Zwei grüne Leben - Ulrike Lunacek - E-Book

Zwei grüne Leben E-Book

Ulrike Lunacek

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Beschreibung

"Was würde mein Vater zur aktuellen Agrar- und Umweltpolitik in Österreich und der EU sagen? Was ist heute notwendig angesichts von Klimakrise, Pandemie und Krieg?" Die Wirtschaftswunderjahre waren geprägt vom Glauben an endloses Wachstum – auch und gerade in der Landwirtschaft. Heinrich Lunacek arbeitet sich in dieser Zeit vom Praktikanten in Molkereien bis zum Generaldirektor der ÖRWZ (heute RWA, Raiffeisen Ware Austria) hoch. Seine Tochter Ulrike indes reist durch Südamerika, taucht Ende der 1970er Jahre in die (entwicklungs-)politisch-feministische Aktivist*innenszene ein – und gerät mehr als einmal mit ihrem konservativ eingestellten Vater aneinander. Ulrike Lunacek erinnert sich: an ihren Vater, dessen Antrieb es war, "nie wieder hungern zu müssen", an die Zeit mit den anderen "Milchkindern", das Alle-paar-Jahre-Umziehen, an ihre Mutter Elisabeth, die ihrem Vater immer den Rücken freihielt. Anhand der Lebenswege von Heinrich und Ulrike Lunacek, der langjährigen Grün-Politikerin, entfaltet sich ein Panorama der österreichischen Wirtschafts- und Umweltpolitik der Nachkriegszeit. Nicht zuletzt wirft Lunacek einen Blick auf die Agrarpolitik in Österreich, der EU und weltweit heute – und wie wir uns den Herausforderungen von morgen stellen können.

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ULRIKE LUNACEK

ZWEI GRÜNE LEBEN

Vater und Tochter in Umbrüchen, Aufbrüchen und Wendezeiten

GEWIDMET

Meinen Großnichten Nora und Lia, die mit ihren Eltern Sofie und Matt in New Hampshire, USA leben.

Meinem Großneffen Emil und seinem Schwesterlein, das wir im Jänner 2023 erwarten – sie leben mit ihren Eltern Iris und Max derzeit in Wien in unserer Nachbarwohnung.

Aus Freude über sie und in der Hoffnung, dass sie später einmal mit Interesse dieses Buch lesen und ein wenig darüber erfahren werden, wie es sich in Österreich lebte, als ihre Großeltern und Urgroßeltern jung waren.

INHALT

Vorwort

„Milchwirtschaft!“

1955–1961 Gföhl

Der Wind der Zukunft

1961–1966 Amstetten

Parteifarbe weiß – wie die Milch

1966–1975 NÖM

Alles neu in der Gewerbeordnung

1975–1981 VLG

Der „leibhaftige Grüne Riese“

1981–1991 WÖV/ÖRWZ

Epilog

Danksagungen

Endnoten

VORWORT

Immer wenn ich gefragt werde, was mein Vater denn beruflich gemacht hat und ich das Wort „Raiffeisen“ verwende, heißt es üblicherweise: „Ah, die Banken!“, „Ah der Grüne Finanz-Riese!“ oder „Ah, die mit den unsauberen Auslandsgeschäften!“ Letzteres vor allem rund um die Finanz- und Schuldenkrise Ende der Nullerjahre.

Bei fast allen Menschen in Österreich – und noch mehr in den südost- und osteuropäischen Nachbarländern, in denen ich während meiner Zeit in der Politik viel unterwegs war – taucht beim Wort „Raiffeisen“ das Wort „Geld“ vor ihrem geistigen Auge auf, egal ob sie an die lokale Raiffeisenkassa, die Landes- oder Zentralbank oder Raiffeisen International denken.

Die Lagerhäuser und die Getreidesilos, die es am Land in Österreich wohl ähnlich viele wie Kirchen gibt, führen in der öffentlichen Wahrnehmung ein Schattendasein – obwohl sie im ländlichen Raum seit den Gewerberechts- und Genossenschaftsgesetz-Novellen Anfang der 1970er Jahre als „Haus-Hof-Garten-Märkte“ mit dem Slogan „Nah, für alle da“ ein wichtiger Bestandteil der Nahversorgung mit Konsumgütern im ländlichen Raum geworden sind.

Genau in jenem Teil der Raiffeisen-Organisationen – in der „Ware“, wie das bei Raiffeisen-Insidern heißt – spielte sich meine Familienwelt in meinen Kindheits- und Teenager-Jahren und späteren Erwachsenen-Jahren ab. Zuerst bis 1975 in den Molkereien Gföhl im Waldviertel, Amstetten im Mostviertel und in der Niederösterreichische Molkerei NÖM in Wien; und dann ab 1975 – da zog ich aus dem Elternhaus aus und ging zum Studium nach Innsbruck – im Verband Ländlicher Genossenschaften für Niederösterreich sowie der Österreichischen Raiffeisen-Warenzentrale ÖRWZ in Wien.

