Zwanzigzehn - Andrea Zedler - E-Book

Zwanzigzehn E-Book

Andrea Zedler

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Beschreibung

Andrea Zedler bekam die Diagnose "Brustkrebs" im Jahr 2010. Sie hat über ihre Erkrankung Tagebuch geführt. Auch über die Zeiten, die der Erholung für Leib und Seele galten. Ihr Ehemann veröffentlicht das Tagebuch für Menschen in ähnlicher Situation. Vielleicht helfen Andreas Aufzeichnungen Betroffenen, sich am Leben trotz gleicher Diagnose weiter zu erfreuen. Andrea hat es getan. Nicht immer ging es ihr gut. Sie setzte sich an den Computer und schrieb ihre Gedanken nieder. Ihr Wahlspruch war: "Hinfallen, aufstehen, Krone gerade rücken und weiter". So bleibt sie uns allen in liebevoller Erinnerung.

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Hanns Dieter Hüsch sagt in seinem Buch

„Wir sehen uns wieder“:

... Gott der Herr holt ihn jetzt in seine Nähe

und hat seine Freude an ihm,

seinem Menschen …

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 1

Vorwort 2

Die erste Diagnose Juli 2010

Juli 2014 Erholung in St.Georgen/Schenna – Südtirol

Die Neue Diagnose – „der Krebs ist zurück“

Chemo ab September 2014

Oktober 2014 – Seven Days New York

Chemo ab November 2014

Die Neue Chemo

Nachwort

Abkürzungen:

ARU

Arbeitsstelle für Evangelischen Religionsunterricht

BVG

Berliner Verkehrs Betriebe

CT

Computertomographie

GKR

Gemeinde-Kirchen-Rat

DMP

Disease-Management-Programm (Behandlungsprogramm für chronisch Kranke)

DRV

Deutsche Renten-Versicherung

MRT

Magnet-Resonanz-Tomographie

KPM

Königliche Porzellan Manufaktur

IFA

Internationale Funk-Ausstellung

OP

Operation

Vorwort 1

Andrea Zedler wurde im Mai 1957 geboren hat zwei Töchter aus erster Ehe: Steffi und Laura. Steffi ist die Ältere.

In zweiter Ehe war ich mit ihr zehn Jahre verheiratet. Im Berliner Süden wohnten wir beide in einer Doppelhaushälfte mit einem schönen, von ihr sehr geliebten Garten.

Sie war Beauftragte für den Evangelischen Religionsunterricht in einem Berliner Bezirk. Sie hatte zwischen 50 und 60 Religionslehrerinnen und Religionslehrer zu leiten und zu beaufsichtigen. Zusätzlich hat sie an einem Gymnasium Religionsunterricht erteilt.

Andrea hat nach ihrer Brustkrebs-Erkrankung im Jahre 2010 Tagebuch geführt. In erster Linie für ihre Töchter. Ich meine aber, dass es auch Verwandte, Bekannte und andere Interessierte lesen sollten.

Der Heilungsprozess, wie zu lesen, kam bis 2014 gut voran; dann kam das böse Erwachen – der Krebs war wieder da.

Die Ernährung wurde sofort auf vegetarisch umgestellt, wie es im Grunde bei uns schon war (Gegner der Massentierhaltung), auch gab es nur noch alkoholfreie Getränke. Da war ich der gestrenge Hingucker.

Wir beide hatten gleiche Interessengebiete: Kunst, Oper, Konzert, Theater, Besichtigungen, Ausstellungen und Wanderungen. Das habe ich an ihr geliebt.

Bei ihr hatte sich das Bedürfnis mehr zu erleben ab 2014 gesteigert. Sie merkte, es bleibt nicht mehr viel Zeit. Sie sagte: „Das Metromom tickt. Der Tod tanzt mit mir“. Das große Interesse blieb bis zum Schluß. Pläne für die nächten Jahre waren schon in Vorbereitung und Vorbuchungen schon geleistet.

