3 Romane mit Gefühl Januar 2024 - Eva Joachimsen - E-Book

3 Romane mit Gefühl Januar 2024 E-Book

Eva Joachimsen

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: Eva Joachimsen: Das Unschuldslamm Eva Joachimsen: Ich will aus Liebe heiraten Eva Joachimsen: Prinz Hardy lässt sich nicht erpressen Prinz Philipp lebt mit seinen Eltern Fürst und Fürstin von Dannenfeld auf dem Jagdschloss der Familie und bewirtschaftet das Landgut. Nach seinem landwirtschaftlichen Studium hatte er die Leitung übernehmen müssen, weil sein Vater gesundheitlich nicht mehr in der Lage war. Außerdem hatten seine Fehlinvestitionen und schlechten Ernten die Familie an den Rand des Ruins gebracht und man befürchtete, den jahrhundertealten Familiensitz verkaufen zu müssen. Nur eine reiche Schwiegertochter würde die von und zu Dannenfelds vor dem Konkurs retten. Es ist auch schon eine Erbin in Sicht: Cindy Borchert, die Tochter des erfolgreichen Fleischfabrikanten. Beide Eltern sind sich einig, aber die Kinder wollen sich auf keinen Fall zu einer Ehe zwingen lassen ...

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Eva Joachimsen

3 Romane mit Gefühl Januar 2024

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Inhaltsverzeichnis

3 Romane mit Gefühl Januar 2024

Copyright

Das Unschuldslamm

Ich will aus Liebe heiraten

Prinz Hardy lässt sich nicht erpressen

3 Romane mit Gefühl Januar 2024

Eva Joachimsen

Dieser Band enthält folgende Romane:

Eva Joachimsen: Das Unschuldslamm

Eva Joachimsen: Ich will aus Liebe heiraten

Eva Joachimsen: Prinz Hardy lässt sich nicht erpressen

Prinz Philipp lebt mit seinen Eltern Fürst und Fürstin von Dannenfeld auf dem Jagdschloss der Familie und bewirtschaftet das Landgut. Nach seinem landwirtschaftlichen Studium hatte er die Leitung übernehmen müssen, weil sein Vater gesundheitlich nicht mehr in der Lage war. Außerdem hatten seine Fehlinvestitionen und schlechten Ernten die Familie an den Rand des Ruins gebracht und man befürchtete, den jahrhundertealten Familiensitz verkaufen zu müssen. Nur eine reiche Schwiegertochter würde die von und zu Dannenfelds vor dem Konkurs retten. Es ist auch schon eine Erbin in Sicht: Cindy Borchert, die Tochter des erfolgreichen Fleischfabrikanten. Beide Eltern sind sich einig, aber die Kinder wollen sich auf keinen Fall zu einer Ehe zwingen lassen ...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Das Unschuldslamm

Roman von Eva Joachimsen

Der Umfang dieses Buchs entspricht 110 Taschenbuchseiten.

Ein Kind allein aufziehen, arbeiten zu gehen und immer für eine Betreuung zu sorgen ist das tägliche Leben von Nadine. Der Zufall will es, dass der Polizist Stefan ihr den Vorschlag macht, Jakob mit zum Handballtraining zu nehmen. Plötzlich bemüht sich auch ihr Ex-Mann um sie und hofft auf eine Rückkehr. Doch seine Besserung macht Nadine misstrauisch, sie traut diesem neu aufgetauchten Verantwortungsbewusstsein nicht so ganz.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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1

Nadine trat kräftig in die Pedale. Sie musste sich beeilen, um rechtzeitig im Kindergarten anzukommen. Im Friseursalon wurde es häufig etwas später. Wenn der letzte Kunde gegangen war, musste noch aufgeräumt und saubergemacht werden, und dann hatte sie Probleme, ihren Sohn pünktlich abzuholen.

Im vorigen Jahr hatte eine andere Mutter ihren Sohn Jakob in solchen Fällen mitgenommen. Leider war die Familie nach Süddeutschland gezogen. Inzwischen war Jakob Schulkind und durfte alleine nach Hause gehen. Aber Nadine sorgte sich wegen der Hauptstraße und der vielbefahrenen Kreuzung. Es gab zwar eine Ampel, doch immer wieder übersahen Linksabbieger die Fußgänger. Nadine selbst wäre zweimal fast überfahren worden. Außerdem wusste sie nie, was ihr lebhafter Sprössling in unbewachten Momenten alles anstellte.

Letzte Woche hatte er eine Segelregatta in der Badewanne veranstaltet. Als sie nach Hause kam, klingelten schon die Nachbarn unter ihr, weil es bei ihnen im Badezimmer tropfte. Das Wasser lief am Heizungsrohr entlang durch die Zimmerdecke. Zum Glück wollten Seidels sowieso renovieren und nahmen den Vorfall nicht so ernst. Nadine schickte Jakob zu ihnen, um sich zu entschuldigen und ihnen beim Aufwischen zu helfen. Dass sie ihn dafür mit Schokolade belohnten, fand sie zwar lieb, allerdings pädagogisch nicht besonders wertvoll.

Vor dem Café sprang die Fußgängerampel der kleinen Nebenstraße auf Rot. Nadine fuhr trotzdem weiter. Hier bog nur selten einmal ein Auto ab.

„Das macht sechzig Euro“, sagte eine Männerstimme hinter ihr.

Erschrocken sprang sie vom Fahrrad und blickte den Mann an. Er war groß und breitschultrig mit kurz rasierten blonden Haaren.

„Sie haben Glück, dass ich nicht im Dienst bin. Also bleiben Sie das nächste Mal stehen und warten auf Grün.“

Nadine lächelte schwach und versprach alles. Dann jagte sie weiter zum Kindergarten. Sie stellte ihr Rad in den Ständer und lief, ohne es abzuschließen, gegen den Strom von Eltern und Kinder an. Jakob stand an der Garderobe und trödelte beim Anziehen herum.

„Da bist du ja endlich. Ich wollte schon alleine losgehen“, sagte er.

„Na, das hätte wohl noch etwas gedauert“, meinte Nadine und grinste ihn an. „Du weißt doch, wie knapp es für mich ist.“

Christine, die Erzieherin, räumte ein paar Hausschuhe ins Fach. „Frau Stahmer, Jakob hat Probleme mit den Zehnerübergängen. Das müssen Sie daheim mit ihm üben.“

„Was kann er nicht?“, fragte Nadine begriffsstutzig. Sie hatte Schwierigkeiten, von ihrem Arbeitstag in die Schulwelt zu wechseln.

„Sie haben jetzt angefangen, mit Zahlen, die über Zehn hinausgehen, zu rechnen“, erklärte Christine.

„Ach, Sie meinen, sieben und fünf oder so“, fragte Nadine nach.

„Ja, und da ist Jakob unsicher.“

„Na, ich auch. Er rechnet wirklich merkwürdig. Wir haben es als Kinder ganz anders gemacht. Aber wenn ich es ihm zeige, wie ich es mache, verunsichere ich ihn doch nur viel mehr“, stöhnte Nadine.

Christine lachte. „Alle paar Jahre wird wieder etwas an den Lehrmethoden geändert. Und wir müssen uns darauf einstellen. Das hält uns geistig jung und fit.“

„Dann werde ich es wohl doch noch nach der neuen Art lernen müssen“, stellte Nadine fest und wünschte Christine einen schönen Feierabend.

Auf dem Nachhauseweg berichtete Jakob von seinen Erlebnissen in der Schule und im Hort. Schon aus diesem Grund legte Nadine großen Wert darauf, ihn selbst abzuholen. Waren sie erst einmal daheim, war er mit anderen Dingen beschäftigt und erzählte nichts mehr.

„Wir brauchen Milch, Joghurt und Seife“, erklärte Nadine und schloss ihr Rad am Ständer vor dem Supermarkt an.

Jakob half ihr. Er schob den Einkaufswagen und nahm die Milch aus dem Kühlfach, anschließend durfte er den Joghurt aussuchen. An der Kasse sah er Überraschungseier.

