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In der ersten Kurzgeschichten wird erzählt, wie wichtig die Liebe in einer Trauerphase für die Menschen ist. Der geliebte Familienvater einer jungen Familie verstirbt wenige Tage vor Weihnachten plötzlich bei einem tragischen Unglücksfall. Die Liebe der Familienmitglieder untereinander und zum verstorbenen Vater machen Wunder möglich. In der zweiten Kurzgeschichte wird eine junge Urlaubsliebe wieder zerrissen, weil ein großes Missverständnis und fehlendes Vertrauen die Liebe zweier Menschen, die noch an die große Liebe glaubten, beinahe zerstören. Zwei gebrochene Menschen bleiben zurück. In der dritten Kurzgeschichte erkennt der Leser, wie wichtig die Hoffnung für eine Liebe ist. Gebete für einen schwerverletzten Geliebten und der feste Glaube an seine vollständige Genesung werden erhört. Liebe, Hoffnung und Zeit heilen auch die schlimmsten Wunden.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Drei Kurzgeschichten
über die
Liebe
Horst Rasch alias Paul Marnou ist im Mai 1947 geboren, verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Er war 42 Jahre mit Leib und Seele als Hauptschullehrer tätig, davon fast 40 Jahre an der Hermann-Claudius-Hauptschule in Marl. 2012 ging er mit 65 Jahren in den Ruhestand. Kurz nach seiner Pensionierung studierte er die Hunderassen im Verband deutscher Hundezüchter und entdeckte eine Hunderasse, die ihm bisher unbekannt war, den Eurasier. Er besuchte mit seiner Familie Hundeausstellungen und Züchter. Schon bald gehörte Eurasiermädchen B-Mila vom Jagdschloss Stutensee zur Familie, die seitdem stets an seiner Seite bleibt. Auf den ausgiebigen Spaziergängen mit Mila lässt er nicht nur die Seele baumeln. Dort entwickeln sich auch die Ideen zu seinen Büchern.
Copyright: Paul Marnou
Jahr: 2022
Herausgeber: Paul Marnou
Adresse: Horst Rasch, Emslandstraße 5, 45770 Marl
E-Mail: [email protected] / [email protected].
Website des Autors: https://www.autor-paul-marnou.de
Autor: Paul Marnou
Covergestaltung: Paul Marnou
Illustration: Paul Marnou
Lektorat/Korrektorat: Paul Marnou und Maren Rasch
Selbstverlag: bei tolinomedia
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig.Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugangmachung.
Kurzgeschichte 1
Liebe und Trauer
Das Weihnachtsfest
Ein bitterer Abschied
Und sie hatten noch so viel vor.
So fern und doch so nah.
Was ist mit Philipp?
Eine einfühlsame Nachweihnachtsgeschichte
Ein langsamer Abschied
--
Kurzgeschichte 2
Liebe und Vertrauen
Josies Tapetenwechsel
Endlich, ein Traum wird wahr.
Ein aufregendes und sehr schönes Gefühl.
Geht Josie den Weg der Liebe?
Liebe kann sehr, sehr weh tun.
Ein Herz droht zu zerreißen.
Ein schmerzendes Missverständnis.
Ein ergreifendes Wiedersehen.
--
Kurzgeschichte 3
Liebe und Hoffnung
Das Wiedersehen
Dr. Hinz wird vermisst.
Arme Marie
Ein Wiedersehen voller Furcht
Das Weihnachtsfest
Ein bitterer Abschied
Und sie hatten noch so viel vor.
So fern und doch so nah.
Was ist mit Philipp?
Eine einfühlsame Nachweihnachtsgeschichte
Ein langsamer Abschied
Familie Woltersmann saß wenige Wochen vor Weihnachten wie fast jeden Morgen gemeinsam am Frühstückstisch. Zur Familie gehörten Mutter Heidi, Vater Gerd, die Erstgeborene, Tochter Anna, der Zweitälteste, Sohn Ferdinand und Nesthäkchen Philipp. Das Weihnachtsfest bestimmte schon seit einige Tagen den Inhalt des Gesprächsstoffs der Woltersmanns. Natürlich äußerten die beiden älteren Kinder regelmäßig ihre Weihnachtswünsche.
„Alle meine Freundinnen und Freunde in meiner
Klasse haben schon die neuesten Smartphones. Meins ist schon über zwei Jahre alt und kaum noch leistungsfähig genug, um die neuesten Apps nutzen zu können. Ich würde mich riesig über ein aktuelles Smartphone freuen“, wünschte sich Anna.
„Beim Fußball bin ich der Einzige, der noch mit uralten Fußballschuhen spielt. Die Schuhe, in denen Mario Götze spielt, würden mir riesig gefallen“, schloss Ferdinand seinen Wunsch an.
Vater und Mutter baten sie, bei den Weihnachtswünschen die aktuellen finanziellen Möglichkeiten zu berücksichtigen.
Gerd bat seine Kinder um Verständnis und erinnerte sie an zurückliegende Versprechen:
„Wir verstehen euch ja und würden euch zu Weihnachten alle Wünsche erfüllen. Aber unser neues Haus muss finanziert werden. Wir haben mit euch vor dem Hauskauf ausführlich darüber gesprochen. Dafür bekam jeder ein eigenes großes Zimmer mit einem Schreibtisch, einem Laptop und einem eigenen Fernseher. Wir haben im ganzen Haus Wlan. Ihr verspracht uns vor dem Hauskauf, auf vieles zu verzichten, wenn ihr nur ein eigenes Zimmer bekommt.“
„Papa fährt morgen zur Jahresabschlussbesprechung seiner Firma nach Bremen. Vielleicht erleben wir dort eine Überraschung“, versuchte Mutter Heidi zu beruhigen.
Dadurch wurde bei Anna die Neugier geweckt:
„Was meinst du mit Überraschung?“
Gerd blieb nichts anderes übrig, als Heidis Äußerung zu erklären:
„Die Abschlussbesprechung in der Firma wird nicht lange dauern. Die anschließende Weihnachtsfeier beginnt mit der Vergabe von Gratifikationen. Da die Stelle des Außendienstkoordinators nach dem altersbedingten Ausscheiden von Herrn Schneider frei geworden ist, besteht die Möglichkeit, dass die Stelle morgen neu besetzt wird.“
Anna zerplatzte fast vor Ungeduld:
„Papa, bitte spanne uns nicht auf die Folter. Was bedeutet das für dich und für uns?“
Gerd beantwortete die Frage ruhig und lächelnd:
„Es könnte sein, dass ich der Nachfolger von Herrn Schneider werde. Außer mir gehören noch zwei weitere Kollegen zum Anwärterkreis. Falls ich die Stelle bekomme, bräuchte ich nicht mehr als IT-Fachberater von Kunde zu Kunde durch Deutschland reisen. Als Außendienstleiter würde ich die Kundeneinsätze meiner Arbeitskameraden managen und bei der neuen Aufgabe erheblich mehr verdienen.“
Anna und Ferdinand tanzten durchs Haus, als wenn ihr Vater schon den neuen Posten hätte. Sie waren kaum zu bremsen.
Am nächsten Morgen saß die Familie wieder gemeinsam am Frühstückstisch. Die Stimmung war natürlichen lockerer als üblich, kein Nörgeln, Murren oder Trödeln.
„Papa hast du noch genügend Zeit, um uns zur Schule zu bringen, bevor du nach Bremen fährst?“, fragte Anna.
„Kein Problem mein Schatz, ich lade euch auf meiner
Fahrt zur Autobahn an der Schule ab“ , antwortete Gerd, „und wie kommt ihr zurück?“
„Ich werde sie abholen“, entgegnete Heidi, „vergesst nicht, eure Pausenbrote einzupacken.“
Wenig später saß Gerd mit seinen geliebten Nervensägen im Firmenauto. An der Schule verabschiedete er sich von seinen Kindern:
„Passt gut in der Schule auf. Ich habe euch lieb. Bis heute Abend.“
„Hoffentlich überrascht du uns mit einer guten Nachricht“, wünschte sich Anna.
Ohne größere Verkehrsprobleme erreichte Gerd nach drei Stunden den Stammsitz seiner Firma. Er fühlte ein leichtes Brummeln in seinem Magen. Da er gut gefrühstückt hatte, musste das ein Zeichen seiner Nervosität sein.
In dem Besprechungsraum herrschte eine aufgelöste Stimmung. Gerd begrüßte seine Kollegen per Handschlag. Auf dem im Oval aufgestellten Konferenztisch standen kleine Namenskärtchen, auf denen die Namen aller Außendienstmitarbeiter zu lesen waren. Unter den Namensschildern lagen in jedem Jahr Umschläge, in denen höchstwahrscheinlich die Gratifikationsschecks verborgen waren. Kaffee, Tee, Säfte, Mineralwasser und kleine Knabbereien standen zum Verzehr bereit. Nachdem Gerd sein Namenskärtchen entdeckte hat, setzte er sich an gleicher Stelle an den riesigen Tisch. Als Geschäftsführer Herr Arnd den Raum betrat, nahmen auch Gerds Kollegen sofort Platz.
Herr Arnd gab einen kurzen Jahresrückblick für das abgelaufene Geschäftsjahr. Er bedankte sich bei seinen Mitarbeitern für ein sehr erfolgreiches Geschäftsjahr.
