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Obwohl Thomas Mann mit Ricarda Huch lediglich bekannt war, verfasste er zu ihrem Jubiläum die öffentlichkeitswirksame Gratulation an »eine wunderbar artikulierte Herrscherin im Reich des Bewußten, eine Mehrerin dieses Reiches, eine große Schriftstellerin«. Huch hatte 1899 ›Die Blütezeit der Romantik‹ publiziert, ein Werk, das für Mann im Kontext seiner Auseinandersetzung mit der Romantik von einiger Bedeutung war. Hier nutzt er auch die Gelegenheit, sich in einer zur damaligen Zeit wieder engagiert geführten Debatte zu äußern und sein Romantik-Verständnis zu verteidigen. Der Text wurde zuerst am 17. Juli 1924, am Vortag des Ehrentages, im Pester Lloyd (Budapest) abgedruckt, anschließend in fünf weiteren Zeitungen. Dass Mann ihn im Jahr darauf auch in den Sammelband ›Bemühungen‹ aufnahm, legt nahe, dass er damit zufrieden war.
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Seitenzahl: 15
Thomas Mann
Zum 60. Geburtstag Ricarda Huchs
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Dies sollte ein Deutscher Frauentag sein, und mehr als ein deutscher. Denn nicht nur die erste Frau Deutschlands ist es, die man zu feiern hat, es ist wahrscheinlich heute die erste Europas.
Die Lagerlöf ist eine echte und große Erzählerin, mit epischen Urinstinkten, unzweifelhaft eine Natur. Aber ihre Geistigkeit erschöpft sich in ein paar wohlmeinend humanitären Ideen, die ihre Schöpfungen mit Güte durchwärmen, ohne je vermögend gewesen zu sein, sie in den Geruch des Intellektualismus zu bringen. Es steht anders mit der Huch. Man darf vermuten, daß sie in ihrem, in unserem Lande, wo, zum Teil, von Kunst und Schöpfertum äußerst kritisierbare Vorstellungen verbreitet sind, zutraulicher verehrt werden würde, wenn sie dümmer wäre, wenn sie als reine Dichterin und Geschöpf des Unbewußten sich einfältig darstellte, statt zu sein, was sie außerdem – nein, in einem damit, untrennbar gleichzeitig ist: eine wunderbar artikulierte Herrscherin im Reich des Bewußten, eine Mehrerin dieses Reiches, eine große Schriftstellerin. Eben hiermit aber ist sie welt-, zeit- und zukunftswichtiger als ihre liebenswerte Schwester im Norden. Nach ihrer Meinung ist sie damit sogar weiblicher.
Vor fünfundzwanzig Jahren hat sie ein Buch geschrieben, das der heutigen geistigen Lage in Deutschland mehr entspricht als der von 1899. Es antizipiert einen Typus von Schriften, der unserem Publikum erst seit kurzem vertraut geworden ist, nach dem erst die Abenteuer der Zeit ihm das Bedürfnis wecken mußten, und würde, wenn es heute erschiene, unzweifelhaft so diskutiert und begehrt sein wie die Werke der Keyserling, Spengler, Gundolf und Bertram. Ich meine ihr {771}