Der
Erbmord: Alpen-Krimi: Kommissar Dampfmoser ermittelt 1
Roman von Peter Haberl & Robert Gruber
nach einem Exposé von Robert Gruber
Vier Kinder hatte der Bierbichler Korbinian, und mit allen lag
er im Streit. Aber hat ihn wirklich eines davon umgebracht? Der
gutmütige Kommissar Dampfmoser und sein Kollege Berger müssen sich
wortwörtlich bis zum Äußersten anstrengen, um dem Täter auf die
Spur zu kommen.
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Alfred Bekker
© Roman by Authors /COVER HENDRIK BEKKER
Robert Gruber ist ein Pseudonym von Alfred Bekker
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
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Alles rund um Belletristik!
1
Eigentlich hätte es ein schöner Abend werden können.
Ein richtig schöner Abend.
Aber erstens kommt es oft anders und zweitens anders als man
denkt.
Und diesem Fall kam einfach ein Mord dazwischen.
Aber Reihe nach!
Es war kurz vor acht Uhr abends, als Kriminalhauptkommissar
Dampfmoser seinen beachtlichen Bauch hinter den großen, runden
Stammtisch im Gasthof „Zum Bierdümpfl“ zwängte, dabei ächzte und
sich schließlich mit seinem Hinterteil auf die Holzbank fallen
ließ, dass sie trotz der Polsterung mit einem Sitzkissen bedenklich
knarrte.
Aber so war das nunmal.
Einer der Männer, die schon an dem Tisch saßen, stieß lachend
hervor: „Wird Zeit, dass du dich für eine vernünftige Diät
entscheidest, Ludwig. Von deinem Hemd werden bald die Knöpf‘
davonfliegen, wenn du so weitermachst. An deiner Stell‘ würd‘ ich
kein Weißbier, sondern Mineralwasser trinken.“
Die anderen lachten. Es waren drei Burschen zwischen dreißig
und vierzig Jahren.
„Wasser nehm‘ ich zum Waschen, Toni“, versetzte Dampfmoser.
„Im Ernst?”
„Den Magen will ich mir damit net verderben.“
„Na, dann…”
„In diesen Dingen habe ich nunmal meine Standpunkte…”
„Mei, wenn’s so ist!”
Dampfmoser machte eine wegwerfende Handbewegung.
Die Bedienung, eine dralle Mittfünfzigerin, kam zum Tisch.
„Servus, Ludwig. Was darf ich dir denn bringen?“ Sie lächelte
überaus freundlich.
„Dreimal darfst du raten!”
„Ich mag nicht raten, Ludwig!”
„Na was wohl?“, brummte der Gefragte. „Eine Halbe Weißbier,
wie gehabt. Wenn auch der Toni meint, ich sollt‘ mich mit Wasser
begnügen.
„Hat der das gesagt?”
„Rindviecher saufen Wasser – ich net.“ Er schaute Toni an,
seine linke Braue war in die Höhe gezuckt. „Im Übrigen gibt‘s ein
Sprichwort.”
„Was denn für ein Sprichwort?”
„Es heißt, ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel.“
„Krüppel hin, Krüppel her – so eine Plauze kann net gesund
sein“, erwiderte Toni und bekam einen wichtigtuerischen
Gesichtsausdruck. „Männer mit viel Bauchfett sind
herzinfarktgefährdet.“
„Geh! So ein Schmarren. Schau dich an, Toni. Lieber rund und
gesund, als schlank und krank. Du lamentierst allweil, jeden Tag
tut dir was anderes weh. Ich steh gegen dich da wie ein Fels in der
Brandung. Wenn ich einmal kräftig Luft hol‘, hängt mir ein schmales
Manderl (= Männlein) wie du quer vor der Nase.“
Die Bedienung brachte das Weißbier, und Kommissar Dampfmoser
bekam ganz glänzende Augen. Er nahm das Glas, hob es, prostete
seinen Stammtischfreunden zu und nahm einen herzhaften Schluck.