„Wir verfahren in diesem Jahr anders als in den vergangenen Jahren. Ich freue mich, ihnen den Dank unseres Unternehmens in Form eines Schecks jetzt schon überreichen zu dürfen und nicht erst unmittelbar vor der Weihnachtsfeier. Sie haben den Scheck schon unter ihren Namenskärtchen entdeckt. Greifen sie zu. Das gilt selbstverständlich auch für die Kleinigkeiten zum Verzehr. Denken sie bitte daran, dass anschließend unsere alljährliche Weihnachtsfeier im kleinen Sitzungssaal stattfindet. Dort wird gerade ein üppiges Büfett für einen erweiterten Personenkreis, zu dem auch wir gehören, aufgebaut. Bevor wir die Räumlichkeiten wechseln, darf ich aber noch eine Beförderung aussprechen.“
Ein Murmeln ging durch den Raum und die Blicke der Mitarbeiter konzentrierten sich auf drei Personen. Zu ihnen gehörte auch Gerd.
„Wie sie wissen wechselte unser Leiter der Außendienst-Koordination, Herr Schneider, in den wohlverdienten Ruhestand. Wir haben drei Mitarbeiter, die schon seit vielen Jahren erfolgreich für das Unternehmen tätig sind und von unseren Kunden wegen ihrer hervorragenden Leistungen mit Lob überschüttet werden. Sie wissen, dass wir versuchen, gerecht vorzugehen. Da die in Frage kommenden Mitarbeiter gleich gut für die neue Aufgabe qualifiziert sind, bestimmt wie in der Vergangenheit auch bei Herrn Schneider, die Länge der Betriebszugehörigkeit die Nachfolge von Herrn Schneider. Herr Woltermann kommen sie bitte zu mir.“
Alle Anwesenden applaudierten lautstark, als Gerds Nachname fiel. Herr Arnd überreichte ihm, verbunden mit einem kräftigen Händedruck, die Beförderungsurkunde. Gerd musste mehrfach tief durchatmen, bevor er seinen Dank aussprechen konnte. Auf dem Weg zurück zu seinem Platz drückte er gerne die ihm gereichten Hände zur Gratulation. Nach wenigen Minuten wechselten alle Herren in den kleinen Sitzungssaal, in dem in einer Ecke ein großer, prächtig geschmückter Weihnachtsbaum stand. An der langen Fensterseite des Raumes wurde ein reichhaltiges Büfett aufgebaut, das keine Wünsche offenließ. Gerd betrat in Begleitung eines Kollegen, der auch zu den drei Anwärtern gehörte, den Saal. Mehrfach zeigte er mit Stolz seine Urkunde. Mit einem Glas Sekt prostete er auf seine neue Aufgabe an. Dieses Glas Sekt war das einzige alkoholische Getränk, das er bei der Feier zu sich nahm. Einige Minuten vergingen, bevor Gerd sich dem opulenten Büfett näherte. Mit Essen, Reden und Lachen verging die Zeit wie im Flug.
Am frühen Nachmittag löste sich die Gesellschaft allmählich auf. Gerd ging mit einem Lächeln im Gesicht zu seinem Auto. Er konnte es kaum erwarten, mit seiner Familie zu telefonieren.
Er setzte sich in seinen Firmenwagen und nahm über die Fernsprechanlage des Autos Kontakt zu seiner Familie auf. Natürlich war er aufgeregt und sein Herz schlug schneller als normal. Am anderen Ende meldete sich seine Frau Heidi, umrangen von den Kindern Anna, Ferdinand und Philipp.
Die positive Unruhe am anderen Ende der Leitung blieb ihm natürlich nicht verborgen.
Die Kinder redeten alle durcheinander und jedes Kind wollte zuerst eine Frage stellen.
„Ist Papa befördert worden”, fragt Anna, „bitte spanne uns nicht so sehr auf die Folter.”
Gerd lockerte die Stimmung in seiner Familie auf:
„Stellt eine Flasche Sekt kalt. Ich bin befördert worden und habe die Stelle des Außendienstkoordinators bekommen. Vielleicht wird das Christkind auch davon erfahren.”
Die Kinder wussten natürlich sogleich, was die letzte Bemerkung ihres Vaters für sie zu bedeuten hatte.
„Wann wirst du circa zu Hause sein?”, fragte Heidi.
„Ich denke in 2 Stunden, wenn ich nicht in zu viele Staus hineingerate”, antwortete Gerd.
„Fahre bitte vorsichtig. Wir freuen uns auf dich,“ bat Heidi.
Wenige Minuten später fuhr er auf die Autobahn. Im Moment floss der Verkehr normal.
„Wenn das die ganze Zeit so bleibt, werde ich pünktlich zu Hause sein”, teilte Gerd seiner Frau mit.
Gerd freute sich schon riesig, seine Familie in die Arme nehmen zu können.
Zu Hause wurde er von seiner Familie sehnsüchtig erwartet.
Während der Fahrt stellte sich Gerd immer wieder vor, was jetzt zu Hause los ist?
„Mama, rufe Papa bitte an und sage ihm, dass er vorsichtig fahren möchte“, bat Anne ihre Mutter.
Gerd überraschte dieser Anruf gar nicht. Leider hatte er einige Probleme bei der Annahme des Anrufes. Er konzentrierte sich Bruchteile von Sekunden auf den grünen Hörer an seinem Lenkrad, um den Anruf anzunehmen. In diesen Momenten verlor er den Blick auf den Verkehr. Zu spät bemerkte er den plötzlich zum Überholen ausscherenden Lkw vor sich. Er fuhr ungebremst auf den Lkw auf. Gleichzeitig wurde die Telefonverbindung zu seiner Familie hergestellt, die das fürchterliche Geräusch des Aufpralls am Telefon hilflos miterleben musste. Auch das weitere Geschehen war klar und deutlich zu hören, das quietschende Geräusch von abbremsenden Autos, die aufgeregten Stimmen der zur Unfallstelle geeilten Menschen, deren entsetzte Reaktionen beim Anblick des Verunglückten.
“Schatz Rede mit uns, bitte, wie geht es dir?”, flehte Heidi verzweifelt und immer wieder, “bitte sage uns, wie es dir geht. Wir brauchen dich doch. Wir lieben dich so sehr.”
„Ich spreche doch mit euch. Warum versteht ihr mich nicht. Oh, mein Gott, der Tote in dem Auto bin ja ich. Meine Familie braucht mich jetzt besonders, meine geliebte Frau und meine geliebten Kinder. Ich muss sofort zu ihnen, um ihnen beizustehen und zu sagen, dass ich bei ihnen bin.“
Dann wurde die Telefonverbindung unterbrochen. Polizei Feuerwehr und Unfallfahrzeuge trafen an der Unfallstelle ein. Bei dem Aufprall rutschte Gerd mit seinem Firmenwagen unter den Lkw. Bevor die Feuerwehr das Auto bergen konnten, versuchten Feuerwehrleute und Ärzte zu Gerd vorzudringen. Sie wollten sich vergewissern, ob der Pkw unter dem Lkw hervorgezogen werden kann, ohne den Fahrer dabei zu verletzen. Nach wenigen Minuten kam das Zeichen zum Beginn der Bergung. Mit einer Seilwinde wurde Gerd in seinem Firmenwagen langsam unter dem Lkw herausgezogen. Das Autodach wurde beim Aufprall teilweise abgerissen. Mit einer riesigen Metallschere trennten die Feuerwehrleute den Rest des Autodaches ab. Die Ärzte stellten schon vorherunter dem Auto den Tod von Gerd fest und gaben deshalb das Zeichen zur Bergung.
Ärzte und Sanitäter starteten mit der Bergung des Toten.
“So etwas habe ich noch nie gesehen. Trotz der starken Kopfverletzungen ist in dem Gesicht des Verstorbenen noch ein Lächeln zu erkennen”, stellte eine Ärztin erschüttert fest.
„Ja natürlich lächle ich. Warum sollte ich traurig sein. Ich habe ja eine gute Nachricht für meine Familie. Mit dem leblosen Körper habe ich nichts zu tun.“
Heidi wartete zu Hause verzweifelt mit ihren Kindern auf eine klärende Nachricht. Sie ahnten, dass etwas Fürchterliches geschehen sein musste.
An der Unfallstelle bargen Feuerwehrleute zur gleichen Zeit Gerds leblosen Körper aus dem total zerstörten Auto. In den Taschen der Jacke, die Gerd trug, fanden die Sanitäter die Wagenpapiere, den Personalausweis und das Handy. Heimatadresse und Festnetznummer wurden dadurch schnell ermittelt.
„Hallo, diese Angaben hätte ich ihnen auch geben können. Aber sie beachten mich ja gar nicht. Ich befinde mich direkt über ihnen.“
“Wir müssen Kontakt zu den Kollegen in der Heimatstadt des Toten herstellen, damit die Familie unterrichtet wird. Wir wissen inzwischen, dass der Verunglückte verheiratet ist und drei Kinder hat. Ich möchte nicht in der Haut der Kollegen stecken, die die traurige Nachricht der Familie überbringen müssen und das in der Vorweihnachtszeit”, teilte der Einsatzleiter seinen Kollegen mit, “das Leben ist manchmal sehr ungerecht.”
„Was geht hier vor. Ich bin nicht tot. Das, was einen Menschen ausmacht, bin ich, die Seele. Sie ist das Leben. Sie bestimmt den Menschen, seine Mimik und Gestik, sein Lachen, seine Freude, sein Empfinden. Deshalb kehre ich jetztzu meiner Familie zurück und nehme sie in meine Arme. Die muss keiner von euch aufsuchen, um ihr eine traurige Nachricht mitzuteilen. Ihr werdet sie nur verängstigen und in eine tiefe Trauer stürzen. Der Tote ist doch nur eine leblose Hülle. Das Leben und die Seele von Gerd Woltermann bin ich, der Ehemann und Vater.“
Gerds Leiche wurde zur genauen Feststellung der Todesursache in ein nahe gelegenes Krankenhaus gefahren.
