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13 zum Teil skurrile Kurzgeschichten, die das Bewusstsein des Lesers in Frage stellen und verändern werden, wenn er sich auf Themen einlässt wie: Haben wir schon einmal gelebt? - Gibt es Zeitreisen? - Hat Gott die Erde erschaffen, oder ist sie aus dem Urknall entstanden?
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Seitenzahl: 103
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Sämtliche Personen, deren Namen, Handlungen und Ansichten, die in diesem Buch vorkommen, sind allein der Fantasie des Autors entsprungen und haben keinen Bezug zu lebenden oder bereits verstorbenen Personen.
1 Die Baumhütte
2 Die Frage
3 Bond, James Bond
4 Die Mondbatterie
5 Die neue Erde
6 Begegnung im Regen
7 Der Steinzeitcode
8 Die Entscheidung
9 Grenzerfahrung
Zeitreisende
10 Benedikt Fontana
11 Jörg Jenatsch
12 E.L. Kirchner
13 Auf der Titanic
«Die ganze Wahrheit kennt niemand ... Nicht einmal annähernd.»
«Wie meinst du das?»
«So, wie ich es sage!»
«Du meinst, wir werden nicht informiert?»
«So ist es. Wir leben in einer Art grossem Terrarium.
Mit Bergen, Wäldern, Meeren, Städten und Dörfern.
Der Himmel über uns ist eine Kuppel aus Glas oder etwas in der Art. Wir können nicht hindurchsehen, werden aber
Tag und Nacht von denen beobachtet, die uns, wie Fische in einem Aquarium, gezüchtet haben.»
«Das ist doch lächerlich!»
«Sonne und Mond und auch die Sterne sind vergleichbar mit Wärmelampen in Terrarien. Sie ermöglichen den
Fortbestand des Lebens.»
«Bezauberndes Märchen. Ich werde es heute Abend meinen Kindern als Gutenachtgeschichte erzählen.»
Liam hörte, dass es zu regnen begonnen hatte. Er drehte sich auf die andere Seite und versuchte, weiterzuschlafen. Doch etwas in ihm war nicht bereit dazu. Eine leise Stimme in seinem Inneren wollte ihm etwas mitteilen. Er horchte in die Dunkelheit und stellte fest, dass der Regen stärker wurde. Eine zeitlang hörte er, was ihm seltsam vorkam, jeden einzelnen Tropfen aufs Dach klatschen. Dann wurde der Rhythmus schneller und schneller, bis nur noch ein Rauschen zu hören war. Dazu schien ein gewaltiger Wind aufgekommen zu sein, der das ganze Haus und sogar sein Bett in Bewegung versetzte.
Liam tastete nach dem Lichtschalter ... und griff ins Leere. Auch sein Handy, das er vor dem Einschlafen auf den Nachttisch gelegt hatte, war nicht auffindbar. Er tastete den Boden ab, verlor das Gleichgewicht und fiel aus dem Bett.
«Was zum Teufel ..?»
Der Regen prasselte aufs Dach, der Wind zerrte am Haus. Der Boden schwankte wie ein Schiff auf hoher See. Liam kroch zurück ins Bett, das ihm plötzlich ungewohnt hart und schmal vorkam und seltsamerweise nach trockenem Gras oder Heu roch. Als er in der Dunkelheit prüfend die Wand abtastete, war ihm, als ob sie aus Holz wäre. Einen Moment lang dachte er daran, seine Frau aufzuwecken. Doch dann liess er es bleiben. Er wusste, dass Lea ungehalten reagieren konnte, wenn sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wurde. Also legte er sich auf die Seite und schlief wieder ein.
Als Liam das nächste Mal aufwachte, hatte der Regen nachgelassen. Durch ein kleines Fenster in der Wand gegenüber schien die Sonne in einen Raum von etwa fünf bis sechs Quadratmetern.
Wände aus rohen Brettern. Das Bett war eine aus Ästen zusammengezimmerte Pritsche. Die Matratze ein mit trockenem Gras gefüllter Jutesack. An einer Wand stand ein grob gezimmerter Holztisch und ein Stuhl. Über der Lehne hing seine Windjacke, auf der Sitzfläche lagen die Jeans, auf dem Holzboden darunter seine Trekkingschuhe, daneben, an die Wand gelehnt, stand ein dunkelgrüner, vollgepackter Rucksack. Aufgeschnürt ein eingerollter Armee-Schlafsack samt Aussenhülle mit der zentimeterdicken Schaumstoff-Liegematte, die Liam vom Militärdienst her kannte. Es sah aus, als ob er in der vergangenen Nacht zum Wandern ausgerüstet in dieser Hütte angekommen wäre, sich ausgezogen, seine Kleider auf den Stuhl und sich zum Schlafen auf die Pritsche gelegt hätte, vor der ein schmutziger alter Teppich den Boden bedeckte.
Über dem Tisch an der Wand hing ein roh gezimmertes Holzgestell, auf dem sich ein Krug, eine Tasse und ein Wasserglas befanden.