2017 machten wir Erholungsurlaube auf Kreta und in Schenna/Südtirol. Aber sie war nicht mehr ganz so stark wie früher, hat aber tapfer gekämpft; ihr Spruch: „Hinfallen, aufstehen, Krone gerade rücken und weiter …“.

Hinweis: Die im Text vorkommenden Namen lebender Personen wurden anonymisiert; ausgenommen die Namen von Andreas beiden Töchtern.

Achim Zedler im Februar 2018

Für „Krebs“ gibt´s kein Emoticon ...

… und wenn es eines gäbe, dann müsste es wie ein Arschloch aussehen!

(Zitat aus einem Chat mit Tochter Laura vom 30.08.2015)

Vorwort 2

Eigentlich ist Silvia Schuld – sie schenkte mir im August 2015 auf unserer gemeinsamen Bayern-Tour das Buch „Arbeit und Struktur“ von Wolfgang Herrndorf – Tagebucheinträge als Internet-Blog vom März 2010, der Entdeckung seiner Erkrankung bis zu seinem Tod im März 2013.

Silvia schenkte mir das Buch fast mit zitternden Händen und mit dem Satz: „Eigentlich traue ich mich gar nicht, Dir das zu schenken – entscheide selbst, ob Du es lesen kannst!“ – Wie bitte?! Ich bin doch geübte Totentänzerin und süchtig nach solchen Büchern!

Dieses Buch hat mich völlig berauscht – ich hatte plötzlich einen neuen Bruder gefunden. Das, was der tat, hatte ich ebenso begonnen im Sommer 2010, dem Sommer meiner Erstdiagnose. Und nicht nur das – auch in Form, Sprache und Ausdruck jedweder Emotionen oder auch deren zeitweiligem Fehlen, war er mir ganz nah.

Mir fehlt das schriftstellerische Knowhow, dennoch dachte ich, es wäre vielleicht eine gute Idee, alle Tagebuchfragmente jener Zeit zusammenzuschreiben – eine Art Zeugnis und Vermächtnis für meine Töchter. Ich glaube, es ist dieser Medusenblick, den man mit der Krebsdiagnose auf sich fühlt, der einen dazu bringt, plötzlich alles festhalten zu wollen – ein Stück Befreiung aus dieser tödlichen Bannmeile vielleicht oder diesem Blick standhalten durch bannenden Widerblick?

Whatever – mein persönlicher Tanz mit dem Tod hatte begonnen und ich wollte die Schritte verstehen, den Rhythmus erkennen, nicht stolpern und vielleicht auch ein bisschen, wie immer, die Führung übernehmen. Ich schrieb nicht durchgängig – hatte den Krebs ja schließlich erschlagen, arbeitete nach einem halben Jahr wieder – sogar 150 % – und schrieb nur noch während der Ferienzeiten – zunächst bis zum Sommer 2014. Da war er zurück, dieser Dreckskerl, wie ihn die Mädels meiner Selbsthilfegruppe nennen. Und ich fing wieder an zu schreiben. Schreiben hilft – Arbeit und Struktur!

Andrea Zedler im Jahr 2015

1. Die erste Diagnose Juli 2010

War es März oder schon April? Ich weiß nicht mehr genau, wann ich zum ersten Mal bewusst gesehen habe, dass an meiner linken Brust etwas nicht stimmt. Zog ich den linken Arm zur Seite oder nach oben, gab es eine leichte Eindellung neben der Brustwarze, die Brust zog sich von der Mitte her zur Brustwarze ein.

Es sah zunächst nur komisch aus – zu tasten war da nichts – und eigentlich wollte ich auch nicht wirklich drüber nachdenken.

