111 Gründe, Köln zu lieben - Jürgen Urig - E-Book

111 Gründe, Köln zu lieben E-Book

Jürgen Urig

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Beschreibung

Jürgen Urig ist es als Comedy-Autor gewohnt, Menschen zu beobachten, ihre Lebensumstände, ihre Gewohnheiten. Seit 20 Jahren beobachtet er Köln und seine Einwohner. Dabei ist er selbst zum Kölner geworden, wie er beim Schreiben des ersten Kapitels seines Buches nicht ganz überrascht feststellte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich selbst als 'Imi' bezeichnet. So werden in Köln die Zugezogenen genannt, die die kölsche Lebensart 'imi'tieren. 2005 gründete er sogar die Band 'De Imis' und bedankte sich auf der CD DAT RUUDE ALBUM musikalisch bei den Kölnern für die herzliche Aufnahme in ihrer Stadt. 111 GRÜNDE, KÖLN ZU LIEBEN ist nun die literarische Fortsetzung. Die Leser lernen diese Stadt kennen, so wie Urig sie liebt und erlebt hat. Sie lernen die Menschen kennen, die Volkshelden, die Musik, die schönsten Plätze, Restaurants und Partys jenseits der Touristenpfade. Sie erfahren außerdem, warum das 'Büdchen' ein wichtiger Treffpunkt ist und wie man mit einem 'Pittermännchen' umgeht. Das Buch ist eine Aufforderung an alle Nicht-Kölner, zu kommen, zu sehen, zu lieben und vielleicht sogar zu bleiben.

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Seitenzahl: 382

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Jürgen Urig

111 GRÜNDE, KÖLN ZU LIEBEN

Eine Liebeserklärung an die großartigste Stadt der Welt

Vorwort von Wigald Boning

HUHU, LIEBE LESER!

Jürgen ist einer meiner besten Freunde, und ich habe mit ihm schon Außergewöhnliches erlebt. Kennengelernt haben wir uns bei RTL Samstag Nacht Anfang der 90er-Jahre; Jürgen arbeitete in einem fensterlosen Verschlag als Gag-Autor, ich hatte die Ehre, einige seiner besten Gags vor der Kamera zum Besten geben zu dürfen. Später schlossen wir u. a. gemeinsam bei der Wissenschaftsshow Clever unsere Bildungslücken.

Den größten Teil unseres gemeinsamen Arbeitslebens verbrachten wir in jener Stadt, um die es im vorliegenden Buch geht, oder doch äußerst knapp jenseits der Stadtgrenze, nämlich in Hürth-Kalscheuren. Wenn wir nicht gerade gemeinsam an Samstag-Nacht-Sketchen oder an einer originellen Erklärung des Bernoulli-Effekts bastelten, unterhielten wir uns über die Domstadt oder, ums präziser auszudrücken: Jürgen schwärmte mir von Köln vor, und ich hörte ergriffen zu.

Auch mir ist die Karnevalskapitale sympathisch, aber meine Zuneigung zu dieser Stadt reicht nicht im Entferntesten an jene Inbrunst heran, mit der Jürgen die Liebe zu Köln zu zelebrieren pflegt. Über die Jahre ist sein inneres Feuer nicht verglommen, nein, Jahr für Jahr lodern die Flammen seines Lokalpatriotismus höher. Ich kann mir kaum vorstellen, dass überhaupt irgendjemand in irgendeine Stadt so verschossen sein kann wie Jürgen in Köln. Ich muss gestehen, dass mir dieser Aspekt seiner Persönlichkeit immer ein wenig suspekt gewesen ist – zumal Jürgen ja eigentlich Saarländer ist. Jetzt aber, da ich dieses Buch gelesen habe, kann ich ihn verstehen.

Ja, mehr noch – er hat mich angesteckt. Und so ertappe ich mich dabei, dass ich noch während der Lektüre der letzten Kapitel und während ich dieses Vorwort schreibe, mit einem Auge den Kölner Immobilienmarkt studiere. Ein Zimmerchen mit Platz für mich und einen halven Hahn – nichts wünsche ich mir momentan sehnlicher. Sie zeigen mir einen Vogel? Lesen Sie selbst!

Ihr Wigald Boning

PROLOG DES AUTORS

Dieses Buch ist für alle diejenigen, die Köln lieben, für die, die Köln kennenlernen wollen, die, die Köln lieben lernen wollen, und speziell für die, die gar nicht wissen, was ein Köln ist. Beim Schreiben der ersten Kapitel stellte ich fest, dass dieser Stadt und seinen Menschen mit dem einfachen Aufzählen von Sehenswürdigkeiten, Restaurants, Museen und Kneipen nicht Genüge getan ist. Köln muss man »sich erleben«. Daher habe ich in vielen Fällen beschrieben, wie ich es mir erlebt habe. Das führte dazu, dass dieses Buch weitaus persönlicher geworden ist, als ursprünglich geplant. Vielleicht ist es mir ja dadurch gelungen, dem Leser das »Gefühl Köln« näher zu bringen und zu zeigen, wie man in dieser Stadt aufgenommen wird, was diese Stadt für einen Menschen tut und wie sie ihn verändern kann. Ich fänd’s schön, wenn es so wäre …

Bevor Sie mit dem Lesen dieses Buches beginnen, suchen Sie doch mal kurz im weltweiten Netz nach dem Lied Ming Stadt. Der Text stammt von einem der bekanntesten kölschen Originale, der Schauspielerin und Sängerin Trude Herr. Eingespielt hat sie es auf ihrer letzten LPIch sage was ich meine im Jahr 1987. Es ist zwar »nur« eines unter Hunderten von Liebesliedern, die für diese Stadt geschrieben wurden, aber es ist ein ganz besonderes. Es sind Worte, wie sie auch ein Ehepaar finden würde, das sich nach 20 Ehejahren abends am Küchentisch gegenübersitzt, um in einer ehrlichen Aussprache die Ehe zu retten. Alle Fehler des Partners werden aufgezählt, aber auch alles, was man an ihm liebt. Denn nur wer alle Fehler seines Partners kennt und ihn trotzdem akzeptiert, der liebt wirklich.

Dieses Lied ist der perfekte Soundtrack zum Lesen der ersten Seiten dieses Buches.

Da ich hier und da nicht umhin kam, auch mal ein paar kölsche Worte einfließen zu lassen, empfehle ich begleitend zum Buch das Online-Wörterbuch der Akademie för uns kölsche Sproch

(www.koelsch-akademie.de).

Jürgen Urig

KAPITEL 1

ZUM RHEIN KOMMEN

GRUND NR. 1

Weil die Ankunft über die Severinsbrücke das schönste City-Panorama Deutschlands bietet

Ja, vielleicht sogar Europas oder der ganzen Welt. Gut, ich bin noch nie mit dem Auto in Rio de Janeiro eingefahren. Sicher auch ganz interessant. Auch nicht in New York oder Chicago. Doch ich kenne zahlreiche City-Einfahrten europäischer Großstädte und glaube, in diesem Falle halbwegs objektiv urteilen zu können. Voraussetzung für dieses Erlebnis ist die rechtsrheinische Ankunft in der Hauptstadt des Frohsinns.

Bei den meisten anderen Metropolen fährt man oft lange durch Vorstädte, Industriegebiete und dergleichen, und die Ansiedlungen verdichten sich erst langsam zu einer »City«. Kommt man aber über die A3/A4/A559 und fährt dann auf den Deutzer Ring, um auf die Severinsbrücke zu gelangen, bleibt der rechtsrheinische Teil Kölns lange hinter Bäumen, Büschen und von Bäumen und Büschen umsäumten Friedhöfen versteckt. Möglicherweise sogar zu Recht, denn hier befinden sich unter anderem die von den linksrheinischen Kölnern so ungeliebten Stadtteile wie Porz, Ensen, Vingst, Ostheim, Poll und Humboldt-Gremberg. Erst kurz vor der Brücke taucht links und rechts der Straße Deutz auf, und man schließt: »Ah, hier könnte jetzt eine Stadt kommen.« Und dann ist sie auch schon da. Imposant wie keine zweite. Weit, flach, strahlend, schön.