In meiner Kindheits-Molkereiwelt ging es bis zu meinem 18. Lebensjahr um Fru Fru, Topfen pur oder die vielfältigsten süßen und sauren bzw. salzigen Topfen-Speisen, inklusive z.B. Liptauer, auch „Freitagskas“ genannt im Hause von Freunden; um Schulmilch und Schulkakao, um Buttermilch, Sauermilch, Butter, Rahm und Schlagobers; um das neuartige nöm mix, um Trappistenkäse und Bojar wie Picotta sowie viele andere Käsesorten, gut riechende aber auch stinkende wie Quargel, die selbstverständlich immer unter dem Quargel-Sturz ihr Dasein in der Speis fristeten – alles für meinen Bruder, meine Mutter und mich (mein Vater tat sich schwer, ohne Fleisch auszukommen) sehr genussvolle Lebensmittel, die uns mit dem täglichen Deputat vor der Wohnungstür im Überfluss zur Verfügung standen. Und nicht nur unsere Mutter, sondern auch die Mütter der anderen „Milchkinder“ (wir Kinder der befreundeten Molkereileiter) zauberten daraus großartige Haupt- und Nachspeisen.

Ich bekam schon früh einen Einblick in die niederösterreichische und Wiener Gesellschafts- und Politikwelt (Wien wurde ja erst 1986 von St. Pölten als Hauptstadt von Niederösterreich abgelöst). Alles musste sozialpartnerschaftlich ausgehandelt und geregelt werden. Das hatte und hat ja durchaus gute Seiten – so gehörte und gehört Österreich zu jenen Ländern, in denen es sehr selten zu Streiks kommt, weil Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen meist so lange verhandeln, bis ein für alle akzeptabler Kompromiss am Tisch liegt. Die verschiedenen Betriebe der „Verstaatlichten“ hatten Monopolstellung; und Posten wie Lohnerhöhungen funktionierten nach dem österreichischen Nachkriegs-Motto: Bekommt Schwarz (also ÖVP) etwas, bekommt auch Rot (also SPÖ) etwas – und umgekehrt. Gerade zwischen dem tief-schwarzen Niederösterreich und dem tief-roten Wien war dies ein ständiges Hin und Her. Ich hörte in Gesprächen beim Frühstück oder Abendessen von Problemen mit der Milchpreisregelung, von Exportstützungen, von Milchseen und Butterbergen – also Überschuss-Produktion; später ging es um Düngemittelimporte aus Rumänien und Weizenexporte nach Osteuropa inklusive der Sowjetunion. Auch die Paritätische Kommission war Thema, in meinen Jugendtagen ein für mich faszinierender Begriff – auch wenn ich nicht genau verstand, wie es funktionierte, nur dass Preise und Löhne ganz genau ver- und ausgehandelt werden mussten.

Über diesen Teil der (nieder-)österreichischen Milch- und Landwirtschaftswelt vor dem EU-Beitritt 1995, über die Molkereien, in denen wir auch wohnten, findet sich im Internet – Ausnahmen bestätigen die Regel – so gut wie gar nichts; und auf den Websites der heutigen Unternehmen – sei es in der Milch- oder der Landwirtschaft – sehr wenig. Einige einschlägige Werke schildern Auszüge wie die 1998 zum 100. Geburtstag des ersten Lagerhauses in Pöchlarn erschienene Chronik „Raiffeisen in Österreich – Siegeszug eine Idee“ von Ernst Bruckmüller und Wolfgang Werner; oder fokussieren auf das letzte Vierteljahrhundert wie das 2018 zum 25-jährigen Jubiläum der Gründung der RWA erschienene „regional verankert, global vernetzt: Raiffeisen und RWA Raiffeisen Ware Austria – einst und jetzt“ von Peter Berger und Andreas Resch; oder setzen sich sehr kritisch mit dem „Grünen Riesen“ auseinander, so etwa das 2012 erschienene „Schwarzbuch Raiffeisen“ von Lutz Holzinger und Clemens Staudinger.