„Aaah“, machte er hinterher, „das zischt.“ Er rülpste.
„Es meldet sich der Landfunk!”, rief der Toni daraufhin.
Dampfmoser zuckte die Schultern. „Als die Mönche das Bier
erfunden haben, kann das doch nur auf göttliche Anweisung erfolgt
sein“, fügte er hinzu und trank gleich noch einen Schluck, setzte
das Glas ab und wollte sich mit dem Handrücken den Schaum von den
Lippen wischen – da dudelte das Handy in seiner Jackentasche.
Kommissar Dampfmoser holte es heraus und registrierte, dass ihn
jemand aus der Polizeiinspektion kontaktierte, nahm das Gespräch an
und hob das Mobiltelefon vor sein Gesicht. „Dampfmoser“, grummelte
er in das Smartphone.
Er lauschte kurz, dann entfuhr es ihm: „Was sagen S‘? Den
Bierbichler hat jemand …“ Er brach ab, denn er verschluckte sich
fast, hüstelte einige Male und fuhr fort: „Entschuldigen S‘. Aber
sagen S‘ das doch bitte noch einmal, damit ich es glaub‘.“
Wieder lauschte er. Schließlich nickte er und sagte: „Okay,
okay, ich fahr‘ sofort hin. Weiß der Roderich schon
Bescheid?“
Im Gesicht Dampfmosers arbeitete es. „Gut, dann brauch‘ ich
ihm net Bescheid sagen. Bestellen S‘ ihm, dass wir uns am Tatort
treffen und die Spurensicherung schon unterwegs ist?“
Das Gespräch war beendet, Kommissar Dampfmoser versenkte das
Handy wieder in seiner Jackentasche und knurrte: „Na sauber. Net
mal ein Feierabendbier ist einem gegönnt. Sakra, Sakra, der
Bierbichler. Es will mir immer noch net in den Kopf.“
Er fühlte die neugierigen Blicke aller auf sich gerichtet,
nahm sein Bierglas und trank einen kräftigen Zug.
„Was ist denn mit dem Bierbichler?“, fragte schließlich der
Bursche namens Toni, als er seine brennende Neugier nicht mehr
länger im Zaum halten konnte.
„Er hat in einer Blutlache tot im Kuhstall gelegen“,
antwortete Kommissar Dampfmoser. „Wahrscheinlich wurd‘ er
erschossen. Seine Zugehfrau, die ihre Brille vergessen hatte, ist
noch einmal auf den Hof zurückgekehrt und war verwundert, weil das
Tor zum Kuhstall sperrangelweit offen gestanden hat, der Bauer aber
nirgends zu sehen war und von ihm auch keine Resonanz gekommen ist,
obwohl sie mehrere Male seinen Namen gerufen hat.“
Er erhob sich.
„Das – das ist ja allerhand“, stammelte einer der anderen
Stammtischler völlig perplex und fassungslos. „Ein Mord in unserer
Gemeinde. Und ich hab‘ immer gedacht, bei uns wär‘ die Welt noch in
Ordnung.“
„Tja, dieses Bild von unserer Welt hier wirst du mit dem
heutigen Tag wohl revidieren müssen, Sepp“, erwiderte Kommissar
Dampfmoser brummig. „Aber der Kollege, der mit mir telefoniert hat,
konnt‘ mir auch nix Genaueres sagen. Blöd, dass ich mit dem Fahrrad
ins Wirtshaus gefahren bin. Bis zum Bierbichler-Hof sind‘s
schätzungsweise zehn Kilometer.“
„Fahr halt heim und hol dein Auto“, schlug einer seiner
Kameraden vom Stammtisch vor.
