Zwei Uhr am roten Turm - Kurt David - E-Book

Zwei Uhr am roten Turm E-Book

Kurt David

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Beschreibung

Frankreich 1944: Unteroffizier Kahlbaum hat den Auftrag, die hübsche Wirtstochter Madeleine zu bespitzeln. Doch sie entkommt ihm immer wieder. Als die Untergrundorganisation einen Anschlag auf den deutschen Stützpunkt vorbereitet, warnt sie Hans, der ihr wichtige Informationen über den Stützpunkt gegeben hat. Doch Kahlbaum belauscht sie.

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Impressum

Kurt David

Zwei Uhr am roten Turm

ISBN 978-3-96521-860-4 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 1959 im Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung, Berlin als Heft 35 der Erzählerreihe.

© 2023 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

1

Kahlbaum fläzte sich an einem großen, runden Tisch, der mit gelbbraunem Linoleum ausgelegt war. An fünf anderen saßen Franzosen, redeten und rauchten, lachten und tranken. Da er ihre Sprache nicht verstand und zudem noch in der trüben Eigenschaft eines Spitzels in der kleinen Gaststube lauerte, hatte er das Gefühl, als lachten und redeten sie über ihn. Das Lachen traf ihn wie Schläge, und das Reden erweckte bei ihm den Eindruck, als besprächen sie, was gegen ihn zu tun sei.

Auf seinem Tisch, an dem vorher drei Franzosen gesessen hatten, die aber, nachdem er sich zu ihnen gesetzt hatte, aufgestanden und zu einem anderen Tisch gegangen waren, glänzten kleine Weinlachen im gelben Lampenlicht, Pfützen verschütteten Rotweines. Er wusste, dass die Franzosen, die zahlreich an den übrigen Tischen hockten, jetzt alle nacheinander ihre Zeche bezahlen und weggehen würden. Das war hier in Précipice immer so gewesen: Kam ein Grauer, gingen die Franzosen; ein lautloser Widerstand gegen jene Deutschen, die Kahlbaum repräsentierte.

Trotz der Kaltschnäuzigkeit, die ihm eigen war, wurde er ein wenig verlegen. Er hatte sein abgebranntes Streichholz in der Hand, fuhr damit in den Pfützen herum, zweigte kleine Kanäle ab und verband Lache mit Lache. Wie Blut sahen diese kleinen Weinpfützen aus, wie Blutflecke auf einem mit gelbbraunem Linoleum ausgelegten Tisch.

Blickte er auf, und das geschah recht oft, sah er hinüber zum Schanktisch. Dort saß Madeleine. Das schwarzhaarige französische Mädchen war die Tochter des Besitzers dieser Gaststube, der jetzt von Tisch zu Tisch schlurfte und kassierte. Madeleine hatte fünf Semester Philologie studiert und saß hinter dem Schanktisch, weil im Jahre neunzehnhundertvierundvierzig nicht mehr studiert werden konnte.

Unteroffizier Kahlbaum sah nur ihren Kopf und die Brust sowie das Bewegen der Oberarme. Er hörte das leise Klickern und Tickern der Stricknadeln, wenn sie zusammenstießen. Das Strickzeug sah er nicht. Manchmal schaute sie auf, blickte jedoch nie zu ihm, sondern zu irgendeinem Franzosen, lächelte ihm zu. Ihr Vater strich das Geld von den runden Tischen.

Madeleine war ein hübsches Mädchen. Das gestand sich auch Kahlbaum, doch immer, wenn sie ihn missachtete, wenn sie tat, als sei er noch nicht einmal soviel wie der blaue Zigarettenrauch in der kleinen Weinstube, wurde er sich seiner Aufgabe voll bewusst und dachte grimmig: Warte, du wirst schon noch klein, winzig klein! Dich krieg’ ich! Du ahnst ja nicht, dass ich deinetwegen hier bin. Und heut entkommst du mir nicht, das sage ich dir. So schlau wie ihr bin ich schon lange!

Er hatte sich so auf den Stuhl gesetzt, dass er den Lauf seines Gewehres, das über der Lehne hing, am Oberarm spürte. Neunzehnhundertvierundvierzig war der Ausgang nur noch mit Gewehr gestattet. Die Kontrolle durch den Oberarm schien ihm geboten, weil er fürchtete, die Franzosen könnten ihm die Waffe stehlen. Solche Dinge hatten sie schon öfter vollbracht.