Ich fand jedoch sehr wenig über die Zeit und Erfahrungen, die mein Leben und das meines Umfeldes von den 1950er bis zu Beginn der 1990er Jahre geprägt hatten. Mir fehlte der Zugang über Geschichten, wie sich unser Leben in dieser Wirtschaftswunderzeit abspielte.1 Anekdoten, Erinnerungen aus einer Zeit, die mittlerweile für die jungen Menschen von heute so weit zurückliegt wie für meine Generation – ich bin Jahrgang 1957 – die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Und so behandelt „Zwei Grüne Leben“ das Leben von Vater und Tochter Lunacek, die beide an sehr unterschiedliche mit der Farbe „Grün“ verbundene Themen glaub(t)en: Heinz Lunacek, der „leibhaftige Grüne Riese“, wie ihn der damalige stellvertretende niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll 1992 bei einer Laudatio bezeichnete, glaubte an die „Grüne Revolution“ (kurzgefasst: „mit Pestiziden und Kunstdünger schaffen wir den Hunger auf der Welt ab“) und den „Grünen Riesen“ (Raiffeisen in Österreich). Ich vertrat und vertrete auch weiterhin die gesellschaftspolitischen Werte und Programmatik und Arbeit der Grünen. Dass dieses Vater-Tochter-Verhältnis trotz aller ideologischen Unterschiede und trotz manchmal mit harten Worten geführten Auseinandersetzungen immer wieder ein verständnisvolles, unterstützendes und großzügiges – und immer auch lernendes – war, macht es besonders. Selbstverständlich kommt auch der Beitrag meiner Mutter Elisabeth „Liesl“ Lunacek vor, denn ohne sie hätten weder mein Vater noch mein Bruder Thomas noch ich unsere Leben und Karrieren so erfolgreich gestalten können (sie verstarb 2018, viereinhalb Jahre nach meinem Vater). Mein Bruder half mir mit seinen Erinnerungen dabei, unsere Kindheit und Jugend lebendig werden zu lassen.

Dieses Buch soll ein sehr persönliches, aber auch gesellschaftsund wirtschaftspolitisches, immer wieder kritisches Bild vermitteln von der Zeit zwischen dem Staatsvertragsjahr 1955 und der Zeitenwende Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre. Damals begann mit dem Ende des Eisernen Vorhangs und der Sowjetunion angeblich das „Ende der Geschichte“, ein mir schon damals nicht schlüssiges Konzept, das sich schon bald als Fata Morgana herausstellen sollte.

Als ich selbst 1995 von meinem bis dahin gesellschaftspolitischen Engagement ins parteipolitische – als Nationalratskandidatin für die Grünen – wechselte, war mein Vater schon seit 1991 in Pension. Seine Berufszeit hatte ich, seit ich erwachsen war, meist aus der Ferne verfolgt, zwar mit Interesse – aber wir lebten doch in unterschiedlichen Welten. Als ich selbst ab 1999 Nationalratsabgeordnete war, begann ich mich hin und wieder zu fragen, wie mein Vater wohl die agrarpolitischen Auseinandersetzungen mit der roten Reichshälfte, aber auch innerhalb von ÖVP, Bauernbund, Landwirtschaftskammern und den Raiffeisenorganisationen erlebt hatte. In den Nullerjahren, als meines Vaters Demenz sich Schritt für Schritt merkbar zu machen begann, wurde mir klar, dass ich, wollte ich noch einiges wissen aus seinem Berufsleben, dies jetzt erfahren musste. Zu jener Zeit gab es noch keine Handys mit Aufnahmefunktion, womit man die Aufnahme unauffällig mitlaufen lassen konnte während eines Gespräches. Und da ich nicht viel in Wien war, hatte ich auch wenig Zeit (bzw. nahm mir die Zeit nicht), mich mit ihm hinzusetzen, ihm Fragen zu stellen und zu sehen, was er beantworten konnte und wollte.

Also schenkte ich ihm zu Geburtstagen oder zu Weihnachten leere Schreibhefte mit Fragen von mir. Aber er beantwortete sie nicht mehr. Er schrieb einiges aus seiner Kindheit und Jugend und aus der Kriegszeit auf. Aber nichts über seine Berufszeit. Als Begründung sagte er auf meine Nachfragen nur „Ich werd’ es schon machen“ – aber es geschah nicht. Er konnte sich teils nicht mehr erinnern. Und wahrscheinlich wollte er sich auch nicht erinnern an das enttäuschende zu frühe Ende seiner Karriere.

Bei einer gemeinsamen Zugsfahrt mit meinen Eltern im Juli 2009 zu meiner Angelobung im Europaparlament in Straßburg kam mir das erste Mal die Idee, Erinnerungen an die Berufszeit meines Vaters selbst aufzuschreiben. Es hat ein gutes Jahrzehnt gedauert, bis dieses Buch, das Sie nun in Händen halten, tatsächlich Realität geworden ist. Gut Ding braucht eben Weile …

Während ich diese Einleitung schreibe, leben wir schon das dritte Jahr mit der Covid-Pandemie, die das globalisierte Wirtschaftsleben gehörig unter Druck und für eine Zeitlang sogar zum Stillstand gebracht hat. Wir sind seit Februar 2022 mit einem Angriffskrieg (Putins Russland auf die seit 31 Jahren unabhängige Ukraine) konfrontiert, den kaum jemand für möglich gehalten hat auf unserem Kontinent. Ähnlich wie nach dem Ölschock 1973/74 (übrigens auch aufgrund eines Krieges) lässt dieser Krieg Gas- und Ölpreise in schwindelnde Höhen schnellen. Dies schürt Ängste und Not und lässt vor allem in den von ukrainischem Getreide abhängigen Staaten Afrikas neue Hungersnöte befürchten. Und wir erleben die Klimakatastrophe so akut, sicht- und spürbar wie noch nie. Auch bei uns trocknen Seen und Flüsse aus, sterben Fische zu Tausenden, wird das Wasser knapp; machen Dürre und Unwetter ganze Ernten kaputt; schmelzen Gletscher und Permafrost-Gebiete und lassen Felsen und halbe Berge ins Tal stürzen; auch bei uns ist die Artenvielfalt schon dramatisch reduziert worden, auch bei uns erleben wir tropische Tage und Nächte – und immer noch gibt es Leute, die die von uns Menschen gemachte Erderwärmung leugnen.