Man vergisst, dass Deutz ebenfalls zu Köln gehört. Zu sehr ist der Blick abgelenkt von dem, auf was man da zufährt. Nur eines fällt dem umsichtigen Autofahrer auf, bevor er das rechte Rheinufer verlässt. Zumindest dem umsichtigen Autofahrer ab 50. Oder besser gesagt: zumindest mir. Linkerhand der Brücke steht nämlich die Ellmühle, eine der bedeutendsten Großmühlen Europas. Und die fiel mir schon 1984 ins Auge. Bei meinem allerersten Besuch in der Rheinstadt um den Dom. Denn außen an der Front Richtung Severinsbrücke prangt ein Symbol meiner Kindheit: der AURORA-Stern. Wenn ich ihn sehe, fühle ich mich sicher und wohlbehütet in der Küche meiner Eltern sitzen. Hinter der Wand das Stimmengemurmel und Lachen der Kneipengäste meiner Eltern. Umhüllt von einem Duftmix aus frisch gezapftem Bier, Zigarrenqualm und Bratkartoffeln. Ein Glas Malzbier in der Hand, verfolge ich gespannt das Geschehen im Schwarz-Weiß-Fernseher. Bozo, der Clown; Tammy, das Mädchen vom Hausboot; und Yogi, der Bär … Und die Werbung. Oftmals mit Mehl. Und am Ende der Mehlwerbung ertönt dann der Kinderchor: »AURORA mit dem Sonnenstern, mögen alle Kinder gern.« – Ja, auch ich mochte AURORA gern. Am liebsten an Weihnachten. Am allerliebsten in Plätzchen und Kuchen. AURORA war real. Aber der Werbespot, die Kinder, die da sangen, ja, alles, was aus dem Fernsehen kam, das war ein Wunder für mich. Damals. Etwas, was weit weg war, gemacht von Menschen, die wussten, womit sie Kinder begeistern können. Fernab von meinem kleinen Dorf in der saarländischen Provinz.

Als mich dann das Leben und der neue Job zum ersten Mal in die Rheinmetropole führten, befand sich diese Wunderwelt plötzlich greifbar nah. Da hing sie in Form des AURORA-Sterns an der Wand der Ellmühle, und ich dachte: Ja, Köln ist die große, weite Welt. Erst ein Jahrzehnt später lernte ich, dass es das ganz und gar nicht ist. Köln ist eine wundervolle kleine Welt, die sich vollkommen unabhängig von der großen weiten in ihrem ganz eigenen Tempo dreht. Ein astrophysikalisches Wunder, das wohl nur der Kölner selbst und der integrierte Imi verstehen.

Genug Gefühlsduselei, zurück zum Panorama. Oder doch nicht? Ja und nein. Gefühle gehören nämlich zu dieser Stadt wie zu kaum einer anderen. Oder wie der Kölner sagt: Köln es e Jeföhl [Anm. d. Autors – Gendertechnisch ist »der Kölner« auch weiblich, bitte dran gewöhnen].

Eines dieser Gefühle ist das, das den Kölner befällt, wenn er über die Severinsbrücke in seine Lieblingsstadt fährt. Dieses Gefühl, das sich kaum beschreiben lässt. Unter sich den Rhein, saugt er die Heimat in sich auf, empfängt die Signale, die ihm von den Türmen des alles überragenden Doms zugesendet werden. Er lächelt die Altstadt an, die von Jahr zu Jahr immer schöner werdende Rheinpromenade, die Anlegestellen der Ausflugsschiffe, das Schokoladen- und das Deutsche Sportmuseum, den Jachthafen und das beste Beispiel dafür, dass die Kölner Stadtplaner aus den architektonischen Sünden ihrer Vorgänger gelernt haben: den neu gestaltete Rheinauhafen. Er ist ein wirklich gelungener Architektur-Mix geworden aus renovierten, geschichtsträchtigen Gebäuden wie dem »Siebengebirge«-Komplex oder dem ehemaligen Hafenamt, und mutigen Neubauten mit Wohn- und Geschäftsflächen. Eindrucksvoll daraus hervorstehend: die Kranhäuser. Drei 17-stöckige Hochhäuser, die in ihrer Form an die alten Hafenkräne erinnern sollen. An dieser Stelle ein herzlicher Applaus für die Architekten Hadi Teherani (Hamburg) und den Trierer Alfons Linster, denn die Kranhäuser entwickeln sich zum modernen Pendant des Doms als Wahrzeichen der Stadt. – Und kaum hat man diese hinter sich gelassen, ist man auch schon mittendrin in der vierten Dimension, die sich Köln nennt.

2001 arbeitete ich für ein Jahr fest in München. Da ich ein grundsätzliches Problem mit dieser Stadt habe, wollte ich die Kölner Wohnung nicht aufgeben. Aus aviophobischen Gründen sauste ich also jedes Wochenende von Köln nach München, von München nach Köln über die Autobahn. Irgendwann an einem sommerlichen Freitagabend besagten Jahres fuhr ich nach einer anstrengenden Arbeitswoche zum zigsten Mal über die Severinsbrücke Richtung Innenstadt. Im Radio lief WDR 2, es war warm und die Sonne hüllte die Stadt in das typische Kölner Abendrot. Ich sah auf die Stadt, und ich lächelte. Zum ersten Mal überkam mich dieses Kribbeln. Das Herz öffnete sich und plötzlich konnte ich dieses Gefühl beschreiben. Das wohlige Gefühl, in den Schoß der Mutter zurückzukehren, um dort wohlbehütet im prallen Leben alt werden zu können. In diesem Moment wusste ich: Jetzt bin ich Kölner. Hier bin ich zu Hause. Ich liebe meine Stadt. Jawoll.

GRUND NR. 2

Weil Köln auch Dublin ist

Gerne wird Köln auch als »nördlichste Stadt« Italiens bezeichnet. Sogar von manchen Kölnern selbst. Ja, sogar von einigen Kölnern italienischer Herkunft. Und ziemlich oft von Kölnern im italienischen Urlaub. Meist dann, wenn der Urlaubsort neben Espresso, Pizza und Spaghetti auch mit luxuriösen Extras wie frisch gezapftem Kölsch und/oder gar Flönz aufwarten kann. Dann vermischt sich das kölsche Lebensgefühl mit dem toscanischen, adriatischen oder ligurischen, und wenn man nach Hause kommt, stellt man fest: Hier ist ja alles wie im Urlaub. Espresso, Pizza und Spaghetti (sogar bis zur Haustür gebracht) und natürlich Kölsch und Flönz so weit das Auge reicht. Klar, dass man dann zu dieser weit verbreiteten Fehlmeinung kommt.

Ich glaube nämlich, nein, ich bin überzeugt davon, dass Köln die südlichste Stadt Irlands ist. Dies offenbarte sich mir im Jahr 2003, als ich mit drei Autorenkollegen ein Wochenende in Dublin verbrachte. Interessanterweise zum Trinken. Aber anders als beim Italienurlaub wurden wir nicht durch kölsche Sonderangebote in den Kneipen verblendet. Nein, das typisch kölsche Lebensgefühl stellte sich schon während der Taxifahrt vom Flughafen zum Hotel ein. Der Taxifahrer war offen, lustig, gesprächig, und ich verstand kein Wort von seinem stark gälisch geprägten irischen Englisch. DAS hätte mir genau so bei meinem ersten Köln-Besuch 1984 passieren können, wäre ich damals nicht mit eigenem Auto angereist, sondern vom Flughafen aus mit einem Taxi, das von, sagen wir mal, Wolfgang Niedecken gelenkt worden wäre. Was natürlich nicht möglich war, weil Niedecken 1984 schon gar kein Taxi mehr zu fahren brauchte.