„Mama, ein Ei, nur ein einziges Ei“, bettelte er sofort.

„Nein, Jakob“, sagte Nadine. Jakob schwieg.

„Der ist gut erzogen“, meinte eine ältere Dame hinter ihr.

Nadine strahlte, ihr Sohn wurde nur selten gelobt.

„Die meisten nörgeln so lange herum, bis ihre Eltern schwach werden“, fuhr die Dame fort.

Jakob räumte die Einkäufe auf das Band. Während Nadine bezahlte, brachte er den Wagen weg und gab ihr dann die Münze. Jakob bettelte nie lange, er wusste ganz genau, wie knapp das Geld bei ihnen war. Nadine kam mit ihrem geringen Lohn so gerade eben über die Runden. Schuhe oder andere größere Anschaffungen für Jakob spendierten deshalb häufig ihre Eltern.

Daheim belegten sie gemeinsam den Hefeteig, den sie schon am Morgen zusammengerührt hatte, mit Tomatenmark, Käse, Salami und Pilzen. Pizza liebte Jakob, und Nadine backte sie gern, weil sie preiswert war.

„Ich habe sechs Pilze und du acht, wie viele sind es zusammen?“, fragte sie.

Jakob fing an, die Pilze zu zählen.

„He, nicht zählen, du sollst rechnen“, protestierte sie sofort.

„Sechs und acht“, forderte Nadine noch einmal.

„Sechs, sechs bis zehn sind ehm, sechs … zehn, vier, vier, acht, davon vier weg sind … drei.“

Jakob sah Nadines zweifelnde Miene.

„Zwölf“, riet er.

Nadine stöhnte. Wie sollte jemand auf diese Art jemals rechnen lernen?

„Sechs bis zehn sind vier, das ist schon richtig. Und jetzt musst du noch acht weniger vier rechnen“, ermunterte sie ihn.

„Vier.“

„Stimmt, und zehn und vier?“

„Vierzehn!“

„Genau!“, lobte sie.

Sie musste unbedingt mit ihrer Freundin Merle reden, wie Lars das Rechnen gelernt hatte. Hoffentlich gab Merle ihr einen guten Tipp.

Jakob legte inzwischen bereits die Tomaten auf die Pizza.

„Neun Tomatenscheiben und drei?“, fragte sie.

Jakob hatte keine Lust mehr. Doch Nadine ließ nicht locker. Nach einer Weile hatten sie gemeinsam die Aufgabe gelöst. Nadine sah sich schon die nächsten Monate täglich Additionsaufgaben bei allen Gelegenheiten rechnen.

Während die Pizza im Herd buk, füllte sie die Waschmaschine, dann ließ sie warmes Wasser in die Spüle ein. Nach dem Abendessen war sie zu erschöpft, um noch abzuwaschen.

Später zeigte Jakob ihr seine Hefte und las vor. Die Kinder erledigten zwar im Hort ihre Hausaufgaben, nur für zusätzliche Übungen reichte die Zeit der Erzieher nie aus.

Um acht Uhr jagte sie ihn ins Bett. Da er sich beeilte, las sie ihm aus seinem Lieblingsbuch vor. Anschließend bügelte sie beim Fernsehen. Die Arbeit nahm nie ein Ende. Aber sie musste etwas Platz schaffen, damit sie ihr Bett aus der Appartementwand ausklappen konnte.

Ihr Geld langte nur für diese kleine Zweizimmerwohnung. Jakob hatte das Schlafzimmer erhalten und Nadine schlief im Wohnzimmer. Der Wäscheständer wanderte immer hin und her. Waren sie in der Küche, stand er im Wohnzimmer, schlief sie, trug sie ihn in die Küche. Das Leben auf engstem Raum war mühselig und kostete Zeit.

Natürlich war es ihre eigene Schuld. Warum hatte sie mit knapp zwanzig Jahren schon geheiratet? Wenigstens hatte sie ihren Gesellenbrief gemacht, bevor sie sich mit Andreas ins Eheleben stürzte.

Sie war so verliebt gewesen und hatte die Warnungen von ihren Eltern und Freunden in den Wind geschlagen. Andreas sah gut aus mit den schwarzen Haaren, den grünen Augen und den Grübchen. Er war charmant und fuhr tolle Autos. Alle Mädchen waren hinter ihm her gewesen. Aber er hatte sich Nadine ausgesucht.

Kurz nach der Hochzeit hatte er sie gefragt, warum sie für so wenig Geld als Friseurin arbeitete, in der Fabrik würde sie doch viel besser verdienen. Also hatte sie gekündigt und Platinen bestückt. Drei Jahre später wurde Jakob geboren. Nadines Wunschkind.

Statt eine glückliche Familie zu sein, entfremdeten sie sich immer mehr. Erst jetzt erkannte Nadine, wie egoistisch Andreas war. Natürlich gab er sein Hobby, seine alten amerikanischen Spritfresser nicht auf. Selbstverständlich blieb er ihretwegen nicht in der Wohnung sitzen und langweilte sich. Im Gegenteil, ständig drängte er sie, mit in die Disko oder auf die Party zu kommen. Wie oft hatten sie deswegen Streit gehabt! Er sah einfach nicht ein, dass man ein Kleinkind nicht allein lassen durfte. Und für einen Babysitter reichte ihr Lohn nie.

Nadine wusste häufig nicht einmal, wovon sie die Lebensmittel und die Windeln kaufen sollte. Größere Anschaffungen wie den Kinderwagen und das Kinderbett hatten sowieso ihre Eltern übernommen. Nur für Andreas Autos war stets genug Geld vorhanden. Abends wenn Jakob schlief, bügelte Nadine Hemden für fremde Leute, um wenigstens etwas zu verdienen.

Ausgerechnet in einem Monat, in dem es besonders knapp gewesen war, verreiste Andreas mit Freunden nach Paris.

Da reichte es Nadine! Sie packte ihre Sachen, bestellte ein Taxi und stand mit Baby und Sack und Pack bei ihren Eltern vor der Tür. Als Andreas zurückkam, hatte sie schon die Scheidung eingereicht, einen Mietvertrag unterschrieben und sich beim Arbeits- und Sozialamt gemeldet. Andreas tobte, erreichte damit allerdings das Gegenteil. Nadine verstand nicht mehr, was sie jemals an ihm gefunden hatte. Er war ein Egoist, ein Tyrann und würde sich nie ändern.

Bald darauf zog sie in ihre kleine Zweizimmerwohnung. Jakob fühlte sich in dem beengten Reich sehr wohl und vermisste seinen Vater, den er sowieso kaum gesehen hatte, nicht. Nadine genoss es, endlich selbst verantwortlich zu sein und ihren Lohn so verwenden zu können, wie sie es am besten fand. Natürlich war sie immer knapp bei Kasse, aber jetzt wusste sie wenigstens, ob sie am nächsten Tag noch Geld hatte oder nicht.

In der ersten Zeit bügelte sie abends weiter. Schließlich bekam Jakob einen Kindergartenplatz, und sie erhielt vom Arbeitsamt einen Auffrischungskurs als Friseurin. Anschließend vermittelte die Sachbearbeiterin ihr die Stelle im Salon Anja.

Frau Hoffmann nahm sie trotz fehlender Berufspraxis, da das Amt den Lohn eine Weile bezuschusste. Schnell war Nadine bei den Kunden sehr beliebt. Sie war geduldig, immer gut gelaunt und hörte den alten Damen, die vom Altersheim nebenan herüberkamen, stundenlang zu. Also behielt Frau Hoffmann sie, als die Förderung auslief.

2

„Jakob, guten Morgen, aufstehen“, rief Nadine gutgelaunt. Die Sonne schien und ihre Stimmung war hervorragend.

Sie ging in die Küche und stellte die Kaffeemaschine an, dann begann sie, Schulbrote zu streichen.