„Er musste unmittelbar vor dem tödlichen Unfall mit seiner Familie telefoniert haben”, bemerkte ein Polizist, der sich das Handy näher angeschaut hat, „da wir das Handy in seiner Jackentasche gefunden haben, kann er nur über die Freisprechanlage gesprochen haben. Außerdem ist es sicher, dass er das Gespräch annahm. Vielleicht wurde er bei der Annahme des Gespräches kurz abgelenkt?”
„Ja, das ist richtig. Meine liebsten mussten doch von meiner Beförderung erfahren. An eine Ablenkung kann ich mich nicht erinnern. Das wüsste ich. Aber irgendwas muss geschehen sein. Sonst wäre ich nicht aus dem Körper entwichen. Vielleicht habe ich die Möglichkeit, wieder in die Hülle zurückzukehren?“
Im Krankenhaus stellten die Ärzte fest, dass Gerd beim Aufprall auf die hintere Laderampe des Lkws einen Genickbruch erlitten hatte.
„Sind die auswärtigen Kollegen, die die traurige Nachricht seiner Familie übermitteln müssen, schon informiert?“, fragte der Einsatzleiter in die Runde seiner Kollegen.
„Ja, das ist bereits geschehen. Sie wollen nur noch eine Seelsorgerin des Roten Kreuzes hinzuziehen. In den nächsten 30 Minuten werden sie bei der Familie eintreffen. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken“, antwortete ein Sanitäter.
„Seelsorgerin? Was soll das? Um mich muss sich keiner bemühen. Mir geht es gut. Um meine Familie kümmere ich mich selber.“
Die Seelsorgerin und der Polizist gaben sich sehr viel Mühe, das traurige Geschehen Gerds Familie so schonend wie möglich mitzuteilen. Das, was Heidi schon befürchtet hatte, wurde zur traurigen Wahrheit . Wenige Tage vor Weihnachten musste Heidi die Beerdigung ihres geliebten Ehemannes und Vaters vorbereiten.
„Heidi, ich bin nicht tot. Siehst du mich nicht. Ich kann dich fühlen. Ihr steht doch direkt vor mir. Eure Wärme spüre ich deutlich. Bitte versucht, mich zu sehen, dann geht es euch sofort besser.
Oh Gott, sie nehmen mich nicht wahr. Sie sehen und fühlen mich nicht. Was kann ich nur machen?“
Die trauernden Kinder versuchten, ihre Mutter so gut wie möglich zu unterstützen.
„Ich hätte dich nicht bitten dürfen, Papa noch einmal anzurufen, damit er vorsichtig fährt. Sicher wäre er dann gesund zu Hause angekommen“, warf sich Anna immer wieder und immer wieder mit Tränen in den Augen vor, „ich bin schuld am Tod von Papa.“
„Ich bin nicht tot. Ich lebe. Woran solltest du Schuld haben? Dein Papa liebt dich. Schau mich bitte an. Mir fehlt dein Lächeln.“
Heidi versuchte vergeblich, Anna zu trösten.
Stunden nach der Beerdigung saß Heidi mit ihren Kindern schweigend im Wohnzimmer. Sie versuchte, sich zusammen zu reißen, um ihren Kindern einen Halt zu geben.
„Vielleicht kann ich Heidi helfen. Eine unsichtbare Wand scheint zwischen uns zu stehen. Anders kann ich mir nicht erklären, dass sie für mich nicht erreichbar sind. Möglicherweise mache ich etwas falsch. Hoffentlich hilft mir die Zeit.“
„Wir müssen jetzt besonders stark zusammenhalten.
Das wäre der Wunsch von Papa. Er würde es nicht gerne sehen, wenn wir seinetwegen die Zukunft vergessen und nur weinen und trauen. Das Leben muss, auch in dieser traurigen Zeit, weitergehen. Ich weiß, dass das sehr, sehr schwierig ist und ich viel von euch verlangt. Auch mein Herz erfüllt eine tiefe Trauer.“
„Du hast vollkommen recht, mein Schatz. Bitte lacht wieder. Ihr habt mich nicht verloren. Wir werden uns bald wiedersehen. Ihr müsst ganz fest daran glauben. Irgendwann werdet ihr erkennen, dass ich euch nie verlassen habe.“
Anna und Ferdinand senkten schweigend ihre Köpfe und Tränen tropften auf den Parkettfußboden.
Der kleine Philipp saß in seinem Babysessel. Er verstand noch nicht, was geschehen war. Trotzdem fragte er immer wieder nach seinem Papa: „Papa?“, „Papa?“. Zu dieser Zeit kam sein Papa immer von der Arbeit nach Hause und kuschelte ausgiebig mit ihm.
„Papa wird bald bei dir sein. Es wird nicht lange dauern. Dann werden wir wieder schmusen und spielen.“
In den nächsten Tagen lebte die junge Familie immer dicht beieinander, aber jeder in sich gekehrt. Es wurde nur ganz wenig geredet. Jeder versuchte, seine Trauer so wenig wie möglich zu zeigen, um den anderen nicht zu belasten.
Heidi schickte ihre Kinder nach zwei Tagen wieder bewusst zur Schule, damit diese ihren Kopf ein wenig freibekamen. Die Mitschülerinnen und Mitschüler gingen sehr verständnisvoll mit Anna und Ferdinand um.
Nach der Schule saßen sie gemeinsam am Mittagstisch. Ein Stuhl am Tisch blieb frei. Plötzlich faltete Anna ihre Hände und begann ein Gebet, was sie noch nie vorher getan hatte.
„Lieber Gott, beschütze bitte unseren Papa und sorge dafür, dass es ihm dort, wo er jetzt ist, gut geht und er von dort auf uns aufpasst und uns nie vergisst. Sage ihm bitte, wie sehr er uns fehlt. Wir versprechen ihm, gemeinsam auf uns aufzupassen. Wir werden ihn niemals vergessen. Hilf bitte unserer Mama, diese schwere Zeit gesund zu überstehen. Ich danke dir lieber Gott.“
„Ich sitze auf dem Platz, auf dem ich immer gesessen habe. Danke, dass ich weiterhin hier sitzen darf. Eure Traurigkeit tut mir sehr weh. Alles würde ich geben, um die Trauer von euch zu nehmen. Bitte verzeiht mir, dass mir das jetzt noch nicht gelingt.“
Sie schauten sich an, reichten sich die Hände und ließen ihren Tränen freien Lauf.
In der Schule wurden Anna und Ferdinand zu jeder Zeit an das nahende Weihnachtsfest erinnert. In der Aula stand wie jedes Jahr ein großer Weihnachtsbaum, den wie immer die Kinder der fünften Klassen schmücken dürfen. In diesen Momenten dachten Anna und Ferdinand an ihren verstorbenen Papa und an das diesjährige Weihnachtsfest zu Hause. Normalerweise hielten die beiden sich in den Pausen bei ihren Klassenkameraden auf. Seit dem Tod ihres geliebten Vaters saßen die beiden in den Pausen zusammen auf einer Bank des Schulhofes. Nach wenigen Tagen versuchten die ersten Klassenkameraden wieder Kontakt zu ihnen herzustellen. Sie nahmen diesen Kontakt gerne an und nur wenig später schlossen sie sich wieder ihrer Klassengemeinschaft an.
„So ist es richtig. Lasst euch von euren Mitmenschen helfen, solange ich das noch nicht kann.“
Als sie das Zuhause ihrer Mutter erzählen, sah man dieser eine große Erleichterung an. Beim Abendessen fragte Ferdinand:
„Stellen wir dieses Jahr keinen Weihnachtsbaum auf?“
„Warum fragst du mein Schatz?“, erkundigte sich Heidi.
„Papa wollte mit mir in der nächsten Woche den Weihnachtsbaum aussuchen“, antwortete Ferdinand.
„Wenn Papa uns jetzt sieht, wird er sich wünschen, dass wir auch dieses Jahr einen Weihnachtsbaum aufstellen. Wie wäre es, wenn wir alle vier dieses Jahr zusammen einen Weihnachtsbaum aussuchen? Papa wird uns bestimmt zum richtigen Weihnachtsbaum führen. Ist das eine gute Idee?“, fragte Heidi ihre Kinder. In den Gesichtern der Kinder war ein Lächeln zu erkennen.
„Natürlich werde ich euch begleiten. Wenn ich den schönsten Christbaum entdeckt habe, werde ich euch dort hinführen.“
Der kleine Philipp, der in den vergangenen Tagen häufig über Gerds Bett krabbelte und nach seinem Papa fragte, lag währenddessen in seiner Babywippe und spielte mit seinem Lieblingskuscheltier.
Plötzlich ließ er sein Kuscheltier fallen und streckte ungeduldig seine Arme nach vorne, wie er es immer tat, wenn Gerd ihn zum Schmusen auf den Arm nahm. Dabei rief er immer wieder:
„Papa! Papa! Papa!“, und lachte voller Freude.
„Mein Nesthäkchen Philipp hat mich erkannt, endlich. Der Kleine fühlt mich auch. Ich bin so glücklich. Vielleicht werde ich bald von allen erblickt?“
„Ich glaube, er sieht Papa. Aber das ist doch gar nicht möglich oder geschieht gerade ein Wunder“, fragte Anna.
Heidi und Ferdinand waren ebenfalls überrascht. Bei allen schlug das trauernde Herz schneller.