Zurück nach Dublin. Über die gesamten drei Tage und zwei Nächte bestätigte sich von Mal zu Mal, mit jeder Begegnung aufs Neue, die Seelenverwandtschaft zwischen Iren und Kölnern. Egal, wo man hinkam, man wurde freundlich begrüßt, kam gleich ins Gespräch und erfuhr, wie stolz man doch auf sein Land und speziell auf seine Stadt ist. Dublin ist die tollste Stadt der Welt. – Neben Köln, dachte ich dann immer. – Und als ich beim Rückflug noch mal aus dem Fenster blickte, wurde mir auf einen Schlag klar: Dublin ist die verschollene jüngere Schwester von Köln. Beweise? Bitte schön.

Fangen wir mal mit dem Wichtigsten an. – Beide Städte sind für ihre hervorragende Braukunst bekannt. Dort Guinness und Co, hier Kölsch, Kölsch und – nicht zu vergessen – Kölsch. Die Küche in Dublin gilt als herzhaft, kalorienhaltig und ungesund. Dazu kann ich nur sagen: Das einzig Gesunde an Himmel un Ääd sind die Äpfel, und die werden mit so viel Zucker verkocht, dass man nicht ernsthaft von kalorienarm reden kann. Okay, Flönz (gebratene Blutwurst) werden in Köln selten zum Frühstück gereicht, trotzdem hüpft das kölsche Hätz (Herz) gleich höher, wenn seinem Träger schon morgens im Frühstückszimmer der wohl bekannte Duft des Black Pudding (gebratene Blutwurst) entgegenströmt. An den White Pudding (gebratene Leberwurst) hat man sich dann auch schnell gewöhnt. Weiter in der Beweisführung.

Werfen wir einen Blick auf die Landkarte. Zunächst auf Köln, die geteilte Stadt, mit den angesagten linksrheinischen Wohn- und Partymeilen und dem eher ungeliebten rechtsrheinischen Anhang. Jetzt auf Dublin und wir sehen: Auch durch Dublin fließt ein Fluss. Gut, er ist nicht ganz so fett wie der Rhein, und er heißt auch anders, nämlich Liffey. Aber auch seine Aufgabe besteht darin, die Stadt und deren Bewohner zu trennen. Wie in Köln, so wohnt man auch in Dublin auf der linken Flussseite. Das Rechtsliffey’sche betritt man nur, wenn man mal die Jameson Distillery besuchen will. Ähnlich wie in Köln. Nur da ist es die LANXESS arena. Wollen sich Dubliner, die es auf die »falsche Seite« der Stadt verschlagen hat, mal amüsieren, müssen sie rüber ins Linksliffey’sche. Vorzugsweise ins Temple-Bar-Viertel. Was wiederum sein Pendant im linksrheinischen Köln hat: Das Friesenviertel ist mit ähnlich vielen Kneipen und amüsierwilligen Besuchern bestückt. Die Menschen singen hier wie dort dieselben Melodien in einer für den Touristen unverständlichen Sprache. Musik, in der sich Melancholie und Lebensfreude zu dem verbinden, was die Seele der Kölner ebenso ausmacht wie die der Iren: einem bunten Kaleidoskop ehrlicher Gefühle. – Noch mehr Beweise? Gut.

In Dublin herrscht die gleiche Akzeptanz gegenüber Andersdenkenden wie in Köln. Große Künstler gingen aus beiden Städten hervor. Dort James Joyce, Samuel Beckett, Bono und seine Rock-Kapelle U2. Hier Heinrich Böll, Jacques Offenbach und die Höhner bzw. Can oder Triumvirat (für die älteren Leser wohl eher ein Begriff).

Möglicherweise ist es nur Zufall, aber Dublin und Köln haben mit Barcelona, Liverpool und Peking dieselben Städtepartner! Nein, das kann kein Zufall sein. Es kann nur an derselben Liebe zum Fußball (Barcelona), der Musik (Liverpool) und fremdländischen Kulturen (China) liegen.

Spätestens jetzt dürfte jedem klar sein, dass ich mit meinen Theorien »Köln ist die südlichste Stadt Irlands« und »Dublin ist die verschollen geglaubte jüngere Schwester von Köln« richtig liege. Wie aber konnte es zu all diesen Gemeinsamkeiten kommen? Vertiefen wir uns doch mal in die Historie der beiden Fröhlichkeits-Metropolen.

Köln und Dublin sind ungefähr gleich alt. Dublin wurde erstmals in den Schriften des Ptolemäus aus dem Jahr 140 unter dem Namen Eblana erwähnt. Köln ist als Stadt nur knappe 90 Jahre älter … sieht man mal von den ganzen Niederlassungen, die sich seit 4500 v. Chr. im Kölner Stadtgebiet befanden, ab.

Dublin wie Köln waren ursprünglich keltische Siedlungen. Die Kelten in Dublin wurden von den Wikingern vereinnahmt, die Eburonen von Cäsars römischen Legionen aus Köln vertrieben. 1170 wurde Dublin von den Anglonormannen, also den Nachkommen der französischen Normannen, die 1066 England eroberten, eingenommen. Köln war von 1794 bis 1814 unter französischer Obhut. Ja, sogar mit französischen Pässen. Wenn das mal nicht alles passt wie der »Decke Pitter« in den Dom, dann weiß ich es auch nicht. Und allen weiterhin Zweifelnden empfehle ich einfach mal einen Besuch beider Städte.

GRUND NR. 3

Weil es die schönste hässliche Stadt der Welt ist

Dank Frau Agrippina, der Mutter des römischen Kaisers Nero, war Köln schon vor über 2000 Jahren ein sehenswertes Handelszentrum. Zu einer Zeit also, als man in anderen Millionenstädten wie Hamburg noch in umgestülpten Fischerbooten lebte, in Berlin leer stehende Bärenhöhlen besetzte und in der Umgebung Münchens ein findiger Kelte von seiner Gemeinde verstoßen wurde, weil er ein System erfunden hatte, wie man nachts Bürgersteige hochklappen kann. Zu dieser Zeit wusste natürlich noch niemand, was Bürgersteige sind. Erst Jahrtausende später führte man das System dann ein. In Köln jedoch stößt der Gartenfreund beim Umgraben des Kohlrabibeetes noch heute auf den ein oder anderen steinernen römischen Zeitzeugen.

Nun kann man als fleißiger Städtereisender natürlich behaupten: »Ja, aber dafür sind Berlin, Hamburg und München heutzutage aus städtebaulicher Sicht die weitaus ästhetischeren Reiseziele.« Sicher, das lässt sich nicht bestreiten, wenn man Köln nur oberflächlich als Ganzes betrachtet. Da fällt es natürlich auf, dass der Rheinstadt die imposanten riesigen Plätze, die Prachtstraßen, herrschaftlichen Häuser, Villen und Schlösser fehlen, die Fürsten, Könige oder Hanse-Konzerne in besagten Städten von schlecht bezahlten Fronarbeitern erbauen ließen. Wird der seine Stadt liebende Kölner auf der Straße mit derartigen Vorwürfen konfrontiert, wehrt er sich in erster Linie hurtig mit dem Argument: »Ja, aber dafür haben wir den Dom.« Selbstverständlich weiß er, dass seine Stadt noch weitaus mehr Sehenswertes zu bieten hat. Und würde die Konfrontation nicht auf der Straße stattfinden, sondern in einem Brauhaus, könnte der touristische Nörgler von ihm erfahren, warum seine Stadt aus architektonischer Sicht nicht ganz so angeberisch daherkommt wie andere deutsche Großstädte.