„Jakob, Langschläfer, wo bleibst du?“

Sie strich Schokoladenbrote zum Frühstück. Aus dem Kinderzimmer ertönte Geschrei.

„He, was ist los?“ Vorsichtshalber Schaute sie nach.

Jakob hockte im Schlafanzug auf dem Fußboden. „Blöde Socken, die passen nicht!“

„Gib deinen Fuß mal her.“ Schnell zog sie ihm die Socken an. Sie waren wirklich eng. Er brauchte unbedingt neue Sachen. In letzter Zeit war er enorm gewachsen.

Da es schon so spät war, zog sie ihm gleich das T-Shirt und die Hose an.

„So, Großer, jetzt wird gegessen!“ Sie nahm seine Hand und zog ihn in die Küche, dabei summte sie eine Melodie.

„Warum singst du?“, fragte Jakob.

„Weil die Sonne so herrlich scheint. Und weil bald Wochenende ist“, antwortete sie.

Voller Elan deckte sie nach dem Frühstück den Tisch ab und gab die Kichererbsen zum Einweichen in eine Schüssel. Dann brachte sie Jakob in die Schule. Normalerweise holte ein Klassenkamerad ihn ab, aber in dieser Woche war er krank. Da sie so gut gelaunt war, durfte Jakob auf dem Sattel sitzen, während sie schob.

„Bis heute Abend“, verabschiedete sie sich am Eingang.

3

„Nadine, würde Sie noch schnell Frau Wagner frisieren?“, bat Nadines Chefin, Frau Hoffmann.

Nadine warf einen Blick auf die Uhr. „Es ist gleich Feierabend“, sagte sie.

„Das dauert nicht lange“, beruhigte Frau Hoffmann.

Nadine schaute zu Frau Wagner. Die lächelte sie zuversichtlich an.

„Ich bin heute Abend eingeladen, da muss ich doch hübsch aussehen“, erklärte die alte Dame.

„Gut, soll ich nachher den Laden abschließen?“, fragte Nadine. Innerlich verfluchte sie die Stammkundin. Nun wartete ihr Sohn Jakob wieder auf der Straße.

Spätestens um sechs Uhr war in der Kindertagesstätte Schluss. Dann ging er nach Hause und musste vor der verschlossenen Wohnung warten.

Nadine zwang sich, freundlich zu Frau Wagner zu sein. Die Stammkundin hatte zwar hohe Ansprüche, vor allem an die Arbeitszeit ihrer Friseurin. Aber sie dankte dafür auch immer mit reichlich Trinkgeld, und das konnte Nadine gebrauchen.

Also wusch und legte sie geduldig das Haar der Seniorin. Endlich stand Frau Wagner perfekt frisiert vor ihr.

„Nadine, Sie sind ein Genie. Ich sehe doch glatt zehn Jahre jünger aus, wenn ich bei Ihnen war. Das habe ich heute besonders nötig, ich treffe nämlich meinen alten Jugendschwarm.“ Frau Wagner lächelte verträumt wie ein sechzehnjähriges Mädchen.

„Dann wünsche ich Ihnen viel Vergnügen“, antwortete Nadine lachend.

Nachdem Frau Wagner gegangen war, reinigte sie schnell ihren Arbeitsplatz. Hoffentlich hatte Jakob in der Zwischenzeit keinen Blödsinn gemacht.

Er besaß nicht einmal einen Schlüssel, sondern musste vor der Tür warten.

Nadine hatte sich schon mehrmals wegen der Überstunden mit ihrer Chefin gestritten, deshalb hatte Frau Hoffmann ihr sogar mit einer Kündigung gedroht. Seitdem traute sich Nadine nicht mehr, sich zu weigern. So einfach war es leider nicht, eine neue Stelle zu bekommen.

4

„Frau Stahmer, können Sie nicht besser auf Ihren Sohn aufpassen? Der hat den ganzen Müll ausgekippt“, giftete Frau Mertens aus dem Nachbarhaus, als Nadine in die Siedlung einbog.

„Ich werde nachschauen“, versprach Nadine und ging zu den Mülleimern. Tatsächlich turnte Jakob da herum. Eine Tonne war umgefallen.

„Musst du hier spielen?“, fauchte sie ihren Sohn an.

„Warum kommst du jetzt erst? Ich habe schon so lange gewartet“, antwortete Jakob.

„Ich musste noch arbeiten. Jakob, wir brauchen das Geld dringend. Komm mit hoch, ich ziehe mir alte Sachen an, hole Gummihandschuhe, Besen und Schaufel und dann räumen wir hier auf.“ Nadine betrachtete den Müllhaufen seufzend. Auf diese zusätzliche Plackerei konnte sie verzichten.

Eine halbe Stunde später war der Müllplatz aufgeräumt, und Jakob saß in der Badewanne.

„Mama, die Erzieherin will dich sprechen“, erzählte Jakob.

„Was hast du schon wieder angestellt?“, fragte Nadine genervt.

„Nichts, wirklich nichts“, beteuerte Jakob mit einer Unschuldsmiene.

Am nächsten Nachmittag lief Nadine nicht so beschwingt wie sonst in den Kindergarten. Als die Kinder aus ihren Gruppenräumen strömten, ging sie hinein.

„Mama!“ Jakob sprang auf sie zu.

„Wir wollen uns doch mit Christine unterhalten“, erklärte sie und nahm Jakob an die Hand. Die Erzieherin saß über der Milchliste und machte sich Notizen.

„Guten Abend, kann ich Jakobs Milchgeld gleich mit abkassieren?“, fragte sie.

Nadine zückte ihr Portemonnaie. „Sie wollten mich sprechen?“

„Ja, Jakob und Michi haben gestern Spielkarten zerschnitten. Jakob sagt, er hätte eines zu Hause, vielleicht könnten Sie das heile Spiel mitbringen, und wir tauschen es.“ Christine stand auf und holte ein Gesellschaftsspiel aus dem Regal. Sie hob den Deckel ab und zeigte Nadine die ruinierten Pappteile.

„Ich habe es zu spät gemerkt. Da war schon viel kaputt“, erklärte sie.

Nadine sah zu Jakob, der blickte verlegen zu Boden. Dann hob er den Kopf wieder und sagte: „Christine kann meins haben!“

„Jakob hat eine kleinere Ausgabe von dem Spiel.“

„Das macht nichts“, meinte Christine und Nadine versprach, es in der nächsten Woche mitzubringen.

Auf dem Nachhauseweg fuhr sie Jakob an: „Das schöne Spiel! Wie kommst du auf die blöde Idee, die Teile auseinander zu schneiden?“

„Aber Christine sagt, es ist alles in Ordnung, wenn sie mein Spiel bekommt“, verteidigte sich Jakob.

„Tut es dir nicht leid, deins herzugeben?“

„Och, ich habe doch andere Sachen.“

„Na, du hast wirklich zu viel Spielzeug“, stellte Nadine bissig fest. Bisher hatte ihr Jakob eigentlich immer leidgetan, weil sie ihm seltener als andere Eltern etwas kaufen konnte. Trotzdem war es wohl mehr als genug.

„Gibt es heute Frikadellen?“, fragte Jakob.

„Nein, einen Eintopf. Und am Wochenende gibt es auch keine Frikadellen“, knurrte Nadine. Vor Wut achtete sie nicht auf den Weg. Prompt blieb der Ranzen an dem Pfosten eines Halteverbotsschilds hängen und rutschte vom Gepäckträger. Nadine wurde dadurch unsanft gebremst und stieß mit ihren Rippen gegen den Lenker.

„Wann gibt es denn wieder Frikadellen?“

„Wenn du artig bist.“ Sie zog das Fahrrad ein Stück zurück, damit sie den Ranzen in die richtige Lage zerren konnte.

„Aber ich bin doch brav …“ Jakob schob seine Unterlippe vor und schmollte. Nadine seufzte. In solchen Momenten hätte sie ihn am liebsten an ein kinderloses Ehepaar verschenkt.