„Mit einer Halben Weißbier im Bauch setz‘ ich mich nimmer ans
Steuer“, entgegnete Kommissar Dampfmoser. „Ich werd‘ wohl in den
sauren Apfel beißen … Nein, ich ruf den Roderich an. Er soll beim
Bierdümpfl vorbeikommen und mich mitnehmen.“
Gesagt – getan.
Kommissar Roderich Berger, der soeben auf dem Weg zu seinem
Auto war, sagte Kommissar Dampfmoser zu, dass er ihn abholen
würde.
Kommissar Dampfmoser zahlte seine Zeche, verabschiedete sich
von den Stammtischlern und der Bedienung, dann hielt der VW Golf
vor dem Wirtshaus, Kommissar Dampfmoser stieg zu und sein Kollege
fuhr wieder an.
„Hat man dir was Näheres verraten?“, fragte er Roderich.
„Nur, dass der Bierbichler tot – erschossen – mitten im
Kuhstall liegt und ein Selbstmord wahrscheinlich ausscheidet“, gab
Roderich Berger preis, was er wusste.
Dampfmoser seufzte. „Jetzt geht das bei uns auch schon an“,
stieß er dann hervor. „Die halbe Welt spielt verrückt, und ich war
mir sicher, dass wir hier in den Bergen verschont bleiben. Ich hab‘
das Gefühl, dass unsere heile Welt gar net so heil ist, wie wir
immer denken.“
„Wär‘ sie so heil, bräucht‘ man uns net“, verlieh Roderich
Berger seiner Meinung Ausdruck.
2
Auf dem Bierbichler-Hof wimmelte es schon von Polizisten und
Profilern. Die Beamten der Spurensicherung hatten sich bereits ihre
weißen Schutzanzüge übergezogen. Am Rand des Hofs hatten sich
einige Zuschauer eingefunden, denn die Nachricht vom Tod des
Großbauern war wie ein Lauffeuer durch die Gemeinde gegangen. Ein
Trassenband, das die Polizisten gespannt hatten, hielt die kleine
Gruppe davon ab, den Hof zu betreten.
Hauptkommissar Dampfmoser und Kommissar Berger betraten den
Kuhstall. Der Leiter des Spurensicherungsteams begleitete sie. Das
unruhige Muhen der Kühe empfing sie, der Geruch von Heu, Stroh und
tierischen Ausdünstungen stieg den Polizisten in die Nase.
Korbinian Bierbichler lag bäuchlings am Boden. Die Konturen seiner
Gestalt waren mit Kreide auf dem Boden nachgezeichnet worden.
Einer der Männer, die einen Schutzanzug trugen, sagte: „Der
Tod dürfte so gegen achtzehn Uhr eingetreten sein. Das Gewehr, mit
dem auf den Bauern geschossen wurde, hat im Stall gleich neben dem
Tor gelegen. Der Bierbichler hat die Schrotladung in den Rücken
bekommen. Wahrscheinlich hat er seinen Mörder net mal
gesehen.“
„Könnt‘s eventuell ein Raubmord sein?“, fragte Roderich
Berger.
„Dem ersten Augenschein nach net“, antwortete der Profiler.
„Im Haus ist alles unberührt, und ein Raubmörder würd‘
wahrscheinlich net seine Flinte zurückgelassen haben. Im Übrigen
wissen wir von der Frau Hochegger, das ist die Zugehfrau hier auf
dem Hof, die ihn gefunden hat, dass es sich um das Jagdgewehr des
Bauern handelt, mit dem er erschossen worden ist.“
„Wo ist die Frau jetzt?“, erkundigte sich Kommissar
Dampfmoser.
„Drüben, im Wohnhaus“, antwortete der Leiter des
Spurensicherungsteams. „Sie wird von einer Polizistin und einem
Psychologen betreut. Sie können sich ja denken, dass die Frau
ziemlich unter Schock steht. Wir wollten sie ins Krankenhaus
bringen, aber das hat sie abgelehnt.“
„Hier können wir nix tun“, konstatierte Kommissar Dampfmoser.
