Nach unserem Verhalten zu urteilen, scheinen wir genau darauf spekuliert zu haben.
Es war uns natürlich klar, dass es nicht ewig so weitergehen konnte. Kein Mensch glaubt ernsthaft an eine permanente Wertsteigerung. Jedes Schulkind weiß, dass alles, was ansteigt, garantiert auch wieder fällt. Wir haben uns einfach von der allgemeinen Begeisterung, vom Rausch der großen Gewinne mitreißen und blenden lassen. Wir haben uns der trügerischen Hoffnung hingegeben, dass der Markt immer weiter wächst und der Wendepunkt, an dem er sich mit schöner Regelmäßigkeit zyklisch selbst korrigiert, ausnahmsweise nicht erreicht wird. Wir ignorierten, was wir wussten, und ließen uns von dem in die Irre führen, was wir nicht wussten. Wir haben glatt vergessen, von sicheren Fakten auszugehen.
Vielleicht stimmen Sie mir im Prinzip zu, denken sich aber: Kein Mensch konnte mit Sicherheit vorhersehen, wann der Wendepunkt erreicht wäre und die Werte ins Bodenlose stürzen würden.
Doch es war vorhersehbar. 2005 wies Robert J. Shiller, Professor der Wirtschaftswissenschaften an der Yale Universität und Autor der Bücher Irrational Exuberance und The Subprime Solution in einem Radiointerview darauf hin, dass die US-amerikanischen Immobilienpreise jeglichen Bezug zur ökonomischen Realität verloren hätten. Er bezeichnete den Immobilienmarkt als »Blase«, die früher oder später hundertprozentig platzen würde. Dies sei, so betonte Shiller, nur eine Frage der Zeit.
Auch ohne Studium der Wirtschaftswissenschaften hätte man die Zeichen richtig deuten können – wenn man es gewollt hätte. Was die Blase letzten Endes zum Platzen brachte, war die große Masse an Subprime-Hypotheken mit flexibler Verzinsung (sogenannte »Adjustable-Rate Mortgages«, ARMs), für die anfänglich ein niedriger Lockvogelzinssatz galt, der nach fünf bis sieben Jahren drastisch angehoben wurde. Der Immobilienboom begann im Jahr 2000 und zwischen 2002 und 2003 wurde ein sprunghaftes Wachstum verzeichnet. Wenn wir nun von den Jahren 2002 – 2003 als Startzeitraum ausgehen und fünf Jahre hinzuaddieren, sind wir in den Jahren 2007 – 2008 angelangt – in denen der Finanzmarkt in sich zusammenbrach. Die amerikanischen Hauseigentümer konnten aufgrund der gestiegenen Zinssätze ihre Kredite nicht mehr bedienen und sahen sich gezwungen, ihre Häuser zu verkaufen, doch zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Immobilienpreise bereits im freien Fall. Zahlreiche ARMs mit siebenjähriger Zinsfestschreibung sollten in den Jahren 2009 – 2010 an den Markt gekoppelt werden, was eine wahre Flut an Zwangsvollstreckungen auslöste. Für eine so komplexe und weltumspannende Krise waren natürlich noch viele weitere Faktoren verantwortlich, was jedoch nichts daran ändert, dass sich an ihr die Vorhersehbarkeit zyklischer Veränderungen veranschaulichen lässt.
Die Wahrheit ist: Die meisten Leute sahen die Krise kommen, hofften aber wider besseren Wissens, dass sie nicht eintritt. Eine Zukunftsstrategie lässt sich jedoch nicht auf Hoffnung, sondern nur auf Gewissheit gründen.
Dieselbe sträfliche Ignoranz führte dazu, dass zwischen 1998 und 2000 die Dotcom-Blase platzte. Im März 2000, dem Monat, in dem das NASDAQ-Börsenbarometer seinen Scheitelpunkt erreichte, machten sich einige erfahrene Börsianer Waren Buffetts Motto zu eigen und zogen sicherheitshalber ihr Kapital aus dem Technologiemarkt ab. Und während die große Mehrheit bei dem Börsencrash im Herbst 2008 Panikverkäufe tätigte, um ihre implodierenden Aktienportfolios schnellstmöglich loszuwerden, gab es ebenfalls einige erfahrene Investoren, die still und heimlich die am schwersten getroffenen Kapitalwerte aufkauften. Warum? Weil sie aus Erfahrung wussten, dass der zyklische Wandel unaufhaltsam voranschreitet. Und das ist keine Spekulation, sondern eine sichere Tatsache.