Gehen wir also in ein Brauhaus und setzen uns zu einem älteren Kölner Bürger, der gerade Mittagspause hat. Nach dem ersten Kölsch nimmt er einen Kugelschreiber und malt vier Kreise auf seinen durchweichten Bierdeckel. Zwei größere, einen kleineren und einen ganz kleinen. Dann erklärt er, auf die beiden großen Kreise deutend: »Berlin und Hamburg sind flächenmäßig doppelt so groß wie Köln. Ist doch klar, dass die mehr Platz für Plätze und breitere Straßen haben. Oder?« Wir entgegnen: »Und was ist mit München? Weniger Fläche, aber mehr Einwohner?« – und bekommen eine typische kölsche Antwort: »Wo es dann dä Köbes?«

Nach dem fünften Kölsch setzt er neu an und wir erfahren, dass ja im Krieg fast die ganze Stadt kaputt war. Alle Prachtgebäude außer dem Dom. Natürlich war das auch in den anderen Großstädten der Fall. Allerdings beschritten die Städtebauer dort lange nicht so innovative Wege wie die Kölner. Hamburg, Berlin, München – dort hat man einfach die alten Pläne genommen und mit alten Backsteinen das Alte wieder hergestellt. In Köln herrschte Aufbruchstimmung. »Weg mit dem alten Quatsch. Schließlich leben wir im 20. Jahrhundert.« Nichts sollte mehr an die – nicht immer guten – alten Zeiten erinnern. Außer dem Dom, natürlich. »Wir wollten eine moderne Stadt. Geradlinige Gebäude für geradlinige Menschen. Die Architektur der 50er für die Kölner der 50er. Da war es geradezu ein Segen, dass einige Cousins von Entscheidern im Rathaus zufällig nach Kriegsende eine Beton-Fabrik eröffnet hatten.« Das Argument, dass gerade die Moderne am schnellsten unmodern und langweilig wird, schmettert er mit den Worten ab: »Alles kommt wieder, Jung.« Eine Weile lang herrscht Stille. Er scheint traurig zu sein, da er uns nicht davon überzeugen konnte, dass seine Stadt irgendwie doch schön ist. Drei Kölsch lang denken wir darüber nach, ob man sich auch eine Stadt schöntrinken kann, werden nach dem zwölften Kölsch jedoch aus unseren Gedanken gerissen. Er legt seinen Arm um unsere Schulter und meint: »Ganz ehrlich. Ja, es gibt hier einige Bausünden aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren …« – Unwillkürlich fallen uns Moderationen im Privatradio ein: »Die schönsten Bausünden der 50er-, 60er- und 70erJahre. Nur hier in Köln.«

»Herkules-Hochhaus, ein großer Teil der Inneren Kanalstraße, die Äußere Kanalstraße, Aachener Straße, einiges in Bickendorf, ganz Chorweiler, der Barbarossa-Platz, der Ring …« Er kölscht die Bausünden-Liste lächelnd in sein Glas, und uns wird klar, dass er sich daran gewöhnt hat. Er ignoriert sie einfach, konzentriert sich stattdessen auf die nicht wenigen Orte, die einen dafür entschädigen. Oft fernab der Touristenattraktionen rund um den Dom, der Altstadt oder dem Rheinauhafen.

Das Viertel um den Rathenauplatz zum Beispiel. Hier findet man einige schöne alte Wohnhäuser, und auf dem Platz mit eigenem Biergarten pulsiert im Sommer nicht nur das studentische Leben. Oder das Agnesviertel, das Viertel, in dem Heinrich Böll seine Brötchen kaufte. Das charmante Straßengewirr ist auch heute noch mit der alten Feuerwache, der Agneskirche, zahlreichen Cafés und Kneipen beliebtes Künstlerwohnviertel. Ebenso wie das Belgische Viertel, abseits vom Ring. Allerdings können sich dort nur die wirklich erfolgreichen Künstler die Miete in einem der alten Bürgerhäuser leisten.

Sehenswert für den Freund gut erhaltener Wohnarchitektur sind auch große Teile von Ehrenfeld. Speziell die von den Kriegsbomben verschonten Wohnviertel rechts von der Subbelrather Straße. Rodenkirchen hat fast schon mediterranes Flair, Nippes, Riehl, Poller Wiesen, Aachener Weiher, Grüngürtel … Ach, es gibt so vieles, was Köln richtig schön macht. Man muss halt nur mal genauer hinsehen. Und wer mal etwas länger in dieser Stadt verweilt, wird irgendwann lernen, dass man auch über eher unansehnliche Plätze hinwegsehen kann, wenn man es versteht, Spaß am Leben zu haben.

GRUND NR. 4

Weil die Wege so kurz sind

Mit 405 Quadratkilometern Stadtfläche liegt Köln auf Platz sieben der flächengrößten Städte Deutschlands. Interessanterweise noch hinter Gardelegen, Möckern, Zerbst (alle Sachsen-Anhalt) und Wittstock/Dosse (Brandenburg). Das sind jetzt natürlich nicht unbedingt die Weltstädte, mit denen sich der stolze Kölner ansonsten gerne misst, zumal noch in keiner einzigen davon auch nur ansatzweise ein solches Monument zu finden ist wie der Dom. Deshalb erwähnt man hier lieber, dass man nach Hamburg und Berlin flächenmäßig die drittgrößte Millionenstadt Deutschlands ist. Die Tatsachen ein klein wenig zurechtzubiegen gehört halt einfach mit zum Kölner Leben. Dabei bräuchte man sich gar nicht zu schämen, auf so engem Raum zu leben. Schließlich hat das ja auch Vorteile. In Gardelegen, der flächenmäßig drittgrößten Stadt zum Beispiel, muss man schon weit laufen, um einen Gardelegener zu treffen. Auf einem Quadratkilometer verlieren sich dort 37 Einwohner. Wohingegen man in Köln beim Ablaufen eines solchen Flächenmaßes auf locker 2.502 Mitbewohner treffen kann. Schon mal die beste Voraussetzung, einer der beliebtesten kölschen Beschäftigungen, dem Miteinander, nachzugehen, ohne gleich den Wanderschuh schnüren zu müssen.

Ein weiterer nicht zu verachtender Vorteil der kleinen Stadtfläche: die kurzen Wege. Natürlich lassen sich nicht alle 405 Quadratkilometer zu Fuß bewältigen. Aber man muss ja auch nicht ständig bis in die ländlichen Kölner Außenbezirke wie Höhenhaus, Dünnwald oder auf der anderen Seite Volkoven-Weiler und Chorweiler laufen.

Überlebenswichtig in Sachen Einkauf, Feiern und Genießen ist eigentlich nur die Fläche zwischen Gürtel und Rhein … linksrheinisch gesehen. Das Rechtsrheinische will ich jetzt einfach mal außer Acht lassen, weil dort der Aufbau nach dem Krieg noch anhält … Von dort aus kommt man nicht umhin, das ein oder andere Verkehrsmittel zu wählen, um am sozialen Leben im Zentrum der Stadt teilnehmen zu können. Lebt man aber innerhalb oben erwähnter Grenzen, so kann man sich glücklich schätzen, denn man spart eine Menge Geld, weil ein eigenes Kfz mehr als unnötig ist. Nebenbei schont man seine Nerven, da die stundenlange Parkplatzsuche in Wohnungsnähe entfällt.

Ich weiß, wovon ich rede. Als ich zum ersten Mal mitten in die Innenstadt in die Roonstraße gezogen bin, habe ich nach drei Monaten entnervt mein Auto verkauft. Die durchschnittliche Parkplatzsuchzeit liegt bei 30 bis 40 Minuten. Das macht keinen Spaß, wenn man besoffen von der Arbeit nach Hause kommt. – Nee, Quatsch: Nach reiflicher Überlegung kam ich zu dem Ergebnis, dass ein eigenes Auto so ziemlich das Überflüssigste ist, was man besitzen kann, lebt man in diesem Bereich der Innenstadt. Egal, wo man dort wohnt, im Umkreis von zehn Laufminuten findet man alle 100 Meter einen Kiosk, mehr als 100 Kneipen, Restaurants und Bars sowie mindestens einen angesagten Tanzschuppen bzw. Disco, wie man früher sagte. Heute heißt das Club und man legt in Insiderkreisen fest, welcher davon gerade angesagt ist. Aber egal. Ich schweife ab. Dazu später mehr in diesem Buch.