„Allenfalls legen wir ein paar neue Spuren, oder wir zerstören die
eine oder andere Spur, die wichtig sein könnt‘. Komm‘, Roderich,
versuchen wir mit dieser Frau Hochegger zu reden. – Danke, Herr
Kollege“, sagte er an den Beamten im Schutzanzug gewandt.
„Keine Ursache“, erwiderte der Teamleiter.
Ludwig Dampfmoser und sein Kollege Berger überquerten den Hof
und betraten im Wohnhaus wenig später das Wohnzimmer. Eine Frau,
Ende der vierzig, mit blond gefärbten Haaren und bleichem Gesicht,
saß in einem der Sessel. Der Polizeipsychologe und die uniformierte
Polizistin, eine noch ziemlich junge Frau, hatten auf der Couch,
beziehungsweise ebenfalls in einem der schweren Sessel Platz
genommen.
„Habe die Ehre, Frau Hochegger“, grüßte Kommissar Dampfmoser
und fing einen mahnenden Blick des Psychologen ein. „Ich bin
Hauptkommissar Dampfmoser von der Kripo. Wie schaut‘s denn aus bei
Ihnen? Glauben Sie, Sie können mir ein paar Fragen
beantworten?“
Anneliese Hochegger strich sich mit fahriger Geste über die
linke Wange, Kommissar Dampfmoser registrierte, dass ihre Hand
zitterte. Auch ihre Mundwinkel zuckten, ihre Augen flackerten. Sie
hatte das Erlebte noch nicht verarbeitet. „Ich – ich weiß net …“,
murmelte sie mit brüchiger Stimme. „Das – das ist alles so
furchtbar. Es – es will mir einfach net in den Kopf.“
„Ich glaube nicht, dass die Frau Hochegger vernehmungsfähig
ist“, meldete sich der Psychologe zu Wort. Er sprach hochdeutsch,
konnte aber nicht verheimlichen, dass er ein Einheimischer war.
„Sie ist psychisch dermaßen angeschlagen, dass ich daran denke, sie
trotz ihrer ablehnenden Haltung …“
„Das kommt ja überhaupt net in Frage“, fiel ihm die Zugehfrau
des toten Bauern ins Wort, und es klang ausgesprochen resolut. Ihre
Abneigung gegen die Klinik war größer als der Schock, den sie
angesichts des ermordeten Bauern erlitten hatte.
„Jetzt klingen S‘ aber schon um einiges besser als eben, Frau
Hochegger“, konstatierte Kommissar Dampfmoser und ignorierte den
leichten, mahnenden Puff, den ihm sein Kollege, der Kommissar,
verpasste. „Wissen S‘ was, Frau Hochegger. Sie trinken jetzt ein
Glasl Schnaps, und dann unterhalten wir uns. Der Bierbichler
Korbinian hat doch mit Sicherheit irgendwo eine Flasche Klaren
herumstehen.“
„In der Küche, im Kühlschrank“, sagte Anneliese.
Kommissar Dampfmoser drehte den Kopf ein wenig und schaute
seinen Kollegen Berger herausfordernd an. Roderich verzog das
Gesicht. Die unorthodoxen Methoden seines Kollegen erregten nicht
immer seinen Beifall, aber er wollte keine Diskussion vom Zaun
brechen. Also ging er in die Küche, fand die Flasche Steinhäger und
ein Schnapsglas, trug es ins Wohnzimmer, schenkte es voll und
reichte es Anneliese Hochegger. Sie nippte an dem scharfen Getränk,
verzog das Gesicht, setzte das Glas ein weiteres Mal an und trank
es leer. Sie schüttelte sich, atmete durch, und murmelte: „Jetzt
geht‘s mir in der Tat besser.“
Tatsächlich kehrte etwas Farbe in ihr Gesicht zurück.