Die Gesetzmäßigkeiten des zyklischen Wandels zu verstehen, ist für korrekte Zukunftsprognosen wichtig und hilfreich, aber damit ist es noch nicht getan. Um sich von Zukunftsflashs die Augen öffnen zu lassen, brauchen Sie einen absolut sicheren Ausgangspunkt, den Sie sich nur verschaffen können, wenn Sie ein anders geartetes Muster des Wandels verstehen. Dieses Muster ist azyklisch und progressiv, das heißt, es verläuft nicht in wiederkehrenden Zyklen, sondern linear in einer Richtung. Anders ausgedrückt: Was ansteigt, muss nicht zwangsläufig auch wieder abfallen. Es ist das Muster des linearen Wandels.
Ein simples Beispiel für den linearen Wandel ist der menschliche Alterungsprozess. Egal wie gut Sie auf Ihre Gesundheit achten – Sie werden vielleicht steinalt, aber ganz sicher niemals jünger. Und dennoch enthält der menschliche Alterungsprozess zyklische Elemente. Das sehen Sie daran, dass Sie mit fortschreitendem Alter miterleben, wie Ihre Kinder und Enkelkinder dieselben Entwicklungsphasen durchleben, wie einige Jahre oder Jahrzehnte vorher Sie selbst. Der Lebenszyklus an sich ist für jeden Menschen derselbe: Wir alle kommen nackt und hilflos auf die Welt und entwickeln uns im Lauf der Zeit zu selbstständigen, reifen Menschen. Mit fortschreitendem Alter werden wir wieder gebrechlicher und seniler, bis wir fast wieder so hilflos und von anderen abhängig sind wie ein Kleinkind.
Der Alterungsprozess selbst ist und bleibt jedoch linear. Aus Kindern werden Erwachsene und diese Entwicklung ist nicht umkehrbar.
Ein komplexeres Beispiel ist der gesellschaftliche und politische Wandel, auf dessen zyklische Elemente ich bereits verwiesen habe: gesellschaftliche Trends, die aufbranden und wieder abflauen; der gesellschaftspolitische Klimawechsel von liberal zu konservativ, von progressiv zu reaktionär, der sich regelmäßig in jedem Land der Welt vollzieht.
Langfristig und global betrachtet zeichnet sich jedoch ein eindeutig unidirektionaler, linear verlaufender Trend zu freiheitlichen, demokratischen Staatsformen ab, der unabhängig von allen regional begrenzten, zyklischen Richtungswechseln immer mehr Nationen erfasst. Dieser globale Trendverlauf ist nicht zyklisch. Trotz aller Rückschläge und zeitweiligen Niederlagen, die der Demokratisierungsprozess im Verlauf der Geschichte hinnehmen musste, ist der Siegeszug der Freiheit nicht aufzuhalten und schon gar nicht umkehrbar.
Beispiele linearer Prozesse
Der (menschliche) Alterungsprozess
Das globale Bevölkerungswachstum
Der Zuwachs an Daten, Informationen und Wissen
Der weltweite Bildungsfortschritt
Die steigende Zahl an Patenten und Erfindungen
Die zunehmend höhere Rechenleistung von Computersystemen
Die fortschreitende Konvergenz von Funktion und Funktionalität
Die Globalisierung
Zyklische Schwankungen nehmen die unterschiedlichsten Formen an. Das Elektrokardiogramm (EKG) – die Aufzeichnung der Herztätigkeit – zeichnet sich durch steile Spitzen aus, während sich der fließende Wechsel der Jahreszeiten in einer sanften, relativ gleichmäßigen Wellenbewegung widerspiegelt. Manchmal folgen die Zyklen innerhalb von Millisekunden aufeinander, wie beispielsweise bei der Darstellung der Gehirnwellen, zwischen anderen wiederkehrenden Zyklen – wie den Perioden der Eiszeiten – liegen ganze Erdzeitalter.
Ebenso vielfältig sind die Formen linearer Trendverläufe. Vom explosionsartigen Zuwachs einer Population bis zum graduell steigenden Interesse an einer neuen Musik-CD zeichnen sich lineare Trenddarstellungen aber allesamt dadurch aus, dass die Steigung der Geraden immer in eine Richtung verläuft und keine zyklischen Wiederholungen aufweist.
In den folgenden Diagrammen sind die zwei Formen der Wandlungsprozesse dargestellt.