Daheim half er ihr, die Wäsche für die Waschmaschine zu sortieren. Dann schnippelten sie Lauch, Zwiebeln und Speck für den Eintopf. Mit seiner Hilfe dauerte alles viel länger, aber sie waren zusammen und unterhielten sich. Normalerweise liebte Nadine diese Augenblicke. Heute war sie nur schlecht gelaunt und schnippisch. Sobald der Topf auf dem Herd stand, verschwand Jakob wortlos in seinem Zimmer. Nadine beschloss, noch schnell das Wohnzimmerfenster zu putzen. Irgendwo musste sie ihre Wut lassen. Beim Essen fühlte sie sich wieder wohler.

„Na, was machen fünf Kichererbsen und sieben Kichererbsen?“, fragte sie.

„Sie rollen vor Lachen auf dem Boden herum“, antwortete Jakob.

Nadine lachte. „Nee, das gilt nicht, du sollst rechnen.“

Also übten sie es eine Weile. Schließlich entdeckte Jakob die Maggiflasche und las den Aufdruck auf dem Etikett vor.

„Gut, und was steht hier?“ Nadine hielt einen Werbeprospekt hoch.

„Handtücher, zwei Euro, Geschirrtücher, drei Stück, zwei Euro, Schwämme, fünf Stück, zwei Euro“, las Jakob vor.

„Fein, das ist doch viel besser, als immer nur in der Fibel zu lesen“, stellte Nadine fest.

Da er sich beim Waschen und Zähneputzen beeilte, durfte er anschließend mit ihr zusammen auf dem Sofa sitzen und ein Pumucklvideo sehen.

„So, und jetzt ab ins Bett.“

„Nein, du musst mir noch vorlesen.“

Als Jakob endlich verschwunden war, stürzte Nadine sich auf die Küche, wusch ab, räumte auf, dann bügelte sie. Eine alte Kundin hatte sie gebeten, wieder ihre Hemden zu übernehmen, und Nadine konnte das Geld gut gebrauchen, auch wenn sie ohne diese Extraarbeit genug zu tun hatte.

5

Am nächsten Nachmittag erstarrte sie, als Frau Hoffmann sie in den Herrensalon schickte. Der große, breitschultrige Mann mit den kurzen blonden Haaren weckte ein unangenehmes Gefühl. Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Sie ging mit der Maschine über seinen Kopf. Eigentlich hätte er sich ebenso gut eine Haarschneidemaschine kaufen und es selbst machen können. 5 Millimeter. Solche Arbeiten hasste sie. Keinerlei Kreativität und für die Kunden herausgeschmissenes Geld. Während sie sich über das Wetter unterhielten, fiel ihr ein, woher sie ihn kannte: Der Polizist von der Ampel!

„Fahren Sie immer so eilig nach Hause?“, fragte er an der Kasse. Also hatte auch er sie erkannt.

„Nach Feierabend hole ich meinen Sohn vom Kindergarten ab. Wenn es hier spät geworden ist, muss ich mich beeilen“, erklärte sie.

„Kann nicht eine andere Mutter ihr Kind mitnehmen?“ Er bezahlte mit einem Zwanzig-Euro-Schein.

„Es wohnt leider keiner in meiner Nähe“, bedauerte sie.

„Beim nächsten Mal muss ich Ihnen ein Strafmandat geben“, warnte er. Trotzdem schob er ihr vom Wechselgeld fünf Euro Trinkgeld zu.

„Ich drehe mich jetzt immer um, ob ein Fußgänger oder ein Streifenwagen mich beobachtet.“ Sie grinste ihn an.

Er lachte und verabschiedete sich. „Bis zum nächsten Mal.“

Er hielt Wort. Vier Wochen später war er wieder da.

„Eigentlich war nur meine Schneidemaschine kaputt gegangen, aber momentan finde ich es bequemer, mich hier bedienen zu lassen“, gestand er und lümmelte sich in den Sitz.

„Wollen Sie nicht einmal eine andere Frisur haben?“, fragte Nadine und kämmte seine Haare zur Seite.

„Kurz ist es so schön praktisch!“

Nadine vermutete, dass er Junggeselle war. Ohne Freundin, sonst hätte er sicher mehr auf sein Äußeres geachtet.

„Das steht Ihnen“, versuchte sie ihn zu überzeugen.

„Hm, das muss ich mir noch überlegen. Heute möchte ich es so wie immer haben.“

Also rasierte Nadine ihm wieder den Kopf. Schade, er sah echt gut aus. Aber Polizisten brauchten wohl einen kahl rasierten Schädel.

Als er gegangen war, packte Frau Hoffmann gerade eine Sendung Färbemittel aus.

Nadine ging ihr zur Hand. Es waren neue Farbtöne dabei.

„Wollen Sie nicht einmal etwas Neues ausprobieren?“, fragte Frau Hoffmann.

„Rot?“ Sie hielt ihr eine Packung hin.

„Hm, rotblond mag ich nicht. Dann lieber ganz kräftig.“ Nadine griff nach einem Kastanienbraun.

„Wirklich?“

„Ja, und die Haare kürzer. Das ist im Sommer praktischer.“

Nadines honigblonde Haare fielen in Naturlocken auf ihren Rücken. Sie band sie meistens zu Zöpfen, manchmal steckte sie sie auch hoch.

„Dann fallen ihre Locken besser“, stimmte Frau Hoffmann zu.

An einem Vormittag, an dem es nicht so viel zu tun gab, schnitt und färbte Sina, die Auszubildende, Nadines Haare. Sina war sehr geschickt, und sie brauchte nur ein wenig Anleitung von der Chefin, um Nadines Wunschfrisur hinzubekommen. Jetzt fielen Nadines Haare locker bis auf ihre Schultern.

„Beneidenswert. Unsere Kunden hoffen alle, hinterher so wie Sie auszusehen“, lachte Frau Hoffmann.

„Du siehst ganz anders aus“, meinte Sina.

Nadine gab ihr nach einem Blick in den Spiegel recht.

„Die Augenbrauen müssen dazu passen“, erklärte Nadine.

Mit einer Handbewegung scheuchte Frau Hoffmann Sina. Die beeilte sich, zusätzlich die Augenbrauen und Wimpern zu färben.

„Na, das war eine volle Übungsstunde“,sagte Nadine und kontrollierte ihr Spiegelbild.

„Ich bin weiter als die übrigen Mädchen in meiner Berufsschulklasse.“ Sina streckte sich selbstbewusst.

„Du hast ein gutes Auge und ruhige, geschickte Hände“, lobte Nadine sie.

„Du zeigst mir so viel. Die anderen dürfen kaum etwas machen.“

Nadine freute sich über das Lob. Sie bemühte sich, den Auszubildenden so früh wie möglich alles beizubringen und sie selbstständig arbeiten zu lassen.

Frau Hoffmann war recht geschäftstüchtig und konnte gut mit den Kunden umgehen, hatte aber wenig Geduld mit den Lehrlingen.

„Das sieht gut aus“, sagten die Hortmütter am Abend.

„Ich glaube, ich färbe mir auch die Haare“, meinte Svenjas Mutter.

„Lassen Sie sich einen Termin dazu geben. Wir haben gerade neue Farbtöne hereinbekommen.“

„Markus nervt mich schon seit Langem, dass ich ihm seine Haare gelb färben soll“, berichtete eine andere Mutter.

Nadine gab ihr Tipps, wie sie es selbst machen konnte.

„Mama, du siehst blöd aus. Gar nicht wie meine Mama“, stellte Jakob dagegen rücksichtslos fest, als er aus dem Gruppenraum kam, wie üblich als Letzter.

Die Umstehenden lachten laut.

„Das stimmt!“, sagte er noch unüberhörbarer als vorher.

„Na, wenn es dir in ein paar Wochen nicht besser gefällt, ändere ich es wieder“, versprach Nadine diplomatisch.