Tatsache ist: Gleich, ob man vor dem Dom steht, vor dem Eigelsteintor, dem Hahnen- oder dem Severinstor – überall findet man fußläufig genügend Lokationen, um einem ordentlichen ungeregelten Leben nachgehen zu können. Ja, sogar einem geregelten. Wenn man das so will.

Nachtrag, der Wahrheit wegen: Gut, in München ist die flächenmäßige Situation ähnlich. Allerdings braucht man dort interessanterweise sehr viel länger, bis man zum Beispiel eine gute Kneipe findet. Sie mussten ja alles mit Biergärten, Prachtbauten und großen Plätzen vollstopfen, die Münchener. Typisch.

GRUND NR. 5

Weil sich nur diese Weltmetropole den dörflichen Charakter bewahrt hat

Köln hat alles, was eine Weltstadt ausmacht. Kultur, Musik, Geschichte, einzigartige Bauwerke, einzigartige Menschen. Und doch ist diese Stadt ein Dorf. Untrügliches Zeichen dafür: Jeder weiß, wo die Kirche steht. Aber es ist bei Weitem nicht das Einzige. Wer wie ich vom Dorf kommt, der entdeckt dies schon nach kurzer Zeit und stellt erfreut fest: Köln besitzt alle positiven Eigenschaften eines Dorfes, ohne mit den negativen zu nerven. Mit den negativen meine ich, dass man nie wirklich alleine ist. Dass jede Handlung beobachtet und gegebenenfalls kommentiert wird. Dass man sich auf Schritt und Tritt beobachtet fühlt. Zumindest, wenn man sich nicht ganz den dörflichen Regeln unterwirft oder gar als bunter Hund durchs Dorf getrieben wird.

Köln liebt bunte Hunde. »Jede Jeck es anders.« Der Zusatzartikel des kölschen Grundgesetzes wird hier gelebt. Der Kölner macht sich zwar so seine Gedanken über die Mitmenschen, spürt allerdings auch, wenn diese in Ruhe gelassen werden wollen. Deshalb fühlen sich bunte Hunde in der Domstadt so wohl wie nirgendwo anders. Köln ist sozusagen Deutschlands offener Zwinger-Club für bunte Hunde. Ein Tierheim voller kreativer Exoten. Oft vom Dorf kommend und die positiven dörflichen Eigenschaften der Stadt schätzend.

Auf den kurzen Wegen fühlt sich der Neu-Imi schnell zu Hause, denn man grüßt sich in dieser Stadt auf der Straße. Zumindest, nachdem man sich bereits zwei, drei Mal begegnet ist. Dann weiß der Kölsche: Ah, ein Neuer im Veedel. Er sagt »Hallo«, ein wenig hoffend, bald mal in ein Gespräch zu kommen, um mehr über den Neuen zu erfahren. Nicht etwa, weil er ihn aushorchen will, sondern weil er sich wirklich dafür interessiert, wer so in seiner Nachbarschaft wohnt. Dabei geht er stets behutsam und geduldig vor, erkennt die Signale, die der Imi aussendet, wenn er noch nicht bereit ist zur Kontaktaufnahme. Schließlich weiß er: Spätestens an Karneval werden wir ins Gespräch kommen. »Un wenn nit, dann nit.« Er grüßt trotzdem weiter. Genau so wie der Kioskbesitzer, der Müllmann und die Verkäuferin an der Wursttheke im Supermarkt. Pech für die Vegetarier unter den Imis: Am Gemüsestand ist Selbstbedienung, und so entgeht ihnen ein kleines Stück Köln. Technik-Freaks wie ich werden übrigens auch schon mal im Saturn mit »Hallo, was darf’s denn heute sein?« begrüßt. Kurz: Man fühlt sich schnell aufgenommen in dieser Stadt und genießt das dörfliche Treiben.

Der Kölner übernimmt auch persönliche Verantwortung für alles, was im Dorf passiert. Fügt man seiner Dorfgemeinde etwas zu, so fühlt er sich persönlich angegriffen. In einer echten Stadt ist das anders. Sagt man beispielsweise einem Berliner: »Hertha spielt diese Saison aber ’ne ganz schöne Grütze«, dann antwortet der: »Ja, aba dit jeht mir anne haarige Kuhle da hinten vorbei. Sind se selber schuld. Sollen halt spielen lernen.« Wirft man einem Münchener vor: »Boah, eure Stadt ist so langweilig«, entgegnet der Bajuware: »Musst halt aufs Oktoberfest kumma«, trinkt seine Maß aus und schläft ein.

In Köln ist das anders. Äußert sich ein Imi beispielsweise negativ über den FC, so wird er an die Hand genommen und ins RheinEnergieStadion geführt. Ist ja nicht weit. Dort erhält er einen Schal, einen Zettel mit dem Text der FC-Hymne und eine gewaltige Gänsehaut, wenn aus 50.000 treuen Kölner Kehlen kollektiv das Mir stonn zu dir, FC-Köööööölle tönt. Während die Jungs in Rot-Weiß auf dem Rasen gegen Sandhausen untergehen, erhält man einen 90-minütigen Vortrag über die einzigartige Historie und die großen Erfolge des Vereins. Am Ende, wenn sich die Fans bei den Spielern für die 0:4-Niederlage bedanken, erfährt man noch, dass der Aufstieg dann halt im nächsten Jahr stattfindet. Erst mal muss sich der Verein konsolidieren. Neuaufbau. Spätestens in dem Moment, in dem der Imi dann dem treuen Kölner ein Taschentuch reicht, damit er sich die Tränen von der Backe wischen kann, spürt er plötzlich so etwas wie Verbundenheit. Verbundenheit mit diesen Menschen, die ihre Stadt so sehr lieben, dass sie selbst das Chaos ihres größten Fußballvereins akzeptieren.

Wie lang die Nacht werden kann, wenn man einem Kölner vorwirft, sein Dorf sei langweilig, brauche ich in diesem Zusammenhang wohl nicht zu erwähnen. Typisch Dorfbewohner halt, zu dem man sich über kurz oder lang selbst entwickelt. Man liebt sein Veedel, man grüßt die Neu-Imis auf der Straße, man engagiert sich womöglich in einem der zahlreichen Vereine oder der Nachbarschaftshilfe. Und natürlich freut man sich bereits im Sommer auf das große Dorf-Fest, das am 11.11. beginnt und an dem jeder Einwohner teilnimmt. Und wenn es dann so weit ist, findet man sich in den Armen des Nachbarn wieder, der einen schon nach zwei Tagen auf der Straße gegrüßt hat, und bestätigt sich gegenseitig mit Tränen in den Augen:

Wat och passeet

dat eine es doch klor

et Schönste, wat m’r han

schon all die lange Johr

es unser Veedel,

denn he hält m’r zosamme

ejal, wat och passeet

en uns’rem Veedel.