„Ich würde Papa auch gerne wiedersehen“, wünschte sich Anna mit ganz leiser Stimme, „ihn noch einmal in die Arme nehmen dürfen, ihn ganz feste drücken und ihm sagen, dass seine Nähe mir viel wichtiger ist, als alles anderer in der Welt.“
„Ich wollte mit den neuen Fußballschuhen von Mario
Götze nur angeben. Mit meinen Alten spiele ich genauso gut. Papa, wenn du mich nur einmal wieder streicheln oder mir auf die Schulter klopfen könntest und mir sagst: „Gutgemacht mein Junge, ich bin stolz auf dich.“ Deine Nähe fehlt mir sehr. Vielleicht darf ich dich auch bald wiedersehen, wie Philipp“, flüsterte Ferdinand.
„Das werdet ihr. Ich fühle es. Die Zeit heilt alle Wunden. Ihr dürft nie den Glauben daran verlieren.“
Einen Tag vor Weihnachten schmückte die ganze Familie den schönen Weihnachtsbaum, den sie vor Tagen gemeinsam gekauft hatten.
Am Heiligen Abend warteten die Kinder in Annas Zimmer auf das Läuten des Glöckchens, das wie jedes Jahr die Bescherung ankündigte. Andächtig gingen sie langsam die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Die Kerzen am Weihnachtsbaum leuchteten und unter dem Baum lagen die Geschenke. Im Hintergrund erklang leise das Weihnachtslied „Stille Nacht, Heilige Nacht“. Mit zitternden Händen packten die Kinder vorsichtig ihre Geschenke aus. Während sie das andächtig taten, rief Nesthäkchen Philipp immer wieder:
„Papa, Papa,“ und schaute dabei auf den Weihnachtsbaum. Sofort unterbrachen Anna und Ferdinand das Auspacken ihrer Geschenke und blickten auch zum Weihnachtsbaum, genau wie ihre Mutter, die mit Tränen in den Augen ihre Kinder beobachtete.
„Seid bitte nicht traurig. Ich weiß, wie weh es tut, wenn ihr mich nicht sehen, fühlen und hören könnt. Es wird die Zeit unseres Wiedersehens auch für euch kommen. Ich glaube fest daran.“
Aber sie sahen nur auf den prächtig geschmückten Baum. Sie waren enttäuscht, weil sie hofften, ihren Vater zu sehen. Nachdem sie sich wieder gefasst hatten, wurden die letzten Papierschnipsel von den Geschenkkartons gezupft.
„Die Fußballschuhe von Mario Götze, ich freue mich riesig, vielen lieben Dank, Mama und Papa“, dabei schaute er in Heidis Richtung, die sehr überrascht wirkte.
„Meiner Seele ist das Zaubern erlaubt.“
„Mama, Anna, jetzt sehe ich Papa auch. Er steht direkt
neben dir, Mama und er hat seinen Arm um dich gelegt. Ich bin so glücklich.“
„Hallo mein Sohn, Mama und Anna können mich leider noch nicht sehen und ihr Herz könnte deshalb brechen. Das tut mir weh. Ihre Seelen benötigen noch Zeit, die ich leider nicht beeinflussen kann.“
Heidi war verwirrt. Sie schaute nach links und rechts; aber leider sah sie ihren geliebten Mann noch nicht.
„Leider fühle und sehe Papa nicht. Das tut so weh.“
An Annas Wangen kullerten die Tränen herunter:
„Ich möchte Papa auch wiedersehen.“
„Packe bitte dein Geschenk aus“, forderte sie eine freundliche Männerstimme auf.
„Papa, das ist Papas Stimme“, reagierte Anna aufgeregt.
„Welche Stimme“, fragte Heidi, „ich habe keine Stimme gehört.“
„Papa hat gerade zu Anna gesprochen“, bestätigte Ferdinand seine Schwester.
„Ein neues Smartphone, vielen lieben Dank Mama und Papa“, rief Anna überglücklich. Sie stand auf und lief auf ihre Eltern zu und umarmte beide. Das tat kurz danach auch Ferdinand.
Heidis Verwirrung wurde immer größer, als sie sah, wie sie von ihren Kindern umarmt wurde und die Kinder danach neben ihr ins Nichts griffen und sich bei ihrem Vater bedanken.
„Mir bleiben die Worte im Halse stecken, wenn ich sehen muss, wie Freud und Leid nebeneinanderstehen. Aber Mama wird mich auch bald fühlen können.“
„Jetzt musst du dein Geschenk auspacken“, wurde sie von ihren Kindern aufgefordert.
„Mein Geschenk? Davon weiß ich genauso wenig wie vorher von euren Geschenken“, stotterte Heidi.
„Auch ohne Hülle bin ich in der Lage, Herzen glücklich zu machen. Liebe Kinder, beobachtet eure Mama.“
„Doch Mama, dort am Christbaumständer, da liegt ein kleines Päckchen für dich. Packe es bitte aus. Wir sind genauso gespannt wie du“, wurde sie von Anna und Ferdinand herzlich aufgefordert.
Mit zitternden Händen ergriff sie das Päckchen und
öffnete es. Als sie den Inhalt sah, fing sie bitterlich an zu weinen.
„Diesen Ring hast du dir doch schon immer gewünscht“, versuchte sie eine ihr vertraute Männerstimme aufzumuntern.
Jetzt hörte und sah sie ihn auch, ihren geliebten Mann.
Überraschenderweise fragte keiner, was da gerade geschehen war und wer die Geschenke gebracht hatte. Denn sie wussten, dass Papa vom Christkind geschickt wurde.
Es war Weihnachten, das Fest der Liebe. Gerd blieb während der Weihnachtsfeiertage bei Heidi, Anna, Ferdinand und Philipp.
„Ich werde immer bei euch sein und auf euch aufpassen. Auch wenn ihr mich nicht seht, bin ich bei euch. Falls einer von euch verzweifelt und ratlos ist, werde ich ihm zur Seite stehen. Die Verbindung zu mir stellen eure Herzen, eure Seelen und euer Verstand her. “
Die Familie stellte sich um den Weihnachtsbaum. Mama, Papa, Anna, Ferdinand und Philipp auf Mamas reichten sich die Hände und sangen gemeinsam das Weihnachtslied „Oh du fröhlich“. Mutter und die Kinder schauten mit großen Augen in Gerds Gesicht.
Vaters Stimme glich früher eher einer quietschenden Eisenbahn. Doch an diesem Weihnachtsfest klang sie glockenklar und rein.
„Ich finde die Klangfarbe meiner Stimmeseltsam. Soll ich meinen Mund halten oder könnt ihr meine Laute ertragen?“
„Bitte, bitte sing weiter Papa, deine Stimme klingt so schön wie nie zuvor“, wünschte sich Anna und alle anderen Familienmitglieder stimmten ihr zu.
Nach den Weihnachtsferien kehrte der Schulalltag wieder in das Leben der Woltermanns zurück. Noch vor wenigen Tagen hatten Anna und Ferdinand große Angst vor dem ersten Schultag. Sie fürchteten sich vor den Schilderungen ihrer Mitschüler, die von einem wunderschönen Fest inmitten ihrer Familie erzählen würden.
Aber jetzt sehnten sie sich nach dem Beginn der Schule und auf die erste Unterrichtsstunde im Klassenverband. In dieser Stunde durften in der Vergangenheit die Schülerinnen und Schüler von ihren Erlebnissen berichten.
Die Klassenlehrerinnen von Ferdinand, Frau Wiegand, und von Anna, Frau Meerbusch, sprachen sich in den Ferien ab, auf die beiden Kinder Rücksicht zu nehmen und die Erzählstunde ausfallen zu lassen. Diese Vorgehensweise vereinbarten sie in einer Telefonkette mit den Eltern der anderen Schüler , die einstimmig dem Plan Klassenlehrerinnen zustimmten.
Anna und Ferdinand wurden von ihren Mitschülern liebevoll begrüßt. Die Geschwister erwiderten die Begrüßung mit einem freundlichen Lächeln.
Der erste Klingelton forderte die Schüler zum Betreten der Klassenräume auf. In Windeseile leerten sich die Flure. Kurz vor dem zweiten Klingelton betraten die Klassenlehrer ihre Klassen. In fast allen Klassen durften die Schüler von ihren Weihnachtsferien erzählen. Nur in zwei Klassen verlief der Beginn der Stunde anders.
Nachdem die Klassenlehrerinnen von Anna und Ferdinand ihre Kinder begrüßt hatten, begannen sie die erste Stunde nach den Ferien anders als in den vergangenen Jahren.
„Ich möchte euch eine Geschichte vorlesen, die von den vorweihnachtlichen und nachweihnachtlichen Erlebnissen einer armen Bauernfamilie in der Tundra Russlands erzählt.“
Außer Anna und Ferdinand wussten alle Kinder, wie die Stunde ablaufen sollte. Die Geschwister ahnten aber, warum heute die Stunde anders ablaufen sollte wie gewohnt.
Deshalb baten die beiden in ihren Klassen durch Handzeichen, zu ihren Mitschülern sprechen zu dürfen. Die Geschwister hatten sich nicht abgesprochen. Aber Ferdinand begann in seiner Klasse mit den gleichen Worten wie Anna in ihrer :
„Die meisten von euch fragen sich zurecht, warum Anna und ich jetzt schon wieder lachen könne. Für uns ist die Erklärung dafür ganz einfach. Wenn ihr den Grund hört, werdet ihr uns für verrückt erklären, was uns aber nicht stört, weil wir glücklich sind. Unser verunglückter Vater ist wieder in unsere Familie zurückgekehrt. Und jetzt im Moment hält er sich auch in unserem Klassenraum auf. Ich sage nicht wo, denn ihr könnt ihn nicht sehen und nicht hören. Das erste Mal kam unser Vater am Heiligen Abend zu uns. Unser Nesthäkchen Philipp hatte Papa schon vor uns wahrgenommen. Als Philipp immer wieder seine Arme ausstreckte, um Papa zu umarmen, ahnten wir, dass er Vater wirklich sehen konnte. Wir waren enttäuscht und traurig, dass uns dieses Glück verwehrt blieb. Doch am Heiligen Abend, als wir mit Tränen in den Augen vorsichtig unsere Geschenke auspackten, kam Papa in Minuten-Abständen zu mir, zu Anna und dann zu unserer Mama.“
In der Klasse war es still. An den Wangen aller Kinder und von Frau Wiegand liefen dicke Tränen herunter.