Verwirrt erhob Liam sich von seiner Liege und entdeckte an der rechtsseitigen Wand den Holzgriff einer Tür ... Knarrend schwang sie nach innen auf und gab den Blick auf einen kleinen Balkon frei. Was er von dort aus sehen konnte, verschlug ihm den Atem. Die Hütte, in der er die Nacht verbracht hatte, war auf den Ästen eines riesigen Baumes erbaut worden, der, höher als alle anderen Bäume, Teil eines Urwaldes zu sein schien. Rundum Bäume. Bäume und noch mehr Bäume. Soweit das Auge reichte.
Liam schaute in die Tiefe. Die Erbauer mussten, um in die Hütte und wieder zurück auf den Boden gelangen zu können, doch irgendwo eine Leiter oder mindestens Tritte angebracht haben. Doch konnte er nichts dergleichen entdecken. Er sah nur zwei der vermutlich drei oder vier gewaltigen Äste, auf denen die Baumhütte ruhte.
Langsam spürte er, wie sich ein beklemmendes Gefühl in seiner Brust bemerkbar machte. Angst!
«Wie bin ich mitten in der Nacht in diese Baumhütte gelangt? In einen Urwald? Ausgerüstet, als ob ich auf eine Wanderung gewollt hätte? Und wie komme ich wieder nach Hause», fragte er sich.
Liam legte sich auf die Pritsche und starrte die Bretter an, die über ihm das Dach der Hütte bildeten. Plötzlich hörte er Stimmen. Vogelstimmen. Rufe. Gezwitscher. Gebellartige Geräusche, unterbrochen von lang gezogenem Heulen. Er schloss die Augen, horchte und stellte fest, dass er keiner der Laute einer bekannten Spezies zuordnen konnte.
Irgendwann erhob er sich von seinem Lager, hievte den Rucksack aufs Bett, schnürte ihn auf und staunte. Er enthielt alles, was zum Überleben in der Wildnis benötigt wurde: Ein Survival-Kit mit Beil, Bushcraft-Messer, Taschenlampe und Kompass. Kocher mit Trockenbrennstofftabletten, eine Trinkflasche mit Becher und dazu in Tagesrationen verpackte hart gepresste Notrationen, die vermutlich für eine Woche reichen würden. Dann ein ziemlich schweres Teil, das sich als ein Ein-Mann-Zelt entpuppte. Dazu eine Plastikpelerine und eine kleine Apotheke. Was fehlte, war etwas Trinkbares. Wasser!
Liam inspizierte das Fenster gegenüber der Tür, das aus einer durchsichtigen Plastikfolie bestand, die rundum mit Holzleisten festgeschraubt worden war. Darunter, in Bodennähe, entdeckte er eine Art Pedal von etwa zwanzig Zentimetern Länge. Er drückte es mit dem Fuss nach unten. Eine Vorrichtung schwang auf, auf der eine mit Regenwasser gefüllte kleine blaue Tonne stand.
Liam nahm den Krug vom Gestell, tauchte ihn ins Wasser, stellte das Gefäss auf den Tisch, füllte das Glas und trank. Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, sass er längere Zeit da und überlegte, was er tun sollte.
«Das Ganze ist einfach nur verrückt!», murmelte er vor sich hin, setzte sich auf die Pritsche, stützte den Kopf in die Hände und starrte auf den Teppich unter seinen Füssen.
Dann hatte er eine Eingebung. Er liess sich auf die Knie fallen und zog den Teppich zur Seite ... Ein Metallring wurde sichtbar ... Als er daran zog, sprang eine Luke auf. Überrascht starrte er hinunter auf eine aus Ästen gezimmerte Leiter.
«Ich bin gerettet!», schrie er und tanzte mit ausgebreiteten Armen durch die kleine Hütte.
Nachdem er sich beruhigt hatte, verzerrte er die erste Notration, trank etwas Regenwasser, schloss die Luke, zog den Teppich darüber, legte sich auf sein Lager und überlegte, wie er mit dem riesigen Rucksack durch die kleine Öffnung auf die Leiter und von dort hinunter auf den Boden gelangen könnte.
Auf jeden Fall muss ich warten, bis die Äste trocken sind, dachte er, legte sich auf die Seite, schloss die Augen und lauschte mit Verwunderung den fremdartigen Stimmen des Urwaldes.
Der Wind wiegte die Hütte hin und her wie eine Mutter ihr Kind. Die sanfte Bewegung entspannte ihn, die Angst verschwand. Ein Gefühl von Geborgenheit, von Zuhausesein, breitete sich in ihm aus, wie er es noch nie erlebt hatte. Er hätte sich fragen können, wo auf der Welt er sich befand. Doch es war ihm egal. Seine Frau, sein Job, seine Kollegen, ja, sein ganzes altes Leben, mit allem, was dazugehörte, hatte jede Bedeutung verloren.
Im Wohnzimmer brannte Licht, als Liam die Augen aufschlug. Verwirrt blickte er um sich. Wenige Meter entfernt sah er ein Haus, das ihm bekannt vorkam ... Er schaute nach oben ... Das Hüttendach war verschwunden. Der Mond schien. Sterne blinkten. Wie war das möglich? Was war geschehen, während er geschlafen hatte?