GRUND NR. 6

Weil Köln immer noch die wärmste Stadt Deutschlands ist

Ich beginne mit einem Zitat aus Wikipedia. Gut, die Erfahrung hat gelehrt, dass man der Seite nicht alles glauben darf, ich mach es aber trotzdem, weil es plausibel klingt. – Zitat Anfang: »Köln liegt in der Kölner Bucht [Richtig! – Anm. d. Buchautors], einer trichterförmigen, durch den Rhein geprägten Flusstallandschaft zwischen den stufenartig ansteigenden Hängen des Bergischen Landes und der Eifel unmittelbar nach Austritt des Rheins aus dem Rheinischen Schiefergebirge [Auf’n Punkt! – Anm. d. Buchautors]. Diese geschützte, günstige Lage bewirkt für Köln ein mildes Klima, das sich durch mehrere Besonderheiten auszeichnet: Durch die Eifelbarriere liegt die Stadt, insbesondere deren linksrheinischer Teil, im Schutz und Regenschatten von Westwinden, die außerdem einen Föhneffekt bewirken können [So kenn ich das. – Anm. d. Buchautors]. Gleichzeitig wird eine Lufterwärmung durch geringen Luftaustausch mit dem Umland begünstigt [Kann ich jetzt rein wissenschaftlich nix zu sagen, aber es fühlt sich so an. – Anm. d. Buchautors]. Damit verbunden ist aufgrund der Verdunstung des Rheinwassers bei geringem Luftaustausch regelmäßig eine hohe Luftfeuchtigkeit, die insbesondere im Sommer für belastendes, schwüles Wetter sorgt und für zahlreiche Gewitter verantwortlich ist [Schwül, ja. Gewitter, zahlreich?!? Na ja. – Anm. d. Buchautors]. Die Innenstadt Kölns, in der zusätzlich innerstädtische Überwärmung auftritt, gilt als der wärmste Ort Deutschlands, noch vor Freiburg im Breisgau [Das liest der Kölner natürlich gerne. Er mag es, wenn er vor anderen Städten auftaucht. Was dran ist, erfahren wir jetzt. – Anm. d. Buchautors].« Zitat Ende.

Ist Köln jetzt die wärmste Stadt oder nicht? Ganz ehrlich: Seit der Recherche zu dem Thema trau ich den Meteorologen noch weniger über den Weg. Im Internet kursieren nämlich vollkommen unterschiedliche offizielle Angaben. Mal ist es Freiburg, mal Heidelberg. Dann kommt irgendwo aus der Ecke urplötzlich auch noch Duisburg daher. – Es bleibt mir also nichts weiter übrig, als einfach mal aufgrund meines subjektiven Empfindens zu behaupten: Köln ist die wärmste Stadt Deutschlands. Und um die Sache perfekt zu machen, greife ich noch mal das geflügelte Wort der »nördlichsten Stadt Italiens« auf. Die tatsächlich geografisch gesehen nördlichste Stadt Italiens ist Sterzing. Sterzings Jahresdurchschnittstemperatur liegt bei 7,4 Grad. Die von Köln hingegen lag 2012 mit 10,5 Grad mehr als drei Grad darüber. Hurra und Auf Wiedersehen, Italia. Auch im europäischen Temperaturvergleich kann der Kölner also wieder stolz sein auf seine Stadt.

Nur in Frankfurt habe ich weniger Schnee gesehen. Aber aus anderen Gründen. Dort schafft er es einfach nicht durch die Hochhausschluchten. Na ja, manchmal fand ich ein paar Schneereste auf dem einen oder anderen Toilettendeckel einer Disco-Toilette. Aber ansonsten? Nix. Nicht mal gute Schnee-Schnee-Wortspiele. – In München war ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt und habe dabei die Jahreszeiten komplett übersehen. Kann sein, dass da mal Schnee war. Allerdings habe ich während meiner Zeit in Offenburg und Stuttgart gelernt, was es heißt, Schnee zu schaufeln. Ich sag nur: »Kehrwoche«. Deshalb fielen mir die ersten Winter in Köln äußerst positiv auf. Keine einzige Schneeflocke überlebt hier länger als eine Nacht. Ja, in Köln scheint die Sonne quasi ausm Hintertürchen. Während die Menschen in der Eifel und im Bergischen schon zu Beginn des Winters gegen Schneestürme kämpfen, sitzt der Kölner noch im T-Shirt vor seinem Lieblings-Büdchen, genießt die angenehmen Temperaturen und ist weitaus besser drauf als der Rest der Republik. Gutes Wetter, gute Laune. Möglicherweise liegt darin das Geheimnis der kölschen Fröhlichkeit.

Die ließ man sich natürlich auch in den beiden vergangenen, ungewohnt kühlen Wintern nicht nehmen. Obwohl man 2011/12 erst mal damit klarkommen musste, dass es Schnee gibt, der es länger als zwei Stunden auf dem heißen Pflaster Köln aushält. Sogar länger als zwei Tage, länger als zwei Wochen … Monate. Ich mach’s kurz: Anfangs gab es ein ziemliches Chaos, da die komplette Schneeräumkolonne erst mal entrostet werden musste. Sinnbildlich gesehen natürlich. Dann gab’s kein Salz mehr und die Kölner Bevölkerung drohte ihre sprichwörtliche Gelassenheit zu verlieren. Doch irgendwann, es muss so um Tag zwölf der geschlossenen Schneedecke gewesen sein, erinnerte man sich kollektiv wieder an Artikel 1 des Kölschen Grundgesetzes: »Et es wie et es.« Die Folge: Köln war wieder Köln. Nur ohne Rot, dafür in Weiß. Gelassen schaufelte man alle paar Tage die Bürgersteige frei (meine Nachbarn) oder wartete darauf (ich), dass sich Artikel 3 des Grundgesetzes bewahrheitet: »Et hätt noch emmer jod jejange.« Und das Schöne daran ist, dass keiner dem anderen deswegen einen Vorwurf macht.

Fazit: Egal ob jetzt Köln meteorologisch gesehen die wärmste Stadt Deutschlands ist oder nicht: Sie fühlt sich jedenfalls warm an. Bis tief ins Hätz.

GRUND NR. 7

Weil die Menschen auf ihre Stadt achten

Eine der herausragenden Eigenschaften des Kölners ist seine Ehrlichkeit. Ehrlich anderen gegenüber und vor allem ehrlich zu sich selbst. Er weiß, dass die Stadt, die er liebt, nicht die schönste ist, gibt das auch zu und konzentriert sich deshalb auf ihre inneren Werte. Derer gibt es viele, doch Nicht-Kölnern nur schwer zu vermitteln. Nun gehört dummerweise ebenfalls zur Natur des Kölners der geradezu zwanghafte Wunsch, dass möglichst alle Menschen auf der Welt seine Stadt genauso lieben wie er selbst. Schade, dass die weltweit überwiegende Zahl der Nicht-Kölner in erster Linie auf Äußerlichkeiten achtet. Die Folge: Der Kölner lebt in einem Konflikt. Wie soll er jemandem die inneren Werte seiner Stadt näher bringen, wenn derjenige ihn gar nicht erst besucht, weil ihm die Stadt zu hässlich ist? Die Lösung: Artikel 5 des Kölschen Grundgesetzes – »Et bliev nix wie et wor«. Das Stadtbild soll sich ändern. Vorbei die Zeit, in der man sich damit zufriedengab, dass den zahlreichen Touristen der Dom gefiel und sie eventuell auch noch die ein oder andere romanische Kirche ablichteten. Köln soll attraktiver werden.

2001 beschloss der Kölner Rat, die Initiative »Leitbild Köln 2020« ins Leben zu rufen. Eine Initiative, in der allerdings nicht nur irgendwelche Politiker mit anderen Irgendwelchen, womöglich Fachleuten, den Wandel am Kölner vorbei initiieren. Nein, die Bürger sollten selbst initiativ werden. Zur Auftaktveranstaltung am 24. Mai 2002 begrüßte der damalige Oberbürgermeister Fritz Schramma die 700 vorhandenen Kölner Bürger mit den Worten: »Wir alle wollen gemeinsam die Weichen stellen für die Zukunft unserer Stadt. Das Leitbild 2020 kann nur im Dialog und durch die breite Beteiligung aller Interessierten entstehen.« – Gut, nun kann man angesichts von damals 968.639 Einwohnern bei 700 Kölnern nicht unbedingt von einer breiten Beteiligung reden. Zumindest auf den ersten Blick. Betrachtet man a) die damalige Bevölkerungsstruktur und b) den 24. Mai 2002 mal genauer, sieht die Sache anders aus.