Immer wieder während Recherche und Schreiben habe ich darüber nachgedacht, wie denn wohl mein Vater auf all diese neuen Krisen reagieren würde. Wobei: Der erste Bericht des Club of Rome, „Die Grenzen des Wachstums“, erschien schon 1972. Mein Vater hat ihn sicher wahrgenommen, und ich denke, er hat ihn auch beeinflusst. Nach den Berichten aus den fünf Berufsphasen meines Vaters finden Sie daher im Nachwort einige – natürlich nicht mehr überprüfbare – Überlegungen dazu, welche Positionen mein Vater heute vertreten und welche Entscheidungen er angesichts von Klimakatastrophe und Krieg treffen würde.

Meine Dankesworte an die vielen Frauen und Männer, die mir ihre Geschichten und Erinnerungen anvertraut und mir bei den Recherchen geholfen haben, finden Sie am Ende dieses Buches. Was ich mir wünsche: dass mein Blick in die Vergangenheit Lust und Mut macht, jetzt die Dinge anzupacken, die notwendig sind – in Bezug auf Klimaschutz, auf Energiewende, auf Ernährungssouveränität, auf Verteilungsgerechtigkeit lokal und global, auf – einfach gesagt – ein ‚gutes Leben für alle’. Denn Veränderung geschieht immer durch Menschen, die sich entscheiden und es wagen, die nötigen Schritte zu setzen – gegen Widerstände, gegen Kritik, manchmal auch radikal an die Wurzel gehend. Das haben ein Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Leute um ihn herum Ende des 19. Jahrhunderts getan, das haben ökologisch und gesellschaftspolitisch die ersten Grünen in Österreich und anderswo in den 1970er und 1980er Jahren getan, das machen heute weltweit Fridays for Future und viele andere. Angesichts der Ansinnen von einigen auf unserem Kontinent und anderswo, unsere hart erkämpften Menschenrechte und demokratischen Institutionen auszuhöhlen und durch autoritäre Strukturen zu ersetzen, ist zivilgesellschaftliches Engagement notwendig – mit Verve und Humor, aber ohne Hass oder gar Gewalt.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine vergnügliche und interessante Reise in die Vergangenheit und anregende Überlegungen zu Gegenwart und Zukunft,

Ihre

Ulrike Lunacek

WIEN, ENDE AUGUST 2022

„MILCHWIRTSCHAFT!“

1955–1961 Gföhl

Eine junge Frau steht strahlend auf einer blühenden Wiese, die Arme ausgebreitet, der Rock schwingt um ihre Knie, ein glückliches Lächeln im Gesicht – es ist ein besonderer Tag. Ihr Verlobter macht das Foto beim Sonntagsausflug auf den Reinsberger Semmering im niederösterreichischen Alpenvorland. Es ist der 15. Mai 1955, zu Mittag läuten im gesamten Land die Glocken: Österreich ist nach einem Jahrzehnt Besatzung wieder frei, am Vormittag dieses geschichtsträchtigen Tages wurde der Staatsvertrag unterschrieben.

Gefunden hat Elisabeth „Liesl“ Lunacek, mit Mädchennamen Hofer, das kleine Foto erst 2014 wieder, nach dem Tod ihres Mannes Heinrich „Heinz“ Lunacek. Der hatte sich damals, an diesem strahlenden Sonntag im Mai, nicht nur über seine Verlobte und den Staatsvertrag, sondern auch über seinen ersten fixen Posten freuen können: Noch während des Studiums hatte er Praktika an verschiedenen Bauernhöfen, sogar in Tirol, gemacht. Der achtmonatige Aufenthalt im Jahr 1948 am Milchviehhof des Bauern Norz in Unterperfuß westlich von Innsbruck hatte meinen Vater nachhaltig beeindruckt: Er lernte die harte Arbeit unter einem sehr dominanten Bauern kennen. Er wohnte mit den Knechten in einem sehr bescheidenen Raum. Und zum Waschen war – egal zu welcher Jahreszeit – nur der Brunnen im Hof mit seinem kalten Wasser da. Das einzige Handtuch für alle Knechte gab es in der Stube. Dort aßen alle aus derselben Schüssel oder Pfanne, die Knechte hatten ihre (markierten) Löffel am Tischtuch abzuputzen und in der Schublade aufzubewahren. Mein Vater hielt durch. Wahrscheinlich auch deshalb hielt er den Kontakt mit der Familie Norz sein Leben lang aufrecht.2

Sonntag, 15. Mai 1955, Staatsvertragstag. Alle Glocken läuten, Liesl Hofer ist mit ihrem Verlobten am Reinsberger Semmering. Er wird demnächst Molkereileiter in Gföhl, in einem Jahr wird geheiratet – sie ist einfach glücklich

.

