Zur Psychodynamik des Suizids - Thomas Weber - E-Book

Zur Psychodynamik des Suizids E-Book

Thomas Weber

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Psychologie - Klinische Psychologie, Psychopathologie, Prävention, Note: 2,0, Universität Bremen (Studiengang Psychologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Der Autor beschäftigt sich anhand ausgewählter psychoanalytischer Konzepte (Aggressionskonflikt, Ambivalenzkonflikt, Objektverlust, Objekbeziehungstheorie und Narzissmus) mit psychodynamisch fundierten Erklärungsversuchen für suizidales Handeln: Freud, Kernberg, Kohut, Henseler, Balint, etc.

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Inhaltsverzeichnis

 

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Psychodynamik

2.1 Die fünf zum Suizid führenden Phantasien

2.2 Die Stadien des suizidalen Prozesses

3. Erste Ansätze bei Freud

4. Weitere Arbeiten zum Aggressionskonflikt und zur Feindseligkeit

4.1 Klinische Implikationen

5. Objektbeziehungstheorie

5.1 Fallbeispiel

6. Narzissmus und narzisstische Suizidalität

6.1 Die Motivstruktur suizidalen Handelns

7. Interaktionalität und Intersubjektivität

7.1 Exkurs: Die Vaterübertragung im präsuizidalen Zustand

8. Zusammenfassung und Diskussion

9. Abbildungsverzeichnis

10. Literaturverzeichnis

 

1. Einleitung

 

Während meines Studiums der Psychologie habe ich mich mit der Psychodynamik und ihrer Wirkung auf das Seelenleben des Menschen und seinem Soma auseinandergesetzt. Das Verständnis seelischer Erkrankungen, deren Symptomatik Ausdruck innerer wie äußerer Konflikte sein kann, war für mich, der ich damals als Biologiestudent aus den Naturwissenschaften kam, ebenso neu wie aufregend. Nach und nach erfuhr ich, wie sich mit diesem Ansatz immer weitere klinische Phänomene verstehen ließen. Ja, sogar vor dem Suizid, als schwerste aller seelischen Erkrankungen, macht diese Sichtweise keinen Halt.

 

 Nach Stavros Mentzos (1982, 2009) hat ein Symptom einen Sinn. Es stelle aus der Sicht des Patienten die jeweils bestmögliche Lösungsform unter den gegebenen Bedingungen dar.Nach Kind (1992) kann Suizidalität sogar eine stabilisierende Wirkung haben. Sie sei in manchen Fällen eine „sinnvolle Lösung“ und habe eine regulierende Funktion, wenn intrapsychische und interpersonelle Krisen, die aus dem Umgang mit inneren und äußeren Objekten herrühren, nicht anders bewältigt werden können.

 

 Angesichts derartig mächtiger Wirkungskräfte entstand bei mir der Wunsch, die Psychodynamik der Suizidalität anhand ausgewählter psychoanalytischer Konzepte zu untersuchen und die ihr zugrundeliegenden metapsychologischen Stränge der Es- und der Ich-Psychologie im Rahmen einer Diplom-Arbeit zu erläutern. In der vorliegenden Abfassung setze ich mich deshalb mit dem Melancholiekonzept Sigmund Freuds, dem Aggressionskonflikt, der Objektbeziehungstheorie, dem Narzissmuskonzept und Aspekten von Interaktionalität und Intersubjektivität auseinander. Alle Konzepte werden in ihren wissenschaftshistorischen Kontexten dargestellt und anhand geeigneter Fallbeispiele veranschaulicht. Ich gehe der Frage nach, welche Beiträge die einzelnen theoretischen Konzepte für das Verständnis der suizidalen Psychodynamik leisten können und widme mich ausführlich den mit diesen Konzepten in Zusammenhang stehenden Psychopathologien und deren Ätiologie. In Kap. 2 führe ich das Beispiel eines Morphinisten an, der sich aus einem Versündigungswahn heraus als sexuell aktives und vitales Menschenkind auslöscht. Ich erläutere Allgemeines zur Psychodynamik und gehe in Teilen auf deren Bezüge zur Suizidalität ein. Kap. 3 beschreibt die grundlegenden Arbeiten Freuds zur Suizidologie. Die von ihm entworfenen Konzepte des Aggressionskonfliktes, des Ambivalenzkonfliktes und des Objektverlustes nach narzisstischer Objektwahl (Freud, 1916-17g) werden bezüglich ihrer Wertung als maßgeblich für das Zustandekommen einer Melancholie, aus der Suizidalität folgen kann, im wissenschaftlichen Diskurs der folgenden 100 Jahre beibehalten. Das Kapitel über den Aggressionskonflikt, Kap. 4, versehe ich mit dem Fallbeispiel eines US-Amerikaners aus den 1930er Jahren, der aus Protest gegenüber seiner Mutter einen erfolglosen Selbstmordversuch unternimmt. Nachdem seine Mutter ihn gegen ärztlichen Rat aus der Psychiatrie mit nach Hause nimmt, erschlägt er seine Tochter und hackt sich darauf hin die rechte Hand ab. Die Objektbeziehungstheorie in Kap. 5 skizziere ich anhand einer Textarbeit am Fallbeispiel einer Frau mit Borderline-Diagnose, die als „überflüssiges Kind“ von ihren Eltern verraten wird, indem diese sie ihrer Karriere wegen in die Obhut einer sadistischen Tante geben. Im Kap. 6 reflektiere ich über die klinischen Implikationen von nicht positiv integriertem Narzissmus (i.S. Kernbergs) und einem Nicht-Abtrauern-Können von einem grandiosen Größenselbst (i.S. Kohuts) in Bezug auf die Berufswahl und das Erwachsenwerden. In Kap. 7 erläutere ich Aspekte von Interaktionalität und Intersubjektivität im Kontext von Triangulierung, System, Gruppe, Lebenssinn und Entfremdung.