Alleine 136.136 Kölner waren zwischen 0 und 14 Jahre alt. Bleiben also noch 832.503. Ziehen wir noch mal über den Daumen circa 12.000 15- bis 18-Jährige ab, die zu sehr mit ihrer Pubertät und dem Mopedführerschein beschäftigt waren, bleiben 820.503 potenzielle Teilnehmer. Davon lebten ungefähr 180.000 Menschen in den Bezirken Rodenkirchen und Chorweiler. Trotz brauchbarer Bahnverbindung kostet es doch einiges an gutem Willen, sich von dort aus zu einer Reise in die Innenstadt aufzuraffen. Zumindest, wenn man nix im Media-Markt zu kaufen hat.

Weitere 350.000 Einwohner bevölkerten die Bezirke Mühlheim, Porz und Kalk. Die Menschen dort waren damals noch sehr skeptisch gegenüber allem, was da so linksrheinisch beschlossen wurde. Kann man also auch abziehen, ohne nachtragend zu sein. Bleiben 290.503. Minus ungefähr 30.000 ausländischer Imis, die entweder gerade im Deutschkurs waren, in der Muckibude, aufm Amt ihre Dönerbude anmelden oder irgendwo am Bau unbezahlte Überstunden machen mussten. Macht 260.503. Etwa 140.000 davon Frauen, wovon wiederum 80.000 einen Friseurtermin hatten, 30.000 waren beim Gardetanz-Training, 12.000 beim Einparken und 10.000 im Sonnenstudio. Bleiben 128.503.

Der 24. Mai 2002 war ein überwiegend trockener, 19 Grad warmer Frühlingsfreitag. Das bedeutet, wir dürfen den circa 3.000 Menschen nicht böse sein, die einfach mal früher Feierabend gemacht und am Aachener Weiher ein Spontangrillen mit Freunden und Fremden veranstaltet haben. Weitere 25.503, darunter ich, wussten womöglich gar nichts von dem Termin. Bleiben runde 100.000 Bürger, die sich eventuell durchaus in der »Initiative Leitbild 2020« engagiert hätten … wenn da nicht wenige Tage vorher der FC die Saison 2001/02 mit einem Bundesliga-Negativrekord von 1034 Spielminuten ohne Torerfolg abgeschlossen hätte. Der Lieblingsverein aller Kölner stieg 2002 zum zweiten Mal in die 2. Liga ab. Und wer jetzt noch Zweifel daran hegt, dass angesichts dieser Tatsache eine Beteiligung von 700 Bürgern ein Riesenerfolg ist, der weiß nicht, wie sehr der Kölner leiden kann. Welche Kraft es kostet, sich aus dem dunklen Keller, in den man sich eingeschlossen hat, durch all die nass geheulten Papiertaschentücher zu Herrn Schramma zu kämpfen.

So. Jetzt wissen Sie, wie engagiert der Kölner sein kann, wenn es um das Wohlergehen seiner Stadt geht, und wollen wahrscheinlich genauso wie ich wissen, was die Initiative »Leitbild Köln 2020« sich überhaupt zum Ziel gesetzt hat. Ich lese mal vor:

Die fünf Handlungsfelder der Zukunft

▷die aufgeschlossene Wissensgesellschaft

▷die dynamische Wirtschaftsmetropole

▷die moderne Stadtgesellschaft

▷der lebendige Kulturstandort

▷die attraktive Stadtgestaltung

Die Einzelheiten hier aufzuzählen würde den Rahmen dieses Buches mit Sicherheit sprengen. Aber es liest sich gut, was man in der Broschüre auf www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/pdf01/leitbild/leitbild-broschuere.pdf so findet.

Ich will nur kurz auf ein Projekt der Arbeitsgruppe Stadtgestaltung von »Leitbild Köln 2020« eingehen, das ich persönlich sehr interessant finde. Es entstand unter intensiver Beteiligung der Kunsthochschule für Medien und heißt »Unortkataster«. Auf www.unortkataster.de können Kölner Bürger Orte markieren, die ihrer Meinung nach Unorte darstellen. Bausünden, schlechte Infrastruktur, wilde Müllhalden, soziale Brennpunkte. Ob jetzt miese Restaurants und Kneipen dazugehören, konnte ich leider nicht rausfinden, glaube aber, eher nicht. – Tatsächlich erhält die Stadt mit diesem Projekt »ein Instrument, um Mängel im Stadtbild zu markieren, zu beschreiben und zu bewerten«. Das finde ich toll. Und wie ich ming Kölle kenne, wird da sicher auch bald was getan. Demnächst. Also, in Kürze. Und recht flott.

GRUND NR. 8

Weil man nur hier im Abwasserkanal Klassikkonzerte genießen kann

Es gibt nur einen einzigen bis heute original erhaltenen Raum in Köln, der im Zweiten Weltkrieg keinen Schaden genommen hat. Gut für den Raum, gut für Köln, denn sonst wären die beiden schicken Kronleuchter dort möglicherweise kaputt und es gäbe eine Attraktion weniger am Rhein. Der an Köln interessierte Leser wird es ahnen, und der Kölner wird wissen, wovon ich rede: Der Kronleuchtersaal in der Kölner Kanalisation am Theodor-Heuss-Ring ist eine der bekanntesten Ungewöhnlichkeiten dieser Stadt. Die Führungen, die von den Stadtentwässerungsbetrieben jeweils samstags von März bis September angeboten werden, sind fast immer ausgebucht. Auch geschrieben wurde darüber schon in zahlreichen Reiseführern und Köln-Büchern. Eigentlich ein Grund für mich, ihn hier einfach mal außen vor zu lassen. Was mich allerdings reizte, war der Besuch eines Konzertes in diesem Raum. Viermal im Jahr wird dort Klassik gegeben beziehungsweise »wurde«, wie sich in einem Telefonat mit Ralph Bröcker, dem zuständigen Sachbearbeiter der Stadtentwässerungsbetriebe, rausstellte. 2013 wird die Fidel dort leider nur ein einziges Mal gestrichen und ausgerechnet an einem Termin, zu dem sich dieses Buch bereits im Druck befinden sollte. Schade. »Dann will ich mir den Raum aber trotzdem mal ansehen.« – Der überaus zuvorkommende Herr Bröcker schaufelte mich auch tatsächlich noch in eine eigentlich ausgebuchte Führung. Ich war gespannt, was mich erwartet. Bis heute. Denn ich entschied mich anders. Aber zuerst mal ein paar Fakten, dann die Geschichte, wie ich den Kronleuchtersaal nicht besuchte, ihn aber trotzdem hier als einen Grund, Köln zu lieben, anführe.

1881 wurde das Abwassersystem für die Kölner Alt- und Neustadt geplant und dann auch umgesetzt. Das System sah einen Tiefsammler am Rheinufer, einen parallelen, höher gelegenen Hochsammler und einen Ringkanal zur Entwässerung der Altstadt vor. Dem Abwasserfachmann sagt das bestimmt eine Menge, denn das System galt damals als vorbildlich. Ich habe keine Ahnung davon, glaube das aber ungeprüft, da ich an die kölsche Ehrlichkeit glaube. Weiter. Im Kronleuchtersaal treffen sich Hochsammler und Ringkanal und werden von dort zum Kölner Klärwerk geleitet. Der Raum dient als sogenanntes Regenentlastungsbauwerk. Will heißen: Bei heftigem Regen läuft der Ringkanal über und das Wasser wird durch einen weiteren Kanal direkt zum Rhein geführt. So viel zum Verlauf der Kölner Kacke.