„Ich bin sehr stolz auf euch beide.“
Ferdinand fuhr fort:
„Papa erklärte uns, dass unsere Seelen, eine unendlich große Liebe und die Kraft unseres Verstandes dieses Wunder bewirken. Er hört mir genau zu und korrigiert mich, wenn ich etwas Falsches sage.“
Ferdinand blickte in den hinteren Teil des Klassenraumes, wo ihm sein Vater aufmerksam zuhörte. Die Augen seiner Mitschüler und seiner Klassenlehrerin folgten seinen Blicken, in der Hoffnung, den Vater zu sehen.
Eine Mitschülerin hob ihre Hand, um eine Frage stellen zu dürfen.
Frau Wiegand, die von Ferdinands Worten sehr überwältigt war, fragte ihn, ob ihm Fragen gestellt werden dürfen. Mit einem Kopfnicken bejahte er die Frage.
Ängstlich stellte Claudia mit zitternder Stimme ihre Frage:
„Könnte das bei mir auch so sein?“
„Ich verstehe nicht, was du meinst“, antwortete Ferdinand.
Claudia fuhr fort:
„Meine Mama ist schwer krank. Die Ärzte haben keine Hoffnung, dass sie wieder gesund wird. Sie sagten unserem Vater, dass Mama das nächste Weihnachtsfest nicht mehr erleben wird. Wir haben alle eine große Angst vor dem Moment, wenn sie uns verlassen wird. Du machst mir mit deiner Erzählung Mut für die noch düstere Zukunft. Unsere Familie wäre bestimmt überglücklich, wenn ich von dir erzähle und unsere Mama nach ihrem Tod wieder zu uns zurückkehren würde. Wir lieben sie alle.“
Ferdinand schaute wieder in den hinteren Klassenbereich, denn die Beantwortung von Claudias Frage belastete ihn. Frau Wiegand und alle anderen Kinder sahen, wie Ferdinand mit seinen Tränen kämpfte. Er wollte Claudia nicht wehtun. Alle schienen ihm genügend Zeit für seine Antwort geben zu wollen. Sie bemerkten auch, dass er von Minute zu Minute ruhiger wurde. Seine Blicke bewegten sich nicht aus dem hinteren Klassenbereich heraus, wo für ihn nicht nur der Kartenständer zu sehen war.
„Du darfst bei Claudia keine Träume und Erwartungen entstehen lassen. Diewürden sie nach dem Tod ihrer geliebtenMutter noch stärker verzweifeln lassen, falls sie sich nicht erfüllen.“
Ferdinand schaute wieder zu Claudia. Ein leichtes Lächeln kehrte in sein Gesicht zurück, als er versuchte, Claudias Frage so zu beantworten, dass er ihr nichts versprach und ihr gleichzeitig nicht wehtat:
„Du wirst verstehen, dass ich nicht sagen kann, wie sich deine, eure Zukunft entwickeln wird. Freue dich über jede Minute mit deiner Mutter. Ich konnte mich von meinem Papa nicht verabschieden. Er war plötzlich nicht mehr da. Aber die Liebe zu ihm und die Verbindung unserer Seelen waren nie fort. Daran solltest du ganz besonders denken. Ich wünsche dir und deiner Familie, dass die Verknüpfung eurer Liebe und eurer Seelen zu eurer Mutter nie unterbrochen wird.“
Obwohl Ferdinand Claudia nicht sagen konnte, wie es in der Zukunft in ihrer Familie aussehen wird, fühlte sie sich erleichterter als zuvor.
Ferdinands Mitschüler und Frau Wiegand hätten ihm noch lange zuhören können. Doch die Schulklingel zeigte das Stundenende an.
Frau Wiegand beendete die Stunde mit folgenden Worten:
„Noch nie habe ich in meiner Dienstzeit eine derart beeindruckende Stunde erleben dürfen. Deine Worte, lieber Ferdinand haben, so glaube ich, nicht nur mein Herz berührt. Ich danke dir für deine Offenheit und wünsche dir, deinen Geschwistern und deiner Mutter eine besinnliche Nachweihnachtszeit.“
Nach der Schule gingen Anna und Ferdinand mit ihrem Vater gemeinsam nach Hause. Die ersten Minuten schwiegen sie.
„Haben wir alles richtig gemacht, Papa?“, fragte Anna.
„Ich habe euch schon in der Klasse gesagt, wie stolz ich auf euch bin. Alle waren von euren Erzählungen beeindruckt. Niemand zweifelte eure Worte an. Ihr habt mit euren Herzen geredet. Das hat jeder gefühlt.“
„Als mich Betty fragte, ob du immer bei uns bleiben wirst, konnte ich ihr keine klärende Antwort geben. Du hattest bei ihrer Frage nur gelächelt, ohne mir zu helfen. Habe ich etwas falsch gemacht, Papa?“, fuhr Anna fort.
„Du hast nichts falsch gemacht. Ich habe dir nicht helfen können, weil die Antwort auf diese Frage sehr komplex ist. Wenn wir zu Hause sind bei Mama, werde ich versuchen, die Frage zu beantworten. Ihr werdet erkennen, wie vielschichtig meine Erklärungen sein werden.“
Anna und Ferdinand verstanden die Worte ihres Vaters nicht. Sie hatten Angst, ihren Papa ein zweites Mal innerhalb von kürzester Zeit zu verlieren.
„Ihr müsst keine Befürchtungen haben, mich wieder zu verlieren. Habt Vertrauen und lasst mich euch meine Gedanken nahebringen. Wir sind gleich zu Hause.“
„Du kannst unsere Gedanken lesen?“, fragte Anna überrascht.
„Nicht alle, nur die, die euch belasten.“
Zu Hause wurden die Drei schon ungeduldig von Mutter Heidi erwartet, die natürlich wissen wollte, wie der erste Schultag nach den Weihnachtsferien verlaufen war. Anna und Ferdinand berichteten ausführlich, was in den ersten Stunden in ihren Klassen geschehen war, auch wie Papa ihnen beistand.
„Papa war auch bei euch in der Schule? Ich habe mich während eurer Abwesenheit mit ihm unterhalten.“, erzählte Heidi erstaunt.
„Ich kann bei jedem von euch gleichzeitig sein und euch
zur Seite stehen, denn ich lebe in euren Köpfen und Herzen, und jeder von euch sieht mich auf seine besondere Art und Weise. Darüber bin ich sehr froh.Aber wir haben Redebedarf. Wir müssen über unsere gemeinsame Zukunft reden. In Annas Klasse ist die Frage gestellt worden, ob ich immer bei euch bleiben werde? Anna und Ferdinand, ihr erinnert euch gewiss, dass ich schon angedeutet habe, wie schwierig die Antwort sein wird. Ich werde euch nie verlassen und immer in eurer Nähe sein. Aber der Abstand zwischen uns wird größer werden. Ihr werdet älter. Dann werdet ihr mich zwar nicht vergessen, aber nicht stets an mich denken. Ich trete zurück in die zweite Reihe. Ich bin euch nicht böse, wenn ihr mich dann manchmal vergesst. Ihr müsst in euren Gedanken eines berücksichtigen, die Zeit. Umsonst sagt man nicht, die Zeit heilt alle Wunden. Ich betone noch einmal, dass ich stets bei euch sein werde. Mit dem Älterwerden wird eure Trauer vergehen. Anna und Ferdinand, ihr werdetstudieren. Ihrwerdet Freund und Freundinnen finden und lieben lernen. Das ist gut so und der Lauf der Zeit. Mama wird sich wieder mit Bekannten treffen und neue Freunde finden, nicht heute oder morgen, aber in der Zukunft. Dann sind eure Gedanken und Herzen bei den neuen Menschen und ich trete in den Hintergrund. Das wird mich nicht belastet oder traurig stimmen. Ich freue mich vielmehr für euch. Die Nähe zu euch werde ich niemals aufgeben. Das werdet ihr erkennen, wenn ihr Probleme haben werdet. Dann könnt ihr mich um Hilfe bitten und ich bin bei euch. Allerdings hoffe ich, dass ihr meine Hilfe nie benötigen werdet. Denkt bitte über meine Worte und Gedanken nach. Aber noch bin ich lange Zeit bei euch.“
„Das wird nie geschehen. Wir werden dich niemals vergessen.“, antworteten Heidi, Anna und Ferdinand gleichzeitig, „wir sind so glücklich, dich wieder bei uns zu haben und werden dich nie wieder loslassen.“
Die Worte des Vaters beschäftigten Heidi, Anna und Ferdinand viele Stunden.
Anna war die Erste, die Vaters Worte verstanden hatte:
„Papa wird immer bei uns sein, auch wenn wir nicht an ihn denken. Bei jedem von uns wird in der Zukunft der
Kontakt zu ihm anders verlaufen. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich bin überglücklich.“
Nach einiger Zeit verstanden auch Heidi und Ferdinand Gerds Worte.
In den nächsten Jahren ereignete sich alles so, wie es Gerd vorhergesagt hatte.
Heidi wohnt noch immer in dem Haus, dass sie gemeinsam mit ihrem ersten Mann Gerd gebaut hatte, aber nicht mehr allein. Anna hat mit ihrem Mann ganz in der Nähe gebaut. Ferdinand lebt mit seiner Partnerin in Norwegen. Philipp fühlt sich in seiner Studentenbude in Marburg sehr wohl.