Zyklische und lineare Prozesse
Die weiter oben genannten Beispiele zyklischer Prozesse – der Wechsel der Jahreszeiten und Gezeiten, Aktienkursverläufe und so weiter – nehmen Wellenformen an, wie im ersten Diagrammpaar dargestellt. Interessanter und spannender sind jedoch die linearen Trendverläufe des zweiten Diagrammpaars. Das Fehlen eines wiederkehrenden Musters deutet auf immer neue Bedingungen hin, unter denen sich einzigartige Chancen bieten. Es ist der linear verlaufende Wandel, der die Zukunft bestimmt und gestaltet, und seine Gesetzmäßigkeiten zu begreifen, schärft Ihren Blick für das, was die Zukunft bringt und lässt das noch nicht Offensichtliche Gestalt annehmen.
Die Fähigkeit, lineare Prozesse und ihr Zusammenspiel mit zyklischen Schwankungen zu erkennen, trägt in erheblichem Maß dazu bei, sich für die Art von blitzartigen Eingebungen zu öffnen, mit denen sich treffsichere Zukunftsprognosen erstellen lassen. Die Schwierigkeit dabei ist allerdings, zukunftsweisende Entwicklungen von kurzfristigen Modetrends zu unterscheiden. So mancher Trend, der Aufmerksamkeit erhascht, ist vielleicht schon nach kurzer Zeit wieder von der Bildfläche verschwunden, während andere an Bedeutung und Nachhaltigkeit gewinnen und einen klaren Blick in die Zukunft ermöglichen. Es gilt also, kurzfristige von dauerhaften Trends zu unterscheiden, um keine so kuriosen Prognosen zu treffen, wie die, von der mein nächstes Beispiel handelt.
Am 16. August 1977 starb der »King of Rock’n Roll« im Alter von nur 42 Jahren. Mit über einer Milliarde verkauften Tonträgern wurde Elvis Aaron Presley noch zu Lebzeiten zu einer Legende und gilt weltweit als der erfolgreichste Solo-Künstler aller Zeiten. Auch wenn ihm musikalisch natürlich keiner das Wasser reichen konnte, fand er jede Menge Nachahmer. Schon zu Elvis’ Lebzeiten gab es rund hundert professionelle Elvis-Imitatoren, und nach seinem Tod wurden es so viele, dass quasi eine neue Berufsgruppe geboren war. Aber war Elvis-Imitator ein Beruf mit Zukunft?
Als (zugegebenermaßen leicht wundersame) Trendanalyse-Übung untersuchte ich fünf Jahre nach Presleys Tod die Zuwachsquote der Elvis-Imitatoren nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Ausgehend von der Entwicklung zwischen 1977 und 1982 ergab meine Studie, dass sich bis zum Jahr 2000 jeder dritte männliche US-Bürger als Elvis-Imitator betätigen würde.
Rein statistisch gesehen schien meine Prognose durchaus realistisch zu sein, aber das war sie natürlich nicht. Aber weshalb, wenn doch die Daten stimmten? Ganz einfach deshalb, weil die »harten Fakten« einen Trend implizierten, der so schnell wieder vom Tisch sein würde wie ein Erdnussbutter-Bananen-Sandwich, das man Elvis vorsetzte – das war nämlich eine seiner Leibspeisen.
So unsinnig meine Trendanalyse auch war, veranschaulicht sie jedoch einen wichtigen Punkt: Es werden ständig falsche oder mangelhafte Zukunftsprognosen erstellt, auf deren Grundlage im privaten Bereich ebenso wie auf Unternehmens- und Regierungsebene oft schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden, weil sie als glaubhaft und zuverlässig erachtet werden. Die Trends, die auf der Basis korrekter, harter Zahlen und Fakten ermittelt werden, stellen sich jedoch oft genug als Eintagsfliegen heraus.
1999 prognostizierte die US-Regierung einen Haushaltsüberschuss von einer Billion US-Dollar innerhalb einer Dekade. Die Prognose beruhte auf statistischen Werten, die ebenso fundiert waren wie die, die ich für meine Elvis-Imitatoren-Prognose nutzte – und sie erwies sich als ebenso unzutreffend. Gemäß den Vorhersagen müsste Amerika heute das Land mit den meisten wohlhabenden Elvis-Doubles sein. Hm … irgendetwas ist da wohl schief gelaufen.