Die ersten Franzosen verließen den Raum. Kahlbaum guckte auf seine Armbanduhr. Einundzwanzig Uhr. Bald wird sie wieder abflitzen, die kleine Schwarze. Aber wie gestern und vorgestern kommt sie nicht davon, dachte er. Da war es nämlich so gewesen, dass er erst gezahlt hatte, als sie schon verschwunden war. Und das hatte geraume Zeit in Anspruch genommen, denn der Alte stellte sich jedes Mal taub, verzögerte die Zahlung bewusst. Dadurch hatte Kahlbaum immer den Anschluss verloren. Zweimal hatte er draußen gewartet, sich versteckt, aber an diesen Tagen war sie nicht weggegangen. Er teilte mit Oberleutnant Krätzig die Ansicht, dass diese Madeleine einer Widerstandsgruppe angehöre, zu der sie die Verbindung halte. „Beobachten Sie mal ein bisschen die Kleine“, hatte der Oberleutnant gesagt, „ich hab’ nicht Lust, mir von der eines Tages in die Suppe spucken zu lassen!“

Aus diesem Grunde nahm Unteroffizier Kahlbaum an diesem Abend das Geld bereits abgezählt aus der Tasche, hielt es in der geschlossenen Faust. Sobald sie geht, lege ich die Piepen auf den Tisch, mache ihr nach, und der Alte ist ausgeschaltet.

Wieder verließen einige Franzosen die Weinstube, ohne ihn zu beachten. Kann mir die Wut und den Ärger des Alten richtig vorstellen. Der weiß doch genau, wir vergraulen ihm die Gäste, wenn einer von uns hier ist. Dieser Gedanke Kahlbaums war völlig falsch, denn das Gesicht des Wirts verriet unverhohlene Freude über die Geschlossenheit und Gemeinsamkeit seiner Landsleute.

Schon saß Kahlbaum allein in der Gaststube. Und das Schweigen hockte im Raum, hockte hinter dem Schanktisch, wo Madeleine saß, und auch dort, wo der Alte mit einem Lappen über die gelben Tische fuhr und die Weinlachen wegwischte. An Kahlbaums Tisch trat er nicht. Er tat, als gehöre dieser Tisch nicht zu seinem Eigentum. In solchen Augenblicken stieg in Kahlbaum der Hass hoch. Er wurde wütend auf „ganz Frankreich“ – wie er sich ausdrückte – und dachte: Geschieht denen recht, dass wir sie wieder einmal so richtig ausgenommen haben. Man müsste noch viel gröber gegen sie vorgehen. Göring hat doch gesagt: Jeden, der uns nur schief ansieht, werden wir beseitigen. Bitte! Das hat er zwar über die Russen gesagt, aber so sollte man mit denen hier auch verfahren, denn die sehen uns ja nicht einmal schief, sondern überhaupt nicht an!

Der Alte schlurfte in die Küche. In diesem Moment erhob sich Madeleine, legte das Strickzeug auf die Theke und ging ebenfalls hinüber. Kahlbaum horchte. Wenn ich zu früh hinausgehe, kann alles verpatzt sein. Sonst hatte sie das Strickzeug immer in den Schubkasten gelegt, und heute? Auf den Schanktisch!

Als der Alte wieder hereinkam und sich auf einen Stuhl setzte, raffte Kahlbaum seine erworbenen Französischbrocken zusammen und sagte hastig: „Gargon – addition – financer!“

Der Alte blieb sitzen, zog den blauroten Schal fest um den Hals, starrte auf die Dielen, als wäre nichts gesprochen worden.

Also doch, das alte Manöver. Kahlbaum öffnete grinsend die Faust, ließ die Scheine auf den Tisch fallen, und zwar absichtlich in eine der Weinpfützen. Sie ist schon raus, sonst würde er sich nicht wieder taub stellen, überlegte er und stand schnell auf, wollte sein Gewehr von der Lehne nehmen, aber es ging nicht. Er zerrte wütend am Riemen und fluchte. Der Stuhl wackelte und drohte umzustürzen. Nun sah er endlich, dass die Waffe mit einem Draht am Stuhlbein festgebunden war. „Schweine!“, schrie er. Der Alte lief in die Küche. Der Unteroffizier band das Gewehr los. Der Hund steht jetzt drüben in der Küche und feixt, freut sich diebisch über die Idee seiner Gäste. Etwas passiert hier immer, und die Schwarze ist fort. Er eilte zur Tür, riss sie auf und ging. Alles abgekartet, diese Brüder, alles organisiert! In diesem Augenblick schlug er hin, fiel auf den Gartenweg, die Tür hinter ihm stand offen, und Kahlbaum hörte: „Oh – ist etwas passiert, bitte?“

Als er sich erhoben und umgedreht hatte, in die erleuchtete Gaststube blickte, erkannte er zu seinem Entsetzen Madeleine, die den Satz auch gesprochen hatte und nun noch hinzufügte: „Unsere Gäste machen manchmal solche Scherze!“