Kommissar Dampfmoser suchte sich einen Sitzplatz und ließ sich
nieder. Roderich setzte sich neben den Psychologen auf die
Couch.
„Dann können wir uns ja ein bissel unterhalten“, erklärte
Kommissar Dampfmoser.
„Ich werd‘ Ihnen net allzu viel sagen können“, murmelte
Anneliese. „Als ich gegen fünf Uhr den Hof verlassen hab‘, war der
Korbinian noch quicklebendig. Daheim hab‘ ich bemerkt, dass ich
wieder einmal meine Brille auf dem Hof vergessen hab‘. Nachdem ich
ein bissel was gegessen und getrunken und mich ein wenig ausgeruht
hab‘, bin ich noch einmal hergefahren, weil ich meine Brille ja zum
Lesen und zum Fernsehschauen brauch‘. Und da hab‘ ich den Bauern in
einer Lache Blut gefunden. Einen Moment lang hab‘ ich das Gefühl
gehabt, ebenfalls sterben zu müssen, so sehr bin ich
erschrocken.“
„Das glaub‘ ich Ihnen aufs erste Wort“, sagte Kommissar
Dampfmoser. Dann stellte er seine erste Frage: „Wer, denken S‘
denn, Frau Hochegger, käme in erster Linie als Mörder des Bauern in
Frage?“
„O mei“, stieß Anneliese hervor, „da gibt‘s einige, die den
Bauern net gemocht haben. Auch von seinen vier Kindern hatt‘ jedes
möglicherweise einen Grund, den Korbinian …“ Alles in ihr schien
sich dagegen zu sträuben, die beiden Worte zu ermorden
auszusprechen. Sie überlegte und endete: „… vom Leben zum Tod zu
befördern.“
„Dann erzählen S‘ uns doch mal, was Sie zu diesem
schwerwiegenden Verdacht veranlasst, Frau Hochegger.“ Diese
Aufforderung kam von Kommissar Berger.“
„Ja, Frau Hochegger“, sagte Kommissar Dampfmoser. „Reden S‘
frei von der Leber weg. Wir sind ganz Ohr.“
3
„Der Korbinian und seine Kinder waren total zerstritten“,
erzählte die Zugehfrau. „Es war wegen dem Hof gewesen. Korbinians
Frau ist ja schon ein paar Jahre tot, und der Korbinian hat sich
mit dem Gedanken getragen, eine neue Bäuerin auf den Hof zu holen.
Es soll sogar schon jemanden gegeben haben. Was Genaues weiß ich
allerdings net.“
„Interessant“, murmelte Kommissar Dampfmoser. „Wenn Sie sagen,
es war wegen dem Hof, dann vermute ich, dass es darum gegangen ist,
dass die Kinder fürchten mussten, einen Großteil ihres Erbes zu
verlieren, wenn ihr Vater noch einmal heiratet und möglicherweise
alles seiner neuen Frau vermacht. Sie hätten sich dann mit dem
gesetzlichen Pflichtteil zufrieden geben müssen.“
„Wie gesagt, was Genaues weiß ich net. Der Korbinian hat sich
von mir net in die Karten schauen lassen.“ Anneliese knetete
unruhig ihre Hände. „Meine Aussage, dass er mit seinen Kindern
total zerstritten war, ist vielleicht net ganz zutreffend. Mit dem
Max, seinem Ältesten, war er ziemlich übers Kreuz, und auch mit der
Marie. Der Thomas, der Zweitälteste, und der Bauer haben sich zwar
auch gestritten, aber aus dem Streit ist gegenseitiges Desinteresse
geworden. Das gleiche gilt für den Hansi. Er war ein Weltenbummler,
und das hat dem Korbinian überhaupt net gepasst.“
„Warum war der Bauer mit seinem Ältesten, dem Max, so sehr
zerstritten?“, erkundigte sich Roderich.
Der Psychologe saß mit hellwachem Blick dabei und schien nur
darauf zu warten, eingreifen zu können.