Altbäuerin Luise und Altbauer Franz Norz mit Enkelin Elisabeth, 1972

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Im Juni 1951 hatte er dann sein Studium an der Universität für Bodenkultur als Agraringenieur abgeschlossen. In seinen Unterlagen fand ich den kurz danach auf Englisch handgeschriebenen Entwurf einer Bewerbung an die Economic Cooperation Administration (ECA), die die Umsetzung des Marshall-Plans in Österreich verwaltete. Er bewarb sich als „Agricultural Engineer“ an der ECA Mission in Wien und hatte dafür auch, wie er schrieb, die Unterstützung sowohl des Landwirtschaftsministeriums als auch der „Confederation of Austrian Farmers“, also des Bauernbunds. Aber es wurde nichts daraus – sein Leben wäre sonst wohl anders verlaufen. So begann er am 1. Dezember 1951 seine Molkereiausbildung in Aschbach, dann folgten Horitschon, Krems, Pöggstall und Amstetten.

Nun war er seit 1. April 1955 an der Molkerei Gföhl beschäftigt. Er hatte vom Milchwirtschaftsfonds den Auftrag erhalten, zu überprüfen und zu beurteilen, wie und ob der Betrieb überlebensfähig sei. Damals verfügte die Molkerei Gföhl über eine tägliche Anlieferung von lediglich rund 2.000 Litern Milch. Da er mit tiefgreifenden Reorganisationsmaßnahmen die Überlebensfähigkeit als machbar einschätzte, wurde mein Vater in der Folge mit 1. Juli 1955 zum Leiter der Molkerei Gföhl bestellt und mit der Reorganisation beauftragt. Seiner künftigen Frau Liesl war klar, dass sie nach der Hochzeit im Mai 1956 und dem ersten Kind, das hoffentlich bald danach kommen würde, ihren Arbeitsplatz als Lehrerin in Purgstall aufgeben würde. Sie wollte ganz Hausfrau und Mutter sein, und sie gab die Schule gerne auf. Das erzählte sie zumindest später so und spickte ihre Berichte mit Geschichten von während des Unterrichts nervenden Kindern. Außerdem hätte mein Vater ihr eine bezahlte Arbeit außerhalb der Familie gar nicht erlaubt. Er hing dem Familienbild des Vaters als Ernährer der Familie voll an – vielleicht auch deshalb, weil sein Vater dieses nicht ganz ausfüllen konnte oder wollte und mein Vater selbst nach dem Krieg mit diversen Jobs – z.B. als Dolmetscher und Verkäufer beim US Sales Commissary, dem Versorgungsgeschäft der US-Besatzungstruppen – die Eltern und sich finanziell über Wasser hielt. Erst knappe 20 Jahre später sollte in Österreich im Rahmen der umfassenden Familienrechtsreform 1975 das Recht des Ehemannes abgeschafft werden, der Ehefrau eine Erwerbstätigkeit zu verbieten.

Damals, an diesem 15. Mai 1955, lag den beiden die Welt zu Füßen. Zumindest empfanden sie das so: Das Kriegsende, die Zeit der Bomben und der Angst, lag zehn Jahre zurück. Heinz hatte nach der englischen Kriegsgefangenschaft und der Rückkehr nach Wien im Jahr 1946 Bodenkultur studiert – er wollte nie wieder Hunger leiden; der Mangel und die Not der ersten Nachkriegszeit in Heinz’ Heimatstadt Wien und auch in Krems, wo Liesl mit ihren ebenfalls alles andere als reichen Eltern und ihrer schon 1948 nach England ausgewanderten Schwester gelebt hatte, waren dem Wiederaufbau gewichen. Allmählich wurden im ganzen Land wieder mehr und mehr Nahrungsmittel produziert.

Im Jahr 1953 wurde deshalb auch die Rationierung der Lebensmittel eingestellt. Mark Steininger schreibt 2010 in seiner Diplomarbeit: „Von da an waren keine Coupons mehr notwendig, um Lebensmittel beziehen zu können. … (S)chon im Jahr 1953 (entbrannte) eine heftige Debatte über die Butterberge und Milchseen, die aufgrund der rasch anwachsenden Produktivität der landwirtschaftlichen Betriebe entstanden.“3

Und jetzt, 1955, sollten auch noch die Soldaten der vier Alliierten bis zum 26. Oktober abziehen und Österreich endlich wieder ganz frei sein. Die Zukunftsaussichten waren blendend, es konnte ja nur bergauf gehen, mit Arbeit und Fleiß (was sie beide gelernt hatten in ihren Elternhäusern) und einem Quäntchen Glück, das ihnen schon ihre Liebe beschert hatte: Denn es musste wohl der glückliche Zufall die Geschicke gelenkt haben, dass Heinz als Praktikant in der Kremser Molkerei schon von April bis August 1954 im Dachzimmer der Langenloiserstraße 32 eine Bleibe gefunden hatte – im selben Haus, in dem im Erdgeschoß Liesl mit ihren Eltern wohnte! Mein Vater schilderte öfters, dass er sie im Garten des Hauses von seinem Dachbodenfenster aus das erste Mal gesehen hatte.