6

Am Abend rief ihre Freundin Merle an: „Nadine, es tut mir so leid, ich kann Jakob morgen nicht nehmen. Ich habe Blutungen bekommen und muss stramm im Bett liegen. Meine Schwiegermutter nimmt Lars, aber sie weigert sich, auf Jakob aufzupassen.“

Nadine schluckte. Jetzt fiel auch noch Jakob Tagesmutter aus, und der Kindergarten war am Samstag geschlossen.

Trotzdem wünschte sie Merle alles Gute. Sie wusste, wie sehr sich Merle und Bernd nach einem zweiten Kind sehnten. Unglücklicherweise hatte ihre Freundin schon zwei Fehlgeburten erlitten.

Seufzend überlegte Nadine, wen sie um Hilfe bitten konnte. Als ihr niemand einfiel, kramte sie die Klassenliste hervor und rief bei Jakob Freunden an. Doch keiner hatte Zeit. Schließlich versuchte sie es bei Paulas Mutter im Nachbarhaus.

„Natürlich passe ich auf Jakob auf. Kein Problem. Paula freut sich, wenn sie Besuch hat. Aber ich kann ihn nur bis zwölf Uhr beaufsichtigen, danach müssen wir los, wir sind zum Mittagessen eingeladen“, erklärte Paulas Mutter.

„Eine halbe Stunde kann Jakob auch einmal allein sein, das ist nicht so schlimm. Dann gebe ich ihm den Schlüssel mit. Vielen Dank, dass Sie mich gerettet haben“, erleichtert hängte Nadine ein.

Am nächsten Morgen klappte alles bestens. Jakob war gut gelaunt und freute sich auf Paula.

Im Laden lief es hervorragend. Die Sonne schien, und die Kunden waren nett und freundlich. Die meisten gaben ein großzügiges Trinkgeld.

Jakob spielte brav im Kinderzimmer, als Nadine nach Hause kam.

„Wie sehen deine Hände aus?“, rief sie entsetzt, als sie die schwarzen Pranken ihres Sohnes sah.

Verlegen versteckte Jakob sie auf dem Rücken, aber das half ihm nichts. Er musste ins Badezimmer und sie scheuern. Trotzdem bekam er den Dreck nicht ab.

7

Es klingelte, Nadine ging fröhlich summend zur Tür und öffnete sie.

Vor ihr stand ihr Stoppelhaar-Polizist, grimmig blickend, kein Erkennen im Blick. „Sind Sie die Mutter von diesem blonden Unschuldslamm?“, knurrte er.

Eingeschüchtert wich Nadine einen Schritt zurück. „Meinen Sie Jakob?“

„Ja, so hieß er. Die Nachbarn sagten, er wohne hier. Ihr Kind hat mein rotes Auto mit schwarzem Lack besprüht. Können Sie nicht besser auf ihn aufpassen?“, fauchte der Mann. Seine Augen funkelten wütend.

Nadine wurde mit einem Schlag alles klar. Sie schluckte. Ihr Magen fühlte sich an, als läge ein Sack Beton in ihm.

„Jakob, komm sofort her“, befahl sie.

Kleinlaut schlich Jakob zu ihr.

„Stimmt das? Hast du ein Auto angemalt?“, fragte sie mit gepresster Stimme.

Jakob senkte schuldbewusst den Kopf.

„Am besten schauen Sie sich die Bescherung an. Das ist ein Riesenschaden. Ich hoffe, Sie sind versichert!“, meinte der Mann unfreundlich. „Der Spaß wird teuer werden, der Wagen muss neu lackiert werden.“

Niedergeschlagen ging Nadine mit ihm zum Parkplatz.

Tatsächlich, das rote Auto war an der rechten Seite und auf der Motorhaube mit schwarzen Buchstaben, die Arme, Beine und Köpfe besaßen, besprüht.

„Seien Sie froh, wenn ich Sie nicht wegen unterlassener Aufsichtspflicht anzeige“, schimpfte der Mann.

Nadine bekam Angst, bloß kein Jugendamt und keine Polizei, lieber nahm sie einen Kredit auf.

„Bringen Sie das Auto in die Werkstatt, ich bezahle es“, flüsterte sie kaum hörbar.

Der Mann stutzte. „Sind Sie etwa nicht versichert?“, fragte er.

„Doch, aber ich weiß nicht, ob die Versicherung es zahlt“, schluchzte sie. Sie konnte sich nicht länger zusammen reißen. Sie schniefte und wischte die Tränen fort, trotzdem quollen immer weitere aus ihren Augen.

Entsetzt beobachtete der Mann sie.

„Beruhigen Sie sich bitte. So schlimm wird es schon nicht werden“, tröstete er hilflos. „Haben Sie Ihre Versicherungsunterlagen da? Am besten schauen wir gleich rein“, schlug er vor und führte sie zurück.

In der Wohnung suchte Nadine den Ordner mit dem Vertrag heraus und kochte erst einmal Tee.

Dann knüpfte sie sich Jakob vor. „Wann hast du das gemacht? Du warst doch nur eine halbe Stunde allein? Und wo hast du die Farbe her?“

„Paula hat ihre Freundin besucht. Da hat mich Paulas Mutter rausgeschickt und ist einkaufen gegangen“, erzählte Jakob.

„Und die Farbe?“, bohrte Nadine weiter.

„Die stand bei den Autos“, sagte er unschuldig und blickte ängstlich zu dem Fremden.

Nadine stellte zwei Tassen auf den Tisch und goss ein. „Tee hilft immer“ hatte ihre Großmutter stets gemeint. Hoffentlich behielt sie recht. Jakob blieb eine Weile unschlüssig in der Tür stehen, bevor er leise in sein Zimmer verschwand.

Der Polizist sah sie irritiert an. „Kennen wir uns? Eigentlich habe ich ein gutes Personengedächtnis. Aber momentan weiß ich nicht, wo ich Sie schon einmal gesehen habe?“

„Ich habe Sie ein paarmal frisiert.“

Er sah sie an, dann wich sein fragender Blick einem Lächeln. Er schlug sich mit seiner Hand an die Stirn. „Ja, natürlich. Da hatten Sie eine andere Haarfarbe und längere Haare.“

Nadine grinste. „Als Friseurin muss ich ab und zu etwas Neues ausprobieren. Wir können schlecht den Kunden Sachen empfehlen, die wir selbst nicht kennen.“

„Wenn ich nicht so wütend gewesen wäre, hätte ich Sie eher erkannt.“ Danach blätterte er weiter im Ordner.

„Ich heiße Stefan. Ich denke, ich kann das mit Ihrer Versicherung klären. Mein Freund arbeitet da, den frage ich gleich.“

„Normalerweise ist Jakob samstags bei seiner Tagesmutter, aber die ist krank. Unsere Nachbarin, die auf ihn aufpassen wollte, hat es wohl zu locker gesehen und ihn auf die Straße geschickt, als sie keine Lust mehr hatte“, erklärte Nadine. Vorsichtig nahm sie einen Schluck heißen Tee.

„Dann brauchen Sie jetzt ganz dringend einen Babysitter für Jakob. Ich trainiere mit einem Kameraden zusammen am Mittwochnachmittag und am Samstagvormittag die Handballjugend. Wenn Jakob einverstanden ist, nehme ich ihn mit“, schlug Stefan vor.

„Erst ruiniert der Bengel Ihr Auto, und dafür wollen Sie uns helfen? Es ist mir so peinlich“, stammelte Nadine. Langsam beruhigte sie sich. Die Wärme des Tees löste den Klumpen in ihrem Magen auf.