Die junge Polizistin folgte dem Verhör mit wachem
Interesse.
Anneliese musste nicht lange überlegen. „Der Max sollt‘ mal
den Hof übernehmen“, sagte sie. „Nach dem Dafürhalten des Bauern
war er der einzige, der die Eignung dafür gehabt hätt‘. Der Max war
einer, der zugepackt hat, kein Mann großer Worte, sondern ein Mann
der Tat. Aber er wollt‘ den Hof net. Es kam immer wieder zum Streit
mit seinem Vater, bis es dem Max zu bunt geworden ist. Er hat seine
Siebensachen zusammengepackt und ist in die Stadt gezogen. Dort hat
er eine Fremdenverkehrsagentur gegründet und war – das glaub‘ ich
zumindest – ziemlich erfolgreich. Zwei Jahre lang hat er sich
nimmer auf dem Hof blicken lassen. Kürzlich war er da, es ist keine
Woche her. Der Korbinian wollt‘ sich mit seinen Kindern versöhnen
und hat sie alle zu einer Aussprache auf den Hof eingeladen.“
Anneliese dachte kurz nach. „Es war vorigen Freitag.“
„Und? Sind sie alle gekommen?“, fragte Kommissar Dampfmoser.
„Auch der Weltenbummler, wie war doch gleich wieder sein
Name?“
„Johann“, antwortete Anneliese. „Aber alle sagen nur Hansi zu
ihm. Ja, der war auch da. Sie müssen wissen, er hat berufsmäßig
viel mit Computern zu tun und kann seinen Job überall auf der Welt
ausüben.“
„Er ist also IT-Fachmann“, stellte Roderich fest.
„Ja, genauso heißt seine Berufsbezeichnung. Jetzt fällt‘s mir
wieder ein. IT-Berater ist er. Der Hansi war lange Zeit auf Bali,
auch in Afrika und in Amerika hat er sich herumgetrieben. Jetzt
lebt er in der Nähe. Wie lange er bleibt, weiß kein Mensch. Er ist
kein bissel bodenständig. Sie werden‘s net glauben, Herr Kommissar.
Der Hansi hat auf dem Hennenkogel eine Almhütte gemietet. Dort oben
haust er wie ein Einsiedler.“
„Er kam aber doch auch als Hoferbe in Frage“, gab Kommissar
Dampfmoser zu verstehen.
„Dem hätt‘ der Korbinian nie im Leben den Hof gegeben“, stieß
Anneliese hervor. „Außerdem glaub‘ ich net, dass der Hansi
Interesse dran gehabt hätt‘. Den zieht‘s immer wieder hinaus in die
weite Welt.“ Anneliese schüttelte den Kopf. „Nein, der hätt‘s net
lang ausgehalten auf dem Hof.“
„Er und der Bauer waren aber nicht zerstritten“, sagte
Kommissar Dampfmoser.
„Nein. Die beiden hatten sich nur nix mehr zu sagen. Auf dem
Hof haben wir oft monatelang nix vom Hansi gehört.“
„Er hatte also, wie es sich darstellt, keinen Grund, seinen
Vater zu ermorden“, knurrte Kommissar Dampfmoser.
„Den Grund kann der Bauer selbst geliefert haben“, wandte
Roderich ein. „Er wollte noch einmal heiraten. Das Erbe war in
Gefahr. Das gilt für alle vier Kinder des Getöteten.“ Der Kommissar
schaute Anneliese an. „Der Getötete war auch mit seiner Tochter
Marie zerstritten, sagten Sie vorhin. Können S‘ uns einen Grund
dafür nennen?“
„Der Grund ist, dass sich das Madl in den Greitenhofer Markus
verliebt hat“, antwortete Anneliese.
„Hat der Bierbichler Korbinian den Greitenhofer net gemocht?“,
hakte sofort Kommissar Dampfmoser nach.