Erste Station für die Lunaceks: Gföhl

Geheiratet wurde am 17. Mai 1956 in Dürnstein in der Wachau – ein Ort, den Liesl schon lange kannte, war es doch ein beliebtes Ausflugsziel mit ihren Eltern und ihrer Schwester. Gern gingen sie sonntags die zehn Kilometer zu Fuß von Krems nach Dürnstein, kehrten zu einem Glas weißen G’spritzten (für die Eltern) oder einem Himbeer-Kracherl (für die Töchter) ein – um dann wieder zurückzugehen nach Krems. Brot und Obst waren im Rucksack, zu mehr reichte das Haushaltsbudget nicht.

Die Heirat wurde jedoch, das war klar, gefeiert, beim „Thiery“, dem Restaurant und Hotel „Richard Löwenherz“, gab es das Hochzeitsmahl – ob auf der Donauterrasse unter den damals schon alten Kastanienbäumen oder wetterbedingt in einem der Säle ist (zumindest der Autorin) nicht mehr überliefert.

Hochzeit am 17. Mai 1956 in Dürnstein

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Danach ging es für das frisch vermählte Paar nach Gföhl, in eine Dienstwohnung im ersten Stock der kleinen Molkerei im Wurfenthalgraben, unterhalb des Ortes – ein zum Wohnen eher finsterer und feuchter Ort, wenig Sonne leuchtete in den Graben hinunter. Doch im Frühling, Sommer und Herbst wusste sich meine Mutter am Garten und dem dort angebauten Gemüse, den Kräutern und auch den Blumen zu erfreuen. Die Wohnung war zwar deutlich größer als die Räume, die sowohl Liesl wie auch Heinz aus den Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnungen ihrer Eltern kannten, doch lagen das Bad und die Küche oberhalb der kalten Anlieferungshalle, der Boden war nicht isoliert, und geheizt wurde über den Holzofen, aber nicht im Bad. Dort, erinnert sich mein Bruder an die Erzählungen meiner Mutter, sei es „saukalt“ gewesen und man habe überall, wo sie uns gewickelt hat, Heizstrahler aufstellen müssen. „Da haben die Füße schon gegrillt, aber dafür war der Kopf eiskalt. Sie sagt, das war ein Horror! Dem Vati“, so mein Bruder weiter, „war das relativ wurscht, er ist in der Früh um 6 Uhr oder noch früher raus und am Abend um 10 Uhr, meist schon mit etwas Wein im Blut, heimgekommen. Aber das war egal, er hat geschlafen und ist in der Früh um 6 Uhr wieder raus.“

Auch für unsere Mutter war die Dienstwohnung in der Gföhler Molkerei um vieles besser als ihre Ein-Zimmer-Wohnungen als Lehrerin zuvor. Besonders eindrucksvoll schilderte sie immer die Zustände Ende der 1940er Jahre in Alt-Nagelberg im äußersten Norden des Waldviertels an der Eisernen-Vorhang-Grenze zur Tschechoslowakei. Dort unterrichtete sie nicht nur die wenigen 6- bis 14-Jährigen des Ortes gemeinsam in einer achtklassigen Schulklasse, sondern war in der kalten Jahreszeit mit eingefrorenem Wasser im Email-Lavoir – der Wasseranschluss befand sich am Gang – ihres Zimmers im ersten Stock des Wirtshauses konfrontiert und mit einer verschmutzten Toilette nach den abendlichen Proben des schon 1920 gegründeten Männergesangsvereins des Ortes.

Aber Unzufriedenheit kannte meine Mutter nicht. Sie hatte vor dem und während des Zweiten Weltkrieges als zweites Kind einer armen Familie gelernt, wie es ist, mit wenig auskommen zu müssen: Mein Großvater, geboren 1896 in eine Sägewerksfamilie im südniederösterreichischen Pernitz, lernte als junger Mann das Schlosser- und Wasserleitungsinstallateur-Handwerk. In der Wirtschaftskrise nach 1929 – in dem Jahr wurde meine Mutter in Pernitz geboren – schlitterte der Betrieb seiner Eltern in die Krise, und auch er fand keinen Job. Die junge Familie (mit der 1925 geborenen Schwester meiner Mutter) übersiedelte nach Krems an der Donau. Mein Großvater – arbeitslos – war anfällig für die Propaganda der (in Österreich während des Austrofaschismus illegalen) NSDAP, deren Vertreter aus Deutschland in den Wirtshäusern – auch in der Langenloiserstraße in Krems – bei den Arbeitslosen rekrutierten. Meine Großmutter brachte die Familie währenddessen mit Näharbeiten für die besser gestellten Kremserinnen, einige von ihnen vehemente Hitler-Anhängerinnen, über die Runden.