Stefan lächelte ihr aufmunternd zu. „Ich habe als Kind auch allerhand angestellt. Einmal hat mich die Polizei beim Klauen von Mercedessternen erwischt. Das gab ein Riesentheater. Meine Eltern mussten mich auf dem Polizeirevier abholen. Trotzdem ist aus mir noch etwas geworden. Sogar Polizist und kein Krimineller.“

Nadine lachte, dann sagte sie ernster: „Ich habe viel zu wenig Zeit für Jakob. Meine Eltern sind leider nicht jung genug, um auszuhelfen. Meine Mutter hat schweres Rheuma, außerdem wohnen sie außerhalb. Ich habe immer schon ein schlechtes Gewissen, wenn sie Jakob in den Hortferien nehmen. Es ist anstrengend für sie, sich um ihn zu kümmern.“

„Und sein Vater?“

„Mein Ex-Mann? Der besucht Jakob ganz selten, wenn es tatsächlich vorkommt, geht er mit ihm ins Kino, in den Vergnügungspark oder ein Freizeitbad. Am Abend liefert er ihn wieder ab und lässt sich ein halbes Jahr nicht mehr blicken. Aber er hatte nie für Kinder etwas übrig.“

„Können Sie ihn nicht …“ Stefan brach ab, als er ihr Gesicht sah.

„Er hat sich nicht einmal gekümmert, als wir noch zusammen wohnten. Ich freue mich, wenn er sich ab und zu sehen lässt, damit Jakob weiß, dass er einen Vater hat.“

„Und zahlen tut er wohl auch nicht“, vermutete Stefan.

Nadine grinste. „Solange ich nicht für ihn blechen muss …“

„Morgen spielen meine Kids. Das Turnier fängt um zehn Uhr an und geht bis fünf Uhr. Kommen Sie vorbei und schauen Sie beim Spielen zu. Vielleicht bekommt Jakob Lust dazu“, bot er an.

Nadine überdachte es kurz. Eigentlich wollte sie am nächsten Tag den Haushalt erledigen und mit Jakob eine kleine Radtour machen. Aber sie konnten ebenso gut auf dem Sportplatz zusehen.

„Überlegen Sie es sich“, sagte Stefan. „Um ihre Versicherung kümmere ich mich, das wird schon klappen.“ Er schrieb ihre Versicherungsnummer auf, bevor er sich verabschiedete.

Nachdenklich wusch Nadine das Geschirr ab. Es wäre gut, wenn Jakob etwas fand, wo er seine Energie abreagieren konnte. Hoffentlich trug die Haftpflichtversicherung den Schaden. Sie seufzte. Notfalls musste sie eben einen Kredit aufnehmen. Ihre Eltern würden sicher für sie bürgen. Zukünftig durfte Jakob mit Paula nur spielen, sobald sie daheim war.

8

Nadine grübelte, ob sie wirklich zu den Handballspielen gehen sollte. Stefan hatte gesagt, das Turnier würde am nächsten Tag auf dem Fußballfeld stattfinden. Kurzentschlossen begann sie, einen Kartoffelsalat mit Frikadellen zu machen. Hackfleisch hatte sie noch eingefroren im Tiefkühlfach. Sie holte das Fleisch aus dem Fach und setzte Kartoffeln auf. Sie sah auf die Uhr. Inzwischen war es schon vier Uhr. Jakob hatte bestimmt Hunger, sich aber nicht getraut, sich zu melden. Also beschloss sie Spaghetti zu kochen, die aß er immer. Zu jeder Tageszeit.

„Jakob, helfen“, rief sie. Jakob stand sofort in der Küche. Sein schlechtes Gewissen zwang ihn zum widerspruchslosen Gehorsam. Nadine unterdrückte ein Schmunzeln. Heute Abend würde der Eifer garantiert nachlassen. Er half Zwiebeln und Tomaten zu schneiden, anschließend deckte er den Tisch. Nach dem Essen schälte er die Pellkartoffeln, würzte und rührte voller Hingabe den Kartoffelsalat um.

„Halt, nicht so doll, sonst haben wir Kartoffelbrei, statt Salat“, bremste Nadine.

„Wollen wir noch auf den Bolzplatz gehen?“, fragte sie, als die Küche wieder blitzblank war.

Jakob nickte und raste los, seinen Fußball zu holen.

9

Am nächsten Morgen fanden sie sich pünktlich um 10 Uhr auf dem Fußballplatz ein. Das große Feld war in sechs kleine Handballfelder eingeteilt. Überall wimmelte es von Spielern in verschiedenen Trikots, Eltern und Trainern. Rund um die Laufbahn, die das Fußballfeld umrundete, lagen Sporttaschen und Decken, Campingstühle und Sonnenzelte. Auf der kurzen Seite standen einige Imbissbuden.

Nadine breitete ihre Decke auf einer freien Stelle aus und stellte ihren Picknickkorb daneben. Dann ging sie zusammen mit Jakob über den Platz und schaute sich alles an. Punkt zehn Uhr wurden die Spiele angepfiffen. Auf allen Feldern wurde gleichzeitig gespielt. Sie sahen bei einem Spiel mit Kindern in Jakobs Alter zu. Nach einer Weile entdeckten sie auch Stefan. Er betreute eine Gruppe etwas älterer Jungen.

„Hallo, fein dass ihr gekommen seid“, begrüßte er sie und reichte ihnen die Hand. „Wir haben gleich ein Spiel, aber danach habe ich ein bisschen Zeit, da ist eine Pause bis zum nächsten Spiel.“

Nadine und Jakob folgten ihm zu dem hintersten Feld. Dort standen schon einige Eltern und warteten.

Stefan gab seinen Jungen noch Anweisungen, dann schickte er sie aufs Feld. Gebannt verfolgte Jakob das Spiel. Die Jungen waren geschickt. Sie liefen schnell und prellten trotzdem den Ball auf dem unebenen Boden, sie warfen und fingen sicher. Nadine fragte sich, ob es auch Jakob gefallen könnte.

Stefans Mannschaft gewann mit vier Toren Vorsprung. Stefan lobte sie und scherzte mit ihnen.

„In einer Stunde habt ihr das nächste Spiel!“, sagte er und entließ sie. Die Jungen liefen zu ihren Taschen, holten sich ihre Flaschen, tranken oder gingen zu den Imbissbuden und kauften sich etwas.

„Es ist hektisch heute. Wir haben sechs Mannschaften, aber nur drei Trainer. Die restlichen Mannschaften werden von Eltern betreut. Wenn wir Trainer Zeit haben, gehen wir zu ihnen, allerdings sind manche gleichzeitig.“

„Kann ich das lernen?“, fragte Jakob.

„Sicher, die anderen haben es auch gelernt. Wenn du Lust hast, kommt einfach einmal zum Training. Wir haben am Mittwoch um fünfzehn Uhr bis sechzehn Uhr dreißig und am Samstag von zehn bis zwölf in der Grundschule Training“, sagte Stefan.

Nadine gab Jakob Geld. Sofort rannte er los, sich ein Eis zu kaufen.

„Es wäre schön, wenn er am Samstag Handball spielen würde. Dann wäre er betreut, und ich müsste mir nicht ständig Sorgen machen, dass er Blödsinn anstellt“, erklärte Nadine.

„Sicher macht es ihm Spaß. Wir haben viele nette Jungen dabei.“ Stefan winkte einem kleineren, kräftigeren Mann zu.

„Das ist Peter. Wir beiden machen das Training zusammen. Da ich Schichtdienst habe, kann ich nicht immer da sein. Dann übernimmt Peter es allein. Dafür darf er ab und zu freinehmen, wenn ich Zeit habe“, sagte er. „Peter, das ist Frau Stahmer, eine Nachbarin von mir. Vielleicht fängt ihr Sohn Jakob bei uns an. Ich habe ihn eingeladen, mal zuzuschauen.“

Peter reichte Nadine die Hand.

„Ich wäre froh, wenn Jakob bei ihnen anfangen würde. Damit er ausgelasteter wäre und weniger Blödsinn im Kopf hätte.“

Peter lachte. „Unsere Rasselbande hat es ebenso faustdick hinter den Ohren.Trotzdem sind sie schon große Klasse.“

„Sind sie nicht zu alt für Jakob?“, befürchtete Nadine und sah besorgt aus.