 

Des Weiteren setze ich mich mit den klinischen Implikationen der Suizidalität auseinander und diskutiere diese anhand von Übertragung und Gegenübertragung im psychoanalytischen Setting.

 

 Suizidalität ist ein multikausales Phänomen. Man hat es mit einem „zu viel an belastenden Faktoren“, „einem Fass, welches im Begriff ist, überzulaufen“ zu tun. Im klinischen Zusammenhang stellt dies eine schwerwiegende Belastung für den behandelnden Therapeuten oder das behandelnde Team dar. Für meinen zukünftigen Weg zum psychologischen Psychotherapeuten, möchte ich mich auf zukünftige Anforderungen vorbereiten, in dem ich die der Suizidalität zugrunde liegenden psychodynamischen Wirkmechanismen durcharbeite und eine Reihe damit in Berührung stehender metapsychologischer Gedankenstränge nachvollziehe.

 

Ein Großteil von Suizidalität wird durch psychotherapeutische Intervention aufgefangen. Die Arbeit mit dem Patienten impliziert eine theoriegeleitete aber auch nicht theoriegeleitete, individuelle Rezeption der Probleme des Patienten, dessen Innenwelt sowie dessen Interaktionsschwierigkeiten mit der Außenwelt (und einer Arbeit an diesen). Diese Ausarbeitung stellt somit eine Vorarbeit auf meine Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten dar.

 

 Nicht bearbeiten werde ich den Suizid in hohem Alter bei Vorliegen einer schweren Diagnose mit unheilbarem Verlauf sowie die von Till (1998) beschriebene (sozial) erzwungene, politische, rituelle und Bilanz-Suizidalität. Den von Améry (1976) geprägten Begriff des Freitodes lehne ich ab[1], verweise aber darauf, dass dieser Begriff sehr kontrovers diskutiert wird.[2]

 

2. Psychodynamik

 

Wirft man einen Blick auf gängige Diagnosemanuale wie ICD 10 und DSM IV, so erfährt man viel über Symptomatik, wenig jedoch über deren Entstehen und deren innerer Bedeutung. Dieser reduktionistischen Betrachtungsweise seelischer Erkrankungen von der Oberfläche der Symptomebene her steht die Psychoanalyse mit ihrer Lehre der Psychodynamik entgegen.