Doch zweimal im Jahr treffen sich Mutter und Kinder in dem Restaurant, in das Gerd seine Familie früher gerne einlud. Zu fünft reden sie über alte Zeiten. Bei jedem Treffen fließen reichlich Tränen. Aber es wird auch viel gelacht.
Josie Wagner lebte noch bei ihren Eltern, obwohl sie schon 25 Jahre alt war. Sie sieht sehr gut aus. Viele junge Männer versuchten schon vergeblich, sich ihr zu nähern. Aber sie hatten keine Chance. Josie glaubte an die große Liebe und an die Liebe auf den ersten Blick. Sie ging hin und wieder mit einem Verehrer in ein Café oder auf einen Spaziergang durch den nahe gelegenen Park. Aber der Funke sprang nie über.
Sie lebte noch bei ihren Eltern, weil sie die mit ihrem Einkommen unterstützte. Josies Vater erkrankte zu früh an einer unheilbaren Lungenkrankheit und wurde deshalb schon in jungen Jahren arbeitsunfähig geschrieben. Er saß fast den ganzen Tag im Rollstuhl, da ihm das Laufen sehr schwer fiel. Mit der geringen Rente konnten sie sich neben der Miete für die Wohnung in dem gepflegten Altbau nur wenig Luxus leisten. Josie verdiente als medizinisch-technische Assistentin gut und war leicht in der Lage, ihre Eltern zu unterstützen. Sie könnte sich eine komfortable Wohnung leisten. Aber sie fühlte sich in dem kleinen Kinderzimmer in der Wohnung ihrer Eltern sehr wohl. Und außerdem stand sie ihre Mutter hilfreich zur Seite, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam. Nur der Schichtdienst im Krankenhaus fiel ihr in den letzten Wochen etwas schwerer.
Hin und wieder besuchte sie ihre langjährige Freundin Sophie, der nicht verborgen blieb, dass Josie ein Tapetenwechsel guttun würde. Deshalb schlug sie einen gemeinsamen Urlaub im Süden vor.
Sophie war Reisekauffrau. Sie wusste deshalb ganz genau, wo es schön war.
„Vierzehn Tage mit Sonne, Sand und Meer, am Strand
liegen, schwimmen und relaxen werden aus dir einen
neuen Menschen machen.“
Josies Eltern fanden Sophies Idee sehr gut.
„Schatz, du musst auch an dich denken.“
Josie fühlte selbst, dass ihr Körper Erholung brauchte.
„Eine Arbeitskollegin erzählte mir von einer kleinen Bucht im Süden von Ibiza, an der nur drei gemütlich eingerichtete mittelgroße Hotels stehen. Ein traumhafter weißer Sandstrand und das Meer mit dem blauen Wasser bieten alles, was du zur Entspannung benötigst. Sage bitte ja! Ich kümmere mich um alles Weitere. Du musst nur deinen Koffer packen, wenn es so weit ist. Und, was meinst du“, versuchte Sophie, ihrer Freundin die Reise schmackhaft zu machen.
„Ja, ich bin dabei. Ich freue mich“, stimmte Josie nach einem kurzen Zögern zu.
Gemeinsam stimmten Josie und Sophie einen Reisetermin ab. Beide fieberten dem Abreisetermin entgegen, bis es endlich so weit war. Ein Bekannter Sophies brachte die Freundinnen zum Flughafen. Da noch genügend Zeit bis zum Einchecken war, gönnten sie sich noch in einem der zahlreichen Flughafen-Cafés einen Milchkaffee.
Schließlich war die Zeit zur Abgabe der Koffer und zum Einchecken gekommen. Ihre Herzen schlugen schneller. Die Aufregung ließ auch nicht nach, als sie im Flugzeug saßen und das Flugpersonal wegen des nahenden Startes die Fluggäste baten, sich anzuschnallen. Als das Flugzeug beschleunigte, drückten die jungen Frauen ihre Hände. Für Josie war es der erste Flug in ihrem Leben. Die Flugangst wich allmählich, als die Maschine die Reisehöhe erreichte und leise über den weißen Wolken schwebte. Unter sich beobachtete Josie einzelne Bergspitzen, die aus den Wolken hervorragten. Die anfängliche Furcht ging in Staunen und Urlaubsstimmung über. Das bemerkte natürlich auch Sophie, die sich für Josie freute.
„Wie geht es übrigens Peter?“, fragte Josie.
„Nicht so gut, wir streiten uns sehr häufig. Unsere Beziehung geht allmählich zu Ende. Ich glaube, dass das auch besser so ist. Wenn ich vor wenigen Wochen ohne ihn in Urlaub gefahren wäre, hätte er mir eine Szene gemacht. Als ich ihm von unserem gemeinsamen Urlaub erzählte, zeigte er keinerlei Regung. Was solls, andere Mütter haben auch gut aussehende Söhne. Wer weiß, was uns der Urlaub bringt“, zwinkerte Sophie Josie zu.
„Für mich steht die Erholung an erster Stelle. Alles andere interessiert mich wenig“, entgegnete Josie lächelnd.
Beide reagierten überrascht, als sie die Aufforderung zum erneuten Anschnallen für die Landung vernahmen.
„Kaum zu glauben, dass wir schon über zwei Stunden in der Luft sind und unser Urlaubsziel in Kürze erreichen werden“, staunte Sophie.
Bei der Landung hielten beide wieder ihre Hände ganz fest. Das Auschecken verlief zügig. Nach einer halben Stunde saßen sie schon im Bus, der sie mit den anderen Urlaubern zu den drei Hotels brachte, die an einer kleinen, aber traumhaft schönen Badebucht lagen. Sophie und Josie stiegen am mittleren Hotel, dem Caribe 2, aus. Sie wurden zur Rezeption geführt und erhielten dort ihre Zimmerschlüssel.
„Wenn alles andere genauso beeindruckend ist, wie das Ambiente der Lounge-Ausstattung, werden wir einen Urlaub im Schlaraffenland erleben“, schwärmte Sophie.
Auch Josie war sichtlich beeindruckt. Ein Angestellter des Hotels führte sie zu einem kleinen Fahrstuhl, der bis in die oberste Etage, dem 2. Stockwerk, fuhr. Ihr Appartement lag zur Buchtseite hinaus. Die Einrichtung des Zimmers unterstrich den ersten Eindruck von dem Hotel. Natürlich waren beide beeindruckt und begeistert. Sie stellten zunächst ihre Koffer ab und liefen auf den riesigen Balkon. Der phänomenale Ausblick verschlug ihnen die Sprache. Sie schauten sich mit funkelnden Augen an und umarmten sich vor Freude. Auf einem kleinen Beistelltisch lagen zwei Perlenarmbänder, die sie berechtigten, in allen drei Hotels zu speisen oder zu trinken.
Im Umkreis von zwanzig Kilometern war kein anderer Ort zu finden. Das Leben spielte sich nur im Bereich der großzügigen Hotelanlage ab. Aber Langeweile kam nicht auf. Im Caribe 1 befand sich im Keller eine riesige Diskothek vom aller Feinsten. Ein riesiger Swimmingpool erstreckte sich wie ein langer Schlauch vom Caribe 1 bis zum Caribe 3. An mehreren Bars am Strand und am Pool konnten exotische Getränke und kleine Snacks bestellt werden. Über kleine Holzstege gelangten die Urlauber, die gerne im Meer baden wollte zum Strand. Zu diesen Urlaubern gehörten auch Josie und Sophie. Sie liefen am ersten Urlaubstag in ihren Bikinis die ganze Bucht ab, um einen Eindruck vom Strand und den anderen beiden Hotels zu bekommen. Alle Außenanlagen waren schmuckvoll gestaltet und boten den Urlaubern alle Möglichkeiten zu einem traumhaften Urlaub. Josie und Sophie fühlten sich wohl.
Zum Abend-Büfett erschienen beide schon in ihrer geschmackvollen Ausgehgarderobe, leichte dünne Kleider mit schmalen Trägern. Nach dem Abendessen schlenderten sie an dem langen Pool entlang und schauten sich die Restaurants, Bars und Einrichtungen von „Caribe 3“ und „Caribe 1“ an, um vergleichen zu können. Sie stellten fest, dass jedes der drei Hotels seine persönliche Note hatte. Obwohl an den Pool-Bars tolle Musik gespielt wurde und die Möglichkeiten zum Tanzen gegeben waren, zog am späteren Abend natürlich die riesige Diskothek in Hotel 1 die meisten Gäste an. Auch Josie und Sophie entschieden sich, dort hinzugehen.
„Wir können ja mal einen Blick hineinwerfen, aber alt werde ich dort nicht. Ich benötige unbedingt eine Mütze Schlaf“, beugte Josie einem längeren Aufenthalt in dem Trubel vor. Aber ihr gefiel das Ambiente der Diskothek. Die aktuelle Popmusik wurde gespielt, aber nicht zu laut. Sie bestellten sich einen Longdrink und stellten sich an einen Stehtisch, von dem sie das muntere Treiben in dem Musikschuppen gut überschauen konnten.
„Ich bin überrascht, wie viele schnuckelige Typen hier herumlaufen. Die vierzehn Tage können äußerst interessant werden“, freute sich Sophie.