„Oh, das eben war die E-Jugend, die sind neun und zehn Jahre alt. Aber wir haben auch jüngere. Die F-Jugend mit acht und neun, und die ganz kleinen, die Minis. Die sind heute nicht dabei. Jakob könnte gut bei der F-Jugend mittrainieren, das ist kein Problem.“

Gegen ein Uhr hatte Stefan wieder eine Pause, und Nadine lud ihn und Peter zu Frikadellen und Kartoffelsalat ein. Die beiden ließen sich nicht lange bitten, sondern setzten sich zu ihr.

Ab und zu kam ein Kind vorbei und wollte etwas von ihnen wissen.

„Wer ist das?“, fragte ein Junge.

„Das ist Jakob, der wollte es sich einmal ansehen. Vielleicht spielt er bald bei uns mit“, erklärte Stefan.

„Das ist gut, wir brauchen noch ein paar Spieler“, sagte der Junge und lief weiter.

„Du siehst, du wirst schon erwartet“, sagte Peter zu Jakob.

Jakob schwieg dazu. Als sie satt waren, nahm Stefan seinen Ball und warf ihn Jakob zu. Jakob warf ihn zurück. So spielten sie sich eine Weile den Ball zu.

„Gar nicht schlecht“, sagte Stefan schließlich. „Wir können ein anderes Mal weitermachen. Jetzt muss ich gehen. In zehn Minuten spielt die F-Jugend auf Feld sechs.“

Nadine stellte ihren Korb in den Schatten, dann schlenderte sie zu Feld sechs. Inzwischen hatte sie die Nummerierung begriffen.

Die F-Jugend verlor knapp mit einem Tor. Erst ärgerten sich die Kinder. Ein Junge stritt mit dem Torwart, aber nach einem kurzen Augenblick, scherzten und lachten sie wieder, als wäre nichts gewesen.

Bei nächster Gelegenheit sprach Nadine Stefan darauf an: „Macht es den Kindern nichts aus, zu verlieren?“

„Doch, aber die Kleinen sind schnell darüber weg. Schneller als die Eltern und Betreuer.“ Stefan grinste. „Wir können noch viel von ihnen lernen.“

Am Nachmittag aßen sie Nadines Kuchen. Da auch die Spieler von Stefan vorbeischauten, war er im Nu verputzt. Endlich war das letzte Spiel vorbei, die Spieler versammelten sich vor einem Zelt.

„Lass uns gehen“, sagte Nadine.

„Jetzt schon?“, fragte Jakob.

Nadine lachte. „Das Turnier ist zu Ende. Wenn wir uns beeilen, kommen wir trocken nach Hause.“ Sie zeigte auf den schwarzen Himmel.

„Wer zuerst beim Fahrrad ist“, rief Jakob und rannte los. Natürlich war er der Erste, da Nadine noch ihre Decke und den Korb holen musste.

So schnell sie konnten, fuhren sie zurück. Sie hatten gerade ihr Haus erreicht, als ein Gewitter losbrach.

„Renn unters Dach“, rief Nadine. Sie selbst beeilte sich, die Fahrräder anzuschließen, nahm ihr Gepäck und war klitschnass, als sie bei Jakob ankam.

„Sofort unter die Dusche, damit uns wieder warm wird“, trieb sie ihren Sprössling an.

„Und was gibt es?“, fragte Jakob und blieb abwartend mitten im Flur stehen.

„Suppe?“, schlug sie vor. Nachdem sie geduscht hatte, zog sie schon ihr Nachthemd an, dann rührte sie eine Tütensuppe ins Wasser, während Jakob sich duschte. Widerspruchslos suchte Jakob nach dem Essen das Bett auf. Nadine sah sich noch einen Krimi im Fernsehen an, bevor sie schlafen ging.

Am nächsten Tag, ihrem freien Tag, stand sie mit ihren Einkäufen brav an der Ampel beim Café, als ein Radfahrer schnell an ihr vorbeifuhr.

„He, das macht sechzig Euro“, rief sie ihm hinterher.

Stefan bremste und drehte sich um. „Hallo Nadine, Polizisten im Einsatz dürfen das.“

„Wo ist das Blaulicht? Feine Ausrede“, lachte Nadine.

„Wie geht es euch?“

„Danke gut. Nur einen Sonnenbrand haben wir.“

„Und wie hat es euch gefallen?“ Stefan schien es überhaupt nicht mehr eilig zu haben.

„Gut, Jakob schaut sich am Mittwoch das Training an. Ich bringe ihn vorbei.“

„Kannst du das?“

„Ich hoffe. Ich bitte meine Chefin um eine freie Stunde.“

„Bis Mittwoch“, Stefan fuhr weiter.

Da am Mittwochmittag wenig zu tun war, durfte Nadine eine Stunde freinehmen. Sie holte Jakob beim Hort ab, dann ging sie mit ihm zur Turnhalle.

Stefan war nicht zu sehen, aber Peter begrüßte sie freundlich. Nadine war enttäuscht, sie hatte gehofft, Stefan zu treffen. Wenn es allerdings Jakob gefiel, hatte sie demnächst öfter die Gelegenheit dazu. Sie blieb einen Augenblick und hastete anschließend zur Arbeit zurück.

Jakob war am Abend restlos begeistert vom Training. „Am Samstag will ich wieder dahin gehen.“

Nadine fiel ein Stein vom Herzen. Für diesen Samstag war die Betreuungsfrage wenigstens gelöst. Dummerweise meldete sich Stefan nicht mehr, also legte sie Jakobs Sachen griffbereit hin und vereinbarte, ihn anzurufen, damit er pünktlich losging. Bis dahin durfte er fernsehen.

Es klappte hervorragend, auch wenn Nadine schwer enttäuscht war. Sie hatte gehofft, Stefan würde sich um Jakob kümmern und vorbeischauen, doch er tat nichts dergleichen.

Dafür stand er am folgenden Samstag um elf Uhr mit Jakob im Frisiersalon. Jakob hatte eine dicke Beule und ein kleines Loch im Kopf.

„Es tut mir leid, er ist gegen einen Kasten gefallen. Es ist nichts Schlimmes, aber er wollte sich nicht mehr beruhigen, und da dachte ich, ich bringe ihn lieber hier vorbei“, erklärte Stefan.

„Und die anderen Kinder?“ Nadine zog Jakob zu sich heran, umarmte und wiegte ihn.

„Peter ist da, ich fahre auch gleich zurück. Soll ich Jakob wieder mitnehmen?“

Nadine sah sich den Schaden genauer an. „Na, fährst du mit Stefan in die Sporthalle oder setzt du dich ruhig in die Ecke und liest die Comics?“, fragte sie Jakob.

„In die Sporthalle“, entschied sich Jakob.

„Gut, tob’ nur nicht so doll herum, eine Beule reicht am Tag.“ Nadine gab ihm einen dicken Schmatz auf die Backe, dann schob sie ihn zur Tür hinaus.

„Toller Trainer“, sagte Sina und schaute ihm hingerissen hinterher.

10

Als sie nach Hause kam, wurde sie von Jakob und Stefan erwartet. Die beiden saßen im Schneidersitz auf dem Rasen zwischen den Häusern und spielten Mau-Mau.

„Mama, Stefan hat mir ein neues Spiel beigebracht“, rief Jakob und winkte mit den Karten.

„Ich wollte ihn lieber nicht allein lassen“, meinte Stefan.

„Danke, es hätte ja wieder schwarzer Lack herumstehen können“, murmelte Nadine.

„Wollen wir heute Nachmittag zusammen ins Kino gehen?“, fragte Stefan.

„Bitte Mama, bitte“, bettelte Jakob und sprang hoch. Aufgeregt hüpfte er von einem Bein auf das andere.

Nadine stöhnte. Der Ausflug zum Turnier hatte ein empfindliches Loch in ihr Haushaltsgeld gerissen. Zudem hatte sie Jakob neue Turnschuhe gekauft und jetzt noch Kinokarten. Sie sah Jakob an. Erwartungsvoll schaute er mit leuchtenden Augen zu ihr, so dass sie ihm die Freude nicht verderben wollte. Ergeben nickte sie.