 

 Freud, hat ausgehend von seiner Ausbildung zum Mediziner und Naturwissenschaftler, versucht, die Gesetze der Physik auf die der Seele zu übertragen, indem er für den von ihm postulierten seelischen Apparat einen innerseelischen Raum aufspannte, in welchem Kräfte biologisch-triebhaften Ursprunges wirken (siehe dazu auch Kap.3). Diese Kräfte wirken im Zusammenspiel mit Topiken, Strukturen und Instanzen, welche Freud durch seine beiden Topiken[3] beschreibt: Erste Topik syn. topisches Modell: Unbewusstes, Vorbewusstes, Bewusstes (Freud 1900a, sowie seine metapsychologischen Schriften von 1915); zweite Topik syn. Strukturmodell: Bestehend aus den Instanzen Es, Ich und Über-Ich (1923b). Kommt es in diesem Feld zu Stauungen, übermäßigen Reibungen, etc. können daraus (neurotische) Konflikte entstehen, die sich dann auf der Symptomebene als seelische Störung oder auch als Psychosomatik zeigen. Durch das Aufdecken und Verstehen derartiger krankheitsbedingender Faktoren lässt sich Symptomatik auf der Konfliktebene behandeln.

 

 Das Modell psychodynamischen Verstehens wird sehr anschaulich von Stavros Mentzos erläutert, welcher Störungen als Dysfunktionalitäten betrachtet, die eine Funktion haben (vgl. hierzu beispielsweise Mentzos, 2009 oder Mentzos, 1982). Er geht davon aus, dass Störungen einen Sinn haben, dass sie Kompromissbildungen darstellen, die dem Individuum unter den gegebenen Bedingungen als die bestmöglichen erscheinen. Es handele sich dabei um aktiv (wenn auch unbewusst) mobilisierte Reaktionen, Mechanismen und Strategien. In der Tat wird einem jeder Psychoanalytiker aus der eigenen Praxiserfahrung heraus berichten können, dass die Frage „Welchen Sinn ergibt die Störung für den Patienten?“ überaus hilfreich bei der Aufdeckung der Erkrankungsursachen ist. So würden beispielsweise Zwänge ein symbolisches Ausgleichen von Schuldgefühlen darstellen.[4] Schuld ist auch für die Psychodynamik der Suizidalität ein entscheidender Faktor, wie wir in den nächsten Kapiteln, insbesondere Kap. 4 sehen werden. Selbstverletzendes Verhalten entpuppe sich teils als effektive Methode gegen Panikangst. Das unter der Oberfläche stattfindende Kräftespiel von bewussten und unbewussten Motivationen, Emotionen und kognitiven Prozessen bleibe somit von den oben genannten Klassifikationssystemen unberücksichtigt. (Mentzos, 2009)

 

 Sigmund Freud und seine Nachfolger der ersten und zweiten Generation bereicherten mit psychodynamischen Annahmen und Konzepten in Bezug auf Ätiopathogenese eine psychoanalytisch untermauerte Krankheitslehre. Für nosologische Entitäten wie Hysterie, Zwangsneurose oder Phobie wurde nicht nur wie früher aufgrund von charakteristischen äußeren Symptomen, sondern auch unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Konflikte oder der dahinter stehenden Abwehrmechanismen oder sogar anhand charakteristischer therapeutischer Schwierigkeiten oder Übertragungs- und Gegenübertragungskonstellationen ein Verständnis entwickelt. Die Psychodynamik der Suizidalität zeigt im Bereich der Übertragung und Gegenübertragung ein erhebliches, teils für Patient und Therapeut schwer zu ertragendes Maß an Aggressivität. So finden sich Anklagen an (und un- vor- oder bewusste Vernichtungswünsche gegen) primäre Bezugspersonen (Mütter) und Autoritätspersonen (Väter: Ödipuskomplex). Die Dynamik des klinischen Phänomens der Suizidalität zeigt häufig, dass sich derartige Vernichtungswünsche gegen das Selbst des Patienten richten. Psychodynamisch relevant könnten auch unreflektierte Todeswünsche der Eltern gegen ihre Kinder werden, wenn diese langfristig und latent vorhanden sind. Führt inadäquates, ständig abweisendes, nicht intrinsisch motiviertes Verhalten der Eltern gegenüber ihren Kindern in eine Depression, so kann es sein, dass ein Suizidant die unreflektierten Todeswünsche der Eltern letzten Endes selbst ausführt.

 

 In der Gegenübertragung bei der Behandlung suizidaler Patienten zeigt sich in der Regel eine weitere Ambivalenz: Auf der einen Seite wird vom Patienten Hilfe gewünscht, auf der anderen Seite steht die ständige latente Drohung der Selbstvernichtung, mit der der Patient nicht nur sich selbst vernichtet, sondern gleichzeitig auch den Behandelnden als potentes und zur Hilfe fähiges Objekt (Fonagy in Briggs, Lemma, Crouch 2012).[5]