Übrigens sahen 47 der 50 US-amerikanischen Bundesstaaten ebenfalls einen wahren Geldsegen voraus – und täuschten sich gründlich. Sie verließen sich darauf, dass der stetige Strom aus Grund- und Vermögenssteuereinnahmen nie versiegen würde, und gaben das Geld mit vollen Händen aus. Sie wetteten Haus und Hof auf die Richtigkeit der Vorhersagen und waren knapp davor, alles zu verlieren. Und warum? Weil sie auf Trends setzten, die vielversprechend und solide aussahen, es aber nicht waren. Der Elvis-Trugschluss führt geradewegs ins Desaster. Das lässt sich jedoch sehr einfach vermeiden, wenn man zwischen »harten«, zukunftsweisenden Trends und »weichen« Modetrends unterscheiden kann.
Die meisten Leute halten Vorhersagen für zweifelhaft, weil sie auf der Grundlage von Trends erstellt werden, auf die man sich besser nicht verlassen sollte. Gemeinhin werden Trends mit Modeerscheinungen gleichgesetzt: Heute ist etwas schwer angesagt und schon morgen spricht kein Mensch mehr darüber. Wenn etwas »trendy« ist, ist es eben gerade in Mode, und wie jeder weiß, ändert sich die Mode ständig. »Das ist wieder so ein neuer Trend«, heißt es oft. »Auf ihn zu setzen ist ein Glücksspiel. Vielleicht setzt er sich durch, vielleicht auch nicht.«
In der Wissenschaft, Technik und Wirtschaft bezeichnet der Begriff »Trend« aber keine Modeerscheinung, sondern die »Grundrichtung einer Entwicklung oder Veränderung, von der angenommen wird, dass sie längerfristig und nachhaltig wirkt« (Gabler Online-Wirtschaftslexikon: www.wirtschaftslexikon.gabler.de). Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich in 25 Jahren Forschungsarbeit gewonnen habe, ist, dass es zwei unbedingt zu unterscheidende Arten von Trends gibt. Ich bezeichne sie als weiche und harte Trends. Weiche Trends verleiten zu Vorhersagen, die ebenso unwahrscheinlich sind wie meine Elvis-Imitatoren-Hochrechnung und die Billionen-Überschuss-Prognose.
Ein harter Trend dagegen ist eine Hochrechnung auf der Basis messbarer, konkreter und kalkulierbarer Fakten, Ereignisse oder Objekte. Ein weicher Trend ist eine Hochrechung auf der Basis statistischer Werte, die den Anschein erwecken, konkret und kalkulierbar zu sein. Ein harter Trend lässt heute erkennen, was in der Zukunft sicher geschehen wird, während ein weicher Trend nur zeigt, was geschehen könnte. Das ist der Unterschied zwischen Fakt und Fiktion.
Diese Unterscheidung verändert den Blick in die Zukunft radikal. Wenn Sie wissen, wie Sie harte und weiche Trends voneinander unterscheiden können, wissen Sie auch, welche zukünftigen Entwicklungen Sie treffsicher vorhersehen können und welche nicht. Durch diese Unterscheidung sind Sie in der Lage, von sicheren Fakten auszugehen, weil sie Ihnen klar und deutlich offenbart, was in Zukunft sicher und was eventuell geschehen wird. Der Grund, weshalb Trends gemeinhin als unzuverlässiges Prognoseinstrument gelten, ist, dass die wenigsten gelernt haben, harte von weichen Trends zu unterscheiden. Ein »Elvis-Trugschluss« ist nur möglich, wenn ein weicher mit einem harten Trend gleichgesetzt wird. Weiß man, wie sich der eine vom anderen unterscheiden lässt, weiß man auch, wann man sich auf sicherem Boden befindet. Und von diesem aus lässt sich ziemlich deutlich erkennen, was die Zukunft bringt.
Der Ende der 1990er Jahre von der US-Regierung prognostizierte Billionen-Überschuss beruhte ebenfalls auf einem weichen Trend, der irrtümlicherweise als zuverlässig und nachhaltig betrachtet wurde. Man rechnete nicht nur fest mit dem Geldsegen, sondern nahm ihn sogar vorweg und belastete den Etat mit Investitionen auf Pump. 1999 war ein finanziell so hervorragendes Jahr für Amerika, dass uns die Begeisterung vom Boden der Tatsachen abheben ließ. Wir waren hypnotisiert von dem weichen Trend wie ein Kaninchen, das regungslos vor einer Schlange sitzt. Ein typischer Elvis-Trugschluss!
»Harte Zahlen« allein sind keine Garantie für einen harten Trend. Meine Elvis-Hochrechnung beruhte ausschließlich auf harten Zahlen, die ich absolut korrekten Statistiken entnahm, einen harten Trend stellten sie jedoch ganz offensichtlich nicht dar. Warum nicht? Weil der Trend auf veränderbaren