Mein Vater mit mir in meinem ersten Jahr in Gföhl

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Im Mai 1957 kam ich auf die Welt, im Mai 1960 mein Bruder Thomas. Ulli und Tommy wurden wir gerufen. Der Weg hinauf in den Ort zum Einkaufen war mühsam für unsere Mutter, zuerst mit einem, dann mit zwei kleinen Kindern.

Johann Hagmann (gestorben im Dezember 2021), der in meinem Geburtsjahr in der Molkerei Gföhl zu arbeiten begann, hat noch das Bild in Erinnerung, dass mich meine Mutter, „eine fesche Frau“, im Garten der Molkerei spazieren getragen hat.

Jammern kannte Liesl Lunacek nicht, auch wenn sie sich immer wieder recht allein fühlt: Denn ihr Mann ist viel unterwegs, auch an Abenden und Wochenenden, bei den Bauern zuhause und bei den abendlichen Versammlungen in den verschiedenen Wirtshäusern. Sie hat noch keinen Führerschein (den macht sie erst später in Amstetten), öffentlichen Verkehr gibt es auf der noch unasphaltierten Straße vom Wurfenthalgraben hinauf in den Ort oder zurück nicht – und mit dem Kinderwagen wäre das sowieso beschwerlich gewesen. Aber sie hatte zumindest den schönen Garten, mit Blumen, Kräutern und Gemüse. Und sie genoss es, ihrer Tochter Ulli (den Namen Ulrike eroberte ich mir erst ab meinem Dreißiger zurück) nicht nur Zöpfe zu flechten, an die sie große, bunte Maschen band, sondern ihre Haare in einem Kranz oben am Kopf zu befestigen und ebenso mit einer bunten Masche zu verzieren; ein Bild, das eines der sogenannten Milchkinder4 – Elisabeth Patzschke (geb. Heidrich), die Älteste von uns – „nie vergisst: diese riesige Masche auf der eigenartigen Frisur. Die fanden die Erwachsenen wohl süß, ich war halt anderer Meinung“.

Die Masche am Kopf – später um den Zopfkranz gebunden – wurde für viele Jahre meiner Kindheit mein „Markenzeichen“

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In den ersten Jahren nach dem Staatsvertrag war die Armut im Waldviertel immer noch groß. Die erdgeschossigen Arbeitsräume einiger Bauernhöfe hatten noch Lehmböden, wie meine Mutter sich erinnerte. Und auch mit Wasser und Hygiene, so erzählte sie, „hatten sie es damals, Anfang der 1950er Jahre, im Waldviertel noch nicht so.“ Sie konnte selbst ein Lied davon singen aus ihrer Zeit in Alt-Nagelberg.

Viele Haushalte und Landwirtschaften waren noch ohne Strom – auch in anderen Teilen Österreichs sollte es bis zur vollständigen Elektrifizierung in der Landwirtschaft noch Jahre dauern. Denn obzwar schon 1949 ein „Generalplan“ zur Elektrifizierung der österreichischen Landwirtschaften erstellt worden war, waren 1951 „noch 19,1 % der Betriebe ohne Stromanschluss, 1957 nur mehr 7,2 %.“5

Im Waldviertel wurde die vollständige Elektrifizierung erst in den 1970er Jahren abgeschlossen. In Gföhl selbst konnte der Großteil der Streusiedlungen in den 1950er/1960er Jahren mit Strom versorgt werden, wie mir Friedrich Weber mitteilte. Er verfügt über ein ausgezeichnetes Archiv über Gföhl mit einer detaillierten Chronik und sehr vielen Fotos.6

Alma-Dreiecks-Käse-Werbung erfreute uns Kinder genauso wie der Käse

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Das Zentrum von Gföhl war in den 1960er Jahren schon völlig elektrifiziert: Neben dem Fleischhauer und dem Wirtshaus Baldt gab es das Milchgeschäft und seine Chefin, Frau Herta Kloiber. Das Geschäft wurde von der Molkerei direkt beliefert.