„Net gemocht ist noch gelinde ausgedrückt“, erwiderte
Anneliese. „Der Bauer und der Vater vom Greitenhofer Markus haben
sich gehasst. Der Korbinian hat dem Greitenhofer Lorenz
vorgeworfen, Grenzsteine zu seinen Gunsten versetzt zu haben. Im
Umkehrschluss, als Retourkutsche sozusagen, hat der Greitenhofer
behauptet, dass der Korbinian das Wasser eines Baches abgeleitet
hat, sodass dem Greitenhofer mehrere Wiesen ausgetrocknet sind. Die
beiden haben doch nur noch über ihre Rechtsanwälte miteinander
verkehrt.“
„Oha!“, stieg es aus Kommissar Dampfmosers Kehle. „Da ist es
leicht vorstellbar, dass der Bierbichler mit der Liaison seiner
Tochter mit dem Sohn seines Todfeindes net einverstanden
war.“
Anneliese seufzte und sagte: „Die Marie und ihr Vater haben
sich nur noch gestritten, bis es der Marie zu bunt geworden ist.
Sie hat ihre sieben Zwetschgen zusammengepackt und ist zum
Greitenhofer gezogen. Sie und der Markus wollen sich verloben und
irgendwann auch heiraten. Grund genug für den Bauern, die Marie aus
dem Erbe auszuschließen.“
„Er hat sie enterbt?“, mischte sich wieder Roderich in die
Befragung ein.
„Noch net. Aber ihm war klar, dass er ihr den Pflichtteil des
Erbes net verweigern hätt‘ können. Und da er ja vorgehabt hat zu
heiraten, hätt‘ er mal alles seiner Frau vermachen können und seine
Kinder hätten sich eh mit dem begnügen müssen, was ihnen gesetzlich
zusteht.“
„Wenn der alte Greitenhofer mit dem Bierbichler derart
verfeindet war, dann kommt auch er als potentieller Mörder in
Frage“, verlieh Kommissar Dampfmoser seinem nächsten Gedanken
Ausdruck.
„Wenn die beiden sich übern Weg gelaufen sind“, sagte
Anneliese, „dann haben sie sich alle Namen gegeben, nur net die
ihren. Idiot und Primitivling waren noch die harmlosesten
Ausdrück‘, die sie sich gegenseitig an den Kopf geschmissen
haben.“
„Das behalten wir im Auge“, versicherte Roderich. „Was ist mit
dem zweitältesten Sohn des Getöteten?“
„Der Thomas hätt‘ den Hof mal nur zu gern übernommen“,
erklärte Anneliese. „Aber der Bauer hat ihn für unfähig gehalten.
Wenn ich dem Thomas den Hof geb‘, hat er immer getönt, dann hat er
ihn innerhalb kürzester Zeit zu Grunde gewirtschaftet‘. Und ich
würd‘ mich im Grab umdrehen. – Aber der Thomas hat sein Schäfchen
im Trockenen. Er hat die Grünlechner-Dirn geheiratet und spielt
jetzt auf dem Glarstein-Hof den Bauern. Glarstein ist der Hausname
der Grünlechner-Leut‘.“
„Kommen wir noch einmal auf den vorigen Freitag zurück“, sagte
Kommissar Dampfmoser. „Wenn ich Sie richtig verstanden hab‘, Frau
Hochegger, dann waren alle vier Kinder auf dem Hof, nachdem der
Korbinian Bierbichler sie zu einem Versöhnungsgespräch eingeladen
hatte.“
„Ja, alle vier waren da, und auch der Doktor Hofheim. Er ist
Rechtsanwalt und Vermögensberater und war dem Korbinian sein
Freund. Der Bauer war der Ansicht, dass die Anwesenheit des
Juristen net schaden könnt‘, nachdem möglicherweise auch rechtliche
Dinge zur Sprache gekommen wären, wie Erbansprüche für den Fall,
dass er sich tatsächlich noch einmal eine Frau nimmt.“
„Er hat seinen Kindern also verraten, dass er beabsichtigte,
noch einmal zu heiraten?“, erkundigte sich Roderich.