„Was gibt es denn?“, erkundigte sie sich.

„Im City-Kino läuft ein Zeichentrickfilm. Wir können aber auch weiterfahren und Bibi ansehen.“

„Der Zeichentrickfilm reicht. Ich mag unser Kino, außerdem sollte man die kleinen unterstützen“, erklärte Nadine.

Stefan stimmte zu. „Gut, dann hole ich euch um halb vier Uhr ab.“

Pünktlich klingelte Stefan an der Tür. Jakob hüpfte aufgeregt hin und öffnete ihm.

„Hallo Jakob, seid ihr fertig?“, fragte Stefan.

„Nö, Mama braucht immer so lange“, maulte Jakob.

„Wenn ich deine Milch aufwischen muss“, verteidigte sich Nadine aus der Küche. „Komm doch herein. Ich bin gleich so weit.“

Nadine stand mit dem Wischlappen vor dem Kühlschrank und wischte einen Milchsee vom Boden. Endlich war sie damit fertig und richtete sich auf. Sie trug eine hautenge Jeans an und ein glitzerndes, enges Top. Stefan gefiel ihr, deshalb hatte sie sich extra hübsch angezogen.

An der Garderobe zog sie eine Jeansjacke über und griff sich die Handtasche. „Dann können wir.“

Jakob kroch in Stefan Fiat ohne zu betteln auf die Rückbank. Mit Opa diskutierte er regelmäßig, um auf den Beifahrersitz zu kommen. Stefan besaß sogar zwei Kindersitze. „Für die Handballer“, erklärte er.

Im Kino saß Jakob zwischen Nadine und Stefan. Nadine hatte versucht, ihn unauffällig an ihre andere Seite zu bekommen, doch er war schneller gewesen und thronte jetzt wie ein König in der Mitte.

Die Geschichte war etwas albern, aber sie konnten herzhaft lachen.

Hinterher fragte Stefan sie, ob sie eine Pizza essen wollten, und führte sie zu einem kleinen Italiener.

„Hier war ich noch nie. Seit Jakob da ist, bin ich kaum ausgegangen“, stellte Nadine fest.

„Dann solltest du langsam damit anfangen“, meinte Stefan.

„Gar nicht so einfach, als alleinerziehende Mutter.“

„Oh, wenn du einen Babysitter brauchst, stelle ich mich zur Verfügung“, bot Stefan an.

Nadine fühlte einen Stich. Ihn interessierte Jakob mehr als sie. Natürlich tat es ihrem Sohn gut, endlich einmal eine männliche Bezugsperson zu haben. Dabei hätte sie auch gern wieder einen Mann an ihrer Seite gehabt.

Es wurde ziemlich spät, bis er sie daheim ablieferte. An der Haustür küsste er sie zum Abschied auf die Wange. In Nadines Bauch fing es an zu kribbeln. Nur zu schnell war er weg.

11

Zwei Tage danach kam Stefan vormittags in den Friseursalon und wartete geduldig, bis Nadine mit der Dauerwelle bei der alten Frau Schulze fertig war. Sina wollte ihn schneiden, aber er wollte sich nur von Nadine bedienen lassen.

„Oh, du hättest ruhig Sina heranlassen können. Sie ist sehr geschickt“, sagte Nadine, als sie endlich Frau Schulze unter die Haube gesetzt hatte.

„Wenn ich hierherkomme, will ich wenigstens von meiner Stammfriseurin frisiert werden“, meinte er und zwinkerte ihr zu.

„Und Sina denkt, du traust ihr nichts zu“, warf sie ihm vor.

„Wirklich?“, fragte er erschrocken und drehte sich um, gerade als sie schnitt. Fast hätte sie sein Ohr erwischt.

„Ich wollte Sie nicht verletzten. Ich glaube Ihrer Kollegin, dass Sie Haare schneiden können, aber Nadine hatte letztes Mal etwas von einem neuen Haarschnitt erzählt“, rief er laut, damit er den Haartrockner übertönte, Sina zu.

„Sei froh, den Zappelphilipp nicht unter deinem Messer zu haben, beinahe wäre das Ohr ab gewesen. Da sind die Kinder richtig harmlos“, knurrte Nadine.

„Oh, entschuldige“, sagte Stefan zerknirscht.

„Na ja, ist nicht mein Ohr. Und erste Hilfe kann ich auch nicht leisten, weil ich sofort umkippe, wenn ich Blut sehe“, meinte Nadine achselzuckend und schnippelte weiter an seinem Kopf herum.

„Kann es wenigstens eine der anderen Damen?“

„Warum? Das Krankenhaus ist doch gleich nebenan.“

„O Gott, beim nächsten Mal suche ich mir einen Friseur aus, der eine Ausbildung in erster Hilfe hat.“ Er rollte theatralisch seine Augen.

Sina grinste. „Bisher sind unsere Kunden alle auf eigenen Beinen hier herausgegangen.“

„Wie wäre es mit ein paar Strähnchen?“, fragte Nadine und hielt ihm die Farbpalette unter die Nase.

„Nein, danke.“ Stefan hob unter dem Umhang die Hände. „Es reicht mir, wenn die Kiddies mir vor wichtigen Spielen die Haare in den Vereinsfarben färben. Beim letzten Mal habe ich es nicht richtig herausbekommen, da habe ich auf der Wache einiges zu hören bekommen.“

Nadine und Sina lachten laut.

„Vielleicht sollten wir in solchen Fällen erste Hilfe leisten? Darauf sind wir spezialisiert“, erklärte Nadine spitz.

An der Kasse sagte er leise zu Nadine: „Das Geld von der Versicherung ist da.“

Nadine atmete auf. „Da bin ich froh. So viel Geld hätte mir Probleme bereitet.“

„Aber dafür sind wir doch versichert!“

„Meistens zahlen sie nicht, wenn man es wirklich braucht.“

„Darf ich dich zur Feier des Tages einladen?“ Erwartungsvoll schaute er sie an.

Ihr Herz machte einen Hüpfer. Trotzdem blieb sie äußerlich ruhig. „Jakob ist am Wochenende bei seinem Vater. Dann habe ich Zeit.“

„Gut, abgemacht, ich hole dich am Samstag um acht Uhr ab.“

Den Rest des Tages lief Nadine wie auf Wolken herum. Sogar Frau Brückner, die immer griesgrämig war, ertrug sie gutgelaunt. Ohne tief durchzuatmen, schnippelte sie da noch ein Strähnchen weg, legt die Locke mehrmals einmal in eine andere Richtung und wagte es eine leichte Tönung zu empfehlen.

„Meinen Sie wirklich?“, fragte Frau Brückner erstaunt.

„Ja, es wirkt dadurch lebhafter. Natürlich keine harten, dunklen Farben, etwas helles, ein paar Nuancen dunkler als ihr eigenes Haar.“ Nadine lief los und holte ihre Farbbeispiele. „Dieses aschblond oder so ein schwacher roter Stich.“ Sie hielt die Strähnchen an Frau Brückners Kopf.

„Das sieht so künstlich aus.“

„Nur wenn größere Bereiche gefärbt werden. Bei kleinen Strähnchen sieht man es kaum. Das Haar ist nur nicht mehr so gleichmäßig.“ Sie griff sich die Fachzeitschrift vom Tischchen und zeigte einige Fotos von Seniorenmodellen.

„… und langweilig“, ergänzte Frau Brückner. Sie sah nachdenklich aus.

Bevor sie ging, gab sie Nadine Trinkgeld. Als die Tür hinter ihr zufiel, blickte Nadine auf das Geld in ihrer Hand. „Das hat sie noch nie getan“, sagte sie erstaunt.

„Sie färben Frau Brückner aber, falls sie den Vorschlag aufnimmt“, erklärte Frau Hoffmann. „Ich habe dann eine andere Kundin zu bedienen.“

Nadine lachte. „Muss ich wohl, wenn ich es ihr einrede.“