Josie hielt sich mit Äußerungen in dieser Richtung zurück. Sie glaubte fest an die einzige große Liebe und die Liebe auf den ersten Blick, die sie bisher noch nicht kennenlernen durfte. Mit einem Lächeln fügte sie nur hinzu:
„Ich lasse mich überraschen.“
Sophie suchte schon am ersten Abend ein Opfer aus. Ein junger Franzose, der sehr gut Deutsch sprach, hatte es ihr angetan. Dessen Freund versuchte, bei Josie anzubandeln, aber nur mit mäßigem Erfolg. Josie stellte sich gerne für ein paar Tänzchen zur Verfügung. Sie zeigte aber deutlich, dass sie zu mehr nicht bereit war. So erging es auch weiteren jungen Männern, die sich bemühten, zu Josie Kontakt aufzunehmen.
Am späten Abend fielen die Freundinnen erschöpft in
ihre Betten und schliefen nach einem kurzen Schwätzchen schnell ein.
Am frühen Morgen, die Sonnen schien schon durch die zugezogenen Vorhänge, hörte Josie Geräusche, die ein Schwimmer erzeugt, wenn er ins Meer eintaucht. Sie war allerdings noch zu müde, um nachzusehen, wer sich so zeitig am menschenleeren Sandstrand ins Wasser wagt.
Am folgenden Morgen hörte sie das gleiche Geräusch. Doch dieses Mal war ihre Neugier größer als die Müdigkeit. Vorsichtig zog sie den Vorhang zur Seite, um Sophie nicht zu wecken. In Barfuß schlich sie auf den großen Balkon, um den einsamen Schwimmer zu sehen, der sich immer weiter vom Strand entfernte und sich auf das offene Meer hinausbewegte. Josie verlor den Kopf aus ihren müden Augen. Doch sie musste ihn unbedingt sehen.
„Hoffentlich entpuppt sich der sportliche Schwimmer nicht als älterer Herr. Aber so kraftvoll wie sich die Gestalt durchs Wasser bewegte, kann gleich nur ein athletischer junger Mann aus dem Meer schreiten. Mir sollte das eigentlich egal sein. Doch irgendein Gefühl in mir steigert mein Interesse. Jetzt erkenne, trotz des leichten Wellenganges, den Kopf. In wenigen Minuten weiß ich mehr“, arbeitete es in Josies Kopf.
Das Warten hatte sich gelohnt. Aus dem Wasser stieg ein sportlicher junger Mann, der jetzt die Bucht entlang joggte, als wenn er keinen Meter geschwommen wäre. Josie war begeistert. Sie bewunderte den lockeren Laufstil des gut aussehenden Unbekannten, der Josie schon wahrgenommen hatte, als er aus dem Meer kam. Aber er ließ sich nichts anmerken. Auf dem Rückweg zum Caribe 1 unterbrach er auf der Höhe von Josie Balkon seinen Lauf und wünschte Josie einen guten Morgen:
„Wenn sie Lust haben, dürfen sie mich morgenfrüh gerne begleiten. Ich würde mich freuen.“
Josie war es peinlich, ertappt worden zu sein. Sie schämte sich ein wenig. Aber sie hatte den Mut zu antworten:
„Sie hätten mit mir keine Freude. Ich würde sie zu sehr aufhalten, da ich nicht die Sportlichste bin.“
„Aber vielleicht sehen wir uns in der Disco im Keller des Caribe 1. Ich denke, dass ich mich heute Abend dort unter die vielen Menschen wagen werde. Ich heiße übrigens Andreas. Würdest du mir deinen Namen auch verraten?“, lächelte er.
„Josie“, flüsterte sie kaum hörbar. Ihr Name blieb ihr vor Aufregung fast im Hals stecken.
„Josie?“, fragte Andreas nach.
Josie nickte bejahend mit dem Kopf.
„Ich freue mich. Bis heute Abend“, verabschiedete sich Andreas Sekunden später.
Josie war völlig verwirrt und wusste nicht so richtig, was da gerade geschehen war.
Sophia, die von der Unterhaltung zwischen Andreas und Josie wach wurde, hatte sich inzwischen hinter dem Vorhang versteckt und bübisch gelauscht.
„Jetzt bin ich aber gespannt, was du mir zu berichten hast“, wartete Josies Freundin mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht, „wenn ich dich so anschaue, scheint dein Interesse an jungen Männern geweckt worden zu sein?“
„Ach Unsinn, ich wollte nur einmal sehen, wer zu dieser frühen Tageszeit alleine ins Meer geht, um kilometerweit zu schwimmen“, entgegnete Josie.
„Es erscheint mir aber sehr merkwürdig, dass du dem attraktiven Unbekannten deinen Vornamen genannt hast. Und zudem habe ich auch von einer Verabredung heute Abend in der Disco mitbekommen“, konterte Sophie.
„Das hat er gesagt, nicht ich“, antwortete Josie trotzig,
aber gut gestimmt, „ich werde heute Abend natürlich nicht in die Disco gehen. Wir wollten doch im Caribe 3 essen und es uns anschließend am Pool dort gemütlich machen. Die Musik dort muss auch sehr gut sein. Und tanzen kann man auch, nicht in der verbrauchten Disco-Luft, sondern unter dem sternenbehangenen Abendhimmel. Heute ist doch erst unser dritter Tag. Ich möchte nicht wissen, wie viele Frauen er in die Disco bestellt hat. Solche Typen suchen doch nur nach Freiwild.“
„Das sagt die Richtige. Man hat den Eindruck, dass du dich in der Männerwelt gut auskennst. Aber da wir schon sehr lange befreundet sind, weiß ich genau, dass das nicht so ist. Du hast Angst, einen jungen Mann kennenzulernen. Du siehst bezaubernd aus. Die Männer drehen sich nach dir um. Wovor fürchtest du dich? Du musst dich von deinem Zuhause ein wenig lösen. Oder willst du mit deinen Eltern als Jungfer alt werden? Weshalb haben wir denn diesen Urlaub geplant. Gut, ich weiß, dass deine Eltern dich brauchen. Es gibt sicher einen Mittelweg, der dich leben lässt und die Verbindung zu deinen Eltern beibehält. Gib dir eine Chance“, wandte Sophie ein und nahm Josie, in deren Augen Tränen zu sehen sind, in ihre Arme.
„Du hast in allem, was du gesagt hast, recht. Ich habe Angst, weil ich unsicher bin und nicht weiß, wie ich mich verhalten soll. Weißt du, Sophie, ich glaube noch an die große Liebe. Die kann ich allerdings nur finden, wenn ich den Mut aufbringe, mich unter Menschen zu wagen. Aber lass uns bitte den heutigen Abend so verbringen, wie wir ihn geplant haben. Vielleicht können wir später noch einen Blick in die Disco werfen“, flüsterte Josie kaum hörbar.
Ihr bezauberndes Lächeln kehrte in ihr Gesicht zurück.
„So gefällst du mir schon viel besser. Das ist meine Josie“, freute sich Sophie.
Nach dem Frühstück bereiteten sie sich für den Strandbesuch vor. Wenig später lagen sie auf den kostenlos zur Verfügung stehenden Liegen im Schatten eines Sonnenschirmes. Sie gehörten zu den ersten Badegästen. Nachdem sie das Frühstück verdaut hatten, lockte sie das Meer zum Schwimmen.
Josie bemerkte nicht, dass sie von der Sonnenterrasse des Hotels Caribe 1 beobachtet wurde. Andreas saß dort bei einer Tasse Kaffee und schaute Josie und Sophie zu, als diese sich ins Meer wagten. Er frühstückte schon unmittelbar nach seinem langen Schwimm-Ausflug weit über die Grenzen der Bucht hinaus.
Josie war eine gute Schwimmerin, aber soweit wie Andreas wagte sie sich nicht hinaus. Sie blieb mit Sophie in Sichtweite des Strandes und des Rettungsschwimmerturmes.
Sie genossen die angenehmen Temperaturen des Wassers. Die Wellen brauchten sie nicht zu fürchten, da der Seewind schwach in die Bucht hineinblies. Als sie das Meer verließen, liefen sie zum Trocknen ihrer Haut bis an das Ende der circa vierhundert Meter breiten Bucht und wieder zurück.
Als sie zu ihren Liegen zurückkehrten, wartete Andreas am Pool ihres Hotels auf die beiden Freundinnen. Noch hatten sie ihn nicht bemerkt. Er lief die Treppe neben der Poolbar zum Strand hinunter. Als Josie ihn bemerkte, schlug ihr Herz bedeutend stärker. In ihrem Bauch brummelte es vor Aufregung.
„Was soll ich denn nur machen. Ich bekomme bestimmt kein Word heraus, wenn er mich ansprechen sollte“, arbeitete es in ihrem Kopf.
„Guten Morgen, ich hoffe, ihr habt euch schon eingelebt? Habt ihr das Bad genossen? Bei diesen Wassertemperaturen möchte man das Meer gar nicht mehr verlassen“, versuchte Andreas das Gespräch zu eröffnen.
Jetzt hatte auch Sophie, die schon auf ihrer Liege lag, den Besucher wahrgenommen.
Sie flüsterte zu Josie:
„Ist er das, der Schwimmer von heute Morgen?“
Josie nickte kurz, aber sie bekam kein Wort über ihre Lippen.
„Du bist also Andreas. Du hast meine Freundin stark beeindruckt“, lachte Sophie, „und das mit Recht.“
Josie wäre vor Scham im Boden versunken. Das, was da gerade geschah, war ihr zu peinlich. Aber Sophie hatte nicht gelogen. Josie fand Andreas sehr sympathisch und attraktiv.
Andreas erkannte Josies Situation und wechselte charmant das Thema:
„Vielleicht sehen wir uns heute Abend in der Disco. Ich würde mich freuen, wenn du kommen und mir einen Tanz schenken würdest. Genießt bitte die Stunden am Strand. Ich möchte euch nicht länger stören“, verabschiedete er sich.