Eine Gestalt tauchte aus dem Licht auf, schwebte auf ihn zu, kam näher und näher ...
«Bist du ein Engel?», fragte Liam verwirrt.
«Nein, ich bin Lea, deine Frau. Komm, steh auf, es ist schon spät.»
Liam rieb sich die Augen. Gerade eben hatte er sich in der Baumhütte noch so wohl gefühlt ... war dann wohl eingeschlafen ... um etwas später auf dem Liegestuhl vor seinem Haus aufzuwachen ... Wie verrückt war das denn?
Lea nahm ihren Mann an der Hand, zog ihn ins Wohnzimmer, schloss die Tür und drückte ihn auf die Couch.
«Leg dich hin, Schatz. Ich mach’ uns einen Tee. Und dann müssen wir reden! Ich will wissen, weshalb du vor zwei Tagen mitten in der Nacht verschwunden bist und wohin. Zudem würde mich interessieren, warum du riechst, als ob du eine Woche im Wald gelebt hättest?»
Es war nicht einfach. Probleme hatte Liam immer mit dem Verstand gelöst. Allerdings nur, wenn sie nichts mit seiner Frau zu tun hatten. Mit ihr wurde es immer schnell emotional. Und das behagte ihm nicht. Er fühlte sich dann jeweils, als ob er ein Minenfeld durchqueren müsste. Jede Frage konnte eine versteckte Sprengladung beinhalten, und eine falsche Antwort konnte sie hochgehen lassen. Deshalb überlegte er lange, was er Lea erzählen sollte.
«Wo ich war? Was meinst du damit?»
«Liam! Am letzten Samstagabend haben wir diesen Liebesfilm geschaut, sind danach ins Bett gegangen und haben noch lange über meinen Kinderwunsch geredet ... So gegen drei Uhr nachts bin ich aufgewacht, und du lagst nicht im Bett. Ich habe dich im ganzen Haus gesucht, doch du warst verschwunden. Dein Handy lag unter einem Kissen auf der Couch, und es war gesperrt. Hast du zu all dem eine Erklärung!?», schrie Lea.
«Bitte keine Panik!», murmelte Liam, beunruhigt über den emotionalen Ausbruch seiner Frau.
«Ok, aber es fällt mir nicht leicht!»
«Mir auch nicht, Schatz, das kannst du mir glauben. Denn weder weiss ich, wie ich mein Bett verlassen habe, noch wie ich mitten in der Nacht in diese Baumhütte geraten bin.»
«Wie? Du warst in einer Baumhütte?»
«Genau. Doch wie ich dorthin gelangt bin, weiss ich nicht. Es war dunkel, als ich aufwachte, und es regnete. Zuerst hörte ich nur einzelne Tropfen, dann prasselte es immer heftiger, bis es rauschte wie ein Wasserfall. Und der Wind das Haus in Bewegung versetzte ...»
«Das Haus?»
«Ja, weil ich im Halbschlaf dachte, dass ich zu Hause wäre. Ich wunderte mich, weshalb mein Bett plötzlich so hart war und dachte daran, dich aufzuwecken. Doch dann war ich zu müde, der Sache auf den Grund zu gehen und schlief wieder ein. Als ich aufwachte, war es Tag. Und ich lag auf einer Pritsche in einer Baumhütte ...»
Lea hatte schweigend zugehört.
«Und, wo war diese Hütte, Schatz?», fragte sie gefährlich leise.
Liam strich sich mit der Hand über die Augen.
«Mitten in einem riesigen Wald. Den Vogelstimmen nach in einem Urwald. Mein Baum war höher als alle anderen, und in der Hütte befand sich ein grosser Rucksack mit allem, was man zum Überleben in der Wildnis benötigt ...»
Lea starrte längere Zeit schweigend vor sich hin. Dann begann sie zu reden: «Liam, wir haben doch immer alles zusammen gemacht. Uns immer alles anvertraut. Keine Geheimnisse voreinander, ganz egal, was Schlimmes geschehen mag, das haben wir uns versprochen, oder? Deshalb habe ich dir auch von meinem Kinderwunsch erzählt, obwohl ich wusste, dass dich das in Bedrängnis bringt, weil du noch jede Menge andere Dinge erleben möchtest, die mit einem Kind nicht vereinbar sind ...»
Liam erschrak, als ihm klar wurde, was seine Frau im Schilde führte. Sie wollte in die Hütte. Auf seinen Baum hinauf. Den Wald kennenlernen, den er selbst noch gar nicht hatte erforschen können, weil die Leiter nass vom Regen gewesen war.
«Äh, ja ... Haben wir uns das wirklich alles versprochen?», stammelte er.
Leas Gesicht bekam plötzlich Farbe. Aus ihren Augen schossen Blitze.
«Natürlich haben wir das!», schrie sie.
«Übrigens auch das mit dem Handy. Sag nicht, du hast es vergessen! Ich konnte nicht darauf zugreifen. Hast also doch etwas zu verbergen! Raus mit der Sprache! Ich will wissen, wer diese Frau ist? Wie lange geht das schon mit euch beiden?»
Und dann, schluchzend: «Wie konntes du mir das nur antun, Liam?»