Ilse Demal, Tochter von Hartl und Herta Demal und damit ein „Milchkind“ wie wir kleinen Lunaceks, erinnert sich gerne an das Geschäft vor der Zeit der Milchpackerl oder -flaschen zurück: „Frau Kloiber hat die Milchpumpe wie einen Bierzapfhahn bedient. Die Kundschaften haben ihre blechernen Milchkannen, in Weinrot oder Weiß emailliert, unter den Füllstutzen gestellt, und die Milchfrau hat ihnen die gewünschte Menge hineingepumpt. Auch den eigenen Geruch in diesem Geschäft wie in der ganzen Molkerei, das ‚Kasl’n’, haben wir als wohlriechend empfunden und es hat uns eine Art Heimatgefühl vermittelt. Vor der mit Hockern bestuhlten Milchbar stand eine Karton-Alma mit weißer Kopfbedeckung. Von dieser Werbung für die Alma-Dreieckskäserln, einen halben Meter hoch und damit für uns Kinder in Lebensgröße aufgestellt, ging eine eigene Faszination aus.“

Abenteuerspielplatz Molkerei

Die Molkereien waren für uns Milchkinder – egal ob in Gföhl, Mank, Hainfeld, Erlauf, Zwettl, Aschbach, Amstetten oder in Wien in der NÖM – eine Art Abenteuerspielplatz. Ilse Demal erinnert sich an Gföhl Anfang der 1960er Jahre: „Die Lagerräume unten beim Herrn Hengstberger waren dafür bestens geeignet, oben im Halbstock waren die Milch-Übernahme und der große Kühlraum. Von dort wurden die Kleinprodukte für die vorher zusammengestellten Touren ausgeliefert: Rahm, Obers, Topfen. Und wie Burgmauern standen die großen Trockenmilch-Säcke herum, wir konnten darauf herumkraxeln! Es bestand zwar die Gefahr, dass die Säcke reißen, aber es ist nie etwas Schlimmes passiert …“

Für Elisabeth Patzschke und Susanne Stöger (geb. Heidrich) war es vor allem die Molkerei in Mank, an die sie wundervolle Erinnerungen haben. „Mank war toll für Kinder, weil es kaum Autoverkehr gab, jeder jeden kannte und wir Kinder dadurch beschützt in Feld und Wald unser Unwesen treiben konnten. Ich liebte den Zettelbach ebenso wie die Bahngleise und abgestellten Waggons der Grestner-Bahn (2010 eingestellt, Anm. UL), wir hatten Narrenfreiheit“, so Elisabeth. Für ihre jüngere Schwester Susanne war Mank ein „unerreichter Hit! Die Molkerei als geheimnisvolles Mega-Gebäude für mich als Kind, das man sich mit der großen mutigen Schwester eroberte. Auch das Helfen beim Verkauf im Milchgeschäft war großartig; genauso wie der liebevolle Umgang dort mit mir – keine Ahnung, was die Leute sich hinter meinem Rücken gedacht haben.“

Ruth Koeper (geb. Czappek) erzählt von den diversen aufregenden Besuchen im Labor in der Molkerei Erlauf: „Vielleicht wurde ich deshalb Laborantin!“ Und später in Hainfeld „streunten wir herum, besonders liebten wir die Verkaufsstelle und schauten gerne beim Oskar vorbei, der als Heizer tätig war“. Auch ihre jüngere Schwester Renée Hofbauer erinnert sich ans Herumstreifen in der Molkerei, in der sie jeden Winkel kannten. Doch auch bei den Bauern gab es Spannendes zu erleben: „Speziell in Hainfeld waren wir fast jedes Wochenende wandern, bei den Bauern gern gesehen, sie waren alle stolz auf ihre Betriebe. Als erstes gingen wir immer in den Stall – die rauen Zungen der Kühe! – und dann erst in die Küche. Diese Besuche an den Wochenenden bei verschiedenen Bauern sind mir in schöner Erinnerung: viel Platz zum Herumstreunen und Spielen mit den Bauernkindern, Besuche im Stall und auf den Feldern.“

Zur Molkerei in Gföhl gehörte auch die sogenannte „Eierbude“. Dort wurden die von den Bauern angelieferten Eier in Verpackungen zu 360 und 500 Stück in große Holzkisten mit „Molkerei Gföhl“ als Aufschrift einsortiert und einmal die Woche nach Wien transportiert. Johann Hagmann erinnert sich an unzählige solcher Fahrten mit Tausenden Eiern im Auto – und es war ihm wichtig zu betonen, dass er mit der heiklen Fracht immer gut angekommen ist!

Blick durchs Fenster der Eierbude in den Wurfenthalgraben

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Während der Recherche zu diesem Buch erzählte mir die damalige Büroangestellte Gundi Westermayr (sie wohnte mit ihren Eltern auch in der Molkerei – ihr Vater war Buchhalter Exl) von einem weiteren Verkaufsschlager in der Eierbude: „Singerln haben sie auch verschachert!“ Anderswo in Österreich nennt man sie „Wuserl“, im Waldviertel werden Küken „Singerl“ genannt. Kistenweise standen sie neben dem Büro, erinnert sie sich noch. Auch ein paar Entenjunge waren das eine oder andere Mal dabei. Die Singerl wurden bestellt und zur Hühnerzucht bzw. Eierproduktion weiterverkauft.