Etwas mehr als drei Wochen ist es nun her, dass ich die Diagnose "Mammakarzinom – zu Deutsch Brustkrebs" zur Kenntnis nehmen musste. Nun sitze ich heute einen Tag vor Beginn der Chemotherapie und blicke auf drei Wochen zurück, die irgendwie noch immer unwirklich sind und doch mein Leben von heute auf morgen verändert haben. Ich habe noch die Worte der Ärztin im Ohr, als sie mir vorletzten Freitag das Histo-Ergebnis mitteilte: Ihr Leben wird im nächsten halben Jahr etwas anders, vor allem eingeschränkter sein. Mein Kopf sagte: Ja, einverstanden, Hauptsache leben – deswegen durch. Mein Bauch sagte aber laut: Aua – Sch… – ich will mein Leben zurück – und zwar das, das ich bisher gelebt habe und zwar schnell. Da ist sie noch, die gewohnte Ungeduld. Gott sei Dank, ein Rest davon, der zeigt, ich bin noch die Alte.

Zurück zum Anfang:

Irgendwann im Mai zeigte ich Achim diese merkwürdige Erscheinung an meiner Brust. Wir tasteten alles ab und fühlten in der Tiefe eine größere Verhärtung. Aber so hatten wir uns einen sogenannten Knoten in der Brust nicht vorgestellt. Vielleicht verhärtete Brustdrüsen oder Kalkablagerungen – doch in jedem Fall etwas, was natürlich abgeklärt gehört. Aber bitte und bloß nicht sofort – ich habe ja sowieso im Juni einen Vorsorgetermin bei der Gynäkologin. Das, was man bei der besten Freundin oder der Tochter gar nicht durchgehen lassen würde, klappt prima bei einem selbst. Die einzige Entschuldigung, die vielleicht gelten kann – ich wollte nicht schon wieder eine Diagnose. Meine Bandscheibengeschichte vom letzten Jahr und mein Rheuma-Bescheid vom Februar reichten mir eigentlich und ich war froh, dass ich meine Mobilität und Lebenslust gerade erst zurückgewonnen hatte.

Doch eine Ahnung blieb – ich sprach nicht oft darüber. Anfang Juni erzählte ich es auch Silvia, aber mehr nebenbei und jede sorgenvolle Äußerung dazu wurde eher beschwichtigt – ich hatte ja einen Termin.

Nun beginne ich heute mit dem Aufschreiben der Erinnerungen an die letzten drei Wochen – auch um noch einmal zu versuchen, es zu begreifen.

Montag – 21.06.2010

Krebsvorsorge bei der Gynäkologin – "… und dann habe ich da was an der linken Brust, das mir etwas merkwürdig aussieht – das müssen wir uns nochmal genauer ansehen!" Gute Einleitung – nicht hysterisch, ganz sachlich, emotionslos – so eben, wie meine Ärztin es gerne hat – nur nicht vorschnell und unsachgemäß das Wörtchen "Krebs" in den Mund nehmen. Was ich ihr dann zeige, lässt ihr Gesicht dann doch etwas entgleiten und bei mir leuchtete zum ersten Mal deutlich das Alarmlämpchen auf.

Tasten: Oh, das ist ja nicht gerade klein. Das schauen wir uns gleich mal beide auf dem Ultraschall an.

Hier konnte sie es nicht genau isolieren, aber noch während ich mir das Gel-Zeug abwischte, rannte sie zum Schreibtisch, nahm den Hörer in die Hand und rief im Krankenhaus an.

Ja, dachte ich, so ist sie eben – gar nicht erst lange mit der Patientin drüber reden, sondern sofort die pragmatische Lösung nach vorn. So habe ich das beim letzten Mal mit der notwendigen Curettage auch erlebt. Ob sie das nur mit mir so macht, weil sie spürt, dass das für mich o.k. ist und letztlich das Ergebnis zählt? Immerhin ist es schon 17 Uhr und vielleicht befürchtet sie, dort niemanden mehr zu erreichen wenn sie mit mir jetzt erst noch eine halbe Stunde einfühlsam über alle Eventualitäten sprechen würde. "Hallo Frau R., schön, dass Sie noch da sind – Sie sind ja immer meine letzte Rettung – ich habe da eine Patientin, bei der ich dringend einen Verdacht auf Mammakarzinom abklären lassen muss …!"