„Als er ihnen das eröffnet hat, sind die Fetzen geflogen“,
berichtete Anneliese. „Die haben gestritten, dass ich schon
befürchtet hab‘, die gehen aufeinander los. Was Genaues weiß ich
net, das hab‘ ich, glaub‘ ich, schon gesagt, und ich will auch nix
Falsches behaupten. Aber nach allem, was ich aufgeschnappt hab‘,
wollte sich der Korbinian eine Frau aus Thailand auf den Hof
holen.“
Kommissar Dampfmoser und Roderich warfen sich einen
bedeutungsvollen Blick zu. Die Brauen des Polizeipsychologen hatten
sich gehoben, Die junge Polizistin lächelte hintergründig.
„Eine Frau aus dem Katalog, wie?“, brummte Kommissar
Dampfmoser.
„Das weiß ich net“, versetzte die Zugehfrau. „Der Schnaps hat
mir wirklich gutgetan“ sagte sie und schielte auf die Flasche.
„Könnten S‘ mir vielleicht noch einen einschenken?“
„Gern“, antwortete Kommissar Dampfmoser. „Aber denken S‘ dran,
Frau Hochegger, auch mit dem Fahrrad sind S‘ Verkehrsteilnehmer,
und wenn S‘ im Suff einen Unfall bauen, haben S‘ ein
Problem.“
„Zwei Schnäps‘ steck‘ ich doch weg wie nix“, behauptete
Anneliese.
„Von mir aus“, grummelte Kommissar Dampfmoser und griff nach
der Flasche.
4
Als sie das Haus verließen, war die Sonne untergegangen. Es
war Sommer, und die Tage waren lang. Der Himmel im Westen war
leuchtend rot, das ganze Tal schien in diesem rötlichen Licht zu
baden. Es floss über die Felsketten im Westen und die bewaldeten
Berge, die diesen vorgelagert waren. Die Schatten hatten sich
aufgelöst. Von Osten her zog amberfarben die Dämmerung ins Tal. Die
Berge dort begannen schon mit dem Dämmergrau zu verschmelzen. Ein
lauer Wind trug den süßlichen Geruch der blühenden Wiesen
heran.
Kommissar Dampfmoser schaute auf die Uhr. Es war halb zehn Uhr
vorbei. „Bist du so gut und setzt mich wieder beim Bierdümpfl ab,
Roderich“, bat er. „Eine Halbe möcht‘ ich mir gern noch
einverleiben, außerdem steht dort mein Fahrrad. – Sakra, Sakra, ich
möcht‘s fast net glauben. Hättest du es für möglich gehalten, dass
wir es je mit einem richtigen Mord zu tun kriegen? Ich net.
Gespannt bin ich, was sich aus dem Bericht der Spurensicherung
ergibt. Es kann allerdings ein paar Tage dauern, bis alles
ausgewertet ist.“
„Wir können uns in dieser Zeit ja mit den fünf Verdächtigen
befassen“, versetzte Roderich. „Außerdem würd‘ ich gern auch diesen
Rechtsanwalt befragen. Er war bei dem Streit dabei, und er kann uns
sicherlich sagen, ob es Drohungen gegeben hat. Er wird uns auch
mehr zu der beabsichtigten Verheiratung des Getöteten verraten
können.“
Sie stiegen ins Auto und Roderich fuhr an. Nachdem einige
Minuten zwischen ihnen Schweigen geherrscht hatte, fragte Kommissar
Dampfmoser: „Wen hältst du, nachdem uns die Frau Hochegger einen
ziemlich klaren Einblick in die familiären Verhältnisse ihres
Brötchengebers verschafft hat, für den Mörder?“