Wie kam es aber zu den Kronleuchtern? Grund war nicht etwa der Kölner Hang dazu, öfter mal ein Späßchen zu machen, als vielmehr das Bedürfnis, allen zu zeigen, was für tolle Sachen man kann. 1890 wurde das Kanalisationssystem feierlich eingeweiht. Ein bisschen angeben schadet ja nix, hat man sich gedacht, und niemand Geringeren als Kaiser Wilhelm II. zu dieser Feierlichkeit eingeladen. Damit er sich ein wenig heimisch fühlt, schmückte man den Raum mit zwei Kronleuchtern à sechs Kerzen. Und wartete. Und wartete. Und wartete. Jedoch der Kaiser, er kam nicht. Hatte sich wohl beim Essen wieder mit Bismarck gestritten, war dementsprechend mieser Laune und hatte keinen Bock auf Menschen. Stattdessen kamen die Besucher. Und zwar in Scharen. Zumindest seit dem Jahr 2000. Damals erkannten die Herrscher über die Stadtentwässerungsbetriebe, welche Perle sich da zwischen all dem unterirdischen Unrat befindet, und veranstalten seitdem ebenjene Führungen und Konzerte, zu denen ich nicht gekommen bin. Und zwar weil:

Herr Bröcker hat mir den Platz in der 16.00-Uhr-Führung verschafft. Eine Woche vor dem Termin kommt die erfreuliche Nachricht, dass ein Video der lustigen Satire-Seite »Der Postillon«, in dem ich mitspiele, für den Webvideopreis nominiert ist. Unglücklicherweise findet die Preisverleihung am selben Datum statt. Beginn 17.30 Uhr. In Düsseldorf. Obwohl auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, ziehe ich los mit dem Wissen, dass die Führung nur eine halbe Stunde dauert und ich von der Haltestelle Ebertplatz in knapp 40 Minuten in Düsseldorf sein kann. Kurz vor 16.00 Uhr stehe ich am Eingang zum Kronleuchtersaal: eine grüne Bodenklappe, Nähe Ebertplatz, am Rande des kleinen Parks, an der Kreuzung Theodor-Heuss-Ring/Clever Straße.

Ein Geschichtslehrer, zwei Sozialkundelehrerehepaare und circa zwölf weitere Kronleuchterinteressierte waren noch pünktlicher als ich. Interessiert informieren sie sich an den rings um den Eingang aufgestellten Originalplänen über das Abwasserkonzept der Kölner Alt- und Neustadt. Weniger pünktlich ist leider die Gruppe, die sich noch im Untergrund befindet. Nach zehn Minuten werde ich nervös, nach elf beschließe ich, zu gehen. Zwei Minuten später mache ich mich auf den Weg zur Bahn.

Der führt an einem Weiher vorbei. Kinder spielen am Ufer, ein junges Ehepaar schiebt glücklich ihre Zukunftsinvestition in zwei Kinderwagen an mir vorbei und eine Gruppe Jugendlicher spielt Handy-Vergleich. Ich frage mich, ob diesen Menschen wohl bewusst ist, worauf sie da gerade laufen: über einen 120 Jahre alten Raum, durch den wahrscheinlich just in diesem Moment ihr eigenes Spülwasser fließt. Ein Raum, der zwei Weltkriege schadlos überstanden hat, geschmückt für einen Kaiser, der ihn nie zu Gesicht bekam. Ein Raum, durch den Regenwasser, ins Klo gefallene Eheringe und überschüssige Schildkröten fließen und der nur deshalb zur Attraktion wurde, weil dort ein Kronleuchter hängen geblieben ist. Das gibt es nur in Köln. Ich liebe diese Stadt.

Nachtrag, der Eitelkeit wegen: Wir haben den Webvideopreis erhalten.

GRUND NR. 9

Weil man hier genügend Abstand zu Düsseldorf hat

Ganz Deutschland weiß es: Köln und Düsseldorf, das ist wie Hund und Katze, wie Katz und Maus, wie Maus und Käse, wie Käse und Loch. Wobei ich mich hier keinesfalls festlegen möchte, wer jetzt Hund, Katze, Maus, Käse oder Loch ist. Fest steht: Kölner und Düsseldorfer haben ein Problem miteinander. Gründe gibt es dafür einige. Meist historische. Der älteste davon heißt: »Die Schlacht von Worringen«, die im Jahr 1288 stattfand. In ihr soll, so geht die Mär, der Ursprung der Rivalität liegen. Ich versuche mal, die etwas komplizierten Fakten dazu auf den Punkt zu bringen. Bei der Schlacht von Worringen ging es um zwei Probleme. Eines hatte der Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg mit Adolf von Berg, weil dieser versuchte, bei der Wahl 1274 seinen Bruder als Erzbischof durchzusetzen. In heutigen Dimensionen umgesetzt, würde das heißen: Angela Merkel ist Bundeskanzlerin, die Bundestagswahl steht vor der Tür und da kommt plötzlich Wolfgang Schäuble angerollt und sagt: »Leute, ich hab ’ne Schwester, die kann das noch viel besser als Angela.« Da würde der Dachstuhl in der CDU aber auch gewaltig brennen.

Beim zweiten Konflikt ging es um die Erbfolge im belgischen Limburg. Hier standen sich Graf Rainald von Geldern und Johann I., Herzog von Brabant, gegenüber. Warum die Belgier ihren Streit ausgerechnet im Kölner Vorort austrugen? Keine Ahnung. Das führt wohl auch zu weit. Die Worringer Wirrungen sind eh schon schwer genug zu verstehen. Zumindest für Nichthistoriker wie mich. Denn: Achtung! Die Kölner unterstützten bei dieser Schlacht nicht ihren Erzbischof von Köln, Herrn von Westerburg plus Kriegskumpan von Geldern, sondern – Achtung! – den Herzog von Brabant und Adolf von Berg. So sind sie halt auch schon mal, die Kölner. Es muss weit kommen, bis sie mal jemanden nicht mögen, aber wenn sie ihn nicht mögen, dann richtig. Da kann der auch Erzbischof sein in ihrer Stadt.

So nahm das Köln-Düsseldorf-Drama also seinen Lauf. Die gegnerischen Parteien trafen sich auf der Fühlinger Heide, kloppten sich, und am Ende gewann die Gang vom Brabanter Herzog, seinem Hoodie Adolf von Berg und den Kölnern. Bis hierher war die Kölner Welt noch in Ordnung, denn der ungeliebte Erzbischof bekam vorläufig Hausarrest auf Schloss Burg und die Kölner Bürger wurden endlich Chef im eigenen Dorf. Dann machte Adolf von Berg aber den historischen Fehler: Er verlieh Düsseldorf die Stadtrechte und erklärte die Stadt schließlich auch noch zu seiner Residenz. Mann, waren die Kölner da angezickt. Stadtrechte waren zu der Zeit nämlich bares Geld wert. Und da bekommen sie gleich ums nächste Eck so einen Möchtegern-Konkurrenten vor die Nase gesetzt.

Natürlich war das leicht überreagiert. Immerhin war Köln zu der Zeit die größte und bedeutendste Stadt im Deutschen Reich. Düsseldorf war ein Nichts. Allerdings entwickelte wohl dieser Fauxpas des Herrn von Berg ein Eigenleben, das bis heute Bestand hat. Natürlich kamen noch Dinge hinzu, wie zum Beispiel die Nichtberücksichtigung von Köln bei der Vergabe des Titels »Bundeshauptstadt« und die unerfüllte Hoffnung auf den Vize-Titel »Landeshauptstadt«. Bonn haben die Kölner verziehen, weil ja schließlich ihr Lieblingsbürgermeister Konrad Adenauer das damals so wollte, um näher bei seinem Häuschen in Rhöndorf zu sein. Aber Düsseldorf? Niemals.