Jetzt ist es endlich raus, das böse Wort.

„Donnerstag um 10.30 Uhr im Krankenhaus!“, jetzt, da der Termin geklärt ist, kann sie sich endlich wieder mir zuwenden. „Vielleicht ginge es in anderen niedergelassenen Praxen ja schon morgen, aber mit dem Krankenhaus arbeite ich lieber zusammen, da hier gleich alle sich ergebenden Folgeuntersuchungen gemacht werden können, wenn nötig." Sie spricht von weitergehender Ultraschall-Untersuchung und Mammografie und falls dann nötig einer Stanz-Biopsie. Das klingt ungemütlich und in mir fangen langsam an, die Weichteile zu rotieren. „Können Sie das am Donnerstag einrichten, ich schreibe Sie auch krank, wenn Sie wollen?" Alles, nur das nicht, natürlich geht das am Donnerstag – steht ja auch kein anderer Termin im Kalender – aber was, wenn sie morgen gesagt hätte, da bin ich schließlich mit Christine in Tempelhof an Schulen unterwegs. Ich merke, wie ich neben mir stehe und mich wundere, dass diese Nachricht mich nicht aus meinem Terminkalender schmeißt, sondern ich wirklich ernsthaft checke, wie alles zusammen passt.

Schließlich drückt sie mir noch die Überweisung und den Zettel mit der Adresse und dem Termin in die Hand und wünscht mir alles Gute „Ich höre dann von Ihnen." Ich nicke nur, merke einen Hohlraum in meinem Kopf, frage nicht einmal nach dem Namen der Ärztin, gehe einfach los, steige ins Auto und fahre nach Hause. Verbiete mir unterwegs darüber nachzudenken.

Schließe betont fröhlich die Haustür auf, nur jetzt nicht gleich heulend reinkommen. Doch als Achim fragt, was nun war, zittert mir doch das Kinn und ich kann erst mal gar nichts sagen. Die Angst rückt doch näher, da hilft nur ein Arm und liebe Worte.

Abends muss ich zum GKR trotz allem – denn ich war schon zweimal nicht da und bin heute mit der Andacht dran. Es tut mir auch gut, mich abzulenken, auch wenn ich merke, dass ich gedanklich oft nicht bei der Sache sein kann. Rainer fragt mich in der Pause, wie es mir geht und ich entschließe mich in dem Moment mit der Angelegenheit offensiv umzugehen. Ich erzähle ihm von dem Untersuchungstermin am Donnerstag, auch weil ich will, dass wenigstens einer in der Runde weiß, warum ich so schlecht drauf bin. Alles, was hier verhandelt wird, rauscht nur so an mir vorbei, zählt nicht mehr, ist plötzlich ganz unwichtig. Früher gehen – geht leider auch nicht, da drei schon vor mir abgerauscht sind und in mir macht sich der ungerechte Gedanke breit, dass die bestimmt nicht so einen guten Grund gehabt hätten wie ich. Wieder mal zeigt sich, dass ich lernen muss, mit mir besser umzugehen, damit ich es auch weiterhin mit den anderen kann.

Ich schlafe in dieser Nacht wider Erwarten recht gut. Noch kann ich mich beruhigen, dass ja alles vielleicht ganz harmlos sein könnte.

Dienstag – 22.06.2010

Bin heute mit Christine an einer Marienfelder Schule gewesen und in Schöneberg an einer Grundschule. Ich erzähle ihr im Auto von dem Verdacht bei mir und dem Termin am Donnerstag. Sie ist ganz erschrocken und schrecklich lieb und erzählt mir dann von einer Kollegin, bei der sich schließlich nur eine Milchdrüsen-Entzündung herausgestellt hatte. Ich bin ganz beruhigt und hoffe auch auf ein solches Ergebnis. Abends gehen Achim und ich wie üblich zum Tanzkurs und jiven wie die Blöden. Dann hole ich Steffi ab zum Kino. Wir wollen uns den dritten Millennium-Teil ansehen. Im Auto fällt mir ein, dass ich für Donnerstag noch prophylaktisch den Supervisionstermin absagen muss. Wenn ich das erst morgen mache, muss ich wieder bezahlen. Also Achim anrufen und nach Hermanns Telefonnummer fragen. Hermann ist persönlich am Telefon und ich erzähle ihm von dem blöden Untersuchungstermin am Vormittag – natürlich fällt das Wort "Stanz-Biopsie", damit er versteht, warum ich abends nicht komme.