„Du hast nicht gestört. Ich war nur ein wenig überrascht, dich hier zu sehen, und da hat es mir die Sprache verschlagen. Entschuldige bitte! Ich freue mich auf den Tanz“, redete Josie leise.
Andreas, der sich schon einige Schritte entfernt hatte, drehte sich plötzlich um und ging auf Josie zu. Er lächelte und gaben ihr einen vorsichtigen Kuss auf die Wange.
„Josie bis später in der Disco, ich freue mich auf dich.“
„Willst du heute Abend noch immer zunächst an die Pool-Bar von Caribe 3 und anschließend vielleicht in die Disco“, schmunzelte Sophie, „ich kann doch an deinen Augen sehen, wofür du dich bereits entschieden hast. Du musst auf mich keine Rücksicht nehmen. Andreas sieht nicht nur gut aus. Er macht einen sehr sympathischen Eindruck. Ich werde mir in der Disco auch ein Knäblein für mein Vergnügen aussuchen.“
Josie atmete tief durch. Unsicherheit und Freude waren ihr gleichermaßen anzusehen.
Die beiden Freundinnen gingen früher als geplant vom Strand in ihr Appartement. Josie legte sich nach dem Duschen noch einige Minuten auf ihr Bett, um ihren Kopf freizubekommen. Aber die Gedanken an Andreas hatten sie fest im Griff. Er erschien immer wieder mit seinem charmanten Lächeln vor ihren Augen. Josie bemerkte nicht, dass sie von Sophie beobachtet wurde.
„Ganz allmählich tritt ein Lächeln in dein Gesicht. Ich denke, dass du dich immer mehr mit den Gedanken und Erwartungen an den heutigen Abend anfreunden wirst. Deine Mimik zeigt mir Veränderungen in deinem Gesicht. Die anfängliche Unsicherheit wechselte in den letzten Minuten in ein leichtes Lächeln“, freute sich Sophie, „du wirst sehen, dein Leben wird sich verändern. Du wirst glücklich werden.“
„Ich wünsche mir, dass du recht behältst. Ich lass alles auf mich zukommen. Wenn sich die Stunden positiv entwickeln, würde ich mich natürlich freuen. Andreas gefällt mir, wie vielen anderen Frauen auch. Warum sollte er sich ausgerechnet für mich interessieren?“, zweifelte Josie.
„Weil du etwas ganz Besonderes bist. Nur dich schaute er am Strand an und lief ganz gezielt auf dich zu, obwohl viele andere Frauen auf ihren Liegen lagen. Du hast keinen Grund an dir zu zweifeln“, beruhigte sie Sophie, „wir werden uns jetzt schick machen und anschließend zum Abendessen gehen. Und zum Essen trinkst du heute nicht nur Mineralwasser. Der Roséwein wird dir auch schmecken und dich ein wenig auflockern und mutiger machen. Zweifel nicht an dir. Wir werden für dich das richtige Outfit aussuchen. Ich denke an dein blaues schulterfreies Kleid, das deine tolle Figur hervorhebt und betont. Andreas werden die Augen herausfallen.“
Sophie machte Josie durch ihre ehrlich gemeinten Worte immer verlegener. Sie wusste gar nicht, wie gut sie aussieht. Dass sie regelmäßig wie ein Magnet die Blicke der Männer auf sich zog, ist ihr durch ihre Unsicherheit noch nie bewusst geworden.
Josie sah bezaubernd aus. Beim Betreten des Speisesaales waren nicht nur die Augen einiger Männer auf sie gerichtet. Als sie an ihrem Tisch Platz genommen hatten, näherte sich sofort die Bedienung und fragte nach den Getränken. Sophie bestellte sofort einen trockenen Roséwein und eine Flasche Mineralwasser.
„Wir haben uns vorgenommen, nicht nur antialkoholische Getränke zum Essen zu trinken. Eine halbe Flasche Wein wird dir guttun“, lächelte Sophie, „jetzt werden wir zunächst am Büfett eine Grundlage für heute Abend schaffen.“
„Ich habe keinen großen Appetit. Mein Magen grummelt ein wenig.“, antwortete Josie, „Aber ich muss mir eine Grundlage schaffen.“
„Das Büfett bietet wieder so viele unterschiedliche Leckereien an. Da wirst du schon etwas für dich finden“, ermunterte sie Sophie.
Nach dem Essen gingen die beiden noch einmal in ihr Appartement, um ihr Aussehen für den großen Auftritt zu überprüfen. Sophie war überrascht, dass Josie auch mit ihrem Aussehen zufrieden war.
„Siehst du, der Wein wirkt schon“, schmunzelte Sophie, um danach sofort zu ergänzen:
„Nehme auf mich keine Rücksicht. Ich werde mich auch amüsieren. Die Auswahl an jungen Männern ist groß genug. Du konzentrierst dich auf Andreas. Bist du bereit?“
„Nicht wirklich!“, antwortete Josie und atmete tief durch.
Bis zur Disco waren es nur wenige Meter. Zwei Türsteher öffneten freundlich die Eingangstüren in die Arena.
Der riesige Raum war schon gut gefüllt. Josies Blicke mussten nicht durch die Disco gleiten. Sie sah Andreas sofort. Der freute sich sichtlich. Seine Freude und sein positives Erstaunen waren in seinen Augen zu lesen. Sofort eilte er auf Josie zu, umarmte sie und gab ihr vorsichtige Küsse auf ihre Wangen.
Seine Blicke tasteten Josie mehrfach von oben bis unten ab, bis er in der Lage war, die ersten Worte auszusprechen:
„Du siehst bezaubernd aus. Du bist wunderschön. Entschuldige bitte, aber ich kann mich nicht genug sattsehen. Bist du mir böse, wenn wir nach draußen gehen. Die Luft erdrückt mich. Lass uns ein paar Minuten am Strand entlanglaufen.“
Josie gefiel Andreas Bitte. Sofort stimmte sie lächelnd zu.
Er ergriff Josies Hand und führte sie nach draußen, über die große Terrasse, die Treppe hinunter zum Strand. Sie zogen ihre Schuhe aus und stellten sie neben die Treppe. Andreas Herz pochte genauso wie Josies Herz vor Aufregung. Die ersten gemeinsamen Schritte gingen sie noch schweigend nebeneinander her. Josie beendete das Schweigen:
„Jetzt werden wohl viele Frauenherzen, die erhofft haben, dass du sie aussuchst, traurig sein.“
Bei ihren Worten schaute Josie Andreas prüfend an.
„Wie meinst du das? Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich mit Herzen spiele? Es mag sich plump oder naiv anhören, aber ich glaube noch an die Liebe auf den ersten Blick. Und dein erster Blick ließ in meinem Bauch sofort die Schmetterlinge fliegen. Gib uns bitte die Chance, uns kennenzulernen. Ich werde dich nicht enttäuschen“, bat Andreas.
Josie hörte das gerne. Sie liefen wortlos weiter, aber ihre Hände hielten sich fester und sie schauten sich alle fünf Meter lächelnd an. Auf der Höhe vom Hotel Caribe 3 kehrten sie wieder um und mischten sich wenig später unter die tanzenden Pärchen in der Disco. Während des Tanzens kamen sie sich immer näher. Ihre Körper berührten sich und sie schauten sich wie zwei Verliebte an. Die Zeit verging wie im Flug. Um zwei Uhr morgens wurde das letzte Lied gespielt „Morning has broken“ von Cat Stevens. Langsam verließen die Gäste die Disco, viele Hand in Hand oder eng umschlungen. Einige gingen in ihre eigenen Appartements, andere in die Zimmer der neuen Bekanntschaft. Andreas und Josie schlenderten Hand in Hand zum Eingang des Caribe 2. An der Tür gaben sie sich einen zärtlichen Kuss und wünschten sich eine gute Nacht. Andreas wartete, bis sich die Fahrstuhltür öffnete. Bevor sie sich wieder schloss, lief er plötzlich auf Josie zu. Die drückte sofort auf den „Öffnen-Knopf“ im Fahrstuhl.
„Hättest du Lust, morgen früh mit mir schwimmen zu gehen?“, fragte Andreas mit leiser Stimme, „das musst du mit mir ausprobieren. Du wirst feststellen, wie herrlich das ist. Wir müssen auch nicht so früh aufstehen, wie ich das sonst immer tat. Dann lag ich auch einige Stunden früher im Bett.“
„Ich werde dir nur lästig sein. Vom Balkon aus habe ich dich beobachtet. Du schwimmst so schnell wie ein Fisch. Da kann ich nicht mithalten. Ich bin eine reine Freizeitschwimmerin“, entschuldigte sich Josie.
„Ich verspreche dir, dass ich Rücksicht nehmen werde. Wir schwimmen auch nicht weit aufs Meer hinaus. Ich möchte nur mit dir und neben dir schwimmen und dich berühren. Das wäre sehr schön. Bitte sage „ja““, bat Andreas.
Josie lächelte verschämt und nickte zustimmend mit ihrem Kopf.
Die Freude darüber war Andreas anzusehen.
„Zu welcher Uhrzeit wollen wir uns treffen?“, fragte er aufgeregt.
„Neun Uhr“, schlug Josie vor, „dann können wir noch ein paar Stunden schlafen.“
„Ich stehe um neun Uhr pünktlich vor der Hoteltür“, strahlte Andreas.
Sie gaben sich noch einen zärtlichen Kuss. Andreas wartete, bis sich die Fahrstuhltür geschlossen hatte und lief dann, wie ein Kind hüpfend, zum Caribe 1.
„Er hat nicht versucht, mich abzuschleppen. Das ist lieb von Andreas,“ arbeitete es in Josie Kopf.