Steffi hat natürlich helle Ohren und fragt mich empört, warum Hermann eher erfährt, dass ich zur „Stanze“ muss als sie. Gott sei Dank hatte ich das Wort von der blöden Untersuchung am Donnerstag schon vorher halblaut fallen lassen, doch sie war so beschäftigt, mir von ihrem Pharaonen-Virus aus Ägypten zu erzählen, dass sie vergessen hatte nachzufragen, was das für eine Untersuchung sei. Also bitte, kein schlechtes Gewissen! Aber so weiß sie es jetzt als Erste in der Familie und ich bitte sie, dicht zu halten, bis ich am Montag Genaueres weiß. Vorher bitte niemanden verrückt machen. Ich stelle mir wieder meine Mutter vor und ihren Hang vor Sorge um die Familie, nachts nur noch zu grübeln.

Das kann ich gerade nicht gebrauchen, zumal ich noch gut schlafe.

Mittwoch – 23.06.2010

Habe heute mein Büro informiert, warum ich morgen nicht da bin. Da die anderen alle so betroffen sind, bin ich eher gelassen. Höre mich Sätze sagen wie, na ja es trifft eben nicht immer nur die anderen und außerdem, noch steht ja auch nichts fest. Wir nehmen uns ein bisschen Zeit zum Reden. Nachher ging es noch gut gelaunt und beschwingt in die letzte Sitzung der Kreiskirchentags-Arbeits-Gemeinschaft. Ich freue mich langsam wirklich auf den Kreiskirchentag, auch wenn ich noch nicht weiß, ob ich überhaupt dabei sein werde. Was, wenn der Befund positiv ausfällt? Muss ich dann etwa gleich aufhören zu arbeiten? Oder bleibt mir noch Zeit, alles hier noch fertig zu machen? Ich wollte doch Steffensky sehen und hören!

Donnerstag – 24.06.2010

Termin im Krankenhaus. Wir fahren pünktlich los, auf unserer üblichen Strecke. Blöderweise ist da heute wegen eines Gebäudebrandes alles dicht. Wohl eine Explosion an einem Stromverteiler. Gott sei Dank nichts passiert, aber Riesenaufgebot an Feuerwehr usw. Wir kommen in unserer Straße gar nicht weiter, müssen uns einen anderen Weg suchen. Ich rufe im Krankenhaus an, wäre jetzt gut, wenn ich den Namen der Ärztin wüsste, nach dem werde ich nämlich gefragt. Egal, sie finden sicher auch so raus, wo sie mich verspätet ankündigen müssen.

Schließlich sind wir da. Nur etwas mehr als eine halbe Stunde zu spät, aber ich gehe natürlich zuerst dorthin, wo die Mammografien gemacht werden. Die schicken uns dann in eine andere Etage – wieder also ganz wo anders. Dort empfängt mich Frau Doktor, die mich ausgiebig befragt und untersucht. Auch sie sieht im Ultraschall zwar Auffälligkeiten, aber noch nichts Konkretes. Daher Mammografie. Die geht leider erst morgen, so dass wir für heute erst einmal fertig sind.

Da nun doch noch früh am Tage und schmerzfrei, fahre ich in die ARU, um noch etwas zu arbeiten, da ja nun morgen der Dienst ausfällt.

Freitag – 25.06.2010

Krankenhaus die Zweite. Gleich zur Mammografie, dauert ein bisschen und ist furchtbar kalt in dem Warteraum. Mit den Aufnahmen wieder gleich zu Frau Doktor.

Lange müssen wir hier nicht warten und wieder, wie schon gestern, fällt mir auf, wie angenehm die Atmosphäre hier ist. Wir sind diesmal im 7. Stock, da hier wohl ein besonderer Untersuchungsraum ist. Die Etage sieht auf den ersten Blick aus, wie die andere; nur, dass hier wohl die Patientenzimmer sind, während eines tiefer die Räume für die ambulanten Therapien, z.B. die Chemo sind. Beide Etagen sehen überhaupt nicht nach Krankenhaus aus, sondern eher nach Wellnessklinik in der Toscana. Alles in anheimelnder Atmosphäre gehalten, es steht nichts auf den mit Teppich ausgelegten Gängen herum, was an eine Krankenstation erinnert.

Frau Doktor schaut sich die Aufnahmen an, erklärt mir den Befund, der den Verdacht auf ein Mammakarzinom erhärtet und eine Stanz-Biopsie fordert. Die wird unter Ultraschall und örtlicher Betäubung gemacht und ist nur halb so scheußlich als sie klingt. Anschließend bespricht sie mit mir in aller Ruhe, was jetzt wäre wenn. Dazu hole ich Achim rein, denn ich brauche ihn jetzt an meiner Seite, zum einen, um alles besser aushalten zu können und zum anderen soll er von Anfang an in alle Entscheidungen mit einbezogen sein und mein Vertrauen in die Behandlung teilen können.

Was jetzt kommt, ist wirklich die Härte: Wenn sich am Montag der optische Befund durch die Biopsie bestätigt, wovon sie zu 90 Prozent überzeugt ist, dann wäre eine OP unumgänglich und zwar so schnell und so umfassend wie möglich. Der Tumor, den sie bei mir sieht, ließe leider keine brusterhaltende Operation zu, sie müssten die ganze Brust abnehmen, da der Tumor sich in den Milchgängen verteilt hat und eine Teiloperation zu riskant wäre im Hinblick auf mögliche Rezidive. Das knallt mir nur so in den Ohren. Meine geliebte Brust soll ab?! Ich staune, dass meine Augen trocken bleiben, vielleicht glaube ich das alles noch nicht. Es bleiben ja auch noch 10 Prozent Hoffnung, an die ich, wenn ich ehrlich bin, aber auch nicht so recht glaube.

Ich könne ja noch einmal in Ruhe nachdenken und mit meinem Mann beraten und ihr dann mein Einverständnis mit der Total-OP später mitteilen. Auch, ob ich auch einen sofortigen Wiederaufbau per Implantat wünschte oder erst zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem sie mir eher raten würde. Achim und ich schauen uns nur kurz an, nicken uns zu und alles ab, was die Ärztin uns vorgeschlagen hat. Jetzt sollte ich prophylaktisch schon einmal einen OP-Termin für Donnerstag ausmachen. Ich müsste dann einen Tag vorher aufgenommen werden, da ab Dienstag alle im Urlaub sein werden, aber ihre Kollegen würden alles ebenso verantwortlich in ihre Hände nehmen.

Wir sprechen unsererseits noch unseren Urlaub an und die Möglichkeit, dass wir ihn zur Erholung doch dringend bräuchten. Wenn möglich, würden wir ihn gern machen wollen. Der Urlaub ist jetzt zwar nicht das Wichtigste in unserem Leben, da hat sich ja nun leider etwas anderes an die erste Stelle gedrängt, aber wir müssen ja organisieren, absagen oder vielleicht verschieben. Sie rechnet kurz nach und meint, wenn die OP am 02. Juli gut verläuft und meine Genesung gut voran geht, dann könne ich am 06. Juli schon wieder draußen sein und dann spräche auch nichts gegen einen Erholungsurlaub ab 17. Juli. Und da alle Folgebehandlungen ohnehin erst vier bis sechs Wochen nach der OP anfangen würden, sei es nun Chemo oder eine Antihormon-Behandlung, was auch immer, wäre das Timing doch optimal.

Meine Gefühle geraten zwar etwas durcheinander, wenn ich mal wieder auf die bei mir so übliche Eintaktung von gesundheitlichen Maßnahmen in mein Time-Table schaue. Aber andererseits ist die trostvolle Aussicht auf "Weg von hier und hin aufs Meer schauen" zu verlockend, als dass ich sie gleich aus meinem Kopf streichen möchte.

Wir verbleiben dabei, dass wir am Montag ab 13 Uhr noch einmal telefonieren, wenn das Ergebnis der „Stanze“ vorliegt und gehen dann, die OP-Formalitäten klären. Im Wartezimmer lasse ich mich mal kurz in den Arm nehmen. Es kommt was auf uns zu.

Wenn sich alles bestätigt, dann ist am Dienstag mein letzter Arbeitstag. Das sage ich Bärbel noch durch und bitte sie, den Termin mit Gunda‘s Klasse am Dienstag früh abzusagen. Für eine Kirchenführung habe ich jetzt wirklich keinen Kopf mehr. Alles andere werde ich noch durchziehen, auch wenn keiner so recht verstehen kann, dass ich nicht gleich zu Hause bleibe. Doch für mich ist wichtig, dass ich den Konvent am Montag und die Schulbesuche am Dienstag noch durchziehe, um für mich das Gefühl eines Abschlusses zu haben. Das leuchtet dann doch ein und die Tatsache, dass ich mich körperlich ja noch nicht krank fühle, unterstützt das Ganze noch. Ich bin natürlich nicht Wonder-Woman (jedenfalls nicht ganz), aber das Ganze ist bei mir auch noch gar nicht so angekommen, dass ich jetzt an nichts anderes mehr denken könnte. Ich kann das erstaunlicherweise gut von mir abspalten. Noch!

Abends ruft Steffi noch an, will wissen, was die Stanze nun ergeben hat. Nun hofft auch sie, vielleicht hilft das.

Samstag – 26.06.2010

Ablenkung tut gut – ich muss noch an meiner Predigt für den morgigen Taufgottesdienst arbeiten. Am Abend, als alles fertig ist, gehen Achim und ich noch zum „Italiener“ und setzen uns gut gelaunt und merkwürdig unbekümmert in den Sommergarten zum Essen. Wir ergänzen uns in dem, was zu sagen ist, wirklich ideal. Das ist unheimlich entlastend und lässt die Angst vor der Tür.

Sonntag – 27.06.2010

Es war ein wirklich schöner Gottesdienst mit allem, was dazu gehört. Ich war erstaunlich konzentriert und bei der Sache. Alles stimmte. Theo hat mit seinen Kindern wieder wunderschön musiziert und die Tauffamilie hat auch nur so gestrahlt. An der Tür gab's wieder ganz viel Lob und eine Dame aus der Familie meinte noch, dass viel mehr Gottesdienste so sein sollten, damit wieder mehr Leute in die Kirche gehen würden.

Nach dem Fußballspiel Deutschland-England fahren wir zu meinen Eltern, um es auch ihnen vorsorglich und möglichst homöopathisch beizubringen. Sie reagieren auch erst einmal sehr gefasst, wenngleich ich die Sorge und Angst natürlich spüren kann. Wie schlimm wird das wohl werden, was kommt da alles auf euch zu, können wir das auch alles aushalten? Das sind Fragen, die insbesondere meine Mutter mit Sicherheit wieder bis in die Nacht hinein begleiten. Auch hier hofft man ja noch, dass sich morgen alles ganz anders darstellt. Vor der abendlichen Übertragung des nächsten WM-Spiels fahren wir wieder nach Hause. So eine Fußball-Weltmeisterschaft schafft den idealen Ablenkungsrahmen. Später wird es vielleicht mal heißen: Wann war das nochmal mit dem Krebs bei Andrea? Ach ja, in dem Jahr, in dem Deutschland Fußballweltmeister wurde.

Montag – 28.06.2010